William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis, Band 1
William M. Thackeray

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Vierzehntes Kapitel

Fräulein Fotheringay geht eine neue Verbindung ein

Kurze Zeit nach den oben erzählten Ereignissen spielte Herr Direktor Bingley seine berühmte Rolle als Rolla im »Pizarro« vor einem so ungemein dünnbesetzten Hause, daß es scheinen wollte, als ob die Rolle des Rolla bei den Leuten von Chatteris durchaus nicht so beliebt wäre, wie der talentvolle Schauspieler selbst. Kaum ein Mensch war im Theater. Der arme Pen hatte die Logen fast alle für sich und saß dort einsam, mit blutunterlaufenen Augen, über die Brüstung gelehnt, und wild auf die Szene blickend, als Cora hereinkam. Wenn sie nicht auf der Bühne war, sah er nichts. Spanier, Peruaner, Prozessionen und Schlachten, Priester und Sonnenjungfrauen traten auf und ab und redeten, aber Arthur nahm keine Notiz von irgendeinem von ihnen; er sah nur Cora, nach der seine Seele schmachtete. Er sagte nachher, er wunderte sich, daß er keine Pistole genommen und sie erschossen hätte, so toll war er vor Liebe und Wut und Verzweiflung; und wenn es nicht seiner Mutter wegen gewesen wäre, zu der er nichts von seinem unglücklichen Zustande sagte, deren ruhige Teilnahme und Aufmerksamkeit für ihn aber dem einfachen Knaben mit dem halbgebrochenen Herzen so wohl tat, wer weiß, ob er nicht etwas Verzweifeltes getan und sein Leben vorzeitig im Gefängnis von Chatteris geendet hätte? Dort saß er also, elend im tiefsten Herzen, 239 und sah nach ihr hin. Und sie nahm von ihm nicht mehr Notiz, als er von den übrigen Zuschauern.

Die Fotheringay war ungewöhnlich schön in einem weißen Kleide mit Leopardenfell, einer Sonne auf der Brust und schönen blitzenden Armspangen an ihren prächtigen leuchtenden Armen. Sie brachte die wenigen Worte ihrer Rolle bewunderungswürdig hervor und sah noch bewunderungswürdiger aus. Die Augen, die Pens Seele gefangen genommen hatten, rollten und funkelten so herrlich wie immer; aber nicht er war es, auf den sie heute Abend gerichtet waren. Er wußte nicht, auf wen, bemerkte auch die beiden Herren nicht in der Loge neben sich, auf welche Fräulein Fotheringays Augen fortwährend hinleuchteten.

Ebensowenig hatte Pen die außerordentliche Veränderung bemerkt, die kurz nach dem Eintritt dieser beiden Gentlemen ins Theater auf der Bühne stattgehabt hatte. Es waren so wenige Leute im Hause, daß der erste Akt des Schauspiels sich ganz schrecklich in die Länge zog, und es war bereits die Frage laut geworden, ob das Geld nicht zurückerstattet werden müßte, wie in jener anderen unglücklichen Nacht, als der arme Pen fortgetrieben worden war. Die Schauspieler gaben sich nicht die geringste Mühe bei ihren Rollen, gähnten während des Dialogs und sprachen laut miteinander während der Zwischenpausen. Selbst Bingley war unaufmerksam und Frau Bingley als Elvira redete zu leise. Wie kam es nun, daß Frau Bingley ganz plötzlich ihre Stimme zu erheben und gleich einem Stier von Basan zu brüllen begann? Woher kam es, daß Bingley seine Apathie abwarf, 240 plötzlich auf der Bühne umhersprang und wie Kean zu donnern anfing? Warum versuchten Garbetts und Rowkins und Fräulein Rouncy wetteifernd die Kraft ihrer Reize und ihrer Anmut, und gestikulierten und renommierten und warfen Blicke und ergossen gewaltige Reden, und all das zu den beiden Herren in Loge Nr. 3?

Der eine von ihnen war ein ruhiger kleiner Mann in Schwarz, mit grauem Kopfe und lustigem verlebten Gesichte – der andere war in jeder Hinsicht eine glänzende und auffallende Erscheinung. Er war ein hochgewachsener und stattlicher Gentleman mit einer gebogenen Nase und einer reichen Fülle lockigen braunen Haupt- und Barthaares; sein Rock war mit den schönsten Schnurenverzierungen und einem Sammetkragen geschmückt. Er hatte zwei Westen an, trug viele blitzende Ringe, juwelenbesetzte Nadeln und eine Halskette. Als er sein gelbes seidenes Taschentuch mit seiner Hand, die in weißem Ziegenleder steckte, herauszog, strömte ein köstlicher Geruch von Moschus und Bergamott hervor, der das ganze Haus erfüllte. Er war augenscheinlich eine Persönlichkeit hohen Ranges, und zu ihm hin spielte die kleine Gesellschaft von Chatteris an diesem Abende.

Er war, um es mit einem Worte zu sagen, niemand anders, als Herr Dolphin, der große Schauspieldirektor aus London, begleitet von seinem getreuen Freunde und Sekretär, Herrn William Minns, ohne den er niemals reiste. Er war noch nicht zehn Minuten im Theater gewesen, als seine erhabene Anwesenheit dort von Bingley und den übrigen bemerkt worden war, 241 worauf sie alle ihr Bestes im Spiel leisteten und seine Aufmerksamkeit zu erregen versuchten. Sogar Fräulein Fotheringays stumpfsinniges, sich durch nichts stören lassendes Herz fühlte vielleicht etwas von ängstlicher Erwartung, als sie dem berühmten Impresario von London gegenüberstand. Sie hatte nicht viel zu tun in ihrer Rolle, als hübsch auszusehen und sich in malerischen Stellungen um ihr Kind herumzubewegen, und dies tat sie bewunderungswürdig. Vergeblich versuchten die verschiedenen Schauspieler die Gunst des großen Bühnensultans zu erringen. Pizarro konnte ihm kein Klatschen abgewinnen. Bingley kreischte, und Frau Bingley brüllte, und der Direktor von London nahm nur eine oder die andere Prise aus seiner großen goldenen Schnupftabaksdose. Nur in der letzten Szene, wo Rolla mit dem Kinde hineingeschwankt kommt (Bingley war nicht mehr so kräftig wie früher, und sein vierter Sohn, Master Talma Bingley, ist ein ungeheuerlich schweres Kind für sein Alter) – als also Rolla mit dem Kinde zu Cora hereingeschwankt kommt, die mit einem lauten Aufschrei auf ihn zustürzt und sagt: »O mein Gott, es ist Blut an ihm!« – da klatschte der Londoner Direktor Beifall und brach in ein enthusiastisches ›Bravo‹ aus.

Als Herr Dolphin mit seinem Applaus fertig war, klopfte er seinem Sekretär auf die Schulter und sagte: »Donnerwetter, Billy, die macht sich!«

»Wer mag ihr nur diese Kniffe beigebracht haben?« sagte der alte Billy, der ein sardonischer alter Gentleman war – »ich entsinne mich ihrer vom 242 Olympiatheater und lasse mich hängen, wenn sie bis drei zählen konnte.«

Der kleine Herr Bows im Orchester unten hatte ihr die fraglichen »Kniffe« beigebracht. Die ganze Gesellschaft hörte den Applaus, und als der Vorhang niederging, kamen sie alle zu Fräulein Fotheringay, beglückwünschten und – haßten sie von ganzem Herzen.

Jetzt aber müssen wir über Herrn Dolphins Erscheinen in dem Theater des entlegenen kleinen Chatteris folgendermaßen Bericht ablegen. Trotz all seinen Anstrengungen und den unaufhörlichen Triumphen, den strahlenden Talenten, den Siegen der guten alten englischen Komödie, die seine Theaterankündigungen ausriefen, hatte sein Theater (das wir, mit gütiger Erlaubnis und um keine gegenwärtig dort befindlichen argwöhnischen Gemüter und neu angelegten Kapitalien zu schädigen, das Museumstheater nennen werden) doch durchaus keine Geschäfte gemacht, und der berühmte Impresario sah sich dem Ruin nahe. Der große Hubbard hatte zwanzig Abende im Drama großen Stils gespielt und niemand als sich selbst bezahlt gemacht; die berühmten Herr und Frau Cawdor waren in Herrn Rawheads Tragödie und in ihrem beliebtesten Rollenrepertoire aufgetreten und hatten das Publikum nicht angelockt. Herrn Garbages Löwen und Tiger hatten ein Weilchen gezogen, bis eins der Tiere dem Herrn ein Stück aus der Schulter gebissen; wonach der Lordkämmerer dazwischentrat und derartige Vorstellungen untersagte; und das große lyrische Drama endlich, obwohl mit beispielloser Pracht und ebensolchem Erfolge auf die Szene gebracht, mit Herrn 243 Poumons als ersten Tenor und einem außerordentlich starken Orchester in Szene gesetzt, hatten den armen Dolphin auf seiner Triumphbahn fast ganz ruiniert, so daß sein Genie und seine Hilfsquellen, so reich beide auch sein mochten, doch beinahe erschöpft waren. Er schleppte sich die Saison erbärmlich mit halben Gehältern, kleinen Opern, schwachen alten Lustspielen und seiner Ballettgesellschaft hin, und jedermann erwartete den Tag, wo er als bankerott in der Zeitung stehen würde.

Einer der erlauchten Gönner des Museumtheaters und Inhaber der Proszeniumsloge war ein Gentleman, dessen Name in einer vorangegangenen Geschichte erwähnt worden ist, nämlich jener hochgebildete Beschützer der Künste und erleuchtete Liebhaber der Musik und des Theaters, der hochedle Marquis von Steyne. Seiner Lordschaft Geschäfte als Staatsmann hielten ihn ab, das Theater sehr oft zu besuchen und sehr frühzeitig zu erscheinen. Aber er kam gelegentlich, wenn das Ballett anfing und wurde stets mit der größten Ehrerbietung vom Direktor empfangen, von dem er manchmal einen Besuch in seiner Loge anzunehmen geruhte. Diese stand mit der Bühne in Verbindung, und wenn sich dort etwas zutrug, das ihm besonders gefiel, wenn z. B. ein neues Gesicht unter den Koryphäen auftauchte oder eine schöne Tänzerin einen Pas mit besonderer Grazie und Behendigkeit ausführte, so pflegten Herr Wenham, Herr Wagg oder irgendein anderer Adjutant des edlen Marquis beauftragt zu werden, sich hinter die Bühne zu verfügen und das Lob des großen Mannes auszudrücken oder 244 Nachforschungen anzustellen, die entweder die Neugier Sr. Lordschaft oder sein Interesse an der dramatischen Kunst ihm eingaben. Lord Steyne konnte von dem Publikum nicht gesehen werden, denn er saß bescheiden hinter einer Gardine und sah nur auf die Bühne – aber, daß er im Hause war, konnte man an den Blicken erkennen, die das ganze Ballettkorps und die Solotänzerinnen nach seiner Loge warfen. Ich habe manches Dutzend Augenpaare (z. B. in dem Palmentanze im Ballett »Cook auf Otahiti«, wo nicht weniger als hundertzwanzig liebliche Wilde weiblichen Geschlechts mit Palmblättern und Federschürzen Floridar als Kapitän Cook umtanzten), diese Loge beäugeln sehen, als sie vor derselben spielten, und habe mich oft über die Geistesgegenwart des Fräuleins Sauterelle oder des Fräuleins de Bondi gewundert (letztere bekannt unter den Namen la petite Caoutchouc), die, obgleich sie in der Luft hin- und herflogen wie Weberschiffchen, doch immer ihre lieblichen Augen nach der Loge hinwinken ließen, in der der große Steyne saß. Dann und wann hörte man eine harte Stimme hinter der Gardine laut hervorrufen: »Brava, Brava!« oder sah ein paar weiße Handschuhe vor derselben sich hin und herbewegen und zu applaudieren beginnen. Bondi oder die Santerelle knixten und lächelten dann, wenn sie zur Erde herabkamen, besonders vor diesen Händen, ehe sie keuchend und glücklich die Bühne wieder verließen.

Eines Abends nun war dieser große Herr in seiner Loge im Museumtheater, umgeben von einigen auserwählten Freunden, und sie lärmten und lachten so entsetzlich, daß das Parterre aufgebracht war und 245 mehrere ärgerliche Stimmen so laut »Ruhe« geboten, daß Wagg sich verwunderte, warum denn keine Polizei einschreite, um die Schurken hinauszusetzen. Wenham amüsierte die Herrschaften in der Loge mit Auszügen aus einem privaten Briefe, den er von Major Pendennis bekommen hatte, dessen Abwesenheit auf dem Lande in der Londoner Hochsaison bemerkt und natürlich von seinen Freunden beklagt worden war.

»Da haben wir das Geheimnis,« sagte Herr Wenham, »ein Frauenzimmer ist im Spiele.«

»Ei, verd–, Wenham, er ist so alt wie Sie,« sagte der Gentleman hinter der Gardine.

»Pour les âmes bien nées, l'amour ne compte pas le nombre des années,« sagte Herr Wenham galant. »Ich meinesteils hoffe, ein Opfer der Liebe bis an mein seliges Ende sein zu können, und jedes Jahr meines Lebens mein Herz mir aufs neue brechen zu lassen.« Der Sinn dieser Rede war: »Mylord, Sie brauchen nicht darüber zu reden; ich bin drei Jahre jünger als Sie und zweimal so gut konserviert.«

»Wenham, Sie rühren mich,« sagte der große Mann mit einem seiner üblichen Flüche. »Bei – –, es ist wahr. Ich freue mich allemal, wenn ich einen Kerl sehe, der sich all die Illusionen seiner Jugend bis in unsere Jahre erhalten – und sein Herz so warm, wie das Ihre bewahrt hat. Zum Henker, – es ist eine wahre Freude, mit einem so edelmütigen, reinen Geschöpf zusammenzutreffen. – Wer ist das Mädel mit dem bunten Bänderputz in der zweiten Reihe da? Die dritte von der Bühne – hübsches Mädel. Ja, Sie und ich sind Gefühlsschwärmer. Wagg, denke ich, 246 macht sich nicht so viel daraus – Sie halten es lieber mit dem Magen, als dem Herzen, hä, Wagg, mein Junge?«

»Ich liebe alles, was gut ist,« sagte Herr Wagg edelmütig. »Schönheit und Burgunder, Venus und ein gutes Mahl. Ich sage nicht, daß der Venus Tauben zu verachten sind, weil man sie nicht in den Londoner Gasthäusern kocht, aber – aber erzählen Sie uns was vom alten Pendennis, Herr Wenham,« brach er plötzlich ab – denn seine Späße hörten immer dann grade von selbst auf, wenn sein Gönner nicht mehr darauf horchte. In der Tat hatte Steyne sein Opernglas angesetzt und sah sich irgend etwas auf der Bühne scharf an.

»Ja, ich habe den Witz mit den Tauben der Venus und den Londoner Gasthäusern schon gehört – Sie fangen an, langweilig zu werden, mein armer Wagg, falls Sie mich nicht in die Notwendigkeit versetzen wollen, mir einen andern Spaßmacher zu nehmen,« sagte Lord Steyne und legte sein Opernglas nieder. »Vorwärts, Wenham, vom alten Pendennis.«

»Lieber Wenham, – so beginnt er,« las Herr Wenham, – »da Sie die letzten drei Wochen meinen Charakter in Ihren Händen gehabt und mich ohne Zweifel in Fetzen zerrissen haben, wie es Ihre Gewohnheit ist, so meine ich, Sie können der Abwechselung halber auch einmal gutmütig sein und mir einen Dienst erweisen. Es ist eine delikate Angelegenheit, entre nous, une affaire de coeur. Da ist ein junger Freund von mir, der sich in ein gewisses Fräulein Fotheringay, eine Schauspielerin des hiesigen 247 Theaters, vergafft hat; wie ich Ihnen gestehen muß, ein so schönes Weib und, wie mir scheint, auch eine so gute Schauspielerin, wie nur je eine Rot aufgelegt hat. Sie spielt Ophelia, Lady Teazle, Frau Haller und dergleichen mehr. Auf mein Wort, sie ist so glänzend, wie die Georges in ihren besten Tagen, und soweit ich zu beurteilen vermag, allen, die wir auf unseren Bühnen haben, bei weitem überlegen. Ich möchte ein Engagement in London für sie. Können Sie nicht Ihren Freund Dolphin veranlassen, daß er kommt, sie sieht – um sie zu engagieren – und sie von diesem Platze wegnimmt? Ein Wort eines unserer hochgebornen Freunde (Sie verstehen mich) würde unschätzbar sein, und wenn Sie das Haus Gaunt veranlassen könnten, daß es Interesse hieran nimmt, so will ich Ihnen, was ich nur kann, als Entgelt Ihres Dienstes versprechen, den ich als einen der größten betrachten werde, welche mir erzeigt werden können. Bitte, seien Sie hierin mal ein guter Kerl, für welchen ich Sie stets erklärt habe, und, als Vergeltung, befehlen Sie über Ihren treuen Freund

A. Pendennis.«

»Es liegt klar auf der Hand,« sagte Herr Wenham, als er diesen Brief vorgelesen hatte, »der alte Pendennis ist verliebt.«

»Und möchte das Frauenzimmer augenscheinlich gern nach London haben,« fuhr Herr Wagg fort.

»Ich möchte Pendennis auf den Knien sehen mit seinem Rheumatismus,« sagte Herr Wenham.

»Oder wie er den geliebten Gegenstand mit einer Locke seines Haares beglückt,« sagte Wagg. 248

»Dummes Zeug,« sagte der große Mann. »Er hat Verwandte auf dem Lande, nicht wahr? Er erzählte etwas von einem Neffen, dessen Interesse ein Parlamentsmitglied zum Nachhausereisen bringen konnte. Es ist etwas mit dem Neffen, verlassen Sie sich darauf, der Junge sitzt in der Klemme. Ich war's auch einmal – als ich in der fünften Klasse zu Eton saß – eine Gärtnerstochter – und ich schwor, ich würde sie heiraten. Ich war toll nach ihr – die arme Polly!« – Hier machte er eine Pause, und vielleicht stieg die Vergangenheit vor Lord Steyne auf, und Georg Gaunt war wieder ein noch nicht ganz verlorener Knabe. – »Aber, wahrhaftig, nach Pendennis' Beschreibung muß sie ein hübsches Frauenzimmer sein. Holen Sie Dolphin herein und lassen Sie uns hören, ob er etwas über sie weiß.«

Auf dies Geheiß sprang Herr Wenham aus der Loge, eilte an dem Theaterdiener vorbei, der an der Verbindungstür nach der Bühne wartete und der Herrn Wenham mit tiefster Ehrerbietung grüßte; Wenham fand, da er sich beeilte und mit dem Orte vertraut war, ohne Schwierigkeit den Direktor, der, wie dies häufig bei ihm der Fall, grade damit beschäftigt war, die Damen vom Corps de ballet mit Verwünschungen und Flüchen auszuschelten, sie hätten ihre Schuldigkeit nicht getan.

Die Flüche verschwanden von Herrn Dolphins Lippen, sowie er Herrn Wenham sah, und er zog die Hand, die vor dem Gesichte einer der missetäterischen Koryphäen geballt war, zurück, um die des Neuangekommenen zu ergreifen. 249

»Wie geht's, Herr Wenham? Wie befindet sich Seine Lordschaft heut abend? Sieht ja außerordentlich wohl aus,« sagte der Direktor lächelnd, als ob er nie in seinem Leben böser Laune gewesen wäre, und er war nur zu entzückt, Lord Steynes Gesandten folgen zu können, um diesem hohen Mann persönlich seine Aufwartung machen zu dürfen.

Der Besuch in Chatteris war das Resultat ihres Gespräches, und Herr Dolphin schrieb von diesem Orte aus an Se. Lordschaft und gab sich die Ehre, den Marquis von Steyne zu benachrichtigen, daß er die Dame, von der Se. Lordschaft gesprochen, gesehen hätte, daß er ebenso über ihre Talente als ihre persönlichen Reize erstaunt gewesen, daß er mit Fräulein Fotheringay ein Engagement abgeschlossen hätte und daß diese bald die Ehre haben würde, vor einem Londoner Publikum und seinem edlen und erleuchteten Gönner, dem Marquis von Steyne, zu erscheinen.

Pen las die Ankündigung von Fräulein Fotheringays Engagement in dem Blatte von Chatteris, worin er so oft ihre Reize gepriesen hatte. Der Herausgeber machte eine sehr schöne Erwähnung ihres Talents und ihrer Schönheit und prophezeite ihr Erfolg über Erfolg in der Metropole. Bingley, der Direktor, begann anzukündigen: »Der letzte Abend von Fräulein Fotheringays hiesigem Auftreten«. Der arme Pen und Sir Derby Oaks waren regelmäßig jeden Abend im Theater, Sir Derby in der Loge zunächst der Bühne, Buketts werfend und Blicke empfangend, Pen in einer der fast ganz einsamen Logen, verstört, elend und einsam. Niemand außer diesen beiden – und vielleicht 250 noch einem einzigen, Herrn Bows im Orchester, machte sich etwas daraus, ob Fräulein Fotheringay ging oder blieb.

Bows kam eines Abends aus seinem Platze heraus und ging in die Theaterloge, wo sich Pen befand; er streckte ihm seine Hand hin und bat ihn, einen Spaziergang mit ihm zu machen. Sie gingen die Straße zusammen hinab, saßen im Mondlicht auf der Brücke von Chatteris und redeten von ›ihr‹. »Wir können gut auf derselben Brücke sitzen,« meinte er, »wir sind lange Zeit in demselben Boote gefahren. Sie sind nicht der einzige, der sich dieses Weibes wegen lächerlich gemacht hat. Und ich habe noch weniger eine Entschuldigung für mich, als Sie, weil ich älter bin und sie besser kenne. Sie hat nicht mehr Herz, als der Stein, an den Sie sich lehnen, und wenn Sie oder ich ins Wasser fielen und nie wieder emporkämen, sie würde sich nicht darum kümmern. Ja – um mich würde sie sich bekümmern, weil sie mich zum Lehrer braucht und nicht ohne mich fortkommen könnte und daher gezwungen sein wird, mich nach London zu rufen. Aber sie täte es nicht, wenn sie mich nicht brauchte. Sie hat kein Herz und keinen Kopf und keinen Sinn und kein Gefühl und weder Kummer noch Sorgen irgendwelcher Art. Ich wollte eben sagen, auch keine Freuden, aber Tatsache ist, daß sie Freude an einem guten Mittagessen hat und Freude empfindet, wenn die Leute sie bewundern.«

»Und Sie tun ihr den Willen?« sagte Pen interessiert aus sich herausgehend und sich über den mürrischen unscheinbaren kleinen alten Mann wundernd.

»Es ist eine Gewohnheit, wie Schnupfen oder 251 Schnapstrinken,« antwortete der andre. »Ich habe mich seit fünf Jahren an sie gewöhnt und kann nicht ohne sie sein. Ich habe sie zu dem gemacht, was sie ist. Wenn sie nicht nach mir schickt, werde ich ihr nicht folgen, aber ich weiß, daß sie nach mir schicken wird. Sie braucht mich ja. Eines Tages wird sie heiraten und mich über Bord werfen, wie ich dies Zigarrenende fortwerfe.« Der kleine glimmende Funke sank in das Wasser hinunter und verschwand; und als Pen an diesem Abend heimritt, dachte er sicher an jemand anders, als an sich selbst.



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