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Der Verdächtige vom »Paradeisgartel«

(1829)

In der Dämmerung des 5. Juli 1829 schritt ein junger Mann nachdenklich aus der westlichen Umgebung der Stadt gegen die Burgbastei (Fig. 20). Sein Ziel war das »Paradiesgärtchen«, wo er sich in dem dort befindlichen berühmten Kaffeehaus niederließ, um das schöne Panorama zu genießen. Das »Paradeisgartel«, wie es die Wiener hießen, war einer der beliebtesten Sammelpunkte unserer Altvorderen. Ein Schriftsteller der Dreißigerjahre, der zugleich Zeitungsberichterstatter war, schildert eine dort veranstaltete Abendunterhaltung in folgender Weise: »Das Paradiesgärtchen bildet auch heuer (1831) einen Vereinigungspunkt für zahlreiche und elegante Gesellschaften. Es ist aber auch inmitten Wiens kaum ein Platz denkbar, der eine freiere, gesündere Lage hätte und dabei eine Aussicht gewährte, die wirklich zauberisch genannt werden muß. Vom Balkon des Kaffeehauses aus durchschweift der Blick, außer einem großen Teile der Vorstädte, vom Schwarzenberg-Palais und der Karlskirche angefangen die ganze Gebirgsreihe des Galitzin-, Kahlen- und Leopoldsberges bis an die Donau hin. Wenn Lanner mit seinem Orchester daselbst spielt, so ist dies ein Zugmittel mehr und bei einer solchen Gelegenheit waren unlängst mehr als 1500 Personen zugegen, die bei den Lieblingskompositionen des Meisters: ›Die Schnellsegler‹, ›Die Wuarler‹, ›Flüchtige Lust‹ und ›Paradies-Soiree-Waker‹ in einen wahren Beifallssturm ausbrachen.«

Die Geschichte des »Paradeisgartel«, welches in den Siebzigerjahren der Stadterweiterung zum Opfer fiel, nachdem es schon vorher vom »Volksgarten« losgerissen worden war, ist recht interessant. Es wurde im Jahre 1818 von einem sehr spekulativen Italiener namens Pietro Corti gegründet.

Am 9. Februar 1781 in Bergamo geboren, war er 1795 als Lehrling nach Wien gekommen, hatte 1803 das Kaffeehaus in Schwechat übernommen und erwarb im Jahre 1808 das Wiener Bürgerrecht. Im Jahre 1805 und auch im zweiten Kriegsjahre 1809 leistete Corti dem Staate so wichtige Spionendienste, daß Kaiser Franz der ganzen Familie des Italieners für immerwährende Zeiten das Privilegium erteilte, im Paradies-, sowie im Volksgarten gegen einen sehr kleinen Platzzins die Kaffeehausgerechtigkeit auszuüben. Vier Jahre nach Gründung des »Paradeisgartels« erbaute Corti tatsächlich auf Grund der Pläne des Hofbaurates Peter von Nobile den Salon im Volksgarten. Im übrigen erzählen die Chronisten, daß das »Paradeisgartel« die »Kaffeehütte« auf der Burgbastei, die sogenannte »Ochsenmühle«, ersetzen sollte, welcher Bäuerle unrecht tut, wenn er sagt, daß sie trotz des sich dort einfindenden eleganten Publikums ein erbärmlicher Spaziergang gewesen sei. Der sonderbare Name »Ochsenmühle« entstand deshalb, weil das Publikum wegen des beschränkten Raumes der Burgbastei immerfort die Runde vor und durch dieses Geschäft machen mußte. Die »Ochsenmühle« war nur ein Zelt, allerdings ein etwa zwanzig Klafter langes, welches der Eigentümer des auf dem Kohlmarkte befindlichen Kaffeehauses, ein gewisser Milano, im Hintergrunde der »Burgbastei« errichtet hatte. Diese nahm den Raum des heutigen äußeren Burgplatzes, samt dem Kaiser- und Volksgarten ein. Unmittelbar vor dem Rittersaale der Hofburg stand die höher gelegene »spanische Bastei«. Die »Ochsenmühle« übte eine derartige Anziehungskraft aus, daß die Burgbastei-Soireen sogar die Theater schwer schädigten. Jeder fremde Potentat wurde in erster Linie dorthin geführt, und es gab damals in Wien keinen Ort, wo sich mehr berühmte Personen einfanden. Seit dem Jahre 1809 ging es aber rapid abwärts. Die Franzosen hatten die Fortifikationswerke der Burgbastei gesprengt und das Kaffeezelt war so baufällig geworden, daß man es kaum mehr wagte, unter seinem Dache Platz zu nehmen. Man war nicht mehr gegen Wind und Regen geschützt und die Lichter mußten mit Glaskugeln versehen werden, sonst wären sie ausgeblasen worden. Es kamen wohl noch Familien mit ihren Töchtern und Söhnen in die »Ochsenmühle«, denn diese hatte so lange Zeit hindurch den Hauptheirats- und Rendezvousort gebildet, im Jahre 1812 wurde aber ernstlich Schluß gemacht, es erschienen militärische Arbeiter, welche mit der Abtragung der Burgbastei, deren Mauern die Franzosen schon vorher in den Stadtgraben geworfen hatten, begannen, um Raum für die Anlage des neuen äußeren Burgplatzes zu schaffen Wir haben bereits erwähnt, daß die Stadt Wien von einer Fortifikationsmauer umgeben war. Außerhalb der erhöhten Basteien dehnte sich das Glacis aus, welches aus strategischen Gründen nicht verbaut werden durfte. Daher klaffte zwischen den Basteien und den Vorstädten ein Wiesengürtel (Fig. 21-25)..

Fig. 20. Burgbastei (Kiosk »Ochsenmühle«).

Es ist also begreiflich, daß die Wiener, denen man die »Ochsenmühle« und die Burgbastei genommen hatte, Sehnsucht nach einem anderen gleichartigen Etablissement verspürten, und dieses wurde eben das »Paradeisgartel«.

Nachdem wir diesen historischen Rahmen vorausgeschickt, wenden wir uns wieder unserem einsamen Wanderer zu. Er ließ sich, wie gesagt, inmitten des eleganten Publikums nieder und träumte in die Ferne. Dem jungen Manne, welcher Rudolf Gruber hieß und ein Beamter der Polizei war, hatte, wie er sich einbildete, das Schicksal so übel mitgespielt, daß er noch am selben Abende Selbstmord verüben wollte. Erstens war er unglücklich verliebt, da die Eltern seiner Angebeteten kein Vertrauen in seine Zukunft setzen wollten; zweitens empfand er es bitter, daß ihn die Vorgesetzten schlecht behandelten und wenig von seinen Fähigkeiten hielten. So ehrgeizig er war, so minderwertige Arbeiten teilte man ihm zu, und er mußte es sich selber eingestehen, daß er bei seinen Aufgaben keine glückliche Hand bewies. Gruber hatte also zu sterben beschlossen, nur wollte er vorher noch einmal die Poesie seiner Vaterstadt in vollen Zügen genießen, ohne Rücksicht auf seine geringen Geldmittel besuchte er daher das »Paradeisgartel …«

Fig. 21. Wien vom Josefstädter Glacis. Theseustempel. Burg. Burgtor.

Als er nun einmal, es war schon etwas spät geworden, seinen Blick zur Seite wandte, gewahrte er an einem Nebentische einen älteren Mann, der ihm vor allem dadurch auffiel, daß er so gar nicht in die versammelte Gesellschaft paßte. Der Betreffende trug zwar ein neues Gewand, schien aber sehr minderer Abkunft zu sein und kein reines Gewissen zu haben. Dem Polizeibeamten kam es vor, als blickte der Mann immer scheu um sich, und als ihre Augen einander zufällig begegneten, erinnerte sich Rudolf Gruber, daß er mit dem Verdächtigen schon einmal dienstlich zu tun hatte, nur wußte er nicht mehr, aus welchem Anlasse. Der andere schien sich dessen ebenfalls zu entsinnen, denn er steckte das Geld, welches er unter dem Tische gezählt hatte, rasch ein, zahlte und entfernte sich eiligst. Vorher hatte er etwas weggeworfen. Gruber begann der Mann so zu interessieren, daß er ihm zu folgen beschloß. Er erhob sich, seine Sorgen ganz vergessend, ging zu dem Tische, an dem der Verdächtige gesessen hatte und suchte nach dem weggeworfenen Gegenstande. Er gewahrte denselben einen Schritt seitwärts und hob ihn auf: Es war ein alter, leerer Sperrbeutel. Gruber steckte ihn für alle Fälle ein und eilte dem Fremden nach. Dieser war bereits verschwunden. Er konnte ihn weder links noch rechts bemerken und schlug daher aufs Geratewohl eine Richtung ein, die ihn zur Kärntnerstraße führte. Als er in diese eingelenkt war, sah er schon von weitem eine riesige Menschenansammlung. Als er näher kam, fand er überall Leute mit entsetzten Mienen beisammenstehen und hörte, wie sie sich die gräßlichsten Einzelheiten einer Bluttat erzählten, die ein paar Stunden vorher im Herzen der Stadt verübt worden war. Dort hatte sich im Hause Kärntnerstraße Nr. 1072 ein Raubmord ereignet. Das Opfer war die vierzigjährige Dienstmagd Anna Watzek der Hausmeisterin Theresia Gradl. Die letztere hatte sich mittags entfernt, um eine kranke Verwandte außerhalb Wiens zu besuchen. Ihr Mann, ein Anstreicher, hatte ebenfalls auswärts zu tun, so daß die Magd allein zu Hause geblieben war. Sie wurde dann von ihrer Dienstgeberin, welche gegen Abend heimkehrte, ermordet aufgefunden. Frau Gradl hatte vergeblich an die Tür gepocht, bevor sie, Böses ahnend, die Wohnung erbrechen ließ. Mitten im Zimmer lag die Magd in ihrem Blute. Der Täter hatte ihr mit der Hacke eine Reihe furchtbarer Verletzungen auf den Hinterkopf beigebracht. Die Ärmste war zwischen einem an der Wand stehenden Sessel und einem Tische zusammengesunken. Die aus der nahegelegenen Polizei-Oberdirektion herbeigeeilten Funktionäre stellten mit Hilfe der Hausmeisterin fest, daß sich die Tat als Raubmord qualifiziere, denn es fehlten eine goldene Uhr und 40 Gulden Konventionsmünze. Nachträglich konstatierte man auch noch, daß aus einem Uhrkasten eine silberne Uhr geraubt worden sei.

Fig. 22. Alservorstadt von der Schottenbastei (Blick gegen Alsergrund und Roßau).

Als Rudolf Gruber von dieser Mordtat hörte, war er überzeugt, daß jener Verdächtige der Täter sei. Er hatte zwar keine objektiven Anhaltspunkte, seine persönliche Überzeugung sagte es ihm aber. Er hütete sich freilich, seinen Verdacht auszusprechen. Diese Zurückhaltung schien ihm auch sehr vorteilhaft, als er vernahm, was man bisher bereits eruiert hatte. Man war nämlich schon auf einer anscheinend richtigen Spur. Kein anderer als der Hausbesorger selbst wurde der Tat beschuldigt. Herr Gradl war das Kind bemittelter Eltern, die ihn nur deshalb ein Handwerk erlernen ließen, weil er für das Kaufmannsgeschäft des Vaters nicht taugte. Der einzige Sohn, wurde er immer verhätschelt, und als die Eltern starben, konnte er sich nicht in die neuen Verhältnisse, die von ihm Fleiß und Sparsamkeit forderten, einfinden. Er verpraßte das Erbteil der Eltern und auch die Mitgift seiner Frau, welche vergeblich gehofft hatte, aus ihm einen anderen Menschen zu machen. Gradl arbeitete nur hie und da, und wenn er sich entfernte, um angeblich irgendwo einem Verdienste nachzugehen, so beruhte dies meist auf Unwahrheit. Er begab sich dann vielmehr zu allerhand Stelldicheins, die ihm die Mittel gewähren sollten, seinen Leidenschaften, der Trunk- und Spielsucht, zu frönen. Wenn seine Frau hinter diese Schliche kam, entstand regelmäßig Streit, wobei sich die Dienstmagd auf die Seite der ersteren stellte, der sie, nach Ansicht Gradls, auch sonst Spionendienste leistete. Die Behörde nahm also an, daß der Hausmeister die unbequeme Magd aus Rache erschlagen und das Geld nur deshalb entwendet habe, um einen Raubmord glaubhaft zu machen, das heißt, den Verdacht von sich abzulenken. Gradl wurde auch nach seiner Heimkunft trotz seines Leugnens eingezogen. Rudolf Gruber dachte aber immerfort an seinen Mann vom »Paradeisgartel«. Diese Idee setzte sich in seinem Kopfe derart fest, daß er im geheimen Erhebungen auf eigene Faust pflegte. Er erkundigte sich in der Umgebung des Tatortes, ob man dort nicht früher einen Menschen gesehen habe, der wie jener Verdächtige ausgesehen habe. Eine Geschäftsfrau glaubte sich erinnern zu können, daß einigemal zwei Männer, von denen einer ziemlich alt war und dem geschilderten Individuum geähnelt habe, in das ihr gegenüberliegende Haus Nr. 1072 gegangen seien. Gruber entsann sich nun einer Amtshandlung, die er vor einiger Zeit aus Anlaß eines Diebstahls »abgeführt« hatte. Als Täter standen damals zwei Männer vor ihm, und jetzt wußte er es plötzlich ganz genau, daß einer derselben jener Alte gewesen sei. Auch gewisse Einzelheiten fielen ihm ein. Er eilte ins Amt und begann die Gestionsprotokolle auf zwei Jahre zurück zu durchstöbern. Nach mehrstündiger Arbeit schoß ihm das Blut ins Gesicht. Er hatte jenen Fall gefunden. Der ältere der beiden Gauner hieß Josef König und war seines Zeichens Strumpfwirker. Gruber schlug selbst im Meldungsamte nach und hob die Adresse jenes König aus. Er erschien auf der Landstraße Nr. 55 gemeldet. Allein, wie er war, begab sich der Polizeibeamte in das bezeichnete Haus, doch traf er den Gesuchten nicht an. Derselbe war mit seiner Familie nach Breitenfeld Heute ein Teil der »Josefstadt«, des 8. Wiener Gemeindebezirkes (die Kirche am Stadtbahnviadukt zwischen den Stationen »Alserstraße« und »Josefstädterstraße« heißt noch heute »Breitenfelderkirche«). gezogen. Einige Minuten später sehen wir Rudolf Gruber schon nach dieser Vorstadt eilen und an einem recht armseligen Hause halten. Er war an Ort und Stelle. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß Josef König hier wohne und seit der Entdeckung der Mordtat drückende Schulden bezahlt habe, klopfte er bebend an die Tür. Eine Frau öffnete ihm. In der Stube sah er auch schon den Mann aus dem »Paradeisgartel«. Gruber trat ein und ersuchte König, ein wenig mit ihm hinauszugehen. Dieser erblaßte und fragte um den Grund. Gruber lispelte ihm seinen Namen ins Ohr, erinnerte ihn an jene Amtshandlung und erklärte, daß ihn die Polizei für den Täter in einer zur Anzeige gebrachten geringfügigen Diebstahlsangelegenheit halte, da er sich neue Kleider gekauft, Schulden gezahlt habe und sogar noble Kaffeehäuser besuche. König atmete erleichtert auf und meinte lächelnd: »Aha, ich habe Sie auch gleich im Paradeisgartel erkannt.« Den Diebstahl gestand er so halb und halb zu und ging ohne Widerrede mit. Jetzt war es natürlich Zeit, den Vorgesetzten Meldung zu erstatten. Rudolf Gruber wies auf das höchst bemakelte Vorleben Josef Königs hin und meinte, daß ein solcher Mensch wohl eines Raubmordes fähig sei. Die Vorgesetzten waren aber nicht zu überzeugen. Sie wollten Josef König anfangs gar nicht in den Mordfall einbeziehen und betrachteten das Ganze als eine unwillkommene Belästigung seitens Grubers. Dabei begingen sie zu dessen Leidwesen, weil sie eben von der Sache nichts hielten, den Fehler, daß sie dem König mitteilten, er werde der Ermordung Anna Watzeks verdächtigt. Der alte Verbrecher wußte sich nun so zu rechtfertigen, daß seine Unschuld bezüglich des Raubmordes nahezu erwiesen schien. Sein Versuch, ein Alibi nachzuweisen, gelang ihm zwar nicht besonders, allein er gestand einen Diebstahl ein, den die Polizei noch nicht kannte, und gab darüber so viele Einzelheiten, daß sein Geldbesitz auf einmal klar verständlich war. Der Referent wollte König soeben aus seinem Akte ausscheiden, als Rudolf Gruber atemlos ins Bureau stürzte. Er rief dem Häftling zu: »Sie haben im Paradeisgartel etwas weggeworfen, können Sie mir sagen, was dies war?« Der Alte schüttelte ruhig den Kopf: »Ich hab' gar nix wegg'worfen«, sagte er sicher.

Palais des Eh. Karl Fig. 23. Augustinerbastei. Michaelerkirche.

Fig. 24. Wasser-Glacis. Erholungsstätte in Alt-Wien, Gegend des heutigen Stadtparkes, von der Reisnerstraße aus (Landstraße) gegen die Innere Stadt (Stephansturm ist sichtbar) betrachtet.

Fig. 25. Elendbastei (in der Nähe des Salzgries). Das Militär-Staatsstockhaus für Verbrecher aus dem Militärstande befand sich am neuen Tor. Elendbastei Nr. 199.

Gruber riß nun jenen Sperrbeutel aus der Tasche und hielt denselben vor sich hin: »Kennen Sie das?« fragte er, den Mann scharf musternd. König begann zu zittern und war keines Wortes mächtig. Nur mit dem Aufgebote seiner letzten Kraft stieß er hervor: »Dös hat nie mein g'hört!« – »Ganz richtig, aber der Trödlerin Andreska vom Breitenfeld! Kein anderer als Sie hat sie zu Silvester ermordet. Sie haben damals am Breitenfeld gewohnt, sind bald darauf auf die Landstraße 3. Wiener Gemeindebezirk (ehemals eine »Vorstadt«). gezogen und wohnen jetzt, wo die Geschichte schon ein wenig vergessen ist, wieder im Breitenfeld …« Josef König verlangte seine Abführung. Er leugnete zwar hartnäckig weiter, konnte seine Rolle aber nicht zu Ende spielen. Der Sperrbeutel, den Gruber damals aufgelesen, brachte ihn zu Falle. Als ihn das Beweismaterial endlich erdrückte, gestand er beide Mordtaten ein.

Wir lassen nun die amtliche Darstellung der beiden Mordtaten folgen, aus der die Einzelheiten ersehen werden können:

»Josef König, 60 Jahre alt, zu Neuharzdorf, Böhmen, geboren, katholisch, verheiratet, Vater zweier Kinder, Strumpfwirker von Profession, war von Jugend auf boshaft und jähzornig. Er flüchtete in seinem 17. oder 18. Jahre wegen des gegen ihn entstandenen begründeten Verdachtes eines Diebstahles von Glatz, wohin er schon in seiner Kindheit mit seinen Eltern gekommen war, aus dem väterlichen Hause in die k. k. österreichischen Staaten, kam in seinem 20. Lebensjahre in den k. k. Militärdienst, wurde während desselben wegen eines Ärardiebstahles abgestraft und nach 13½ Jahren mit Abschied entlassen.

Im Zivilstande geriet er dreimal wegen Diebstahles und einmal wegen körperlicher Verletzung in Untersuchung, hatte als unbefugter Anstreicher nur einen kärglichen Erwerb, und seine Umstände verschlimmerten sich dergestalt, daß er im Jahre 1828 seine geringen Wäschestücke im k. k. Pfandamte zu versetzen genötigt war, und daß zu Georgi 1829 auf seine ärmlichen Gerätschaften wegen des schuldigen Wohnungszinses die Pfändung geführt wurde.

Schon im Laufe des Jahres 1827 machte er mit dem in ähnlichen Umständen befindlich gewesenen unbefugten Anstreicher A. T. Bekanntschaft und eröffnete diesem seinen Entschluß, jemanden zu ermorden, um Geld zu erhalten und sich aus der Not zu helfen. A. T. stimmte diesem Vorschlage bei und gab mehrere ihm von seinen Anstreicherarbeiten und aus anderen Anlässen bekannte Orte, insbesondere die auf dem Breitenfelde wohnhafte Trödlerin Johanna Andreska und die Hausmeisterin Theresia Gradl in der Kärntnerstraße als Personen an, bei welchen durch Diebstahl oder Mord Geld zu erlangen wäre.

Infolge dieser Verabredung gingen A. T. und Josef König, und zwar letzterer stets mit einer kleinen Holzhacke versehen, seit Michaeli 1828 mehrere Male aus, teils um die Wohnung der Trödlerin Johanna Andreska und der Hausmeisterin Gradl, teils andere Personen zu beobachten. Sie wurden aber stets durch die Anwesenheit anderer an der Ausführung gehindert.

Erst am 31. Dezember 1828 gelang es ihnen nach längerem Auflauern, um die Mittagszeit die Andreska allein zu Hause anzutreffen und in ihren Verkaufsladen eingelassen zu werden, wo dann dieselbe, während sie auf Verlangen des A. T. sein bei ihr verpfändetes Kleid in der Kastenschublade aufzusuchen im Begriffe war und sich zu diesem Ende bückte, von dem Josef König von rückwärts mit der Hacke zwei Hiebe auf den Kopf erhielt, wovon sie gleich zusammenstürzte. Nachdem die Unglückliche noch aus dem Verkaufslokale in das daranstoßende Zimmer geschleppt und ihr von Josef König noch einige Schläge auf den Kopf, bis sie ohne Bewegung liegen blieb, versetzt wurden, durchsuchten sie, um Geld zu finden, jedoch vergeblich die Kästen und entfernten sich dann durch den rückwärtigen Ausgang der Wohnung, ohne etwas anderes als einige Paar Strümpfe oder Socken, acht gegossene Kerzen und einen Sperrbeutel mit beiläufig 1 Gulden 30 Kreuzer in Kupfergeld mitgenommen zu haben. Dieser Geldbetrag wurde hierauf von ihnen teils zur Bezahlung einer Zeche verwendet, teils geteilt. König gestand erst nach langem und hartnäckigem Leugnen diese Tat in Übereinstimmung mit den gerichtlich erhobenen Umständen. Bei der nach Vorschrift des Gesetzes an der beiläufig 60 Jahre alten Trödlerin Andreska vorgenommenen gerichtlichen Beschau wurden an ihrem Kopfe sieben gequetschte Wunden, und darunter sechs, jede einzeln für sich tödlich, befunden, so daß der Tod dieser Unglücklichen aus der Tat notwendig erfolgen mußte. Ferner hat Josef König das Geständnis einiger Diebstähle und Diebstahlsversuche abgelegt und einen zweiten meuchlerischen Raubmord, obwohl gleich anfangs seiner Arretierung desselben rechtlich beinzichtigt, doch erst nach längerem Leugnen und übereinstimmend mit den gerichtlichen Erhebungen dahin bekannt: Über Mitteilung des A. T., daß bei dem Hausmeister im Hause 1072 in der Kärntnerstraße viel Geld zu bekommen wäre, und über ihr Einverständnis, daß sie zur Erlangung des Geldes die Ehewirtin des Hausmeisters in dessen Abwesenheit um das Leben bringen wollten, seien sie schon vor Ermordung der Andreska einige Male, mit einer kleinen Hacke versehen, wegen Ausforschung der schicklichen Gelegenheit dahin gegangen, jedoch durch die Anwesenheit anderer Personen an der Vollbringung ihres Vorhabens verhindert worden. Nachdem im Sommer 1829 ihre Zusammenkünfte seltener geworden, habe er, Josef König, am 5. Juli des ersterwähnten Jahres diese Tat allein ins Werk gesetzt.

An diesem Tage nachmittags habe er sich unter dem Vorwande, den Hausmeister zu einer Arbeit zu bestellen, in dessen Wohnung begeben und mit der dort anwesenden, ihm unbekannten Weibsperson in ein Gespräch eingelassen. Während dieselbe auf einem Sessel gekniet und mit irgend etwas an der Mauer beschäftigt gewesen sei, habe er ihr mit der aus der Hausmeisterküche zu sich genommenen Hacke von rückwärts zwei oder drei Hiebe auf den Kopf versetzt, so daß dieselbe auf einem nahestehenden Tische zusammengefallen sei. Da sich die Weibsperson, während er die Wohnungstür von innen zugesperrt habe, wieder erhoben, habe er ihr mit der Hacke mehrere Schläge auf den Kopf beigebracht, bis sie regungslos liegen blieb, eine goldene Uhr, 40 Gulden Konventionsmünze, so aus einem Uhrkasten eine silberne Uhr geraubt, nach Versperrung der Wohnung sich entfernt.

Die Ermordete war die Dienstmagd Anna Watzek, 40 Jahre alt. Bei der Obduktion wurden 20 meistens auf den Hirnschädel beigebrachte tödliche Wunden gefunden …«

Josef König wurde am 17. Juni 1830 durch den Strang hingerichtet. Rudolf Gruber hatte sich aber durch die Aufhellung der beiden Mordtaten so große Anerkennung erworben, daß er wieder seinen Lebensmut und seine Arbeitsfreude fand. Wir begegnen seinem Namen noch bei verschiedenen, in späteren Jahren vorgefallenen kriminalistischen Begebenheiten.


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