William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis, Band 1
William M. Thackeray

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Siebentes Kapitel

Der Major erscheint auf dem Kampfplatz

Unser Bekannter, Major Arthur Pendennis, kam zu rechter Zeit in Fairoaks an, nachdem er eine sehr üble Nacht im Postwagen verbracht, wo ein dicker Mitpassagier, der ganz unnatürlich aufgeschwollen in mehreren Ueberröcken stak, ihn in eine Ecke quetschte und durch unanständiges Schnarchen wach erhielt; wo ferner eine verwitwete Dame auf der anderen Seite nicht nur durch Verschließen aller Fenster des Fuhrwerks der frischen Luft den Zugang versperrte, sondern auch das Innere mit Düften von Jamaicarum und Wasser angefüllt hatte, den sie fortwährend aus einer in ihrem Strickbeutel aufbewahrten Flasche schlürfte; wo endlich jedesmal, wenn er ein Auge voll Schlaf bekommen, das Schmettern des Posthorns an den Schlagbäumen oder das Wackeln seines dicken Nachbarn, der ihm näher und näher rückte, oder das Spiel der Füße der Witwe auf seinen eignen zarten Zehen den armen Herrn sofort wieder zu den Schrecken und Wirklichkeiten des Lebens erweckten – eines jetzt vergangenen Lebens, das unmöglich geworden ist und nur noch in zärtlichen Erinnerungen lebt. Acht Meilen in der Stunde und so zwanzig oder fünfundzwanzig Stunden lang, in einer dichtverschloßnen Kutsche, auf hartem Sitze, mit Anlage zur Gicht, mit ewig wechselnden Postillonen, die murren, weil man 128 ihnen nicht genug in die Hand drückt, zum Mitpassagier jemand, der geistige Getränke liebt, – wer von uns hat diese Uebel in den fröhlichen alten Zeiten nicht ertragen? und wie konnte man bloß reisen unter solchen Schwierigkeiten? Und doch tat man es. Nacht und Morgen verging, und der Major stieg mit einem gelben Gesicht, einem borstigen Barte, einer Perücke, deren Locken aufgegangen waren, und heftigen rheumatischen Schmerzen, die ihm durch verschiedene Teile seines kränklichen Körpers zogen, an dem kleinen Hofgitter von Fairoaks ab, wo die Frau des Hausmeisters und Gärtners ihn ehrerbietig begrüßte, und Herr Morgan, sein Diener ihm einen noch weit respektvolleren Gruß widmete.

Helene lag auf der Lauer nach diesem erwarteten Gaste und sah ihn von ihrem Fenster aus. Aber sie kam nicht sogleich heraus, um ihn zu begrüßen. Sie wußte, daß der Major Ueberraschungen nicht liebte und einer kleinen Vorbereitung vor dem Sichtbarwerden bedurfte. Als Pen noch ein Knabe war, hatte er sich einmal die höchste Ungnade zugezogen, weil er von des Majors Toilettentisch ein kleines Maroquinkästchen verschleppt hatte, das, wie wir gestehen müssen, die Backenzähne des Majors enthielt, die er natürlich in der rüttelnden Postkutsche aus seinen Kinnbacken herausnehmen mußte, ohne die er sich aber nicht gern sehen ließ. Morgan, sein Bedienter, bewahrte das tiefste Geheimnis über seine Perücke, er kräuselte sie an versteckten Orten, er brachte sie geheim in das Zimmer seines Herrn; – denn auch nicht ohne seinen Haarschmuck pflegte sich der Major vor irgendeinem 129 Familiengliede oder irgendwelchem Bekannten zu zeigen. Er ging also in sein Zimmer und ergänzte diese Mängel; er brummte und stöhnte, und schnaufte und fluchte auf Morgan, während dieser seine Toilette bewerkstelligte, wie es ein alter Stutzer zu tun pflegte, der die ganze Nacht mit Rheumatismus aufgewesen ist und die Erfüllung eines langwierigen Geschäfts vor sich hat. Und als er endlich geschnürt, gelockt und gradegerichtet war, stieg er in das Besuchszimmer mit einer würdigen majestätischen Miene hinab, wie sie sich für den gebührte, der jetzt in seiner Person den Mann des Geschäfts und der seinen Lebensart vereinigte.

Pen war indes nicht da, nur Helene und die kleine Laura, die zu ihren Füßen nähte, und der er nie mehr als einen Zeigefinger gab, wie er es denn auch bei dieser Gelegenheit tat, nachdem er seine Schwägerin begrüßt hatte. Laura nahm den Finger zitternd, ließ ihn dann sinken – und floh danach aus dem Zimmer. Major Pendennis verspürte keine Lust, sie aufzuhalten, wollte sie eigentlich überhaupt nicht im Hause haben, und hatte für seine Abneigung gegen sie seine Privatgründe, die wir später einmal erwähnen werden. Inzwischen verschwand also Laura und strich zwischen den Gehöften umher, um Pen zu suchen, den sie sofort im Obstgarten fand, wo er in ernstem Gespräche mit Herrn Smirke auf- und abschritt. Er war so beschäftigt, daß er Lauras helle Stimme, die ihm zutönte, nicht einmal hörte, bis Smirke ihn am Rock zog und auf sie hinzeigte, die auf ihn zugelaufen kam.

Sie rannte herbei und legte ihre Hand in die seine. 130

»Komm herein, Pen,« rief sie, »es ist jemand da; Onkel Arthur ist da.«

»Wirklich, ist er wirklich da?« sagte Pen und sie fühlte, wie er ihre kleine Hand fester faßte. Er sah Smirke ungemein kühn an, als wollte er sagen: »Ich bin bereit für ihn oder jedermann« – Herr Smirke richtete seine Augen wie gewöhnlich zum Himmel empor und seufzte leise.

»Geh voraus, Laura,« sagte Pen mit halb kühner, halb komischer Miene – »geh voran und sage, daß ich meinen Onkel erwarte.« Aber er lachte nur, um seine große Angst zu verbergen, und schraubte seinen Mut innerlich mit Gewalt in die Höhe, um dem Gottesgericht stand zu halten, das ihm, wie er wußte, jetzt bevorstand.

Pen hatte in den beiden letzten Tagen Smirke ins Vertrauen gezogen, und nach dem Auftritt, der auf Dr. Portmans Entdeckung gefolgt war, und während der achtundvierzig Stunden, die er in Herrn Smirkes Gesellschaft verbracht, nichts getan, als zu seinem Erzieher von Fräulein Fotheringay – Fräulein Emilie Fotheringay – Emilie, usw. zu reden, welchem Gerede Smirke gern zugehört hatte, denn er war ja selbst verliebt und immer eifrig darauf bedacht, Pen als Brücke zu dienen, außerdem war er in der Tat selbst hochentzückt von den persönlichen Reizen dieser Göttin, deren gleichen er, der noch nie einer Theatervorstellung beigewohnt, bis jetzt noch nicht erblickt hatte. Pens Feuer und Lebhaftigkeit, seine heiße Beredsamkeit, seine reichen poetischen Bilder und Uebertreibungen, sein männliches, gütiges, glühendes und hoffnungsvolles 131 Herz, das an der Geliebten ebensowenig den geringsten Fehler sehen wollte, wie an ihrer beiden Lage irgendwelche Schwierigkeit, die er nicht zu überwinden vermöchte – dies alles hatte Herrn Smirke halb und halb überzeugt, daß die Sache, die Herr Pen vorgeschlagen, eine recht mögliche und klug ausgedachte sei, und daß es sehr schön sein werde, wenn Emilie in Fairoaks wohnte, Kapitän Costigan auf Lebenszeit das gelbe Zimmer bekäme und Pen sich mit achtzehn Jahren verheiratete.

Und tatsächlich hatte in diesen zwei Tagen der Junge fast auch seine Mutter überredet; er hatte alle ihre Einwendungen eine nach der andern mit jenem unausstehlichen Scharfsinn pariert, der oft die äußerste Abgeschmacktheit begleitet, und hatte sie schier dahin gebracht, sich in dem Glauben zu beruhigen, daß, wenn die Ehe im Himmel beschlossen wäre – ei nun so wäre sie eben beschlossen – daß, wenn die junge Dame nur eine gute Person sei, sie ihresteils nach weiter nichts mehr zu fragen hätte. Und so fürchtete sie beinahe die Ankunft des Vormundes und Onkels, der, wie sie voraussah, Herrn Pens Heirat von einem durchaus verschiedenen Standpunkt auffassen würde, als von jenem einfachen, romantischen, ehrlichen und maßlos einfältigen, von dem auch die Witwe bereits geneigt war, Fragen dieser Art anzusehen. Helene Pendennis war eine Frau vom Lande, und das Buch des Lebens, wie sie es sich auslegte, erzählte ihr eine Geschichte, die ganz verschieden war von der Seite dieses Buches, die man in den Städten liest. Sie gefiel sich (mit dem trübseligen Vergnügen, das die Idee, sich selbst zu 132 opfern, manchen Frauen macht) in dem Gedanken an den Tag, wo sie Pen alles übergeben würde, wo er ihr sein Weib brächte, wo sie die Schlüssel und das beste Schlafzimmer abgäbe, wo sie an der Seite des Tisches sitzen und ihn glücklich sehen würde. Was verlangte sie noch vom Leben, als den Jungen glücklich zu sehen? Da eine Kaiserin sicherlich nicht zu gut für ihn wäre, und sich sogar geehrt fühlen müßte, Frau Pen zu werden, so würde sie mit Sr. Lordschaft Wahl zufrieden gewesen sein, auch wenn er die bescheidene Esther anstatt der Königin Vashti erkoren hätte. Es kümmerte sie nicht, wie bescheiden oder arm die Person sein mochte, die diese ungeheure Ehre genoß; Frau Pendennis war gewillt, sich vor ihr zu beugen und sie willkommen zu heißen und ihr den ersten Platz einzuräumen. Aber eine Komödiantin – eine längst reife Frauensperson, die schon lange verlernt hatte, ohne Hilfe der Schminke zu erröten, wenn sie unter den neugierigen Blicken von Tausenden stand – eine ungebildete und höchstwahrscheinlich unerzogene Person, die in leichtfertiger Gesellschaft gelebt und zweideutige Gespräche mit angehört haben mußte. – Oh! es war hart, daß solch eine Person erwählt werden und die Matrone solch einer Sultanin den Platz räumen sollte.

Alle diese Zweifel legte die Witwe Pen im Verlauf dieser zwei Tage vor, die bis zur Ankunft des Onkels notwendigerweise noch vergehen mußten; aber er begegnete ihnen mit jener glücklichen Offenheit und Gewandtheit, die ein junger Herr in seinem Alter zeigt, und machte die Einwürfe seiner Mutter zu seiner eignen unendlichen Genugtuung zunichte. Fräulein 133 Costigan war ein Ausbund von Tugend und Zartgefühl! Sie war so fein empfindend, wie das schüchternste Mädchen; sie war so rein, wie frischgefallener Schnee; sie hatte die feinsten Umgangsformen, den anmutigsten liebenswürdigsten Verstand, die bezauberndste Bildung und das richtigste Urteil in der Abschätzung aller Geschmackssachen; sie besaß den bewundrungswürdigsten Charakter und war voll Hingebung für ihren Vater, einen guten alten Edelmann aus hoher verarmter Familie, der trotzdem mit der besten Gesellschaft Europas verkehrt hatte. Er habe es übrigens nicht so eilig, er könnte noch etwas warten – bis zu seinem einundzwanzigsten Jahre. Aber er fühlte es (und hier nahm sein Gesicht einen furchtbar feierlichen Ausdruck an), daß dies die eine und einzige Leidenschaft seines Lebens sei, und daß nur der Tod sie enden könne.

Helene erzählte ihm mit traurigem Lächeln und Schütteln des Hauptes, daß man diese Leidenschaften überlebe, und was die langen Bekanntschaften zwischen sehr jungen Leuten und ältern Frauen beträfe – so wüßte sie an einem Beispiel aus ihrer eignen Familie – Lauras armer Vater war das Beispiel – wie verhängnisvoll sie wären.

Herr Pen war aber trotzdem entschlossen, daß der Tod sein Ziel sein müsse, wenn sein Vorhaben fehlschlüge, und ehe sie dies verschuldete – ehe sie seinen Plan in Wirklichkeit vereitelte – hätte diese Dame jedes Opfer gebracht und jedes persönliche Leid getragen, und wäre niedergekniet und hätte die Füße einer Hottentottenschwiegertochter geküßt.

Arthur kannte seine Macht über die Witwe, und 134 der junge Tyrann war gerührt darüber, als er sie ausübte. In diesen zwei Tagen brachte er sie fast zur Unterwerfung und begönnerte sie dabei sehr gütig. Er verbrachte einen Abend mit der lieblichen Pastetenbäckerin zu Chatteris, wo er mit dem Einfluß, den er auf seine Mutter hätte, prahlte; und die andre Nacht verwendete er auf das Dichten eines flammenden und schwungvollen Hymnus auf seine Göttin, in dem er, wie Montrose, gelobte, sie durch sein Schwert bekannt und durch seine Feder berühmt zu machen, und sie zu lieben, wie seit Erschaffung des Weibes noch keins angebetet worden sei.

Es war in dieser Nacht, lange nach Mitternacht; Helene konnte nicht schlafen und ging verstohlen an der Tür ihres Sohnes vorüber. Sie sah, wie durch die Ritze der Tür Licht auf den finstern Gang herausfiel, und hörte wie Pen sich im Bette herumwarf und Verse murmelte. Sie wartete draußen eine Weile, indem sie ängstlich auf ihn lauschte. Bei den Fiebern und Krankheiten der Kinderjahre des Knaben hatte die gute Seele einst manche Nacht so Wache gehalten. Sie drehte die Klinke jetzt so vorsichtig und ging so leise hinein, daß Pen sie einen Augenblick lang gar nicht bemerkte. Sein Gesicht war von ihr abgewandt. Die Papiere auf seinem Schreibpult waren herumgestreut, und noch andre lagen auf dem Bette um ihn herum. Er kaute an seinem Bleistift und sann auf Reime und alle Arten von leidenschaftlichen Torheiten. Er war der Hamlet, der in Ophelias Grab springt, er war der ›Fremde‹ der ›Frau Haller‹ mit den Rabenlocken, die ihre Schultern umwallen. Verzweiflung und 135 Byron, Thomas Moore und alle Liebe der Engel, Waller und Herrick, Béranger und alle Liebeslieder, die er je gelesen hatte, brodelten und siedeten in dem Hirn dieses jungen Gentleman, und der Paroxysmus seines phantastischen Wahnwitzes war eben zur höchsten Höhe gediehen, als seine Mutter zu ihm kam.

»Arthur,« sagte der Mutter sanfte Silberstimme, und er fuhr auf und blickte um sich. Er faßte ein paar von den Papieren zusammen und schob sie unter das Kopfkissen.

»Warum schläfst du denn nicht, Lieber?« sagte sie mit sanftem zärtlichem Lächeln, und setzte sich auf das Bett nieder und ergriff eine seiner heißen Hände.

Pen sah sie einen Augenblick wild an. »Ich konnte nicht schlafen,« sagte er – »ich – ich war – ich schrieb eben.« – Und hiernach schlang er seine Arme um ihren Hals und sagte: »O, Mutter! Ich liebe sie, ich liebe sie!« – Was konnte eine so gütige Seele anders tun, als ihn trösten und bemitleiden? Das sanfte Geschöpf tat sein Bestes und dachte mit seltsamer Verwunderung und Zärtlichkeit daran, daß es doch erst gestern gewesen war, als ein Kind in diesem Bette gelegen, und wie sie gekommen sei und ihr Gebet über ihn gesprochen habe, bevor er an dem Sonntagsmorgen erwacht sei.

Es waren höchst großartige Verse, ohne Zweifel, obgleich Fräulein Fotheringay sie nicht verstand; aber der alte Cos sagte zwinkernd und schlau einen Finger an die Nase legend: »Heb' sie mit anderen Briefen auf, liebste Milly. Poldoodys Gedichte waren nichts dagegen.« Und so verschloß Milly die Manuskripte. 136

Als der Major also angekleidet und präsentabel war, stellte er sich Frau Pendennis vor, und schon nach einem Gespräch von zehn Minuten fand er heraus, daß die arme Witwe sich nicht nur bei dem Gedanken an die von Pen beabsichtigte Heirat grämte, sondern sich tatsächlich mehr über die Vorstellung bekümmerte, daß der Knabe selbst unglücklich darüber sein würde, und daß sein Onkel und er darüber heftig zusammengeraten würden. Sie bat Major Pendennis, recht sanft mit Arthur zu verfahren. »Er hat einen sehr feinfühligen Geist und wird sich durch unfreundliche Worte nicht beugen lassen,« deutete sie ihm an. »Doktor Portman sprach neulich ziemlich rauh zu ihm – und, wie ich zugestehen muß, ungerecht, – denn das Ehrgefühl meines lieben Jungen ist ein so feines, wie es eine Mutter nur wünschen kann – aber Pens Antwort erschreckte mich ordentlich, so entrüstet war er. Erinnern Sie sich, daß er jetzt schon ein Mann ist, und seien Sie sehr, sehr vorsichtig,« sagte die Witwe, indem sie ihre schöne schmale Hand auf den Aermel des Majors legte.

Er nahm dieselbe, küßte sie galant und sah ihr in das geängstigte Gesicht, halb mit Verwunderung, halb mit Aerger, den zu zeigen er zu höflich war. »Bon Dieu!« dachte der alte Praktikus, »der Junge hat die Frau richtig herumgekriegt, und sie hat ihm eine Frau versprochen, wie wenn das Jüngelchen um ein Spielzeug schreien würde. Warum gibt es hier keine solchen Dinger wie lettres de cachet und keine Bastille für Jüngelchen guter Familie?« Der Major lebte in so vornehmer Gesellschaft, daß man ihn entschuldigen wird, wenn er wie ein Earl fühlte. – Er küßte die 137 schüchterne Hand der Witwe, drückte sie in seinen beiden Händen und legte sie dann, von einer seiner Hände bedeckt, auf den Tisch, während er lächelte und ihr ins Gesicht sah.

»Bekennen Sie nur,« sagte er, »daß Sie jetzt nur daran denken, wie Sie es vor Ihrem Gewissen möglich machen könnten, daß der Junge doch seinen Willen bekäme.«

Sie errötete und war, wie dies bei Weibern üblich ist, gerührt. »Ich denke daran, daß er sehr unglücklich ist – und ich bin es auch.« –

»Wenn Sie ihm seinen Willen nicht tun oder doch tun?« fragte der andere und fügte innerlich sehr vergnüglich bei sich selbst zu: »Ich will verd . . . t sein, wenn er sie kriegt.«

»Wenn ich bedenke, daß er eine so törichte, schreckliche und verhängnisvolle Verbindung eingehen sollte,« sagte die Witwe, »die, laufe es ab, wie es wolle, nur mit Kummer enden kann.«

»Auf eine Heirat wird es wohl nicht hinauslaufen, liebe Schwägerin,« sagte der Major bestimmt. »Wir können doch nicht einen Pendennis als Haupt des Hauses haben, der eine herumstrolchende Komödiantin aus einer Bude heiratet. Nein, nein, wir dürfen unmöglich in den Greenwicher Jahrmarkt hineinheiraten, Madame.«

»Wenn das Verhältnis plötzlich aufgehoben wird,« unterbrach ihn die Witwe, »so weiß ich nicht, was die Folge sein wird. Ich kenne Arthurs hitziges Temperament, die Tiefe seiner Neigungen, die stürmische Weise, 138 mit der er sich seinen Freuden und Enttäuschungen überläßt, und ich zittere bei diesem einen, wenn es denn sein muß. Wahrhaftig, wahrhaftig, es darf ihn nicht zu plötzlich treffen.«

»Meine liebe Madame,« sagte der Major mit einer Miene des tiefsten Mitleids, »ich zweifle nicht daran, daß Arthur schrecklich zu leiden haben wird, ehe er diese kleine Enttäuschung überwinden wird. Aber meinen Sie vielleicht, daß er der einzige ist, der auf solche Weise elend wurde?«

»Nein, gewiß nicht,« sagte Helene, die Augen niederschlagend. Sie dachte an ihr eigenes Schicksal und war in diesem Augenblick wieder das siebzehnjährige Mädchen und sehr unglücklich.

»Ich selbst,« flüsterte ihr Schwager, »habe in früheren Jahren eine Enttäuschung erlebt. Eine junge Dame mit fünfzehntausend Pfund, die Nichte eines Earl – ein sehr vollkommenes Geschöpf – der dritte Teil ihres Geldes würde mir in aller Ewigkeit in die Höhe geholfen haben, und ich wäre mit dreißig Oberstleutnant gewesen; aber es sollte nicht sein. Ich war nur ein armer Leutnant, ihre Verwandten traten dazwischen, und ich schiffte mich nach Indien ein, wo ich die Ehre hatte, Sekretär des Lord Buckley, der damals Oberbefehlshaber war, zu werden – ohne sie. Was geschah? Wir schickten uns unsere Briefe und Haarlocken zurück (hier fuhr der Major mit seinen Fingern durch seine Perücke), wir litten – aber wir genasen. Sie ist jetzt die Frau eines Baronets mit dreizehn erwachsenen Kindern, verändert in ihrem Aeußern, das ist wahr; aber ihre Töchter erinnern mich an das, was 139 sie einst war; die dritte wird nächste Woche in die Gesellschaft eingeführt.«

Helene antwortete nicht. Sie dachte noch immer an alte Zeiten. Ich glaube, wenn einer auch hundert Jahre leben sollte, so gibt es doch gewisse Punkte in seinem früheren Leben, deren Erinnerung ihn immer wieder in die Jugend zurückführen wird, und ich bin sicher, daß Helene an einen solchen dachte.

»Denken Sie an meinen eigenen Bruder, meine Liebe,« fuhr der Major galant fort, »auch er hatte, wie Sie wissen, eine kleine Enttäuschung, als er – als er Mediziner wurde, wo sich ihm eine gute Gelegenheit bot. Fräulein Balls, ich entsinne mich des Namens, die Tochter eines Apoth – eines Arztes mit sehr großer Praxis; mein Bruder wäre sehr wahrscheinlich sein Nachfolger geworden. – Aber Schwierigkeiten traten ein, Enttäuschungen kamen, und – und, wahrhaftig, er hat keine Veranlassung gehabt, der Enttäuschung gram zu sein, die ihm diese Hand verschaffte,« sagte der Major und drückte abermals galant Helenes Finger.

»Solche Heiraten zwischen Leuten von so verschiedenem Stand und Alter sind traurige Dinge,« sagte Helene. »Ich habe viel Unglück aus ihnen hervorgehen sehen. – Lauras Vater, mein Vetter, der – der mit mir erzogen wurde« – fügte sie leise hinzu, »war ein Beispiel davon.«

»Höchst unsinnig,« warf der Major ein. »Ich kenne nichts Schrecklicheres für einen Mann, als jemand Aelteres und Niedrigeres von Stand zu heiraten. Denke man sich jemand, der eine Frau aus niederem 140 Stande heiratet, die ihm sein ganzes Haus mit ihrem verteufelten Lumpenpack und Janhagel von Verwandten vollpfropft! Denke man sich eine Frau neben sich, die zu einer Mutter hält, die kein H aussprechen kann oder statt Maria Marire sagt! Wie könnte man die in die Gesellschaft einführen? Meine liebe Frau Pendennis, ich will keine Namen nennen, aber in den allerbesten Zirkeln der Londoner Gesellschaft habe ich Männer wahre Todesqualen deshalb erleiden sehen. Ich sah sie beiseite gesetzt, ganz und gar ausgeschlossen, einzig und allein wegen der niedrigen Verwandtschaften ihrer Frauen. Was tat Lady Snapperton vergangenes Jahr bei ihrem déjeuner dansant nach dem Böhmischen Ball? Sie sagte, Lord Brouncker möge seine Töchter mitbringen oder sie unter geeigneter Obhut schicken, sie werde aber Lady Brouncker nicht empfangen; diese war nämlich die Tochter eines Drogisten oder so etwas dergleichen. Guter Gott, was hätte der kleine Schmerz einer Trennung zu rechter Zeit gegen die fortdauernde Verurteilung zum Umgang mit einer unpassenden Frau und niedrigen Leuten zu bedeuten gehabt.«

»Nun, wahrhaftig!« sagte Helene, die nicht übel Lust zum Lachen hatte, aber den Reiz dazu zurückdrängte, weil sie sich erinnerte, welch' ungeheuren Respekt ihr verstorbener Gatte vor Major Pendennis und seinen Geschichten aus der vornehmen Welt gehabt hatte.

»Dann ist dieses fatale Frauenzimmer auch zehn Jahre älter, als dieser einfältige, junge Schlingel von Arthur. Wie geht es in solchen Fällen, meine Liebe? Ich kann Ihnen, wo wir hier allein sind, wohl sagen, daß selbst in den höchsten Kreisen der Gesellschaft 141 Elend, unausbleibliches Elend das Ergebnis ist. Sehen wir da z. B. Lord Clodworthy mit seiner Frau ins Zimmer treten, ei, guter Gott, sie sieht wie Clodworthys Mutter aus! Wie ist's da ferner mit Lord und Lady Willowbank, deren Liebesgeschichte allgemein bekannt war? Er hat sie schon zweimal abgeschnitten, als sie sich aus Eifersucht auf Mademoiselle de Sainte Cunegonde, die Tänzerin, erhängt hatte; aber, denken Sie an mich, bei Gott, es wird ein Tag kommen, wo er das alte Weib nicht wieder abschneiden wird. Nein, meine gute Madame, Sie leben nicht in der Welt, aber ich; Sie sind eine kleine Romantikerin und voller Sentimentalität (Sie wissen das selbst – Frauen mit diesen großen, schönen Augen sind es immer); Sie müssen diese Sache meiner Erfahrung überlassen. Dieses Frauenzimmer heiraten! Mit achtzehn Jahren eine Schauspielerin von dreißig heiraten – bah, bah! – ich würde es ebenso gern sehen, wenn er in die Küche ginge und die Köchin heiratete.«

»Ich weiß, was es für Uebel mit sich bringt, wenn man sich vor der Zeit bindet,« seufzte Helene; und da sie diese Anspielung nicht weniger als dreimal im Laufe des hier erwähnten Gespräches gemacht hat und bei der Vorstellung langer Liebschaften und ungleicher Heiraten so schwer bedrückt scheint, und da der Umstand, den wir mitzuteilen haben, erklären wird, was vielleicht viele Personen gern wissen möchten, nämlich, wer die kleine Laura ist, die mehr als einmal hier aufgetaucht ist, so wird es gut sein, wenn wir diese Punkte in einem anderen Kapitel beleuchten. 142



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