Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Zwölftes Kapitel

»Ich muß mir darüber klar sein«, sagte Tobias Bünzli, der in der Unterhose vorm Spiegel stand und sich im Selbstgespräche ernsthaft ins Auge faßte, »es kann eigentlich kein Zweifel darüber obwalten, daß ich bloß als Dichter bei dieser Familie Aussichten habe...«

– – »wenn von reellen Aussichten überhaupt die Rede sein kann...«, fügte er hinzu und betrachtete etwas mißtrauisch sein Spiegelbild.

Mit raschem Entschlusse ging er zum Waschtische, tauchte ein Handtuch in die Schüssel und fuhr sich mit dem nassen Zipfel übers Gesicht. Das hatte ihm stets genügt; oft hatte er sogar darauf verzichtet. Gleich stellte er sich wieder vor den Spiegel und zog sich einen Scheitel. Eine Haarwelle, mit dem angenetzten Kamme in die Stirne gelegt, wirkte so ansprechend, daß sich Bünzli anlächelte.

... »Warum sollten auch reelle Aussichten gänzlich fehlen?« Man hatte doch schon öfter gehört, daß vermögliche Leute ihre Töchter an geistige Kapazitäten sehr gerne hingegeben hatten. Im Bekanntenkreise der Bünzlis von Winterthur allerdings nicht. Im Kreise der Bünzlis war man eher geneigt, das Gewerbe der Schriftstellerei für verlumpende Zeitvertuerei zu halten. Aber in Berlin sollte doch die Dichtkunst im höchsten Ansehen stehen, wie man vernahm. Einige ihrer Jünger sollten sich dort sogar mit sehr reichen Mädchen verheiratet und ihre Existenz auf die allersolideste Basis gestellt haben. Ja, man hörte von Leuten, die es wissen mußten, daß reich gewordene Familien im Westen der Großstadt eine förmliche Jagd auf Berühmtheiten machten.

Und bestätigte nicht das Benehmen dieser Frau eigentlich dieses Gerücht?

Gleich nach der Verkündung seines Ruhmes im Piebinger Blatte überschüttete sie ihn mit Aufmerksamkeiten.

Er mußte an ihrem Tische Platz nehmen und dem lebhaftesten Interesse an seinem Schaffen begegnen.

Sie war ihm beinahe lästig geworden, und er hatte sie für eine entsetzliche Schneegans erkannt, als sie ihm empfohlen hatte, auch einen Roman wie Teddy Nabob zu schreiben.

Aber der Bünzlische Familiensinn für Kapital und Zinsen hielt ihn ab, ungeduldig zu werden, und ließ in ihm den Entschluß reifen, aus den Schwächen dieser dummen Person Vorteile fürs Leben zu ziehen.

Mit dem Mädchen kannte er sich noch nicht so recht aus. Es hatte ein schnippisches Wesen an sich und war mit den gewöhnlichen Mitteln nicht sogleich zu betören.

Tobias strich die Haarwelle etwas tiefer in die Stirne und probierte einen schwermütigen Blick, der zu den gewöhnlichen Mitteln zu gehören schien.

Diese junge Person machte zuweilen vorlaute Bemerkungen, die einen erheblichen Mangel an Ehrerbietung verrieten.

Aber sie hatte auch wieder andere Zustände.

Sie war doch verändert, seit er ihr die Seufzer des Entzündeten geschickt hatte, und sie lächelte manchmal herausfordernd, wenn er ihr seine Blicke ins Gesicht pflanzte.

Wer weiß?

»Jedenfalls ist es klar«, wiederholte Bünzli im Selbstgespräche, »jedenfalls kann kein Zweifel darüber obwalten, daß ich den Versuch machen muß, solange ich noch... hm...«

»Solange ich noch Dichter bin«, wollte er sagen.

Der letzte Bericht der Handelsbank, bei der er sein kleines Erbteil hinterlegt hatte, war betrübend gewesen und hatte ihm die Rückkehr in die Gemischtwarenbranche vor Augen gestellt.

»Jetzt wäre der Zeitpunkt...«, sagte Bünzli nachdenklich und schaute in den Spiegel.

Er zog die Mundwinkel abwärts und ließ die halbgeschlossenen Augen in die Ferne schweifen, – Träumerei.

Er kniff die Lippen zusammen und öffnete die Augen sehr weit, – Sehnsucht.

Er spitzte den Mund und setzte zu einem lieblichen Lächeln an... da klopfte es zweimal ziemlich laut.

Herein!

Die Türe wurde beinahe ungestüm aufgerissen, und da – als hätten ihn die so stark auf seine Familie gerichteten Gedanken hergezogen – stand Herr Schnaase im Zimmer.

Mit einem raschen Blicke umfaßte er die Gestalt und Erscheinung des Dichters. Unterhose von vorvoriger Woche, Hemd ähnlichen Datums, außerdem ohne Manschetten. Mit einem zweiten Blicke überflog er die kleine Stube, Waschschüssel, nasses Handtuch, verknüllten Anzug auf dem Sofa, Bücher auf einem Stuhl, Papier auf dem andern, Hemdkragen und Krawatte auf dem Tisch, daneben ein Kamm.

»Schmierfinke«, dachte sich Schnaase und sagte zugleich herzlich und wohlwollend: »Lassen Se sich ja nich stören und machen Se sich unscheniert fertig. Ich bin etwas zu früh gekommen, wie ich sehe...«

»Mit was kann ich dienen?« fragte Bünzli etwas beklommen, denn auch die freie Dichterseele fühlt sich befangen in einer alten Unterhose vor einem Manne, der als Schwiegervater ins Auge gefaßt ist.

»Mit was Sie mir dienen können?« fragte Schnaase zurück. »Tja... das läßt sich nich so einfach sagen. Das müssen wir schon eingehender besprechen. Aber wie gesagt, erst ziehen Se sich mal in Gemütsruhe an.«

»Darf ich Sie einladen, Platz zu nehmen?«

»Gerne, aber wo?«

Bünzli stürzte sich auf einen Stuhl, warf die Papiere herunter und bot ihn Herrn Schnaase an, der nun mitten in der Stube saß und mit Neugierde allerlei Intimes beobachtete.

»Es tut mir leid, daß ich mich in diesem Aufzug vor Ihnen präsentiere.«

»Präsentieren Se sich ruhig, junger Mann. Ich bin nich schenierlich.«

Bünzli schloff in die Hose und knöpfte hastig die Hosenträger ein; der rechte war sehr schadhaft und ausgefranst. Den Hemdkragen, der auch nicht mehr blühweiß war, hatt er bald an, und die Krawatte schlang er lieblos, wie einen Strick, zu.

Nanu?

Bünzli nahm Weste und Rock, aber er war immer noch barfuß.

Und richtig, da lief er zur Türe und holte von draußen Stiefeletten mit Gummizügen und steckte die Pedale hinein, wie sie Gott geschaffen hatte.

»Hören Se mal und nehmen Se mir die Frage nich übel. Is das so 'ne Art Naturmethode von Ihnen?«

»Wie meinen Sie?«

»Ich meine, weil Sie Ihre Gebrüder Beeneke so ohne Strümpe lassen?«

»Es ist bedeutend kühler so...«

»Sehen Se mal, – kühler. Ich dachte gleich, es is so was wie Kneippkur... natürlich, Jeschmäcker sind verschieden... und nu zu meinem Anliejen. Aber nich wahr, selbstmurmelnd bleibt die Sache in de Familie?«

»Es liegt nicht in meiner Natur, ein Vertrauen zu mißbrauchen...«

»Bong! Denn lobe ich die Natur. Aber wenn ich sage, in de Familie, so meine ich unter uns zwei beide. Meine Frau bringt Ihnen als Dichter das gewohnte grenzenlose Interesse entgegen, und da könnten Se ganz zufällig in den vielen Gesprächen über Poesie auf mein Anliegen zu sprechen kommen. Das darf natürlich nich passieren...«

»Ihr Vertrauen ist mir heilig«, sagte Bünzli.

»Heilig is jut. Die Sache is ja harmlos, aber jeder Mensch hat nu mal seine Geheimnisse und muß se haben, denn wenn allens rauskommt, wird die Ehe verungeniert. Das können Se sich für Ihr späteres Leben merken, junger Mann, und nu sagen Se mal, Sie machen so hübsche Verse, wie ich höre?«

Über Tobias kam eine leichte Verlegenheit.

Sollte der Vater Kenntnis haben von den entzündeten Zeilen?

Er räusperte sich.

»Es ist naturgemäß«, sagte er, »daß man für stärkere Empfindungen gewagte Bilder sucht, und das ergibt sich eigentlich von selbst. Man ist gewissermaßen der Vollstrecker einer höheren Gewalt...«

»Jawollja... Sie machen also Verse, und zwar so'n bißchen pikant, was? So fürs Jemüt?«

Schnaase drückte das linke Auge zu und lächelte vielsagend.

»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen...«

»Na, Sie unschuldsvoller Engel... ich meine so 'n bißchen stark dekolletiert.«

»Ich kann mich nicht erinnern, daß ich etwas Derartiges geschrieben habe...«

»Hören Se mal, Sie sin doch der gewaltige Erotiker!«

Bünzli atmete auf. Er wurde also doch nicht zur Rede gestellt von einem entrüsteten Vater.

Übrigens sah Herr Schnaase auch so vergnügt und lebensfroh aus, daß man ihn nicht für einen strafenden Richter halten konnte.

Und Tobias lächelte geschmeichelt.

»Ich bin allerdings in einem Blatte als Erotiker der Zukunft bezeichnet worden...«

»Habe ich gelesen, und ich sagte mir sofort, dann sind Se auch der Erotiker der Gegenwart, und Sie werden sich den ehrenvollen Titel wohl richtig verdient haben...«

»Es bezieht sich auf eine größere Dichtung von mir, das violette Chaos...«

»Na ebend! Und daneben machen Se wohl so gepfefferte Schansongs? Was?«

»Nicht im entferntesten! Ich bin offenbar bei Ihnen verleumdet worden...«

»I wo! Das is doch gerade das, was ich will...«

»Es ist eine böswillige Verleumdung...«

»Was heißt Verleumdung? Kein Mensch hat 'n Ton zu mir gesagt. Das is doch nur die einfache, logische Schlußfolgerung aus Ihrer anerkannten Eigenschaft als Erotiker...«

»Ich verstehe aber nicht...«

»Passen Se mal Obacht! Haben Se schon die kleine Bummsdiwa gesehen, die sich hier aufhält?«

»Die Tochter von dem Schlossermeister?«

»Jawollja... Sie sind im Bilde. Na also, ich protegiere die Krabbe 'n bißchen. Sie brauchen sich nischt dabei zu denken; in allen Ehren und als der geborene Theateronkel. Nu hört die junge Dame, daß wir nächstens 'n Feez veranstalten, sonne venezianische Nacht am See, und da kam sie auf die Idee, daß sie sich bei der Gelegenheit mal den Altaichern zeigen könnte. Verstehen Se, ne Art Rehabilitation, damit die Banausen, sagt se, doch mal sehen und begreifen, wer und was se is. Na, Sie wissen ja, wenn sich mal 'n Frauenzimmer was in Kopp setzt. Und nu die Hauptsache. Sie will etwas vortragen, verstehen Se, was die Situation beleuchtet, was eigens dafür gedichtet is. Ne Satire auf muffige Spießbürger und 'n Sang an die goldene Freiheit, und das Ganze orntlich gesalzen und gepfeffert... Na also, wollen Se das machen?«

»Ich?«

»Jawollja. Ich sagte mir, Sie sind der Mann dazu...«

»Ich soll ein Gedicht machen...«

»Das war meine Idee. Ich kann es nich anders leujnen. Ich habe sofort zu dem Mächen gesagt: wissen Se was, hier is zufällig der berühmteste Erotiker als Kurgast anwesend. Das trifft sich ausgezeichnet! Der macht Ihnen das, sagte ich, mit 'n Wuppdich. Wenn Se bereit sind, junger Mann, mein Vertrauen zu rechtfertigen, so sprechen Se: ja!...«

»Ich bin doch überhaupt nicht in der Lage, eine solche Aufgabe zu übernehmen...«

»Sie sin nich in der Lage? Erlauben Se mir die Randbemerkung, daß ich mich natürlich erkenntlich zeigen werde...«

»Ich denke nicht an die pekuniäre Seite der Angelegenheit. Aber es ist nicht mein Genre...«

»Na, hören Se mal, wenn Se schon Dichter und Erotiker sind, dann kann Ihnen doch so was nich schwer fallen. Das Mächen legt nur Wert darauf, daß der Kontrast rauskommt, verstehen Se, zwischen das Schwerfällige und das Leichtbeschwingte...«

»Ich kann Ihnen da wirklich nicht dienen...«

»Machen Se keene Menkenke, Verehrtester! Ich komme ja in die allergrößte Verlegenheit. Ich habe nämlich der jungen Dame die Sache bestimmt versprochen, weil ich mich auf Ihr bewährtes Talent verließ...«

»Ich kann es nicht übernehmen...«

»So versuchen Se's wenigstens! Den Gefallen können Se mir tun, und wenn's auch nich eins a wird, das schadt doch nischt. Für die hiesige Bevölkerung wird's wohl noch langen...«

»Ich muß Ihnen sagen, Herr Schnaase, daß ich in einer solchen Aufgabe eine Entweihung erblicke...«

»Is 's de Menschenmöglichkeit! Entweihung! Nu will ich Ihnen aber doch was sagen, Verehrtester! Entweder es is eener 'n Dichter, denn soll er dichten, oder es is eener keen Dichter, denn soll er sich nich dicke tun als Erotiker...«

Herr Schnaase sah sehr verärgert aus, als er sich bei den Worten vom Stuhle erhob, und Bünzli verstand, daß man erhoffte Schwiegerväter nicht zu erbitterten Feinden machen dürfe.

»Wenn Sie es absolut wünschen«, sagte er, »dann könnte man die Sache noch in Erwägung ziehen.«

»Ziehen Se! Was is denn schon dabei? Ich sage Ihnen ja, es braucht nich eins a zu sein, und wenn Se mit Pegasussen nich zurecht kommen, denn rufen Se mich. Ich habe zwar im Leben nich gedichtet und bin keen Erotiker, wenigstens keen schriftlicher, aber 'n paar Ideen können Se immer von mir haben...«

»Ich will es versuchen...«

»Wie lange brauchen Se dazu?«

»Ich muß erst abwarten, ob die Stimmung über mich kommt.«

»Verdudeln Se nich die Zeit! In acht Tagen is der Feez, und das Mächen muß Ihre Verse erst noch auswendig lernen. Zu was brauchen Se denn Stimmung? Machen Se Hopsassa, Trallala und In bißchen was drum rum!«

»Es ist mir so ungewohnt...«

Schnaase fürchtete neue Bedenken und verabschiedete sich rasch.

Vor dem Hause blieb er stehen und bohrte den Stock in den Boden.

»Haste Worte for sonne Sorte? Entweihung sagt der bocksdemliche Bouillonkopp! Was der macht, das wird Murks. Aber meinswejen, gut oder schlecht, denn hat doch das Mächen seinen Willen...«

Oben am Fenster stand Tobias Bünzli, in Nachdenken versunken.

»Eigentlich ist er ein frivoler Lumpenhund«, sagte er.

Denn die Winterthurer lieben starke Worte.


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