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(1830)
Überall, wo Menschen regelmäßig zusammenkommen, in Schulen, Ämtern, Gesellschaften, Fabriken, Werkstätten, beim Militär usw., gibt es Personen, die den anderen unfreiwillig zum Gespötte dienen. Entweder sind sie dumm oder ungeschickt, es scheint aber, daß der »Prügelknabe« eine mit dem angeborenen Humorbedürfnis korrespondierende Notwendigkeit ist. Solche Menschen ahnen gewöhnlich nicht, daß man sich über sie lustig macht; meistens freuen sie sich, Stoff zur Unterhaltung bieten zu können, sie glauben, komisch zu sein, ohne zu begreifen, daß sie in Wirklichkeit tragikomisch wirken. Kommt ihnen aber zum Bewußtsein, daß man nicht »über sie lacht«, sondern, daß man sie »verlacht«, dann ereignen sich oft Explosionen, von denen uns die internationale Kriminalchronik schaudervolle Dinge zu erzählen weiß. Wir wollen hier einen derartigen Fall behandeln, der sich Ende 1830 in Wien zugetragen hat und ein furchtbares Kapitel unserer Blutchronik bildet.
In Gumpendorf befand sich eine Schlosserwerkstätte, in welcher Drei »Gesellen« beschäftigt waren: Johann Karl Hack, Karl Jenkner und Anton Kebert. Von diesen galt Karl Hack als Zielobjekt für allerhand passende und unpassende Scherze. Zu Czernowitz in der Bukowina geboren, erst 22 Jahre alt, war er in der Schule schlecht fortgekommen und stellte sich auch zur Arbeit nicht gerade geschickt an. Dabei bekundete er einen lächerlichen Dummstolz, war eitel und leichtsinnig.
In das Haus des Meisters pflegte ein junges Mädchen zu kommen, von dem wir nur den Vornamen »Kathi« kennen. Sie war die Freundin der Haustochter und liebäugelte dabei mit dem Anton Kebert. Hack bemühte sich, ohne zu sehen, daß Kathi seinen Kollegen bevorzuge, deren Wohlgefallen zu erringen. So saßen eines Abends vor Weihnachten der Meister, die Meisterin, die beiden Mädchen und die drei Gesellen beisammen und sprachen über allerlei. Karl Jenkner lenkte das Gespräch auf verschiedene Schlaf- und Betäubungsmittel und las dann aus einem Büchel etwas über ein »ägyptisches Betäubungsmittel« vor, mit welchem, nach dessen Wirkungen zu schließen, nur Haschisch gemeint sein konnte. In der Schilderung hieß es, daß die Ägypter aus dem Hanfe ein Präparat bereiten, welches den Menschen die Seligkeit auf Erden bringe. Man atme entweder die Dämpfe des »Krautes« ein oder gieße einige Tropfen des aus demselben gewonnenen Extraktes in eine Flüssigkeit und verspüre sofort eine ganz eigentümliche Erstarrung. Schlund und Brust zögen sich scheinbar zusammen, aber dies geschehe ohne jedwede Schmerzempfindung. Man merke, daß sich die Gesichtsmuskeln krampfen, daß die Augenlider anschwellen, doch dies löse sich nach kurzer Zeit in eine süße Müdigkeit auf. Plötzlich werde dann der Körper, dem Gefühle nach, durchsichtig, leicht, von göttlicher Kraft durchflutet, und man habe die Empfindung, daß nun alles Erdenleid begraben sei. Von allen Seiten flögen einem neue, großartige Ideen zu, die gesamte Umgebung erscheine in phantastischen, nie geschauten Farben, man arbeite mit dem Herzen und mit dem Verstände und verspüre dabei, daß dies in einer unbeschreiblich genialen Weise geschehe. Man sehe in das Innerste jedes Mitmenschen, durchblicke dessen Seele wie ein überirdisches Wesen, und dabei werde man von einer immer wachsenden Seligkeit durchströmt, wie man sie sich im wachen Zustande einfach nicht vorstellen könne.
Der Schlossergehilfe hielt inne und es entwickelte sich ein Diskurs, während dessen die Versammelten den Wunsch aussprachen, das Wunderkraut kennenzulernen. Hack hörte aufmerksam zu und redete wenig. Er hatte vordem von diesem seltsamen Betäubungsmittel noch nichts gewußt und wollte sich nicht gern vor Kathl bloßstellen. Das Mädchen fragte aber gerade ihn, ob er nicht auch begierig wäre, das Narkotikum praktisch an sich zu erproben? Oder ob er sich gar fürchte? Die zweite Frage rüttelte Karl Hack gewaltig auf. Furcht kenne er nicht, meinte er entschieden, aber es sei ja jedenfalls unmöglich, sich das »Kraut« zu verschaffen. Hier fiel ihm Jenkner ins Wort, indem er bemerkte, daß ihm einmal ein Freund, der als Matrose den Orient bereise, ein Quantum mitgebracht hätte. Das Experiment sei um so gefahrloser, als dem Traumschlafe keineswegs ein Katzenjammer folge, sondern daß man frisch und gesund erwache. Nur der übermäßige Genuß sei gefährlich, dies wäre aber eine allgemeine Erscheinung.
Kathl war von der Sache ganz begeistert. Sie wandte sich an Karl Hack, ob er »als der Vernünftigste« nicht eine Probe machen möchte? Wenn die Wirkungen den Schilderungen entsprächen, gäbe es für sie nichts Verlockenderes, als dieselben am eigenen Körper zu prüfen.
Hack war über diese Aufforderung nicht wenig stolz und erklärte, das »ägyptische Betäubungsmittel« jederzeit nehmen zu wollen. Das ließ sich Jenkner nicht zweimal sagen. Er verschwand für einen Augenblick und kehrte dann mit einem Glase zurück, welches bis zur Neige mit einer braunen Flüssigkeit gefüllt war. Alle blickten gespannt auf Hack, der den Trunk mit einer großen Gebärde entgegennahm, aber doch erst vorsichtig zu demselben roch. Er setzte das Glas hierauf ab und meinte, daß es ja gewöhnlichen Rum enthalte. Die anderen erwiderten, daß man das Präparat nur »gebunden« trinken könne, was Hack wieder mit dem Einwurfe beantwortete, daß ihm die Quantität des Rums zu groß erscheine, da müsse er einen »Branntweinrausch kriegen«. – »Keine Spur,« rief Jenkner aus, »der Extrakt tötet alle Nebenwirkungen, obwohl ich nur 40 Tropfen in das Glas gegossen habe.« Er brauche sich nicht zu scheuen. Mit einem kräftigen Schluck sei die Geschichte ins Werk gesetzt.
Hack führte nun mit einem heldenhaften Lächeln das Gefäß an die Lippen und schüttete dessen Inhalt in die Gurgel. Kaum war dies geschehen, als er ein wenig taumelte und zu Boden sank.
Der Schlossergeselle erwachte nach längerer Zeit. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befinde. Nur ein Gefühl beherrschte ihn, daß ihn sämtliche Glieder wie Feuer brannten. Was mit ihm geschehen sei, konnte er nicht begreifen. Er lag irgendwo, es war aber sicher nicht sein Bett. Auch die Werkstätte sah er nicht. Wo befand er sich nur? Er hörte unweit von sich laut sprechen und lachen. Während sein Kopf zu zerspringen drohte, bemühte er sich, die Stimmen zu unterscheiden. Er erkannte jedoch niemanden, weder den Karl, noch den Anton, es war auch nicht der Meister oder die Meisterin und noch weniger die Kathl. Er bemühte sich, nachzudenken, was vordem geschehen sei. Es war ihm so, als hätte er zuletzt im Kreise seiner Arbeitskollegen gesessen. Plötzlich fühlte er sich derb angefaßt. Jemand schrie ihm zu, was er treibe? Ob das Wirtshaus vielleicht der Grundarrest sei, daß er sich hier schlafen lege. Es sei überhaupt schon sehr spät, er möge schauen, daß er heimkomme. Karl Hack sah dem Manne ganz verdutzt ins Gesicht. Er verstand auch nicht eine Silbe von dem, was dieser sprach. »Wo bin ich denn eigentlich?« lallte er. – »Nun, wo werden Sie denn sein?« herrschte ihn der Wirt an, »beim Urban, wo ihr das Bier holet. Aber, das sage ich Ihnen, wenn Sie sich das nächstemal wo anders einen Rausch anzechen, so schlafen Sie ihn dort auch gleich aus. Ich habe mich nur Ihrer erbarmt, sonst wären Sie in meiner Toreinfahrt erfroren.« Der Schlossergeselle vermochte noch immer nicht zu begreifen. Er bat nur um etwas Wasser. Nachdem er einen herzhaften Schluck getan, erhob er sich langsam von seinem Lager. Er erkannte nun, daß er in einem Nebenzimmer des Wirtshauses auf einer Bank geschlafen hatte. Wie er jedoch hiehergeraten sei, war ihm ein Rätsel. Er wankte langsam zu den Gästen hinaus, die ihn mit einem Hallo empfingen. »Ja, wie schaut denn der Kerl aus?!« schrien sie, »wie haben s' denn dich hergerichtet?!« Und alle lachten aus voller Kehle. Karl Hack warf einen müden Blick in den Spiegel und – erschrak über sich selber. Sein Gesicht war rabenschwarz, mit Ruß, in welchem seine Finger lange, weiße Rinnen gegraben hatten, dick belegt.
Nun durchfuhr ihn ein Gedankenblitz. Er erinnerte sich mit einem Male, daß er in Gesellschaft Kathls ein Glas geleert habe: es fiel ihm ein, daß dasselbe eine geheimnisvolle Flüssigkeit enthalten habe; er wußte aber auch, daß der Trunk nach Rum gerochen und daß seine beiden Arbeitskollegen dabei gewesen seien.
Eine tiefe Falte grub sich zwischen seine Augenbrauen.
Er bat den Wirt um ein Waschbecken, reinigte sein Gesicht und erklärte den Gästen, die fortfuhren, sich über einen derartigen Rausch lustig zu machen, mit erzwungenem Lächeln, daß er heute ein bedeutungsvolles Fest gefeiert habe. Dann begab er sich auf den Heimweg. Als er die Schlafstube betrat, die er mit den anderen beiden teilte, lagen die letzteren schon im tiefen Schlafe. Sie hatten die Decke ganz über den Kopf gezogen und schienen ihn nicht zu hören. Hack entkleidete sich, ohne sie zu wecken, und kroch in sein Bett.
Beim Erwachen sah er sich allein. Die beiden Schlafgenossen waren schon aufgestanden und in die Werkstätte gegangen. Karl Hack blieb noch eine Weile in den Federn, dann erhob er sich, nachdem er gehört, daß die Turmglocke bereits neun geschlagen. Er beeilte sich gar nicht. Die Arbeit war ihm Nebensache. In ihm hatte sich die Überzeugung festgewurzelt, daß man ihn vor Kathl lächerlich gemacht. Dieser Gedanke ließ ihn am ganzen Leibe erzittern. Er fühlte etwas Furchtbares in sich heranreifen und wünschte geradezu einen Streit mit dem Meister wegen des Spätaufstehens herbei. Nachdem er sein Arbeitsgewand angelegt hatte, ging er mit festen, bedächtigen Schritten in die Werkstätte. Bei seinem Eintritte standen der Meister und die beiden Gesellen längst am Amboß. Hack grüßte niemanden. Es war ihm, als ob die drei den Kopf senkten und sich angelegentlicher mit ihrer Arbeit beschäftigten. Hack trat an seinen Tisch und nahm die Werkzeuge zur Hand. Mittags, als es zum Speisen kam, wurde zwar gesprochen, doch vermied es jeder, die Rede auf die Geschehnisse des Vorabends zu lenken.
So verstrichen einige Tage. Karl Hack war wie ausgewechselt. Er wich jedem Bekannten scheu aus und sprach kein überflüssiges Wort. In ihm waren schwarze Gedanken gereift. Lassen wir nun den städtischen Untersuchungsrichter erzählen, welcher bald die traurige Gelegenheit fand, sich mit dem Schlossergesellen zu befassen:
»… Aus Haß und Zorn über die ihm vermeintlich von diesen Nebengesellen zugefügten Beleidigungen und bewiesene Geringschätzung, und aus Neid über ihren höheren Arbeitslohn und ihre bessere Kleidung, faßte er am 12. Dezember v. J. (Anmerkung: Gemeint ist das Jahr 1830, da das zitierte Schriftstück aus dem Jahre 1831 stammt) den Entschluß, diese zwei Nebengesellen um das Leben zu bringen, und diese Tat während ihres Schlafes durch Schläge auf ihren Kopf mit einem Hammer deshalb in den Morgenstunden des folgenden Tages zu vollführen, um zu sehen, wohin er die Streiche führe.
In dieser Absicht nahm er bei seiner Ankunft zu Hause beyläufig um ein Uhr in der Nacht, vom 12. auf den 13. Dezember v. J. aus der neben der Schmiede befindlichen Küche einen 2 Pfund 26 Loth schweren Schmiedhammer in ihre gemeinschaftliche Schlafkammer, verbarg ihn unter seinem Kopfpolster und versetzte mit der flachen Seite desselben am kommenden Morgen, ungefähr um 7 Uhr, nachdem er, den Hammer in der Hand, vor den noch schlafenden Nebengesellen stehend, vielleicht eine Viertelstunde darüber, was er tun solle, nachgesonnen hatte, auf die linke Seite des Kopfes dem Jenkner zwei, und dem Kebert drei oder vier Streiche dergestalt, daß sie ohne Bewegung liegen blieben.
Als Hack darauf während seines Ankleidens bei dem Blicke in die Kammer den Kebert den Kopf emporheben bemerkt, und wer da sei, fragen gehört hatte, ergriff er den in der Werkstätte, auf der Arbeitsbank gelegenen, 1 Pfund 12½ Loth schweren Bankhammer, und führte damit noch zwei Schläge rückwärts auf den Kopf des Kebert, so daß dieser darauf regungslos geblieben ist.
Hierauf nahm Hack zur Bezahlung einer Schuld aus der unversperrten Truhe des Kebert 1 fl. 10 kr. Conventionsmünze, und von der Wand die silberne Sackuhr des Kebert, letztere in der Absicht, um sie zur Erde zu werfen, welche Absicht er auch sohin ausführte.
Während seiner Untersuchung hat Hack ein umständliches und mit den gerichtlichen Erhebungen übereinstimmendes Geständniß dieser That abgelegt.
Der verwundete 23 oder 24 Jahre alte Karl Jenkner ist, ohne mehr zum Bewußtseyn zu gelangen, am Vormittage des 25. Dezember an den erlittenen Kopfverletzungen gestorben, und bei der auf gerichtliche Veranlassung an ihm vorgenommenen ärztlichen Untersuchung wurde befunden, daß demselben am Kopfe zwey Wunden, darunter eine notwendig tödtliche beygebracht worden seien.
Der Geselle Anton Kebert, dessen fünf Kopfverletzungen ärztlich als schwer erkannt worden sind, wurde durch die angewendete Hülfe vom Tode gerettet …«
Auch das Urteil liegt uns im Wortlaute vor und können wir nur sagen, daß es heutigen Tages sicherlich anders, nämlich milder ausgefallen wäre. Es lautet:
»Johann Karl Hack ist des Meuchelmordes und dergleichen Versuches, dann der öffentlichen Gewalttätigkeit durch boshafte Beschädigung eines fremden Eigentums und der schweren Polizeyübertretung des Diebstahles schuldig, und deßhalb nach Vorschrift des § 119 des Gesetzbuches über Verbrechen mit dem Tode zu bestrafen, und diese Strafe an ihm gemäß § 10 ebendaselbst, mit dem Strange zu vollziehen.«
Die Hinrichtung wurde für den 19. Mai 1831 bestimmt.
So entsetzlich endete ein schlechter Spaß, den man sich mit einem jungen, ehrgeizigen Menschen erlaubt hatte.