Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Stine langweilte sich, als ihre Herrschaft nach Sassau ausgeflogen war und sie allein zurückgelassen hatte.

Sie setzte sich ans Fenster und schaute auf den Marktplatz hinunter, der im grellen Sonnenscheine wie ausgestorben war.

In der Brunnensäule, auf der ein heiliger Florian stand, waren vier Röhren, aus denen sich dünne Wasserstrahlen in das Becken ergossen. Das trübselige Plätschern wirkte einschläfernd, und wahrscheinlich lagen auch in allen Häusern ringsum die Menschen im Nachmittagsschlummer.

Um den Brunnen herum standen vier Kugelakazien, die zu dieser Stunde kurze Schatten warfen und die Langeweile noch erhöhten.

Einmal lief ein zottiger kleiner Hund aus einem Hause und versuchte über den Rand des Brunnens zum Wasser zu kommen; er lechzte mit heraushängender Zunge, aber er konnte nicht hinaufreichen und schlich mit eingezogenem Schweife zurück.

Dann war der Platz wieder leer. Stine seufzte.

Was war das für ein abscheuliches S...städtchen, in das sie die Laune der gnädigen Frau geführt hatte! War es der Mühe wert, so lange mit der Bahn zu fahren, um in einen solchen Ort zu kommen?

Wenn es nach dem gnädigen Herrn gegangen wäre oder nach Fräulein Henny, dann wäre man nach Zoppot gefahren, wo sich's auf dem Strande so hübsch promenierte, wenn die Musik spielte, und der Mond romantisch über dem Meere aufging und ein Danziger Husar seine Begleitung anbot.

Ochott!

Sie hörte Stimmen vor ihrer Türe und sah auf den Gang hinaus. Das unfreundliche Zimmermädchen stand am Fenster und rief etwas in den Hof hinunter, und von unten rief jemand etwas herauf, aber man konnte es nicht verstehen, denn die S...sprache war zu gräßlich.

Da ließ sich auch nicht an eine Unterhaltung denken, selbst wenn das Mädchen umgänglicher gewesen wäre und nicht eine solche Feindseligkeit gegen die herrschaftliche Zofe zur Schau getragen hätte. Stine zog sich wieder ins Zimmer zurück, und als Frauenzimmer, das mit der Zeit nichts anzufangen wußte, stellte sie sich vor den Spiegel und bewunderte ihre feingeschnittenen Züge.

Sie lächelte sich an, spitzte das Mäulchen und schloß zu dreiviertel ihre Augen, dann zeigte sie sich wieder lachend die Zähne und schlug die Augen schmachtend auf. Als das Spiel eine Weile gewährt hatte, ging sie zu ihrem Koffer, öffnete ihn und holte aus einer Schachtel eine blaßrote Korallenkette. Die schlang sie sich um den Hals, und wieder vor dem Spiegel stehend, wandte sie den Kopf bald rechts, bald links und lächelte das holde Fräulein Stine Jeep aus Kleinkummerfelde liebreich an. Nachdem sich auch das so oft wiederholt hatte, als es sich wiederholen ließ, legte Stine das Korallenkettlein in die Schachtel zurück und klappte den Koffer zu.

Sogleich merkte sie, daß sie in ihren Träumen von Schönheit, Liebe und Husaren den Schlüssel hineingelegt und mit verschlossen hatte.

Das Schloß war zugeklappt, und so traf sie nun gleich die zeitvertreibende Sorge, einen Schlosser herbeiholen zu lassen.

Sie mußte Fanny um den Gefallen ersuchen, und Fanny rief dem Martl, und Martl rief dem Sepp, und nach einer halben Stunde trat der Schlossergeselle Xaver Gneidel ins Zimmer.

Der war ein rescher Mensch, mit einem guten Mundwerk versehen, gedienter Piganier vom Münchner Bataillon, und also nicht verlegen, sondern wohlvertraut damit, wie man einem Frauenzimmer begegnen muß.

Hinter dem Eisenruß blitzten seine weißen Zähne und lachten seine braunen Augen, daß es ein Staat war, und seine Kappe hatte er verwegen zu hinterst auf dem Kopfe sitzen.

»Servus, schöns Fräulein!« sagte er beim Eintreten und war gleich angenehm berührt von dem Weiblichen, das er vor sich hatte.

Hochgewachsen, aber voll, wo es sich gehörte, schnurgerade und auch wieder rund, das Gesicht ein bissel langweilig, aber nett, die Augen gutmütig und ein bissel dumm, so, wie es der Kenner mag.

»Sackeradi!« dachte sich Xaverl und fragte:

»Wo fehlt's? Aufsperrn soll i was?«

Und das mußte einen lustigen Nebensinn haben, weil er lachte.

Stine fand, daß die bayrische Auss...sprache nicht mehr so gräßlich klang, da sie aus einem Munde kam, über dem ein kecker Schnurrbart saß, und mit einem wohlwollenden Blicke auf ihren Helfer klagte sie ihm ihren Unfall.

Wie sie den Schlüssel hatte binnen liegen lassen, und wie – ach neun! – das Schloß zugeklappt sei.

»Ja, was waar denn jetzt dös!« rief Xaverl. »Da kinna ma scho helf'n. Überhaupts, wenn's was zum Aufsperr'n gibt...«

Er lachte wieder und drückte das linke Auge zu und begann seine sachverständige Prüfung.

»Auweh ' Muckerl! Dös is ein sogenanntes amerikanisches Patentschloß. Wenn i da net zuafälli an passend'n Schlüssel hab, muaß i's Schloß auslös'n. Machet aber aa nix, i tat's scho wieder richt'n...«

Er probierte drei und vier Schlüssel; der fünfte paßte, und mit Siegermiene klappte Xaverl den Deckel zurück.

Da lagen aber so nette, blühweiße Sachen obenauf, daß Stine rasch nach dem Schlüssel griff und den Koffer wieder schloß.

»Derf i so was Saubers net sehg'n?«

»Ach neun! Es ist doch Unterwäsche...«

»Grad desweg'n! Daß ma'r a bissel an Begriff kriaget, du Gschmacherl, du liabs!«

Das war von einer derben, südlich der Donau üblichen Liebkosung begleitet.

»Ochott! Was glauben Sie?«

»Was i glaab? Daß du a nudelsaubers Madel bist...«

»Nun sagt er du zu mir!«

»Freili! Was denn?«

Xaverl wiederholte seine Liebkosung.

»Ochott!«

»Herrschaftseit'n! Du kunntst liab sei, wannst grad a bissel mögst...«

»Ach neun! Sie dürfen nich keck sein!«

»Sag halt Xaverl zu mir, du G'schoserl, du saubers...«

»Das geht doch nich!«

»Leicht geht's. Probier's nur amal! Sackeradi, dös hätt i net glaabt, daß bei de Breiß'n so was herwachst!«

Wieder überzeugte sich Xaverl, daß Fleisch am Bein war, und Stine rief nicht zu laut und nicht zu unwillig:

»Ochott... Xaveer!«

»Jetza is ganga... Du Christkindl, du mollets!«

»Ach neun! Nun hast du mir die Nase ganz schwarz gemacht!«

»Dös geht all's wieda weg... Da hast no a Bussel...«

»Xa-veer!«

»Paß auf, G'schmacherl, heunt nach'n Feierabend genga mir a weng spazier'n mitanand...«

»Aber das geht doch nich!...«

»Warum denn net? Is ja 's schönst Weda... Paß auf!«

Er führte sie ans Fenster.

»Siehgst da links, wo der Platz aufhört, is a Gass'n... Da gehst außi, da kemman drei Baam, da wart i auf di. Um achti... gel?«

»Aber...«

»Sag no ja! Es reut di net...«

»Vielleicht...«

Der Blick, den sie auf Xaverl warf, wandelte die unsichere Zusage in die allerbestimmteste um.

Soviel verstand ein alter Münchner Piganier auch noch von den Sachen.

Und er ging fröhlich fort und setzte die Kappe um ein paar Linien schiefer auf.

Im Hausgang unterm Tor stand Fanny, der er aus Erbarmnis und Menschenliebe zulächelte.

Sie wandte sich hastig ab und sagte naserümpfend und sehr verächtlich:

»Allerweltsschmierer... greislicher!«

Xaverl ging unbekümmert weiter über den Marktplatz und summte vor sich hin:

»Mei Deandl is kloa,
Wia'r a Muskatnussei,
Und so oft als i 's bussel,
Lacht's a bissei.«

Oben stand Fräulein Stine Jeep am Fenster und schaute nach links, dorthin, wo die kleine Gasse einmündete, und das Örtchen kam ihr nicht mehr so langweilig vor, seit der unges...stüme Mensch dagewesen war.


 << zurück weiter >>