Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Allein als Präsident des Fremdenverkehrsvereins durfte er sich der weichen Stimmung nicht hingeben, und er verlangte, wie es seine Pflicht war, vom Posthalter die Entlassung des ungebärdigen Menschen.

Blenninger fragte ihn ruhig:

»Was is dös für a Schmarrn?«

»Ja no«, erwiderte Natterer, »mir tut ja der Mensch auch leid, aber ich muß drauf bestehen, daß er sofort entlassen werd...«

»Der Martl?«

»Ja. Er tut mir leid...«

»Da tuast ma scho du leid, wann du so was Dumms glaabst, daß i mein alt'n Martl aufsag. Dös hättst da ja z'erscht denk'n kinna, daß der dein Bletschari, dein damisch'n, net aufsetzt...«

»Also dann muß ich mir als Bürger... ?«

»Ah was! laß ma mei Ruah mit dein Schmarrn!«

An diesem Tage trug sich Natterer mit der Absicht, sein Geschäft zu verkaufen und von Altaich fortzuziehen.

Seine Frau konnte ihn nicht beruhigen, aber als der Schreiner Harlander dem Verein beitrat und vier Ruhebänke stiftete, vergaß er den Vorfall.

Martl vergaß ihn nicht.

Er wurde und blieb ein Todfeind des hundshäuternen Kramers.

* * *

Ob nun ein Fremder kommen würde?

Das war das in Frage gestellte Ereignis, von dem vieles abhing. Vielleicht das zukünftige Glück Altaichs, jedenfalls das gegenwärtige Ansehen Natterers.

Es trat ein.

Zu Anfang Juli, als die Kinder der Flora mit allem Grase gemäht und gedörrt wurden.

Das Ereignis trat ein, unauffällig, schlicht, beinahe unbemerkt.

Eines Nachmittags um fünf Uhr, als die Leute auf dem Felde waren und sich kaum Zeit nahmen, den heranschleichenden Zug zu betrachten, vollzog sich die denkwürdige Begebenheit.

Die Lokomotive pfiff, der Zug hielt an. Ein dicker, mittelgroßer Mann stieg aus, und sein gerötetes Gesicht sah so altbayrisch aus wie die ganze Gegend.

Über den linken Arm hatte er einen gelben Überzieher geworfen; er trug einen Segeltuchkoffer und Schirm und Stock, die zusammengebunden waren.

Der Stationsdiener nahm ihm das Billett so gleichmütig ab wie dem andern Fahrgaste, dem Ökonomen Schöttl, der eine vierzinkige Gabel und eine mit Papier umhüllte Sense trug zum Zeichen, daß er nicht bloß so oder zum Vergnügen verreist gewesen sei.

Der Fremde ging auf der staubigen Straße in den Ort, und da er den weit ausladenden Schild sah, hielt er beim Gasthofe zur Post an.

Das Haus war wie ausgestorben; Knechte, Mägde und der Posthalter selbst waren auf dem Felde.

Als sich niemand sehen ließ, stellte der Fremde etwas unmutig seinen Koffer im Torgange nieder, rief ein paarmal: »He! Was is denn? He!« pfiff und schüttelte ärgerlich den Kopf.

Endlich öffnete er eine Türe, die in die Gaststube führte. Die Stube war leer, und es roch etwas säuerlich nach Bier.

Als der Fremde hinter den Verschlag schaute, wo der Bierbanzen stand, flog summend eine Schar Fliegen auf, die in einem kupfernen Nößel Bierreste gefunden hatten.

Der Mann pfiff wieder. Niemand gab Antwort.

Nun schaute er durch ein Schiebefenster in die Küche und sah zwei Weibspersonen neben dem Herd sitzen. Die eine stocherte mit einer Haarnadel in ihren Zähnen herum und schien die Kellnerin zu sein.

Die andere saß mit verschränkten Armen behaglich zurückgelehnt; die aufgekrempelten Ärmel und eine weiße Schürze ließen in ihr die Köchin erkennen.

Der Fremde klopfte ärgerlich ans Fenster, schob es in die Höhe und rief:

»Ja... Herrgott... was is denn eigentlich? Is denn in der Kalupp'n gar koa Bedienung vorhand'n?«

Die Kellnerin stand langsam auf, steckte die Haarnadel in den Zopf und fragte gleichmütig:

»Was schaffen S'?«

»Kommen S' halt her, gnä Fräulein! San S' so guat!« Es dauerte noch eine Weile, bis die Kellnerin in die Stube kam und nochmal fragte:

»Wollen S' a Halbe? A Maß?«

»Nix will i. A Zimma will i.«

»A Zim-ma?«

»Ja. Muaß i's no a paarmal sag'n? Wia g'stell'n Eahna denn Sie o?«

Man konnte das rechtschaffene Weibsbild nicht aus der Ruhe bringen. Es schüttelte den Kopf und rief in die Küche hinein:

»Du, Sephi!«

»Was?«

»Der Herr möcht' a Zimma.«

»A Zim-ma?«

Die Köchin fragte es genau so gedehnt.

»Was is denn dös für a Wirtschaft?« schrie der Gast.

»No ja«, sagte die Kellnerin, »d'Fanny is net dahoam. De is im Feld draußd.«

»Und Bett werd aa koans übazog'n sei«, bestätigte die Köchin.

»I leg' mi net ins Bett um fünfi namittag. Aber a Zimma möcht' i, mei Gepäck will i nei stell'n... Himmi... Stern... Laudon!...«

»Dös gang scho... a Zimma zoag'n«, meinte die Köchin.

Die Kellnerin zögerte.

»Wenn halt d' Fanny net da is...«

In diesem Augenblicke hörte man einen Wagen in den Hof fahren.

Die Köchin öffnete das Küchenfenster und schrie mit durchdringender Stimme:

»Herr Blenninga!«

»Wos ?« fragte eine tiefe, fette Stimme zurück.

»Sie soll'n eina kemma. Es is wer do...«

»So«, sagte die Köchin, »jetz is Gott sei Dank der Herr Posthalta selber da. Mit dem könna S' all's ausmacha.«

Sie schloß das Schiebefenster.

Die Kellnerin gähnte laut und ging hinter den Verschlag, ließ etwas Bier ins Nößel laufen und trank ohne Hast und ohne rechten Genuß, bloß zum Zeitvertreib.

Der Posthalter trat ein.

»Also was habts?« fragte er.

»Der Herr möcht' a Zimma«, sagte die Kellnerin hinteren Verschlag.

Der Fremde nahm selber das Wort.

»I möcht' bei Ihnen wohnen, aber dös is scheinbar mit solchene Schwierigkeit'n verbund'n...«

»Na... na, dös hamm ma glei. Resi! Gehst zu da Fanny naus, sie soll eina kemma, a Zimma richt'n... San S' gewiß a G'schäftsreisender?«

»Na. I bin zu mein Vergnüg'n da. Hoaßt dös, wenn ma hier zu sein Vergnüg'n sei ko... Sie hamm doch Eahna Höft...« Der Fremde war immer noch ärgerlich... »Sie hamm doch Eahna Höft als Sommafrisch'n ausschreib'n lass'n...«

»A Summafrischla?«

»Ja, wenn's erlaubt is, und wenn's mir gfallt... Bis jetzt siech i net viel...«

»No! No!« begütigte Blenninger. »Es werd Eahna scho g'fall'n... mir san jetzt in der Heuarbet, und überhaupts, mir san de G'schicht no net gewohnt... Fanny!« wandte er sich an die eintretende Magd, »zoagst dem Herrn a paar schöne Zimma... Sie könna's Eahna raussuach'n. Platz gibt's gnua.«

Der Gast stieg hinter Fanny die breite Treppe hinauf, und Blenninger schaute ihm nach.

»Jetzt so was! A Summafrischla! Wenn dös da Natterer hört, schnappt er ganz üba.«

Das Gesicht des Fremden wurde freundlicher, als er die großen, hellen Zimmer sah, die alle behäbig mit Möbeln aus der Großvaterzeit eingerichtet waren. An den Wänden hingen bunte Lithographien aus der Zeit König Ludwigs I.

König Otto von Griechenland war dargestellt, wie er in Palikarentracht von der Akropolis herunter ritt; auf anderen Bildern sah man König Ludwig inmitten einer großen Hofgesellschaft, und wiederum Prinzen auf sich bäumenden Rossen.

Alles in den Zimmern wies auf die gute, alte Zeit hin, und das ließ günstige Schlüsse zu.

Der Fremde nickte zufrieden. Er sah, daß auch die Betten reinlich und gut waren, und Fanny versicherte eifrig, daß sie Kissen und Decke mit frischen Linnen überziehen werde.

Als der Gast die Treppe hinunterschritt, war er besser gelaunt, und er nahm sich vor, einen Rundgang durch den Ort zu machen.

Auch hier gefiel ihm alles, was er sah. Wenn er schon nicht wußte, daß er das denkwürdige Exemplar des ersten Sommerfrischlers darstellte, so bemerkte er doch, daß die Wogen des Fremdenstroms noch nicht durch Altaich geflutet waren.

Auf dem Platze erhoben sich stattliche Bürgerhäuser; weiter hinaus standen niedere Gebäude neben Scheunen und Ställen.

Von links und rechts brüllte, meckerte, gackerte und grunzte es und erweckte Hoffnungen auf dicken Rahm und gelbe Butter, auf frische Eier und zartes Schweinefleisch.

»Unverdorbene Gegend...«, murmelte der Fremde.

Nur einmal stutzte er, als er auf den Marktplatz zurück zu einem modisch aufgeputzten Kaufladen kam.

In der Auslage hing ein Plakat, auf dem zu lesen war, daß Karl Natterer junior den titulierten Kurgästen sein wohlassortiertes Lager von Hamburger Zigarren empfohlen halte. Der Fremde trat ein und wurde von einem unansehnlichen Herrn überfreundlich begrüßt.

Er kaufte einige Zigarren und versuchte, im Gespräche etwas Näheres über den Altaicher Fremdenverkehr zu erfahren.

Er gab mehr, als er empfing.

Der beglückte Natterer erfuhr, daß er den ersten richtigen, durch ihn angelockten Kurgast vor sich habe.

Der Kurgast aber erhielt nur allgemeine Andeutungen über gute Entwicklungssymptome.

Zum Schlusse stellte sich Natterer als Vorstand des Vereins vor und erbat sich für die Altaicher Kurliste, die der Piebinger Vilsbote veröffentlichen wollte, die Personalien des sehr geehrten Gastes.

Der Fremde gab ihm seine Visitenkarte: »Oberinspektor Josef Dierl aus München.« Natterer nahm sie dankend entgegen und hoffte, daß der Herr Oberinspektor mit der gewählten Sorte zufrieden sein werde, versicherte dem Herrn Oberinspektor, daß der Herr Oberinspektor in der gleichen Preislage angenehme Abwechselung finden werde, und wünschte dem Herrn Oberinspektor gutes Wetter, gute Unterhaltung und guten Tag.

Als der Fremde den Laden verlassen hatte, mußte Frau Wally Natterer kommen und die frohe Kunde vernehmen, daß die Saison glückverheißend eröffnet sei.

Triumphierend hielt ihr der Eheherr die Visitenkarte vor.

»Ein Oberinspektor?« fragte Frau Wally. »Das is gewiß was sehr Feines?«

»Jedenfalls was Besseres«, antwortete Natterer. »Die Sach' reguliert sich. Ma sieht halt, was eine gute Reklame ausmacht.«

* * *

Vom Posthalter Blenninger, der viel zu faul war, um Lügen für den Glanz des neuen Höhenluftkurortes zu ersinnen, bekam es Herr Dierl bald zu wissen, daß er der erste Kurgast war.

Vielleicht hätte das einen andern stutzig gemacht, aber der Oberinspektor der Lebensversicherungsgesellschaft Artemisia, der eine kurze Offizierslaufbahn in Burghausen begonnen und beendet hatte, war ein Kenner und ein Freund des altbayrischen Lebens.

Er wußte, wie sehr die Biederkeit des Charakters und die Größe der Portionen durch Fremde vermindert werden.

Ihr Fehlen stimmte ihn hoffnungsfroh, und eine Kalbshaxe von altväterlichen Maßen bestätigte ihm seine Vermutung, daß er auf der Insel der Seligen gelandet sei.

Er schwor es sich zu, über dieses Eiland strenges Stillschweigen zu bewahren, und er faßte gleich eine Abneigung gegen Natterer, dem er Verrat zutraute.


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