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Eine Sammlung seiner »Gedichte« gab Tieck 1821–23 in drei Bänden (Dresden, bei P. G. Hilscher) heraus; von dieser ist die aus dem Jahre 1834 nur eine Titelauflage. In neuer Anordnung dagegen und nicht unbedeutend vermehrt erschienen die Gedichte 1841 als »Neue Ausgabe« (Berlin, bei G. Reimer) in einem Bande. Bei weitem das meiste von dem, was diese Sammlungen bieten, ist schon vorher gedruckt, und zwar zum größten Teil in umfangreichern erzählenden und dramatischen Dichtungen. So sind von den 102 Gedichten des ersten Bandes (1821) nur 44, von den 120 des zweiten gar nur 15, von den 101 des dritten (1823) dagegen 77 als zum erstenmal veröffentlichte zu bezeichnen. Von lyrischen Episoden aus bereits gedruckten Werken nahm Tieck 127 unter die »Gedichte« auf; am stärksten vertreten sind hier der »Sternbald« mit 28, »Zerbino« mit 22, »Magelone« (1796) mit 16, »Octavianus« mit 13, »Lovell« mit 10 und die »Phantasien über die Kunst« mit 8 Nummern. Ferner entstammen dem »Ungeheuer«, der »Verkehrten Welt« und dem »Donauweib« je 4, der »Genoveva« 3, dem »Blaubart«, dem »Sturm«, der »Melusine« (1800), dem »Runenberg« und dem »Liebeszauber« je 2 Gedichte; aus »Alla-Moddin«, »Karl von Berneck«, den »Herzensergießungen«, dem »Getreuen Eckart« und dem »Däumchen« ist je 1 Nummer entnommen. Von den übrigen Gedichten sind noch 60 vor 1821 gedruckt, nämlich 3 in Schillers »Musenalmanach für 1799«,Ein viertes, die sapphische Ode »Kunst und Liebe«, hat Tieck von der Aufnahme in die »Gedichte« ausgeschlossen; es ist erst von Köpke in den »Nachgelassenen Schriften« abgedruckt worden. 17 in Tiecks »Poetischem Journal« (1800),»Die neue Zeit« und drei der Sonette fehlen in den »Gedichten« (1. Ausgabe); jene ist in der »Neuen Ausgabe« wieder gedruckt. 17 in Schlegel-Tiecks »Musenalmanach für 1802«,Ein achtzehntes, »Nacht«, erschien schon in »Karl von Berneck«. 1 in Tiecks »Minneliedern« (1803), 19 in den verbindenden Gesprächen des »Phantasus«, 3 (außer den 4 im »Donauweib«) in Försters »Sängerfahrt« (1818), 1 im »Dresdener Merkur« (1821), Die »Neue Ausgabe« (1841) enthält 39 Gedichte, die in der ersten fehlen; 2 davon sind zuerst in der »Dresdener Morgenzeitung« (1827), 6 in Wendts »Musenalmanach für 1831« gedruckt. In Tiecks »Schriften« und »Novellen« finden sich ferner ungefähr 40 lyrische Abschnitte, die als Gedichte bezeichnet werden können, in den »Nachgelassenen Schriften« 12 aus ungedruckten Jugenddichtungen und 3 früher schon veröffentlichte. Unter A. W. Schlegels Namen steht in dessen GedichtenBöcking, Bd. 1, S. 339. ein Sonett: »Galatea« von Tieck und ebendaBöcking, Bd. 2, S. 201. ein gemeinsam mit Schlegel verfertigtes »Sonett gegen Garlieb Merkel«, endlich in den »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders« das Gedicht: »Die Bildnisse der Maler«Der 1840 in Einzeldruck erschienene »Epilog zur hundertjährigen Geburtfeier Goethes« ist nur eine etwas veränderte Wiederholung des »Epilogs zum Andenken Goethes« vom Jahre 1832.. Im ganzen besitzen wir von Tieck über 400 Gedichte, die sich ihrer Entstehungszeit nach über die Jahre 1790 bis 1840, also über ein halbes Jahrhundert, erstrecken. Während jedoch die frische Zeit der aufblühenden Dichterkraft stellenweise einen erstaunlichen Reichtum der Produktion zeigt – wie denn z. B. in die drei Jahre 1796–98 allein über 100 Gedichte fallen – beginnt mit der entweichenden romantischen Stimmung zugleich die lyrische Ader des erst in den Dreißigern stehenden Dichters etwa seit 1807 zu stocken, bis sie kaum zehn Jahre später fast gänzlich versiegt und von 1831 an thatsächlich so völlig erschöpft ist, daß von da an nur sehr wenige Gelegenheitspoesien zu verzeichnen sind.
Die Mängel, welche der Lyrik der ältern Romantiker überhaupt anhaften, hat A. Koberstein»Grundriß der Geschichte der deutschen Nationalliteratur«, 4. Aufl., Bd. 3, S. 2441 ff. treffend hervorgehoben, indem er sagt: »Im lyrischen Fach waren die Gründer der Romantik sehr fruchtbar. Aber ihre Lyrik, so viel Innigkeit und Tiefe des Gefühls sich darin auch teilweise, zumal in den Gedichten von Novalis und Tieck, ausspricht, leidet im allgemeinen daran, daß sie erstens in ihrem Gehalt zu verschwommen und nebelhaft ist und zu wenig faßliche und scharf umgrenzte Bilder gibt, indem sie zu häufig in einer gestaltlosen, mystischen Unendlichkeit schwebt; daß sie zweitens entweder in ihren Formen zu viel Fremdartiges und Erkünsteltes hat oder auch drittens die Form mit einer zu springenden Willkür in dem Gebrauch der in sich wechselnden Versarten behandelt, wie sie weder der kunstmäßigen noch der volksmäßigen Gliederung des echten Liedes entspricht. Der erste Mangel haftet, wenn man die geistlichen Lieder von Novalis und einige weltliche, die seinem Roman eingeschaltet sind, sowie einige mehr im Volkston gehaltene Lieder von Tieck ausnimmt, mehr oder weniger allen übrigen lyrischen Sachen dieser beiden Dichter und vorzüglich auch denen von Fr. Schlegel an . . . Der zweite Vorwurf trifft vornehmlich die Sonettenpoesie der beiden Schlegel, der dritte die Mehrzahl von Tiecks lyrischen Ergüssen.« Den von Koberstein an erster Stelle gerügten Fehler wollte freilich Bernhardi,»Kynosarges« (1802), Bd. 1, S. 121 ff,; vgl. Koberstein a. a. O., Anmerkung. der geradezu drei Gattungen von lyrischen Gedichten: einfache, allegorische und – mystische, unterschied, als solchen nicht gelten lassen, sondern erblickte vielmehr im Mystizismus »die höchste, letzte Spitze« der Poesie; aber der klare, scharfdenkende Körner hat dieser verkehrten Richtung schon 1801 in einem Brief an Schiller vom 19. Dezember»Schillers Briefwechsel mit Körner«, Bd. 4, S. 252. mit folgenden Worten das Verdammungsurteil gesprochen: »Ich ehre gewiß jedes echte Gefühl und kann mit jedem sympathisieren, der sich über ein Grashälmchen freut, oder den irgend eine religiöse Vorstellung begeistert. Aber das Universum kann man nicht lieben und nicht darstellen. Darauf geht es doch aber eigentlich bei dieser Sekte hinaus; und dies ist's, worauf diese Herren so vornehm thun. Das Herz fordert ein Bild von der Phantasie, wenn es sich erwärmen soll, aber diese Poesie gibt keine Bilder, sondern schwebt in einer gestaltlosen Unendlichkeit.« Hier ist der Hauptgrund klar ausgesprochen, warum die Lyrik der ältern Romantiker im allgemeinen wirkungslos verhallen mußte und heutzutage fast vergessen ist. Aber man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Es wäre ungerecht, zu leugnen, daß sich vor allem bei unserm Dichter unter der großen Masse des Ungenießbaren und Mißlungenen auch einiges Anziehende und Vortreffliche findet.
Und so dürfen wir, obwohl es für Tiecks Dichterruhm sicherlich weit vorteilhafter gewesen wäre, wenn er nur etwa einem Drittel seiner lyrischen Erzeugnisse Einlaß in jene Sammlungen vergönnt hätte, hoffen, daß die nachstehende kleine AuswahlGedichte aus Werken, welche unsre Ausgabe enthält, sind der Raumersparnis wegen hier nicht noch besonders abgedruckt; man findet solche im »Blonden Eckbert«, in der »Genoveva«, im »Runenberg« und im »Aufzug der Romanze«; vgl. die Anmerkungen daselbst. den Leser in günstigere Stimmung versetzen wird als eine der beiden Gesamtausgaben.
Gleich in dem ersten Gedicht unsrer Auslese, »Melancholie«, das für die düstere Stimmung des Jünglings ungemein bezeichnend ist, erscheint die Form untadelhaft. Von dem Einflusse Schillers, der hier in der rhetorischen Färbung noch zu Tage tritt, ist in den spätern Gedichten nichts mehr zu merken. In ihnen strebt Tieck offenbar dem Vorbilde Goethes nach, das er freilich nur selten erreicht. Von dem zweiten urteilte der besonnene Körner (an Schiller, 27. Dez. 1798): »Der ›Neue Frühling‹ hat eine eigne jugendliche Lieblichkeit und erscheint als das Werk eines einzigen glücklichen Moments. Der Ton ist sehr gut gehalten, und nirgends merkt man einen angeflickten Zierat.« Das kleine Gedicht »Die Nacht« wird niemand ohne Rührung lesen; der Minnesänger, dem es Tieck in »Karl von Berneck« in den Mund legt, spricht offenbar im Namen des Verfassers selbst, wenn er sagt: »Ich dichtete es jüngst, als mir das Elend der Menschen recht sichtbar vor die Augen trat.« Das zarte »Herbstlied« hat, wie Körner in demselben Briefe an Schiller schreibt, »eine Wärme, Einfachheit und Frischheit, die echtes Talent verrät«. Über solche Gedichte, namentlich auch über die »Magelonenlieder«,Joh. Friedrich Reichardt, Luise Reichardt, K. M. v. Weber u. a., in neuester Zeit auch Johannes Brahms, haben zu Liedern aus »Magelone« Kompositionen geliefert. aus denen wir Nr. 5 ff, gewählt haben, wie über »Zuversicht«, »Frühling und Leben« und »Liebe« gilt in der That, wenn auch mit einiger Einschränkung, A. W. Schlegels Urteil:»Athenäum« 1798, Werke Bd. 12, S. 27 ff. »Es liegt ein eigner Zauber in ihnen . . . die Sprache hat sich gleichsam alles Körperlichen begeben und löst sich in einen geistigen Hauch auf. Die Worte scheinen kaum ausgesprochen zu werden, so daß es fast noch zarter wie Gesang lautet; wenigstens ist es die unmittelbarste Verschmelzung von Laut und Seele, und doch ziehen die wunderbaren Melodien nicht unverstanden vorüber. Vielmehr ist diese Lyrik in ihrer heimlichen Beschränkung höchst dramatisch (?); der Dichter darf nur eben die Situation andeuten und dann den süßen Flötenton hervorlocken, um das Thema auszuführen. In diesen klaren Tautropfen der Poesie spiegelt sich alle die jugendliche Sehnsucht nach dem Unbekannten und Vergangenen, nach dem, was der frische Glanz der Morgensonne enthüllt und der schwülere Mittag wieder mit Dunst umgibt, die ganze ahnungsvolle Wonne des Lebens und der fröhliche Schmerz der Liebe . . . Stimmen, von der vollen Brust weggehoben, die dennoch wie aus weiter Ferne leise herüberhallen . . . Ich weiß nicht, wer außer Goethe unter uns ähnliche Lieder gedichtet hätte.« Die älteste Romanze Tiecks: »Arion«, ist auch seine beste und verdient vor der steifen Deklamation Schlegels über denselben Gegenstand ohne Zweifel bei weitem den Vorzug. Die seiner Zeit viel gepriesene Romanze aber, »Die Zeichen im Walde« (1801), die Friedrich Schlegel »zu den göttlichsten und vollendetsten Werken« Tiecks rechnete und A. F. Bernhard: als ein »vollendetes Meisterstück und nicht genug zu bewunderndes Kunstwerk« pries, während sich Karoline mit Recht über das »Schauerstück vom alten Wulfen« lustig machte, wagten wir unser« Lesern nicht darzubieten, weil sie in der That mit ihren ungeheuerlichen U-Assonanzen »sehr garstig« ist und unfreiwillig komisch wirkt. – Kann Tieck als Romanzendichter keine hohe Rangstufe beanspruchen, so verdienen seine Sonette zum großen Teil den Namen echter Kunstwerke. Die ältesten derselben sind in andre Dichtungen, insbesondere in die »Genoveva«, verflochten, wo sie freilich von Rechts wegen nicht hingehören, denn eine undramatischere Form als das Sonett läßt sich nicht wohl denken. Die Sonette aber, die im »Poetischen Journal« und im Schlegel-Tieckschen »Musenalmanach« erschienen, meist toten und lebenden Freunden gewidmet,In unsrer Auswahl die Nummern 12–17. »gehören zum Besten, was Tieck in dieser Form geleistet hat. Die Wirklichkeit der Erlebnisse gestaltet die Dichtung bestimmter und klarer, als dies sonst bei Tieck der Fall zu sein pflegt, und belebt sie überdies mit dem Hauche warmer Empfindung.Welti, »Geschichte de« Sonette««, S. 175 ff Man begreift noch heute wohl, daß A. W. Schlegel»Briefe an Tieck« Bd. 3, S. 240. diese Gedichte des Freundes »göttlich« fand, sie oft »mit großer Erquickung seines innersten Gemütes« las und »immer neue Tiefen« darin fand, und daß Schilling von ihnen »bezaubert« war.Ebenda. Weniger hoch werden wir dagegen den Sonettencyklus über die Musik stellen (daraus Nr. 18), den Friedrich Schlegel als »unvergleichlich schön« bezeichnete, da hier bei großen Feinheiten im einzelnen doch schon allzusehr jene »traumhafte, neblichte Verschwommenheit«Welti a. a. O. herrscht, die dann in den Sonetten aus »Alma« (daraus Nr. 19) ihren Gipfel erreicht. Aber der Dichter hatte ein Recht, seine überweisen Tadler zu belächeln, denn schon zwei Jahre später schrieb er »Die Kunst der Sonette« (daraus Nr. 20 ff.), in der er den Mißbrauch der Form, die »Sonettenraserei«, der er sich hingegeben und die ihm seine Nachahmer verleidet hatten, auf das witzigste verspottete. Diese Sonette bezeugen »nicht nur, wie richtig Tieck die Verderbnis der neuen Sonettenpoesie erkannt hatte, sondern auch, wie sehr er seinen ehemaligen Genossen im Sonettieren überlegen war. Mit dem köstlichsten Humor reimt der Dichter, ohne im einzelnen Unsinniges zu schreiben, ein gedankenloses Ganzes zusammen, gerade wie dies damals die Art so vieler Sonettisten war.«Welti a. a. O. Auch das witzige Sonett »Schaubühne« und das schöne, von warmem Patriotismus erfüllte »An Stella« reihen sich den besten Erzeugnissen Goethes, A. W. Schlegels, Hardenbergs und Rückerts in dieser Form nicht unwürdig an. – Eine eigentümliche Stellung nehmen unter Tiecks lyrischen Poesien die »Italienischen Reisegedichte« (daraus Nr. 24–35) ein, »die der kranke Verfasser auf der Reise nur als flüchtige Andenken schnell in seinem Tagebuche aufzeichnete«.Aus dem Vorwort zum 3. Teil der »Gedichte«. Erneute Krankheit verhinderte ihn, »diese mit Fleiß zu überarbeiten«, er veröffentlichte sie daher ganz so, wie er sie damals »in ungleicher Laune« aufschrieb, und hoffte, daß vielleicht »der Ausdruck des Moments frischer und lebhafter« sei, als es »bei mehr Fleiß die Ausbildung des Verses oder der hinzugefügte Reim und die geordnete Strophe zugelassen hätten«. Vielleicht hätte der Dichter einen Mittelweg einschlagen sollen, indem er den zuweilen in trockne Prosa versinkenden Ausdruck veredelte, hier und da einen volleren rhythmischen Fall suchte und vor allem sparsamer in der Mitteilung dieser Tagebuchblätter verfuhr. Den Taumel des Entzückens, in den die enthusiastische Rahel Varnhagen»Briefe an Tieck«, Bd. 4, S. 142 ff. beim Lesen dieser Gedichte geriet, wird wohl niemand mehr teilen, und es wäre sehr verfehlt, wollte man diese kunstlosen Aufzeichnungen etwa mit Goethes freien Rhythmen oder selbst mit Heines »Nordseebildern«, die übrigens oft Tieckschen Einfluß erkennen lassen, vergleichen; einige aber erfreuen durch geistreichen Witz und scharfe Abzeichnung der Wirklichkeit, wie »Der Bettler«, »Der letzte Tag der Feste« und »Lucca«, oder durch sinnige Beobachtung, wie »Der Morgen«, oder durch das Wehen echter Empfindung, wie »Der Friedhof«, »Heimweh«, »Villa Borghese« u. a. – Über die noch folgenden Gedichte können wir uns kurz fassen, »Der Fischfang« ist ein glücklicher Versuch in der heitern Romanze; in dem Liede »Heimliche Liebe« ist zu der tiefpoetischen Stimmung auch die reine Form gefunden; das reizende, an Hans Sachs und Goethe erinnernde Gedicht »Phantasus« und »Des Mädchens Plage« sind allerdings Allegorien, aber zugleich echte Poesie, phantastisch und doch wunderbar anschaulich. – Der Text der nachstehenden Gedichte folgt, wo in den Anmerkungen nichts andres angegeben, der Gesamtausgabe von 1841.