William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis, Band 1
William M. Thackeray

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Einundzwanzigstes Kapitel

Die Rückkehr des verlorenen Sohnes

Ein Brief, wie ihn der Major geschrieben, trieb natürlich Doktor Portman nach Fairoaks, und er ging mit jener Eile dorthin, die ein guter Mensch zur Schau trägt, wenn er unangenehme 379 Nachrichten zu überbringen hat. Er wünscht, die Geschichte wäre abgemacht und schnell erledigt. Er ist traurig, aber que voulez-vous? Der Zahn muß heraus, und der Zahnarzt hat euch schon auf dem Sessel, und es ist überraschend, mit welcher Entschlossenheit und welcher Schnelligkeit im Handgelenke er die Zange ansetzt. Vielleicht würde er nicht ganz so eilig oder eifrig dabei sein, wenn es sein eigener Zahn wäre; aber schließlich müßt ihr ihn euch eben herausziehen lassen. So hatte also der Doktor zuerst diese Epistel mit vielen verdammenden Erläuterungen bezüglich des jungen Schlingels, der immer tiefer und tiefer ins Verderben versinkt, Mira und Frau Portmann vorgelesen, verließ dann diese Damen, die die Neuigkeit in der ganzen Gesellschaft von Clavering verbreiten mußten, was sie mit gewohnter Genauigkeit und Schnelligkeit taten, und wandelte hinüber nach Fairoaks, um der Witwe die Nachricht beizubringen.

Sie war bereits davon unterrichtet. Sie hatte Pens Brief gelesen, und er hatte ihr sogar etwas das Herz erleichtert. Ein düsteres Vorgefühl von etwas Bösem hatte seit vielen, vielen Monaten über ihr geschwebt. Sie wußte nun das Schlimmste, aber ihr Herzenssohn kam reuig und zärtlich zu ihr zurück. Konnte sie mehr verlangen? Alles was der Rektor sagen konnte (und seine Bemerkungen waren sowohl von gesundem Menschenverstande eingegeben als auch ehrwürdig durch ihre Altertümlichkeit), vermochte Helene nicht dazu zu bringen, irgendwelche Erbitterung oder sich besonders unglücklich zu fühlen, außer darüber, daß der Knabe unglücklich war. Was lag 380 denn an diesem akademischen Grade, daß sie ein solches Geschrei darum machten, und was würde er Pen eigentlich nützen? Warum bestanden Doktor Portman und sein Onkel darauf, daß der Knabe nach einem Orte geschickt wurde, wo er so viel Versuchungen ausgesetzt war und an dem so wenig Gutes herauskam? Warum ließen sie ihn nicht zu Hause bei seiner Mutter? Was seine Schulden anlangte, so mußten sie natürlich bezahlt werden. Seine Schulden! Gehörte ihm denn nicht alles Geld seines Vaters, und hatte er nicht ein Recht dazu, es auszugeben? In dieser Weise begegnete die Witwe dem tugendsamen Doktor, und er verschoß alle Pfeile seiner Entrüstung umsonst auf ihren sanften Busen.

Seit einiger Zeit schon war eine angenehme Gewohnheit, die seit den ältesten Zeiten her gebräuchlich ist, durch die Bruder und Schwester sich ihre gegenseitige Neigung erkennen zu geben pflegen, und der Pen und seine kleine Schwester Laura in ihren Kinderjahren ziemlich fleißig nachzukommen gewohnt gewesen waren, mit gegenseitiger Zustimmung dieser beiden Leutchen aufgegeben worden. Als Herr Arthur nach monatelanger Abwesenheit von Hause aus dem Kollegiate heimkam, fand er statt des simplen Mädchens, das er zurückgelassen hatte, eine hochgewachsene, schlanke, schöne, junge Dame, der er doch nicht anbieten konnte, sie, wie er früher gewohnt gewesen war, zu küssen. Sie empfing ihn mit einer anmutigen Verbeugung und bot ihm die Hand, wobei ihr eine tiefe Röte in die Wangen stieg und zwar grade auf den Fleck hin, wo der junge Pen sie früher zu 381 küssen gewohnt gewesen war. Ich bin nicht stark in der Beschreibung weiblicher Schönheit und kümmere mich tatsächlich nicht im geringsten darum (indem ich nämlich meine, daß Güte und Tugend natürlich weit vorteilhaftere Gaben für eine junge Dame sind, als jrgendwelche bloßen vergänglichen Reize von Gestalt und Gesicht), und so werde ich keine genaue Schilderung Fräulein Laura Bells im Alter von sechzehn Jahren versuchen. In diesem Alter hatte sie ihre gegenwärtige Länge von fünf Fuß vier Zoll erreicht, so daß sie von den einen hoch und schlank, von den anderen ihres Geschlechts, die kleinere Frauen vorziehen, eine Bohnenstange genannt wurde. Aber wenn sie eine Bohnenstange war, so hatte sie schöne Rosen an ihrer Spitze, und es ist Tatsache, daß viele junge Burschen Lust hatten, um sie herumzutanzen wie um einen Maienbaum. Sie war für gewöhnlich blaß, mit einem schwachen Anflug von Rosenrot auf ihren Wangen, aber diese überzogen sich bei geeigneter Gelegenheit augenblicklich mit einem dunklen Purpur und behielten dann lange Zeit hindurch diese Röte; die Rosen blühten auch nach dem Aufhören der Gemütsbewegung, die diese hübschen Blumen ins Leben gerufen, noch fort. Ihre Augen wurden von ihrer frühesten Kindheit an als sehr groß geschildert und behielten auch im späteren Leben dieses charakteristische Merkmal. Gutherzige Kritiker (stets weiblichen Geschlechts) sagten, daß sie mit diesen Augen zu kokettieren und die Herren und Damen ihrer Gesellschaft zu beäugeln pflegte; aber Tatsache ist, daß die Natur sie so zum Leuchten und Blickewerfen geschaffen hatte, und daß 382 sie deshalb nicht mehr dafür konnten, daß sie Blicke warfen und leuchteten, als ein Stern dafür kann, daß er heller ist als ein anderer. Zweifellos waren, um ihr Leuchten zu mildern, Fräulein Lauras Augen mit zwei Paar Schleiern in Gestalt der längsten, schönsten und schwärzesten Augenwimpern versehen, so daß, wenn sie ihre Augen schloß, dieselben Leute, die ihre Augäpfel getadelt, sagten, daß sie nur ihre Augenwimpern zeigen wollte, und ich möchte wirklich behaupten, daß sie schlafend zu sehen ein hübscher Anblick gewesen sein müßte.

Ihre Gesichtsfarbe war beinahe so leuchtend, wie die von Lady Mantrap, aber ohne den Puder, den Ihre Ladyschaft anwendet. Ihre Nase müssen wir der Phantasie des Lesers überlassen; wenn ihr Mund ziemlich groß war (wie Fräulein Pimini behauptet, von der man, wenn ihr Appetit nicht so allbekannt wäre, nicht glauben würde, daß sie irgend etwas Größeres als einen Knopf verschlucken könnte), so gab doch jedermann zu, daß ihr Lächeln bezaubernd wäre und dadurch eine Reihe von Perlzähnen sichtbar wurde, während ihre Stimme so weich und lieblich klang, daß sie einem, wenn man sie hörte, wie süße Musik vorkam. Weil sie gewohnt ist, sehr lange Kleider zu tragen, so sagen die Leute natürlich, sie habe große Füße; aber es mag sein, daß sie von der zu ihrer Gestalt passenden Größe sind, doch folgt daraus, daß Fräulein Pincher immer ihren Fuß vorstreckt, noch nicht, daß alle anderen Damen ihre Füße beständig auf den Teppich vorhalten müssen. Kurz und gut, Fräulein Laura Bell war in dem Alter von sechzehn Jahren eine niedliche junge 383 Dame. Hoffentlich finden sich in diesem Lande, wo kein Mangel an Güte, Bescheidenheit, Reinheit und Schönheit ist, viele Tausend ähnliche junge Damen.

Nun war Fräulein Laura, seit sie selbständig denken gelernt hatte (und in den letzten zwei Jahren hatten sich sowohl ihr Geist als auch ihr Körper in beträchtlichem Maße entwickelt), mit Pens Aufführung und Betragen im allgemeinen nur halb zufrieden gewesen. Seine Briefe an seine Mutter zu Hause waren sehr selten und kurz geworden. Vergeblich beharrte die zärtliche Witwe dabei, wie anhaltend Arthurs Beschäftigungen und Studien wären, und wie viele Verpflichtungen er hätte. »Es ist besser, daß er einen Preis verliert,« sagte Laura, »als daß er seine Mutter vergißt; und wirklich, Mama, ich sehe auch nicht, daß er viel Preise bekommt. Warum kommt er nicht nach Haus und bleibt bei dir, statt seine Ferien in den schönen Häusern seiner vornehmen Freunde zu verbringen? Da ist niemand, der ihn nur halb so liebt wie – wie du es tust.« »Ja, wie ich allein, Laura,« seufzte Frau Pendennis. Laura erklärte steif und fest, daß sie Arthur kein bißchen lieb hätte, wenn er nicht seine Pflicht gegen seine Mutter erfüllte; sie wollte sich auch durch keine zärtliche Beweisführung Helenes überzeugen lassen, daß der Knabe seinen Weg in der Welt machen müßte, daß sein Onkel angelegentlichst wünschte, Pen sollte die Bekanntschaft mit Personen pflegen, die ihm im Leben möglicherweise als Freunde nützen könnten, daß Männer an tausend Sachen gebunden und dazu genötigt wären, die Frauen nicht verstehen könnten usw. Vielleicht glaubte Helene an diese 384 Entschuldigungen nicht mehr als ihre Adoptivtochter; aber sie versuchte zu glauben, daß sie daran glaubte, und tröstete sich selbst mit mütterlicher Verblendung. Und das ist ein Punkt, worauf vielleicht mancher gute Herr sein Augenmerk gerichtet hat, daß wir nämlich, mögen wir tun, was wir wollen, der Liebe eines Weibes ziemlich sicher sind, das uns einst angehörte, und daß jene unermüdliche Zärtlichkeit und Vergebung uns nie fehlen kann.

Auch hatte in Arthurs letzten Gesprächen und in seiner Art und Weise jene Freiheit, um nicht zu sagen Kühnheit, gelegen, die Laura erschreckte und mißfiel. Nicht, daß er sie je durch Roheit beleidigt oder ein Wort an sie gerichtet hätte, das sie nicht hätte hören dürfen, denn Herr Pen war ein Gentleman und sowohl von Natur als auch durch Erziehung höflich zu jeder hochstehenden und geringen Frau; aber er sprach leicht und zweideutig von Frauen im allgemeinen, war weniger höflich in seinem Tun, als in seinem Reden, nachlässig in mancherlei Art und in den vielen kleinen Gefälligkeiten, die im Leben vorkommen. Es beleidigte Fräulein Laura, daß er seine schrecklichen Pfeifen im Hause rauchte, daß er nicht mit seiner Mutter zur Kirche gehen oder Besuche mit ihr machen wollte, und im Schlafrock über seinem Roman gähnend aufgefunden wurde, wenn die sanfte Witwe von diesen Pflichten zurückkehrte. Der Held aus Lauras früher Kindheit, über den sie so viele, viele Abende mit Helene verplaudert hatte, (die endlose Geschichten von den Tugenden, der Liebe und den Heldentaten des Knaben erzählte, als er noch auf der Schule war), war eine 385 sehr verschiedene Person von dem jungen Manne, den sie jetzt kannte; kühn und glänzend, sarkastisch und mißtrauisch schien er mit Verachtung auf die einfachen Beschäftigungen oder Vergnügungen, ja selbst die Andachtsübungen der Frauen, mit denen er zusammenlebte und die er unter so leichtsinnigen Vorwänden verließ, herabzusehen.

Die Geschichte mit der Fotheringay erschreckte und beleidigte Fräulein Laura ebenfalls sehr, als sie davon hörte. Sie erfuhr sie zuerst durch irgendwelche sarkastischen Anspielungen von Major Pendennis, als derselbe in Fairoaks Besuch machte, und dann von ihren Nachbarn aus Clavering, die ihr über diesen Punkt Aufklärung in Hülle und Fülle gaben. Ein Pendennis sich an ein Weib wie dieses wegwerfen! Helenes Sohn galoppierte Tag für Tag von Hause hinweg, um vor einer Komödiantin auf die Knie zu fallen und mit ihrem abscheulichen Vater zu zechen! Ihr guter Sohn wollte solchen Mann und solche Frau in sein Haus bringen und sie über seine Mutter setzen! »Ich wäre weggelaufen, Mama, ganz gewiß, und hätte ich barfuß durch den Schnee gehen müssen,« sagte Laura.

»Und du würdest mich dann auch verlassen haben?« antwortete Helene, woraufhin natürlich Laura ihre vorige Bemerkung zurücknahm und die beiden Frauen einander stürmisch mit der Herzlichkeit umarmten, die ihren beiden Naturen eigentümlich war und die nicht wenige ihres Geschlechts charakterisiert. Woher kam all dieser Unwille Fräulein Lauras hinsichtlich Arthurs Leidenschaft? Vielleicht wußte sie 386 nicht, daß, wenn Männer sich an Frauen wegwerfen, sich auch Frauen manchmal an Männer wegwerfen, und daß die Liebe sich durchaus nicht anders erklären läßt, als irgendeine andere natürliche Neigung oder Abneigung; vielleicht war sie von den Leuten aus Clavering auch falsch berichtet worden, und die alte Frau Portman, die gegen Pen unendlich erbittert war, besonders wegen seines impertinenten Benehmens gegen den Doktor und seit der arme Mensch während der Zeit, wo er in die Kirche gehen sollte, Zigarren geraucht hatte, war vielleicht am Ende eifersüchtig; aber dies ist eine Untugend, die Frauen nur sehr selten haben sollen, wie man sagt.

Wie dem auch sein möge, sie war auf Pen böse, gegen seine Mutter hatte sie jedoch kein solches Gefühl, sondern sie gab sich Helenen sogar mit der äußersten Stärke ihrer mädchenhaften Zuneigung hin, einer Zuneigung, wie sie Frauen, deren Herzen noch frei sind, häufig einer nächsten Freundin erweisen. Es war eine Hingebung, eine Leidenschaft; es waren alle Arten von Zärtlichkeit und Torheit; es war eine verschwenderische Fülle von Liebkosungen, zärtlichen Beinamen und Liebesbeweisen, wie sie ein nüchterner bärtiger Geschichtsschreiber geziemenderweise nicht nacherzählen darf.

Wir Menschen wollen aber diese Antriebe nicht verachten, weil wir sie nicht nachfühlen können. Diese Frauen wurden ja zu unserer Behaglichkeit und Wonne erschaffen, meine Herren, – mit all den übrigen untergeordneten Wesen. Aber sobald Fräulein Laura hörte, daß Pen unglücklich und leidend sei, verschwand 387 all ihr Zorn gegen ihn auf der Stelle und machte dem zärtlichsten und unvernünftigsten Mitleide Platz. Er war wieder der Pen der alten Tage, der ihr noch einmal wieder gegeben war, der offene, liebevolle, der großherzige und zärtlichfühlende Pen. Sie nahm sogleich mit Helene gegen Doktor Portman Partei, als er gegen die ungeheure Größe von Pens Schulden losdonnerte. Schulden? Was waren denn seine Schulden? Sie waren eine Kleinigkeit; er war auf Befehl seines Onkels in eine Gesellschaft gestürzt worden, die viel Geld kostete, und war natürlich gezwungen, in derselben Art wie die jungen Leute zu leben, mit denen er Umgang hatte. Er war entehrt, weil er den akademischen Grad nicht erlangt hatte? Der arme Junge war schon krank, als er ins Examen ging, er konnte nicht an seine Mathematik und den übrigen Unsinn denken, eben wegen dieser Schulden, die ihn niederdrückten; höchst wahrscheinlich waren einige der verhaßten Studiendirektoren und Schulmeister neidisch auf ihn und hatten Günstlinge, die sie gern über ihn gestellt hätten. Andere Leute konnten ihn nicht leiden, waren grausam zu ihm und ungerecht, dessen war sie ganz sicher. Und so fuhr dieses junge Geschöpf mit vor Aerger geröteten Wangen und funkelnden Augen fort, ihre Beweise zu führen, und sie ging zu Helene, ergriff deren Hand und küßte sie in Gegenwart des Doktors; ihre Blicke trotzten dem Doktor und schienen ihn zu fragen, wie er es sich nur unterstehen könnte, ein Wort gegen den Pen ihrer lieben guten Mutter zu sagen.

Als dieser Gottesmann dann, nicht wenig aus der 388 Fassung gebracht und erstaunt über den hartnäckigen Widerstand der Weiber sich verabschiedete, wiederholte Laura ihre Umarmungen und Argumente mit zehnfacher Glut gegen Helene, welche fand, daß in den meisten der letzteren eine große Beweiskraft läge. Es mußte irgendeine Gehässigkeit gegen Pen obgewaltet haben. Sie fühlte es ganz sicher, daß er irgendeinen der Examinatoren beleidigt hatte, der dann eine gemeine Rache an ihm genommen – nichts war wahrscheinlicher. Genug, die Nachricht von diesem Mißgeschicke betrübte diese beiden Damen wirklich nur sehr wenig. Pen, der zu London in Scham und Kummer bis über die Ohren stak und bei dem Gedanken an den Kummer seiner Mutter von den größten Gewissensbissen gefoltert wurde, würde sich verwundert haben, hätte er gesehen, wie leicht sie das Unglück ertrug. Ja, das Unglück ist den Frauen sogar willkommen, wenn sie meinen, daß es Treue und Zuneigung wieder ins Haus bringt, und wenn du deiner Gattin nichts als eine Brotrinde gelassen hast, so kannst du dich darauf verlassen, daß sie sich nicht beklagen und nur einen ganz kleinen Bissen davon für sich selbst in Anspruch nehmen wird, vorausgesetzt, daß du den Rest in ihrer Gesellschaft essen willst.

Und kaum war der Doktor fort, so ließ Laura Feuer in Arthurs Zimmer anzünden und seine Betten lüften; und als sie diese Vorbereitungen vollendet hatte, während welcher Zeit Helene einen sehr zärtlichen und liebevollen Brief an Pen vollendet hatte, ergriff das Mädchen, liebevoll lächelnd, ihrer Mutter Hand und führte sie in diese Zimmer, wo das Feuer lustig 389 flackerte. Da setzten sich diese beiden zärtlichen Geschöpfe auf das Bett nieder und sprachen lange, lange über Pen. Laura fügte zu Helenes Brief ein Postskriptum, in dem sie ihn ihren teuersten Pen nannte und ihm augenblicklich, – das Wort mit zweien der hübschesten Striche unterstrichen – nach Hause zu kommen und mit seiner Mutter und seiner ihn zärtlich liebenden Schwester Laura glücklich zu sein befahl.

Mitten in der Nacht, als diese beiden Damen, nachdem sie einen großen Teil des Abends mit Bibellesen verbracht und dann noch einen Blick in Pens Zimmer getan hatten, nach ihrem eigenen Zimmer gegangen waren – mitten in der Nacht also rief Laura, deren Haupt nicht selten das Kopfkissen einzunehmen pflegte, auf dem die Nachtmütze des seligen Pen zu ruhen gewohnt gewesen, plötzlich: »Mama, bist du wach?«

Helene richtete sich auf und sagte: »Ja, ich bin wach.« In Wahrheit hatte sie, obwohl sie ganz ruhig und still dagelegen, doch keinen einzigen Augenblick geschlafen, sondern hatte auf die Nachtlampe im Kamin hingeblickt und Stunde um Stunde an Pen gedacht.

Dann fing Fräulein Laura (die mit gleicher Heuchelei gehandelt hatte und, mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, so regungslos wie Helenens Broche mit Pens und Lauras Haaren drinnen auf dem gepreßten weißen Nadelkissen auf dem Toilettentisch dagelegen hatte) an, Frau Pendennis von einem klugen Plane zu erzählen, den sie sich in ihrem geschäftigen kleinen Hirne ausgedacht, und durch welchen Pens gesamte Verlegenheiten in einem Augenblick beseitigt sein 390 würden, und zwar ohne die geringste Unannehmlichkeit für irgend jemand.

»Du weißt, Mama,« sagte die junge Dame, »daß ich zehn Jahre lang bei dir gelebt habe, während welcher Zeit du nie etwas von meinem Gelde genommen und geradeso an mir gehandelt hast, als ob ich ein armes Waisenmädchen wäre. Diese Verbindlichkeit hat mir nun sehr schwer auf dem Herzen gelegen, weil ich stolz und keineswegs geneigt bin, gegen jemand Verbindlichkeiten zu haben. Und da ich, wenn ich in eine Pension gekommen wäre – was ich aber nicht wollte – wenigstens jährlich fünfzig Pfund bezahlt haben würde, so ist es klar, daß ich dir fünfzigmal zehn Pfund schuldig bin, die du, wie ich weiß, für mich in die Bank von Chatteris eingelegt hast und die mir gar nicht gehören. Also wollen wir morgen nach Chatteris zu dem hübschen alten Herrn Rowdy mit dem kahlen Kopf gehen und ihn darum bitten – nicht um seinen Kopf, sondern um die fünfhundert Pfund, und ich denke doch, er wird uns noch zweihundert dazu borgen, die wir ersparen und ihm zurückzahlen werden; wir werden Pen das Geld senden, der damit all seine Schulden, ohne irgend jemand zu schädigen, bezahlen kann, und wir werden dann für immer glücklich leben.«

Was Helene auf diese Worte entgegnete, braucht nicht wiederholt zu werden, da die Antwort der Witwe nur aus einer großen Anzahl unzusammenhängender Ausrufe, Umarmungen und anderen nicht hierher gehörenden Dingen bestand. Aber die beiden Frauen schliefen nach diesem Gespräche vortrefflich, und als 391 die Nachtlampe mit einem letzten Aufflackern erlosch, die Sonne in ihrer Pracht über den purpurnen Hügeln aufstieg und die Vögel zwischen den blattlosen Bäumen und glänzenden Immergrünsträuchern des Gartens zu Fairoaks munter zu singen und zu pfeifen begannen, erwachte auch Helene; und als sie auf das holde Gesicht des an ihrer Seite schlafenden Mädchens blickte, deren Lippen zu einem Lächeln geöffnet, deren Wangen gerötet waren, deren reiner Busen sich sanftwallend hob und senkte, als ob glückliche Träume über ihn hinwegzogen, da fühlte sich Pens Mutter glücklich und dankbar, daß sie es gar nicht sagen konnte, außer in der Weise, wie fromme Frauen dem gütigen Verleiher aller Liebe und Gnade danken, zu dessen Ehre ein Chor solcher Lobgesänge beständig in der ganzen Welt aufsteigt.

Obwohl es Januar und ziemlich kaltes Wetter war, fühlte Herr Pen doch so aufrichtige Reue und war so entschlossen in seinem Vorsatze, sparsam zu sein, daß er nicht einmal einen Platz im Innern der Postkutsche nehmen wollte, sondern sich zu seinem Freunde, dem Schaffner, hintenaufsetzte, der ihm in Erinnerung seiner früheren Freigebigkeit Mäntel die Hülle und Fülle gab. Vielleicht war es die Kälte, die seine Knie erzittern ließ, als er am Hoftore abstieg; vielleicht war er auch bewegt bei dem Gedanken, das liebreizende Wesen zu erblicken, dessen Güte er mit solcher Selbstsucht vergolten hatte. Der alte John wartete an der Tür, um das Gepäck seines Herrn in Empfang zu nehmen, aber er erschien in einer Barchentjacke und trug nicht mehr seine Livree von Braun und Blau. »Ich bin jetzt 392 Gärtner und Stallmann und wohne in der Portierstube,« bemerkte dieser würdige Mann mit einem Grinsen, das Pen willkommen hieß, und einer Art von Erröten; aber kaum war Pen um die Ecke des Heckenzaunes gebogen und aus dem Gesichtskreis der Kutsche verschwunden, so trat ihm Helene entgegen, und ihr Antlitz strahlte von Liebe und Verzeihung, denn Verzeihen ist ja dasjenige, was manche Frauen am meisten lieben.

Wir können versichert sein, daß die Witwe, die noch eine gewisse andere Sache im Auge hatte, keinen Augenblick gezögert hatte, Pen von dem edeln, hochherzigen, herrlichen Anerbieten Lauras in Kenntnis zu setzen, indem sie ihren Brief mit überströmenden Segenswünschen für ihre beiden Kinder füllte. Möglicherweise war es das Bewußtsein dieser pekuniären Verpflichtung, welches verursachte, daß Pen beim Anblicke Lauras, die in der Halle des Hauses auf ihn wartete, und welche diesmal und nur dies einemal das kleine gegenseitige oben besprochene Uebereinkommen, das zwischen ihr und Arthur seit den letzten paar Jahren bestanden hatte, brach; – aber es ist tatsächlich in diesem Kapitel schon viel zu viel vom Küssen geredet worden.

So kam der verlorene Sohn nach Hause, und das gemästete Kalb wurde für ihn geschlachtet; und er wurde so glücklich gemacht, wie zwei einfache Frauen ihn nur machen konnten. Eine Zeitlang wurden keine Anspielungen auf das Oxbridger Mißgeschick gemacht, er wurde auch nicht nach seinen weiteren Absichten gefragt. Aber Pen überlegte sich alles höchst angelegentlich in seinem eigenen Gemüte, wenn er oben in seinem 393 Zimmer war, wo er viel Zeit mit Nachdenken verbrachte.

Ein paar Tage nach seiner Heimkehr ritt er auf seinem Pferde nach Chatteris und kam auf dem Kutschendache wieder. Er benachrichtigte dann seine Mutter, daß er sein Pferd zum Verkauf dortgelassen hatte, und als dies Geschäft erledigt war, händigte er ihr den Check ein, was sie, und möglicherweise auch Pen selbst, für einen Akt ungewöhnlicher Seelengröße und Selbstverleugnung hielt, was aber Laura nur für recht und billig erklärte.

Er erwähnte selten das Darlehen, das sie gegeben und das mit gewissen Abänderungen tatsächlich von der Witwe angenommen worden war; aber ein paarmal spielte er mit großem Zaudern und Stammeln darauf an und dankte ihr. Es tat seiner Eitelkeit augenscheinlich weh, der Waise für ihre Hilfe verpflichtet zu sein. Er zerbrach sich den Kopf, um ein Mittel ausfindig zu machen, sie bezahlen zu können.

Er ließ das Weintrinken und gewöhnte sich, aber selbst darin sehr mäßig, an die Erfrischung von Whiskywasser. Er gab das Zigarrenrauchen auf; aber es muß dabei eingestanden werden, daß er schon die letzten Jahre Pfeifen und Tabak ebenso gern oder sogar noch lieber gehabt hatte, sodaß dies Opfer kein sehr schweres war.

Er schlief oft nach dem Mittagessen ein, wenn er sich zu den Damen ins Empfangszimmer setzte, und war wirklich sehr niedergeschlagen und melancholisch. Er beobachtete die vorbeifahrenden Kutschen mit großem Interesse, ging fleißig nach Clavering, um die Zeitungen zu lesen, speiste bei jedem, der ihn zu Tische bat 394 (und die Witwe war froh, daß er an ihrem einsamen Orte irgendwelche Unterhaltung hatte) und spielte viel Cribbage mit Kapitän Glanders.

Er vermied Doktor Portman, der seinerseits, wenn Pen vorüberging, ihm unter seinem aufgekrämpten Hute hervor sehr strenge Blicke zuwarf. Er ging aber mit seiner Mutter sehr regelmäßig zur Kirche und las an ihrer Statt daheim das Morgen- und Abendgebet dem kleinen Haushalt vor. Stets bescheiden, war dieser nun um ein Bedeutendes vermindert; ein paar Mägde taten die Arbeit im Hause von Fairoaks, die silbernen Schüsseldeckel sahen überhaupt nie mehr das Tageslicht. John legte seine Livree nur zur Kirche an oder um an Sonntagen seine Würde zu zeigen, aber es war dies eine bloße Formsache. Er war als Gärtner und Portier an die Stelle Uptons getreten, der abgegangen war. Es brannte nur ein kleines Feuer in der Küche von Fairoaks, und John und die Mägde tranken ihr Abendbier beim Schein einer einzigen Kerze. An alledem war Herr Pen schuld, und der Stand der Dinge vergrößerte natürlich nicht seine Fröhlichkeit.

Eine Zeitlang sagte Pen, keine Macht der Erde könnte ihn vermögen, wieder nach Oxbridge zurückzugehen, nachdem er dort solches Mißgeschick gehabt; aber eines Tages sagte Laura unter wiederholtem Erröten zu ihm, sie glaube, als eine Art von Ausgleichung, von Strafe, die er an sich selbst für seine Trägheit vollstrecke, müßte er zurückkehren und seinen Grad erlangen, wenn er sich ihn auf diese Weise holen könnte; und so kehrte Herr Pen dann zurück.

Ein durchgefallener Student ist ein trauriges Ding 395 auf einer Universität; er gehört zu keiner Gesellschaft dort, und keine will ihn haben. Pen fühlte sich tatsächlich durch seinen Durchfall all der schönen Federn beraubt, die er während seiner glanzvollen Jahre aufgesteckt; er erschien nur selten außerhalb des Kollegiums, ging regelmäßig in den Morgengottesdienst und schloß sich des Nachts in seine Zimmer ein, fern von den lärmenden Gelagen der anderen Studenten. Es waren keine Gläubiger mehr an seiner Tür; sie waren alle bezahlt; kaum steckte hier und da noch eine Karte. Die Leute seines Semesters hatten ihren Grad erlangt und waren abgegangen. Er ging in ein zweites Examen und bestand es mit vollkommener Leichtigkeit. Er fühlte sich etwas freier ums Herz, als er in seinem Baccalaureusgewande erschien.

Auf seinem Heimwege von Oxbridge stattete er seinem Onkel in London einen Besuch ab; aber der alte Herr empfing ihn mit sehr kalten Blicken und wollte ihm kaum seinen Zeigefinger reichen. Er sprach danach ein zweites Mal vor, aber Morgan, der Kammerdiener, sagte, sein Herr wäre nicht zu Hause.

Pen kam nach Fairoaks zurück zu seinen Büchern, seinem trägen Hinbrüten, seiner Einsamkeit und Verzweiflung. Er fing verschiedene Trauerspiele an und schrieb ganze Bogen voll trübsinniger Verse. Er machte sich Studienpläne und verwarf sie wieder. Er dachte daran, sich in die spanische Legion einreihen zu lassen, dachte an einen Beruf. Er wütete gegen seine Gefangenschaft und verfluchte die Trägheit, die die Ursache davon gewesen. Helene sagte, er würde sich noch zu Tode grämen, und war betrübt, seine 396 Niedergeschlagenheit zu sehen. Sobald sie es ermöglichen könnten, sollte er fortgehen, er sollte nach London gehen, er sollte befreit werden von der eintönigen Gesellschaft der beiden armen Frauen. Sie war eintönig – sehr, gewiß! Die der zärtlichen Witwe stets eigene Melancholie schien sich in einen noch traurigeren Trübsinn zu vertiefen, und Laura sah mit Angst, daß die teure Freundin mit jedem Jahre schwächer und müder und ihre bleiche Wange welker wurde.



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