Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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»Der da drent«, sagte Martl, »dös is der Bruada vom Ertlmülla, der wo jetzt auf oamal hoam kemma is.«

»Vo dem hört man allerhand«, antwortete Hansgirgl. »A Gschlaf'nhandler soll er g'wen sei.«

»Ja, und a Kist'n g'häuft voller Goldstückl hat a mitbracht, und a eiserne Lanz'n hat er a dabei g'habt auf da Roas, daß eahm koana übers Geld kimmt...«

Hansgirgl schaute tiefsinnig vor sich hin.

»Was 's all's gibt auf dera Welt!« sagte er.

Der Martl aber kam ins Erzählen.

»I woaß net, wia de G'schicht' aufkemma is, ob 'n 's G'richt überschrieb'n hat, oda ob er sei frühers G'schäft beim Bürgermoasta o'geb'n hat müass'n, obwohl daß wieder oa sag'n, dös hätt' er g'wiß net to, weil er strafmaßi waar durch dös, aber wiss'n tuat ma's g'nau, und d' Leut' sag'n, daß 's da koan Zweifi überhaupts net gibt. Da Lenzbauer is neiling extra vo Riadering eina g'fahr'n in d' Ertlmühl, g'rad daß a den Gschlafenhandler siecht, hat er g'sagt, weil dös eppas Seltsams is, sagt a, und er hätt'n gern g'fragt, hat er g'sagt, wia's bei dera Handelschaft zuageht, daß ma d' Leut' vakafft als wia's Vieh, und was ma da für Preis' löst und a so, aba, sagt a, traust di halt do net, daß d'n pfeigrad fragst, aber amal werd si scho a G'leg'nheit geb'n...«

»A Gschlafenhandler«, sagte Hansgirgl. »Saggera! Dös waar was für mi g'wen!«

»Was sagst d'?«

»Für mi waar dös was g'wen. In früherne Jahr. Da hätt' mi oana glei hamm kinna zu dem G'schäft.«

»Ja freili...«

»Bal a da 's sag'. Was moanst denn, wia so oana lebt, mei Liaba!«

»Bei de Wild'n?«

»Da hätt' i nix danach g'fragt. Bei de Wild'n gibt's aa sauberne Madel. Dös derfst glaab'n. I hon amal z' Minga drin bein Oktobafest so a Negerbandi beinand' g'sehg'n... Da san etla dabei g'wen.«

»Sauberne?«

»Ja. Feste Brocka, mei Liaba! G'rad daß s' net extri g'haxt war'n, aber sunst hat si nix g'feit.«

»Ah?«

»Und so a Gschlafenhandler, laß da sag'n, der tuat si leicht. Vorgestern is da Staudacher in Sassau drent g'wen. Der hat ma all's g'nau vazählt.«

»Woher woaß 's denn nacha der?«

»Aus an Büachi, wo all's beschrieb'n is. Freunderl, so a Gschlafenhandler hat a schön's Leb'n! Da ko'st da nix denga...«

»Geh'?«

»Siehgst, da is zum Beispiel a Dorf, wia bei ins, bloß daß Schwarze drin san. Jetzt kimmt da Gschlafenhandler mit seina Kumpanie und stellt Post'n auf, daß vo de Schwarz'n koana außa ko. Vastehst? Nacha geht's los. D' Mannsbilda wer'n außa zarrt und auf de oa Seit'n aufg'stellt. Auf de ander Seit'n kemman d' Weibsbilda. Jetza kimmt da Gschlafenhandler und schaugt si 's o. De, wo eahm g'fall'n, de g'hör'n eahm. Da werd überhaupts nix g'red't...«

»Grad' nehma, sagst d'?«

»Freili. Weil er da Kommadant is, da hat er sei Recht auf dös.«

»Herrschaft! Da muaß 's wild zuageh'!«

»Schö geht's zua. Was moanst denn, bal de Weibaleut' aufg'stellt san in Reih und Glied, und koan Schwindel gibt's net, weil s' nix o'hamm, und bal dir oani g'fallt, deut'st drauf hi. Is scho abanniert.«

»Da mög'st du dabei sei?«

»Jetza nimmer a so. Aba früherszeit'n waar dös a Post'n g'wen für mi.«

»Da bin i scho liaba dahoam g'wen.«

»Ah, was hat ma denn gar so Schö's g'habt? Bal s' oan am Kammafensta dawischt hamm, hamm s' oan über d' Loata oba g'schmiss'n oda mit an buachan Prügel übern Kopf übrig'haut..., und mit de Weibaleut' hast de längst' Zeit dischkrier'n müass'n und schö toa. I hätt' halt paßt für an Gschlafenhandler...«

Hansgirgl trank und wischte sich mit der Hand den nassen Schnurrbart ab. Dann versank er in Schweigen und ließ seine liederliche Phantasie in ferne Länder schweifen.

* * *

Derweil war es dämmerig geworden, und die Altaicher Bürger kamen zum Abendtrunke. Sie setzten sich unweit von Hallberger und Michel an etlichen Tischen zusammen und unterhielten sich geheimnisvoll mit geflüsterten Worten und bedeutsamen Blicken.

Die zwei achteten nicht darauf, denn der Hallberger Karl schüttete vor seinem alten Kameraden sein Herz aus, freilich nicht in langen Sätzen, oft nur mit halben Worten und unwilligen Gebärden, aber doch so gründlich, daß Michel sah, wie sich auch in einem stillen Winkel Geschehen und Werden zu einem unklaren Knäuel verwirren konnten.

»Es is aa dahoam net all's schö«, hatte der Hallberger gesagt. »Oft hab' i mir scho denkt, wia guat 's g'wen waar, wennst mi selbigsmal net aus 'n Bach außazog'n hätt'st... Waar mir allerhand derspart blieb'n... wisset i allerhand net, was ma net gern woaß... na... na! Brauchst d' nix sag'n... dös is amal a so. S' Leb'n is g'spassi, mei liaba Michl, und oft geht's dumm und geht verdraht, und kunnt do all's so oafach und richtig geh'. Wenn überall Verstand dabei waar. Aber a so! Ja! 's Leb'n ko g'spassig sei!«

Und dann erzählte er, wie leer ihm das Haus geworden war, und wie unnütz das Leben, die Arbeit, alles. »Für wen plag' i mi? Und für was? Rein für gar nix, umadum gar nix. Da bild't si da Mensch ei, wenn ma sei Sach macht und rechtschaffen is, nacha ko si nix fehl'n. Moant ma. Jawohl! Ah was! Nix is...«

Da hätte wohl niemand Trost gewußt, und der Michel wußte schon gar keinen. Er streckte nur öfter die Hand über den Tisch.

»... No... no... Karl... schau! Am End' is besser, du denkst net drüber nach.«

»Net nachdenk'n? Dös Kunststück wenn mir oana lernt, dem gib i viel. Mitt'n in der Arbet fallt's oan ei, und der Hammer schlagt nimmer auf. Siehgst, von der Alt'n hat sie's. 's Lüag'n is dös schlechtest auf da Welt. Mit dem fangt all's o, all's, was dreckig is. Und de Alt' lüagt und blinzelt net mit de Aug'n dabei. Ko di o'schaug'n, als wenn s' nomal d' Wahrheit saget, und lüagt mit jed'n Wort. Jetzt woaß i 's freili. Aba es hat a Zeit geb'n, da hab' i 's net g'wußt und hätt's aa net glaabt. D' Leut' sag'n, i war z' guat, oder z' dumm, wern s' moana. Du werst as scho no hör'n, wennst länger da bist. Hast as vielleicht scho g'hört...«

»Koa Wort davo hab' i g'hört, Karl. Schau, sonst hätt' i heut wohl net d' Red' drauf bracht...«

»No ja... na werd's net lang hergeh', und es verzählt dir oana de G'schicht vom dumma Hallberger. In Altaich is jeder g'scheit für mi; jeder hätt's besser g'macht und anderst. Koana hätt' si 's g'fall'n lass'n. Aber i war z' guat. Und is do net wahr, Michl. Derfst ma 's glaab'n. Ma schlagt nix nei, ma schlagt nix raus bei an Kind... is all's net wahr. Dös steckt drin, z' tiafst, wo's d' net hi'kimmst und wannst no so viel Steck'n abschlagst. Es steckt im Bluat. De Alt' lüagt, und vo dem kummt's...«

»Bst, Karl! Es sitz'n Leut' hinter uns...«

»Und spitz'n d' Ohr'n, moanst. Ja... ja... sie hamm s' lang gnua, aba sie hör'n nix Neu's. Ah was! De wissen's scho lang und wissen all's besser wia'r i... Zahl'n ma und genga ma, wenn's dir recht is.«

Sie brachen auf, und alle Blicke folgten ihnen oder folgten dem Seeräuber und Sklavenhändler Michel.

Es dunkelte schon, als sie auf den Marktplatz kamen, und von der Wetterseite her schoben sich schwere Wolken über das Vilstal.

Hallberger blieb stehen.

»Geh' ma hint rum; i geh' mit dir über d' Ertlmühl. Hoam mag i jetzt net.«

»Is recht, Karl...«

»An Ekel hab' i, wann i bei da Haustür nei geh'...«

»Schau, wer woaß? Vielleicht werd no all's besser...«

»Besser wer'n? Na, Michl, dös is nimmer mögli, net amal, wenn der Will'n dazua da waar. De Alt' lüagt, und de Jung' hat's von ihr. I denk' oft über dös nach, derfst ma 's glaab'n, und i woaß: was hin is, is hin...«

Sie gingen schweigend zum Orte hinaus und hätten nun sehen können, wie sich die dunkle Wolkenwand immer höher schob und hinterm Sassauer Wald schon von Blitzen zerrissen wurde. Aber Michel achtete nicht darauf in seinem Mitleid mit dem armen Manne, der neben ihm herging und zuweilen undeutlich vor sich hinmurmelte. Bei einer Bank blieb Hallberger stehen.

»Hock' ma'r uns a weng her! I hab' Jahr und Jahr net g'red't über dös und hab's in mi neig'fress'n. Jetzt tuat's ma schier wohl, daß i amal all's sag', und zu dir is guat g'sagt. Bei an andern bracht i 's net z'samm, weil i mir allaweil denk', der laßt di red'n und hat no sei Untahaltung von dein Lamentier'n. Aber bei dir is anderst, und du glaabst ma's aa, was i sag'...«

»Freili glaub' i dir's...«

»Ja... Michl... gel? Hätt'st dir aa net denkt, daß d' heut' no so an Dischkurs z' hörn kriagst? Derf di net vadriaß'n, woaßt. I wollt, i kunnt dir was Schöners verzähl'n...«

Nach einer Weile sagte er:

»Siehgst, jetzt hab' i dreiviertel Leb'n hinter meiner, und wann i d' Rechnung mach', kimmt a Nuller raus. Es is für nix g'wen. Für gar nix...«

»Karl, so kunnt i aa denk'n...«

»Du? Weil's d' ledi bist und in da Welt umanandkugelt bist? Weil's d' koa Hauswes'n hast? O mei Mensch, dös hoaßt gar nix. A Famili hamm, all's drauf setz'n, und nacha... verlier'n, verschmeiß'n... so hundsdumm kaputt geh' sehg'n... ah was! Genga ma! I begleit' di hoam, und nacha geh' i zum Schlaf'n. Schlaf'n – arbet'n – arbet'n – schlaf'n... Amal werd's scho gar wer'n, und jetzt laß ma's guat sei... es hat koan Wert net, drüber red'n... Aber es war halt heut' so a Tag. 's erstmals daß mir beinand' war'n nach der langa Zeit. Da is mir all's eig'fall'n. 's jung sei', dös lustige jung sei', und's Glaab'n und's Hoff'n... und dös ander.«

Sie gingen wieder schweigend nebeneinander her und beeilten sich auch nicht, als ein heftiger Wind auffrischte und schwere Regentropfen fielen.

An der Brücke nahm Hallberger Abschied.

»Also Michl, guat Nacht! Und nix für unguat weg'n der Jammerei!... Paß auf, no was. Gel? Wenn dir oana so was vorred't, wia 's er g'macht hätt' statt meiner, glaab's eahm net. Mit 'n Schlag'n is nix g'richt'... Ma schlagt nix raus aus an Kind, wann's amal tiaf sitzt... Guat Nacht!«

Michel ging langsam und nachdenklich heim.

Es gab Stunden, in denen er dachte, daß alles sich besser und schöner gestaltet hätte, wenn er nicht in die Welt hinausgegangen wäre.

Aber da konnte nun einer auch daheim die Rechnung so bitter abschließen: dreiviertel Leben vorbei, und war für nichts.

Der Hallberger ging mißmutig weiter.

Die Aussprache hatte ihn doch nicht erleichtert.

»Für was eigentli?« sagte er vor sich hin. »Dös Red'n hat aa koan Wert; nix hat an Wert. Is all's a Schmarr'n...« Und grimmig wiederholte er lauter: »All's a Schmarr'n!«

Da fiel ihn mit wütendem Bellen ein kleiner Hund an. Er kannte das giftige Gekläff.

Und er kannte auch die Stimme: »Fifi! Viens donc!«

»De? Um de Zeit und da herunt'n?«

Hastig schritt er darauf zu. »Heda!«

»Jessas! Der Vata...!«

Hallberger sah, wie ein Mann die Böschung hinuntersprang durchs Gesträuch, daß die Zweige krachten.

Dann war's still, und er stand vor seiner Tochter, dem Fräulein Mizzi Spera vom Chat noir.


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