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In Altaich sprechen sich seltsame Ereignisse schnell herum, und so wußte man schon ein paar Stunden nach ihrer Ankunft, daß die Hallberger Marie heimgekommen war als der fremdartigste Gast, den der Ort in diesem merkwürdigen Sommer aufgenommen hatte. Und doch war die Tochter des Schlossers Hallberger eine Einheimische, war in Altaich geboren, aufgewachsen und in die Schule gegangen, aber als Diseuse Mizzi Spera vom Chat noir in Berlin waren ihr fremde Federn gewachsen. Das zeigte sich gleich auffällig, als sie nun kam.
Ihr Kleid von schreiender Farbe war vielleicht nach der Mode gemacht, paßte aber so wenig fürs Haus wie fürs Freie.
Es trug sich salopp und war unordentlich, wie alles, was sie an sich hatte, mochte es auch neu sein und Geld genug gekostet haben.
Sie selber war als Nachtstern eines Kabaretts, der ausgelassenen Philistern und tollenden Ladenschwengeln zu scheinen hatte, ganz und gar nicht für Luft und Sonnenlicht geschaffen.
Das Gesicht war schlaff und fettig, trotz des aufgelegten Puders; die Augen waren müde und verschleiert; ihr Gang, dem alle Geschmeidigkeit fehlte, konnte verraten, daß sie keine weiten Wege in der freien Luft gemacht hatte, sondern auf einem Podium hin und her gestelzt war. An einer Leine führte sie ein unglückliches Tier, einen kleinen Seidenpinscher, der aus buschigen Haaren heraus dumm in die Welt schaute, und der als Abzeichen seines jämmerlichen Lebenszweckes ein rotes Band um den Hals trug, das zu einer großen Masche geknüpft war.
Fifi roch wie seine Herrin nach peau d'Espagne; als er losgelassen wurde und kläffend in der fremden Welt herumsprang, lief ein Schnauz auf ihn zu. Aber sobald er das sonderbare Wesen beschnüffelt hatte, hob er das Bein.
Ein durchdringender Schrei der Diseuse rettete Fifi, allein er durfte sicher sein, daß ihn jede Begegnung mit einem ehrlichen Altaicher Hunde dem nämlichen Attentate aussetzen mußte.
Denn in Altaich hat man nicht das rechte Verständnis für Geschöpfe, die nach peau d'Espagne riechen, und deswegen zog auch der Stationsdiener Simmerl die Nase auf, als Mizzi Spera auf Stöckelschuhen an ihm vorüberklapperte.
Wie man ihm hinterher sagte, daß das spaßige Weibsbild die Hallberger Marie gewesen sei, pfiff er durch die Zähne und drückte ein Auge zu.
Die Stütze des Chat noir schritt mißmutig dem Orte zu, der ihr, wie sich nicht leugnen ließ, bekannt, aber ganz und gar nicht vertraut war.
Es hatten schon recht unangenehme Dinge zusammentreffen müssen, um sie nach sechs Jahren zu einer Reise nach dem Neste zu zwingen.
Wäre in der Sommerzeit das Kabarett nicht eingetrocknet, hätte ihr Freund, das alte Ekel, nicht mit seiner Familie ins Bad reisen müssen, hätte er wenigstens groß gedacht und ihr genügend Geld – Putt-Putt hieß es Mizzi Spera – zurückgelassen, dann wäre sie doch nie auf die weinerliche Idee gekommen, heimzukehren.
Aber – –
Da mußte sie nun durch den Staub schlurfen, hatte ihre Not mit dem Hunde – »Fifi! Viens donc! Ici! Du willst wohl Bimse?« Mizzi hob drohend eine ledergeflochtene Peitsche empor, was sie wie eine Tierbändigerin ausschauen ließ, und Fifi kam.
So zog sie mit wiegenden Hüften, den Hund, der wie ein rollender Muff aussah, an der Leine, in Altaich ein, und stand wenige Minuten später vor ihrer überraschten, glücklichen Mutter.
* * *
Es war einmal ein kleines Schulmädel, das mit zwei braunen Zöpfen, die kaum unter Schulterhöhe hinunterbaumelten, mit einer Stupsnase und etwas aufgeworfenen Lippen sich wenig oder nicht von den andern unterschied, die mit ihr gewichtig schwätzend über den Marktplatz gingen, oder mit klappernden Schulranzen am Kirchenweg Fangemanndel spielten, die an warmen Frühlingstagen ihre Schusser an die Hauswände warfen, oder auf der Schreinerwiese saßen und ernsthaft ihre Puppen pflegten. Das kleine Mädel lachte so froh wie die andern, flocht sich Kränze aus Schlüsselblumen und Schneeglöckchen, oder Ketten aus den Stengeln des Löwenzahnes und zählte lustig mit:
Eins, zwei, drei, bicke, backe, bei, bicke, backe Pfannastiel, hockt a Manndl auf da Mühl. |
Es horchte auf, wenn man ihm sagte, daß über den Wolken der Himmelvater throne, es sah zu Weihnachten das Christkind am Fenster vorüberhuschen und erschauerte ehrfürchtig, wenn am Karsamstagabend bei einfallender Musik der Heiland auferstand.
Es trippelte froh und glücklich in der Fronleichnamsprozession mit und war nicht stolzer auf seine gebrannten Locken als seine Gespielinnen.
Es konnte aufwachsen zu einem rechtschaffenen, nützlichen Frauenzimmer, das seine Pflichten kannte und erfüllte.
Warum wurde es nicht so wie die andern, und wurde die pikante Diseuse, die ausgelassene Philister und Ladenschwengel in Entzücken versetzte?
»Ui Kind ist a Unglück«, sagte der Allgäuer Mangold, der dazumal Geselle beim Hallberger war und recht wohl sah, wie die Marie von ihrer Mutter um so mehr verzogen wurde, je älter sie wurde.
Freilich blieb sie das einzige Kind, und für die dumme Hallbergerin war sie schöner wie andere, und vor allem zu was Besserem bestimmt.
Deswegen mochte die Schlosserin nicht, daß ihre Marie nach der Werktagsschule zur häuslichen Arbeit erzogen wurde; das feine Kind mußte zu den Englischen Fräulein nach Piebing geschickt werden, wo sie Klavier spielen und Französisch plappern lernen konnte.
Von den Schwestern nahm sie freilich nichts Schlimmes an, aber in dem Institute waren viele Mädeln; und die wenig taugten, schlossen sich an die Hallberger Marie an.
Sie hatte Heimlichkeiten mit ihnen, lernte das Faulenzen und erfand Lügen, um unbeobachtet seichte Romane zu verschlingen.
Als sie mit sechzehn Jahren heimkam, taugte sie schon zu keiner Arbeit mehr, selbst wenn es die Mutter übers Herz gebracht hätte, dem Fräulein eine zuzumuten.
Die sah aber mit Genugtuung, wie apart sich die Tochter gab und wie sie mit faulen Gliedern in die Feinheit hineinwuchs.
Der Hallberger hatte weniger Gefallen daran, aber er war daheim machtlos. Seine Agath konnte einen Streit ins Endlose ausspinnen, über viele Tage weg, so lang, bis er sich verspielt gab.
Dem schwerfälligen Manne war nichts unlieber als Streit und Maulfertigkeit und nichts lieber wie Ruhe nach Feierabend.
Es verdroß ihn wohl, wenn er das junge Ding unnütz herumstehen oder über Büchern hocken sah, und er fuhr Mutter und Tochter hart an.
Aber dann hielt die Alte in Gegenwart ihrer Marie Reden, die mehr verdarben, als seine Scheltworte nützen konnten, und das Ende war immer das gleiche.
Der Hallberger ging fuchsteufelswild in die Werkstatt, hämmerte drauf los und wußte, daß ihn abends der Zank daheim erwarte.
»Er ist so zornig, er kunnt a Nuß mit'm Hindre ufbiß'n«, sagte der Mangold. »Aber was nutzts? D'Wiber händ mea Gewalt as Schießpulver.«
Darum schwieg Hallberger zu vielem und half sich mit dem leeren Troste, daß es mit den Jahren besser werde.
Faulenzen ist aber eine wachsende Krankheit, die das Gemüt angreift. Marie sehnte sich immer mehr hinaus aus dem kleinen Orte, dem sie die Schuld an ihrem Unmute und ihrer Langeweile gab.
Wenn sie nicht las, träumte sie sich selber einen Roman zusammen, in dem sie als Heldin eine großartige Rolle spielte. Am liebsten sah sie sich als gefeierte Bühnenkünstlerin wichtige und reiche Männer abweisen, bis sie sich endlich einem mit allen irdischen Gütern ausgestatteten Prinzen ergab. Sie konnte sich alle Einzelheiten ihrer feierlichen Rückkehr oder Durchfahrt durch Altaich ausmalen.
Wie sie mißgünstige Nachbarn durch eisige Kälte bestrafte, besser Gesinnte durch ein Lächeln beglückte, wie sie ihren Eltern reiche Geschenke gab, dem Vater freilich mit bitteren Worten.
Das Erwachen aus den Träumen war jedesmal schmerzlich, und die Wirklichkeit erschien ihr täglich grauer.
Es fehlte nicht bloß an Prinzen, sondern an allen Verehrern. Sie spann mit der Mutter Pläne aus, wie sie doch auf einige Zeit in eine passende Umgebung kommen könne, und die Hallbergerin fand einen Weg.
Eine Verwandte in München mußte ihr den Gefallen tun, die Marie zum Besuche einzuladen, und da sie so leicht eine Lüge fand wie die Maus ein Loch, erzählte sie dem Vater, daß es für ihre Tochter ein Glück sein könne, wenn die reiche Frau Wimmer Gefallen an ihr fände.
Der Hallberger hatte von dem Vermögen der Verwandten, die er kaum dem Namen nach kannte, noch nie was gehört, aber er gab seine Einwilligung ohne langes Reden.
Vielleicht glaubte er, daß Marie in der Stadt und fern von der Mutter sich eher zurecht finden werde, jedenfalls willigte er ein, und seine Tochter fuhr überglücklich nach München.
»In die weite Welt«, sagte sie, als sie in Piebing eingestiegen war.
Bei der Wimmerin fand sie zwar keine Anwartschaft auf ein künftiges Erbe, denn die Frau war selber froh um das Kostgeld, das ihr die Hallbergerin heimlich schickte, aber sie fand volle Freiheit, zu tun und zu lassen, was sie wollte.
Nach etlichen Wochen erhielt sie durch einen jungen Menschen Anschluß an einen Kreis angehender Literaten und Künstler und sah nun erst recht, wie schrecklich die Altaicher Zeit gewesen war. Jede Phrase fand ein Echo in ihrem Herzen, und das jauchzende Sich-ins-Leben-Stürzen hatte sie schnell heraus.
Als die halbwüchsigen Dichter zu der Einsicht kamen, daß die Welt nicht reif genug sei, um ihre Werke zu kaufen, beschlossen sie, das Bürgertum auf andere Weise ums Geld zu bringen.
Sie gründeten ein Kabarett.
Dabei kamen sie auf den Gedanken, das Mädchen, dem sie taufrische Natürlichkeit nachrühmten, mitwirken zu lassen.
Marie wurde rasch ausgebildet. Sie lernte die Kunst, mit unbefangener Miene Gedichte vorzutragen, die keck über bürgerliche Bedenken hinwegsetzten, und ein Erfahrener, der seine Zeit verstand, brachte ihr die originelle Note bei, das Verfänglichste im Tone eines Altaicher Schulmädels herzusagen.
Damit errang sie gleich begeisterten Beifall der Gründer, und sie konnte freudig an ihre Mutter schreiben, daß sie an dem und dem Tage bei der feierlichen Eröffnung des Kabaretts zum ersten Male öffentlich auftreten werde.
Die alte Törin sah ihr Kind auf dem Wege zu Ruhm und Glück und redete ihrem Manne die Ohren voll von einer glänzenden Zukunft, die sie immer vorausgeahnt habe.
Diesmal widersprach der Hallberger.
Er hatte keine Ahnung davon, wie taufrisch seine Tochter geworden war, und es war ihm unleidlich, daß sie aufs Brettl wollte.
Er schnitt alle Widerrede kurz ab und erklärte, daß Marie heim müsse.
Jetzt wurde die Hallbergerin emsig.
Sie sorgte dafür, daß herzbewegende Briefe aus München kamen; auch die Wimmerin mußte schrecklich klagen über die Zerstörung so schöner Aussichten, und in der Wohnstube des Schlossermeisters gab es keine Ruhe mehr. Das setzte dem Hallberger so zu, daß er in drei Teufels Namen nachgab.
D'Wiber händ mea G'walt as Schießpulver.
Am Ehrentage saß die Mutter als unscheinbare Altaicher Spätzin mitten unter den bunten Vögeln, die sich bei der Eröffnung des Kabaretts zusammenfanden.
Ihre Marie trat auf und sah gar so hübsch aus, und die Leute waren wie närrisch vor Begeisterung. Was die liebliche Person vortrug, verstand die Hallbergerin nicht. Es war vorbei, ehe sie jede Einzelheit an Putz und Flitter gemustert hatte.
Aber die Leute lachten und klatschten und warfen der Marie Blumen zu.
Ein feiner Herr mit langen Haaren unterhielt sich herablassend mit der Mutter über das große Talent ihrer Tochter und schenkte ihr gleich gar einen Veilchenstrauß.
Und wie das Mädel selber redete!
Wo sie nur bloß die Gabe her hatte?
Den andern Tag fuhr die Schlosserin heim, voll Freude über den Erfolg und über die Möglichkeit, allen hämischen Altaichern das Glück der Tochter unter die Nasen reiben zu können. Sie sparte auch daheim nicht mit begeisterten Berichten.
Der Hallberger hämmerte grimmig in seiner Werkstatt und faßte jedes Eisenstück so zornig an, als wär's seine Alte, und er dachte bei sich, ob es nicht gut gewesen wäre, wenn er zuweilen im Hause eine harte Hand gezeigt hätte.
»Nui prügelt is wie nui verheiret«, sagte der Mangold, »und bei den Kindern is kui Streich verloare, as der danebe fallt.«
Marie machte ihren Weg, der für Talente von München nach Berlin führt.
Sie erhielt einen Ruf ins Chat noir und errang hier erst recht durch taufrische Natürlichkeit unbestrittene Erfolge.