Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Auf den warmen Tag folgte ein schöner, langsam verglühender Abend, der sich gut auskosten ließ in der Ertlmühle, wo Martin neben der Frau Margaret vor dem Hause saß und die gewohnte Maß Bier trank.

Der letzte Vogel hatte sein Lied ausgepfiffen, und es war nichts mehr zu hören als ein leises Rauschen in den Baumkronen und das Murmeln des Baches.

Auch Konrad saß auf der Bank. Er lehnte den Kopf an die Mauer und schaute zu dem sich langsam verdunkelnden Himmel hinauf.

Der Abendstern blitzte auf, flimmerte ein wenig und brannte dann ruhig als feierliches Licht.

»Hast du heut was g'schafft?« fragte die Mutter.

»Ja... Das heißt eigentlich net viel.«

»Du warst doch den ganzen Tag drauß'n?«

Konrad setzte sich auf.

»In Sassau drüben. Ich hab' für den Natterer was ang'fangen.«

Er wollte wieder träumen und sich ein glockenhelles Lachen ins Gedächtnis zurückrufen, aber Mütter sind hartnäckig, wenn ihnen was auffällt.

Und der Frau Margaret fiel die Schweigsamkeit ihres Sohnes auf. Nach einigen Fragen, an die sich wieder Fragen reihten, wußte sie, daß Konrad in Sassau nicht allein gewesen war.

Eine Familie aus Berlin, die in der Post wohnte, war auch dort gewesen.

Ein Rentier mit seiner Frau und seiner Tochter. Die Frau hatte viel Interesse für das Kloster gezeigt, und Konrad hatte sie herumgeführt.

Die Frau?

Die Frau und die Tochter; die Mutter werde sie schon kennen lernen, weil sie gesagt hatten, daß sie einmal in die Ertlmühle kommen wollten, um Skizzen anzusehen und Bilder. Die Tochter wäre eigentlich gut zu malen.

Gut zu malen?

Ja. Sie habe hellblonde Haare und überhaupt so was Rassiges, was einen interessiere, so ein Rokokogesicht. Die Augen fast kornblumenblau.

Martin saß daneben und dachte sich nichts. Hie und da nahm er einen Schluck, was man in der Dunkelheit bloß am Klappern des Deckels merkte. Aber Frau Margaret dachte sich etwas.

Schau... schau... der Konrad! Jedes Wort muß man ihm rausquetschen, und auf einmal lauft das Rad, wenn er von der Tochter anfangt. Stroh in Schuhen und Liebe im Herzen gucken überall raus. Sollte das stimmen? Auf jeden Fall geh' ich morgen zum Natterer und hol' mir ein paar Schürzenbänder, und bei der G'legenheit geh' ich an der Post vorbei und probier's, ob ich die Familie nicht sehen kann, b'sonders das Mädel mit den kornblumenblauen Augen...

Der Wind rauschte stärker in den Baumkronen, und Konrad, der sich wieder zurückgelehnt hatte, schaute zu dem Sterne empor, den man Venus nennt.

Durch die Stille klang laut und deutlich fröhliches Lachen über den Bach herüber. Ein helleres und ein tieferes.

»Da drüben sin noch Leut'...«, sagte Frau Margaret.

»Ach neun! Xa-veer!« tönte es herüber. Dann wieder Lachen, das sich entfernte. Von weitem her ein Aufschrei, und dann war es still.

»Das war auch kei hiesige...«, sagte Frau Margaret. »Aber jetzt kommt ins Haus! Es wird kühl.«

* * *

Zur gleichen Zeit, als am Himmel die Sterne aufblitzten, und der Bergwind von weitem her über die Ebene eilte und die schläfrigen Baumwipfel schüttelte, gingen drei Männer über den Marktplatz und schlugen den Weg ein, der um den Hügel herum aus dem Orte führte.

Obschon sie erdenschwere Absichten hatten und keine schwärmerischen Gedanken hegten, weil sie ihre Verdauung fördern wollten, erregte doch der Abend ihr Wohlgefallen, und von Zeit zu Zeit blieben sie stehen und schauten zum Nachthimmel auf.

»Ich bidde...«, sagte Wlazeck und deutete auf den leuchtenden Hesperus. »Kennen die Herren den Namen dieses Gestirnes?«

Der Kanzleirat meinte etwas unsicher, daß es vielleicht der Abendstern sein dürfte.

»Fä-nus!« rief der Oberleutnant mit starker Betonung. »Wann ich den Stern erblicke, ergreift mich jedesmal die wähmietige Erinnerung an die Jugendzeit, an die ersten Leitnantsjahre in Agram mit ihrer tollen, verrickten Seligkeit. Er heißt nach der Fänus, der Spenderin der Freide!«

»Geh, hör'n S' auf!« sagte Dierl.

»Wieso, Herr Kamerad?«

»San ma froh, daß ma unser Ruh hamm und nix mehr wiss'n von de fad'n G'schicht'n...«

»Aber bidde, wer kann froh sein, wann die Freiden einmal wirklich schwinden möchten?«

»Dös waar'n aa no Freid'n!«

»Herr Kamerad, das is ja ein Sakrilegium! Wann wir im Altertum wär'n, möchte sich sofort ein Faun aus dem Gebiesche auf Sie stierzen, um diese Schmähung der holden Göddin an Ihnen schwerstens zu rächen. Außerdem, gestatten Sie mir diesen Vorwurf, verleignen Sie Ihre zartesten Gefiehle...«

»Mit de zart'n G'fühl san mir Gott sei Dank fertig...«

»Verzeihen, Herr Kamerad, wann Sie wirklich bereits resigniert haben sollten, bidde ich, mich nicht einzubeziehen. Ich stehe hoffentlich noch sehr lange nicht auf diesem schmärzlichen Standpunkte. Was sagen Sie, Herr von Schitzinger?«

Der Kanzleirat räusperte sich und lachte.

»Ich? Ja no... im Staatsdienst... die Herren verstehen mich schon... im Bürodienst hat man nicht soviel Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln. Die Herren als Offiziere haben da natürlich schönere Erinnerungen. Übrigens fällt mir da eine Geschichte ein, das heißt, es ist eigentlich mehr eine Anekdote, die unser Ministerialrat Kletzenbauer auf der Kegelbahn zum besten gegeben hat. Der Regierungsdirektor Zirngiebl hat sich sehr darüber amüsiert. Die Anekdote steht in gewisser Beziehung zu diesem Thema betreff Verzicht. Nämlich ein älterer Herr, das heißt also ein Mann, der über gewisse Anfechtungen hinaus ist, begegnet einem Bekannten auf der Straße oder im Kaffee, kurz und gut, er trifft ihn also, und der Bekannte macht pikante Anspielungen. Da fragt der ältere Herr, ob sich vielleicht jemand aus dem Bekanntenkreis des andern beschwert habe. Er meinte natürlich, ob sich eine Dame beschwert habe. Ich finde den Witz ausgezeichnet...«

»Scheinbar«, sagte Dierl. »Sie erzähl'n ihn ziemlich oft.«

»Hab' ich ihn schon einmal erzählt?«

»Einmal net...«

»Da bitt' ich wirklich um Entschuldigung; mir war das nicht erinnerlich. Ich hab' nur g'meint, daß er sich auf dieses Thema bezieht und...«

»Von mir aus können S' ihn noch a paarmal erzähl'n... aber die Herren entschuldigen... es wird mir allmählich zu kühl.«

Dierl grüßte und ging.

»Ich hab' ihn doch hoffentlich nicht beleidigt?« fragte Schützinger betroffen. »Oder glauben Herr Oberleutnant?«

»Nicht die Spur! Was heißt denn beleidigen? Sie haben eine Anekdote erzählt...«

»Die doch harmlos ist! Das heißt, sie ist ja etwas pikanter Natur, aber unter Herren...«

»Sie können vollkommen beruhigt sein. Ich würde diesen Witz sogar in einem Damenpensionat zum besten geben. Aber wissen Sie, unser gemeinschaftlicher Freind Dierl ist keine zartbesaitete Natur...«

»Ich tät' mich ja selbstverständlich entschuldigen...«

»Aber nein, Herr Kanzleirat! Sie haben nicht die geringste Ursache dazu. Wann jemand ein Recht haben möchte, gekränkt zu sein, dann bin ich das. Dieser infernalische Haß gegen das zarte Geschlecht verlätzt mich... Ich versteh' so was nicht.«

»Glauben Herr Oberleutnant, daß er wirklich der Damenwelt so... ah... abgeneigt ist?«

»Ich bidde... rekapitulieren wir doch seine Eißerungen! Und das macht er bei jeder Gelegenheit so... nicht bloß heite... Wie gesagt, mir is das unfaßlich. Ich finde, daß jede zarte Erinnerung in uns das Gefiehl einer unausleschlichen Dankbarkeit wachrufen muß. Das verlange ich sogar von einem Aschanti. Aber ich muß allerdings gestehen – Sie entschuldigen meine Offenheit, Herr Kanzleirat! –, ich habe in Bayern schon öfter derartige robuste Naturen beobachtet. Mir is das eine Späzies Homo, für die ich nicht das geringste Verständnis habe...«

Die beiden schritten in der lauen Sommernacht weiter.

Plötzlich blieb Wlazeck stehen und rief fast heftig: »Wie kann man eine gewisse Genugtuung eißern, daß man fertig is mit seinen Gefiehlen? Das is doch der Abschied vom Leben! Was bietet mir denn das Dasein fier einen Reiz, wann ich wirklich schon apathisch werden möchte?«

»Herr Oberleutnant sind noch sehr jugendlich...«

»Bin ich auch! Und wann ich schon einmal der hilflose Greis werden sollte, dann bidde, nehmen Sie eine Reiterpistole und schießen mir ein Loch durch den Schädel! Aber sofort! Ich werde doch nicht den alten Hatscher spül'n! Ibrigens« – er hing sich vertraulich in Schützingers Arm ein – »haben Herr Kanzleirat die junge Dame bemerkt? Die Berlinerin? Ist sie nicht entziggend?«

»Sie is sehr nett...«

»Nett! Aber Verehrtester, das is doch kein Wort für einen derartigen Liebreiz! Dieses pikante G'sichtl! Diese Figur! Fausse maigre, Herr Kanzleirat! Verlassen sich auf das Auge des Kenners! Und die ganze Erscheinung! Das is Charme, das is Musik!«

»Herr Oberleutnant sind ganz weg...«

»Hingerissen bin ich, verschossen, enthusiasmiert. Meine Gefiehle sind noch nicht erloschen. Ich richte meinen Kurs noch immer nach diesem Sterne...« Wlazeck deutete mit dem Spazierstocke auf die Venus.

Schützinger bewunderte seine Lebhaftigkeit und schlug vor, nunmehr auch zum Abendtrunke heimzukehren.


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