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Zweimal ging Natterer in die Ertlmühle, ohne Konrad treffen zu können. Es war sonderbar, wie gleichgültig sich der junge Mensch gegen die wichtige Sache verhielt.
Auch die Eltern zeigten nicht den rechten Eifer.
Das erstemal lief er sich warm und erzählte der Ertlmüllerin keuchend, daß er dem Sohne die allerwichtigste Mitteilung machen müsse, von der sehr viel abhinge für seine künftige Laufbahn. Frau Margarete sagte lächelnd, große Worte und Federn gingen viel auf ein Pfund, und er solle erst richtig ausschnaufen.
Dann kam der Ertlmüller und hörte Natterer mit Ruhe an und meinte, der Herr Natterer solle ihm das Nähere mitteilen, er werde es dann gelegentlich seinem Konrad ausrichten.
So viel Wasser auf sein Feuer gab einen beizenden Rauch, und der Kaufmann erwiderte, das lasse sich nicht wie eine Botschaft bestellen, das müsse er mit Konrad selbst besprechen.
Den ganzen Vormittag wartete Natterer auf den jungen Menschen. Er durfte doch annehmen, daß er gleich zu dem geschätzten Auftraggeber eilen und daß er sich umtun werde.
Konrad kam aber nicht.
No ja! Künstler sind amal keine G'schäftsleut. Sie leben in den Tag hinein wie die Spatzen; man muß ihnen den eigenen Vorteil aufzwingen.
Nach dem Essen machte sich Natterer wieder auf den Weg zur Ertlmühle. Diesmal ohne Hast, gravitätisch, ein wenig beleidigt oder sonderbar berührt von den Sorglosigkeiten der Ertlmüllerischen.
»Gut'n Tag, Frau Oßwald!« sagte er in gedehntem Tone. »Also was is jetzt?«
»Grüß Gott, Herr Natterer! Was meinen S'?«
»Wo Ihr Herr Sohn is?«
»Der Kunrad? ja, du lieber Gott, wo werd der sei? Im Wald drauß mit sein Malkast'n...«
»Hm! Das is ja sehr schön, daß er so fleißig is, aber... Frau Oßwald, hamm Sie ihm eigentlich g'sagt, daß i was Wichtigs mit ihm reden muß?«
»Jessas na! Da hab i ganz vergess'n. Aber vielleicht hat's ihm mei Martin ausg'richt'. Lassen S' Ihnen nur Zeit, er kommt scho amal...«
»Zeit?« fragte Natterer. »Ja, ich hab Ihnen doch g'sagt, daß die Sach äußerst pressant is. Net für mich, sondern für'n Herrn Konrad. Mir kann's am End gleich sei, aber i mein', wenn i zweimal extra runter lauf...«
Frau Margaret rief zur Mühle hinüber: »Martin!«
Der Ertlmüller stand unterm Tor und schaute einem Tauberer zu, der sich verliebt im Kreise drehte.
»I komm glei«, rief er zurück, beeilte sich aber nicht, sondern ging gemächlich auf die beiden zu. Unterwegs blieb er gar noch stehen und drehte sich nach dem Tauberer um.
»Du, Martin«, sagte Frau Margaret, »der Herr Natterer fragt, ob du unserm Konrad nix g'sagt hast, weil die Sach pressiert?«
»Ja... I weiß net, hab i 's ihm scho g'sagt oder net...«
»Jetzt weiß i aber wirklich nimmer, was i sag'n soll«, fiel Natterer ein. »I hab's do dringend g'nug g'macht, und d' Frau meint, es pressiert net, und Sie tun net dergleich'n... Ja, meine lieb'n Leut, nehmen S' ma's net übel, aber ich hab mei Zeit doch auch net g'stohl'n, und i ko net jed'n Tag in d' Ertlmühl runterlauf'n vom G'schäft weg...«
»Der Konrad kommt scho amal nauf«, sagte Martin gelassen.
»So? Amal? No ja... da muß i scho sag'n...«
Natterer sagte nichts mehr, denn er war ernstlich aufgebracht. Er schüttelte den Kopf und grüßte und ging.
Daheim verlangte er von seiner Frau, sie solle ihm das Benehmen der Ertlmüllerischen erklären.
Wally meinte, der alte Oßwald sei immer so...
Aber das ließ Natterer nicht gelten.
»Entweder die Leut hamm kein Verständnis für de Sach, oder sie leg'n überhaupts koan Wert drauf. Schön! Von mir aus. Jetzt kenn i koa Rücksicht nimmer und übergib die Sach einfach an andern.«
»Karl! Schau, ma muß doch mit de Leut leb'n...«
»Nix! Aus is...« Natterer strich mit der Hand über die Ladenbuddel... »Jawohl, ma müßt eigentli mit die Leut leb'n, aber diese Rücksicht'n gengan bloß bis zu einem gewissen Grad. Und jetzt tua ma den G'fall'n und red nimmer davo!«
Er war ein gefälliger Mensch und mit kaufmännischer Höflichkeit gefüllt, aber er blieb bei seinem Entschlusse, einen andern Maler zu protegieren, und er versteifte sich noch mehr darauf, weil Konrad auch während der nächsten Tage nicht kam. Das bedrückte ihn, und dazu kam die schwierige Frage, wohin er sich denn nun wenden solle.
Er ging mit finsterem Gesichte im Hause herum, und sein erfinderischer Geist zeigte ihm keinen Ausweg.
»Jessas, Karl! Jetzt fallt mir was ein...«, rief die Frau Wally beim Mittagessen, und sie war so ergriffen von ihrer Eingebung, daß sie den Löffel im Mund behielt.
»Was fallt dir ei?«
»Du... is net unsa Summafrischla a Kunstprofessor? Der woaß do g'wiß solchene Maler, dena wo du dös geb'n kunntst...«
»Hm!...«
Ganz so dumm, wie man's hätte vermuten sollen, war der Einfall nicht.
»Hm! Der Herr Hobbe? Kunstprofessor is er allerdings, aber net in Bayern. Und bis von Hannover ko i do net an Maler herb'stell'n... Aber frag'n wer i'n do...«
Natterer bedachte, daß er dabei eine schöne Gelegenheit habe, dem Herrn Kunstprofessor sein Interesse für Bildung zu zeigen.
Nach dem Mittagsschläfchen ging er ins erste Stockwerk hinauf und klopfte an der Türe der Studierstube an. Als sich nichts hören ließ, klinkte er das Schloß auf und trat ein.
Horstmar Hobbe saß zurückgelehnt in seinem Stuhle und schaute unverwandt zum Fenster hinaus.
Er war bei der Frage angelangt, ob der Intellekt die Form nur bilde, ober ob er sie erzwinge, und wenn ihn auch seine alte Blutleere im Gehirne nicht befiel, so schien doch in den Assoziationszentren der Hirnrinde eine Störung der Gehörseindrücke vorzuliegen.
Herr Natterer hustete ein paarmal ohne Erfolg, dann sagte er laut:
»Entschuldingen schon, Herr Professa...«
Hobbe fuhr zusammen und starrte den Besucher erschrocken an.
Natterer verstand die Situation und redete möglichst laut, um den Gelehrten wach zu erhalten.
»Entschuldingen schon, Herr Professa, daß ich quasi unangemeldet bei Ihnen vorspreche, aba ich möchte mit Ihnen betreff einer Kunstsache konferiern, weil Sie betreff einer solchen Frage quasi eine Autorität sind...«
In Hobbes Auge blitzte kein Verständnis auf, aber der Kaufmann fuhr herzhaft und unbekümmert weiter:
»Indem es sich nämlich um die Anfertigung oder beziehungsweise um die Herstellung von einem künstlerischen Panorama unseres Kurortes handelt, wie man diese betreffenden Panorama jetzt öfter sieht, zum Beispiel in diverse Bahnhöf. In der Mitten nämlich eine Totalansicht und drum herum die Nebenansichten von reizvollen Ausflugsorten und idyllischen Plätzen, und drum herum etwas Malerisches, zum Beispiel Embleme mit Alpenrosen, sozusagen einen Rahmen...-
Hobbe hatte sich so weit gefaßt, daß er fragen konnte: »Wovon s...sprechen Sie eigentlich?«
Natterer verstand, daß er lauter reden müsse und strengte seine Stimme an.
»Es soll also quasi von Künstlerhand ein Panorama von Altaich geliefert werden, wodurch das reisende Publikum auf die Schönheiten unserer Gegend hingelenkt wird...«
Der Gelehrte hatte den Sinn der Worte begriffen.
»Warum bes...sprechen Sie die Angelegenheit nicht mit einem Photographen?« fragte er.
»Es soll ja von Künstlerhand geliefert werden, respektive gemalen«, brüllte Natterer. »Und indem da Herr Professa in diesem Fache sozusagen eine Autorität bilden, möchte ich die Frage an Ihnen richten, ob Sie net jemand wiss'n, respektive rekommandier'n können?«
Hobbe war langsam aus den Höhen des Intellektes auf den Erdboden niedergeschwebt und stand nun darauf.
»Sie sind im Irrtum, Herr... Herr...«
»Natterer«, ergänzte der Hausherr.
»Herr Natterer, Sie sind in einem verhängnisvollen Irrtum begriffen. Die Kunst als Seiendes, als Realität exis...stiert nicht für mich. Ich beschäftige mich nur mit den Begriffen ihrer Gesetzmäßigkeit, mit den Verhältnissen der Massenverteilung zum Rhythmus der Linien einerseits und anderseits zur Dynamik der Farbe. Ich beschäftige mich mit dem Irrationalen, mit dem Uns...sprechbaren, nicht mit der mehr oder minder rohen Äußerlichkeit des Produktes. Die naturalistischen Dinge perhorresziere ich, und ich behandle nur die abs...strakte Form, indem ich den latenten Rhythmus von Linien und Raumeinheiten zergliedere. Ich weiß nicht, ob Sie mich genau vers...standen haben?«
Natterer war unverschämt genug, ja zu sagen.
»Jawoi, Herr Professa. Ich habe Ihnen durchaus verstanden...«
»Dann müssen Sie sich selbst sagen, daß ich über derartige imitative Wiedergaben der äußeren Natur keine Auskunft geben kann, wenn und weil mich nur das latente Gesetz der Natur in seinen Beziehungen zur Kunst interessiert...«
»Jawoi, Herr Professa. Das heißt also quasi, daß Sie neamd rekommandiern können?«
Natterer merkte, daß Hobbe sich wieder von der Erde erhob und in die kristallklare Region der Erkenntnis entschwebte.
Respektive er merkte, daß der Gelehrte sozusagen das Spinnen wieder anfing.
Darum ging er mit einem freundlichen Gruße, der nicht mehr gehört und erwidert wurde.
Als er an die Treppe kam, wurde eine Türe leise geöffnet, und Frau Mathilde Hobbe rief ihn mit gedämpfter Stimme an.
»Herr Natterer... einen Augenblick!«
»Gut'n Tag, Frau...«
»Bs...s...s...st! Nicht so laut! Wo waren Sie eben, Herr Natterer?«
»Beim bei Ihrem Herrn Gemahl...«
»Bei Hors...stmar?! Um Gottes willen! Aber wie konnten Sie?«
»Entschuldingen Frau Professa, aber in betreff einer Kunstfrage«
»Bs...s...s...st! Gott, wenn ich denke, jetzt in den Nachmittagss...stunden!«
Frau Hobbe warf einen schmerzlich erschrockenen Blick zur Decke hinauf, als sähe sie die Genien des Intellektes herum flattern, aufgescheucht durch den banalen Besucher.
»Ja no...«, sagte Natterer, »ich hab mir natürlich denkt, als Kunstprofessa...«
»Nie mehr!« flehte Frau Mathilde. »Nie... nie mehr!« Sie legte den Finger an den Mund und zog sich zurück. Natterer stieg die Treppe hinunter.
Die letzte Mahnung war überflüssig, denn er hatte selber die Einsicht gewonnen, daß mit dem papierenen Deppen nichts anzufangen sei.
Es fiel ihm nicht leicht, auch nur innerlich seinen Mieter und Kunden so zu heißen, denn er war Kaufmann und schätzte eine Familie, die seine zurückgesetzten Kieler Sprotten vertilgte.
Er war bereit, einem Manne, der aus dem hohen Norden bis nach Altaich gekommen war, Ehrerbietung zu erweisen.
Aber die Wahrheit drängte sich ihm zu ungestüm auf.