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»So 'n Ekel!« sagte Schnaase und sah dem entschwindenden Bünzli nach. »Wie kann sich der Lauselümmel das rausnehmen, daß er mir so grob kommt? Und ich kann ihm nich mal den Kopp waschen vonwejen... na ja! Machen Sie Ihr Gelump selbst! So 'n Kühjunge! Un liederliche Einfälle, sagt er. Was der bloß hatte? Aufgeregt un grob un flegelhaft. Und nu sitze ich da mit meine Kenntnisse, und mit dem Schansong is es Essig. Selbstgelegte Eier? Nee! Ich werde dem Mächen sagen, der Dichter kann nich. Der Knabe, der das Alphorn bläst, hat Frost im Koppe. Was muß se auch ausgerechnet Gedichte gegen die Altaicher Spießbürger vortragen? Wenn't nich is, denn is 't nich. Ich muß ihr das heute noch schonend beibringen. Liederliche Einfälle, sagt der Lümmel...«
Es ging schon auf den Abend zu, als Herr Schnaase durch die Kirchgasse heimging und einen Blick nach dem Fenster Mizzi Speras warf. Sie war oben, und nun deutete er unauffällig mit dem Stocke gegen die Kastanien hin. Mizzi nahm einen Blumentopf in die Hand, zum Zeichen, daß sie verstanden hatte.
Die Zeit war immer die gleiche. Nach Dunkelwerden. Ort der Dammweg.
Aber nun war es nicht so leicht, nach dem Abendessen wegzukommen, denn Frau Karoline wollte mit ihrem Manne über die seltsamen Ereignisse sprechen, die sie doch sehr erregt hatten. Und dann die Hauptsache. Tante Jule hatte geschrieben, daß Gieseckes ernstlich an eine Verlobung ihres Fritz mit Henny dächten. Nelly Giesecke hatte mit Tante Jule gesprochen, und dann war Fritz zu ihr gekommen, und die Sache war eigentlich im reinen, wenn sich Schnaases einverstanden erklärten, und wenn Henny wollte. Frau Karoline sah bloß Vorteile in der Verbindung, und was Henny anlangte, die war nicht gerade in heller Begeisterung, aber warum nicht?
Also stand nur mehr die Entscheidung Papa Schnaases aus, und die mußte gleich erfolgen, denn wenn er einwilligte, sollte sofort ein Telegramm an Tante Jule abgehen.
Karoline sagte zu ihrem Manne, daß sie ihm etwas sehr Wichtiges mitzuteilen habe. Gleich nach Tisch.
»Lieber morgen«, meinte Schnaase. »Das muß alles seine gehörige Konfusion haben. Und nach dem Essen, du weißt doch, muß ich nu mal 'n bißchen spazieren gehen. Auch mit Natterer habe ich zu konferieren. Wegen dem Fez. Morjen aber bin ich ausgeschlafen, und denn kannste loslegen.«
»Ich sage dir doch, daß es eilt.«
»In Altaich eilt nischt.«
Karoline bestand unwillig auf der Unterredung.
»Ich verstehe überhaupt nich, warum du dich weigerst.«
»Also gut! Heute. Aber nach dem Verdauungsbummel. Den bin ich meiner Gesundheit schuldig.«
Einen peinlichen Moment erlebte Schnaase noch, als Bünzli ins Gastzimmer kam. Wenn sich der Lümmel zu ihnen setzte, und er so tun mußte, als wenn nichts gewesen wäre... Aber nein, er ging, ohne zu grüßen, vorüber, und setzte sich in die hinterste Ecke.
Und merkwürdig! Karoline schien es gar nicht zu bemerken.
Glück muß der Mensch haben.
Schnaase war rascher wie sonst mit dem Essen fertig, und er nahm sich nicht einmal die Zeit zum zweiten Glase Bier.
»Damit ich nur rasch wieder zurück bin, Karoline.«
Im Hausgange sprach ihn der komplizierte Kanzleirat an. »Auch noch ein bissel ins Freie? Wenn's Ihnen net unangenehm is, schließ ich mich an.«
Das ließ sich, weil der Blenninger natürlich wieder unterm Tore stand, nicht ablehnen.
Aber draußen auf dem Marktplatze faßte Schnaase Herrn Schützinger bei der Hand und sagte leise:
»Verehrtester, tun Se mir den einzigsten Gefallen und schließen Se sich nich an. Sie erinnern sich wohl an unsere gemeinsame Expedition von damals, und nu wissen Se alles...«
»Ah so! Spielt die Sache weiter? Meine Gratulation!«
»Scht!«
Ein bedeutsamer Wink verwies Schützinger zur Ruhe. Er kehrte um und lächelte so geheimnisvoll, daß jeder Menschenkenner auf schlimme Vermutungen gekommen wäre.
Aber der Blenninger Michel faßte keinen Verdacht, denn die Nachdenkerei war eine Arbeit, die sich nicht auszahlte.
* * *
»Kleine Maus, schon da?« sagte Schnaase, als er Mizzi Spera auf dem Dammwege nahe der Ertlmühle traf. Sie war übel gelaunt.
»Ich bin nich gewohnt, daß man mich warten läßt«, sagte sie. »Vorhin ging 'n Angestellter von uns mit Ihrer Zofe vorbei.«
»Und sie haben Sie gesehen?«
»Mich nich; ich konnte mich noch verstecken. Aber vielleicht Fifi.«
»Deibel noch mal! Die haben vielleicht was gemerkt?«
Mizzi zuckte hochmütig die Achseln.
»Die müssen sich doch was denken«, sagte Schnaase ängstlich.
»Was er sich denkt, is mir egal. Aber man will sich doch nicht von 'nem Angestellten überraschen lassen. Wären Sie eben früher gekommen! Haben Sie das Gedicht?«
»Das Gedicht – – Deibel noch mal, wenn ich nur wüßte, ob das Mädel was gemerkt hat –, ja so, das Gedicht. Nee, das hab' ich nich.«
»Was soll ich dann hier?«
»Sind Se friedlich, Mizzichen! Eben wegen dem Gedichte mußte ich Sie sprechen. Nämlich mit dem Literaturfatzke is es nischt...«
»Er will nicht?«
»Er kann nich. Es übersteigt seine Kräfte, un ich habe ihn stark im Verdachte, daß er überhaupt nischt fertig bringt.«
»Und deswegen muß ich den Weg herunterlaufen und hier stehen? Obwohl 'n Gewitter kommt?«
»Es wird schon nich kommen.«
Ein heftiger Windstoß, der die Erlen schüttelte, gab der kleinen Maus recht.
»Gott, wie dämlich!« rief sie und stampfte mit dem Fuße auf. Schnaase wollte beschwichtigen.
»Ich hab' mich doch gefreut, mit Ihnen so 'n bißchen zu plaudern...«
»Quatsch!«
»Nich ungerecht sein, Mizzichen! Ich habe alles getan, was ich tun konnte. Glauben Se, es war mir angenehm, dem Schmierfinken auf die Bude zu steigen und so 'n Kerl ins Vertrauen zu ziehen? Nee! Schön is anders. Un denn, was wollen Sie? Ich habe den Schansong richtig bestellt, er hat zugesagt. Kann ich dafür, daß er 'n Schieber is?«
»Das hilft mir gar nichts. Erst quälen Sie mich, ich soll und muß auftreten, und lassen mich nich in Ruhe, und dann sage ich ja, und nun?«
»Hm!« machte Schnaase, der sich erinnerte, daß der Vorschlag von Fräulein Spera ausgegangen war.
»Es ist nur gut, daß ich mir mein grünes Kostüm nich schicken ließ. Ich wollte schon depeschieren. Aber nu tret' ich überhaupt nich auf!«
»Mizzichen!«
»Nein! Fällt mir nich ein. Ich pfeife auf das ganze Fest.«
Schnaase machte ein sehr betrübtes Gesicht, obwohl ihm ein Stein vom Herzen fiel.
Es war ihm schon lange nicht wohl gewesen bei dem Gedanken an das Auftreten des heimatlichen Talentes.
»Aber das is ja unmöglich!« sagte er und griff nach seinem Hute, den ihm ein neuer Windstoß beinahe entführt hätte. »Unser Fest is gefährdet, wenn Se nich auftreten.«
»Was kümmert das mich? Überhaupt will ich jetzt heimgehen.«
»Aber kleine Maus!«
Schnaase wollte seinen Arm um die Taille der Erzürnten legen, aber sie machte sich unwillig los.
»Hören Sie nich, daß es donnert? Ich will nicht ins Unwetter kommen.«
Sie ging ein paar Schritte vorwärts. Da sprang ihr Hund mit wütendem Gekläffe einem Manne entgegen, der in der Dunkelheit nicht zu erkennen war.
»Fifi! Viens donc!«
Eine rauhe Stimme rief zurück: »Heda! Was is?«
Und Mizzi Spera erschrak so heftig, daß sie die Sprache ihrer Jugend wiederfand.
»Jessas! Der Vata!«
Schnaase sprang ohne Besinnen die Böschung hinunter; brechende Zweige knackten, und Steine kollerten hinter ihm drein.
Er machte ein paar Sprünge bachabwärts und geriet mit einem Fuße bis über den Knöchel in Schlamm. Dann blieb er regungslos stehen und horchte.
»Du bist's? Treibst di scho bei da Nacht umanand?«
»Aber hör doch! Ich war doch...«
»Wer bei dir war?«
»Niemand.«
»Lüag du Herrgott...«
»Laß mich doch reden und faß mich nich so an! Niemand von hier. Ein Herr, mit dem ich sprechen mußte wegen dem Fest, weil ich doch was vortragen sollte...«
Hallberger schaute seiner Tochter ins Gesicht.
Der Wind hatte ihre Haare zerzaust, und die Angst eines ertappten Mädels paßte schlecht zu den verlebten Zügen.
Angeekelt ließ er sie los.
»Geh zua und lüag, soviel als d' magst! Is ja do all's gleich!«
Er ging und achtete nicht darauf, daß sie hinter ihm drein lief und redete von einem Gedicht und einem Herrn, und daß sie sich zuerst erregt und dann weinerlich gegen einen solchen Verdacht und gegen jeden Verdacht verwahrte.
Der Hallberger ging seinen Weg weiter.
Mizzi Speras Klagen verwehte der Wind und übertönte der Donner, und ein prasselnder Regen zerstörte ihre mit Pudermehl hergestellte Schönheit so gründlich, daß sie häßlich und verwaschen vor der entsetzten Mutter stand.
»Um Gottes will'n, wie schaust denn du aus?«
Aber die Tochter gab ihr keine Antwort. Sie eilte die Stiege hinauf und schlug wütend die Türe hinter sich zu.
»Was is denn mit 'n Madl?« fragte die Hallbergerin ihren Mann, der schweigend seinen nassen Rock über eine Stuhllehne hing.
»Laß di selber von ihr o'lüag'n!« sagte er. »Von dir hat sie 's ja g'lernt.«
Er ging aus dem Schlafzimmer und legte sich in der Wohnstube aufs Kanapee. Auf alles Klagen und Fragen erhielt die Alte wochenlang keine Antwort mehr.
Und wenn sie zu wortreichen Gesprächen ansetzte, ging er und sagte nur grimmig:
»Red zua! Is ja do alles g'log'n...«