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Die alte Hetzmeisterin

(1830)

In der Gärtnergasse am Alsergrunde Der heutige 9. Wiener Gemeindebezirk, »Alsergrund« benannt, bestand einst aus einer Reihe von kleinen Gemeinden: »Alsergrund«, »Thury«, »Liechtental«, »Rossau«, »Himmelpfortgrund«, »Althan« usw. wohnte eine Frau, welche im Jahre 1830 ihr 75. Lebensjahr vollendete und Elisabeth Arnold hieß. Man nannte sie aber nur » die alte Hetzmeisterin« und sagte ihr nach, daß sie neidig sei, weil sie trotz ihres Reichtums so sparsam lebe. Es hatte zwar niemand ihr Geld gesehen, doch gab es Altersgenossen der Greisin, welche behaupteten, daß alle »Hetzhäusler« Vermögen erworben hätten, folglich auch Frau Arnold. Sie führe ja auch bloß ihre Wirtschaft, ohne einem Verdienste nachzugehen.

Die Worte »Hetzmeister« und »Hetzhaus« sind heute ganz vergessen, es gab jedoch eine Zeit, in welcher sie das Wiener Publikum zu begeistern vermochten. Wir dürfen nicht gar zu abfällig über die noch gegenwärtig in Spanien so beliebten Stierkämpfe urteilen, haben sich doch unsere gemütlichen Vorfahren auch an den gräßlichen Schauspielen von »Tierhetzen« ergötzt. Wie im Süden Europas, waren es auch in Wien vorzüglich die Vertreterinnen des zarten Geschlechtes, welche sich an dem schaudervollen Anblicke zerfetzter Tierleiber weideten. Dies galt als durchaus vornehm, denn der Hof begünstigte die erwähnten Veranstaltungen und schuf für dieselben sogar ein eigenes Referat im Obersthofmeisteramte. Die »Oxen- und Perenhezzen« gehörten nach dem alten Theateralmanach zu den sogenannten Nebenspektakeln des k. k. Hof- und Nationaltheaters.

Die Veranstaltungen fanden in dem »Hetzhause«, einem großen Holzbaue vor dem Stubentore (Fig. 15), statt. Das Gebäude war ein Amphitheater, welches über 3000 Personen faßte und über dessen Eingange ein riesiger kaiserlicher Adler prangte. Von einem Balkon übersah man den Zwinger mit den »Hetzhunden«, den 22½ Klafter im Durchmesser betragenden »Hetzplatz« (die Arena) und das mit Brettern überdeckte Wasserbassin im Mittelpunkte des letzteren. In das Wasser flüchteten sich gewöhnlich die gejagten Bestien, während zwei neben dem Bassin angebrachte, sieben Klafter hohe, mit Sprossen versehene Bäume den »Hetzknechten« genau so Schutz bieten sollten, wie es die Barrieren im heutigen spanischen Zirkus tun. In der Mitte der ersten Galerie nahm ein Orchester Platz, welches während der Vorführungen einen Riesenlärm machte.

Das Personal bestand aus einem artistischen Leiter, »Hetzmeister« genannt, welcher auch in den Schaustellungen tätig war, einem »Hetzverwalter«, dessen Aufgabe der eines Intendanten gleichkam, und einer Anzahl von »Hetzknechten«. Diese unterstützten den »Hetzmeister« während der Darbietungen und hatten auch die Tiere abzurichten. An »Hetztagen«, welche meist auf Sonn- und Feiertage fielen, wurden Aushilfsknechte gedungen, denen hauptsächlich die niederen Arbeiten zugewiesen wurden. Zu dem »stehenden Tierpersonal« gehörten nach einem aus dem Jahre 1772 stammenden Schriftchen von J. H. F. Müller, betitelt »Genaue Nachrichten von beiden k. k. Schaubühnen und anderen Ergötzlichkeiten in Wien«: Ein Löwe, ein Tiger, zehn Bären, sechs Wölfe, vier Wildschweine, zwei ungarische Vollstiere, zwei Schweizer Vollstiere, zwei Hirsche, einige Füchse, Dachse und Luchse, schließlich 73 große Fang-, sogenannte Fleischhackerhunde. Außer diesen Tieren wurden gewöhnlich auch zwei ungarische Ochsen, die von Wiener Fleischhackern zu stellen waren, gehetzt.

An das Amphitheater war ein Haus gebaut, in welchem das ständige Personal wohnte.

Das Wiener Stadtarchiv besitzt einen »Hetzzettel«, wie man die bezüglichen Ankündigungen hieß, leider trägt er kein Datum, doch kann man die Eintrittspreise aus ihm ersehen. Eine Loge für zwei Personen kostete einen Dukaten, erste Galerie rechts 1 fl. W. W., erste Galerie mit gesperrtem Sitze 1 fl. 20 kr. W. W., erste Galerie links 40 kr., zweiter Stock 20 kr., 3. Stock 10 kr. Der Anfang des Spektakels war für 4 Uhr nachmittags angesetzt.

Sehr interessant ist ein vom 10. Juli 1796 datierter »Hetzzettel«, welchen uns Franz Gräffer in seinen »Wiener Memoiren« überlieferte. Wir lesen dort:

»Im k. k. priv. Hetzamphitheater unter den Weißgärbern Im heutigen 3. Wiener Gemeindebezirk »Landstraße«. wird Sonntag, den 10. Juli 1796, die k. k. Tierhetzpachtung unter wohlbesetzter türkischer Musik besonders gut gewählte und heroische Kämpfe aus ihrem großen, zahlreichen Tierreiche abhalten lassen, worunter zwei sehr starke und hartnäckige Bärenkämpfe, der große Sprung des edlen Hirsches durch ein Feuerfaß, das allbeliebt, künstlich Ochserlegen durch den Hetzmeister Matthias Stadelmann, in beiderseitigen vollen Feuer und Donnergerassel, dann der staatliche grimmige Löwenraub mit dem wüthendsten aller Löwen und einem starken Steinhengsten, endlich der Vollstierkampf und der Schweinskampf im Feuer, wo die mächtigen Wildschweine und beide Schweinshunde ganz im Feuer eingehüllt sind, heute die vorzüglichsten Stücke ausmachen sollen.«

Dieses »Hetztheater« wurde im Jahre 1775 von dem obenerwähnten Franzosen Defraire »nächst den Weißgärbern« erbaut (K. Weiß, Geschichte der Stadt Wien, Wien, 1872, S. 300). Das älteste war es aber nicht. Die ersten derartigen Vorstellungen fanden vielmehr in einem Amphitheater »auf der Haide« um das Jahr 1710 statt. Dasselbe wurde Anno 1720 in das Haus »zum schwarzen Adler«, auch in der Leopoldstadt, verlegt.

Das Theater unter den Weißgärbern wurde im Jahre 1796, am 1. September, um 8 Uhr abends, ein Raub der Flammen (»Wiener Diarium«, Jahrgang 1796, S. 2545). An dem genannten Tage brannte Stuwer im Prater ein Feuerwerk ab, wobei sich einige Raketen verloren und den Holzbau des »Hetztheaters« in Brand steckten. Der Chronist erzählt uns, daß das Feuer mit größter Schnelligkeit um sich griff und in wenigen Stunden auch die Nebenbauten in Asche legte. Bloß einige Hunde und der große Auerstier wurden gerettet.

Adolf Bäuerle beschreibt uns im ersten Bande seiner Memoiren das entsetzliche Heulen der dem Tode preisgegebenen Tiere. Er war damals zehn Jahre alt und sah an der Seite seines Vaters dem Brande zu. Der Riesenbär wollte aus dem Zwinger brechen, was ihm gelungen wäre, wenn ihn nicht rechtzeitig eine Kugel des »Hetzmeisters« Stadelmann getroffen hätte. Den Wert der verbrannten Tiere schätzte man auf 24.000 fl.

Dieses Feuer führte nicht bloß das Ende des »Hetztheaters« unter den Weißgärbern, sondern auch der ganzen Institution herbei. Kaiser Franz äußerte sich nämlich nach dem Brande dahin, daß er derlei Spektakel künftig nicht mehr dulde, denn sie seien »ein gräßliches Vergnügen, welches die Herzen seiner lieben Wiener entmensche«. Und dabei blieb es auch. Der Italiener Carlo Danello wurde mit einem neuen Konzessionsgesuche abgewiesen, obwohl er sich verpflichten wollte, von dem Reinertrage der Hetzen jährlich 10.000 fl. den Armen Wiens zu spenden. Dieses Anbot zeigt, was ein solcher Direktor verdiente. An den höheren Einkünften nahmen natürlich auch die Angestellten teil, und wurde ein brauchbarer »Hetzmeister« ebenso gut bezahlt, wie heute ein spanischer berühmter Toreador.

Die in der Gärtnergasse wohnhafte Elisabeth Arnold war nun eine Verwandte des »Hetzmeisters« Stadelmann und in dem betreffenden Hetztheater beschäftigt. Ob sie wirklich Reichtümer sammelte, konnten wir nicht ermitteln, es scheint kaum der Fall zu sein, aber die Vorstadtleute, in deren Nachbarschaft die alte Frau später lebte, erzählten es sich. Es mag sein, daß Frau Arnold einfacher und bescheidener lebte, als es vielleicht notwendig war, daß sie jedoch ein gutes Herz besaß, beweist ihr Verhalten gegenüber einem jungen Burschen, der ein Sohn irgendeiner ihrer Bekannten oder Verwandten war. Der Bursche, Karl Padowetz mit Namen, kam als Kind aus Tabor in Böhmen nach Wien und wurde hier Uhrmacher. Trotzdem man sich alle Mühe gab, aus ihm einen braven Handwerker zu machen, neigte Karl immer mehr einem liederlichen Lebenswandel zu. Er erhielt schlechte Sittennoten in der Schule, trieb sich dann mit arbeitsscheuen Jungen herum, begann zu trinken und spielen und geriet in Schulden. Die Witwe Arnold tat, was ihr möglich war. Sie unterstützte den Uhrmachergesellen wiederholt mit Geld, erklärte ihm aber schließlich, daß dies doch nicht so weitergehen könne. Karl Padowetz war im Jahre 1830, wo ihm die geschilderte ernste Ermahnung zuteil wurde, 24 Jahre alt, man konnte also von ihm verlangen, daß er endlich in sich gehe.

Es war am Pfingstsonntag des erwähnten Jahres, als die Bewohner der Gärtnergasse in der Alservorstadt gellende Hilferufe vernahmen, die aus dem Hause der »alten Hetzmeisterin« ertönten. Man stürzte von allen Seiten herbei, und da flog auch schon die Türe auf, aus der Karl Padowetz flüchtete. Gleichzeitig sah man die Greisin, ganz mit Blut besudelt, gegen einen Tisch wanken. Während sich die einen um sie bemühten, fielen andere über den verkommenen Menschen her, der sein Heil in der Flucht hatte suchen wollen, schlugen ihn halbtot und übergaben ihn der Polizei. Was war vorgefallen? Hören wir, was der städtische Untersuchungsrichter darüber relationiert:

»… Durch diese Verluste (im Spiele) in Verlegenheit gesetzt, entschloß er sich irgend Jemandem, der ihm unterkomme, einen tödtlichen Streich zu versetzen und etwas zu nehmen. Da er am Sonnabende vor dem Pfingstsonntage d. J. den am nähmlichen Tage eingenommenen Arbeitslohn gleichfalls im Spiele verlohren hatte, begab er sich am Pfingstsonntage, den 30. May d. J., zu der ihm bekannten alten Witwe Elisabeth Arnold in der Gärtnergasse in der Alservorstadt, und faßte den Entschluß, der Arnold mit der bei dem Eintritte in die Wohnung derselben gesehenen Holzhacke den schon früher beabsichtigten Streich auf den Kopf beyzubringen, und von ihr sich eine Rest Taffet und einen goldenen Fingerring anzueignen.

Als die Witwe Arnold nach einem beinahe anderthalbstündigen Aufenthalte des Padowetz in der Wohnung derselben aus dem Zimmer in die Küche ging, folgte er ihr dahin nach und versetzte ihr daselbst mit dem Rücken ihrer Holzhacke von rückwärts einen solchen Schlag auf das Hinterhaupt, daß sie sogleich zu Boden sank.

Über ihr Geschrey stieß er derselben ein in der Küche gestandenes Geschirr ins Gesicht und würgte sie am Halse, um sie am Schreien zu hindern. Auf den im Hause entstandenen Lärm ergriff er die Flucht, auf welcher er jedoch angehalten wurde.

Die verwundete, 73 Jahre alte Elisabeth Arnold starb bereits am 2. Juni, und bei der an ihr vorgenommenen ärztlichen Untersuchung wurden, ungeachtet Padowetz ihr nur einen Streich mit der Hacke und einen Stoß mit dem Topfe versetzt zu haben bestimmt eingestand, sieben Verletzungen am Kopfe, und darunter vier lebensgefährliche und eine mit der stumpfen Kehrseite der Hacke beygebrachte Wunde von der Beschaffenheit gefunden, daß sie selbst bey dem günstigsten Zustande des Körpers den Tod unausweichlich zur Folge haben mußte …«

Karl Padowetz wurde zum Tode durch den Strang verurteilt. Die oberen Justizbehörden bestätigten das Urteil und sollte am 16. September 1830 die öffentliche Hinrichtung des Raubmörders stattfinden. Polizei und Magistrat befürchteten diesmal Kundgebungen seitens der erbitterten Bewohner des heutigen neunten Bezirkes, denn Frau Arnold war im Liechtental, Thury, in der Rossau usw. ebenso bekannt, als auf ihrem engeren Grunde. Es wurden daher zwischen den beiden verantwortlichen Behörden eine Reihe von Noten gewechselt und Besprechungen abgehalten.

Dank der getroffenen Verfügungen vollzog sich der Akt der Justifizierung aber glatt. Karl Padowetz starb kläglich, unausgesetzt um sein junges Leben jammernd, dreiundeinhalb Monate nach dem Hinscheiden der von ihm ermordeten Wohltäterin. Allein in der Alservorstadt erinnerte man sich noch lange an den Burschen, und diente sein Name dazu, leichtsinnige Jünglinge vor einem ähnlichen Schicksale zu warnen.


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