Ludwig Tieck
Leben und Tod der heiligen Genoveva
Ludwig Tieck

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Zimmer.

Siegfried allein.
Ich kann mein Herz kaum zwingen, es zu glauben.
Zwar mag die List wohl viel und Heuchelei,
Und keiner klagt sich selber gerne an:
Die Einsamkeit, Entfernung des Gemals
Hat ihrer Furcht den Zügel abgenommen,
Nun war sie ganz was sie nicht durfte sein.
Doch ist noch stets in meiner Brust ein Kampf,
Wenn ich die Sittsamkeit, die keuschen Blicke,
Die Bangigkeit, die sie in meinen Armen
So oft befiel, das schüchterne Erröthen,
Wenn ich dies all' in mein Gedächtniß rufe,
So schelt' ich jede Anklag' nur Verläumdung.
Allein die Macht der Zauberei ist groß,
Die hat sie in ein andres Weib verwandelt,
Die innre Bosheit arg heraus gekehrt,
Wie man in Träumen oft die eignen Wünsche
Zum innigsten Entsetzen kennen lernt.

Golo tritt herein.

Siegfried. Wie bist du in dem Jahr so bleich geworden,
So kranken Blickes, seit wir uns nicht sahn?
Ich habe dich kaum wieder kennen mögen.

Golo. Wie kann es anders, da die ew'ge Sorge
Um euch und euer Liebstes mich verzehrte?
Wär' ich auch nicht so euer Freund wie Diener,
Vernähm' ich die Geschichte als ein Fremder,
So würd' ich doch der Menschheit Loos beweinen,
So würd' ich eigner Kraft nicht mehr vertrauen.

Siegfried. Was ist aus meinem Hause doch geworden?
Der Sitz des Friedens ein Verräthernest.
Gut, daß ich nicht den Bösewicht mehr finde,
Mein Grimm würd' ihm ein härter Leid bereiten.

Golo. Er ist nicht mehr und heimlich schon begraben,
Ich sorgte stets dafür, daß nicht zu ruchtbar
Die Schande eures edlen Hauses würde.

Siegfried. Sehr wohl gethan: o! unglücksvolle Zeit,
Daß dieses Uebelthun mir Wohlthun ist!
Was sagtest du mir doch von jener Frau,
Die in der Kunst der Weissagung erfahren?

Golo. Daß sie die tief verborgnen Dinge weiß,
Und daß ihr dort, wenn ihr noch irgend zweifelt,
Mit Augen sehn könnt, was geschehen ist.

Siegfried. Ich zweifle nicht, wie könnt' ich es bezweifeln?
Wie glücklich wär' ich, dürft' ich annoch zweifeln?
Doch ists ein seltsam Ding, es zu versuchen,
Auch dünkt mir, möcht' ich kälter, härter werden,
Wenn ich von überird'scher Macht die Wahrheit
Erhalten könnt', es würde jedes Mitleid
Dann in mir sterben; doch verbeut die Schrift
Dergleichen Kunst und daß man sie gebrauche.

Golo. Kein eitler Fürwitz treibt euch, edler Graf,
Ihr wollt den Satan nicht, die Hölle necken,
Nur Satans Werk durch die Magie entdecken.

Siegfried. So komm', vom Himmel zeigt sich schon die Nacht,
Jezt hat das Reich der Geister seine Macht.

sie gehn.



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