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Gregor Bildstein

(Eine Kriminalgeschichte aus den Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts.)

Auf dem Rauhenstein in Baden bei Wien befindet sich ein Wagenrad, welches eine interessante Inschrift trägt. Es wird da vermeldet, daß es von dem Wiener Wagnermeister Gregor Bildstein infolge einer Wette am 28. Juli 1828 in vier Stunden zwölf Minuten hergestellt worden sei. Dieses Schaustück hat wohl jeder Badener Kurgast und ein großer Teil der Wiener schon irgendwann einmal gesehen, ohne sich aber dabei besonders viel zu denken, zumal wenn der Betreffende in dem Handwerk nicht bewandert war. Trotzdem verdient es, näher besprochen zu werden, und zwar nicht bloß vom rein lokalhistorischen, sondern vom sportlichen und kriminalgeschichtlichen Standpunkte.

Was die auf seiner Rückseite verewigte Wette anbelangt, so hatte der erste damalige Wiener Wagnermeister (seinen Namen kenne ich nicht) mit Gregor Bildstein um 100 Gulden Münze gewettet, daß man zur Herstellung eines Wagenrades, die Baumfällung eingerechnet, mindestens sechs Stunden benötige. Der Herausgeforderte widersprach, worauf der Wiener Meister einen Baum auf der Hauswiese kaufte, damit der Streit öffentlich ausgetragen werden könne. Aus der Hauptstadt fanden sich hierauf am festgesetzten Tage viele Sachverständige und Sportleute ein, deren Zahl durch eine schaulustige Menge aus Baden und Weikersdorf noch bedeutend vermehrt wurde. Beim Vorgänger Sachers, namens Sattelberger, gab es im übrigen stets einen guten Tropfen, was das Spektakel sehr zu würzen versprach. Und Gregor Bildstein kam, fällte den Baum, richtete das Holz zu und vollendete das Rad in der oben angeführten unerhört kurzen Zeit. Der Wiener Wagnermeister drückte dem Manne hierauf die Hand, überreichte ihm die 100 Gulden und zog voll Hochachtung den Hut vor dem Sieger.

Wer war nun Gregor Bildstein? Auch er gehörte dem Wagnergewerbe an, besaß aber auch einen eigenartigen Sportruf. Seine Wiege hatte in Bregenz gestanden. Als junger Handwerker übersiedelte er nach Wien, richtiger in die kleine Gemeinde Zwischenbrücken (heute ein Bestandteil des XX. Gemeindebezirkes Brigittenau). Auch die Brigittenau ist ja als selbständiger Distrikt noch ganz jung. Man trennte sie erst im Jahre 1900 von der Leopoldstadt ab. Bekanntlich finden wir die zwischen dem Donaukanal und dem Hauptstrom gelegene Insel schon in Urkunden aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts als »Werder (Inseln) enthalb der Tunaw« erwähnt. Das ganze Gebiet war ursprünglich eine von Wässerchen, Tümpeln und Strauchwerk oder auch Auwald durchzogene Gegend, welche durch die verschiedenen Überschwemmungen so manche Gestaltsveränderung erlitt. Der nördliche Dritteil hieß Wolfsau, später Brigittenau und wies zur Zeit Josephs II. so dichtes Fasanengehölz auf, daß der Kaiser einen Teil desselben niederlegen ließ, um dem Augarten einen freien Ausblick zu verschaffen. Erst im 19. Jahrhundert wurde die Insel vom Süden her ausgebaut, hauptsächlich seit 1860, so daß dann, wie erwähnt, die endliche Lostrennung des nördlichen Drittels sich als nötig erwies. Zu den kleinen Siedlungen innerhalb des zum heutigen XX. Bezirk gehörenden Grundes zählte man nun auch das Dörfchen »Zwischen den Donaubrücken«, auch jetzt noch kurz Zwischenbrücken genannt.

Dort ließ sich also Bildstein nieder, und da die winzige Gemeinde keinen Schmied besaß, den ein Wagner doch so notwendig braucht, so mußte er die im Holze fertigen Räder jedesmal bis auf den Tabor »Taborlinie« ist noch heute für diesen Bezirksteil gebräuchlich. Sie lag am Ende der »Taborstraße«, deren Verlängerung nach Böhmen führte. treiben. (Dieser Name stammt aus der Zeit der Hussitenkriege, wo man an der Nordseite des »Unteren Werd« [Teil der heutigen Leopoldstadt] Schanzen aufwarf.)

Das war nun freilich eine sehr unbequeme und ermüdende Arbeit, aber der muskelstarke Mann eignete sich dabei eine derartige Gewandtheit an, daß er sich im Radtreiben öffentlich produzieren konnte. Und dies tat er aus Freude am Kraftsport sehr häufig, seitdem es ihm gelungen war, den tschechischen Schmiedmeister Cecka vom Tabor nach Zwischenbrücken hinauszulotsen, so daß er nun seinen Ergänzungshandwerker in nächster Nähe hatte. Bildstein erwarb sich alsbald einen populären Namen. Er trieb ein Wagenrad unter Aufsicht vom Donauspitz Zusammenfluß des Donaukanals und der »großen« Donau. oder Lusthaus im Prater nach Wolkersdorf, Klosterneuburg usw., natürlich ohne zu rasten und in einer bestimmten Zeit, was zu zahlreichen Wetten Anlaß gab. Die Bildstein-Plakate waren gute Reklameanzeigen für verschiedene Wirte, welche dem Wagnermeister als Schlußnummer von Festlichkeiten einstellten. Zuerst kamen Preisstemmer, dann Hakelzieher, hierauf »Faustschieber« und endlich Gregor Bildstein, der an den Preisen und Wetten auch recht hübsch verdiente.

An solchen Wetten hatte nun der Schmied Cecka nach und nach 500 Taler an Gregor Bildstein verloren, was ihn sehr ärgerte. Er wollte sich deshalb durch einen Schwindel wieder in den Besitz des Geldes setzen und verabredete mit dem Sohne des Zwischenbrückener Gastwirtes, daß der Bursche dem Wagnermeister ein Abführpulver in den Wein schütte. Dafür versprach er dem Schanl Volkstümlicher Kosename für »Johann« (vom Französischen »Jean«)., der seine in anderen Umständen befindliche Geliebte nicht heiraten durfte, 300 Gulden. Auch wollte er sein Trauzeuge sein, wenn der Streich gelinge. Schanl, der mit Hilfe dieses Judaslohnes gegen den Willen des Vaters vor den Altar zu treten hoffte, sagte zu. Und nun drang der Schmied in den Wagnermeister, daß er in folgende Revanchewette einwillige. Bildstein habe vom Lusthause Das »Lusthaus« bildet das Ende der Prater-Hauptallee (des »Nobelpraters«, zum Unterschiede vom »Wurstelprater«). ein Rad zum Sattelberger ins Helenental In Baden bei Wien (etwa ¾ Stunden Eisenbahnfahrt). zu treiben, und zwar mit einem schweren Wagnerhammer und einer pfundschweren Hacke im Gurt. Der Preis solle 1000 Taler betragen. Bildstein wollte lange nicht, da er wußte, daß Cecka diese Summe nicht mehr besitze und ruiniert wäre. Als ihm der Schmied aber Feigheit vorwarf, sagte er endlich zu. Der Lusthauswirt setzte die »Festivität« an und Bildstein stellte sich. Allein schon nach kurzer Zeit kam einer seiner Söhne, der auch von jenem Weine genossen hatte, bleich und verstört zurück. Er klagte über furchtbare Leibschmerzen und begann alsbald zu fiebern. Einige Stunden später folgte der Vater, der infolge heftiger Bauchkrämpfe die Wette hatte aufgeben müssen. Der Sohn starb nach einigen Tagen. Er hatte sich eine Lungenentzündung zugezogen. Bildstein wußte genau Bescheid, trat aber zunächst den Gerüchten entgegen. Als ihm aber der Schmied nach dem Begräbnis des Sohnes begegnete und frech ins Gesicht lächelte, obwohl Bildstein die tausend Taler anstandslos bezahlt hatte, stach er ihn nieder und stellte sich dem Gerichte. Er wurde zu lebenslangem schweren Kerker verurteilt und auf den Brünner Spielberg gebracht, wo er nach einem Jahre starb. All dies erfuhr ich der Hauptsache nach von dem Wiener Schriftsteller Franz Sommer, der mir auch zwei uralte, von seinem Vater ererbte Alt-Wiener Bildstein-Plakate zeigte. Sommer reizte dieser entschieden dramatische Stoff zu einem Volksstück, welches im Jahr 1920 einigemal erfolgreich im Wiener Komödienhaus aufgeführt wurde. Vorher war es ihm gelungen, eine mittlerweile verstorbene Verwandte Bildsteins auszuforschen, welche ihm bestätigte, was schon sein Vater von anderen alten Leuten gehört hatte. Nach diesen Angaben soll der merkwürdige Sportsmann vier bis fünf Töchter und sechs bis sieben Söhne hinterlassen haben. Einer habe sich als Schmied in Gumpendorf Heute Teil des 6. Wiener Gemeindebezirkes (Mariahilf). damit produziert, daß er mittels eines Hammers einem gewöhnlichen Amboß ganze Musikstücke entlockte, nach Art der heutigen Musikklowns, doch soll er niemals eine Wette eingegangen sein. Ein anderer seiner Söhne sei als einer der ersten Opfer der achtundvierziger Revolution in Mariahilf gefallen, gerade als er aus Neugierde auf die Straße getreten war.

Das oberwähnte Plakat aus dem Jahre 1843, welches Bildstein im Bilde zeigt, wie er, den Zylinderhut auf dem Kopfe, das Rad schiebt, hat folgenden Wortlaut:

 

» Außerordentliche Kraftproduktion! Gregor Bildstein, Wagnermeister am Tabor in der Au, 61 Jahre alt Dieser Ankündigung nach müßte Gregor Bildstein im Jahre 1782 geboren, zur Zeit der Badener Wette bereits 46 und bei Begehung seiner Bluttat schon über 61 Jahre alt gewesen sein., erlaubt sich hiemit, einem hohen Adel und geehrten Publikum dieser Kaiserstadt ergebenst anzuzeigen, daß er die hohe Bewilligung erhalten habe, seine außerordentliche Kraftproduktion öffentlich zeigen zu dürfen. Diese findet, da solche Montag den 1. Juli d. J. wegen ungünstiger Witterung unterbleiben mußte, Montag den 8. Juli d. J. und sollte auch da die Witterung ungünstig sein, Mittwoch den 10. Juni d. J. statt.

 

Dieselbe besteht darin, daß er am obbenannten Tage in der auffallend kurzen Zeit von Sonnenaufgang bis 1 Uhr 15 Minuten nachmittags ein vier Schuh sechs Zoll hohes Wagenrad ganz allein anfertigen, dasselbe dann anstreichen und mit der rechten Hand vom Arbeitsplatz zwei Posten weit, nämlich bis nach Wolkersdorf, vor sich hertreiben, ohne dasselbe mit der linken Hand zu berühren und ohne zu stürzen, sodann mit demselben Rade vor Sonnenuntergang wieder auf dem Arbeitsplatz anlangen wird. Da der Vorbenannte durch diese außerordentliche Produktion, welche er zum 3. Male zu wiederholen die Ehre hat, Beweise nicht nur von der Schnelligkeit und Geschicklichkeit seiner Profession, sondern auch von seiner bedeutenden physischen Kraft ablegen wird, so erlaubt er sich hiemit, einen hohen Adel und das geehrte Publikum zu dieser Produktion ergebenst einzuladen. Der Arbeitsplatz und Schauort ist am Spitz außer der großen Taborbrücke in dem schattenreichen Wirthausgarten des Gastgebers und Hausinhabers Mathias Spann, welcher sich bestreben wird, den hohen Adel und das geehrte Publikum mit echten Getränken und gut zubereiteten Speisen bestens zu bedienen. Eintrittspreise: 1. Platz 20 Kreutzer, 2. Platz 10 Kreutzer, 3. Platz 6 Kreutzer Conventionsmünze.«

 

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