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In den Kasematten nächst dem Schanzeltore

(1829)

Auf dem Dominikanerplatze, in dem Hause, welches später die Nummer neun erhielt und der Sitz des »Barbarastiftes« wurde, befand sich ehedem die »Himmelsburse«, auch »Rosenburse« genannt. Unter »Bursen« und »Coderieen« sind die alten Studentenhäuser Wiens zu verstehen. Wien besitzt schon seit dem Jahre 1237 eine »hohe Schule«, welche Kaiser Friedrich II. begründete. Das Privilegium lautete: »Wir wollen auch gemachsamber Lehrung versehen, davon Weißheit an dem Volk gelehrt würdt, und das ungelehrte Alter der Kindheit gelehrt würdt, und geben wöllen Gewaldt dem Maister wer von uns und unseren Nachkommen genommen würdt zu der Schuel zu Wienn zu verwäsen, daß der andere Maister und Lehrer nach der Waisen Rath zu Wienn letze, die genugsam und weiß sein der Lehrung ihrer Hörer. Darüber, daß unsere Kayserliche Stadt einzig aufnehmung nehme unter der Seligkeit merunder Herrschaft.« Diese Lehranstalt war keine Volksschule im heutigen Sinne, sondern ein höheres Institut, in welchem in lateinischer Sprache vorgetragen wurde. Sie war bei St. Stephan untergebracht und wurde im Jahre 1257, zur Zeit der Regierung König Przemysl Ottokar des Zweiten von Böhmen, zu der »neuen Burg« an die Stadtmauern verlegt. Kaiser Albrecht II. übertrug sie sodann im Jahre 1356 auf den »Schweinemarkt«, den heutigen Lobkowitzplatz. Herzog Rudolf IV., der Stifter, welchem Österreich und besonders Wien, die berühmtesten Institutionen verdankt, wird allerdings als der Begründer unserer Universität angesehen, doch hat er die genannte Schule eigentlich bloß ausgestaltet. Am 12. März 1365 fertigte er mit seinen Brüdern Albrecht und Leopold den Stiftungsbrief für die Wiener alma mater aus. Er nahm gleichzeitig die Studenten unter seine persönliche Hut und räumte ihnen einen besonderen Stadtteil nahe dem Stubentore (Fig. 15) und der Dominikanerbastei ein. Dort befanden sich die Häuser der Tempelherren, welche seit dem Jahre 1312 leer standen. Papst Klemens V. hatte in dem genannten Jahre nämlich ihren Orden aufgelöst. Soweit es dort noch andere Hauseigentümer gab, wurde denselben aufgetragen, jede Belästigung der Studenten bei strenger Ahndung zu vermeiden. Außerdem wurden die Mitglieder der Universität mit mächtigen Vorrechten ausgestattet. Der Rektor, welcher den Titel führte: »Durchlauchtigster Meister der sieben freien Künste und oberster Schulmeister« erhielt eine außerordentliche Gerichtsgewalt über die Hochschüler, welch erstere die sämtlichen Landesgerichte zu respektieren und schützen hatten. Nur die schwersten Fälle hatte der Propst zu St. Stephan, der zugleich Kanzler der Universität war, zu entscheiden. Die Rechte der Akademiker gingen so weit, daß der Mörder eines Studenten nirgends ein Asylrecht genießen durfte. Herzog Albrecht III. gründete die theologische Fakultät und erbaute für lernbegierige Jünglinge »ein ansehnliches Haws der hohen Schuel, aula genanndt, gegenüber der hohen Schuel Spital und der hohen Schuel Bibliothek«. Nun folgten rasch die Gründungen anderer Häuser, welche von den Provinzen und Gutsherrschaften für ihre armen Studenten errichtet wurden. Die Schüler wurden auf gemeinsame Kosten erhalten und daraus entstand der Ausdruck »Bursarii« (das Wort »bursa« bedeutet Tasche, Beutel, Säckel). Später bildeten sich daraus die deutschen Worte »Bursch« für die Studenten, »Burschenschaft« für deren Verbindungen und »Bursen« für jene Stiftungshäuser. Das Leben in den Bursen war sehr billig. Für zwei Groschen wöchentlich bekam man Kost und Quartier. Weniger bemittelte Scholaren konnten sich in einer Coderie (geschlossenen Gesellschaft) einmieten, wo man gar für zehn Pfennige in der Woche verpflegt wurde. Die Kostgeber oder Vermieter nannte man Hospites.

Die älteste Wiener Burse befand sich auf der Brandstatt und hieß »zur Eiche«. Eine andere, nahezu gleich alte, war die »Lamm-Burse«, die ursprünglich nach dem Stifter »Sprenger-Burse« hieß und am Platze der Universitätskirche stand. Dann gab es noch die »Goldberg-Burse« in der Johannesgasse, die »Lilien-Burse« auf dem alten Fleischmarkt, gegenüber dem Laurenzerkloster und viele andere.

Einem Trakte der »Lilienburse« gegenüber befand sich die vorerwähnte »Himmelsburse«, von welcher eine Zeit hindurch das Scherzwort der Scholaren galt, daß sie wegen eines hübschen Mädchens, namens Rosel, auch »Rosenburse« genannt werde.

Die Rosel ist allerdings historisch. Sie hatte freilich keine besonderen Verdienste, es sei denn, daß sie ihrem in der Verwaltung der »Himmelsburse« bediensteten Vater Gänge und Einkäufe besorgte, wobei sie so manchem Studenten in die Augen stach Die »Himmelsburse« trug damals schon einen ganz verschiedenen Charakter als einstmals. Vielleicht handelte es sich überhaupt um andere Studenten. Der Verfasser.. Ihr Vater trug sich daher mit hochfliegenden Plänen und sah es mit großem Mißfallen, daß sich ein Riemergeselle scheinbar mit Erfolg um ihre Gunst bewarb. Der ungebetene Liebhaber war Franz Haucke, 22 Jahre alt, zu Setzdorf in »k. k. Schlesien« geboren. Haucke kam mit 13 Jahren aus seiner Heimat nach Wien, erlernte das Riemerhandwerk, zeichnete sich durch außerordentlichen Fleiß aus und versprach ein tüchtiger Meister zu werden. Sein Ziel war es, recht bald selbständig zu werden und die Rosel als Gattin heimzuführen. Er sparte zu diesem Ende sehr emsig, legte Groschen auf Groschen und hoffte in kurzer Zeit vor den strengen Vater seiner Angebeteten hintreten zu können. Der Himmel der beiden Liebenden trübte sich aber. Da bewarb sich ein in fürstlichen Diensten stehender Beamter um die schöne Rosel und versicherte sie trotz ihrer ablehnenden Haltung seiner herzlichsten Gefühle, da er wußte, daß er dem Vater gefalle. Dieser Rivale verfolgte den Riemergesellen durch fortwährende Nadelstiche, hinterbrachte den Eltern des Mädchens jedes Stelldichein, so daß es endlich zu einem peinlichen Auftritte kam. Rosel bat – es war im Frühling des Jahres 1829 – den Geliebten zu einem Stelldichein und eröffnete ihm mit Tränen, daß sie nicht mehr mit ihm zusammenkommen dürfe, sonst käme sie weit fort zu Verwandten. Franz schien diese Botschaft niederzuschmettern. Er sagte, daß er ohne sie nicht leben könne und daß es ein Mittel geben müsse, den harten Entschluß des Vaters zu brechen. Das Mädchen schüttelte traurig den Kopf. Wie sollten sie aus dem Wirrsale herausfinden? Standen ihnen doch keine Geldquellen zu Gebote, um den Kampf mit dem Leben gemeinsam und selbständig zu wagen. Da leuchtete es in den Augen Franzens auf. Er drückte heiß die Hand der Geliebten und rief aus: »Rosel, verzage nicht! Ich hab's, wir werden heiraten und, wenn es notwendig ist, in die weite Welt hinausgehen!« Sie schaute ihm verblüfft ins Gesicht. »Heiraten? Jetzt? Ich habe doch kein Geld, der Vater gäbe mir, wenn ich dich nähme, nichts mit.« – »Du brauchst nichts, Geliebte,« entgegnete der Riemergeselle, »ich bringe alles in die Ehe, was wir brauchen.« – »Deine Ersparnisse sind doch nicht so groß«, erwiderte das Mädchen. – »Das nicht, aber ich habe heute etwas geträumt und will mein Glück im Spiele versuchen.« Rosel warf ihm einen tadelnden Blick zu. Auf so schwache Hoffnungen gestützt, durfte ihr Franz nicht den Kopf verdrehen. Er war jedoch von seiner Idee ganz begeistert und erklärte, daß er felsenfest auf Erfolg rechne, denn die Mutter Gottes sei ihm im Traume erschienen.

Rosel war zwar fromm erzogen, konnte aber die Zuversicht nicht teilen und nahm von ihrem Verehrer mit dem Schwure Abschied, daß sie ins Kloster gehe, wenn sie ihn nicht haben könne …

Einige Wochen waren seitdem verstrichen, man schrieb damals Anfang Mai, da erschien Franz Haucke, sehr fein ausstaffiert, vor dem Vater Rosels und hielt in aller Form um deren Hand an. Das Mädchen traute seinen Augen kaum. Es hatte in der Zwischenzeit fast nur geweint und vollständig an jeder besseren Wendung verzweifelt. Nun sollte Franz doch recht behalten? Wirklich hatte er, wie er erzählte, Glück im Spiele gehabt und eine nette Summe gewonnen, die ihm eine sofortige Heirat ermöglichte. Das Mädchen schwamm im Glücke, die Eltern wagten nicht, mit rauher Hand dasselbe zu stören, denn gegen den Riemergesellen, der sich nun als Meister auftun wollte und einen ausgezeichneten Ruf genoß, lag wirklich nichts vor, als ein unbegründetes Mißtrauen. Man wies den Freier also nicht ab und das junge Paar traf eiligst Anstalten zur Hochzeit.

Der noble Nebenbuhler warf trotzdem seine Flinte nicht ins Korn. Er lag dem Vater beständig mit der Warnung in den Ohren, daß eine auf Spielgewinst aufgebaute Ehe doch unmöglich eine glückliche sein könne. Wer einmal spiele, spiele wieder, und es sei doch um die schöne Rosel ewig schade. Auch wollte er durchaus wissen, wo Franz so viel Geld gewonnen habe. Damit hatte es freilich ein Häkchen. Nicht einmal die Braut konnte dies erfahren. Es kam so weit, daß der Vater das Verlöbnis aufzulösen drohte, wenn der zukünftige Schwiegersohn sich darüber nicht äußern wolle. Dieser tat wieder sehr beleidigt. Er war, seitdem er wieder mit Rosel in Verkehr getreten, sehr zerstreut und gereizt, erwiderte trotzig, daß er niemandem rechenschaftspflichtig sei, und daß er sich die fortwährenden Verdächtigungen nicht länger gefallen lasse.

Eines Tages blieb er gar aus. Als man sich in seinem Wohnhause nach ihm erkundigte, hieß es, Franz Haucke sei verreist, aber es müsse etwas nicht stimmen, denn Polizeiorgane hätten über ihn Nachforschungen gepflogen.

Nach einigen Wochen langte bei der Rosel ein Schreiben Hauckes ein, daß sie sein Benehmen entschuldigen müsse, er habe aber fortreisen müssen, sonst wäre in Wien etwas Schreckliches geschehen. Er befinde sich jetzt in der Steiermark, wo er einen Platz suche, an dem er ein Geschäft errichten könnte. Sobald er einen solchen gefunden, werde er sie sofort heimführen. Daran war freilich nicht mehr zu denken. Die großen Aufregungen der letzten Zeit hatten das erst siebzehnjährige Mädchen aufs Krankenlager geworfen, es litt schwer an der Lunge und wußte, daß seine Tage gezählt seien. Es kamen dann nur wenige kurze Grüße von Franz, was Rosel mit namenlosem Weh erfüllte. Als der Herbst mit seinen Stürmen ins Land zog, trug man sie hinaus …

Und nun wollen wir, um die Liebesgeschichte zum Abschlusse zu bringen, ein Dokument des Wiener Kriminalgerichtes veröffentlichen, welches am 26. August des Jahres 1830 an die Mauer des Gerichtsgebäudes geheftet wurde. An diesem Tage führte man nämlich Franz Haucke aus der Stadt hinaus und richtete ihn hin.

Die Kundmachung beginnt mit einer kurzen Schilderung des Vorlebens und fährt dann fort: »… Freytags, den 8. May v. J. wurde er von dem ihm von einer Weinschänke früher bekannt gewesenen Martin Stilp, Salzverschleißer, in einem Gewölbe der Kasematte nächst dem Schanzelthore, zu einem Spaziergange auf das Land auf den folgenden Sonntag, den 10. May, eingeladen, und da ihm bewußt war, daß Stilp aus dem Verschleiße des Salzes viel Geld in Verwahrung habe, so faßte er in der Zwischenzeit den Entschluß, den Stilp beym Abhohlen in dem oberwähnten Gewölbe mit einer Riemerahle zu erstechen und sich des Geldes zu bemächtigen, um mit Hülfe desselben selbständig und Meister werden zu können.

In dieser Absicht nahm er am 9. May, Abends, bey seiner Entfernung aus der Werkstätte seine Riemerahle in seine Wohnung, begab sich des anderen Tages um 4¼ Uhr Morgens unter dem Vorwande, die Kirche besuchen zu wollen, aus seinem Aufenthaltsorte, verbarg die Riemerahle in seiner Brusttasche, und steckte einen auf dem Wege zu dem Gewölbe des Stilp gefundenen Stein in die Tasche, um damit diesem zuerst einen Schlag auf den Kopf versetzen, und ihm in der Betäubung leichter die Stiche mit der Ahle beybringen zu können.

Als nach seinem Eintritte in das Gewölbe des Stilp, letzterer seinen Entschluß, wegen des schlechten Wetters nicht auf das Land gehen zu wollen, erklärt, und sich abermahls in das Bett gelegt hatte, versetzte Franz Haucke während des Gespräches dem Stilp mit dem Steine einen Schlag auf den Kopf in die rechte Schlafgegend, und da sich Stilp hierüber aufzurichten begann, mit der aus der Brusttasche hastig herausgezogenen Ahle mehrere Stiche in die Brust, so wie mit dem neuerdings aufgehobenen Steine mehrere Schläge auf den Kopf, worauf Stilp regungslos liegen blieb.

Hierauf nahm Franz Haucke aus der Cassatruhe des Stilp und aus einer Tischschublade mehreres Papier- und Silbergeld, und insbesondere einen mit Silbermünze gefüllten Sack, im vereinten Betrage von mehr als 3000 fl. C.-M. Konventionsmünze (damalige Währung)., versperrte von außen das Gewölb, warf den Schlüssel hinweg, und trug das geraubte Gut in seine Wohnung.

Aus Furcht vor Entdeckung warf Franz Haucke an einem Tage darauf den Sack mit Silbermünze in die Donau; von dem Papiergelde hingegen, im Betrage von beyläufig 2100 fl., dessen Besitz er durch die Vorspiegelung eines Gewinnes aus der Lotterie unbedenklich darzustellen suchte, kaufte er verschiedene Sachen an, und brachte einen Theil bey Unterhaltungen durch; ein Theil wurde ihm auch an einem dritten Orte, wohin er ihn zur Aufbewahrung übergab, veruntreuet, so daß er gegenwärtig nur noch im Besitze eines kleinen Theiles war.

Nach seiner am 23. Jänner d. J. erfolgten Abreise von Wien kamen gegen Franz Haucke rechtliche Anzeigen des von ihm begangenen Raubmordes hervor; er wurde deshalb verfolgt, zu Feldkirchen in Steiermark ergriffen und hieher überliefert; er gestand nach längerem Läugnen die Verübung dieser That übereinstimmend mit den gerichtlich erhobenen Umständen.

Der ermordete Martin Stilp war schon früher auf gerichtliche Veranlassung der gesetzlichen Vorschrift gemäß ärztlich untersucht und dabey erhoben worden, daß demselben am Kopfe drey gequetschte Wunden, dann in der Nähe des rechten Achselgelenks eine, und in der Brust drey Stichwunden beygebracht gewesen sind.

 

Urtheil.

Franz Haucke ist des Verbrechens des Raubmordes schuldig und soll deßhalb nach Vorschrift des § 119 des Gesetzbuches über Verbrechen mit dem Tode bestraft, und diese Strafe an ihm gemäß § 10 eben daselbst, mit dem Strange vollzogen werden.«

 

Unter den Zuschauern, auf der Richtstätte, befand sich auch der Nebenbuhler Hauckes, der ein Exemplar dieser dort zur Verteilung gelangenden Kundmachung ergriff, um dasselbe wortlos, aber mit mühsam verhaltener Schadenfreude den Eltern des Mädchens auf den Tisch zu legen.

Die arme Rosel wußte zum Glücke nichts davon. Sie lag ja längst schon in der kühlen Erde, in welche nun auch der auf einen so schrecklichen Abweg geratene Franz verscharrt wurde.


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