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(1816)
Als 28jähriges Mädchen lernte die Bauerstochter Anna Bachmann in Melk einen »hohen Herrn« kennen. Ihre Eltern hatten eine Wirtschaft in Pöchlarn und pflegten verschiedene Erzeugnisse auf den Markt des bekannten Stiftsortes zu liefern. Dies besorgte »die Älteste«, auf deren Tugend und Rechtschaffenheit man sich unbedingt verlassen konnte. So mancher Bauernbursche hatte sie zur Frau begehrt, war aber mit einem Korbe wieder heimgegangen. Anna war nicht stolz, sie pochte nicht darauf, daß der elterliche Besitz altererbt und schuldenfrei war, sie mochte sich aber dem Willen eines fremden Mannes nicht beugen und blieb lieber ledig. Trotz ihrer Jahre, die man ihr übrigens nicht ansah, war sie eine blühende Erscheinung. Es war im Jahre 1802, als sie, wie erwähnt, auf einer Promenade jenen »hohen Herrn« kennen lernte. Sie ruhte auf einer Bank eben ein wenig aus, als dem Betreffenden ihre Schönheit auffiel. Er ließ sich neben ihr nieder und knüpfte mit ihr ein Gespräch an. Anna, welche nicht oft Gelegenheit hatte, mit gebildeten Personen zu verkehren, fand an dem Manne Gefallen, und als sie das nächstemal geschäftlich nach Melk kam, war es kein Zufall mehr, daß sie mit ihm zusammentraf. Bald war aus den beiden ein Liebespaar geworden, obwohl der Abstand zwischen ihnen ein sehr großer und an eine eheliche Verbindung nicht zu denken war.
Den Eltern konnte das Verhältnis für die Dauer nicht verborgen bleiben, dafür sorgten schon die Freundinnen und Bekannten Annas. Da gab es dann heftige Szenen im Vaterhause. Man wollte sie sofort an einen Bauernsohn verheiraten, der sich über die Herzensneigung des Mädchens, vermutlich wegen der zu erwartenden Mitgift, hinweggesetzt hätte. Anna weigerte sich jedoch entschiedenst, ihre Einwilligung zu geben. Die Eltern verlangten wieder, daß dem Gerede von dem Verhältnisse mit dem »hohen Herrn« ein Ende gemacht werden müsse. Der Bauernsohn trat als so stürmischer Bewerber auf, daß sich Anna, um ihrem Geliebten peinliche Szenen zu ersparen, zu einer Verlobungsfeier entschloß. Am Tage derselben verschwand sie aber aus Pöchlarn.
Die Gründe waren mannigfacher Natur. Vor allem hatte sie erkannt, daß sie ihr Bräutigam wirklich liebe und daß es ihm nicht bloß um die Erlangung von Geld zu tun sei. Einen solchen Mann durfte und konnte sie nicht hintergehen, denn damals war es bereits zu spät. Wenn man auch den Grund ihrer Weigerung nicht so ganz verstand, über kurz oder lang wäre er ja doch ans Tageslicht gekommen.
Anna teilte dem »hohen Herrn« ihre Pläne mit, daß sie der Heirat entgehen wolle, und bat ihn, sie mit Rat zu unterstützen, da sie ihre schwere Stunde in der Fremde abzuwarten gesonnen sei.
Der Geliebte schrieb ihr jedoch, daß er diesen Schritt nicht billigen könne. Sie möge nur den Angehörigen alles entdecken und daheim verbleiben, da er dann bessere Gelegenheit haben werde, mit ihr in steter Verbindung zu sein. In Wien, wohin sie sich begeben wolle, könne er sie nicht so frei besuchen und auf Spaziergängen begleiten. Auch sehe er nicht ein, warum sie seinetwegen den Bauernsohn nicht heirate.
Dieser letztere Gedanke brachte Anna die Überzeugung, daß der »hohe Herr« nur ein frevles Spiel mit ihr getrieben habe. Sie begab sich, ohne ihm zu antworten, nach Wien. Wie sie bisher nie ein Geschenk empfangen hatte und auch aus Stolz und Schamgefühl jetzt unter gar keinen Umständen eines angenommen haben würde, stellte sie sich auf eigene Füße und war entschlossen, ihre Ersparnisse zu opfern. Der Kummer über das treulose Verhalten des angebeteten Mannes, die Unannehmlichkeiten mit ihrer Familie, die Empfindung, daß sie nun auf der Welt verlassen und verstoßen sei, alles dies bewirkte, daß sie in eine heftige Krankheit verfiel. In ihrer Verzweiflung, die sie dem Wahnsinne nahe brachte, wurde sie von einem typhösen Fieber ergriffen, so daß sie in das Spital gebracht werden mußte. Dortselbst kam sie vorzeitig nieder. Das Kind starb kurze Zeit nach der Geburt. Niemand kümmerte sich um sie, auch nicht derjenige, welcher ihr so nahe gestanden …
Die lange Krankheit verschlang ihr erspartes Geld. Als sie endlich als genesen aus der Spitalsverpflegung entlassen wurde, hatte sie nur die Wahl, ob sie heimkehren oder den Geliebten um Unterstützung bitten solle, wenn sie sich nicht ihr Brot durch ihrer Hände Arbeit verdienen wollte. Sie entschied sich für das letztere und beschloß, einen Posten als Köchin anzunehmen.
Jahre vergingen. Sie hatte von ihren Eltern nichts mehr gehört, als eines Tages ein Brief ihres Vaters eintraf, in welchem ihr derselbe mitteilte, daß Haus und Hof in Wucherhänden seien, daß man nur ihr die Schuld daran beimessen könne, denn sie habe Schmach und Schande über die Familie gebracht, den guten Ruf zerstört, das Vertrauen untergraben – kurz, es sei ihre Pflicht, den Eltern nun wieder aufzuhelfen. Dies sei nur dadurch möglich, daß sie dem »hohen Herrn« entsprechend zusetze. Er müsse Geld hergeben, um die durch ihn ruinierte Wirtschaft wieder aufzurichten. Anna traute ihren Augen kaum. Der Schmerz überwältigte sie, als sie dies las, denn sie hatte ihre Eltern noch immer lieb. Bald trocknete sie aber entschlossen ihre Tränen. Ein namenloser Ekel erfaßte sie. Um wieviel besser dünkte sie sich, die Verstoßene, Ehrlose, als jene Menschen, die sich hartherzig zu ihren Richtern gemacht, und zu denen sie auch ihre leiblichen Eltern zählen mußte. Es lag auf der Hand, daß der Verfall des väterlichen Gutes mit ihrer Liebesgeschichte nichts gemein haben konnte. Man wollte nur mit ihrer Beihilfe eine Erpressung begehen. Dazu hätte sie aber nicht einmal dann die Hand geboten, wenn sie nicht so vollständig mit ihrem Geliebten gebrochen haben würde. Sie teilte ihrem Vater mit, was sie über diese Angelegenheit denke, und ersuchte denselben, ihr nicht mehr zu schreiben, da er es ja bisher nicht für nötig gefunden hätte, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.
Einige Tage später erhielt Anna den Besuch ihres jüngsten Bruders Johann. Er klagte ihr über die schlechten Verhältnisse und bat sie um Geld. Johann, seines Zeichens Schneider, war damals Hausknecht, hatte den Posten aber in den nächsten Tagen zu verlassen und meinte, daß er mit einer Barschaft von fünf Gulden zehn Kreuzer, die er besitze, nicht lange werde leben können. Anna machte ihm heftige Vorwürfe, händigte ihm einige Gulden ein und verbat sich die ferneren Besuche, da ihre Herrschaft dieselben nicht dulden werde.
Johann, ein 25jähriger, kräftiger Bursche, rückte nun mit dem bereits vom Vater geäußerten Ansinnen hervor, daß Anna von ihrem Geliebten Geld erpressen solle. Da kam er natürlich schön an. Sie wies dem Bruder kategorisch die Türe und erklärte, von ihrer Familie nichts mehr wissen zu wollen.
Johann Bachmann begab sich nunmehr auf eigene Faust zu dem »hohen Herrn« und verlangte von diesem im Namen der Schwester Geld. Seine Forderung wurde zwar nicht abgeschlagen, doch bestand der Geliebte darauf, daß Anna den Betrag selber von ihm hole. Daß er so nichts ausrichten werde, war dem verkommenen Burschen klar. Er entfernte sich daher mit der Vorgabe, dies seiner Schwester mitteilen zu wollen. In Wahrheit faßte er jedoch den Entschluß, das Mädchen zu ermorden, um einige Gulden an sich zu bringen. Am 30. April begab er sich zu dem gedachten Zwecke in die Wohnung ihres Dienstgebers.
Sein Plan war, sie mit dem gewöhnlich in der Küche liegenden Fleischhammer auf den Kopf zu schlagen und zu betäuben. Er wurde eingelassen, fand aber nicht den Mut zur Ausführung, auch war er im Zweifel, ob sie eine größere Geldsumme besitze. Er fuhr daher wieder nach Melk, besuchte den »hohen Herrn«, trat sehr frech auf, drohte mit Skandalen und wußte den Mann zu bestimmen, daß er eine namhafte Summe durch eine Vertrauensperson nach Wien zu senden versprach.
In der Annahme, daß das Geld am ersten Mai eingetroffen sei, kam Johann Bachmann am 2. Mai 1817, abends um halb neun Uhr, wieder zu der Schwester. Er gab ihr schöne Worte und wußte so ein längeres Gespräch einzuleiten. Anna stand währenddessen bei einem Schaffe Wasser und reinigte eine Flasche. Plötzlich schlich sich Johann Bachmann, der der irrigen Meinung war, daß seine Schwester allein zu Hause weile, von rückwärts an sie heran, ergriff den Schlegel und versetzte ihr meuchlings einen derartigen Schlag auf den Hinterkopf, daß das Mädchen zusammensank. Anna raffte sich aber zusammen und wollte aufstehen. Da stürzte sich der entmenschte Bruder neuerlich auf sie und hieb noch zwei- bis dreimal auf sie ein, bis sie bewußtlos wurde.
Auf das Getöse eilte der im anstoßenden Zimmer anwesende Bruder des Dienstgebers, ein alter Mann, in die Küche. Aus Furcht, ergriffen zu werden, schlug ihn Bachmann mit der Mordwaffe gleichfalls mehrmals auf den Kopf, so daß auch das zweite Opfer zu Boden fiel. Nun gedachte Bachmann den Raub zu begehen. Er durchsuchte den Koffer der Schwester, allein er sollte die Früchte seiner ruchlosen Tat nicht genießen.
Durch das Ächzen der schwerverwundeten Personen und durch den ungewöhnlichen Lärm in der sonst so ruhigen Wohnung aufmerksam gemacht, erschienen verschiedene Hausparteien vor der Türe und verlangten Einlaß. Durch ihr Pochen und Schreien geriet Bachmann in großen Schrecken. Er wollte sein Heil in der Flucht suchen, öffnete die verriegelte Türe und eilte mit drohend geschwungenem Schlegel hinaus. Betroffen wichen die Leute, meist Weiber, zurück, so daß Bachmann die Stiege gewann, auf welcher er das Mordinstrument wegwarf. Trotzdem gelang ihm die Flucht nicht. Mit lautem Geschrei liefen ihm die Verfolger nach, und schon nach wenigen Schritten war er auf der Straße ergriffen und der Polizeiwache übergeben.
Während der vom Wiener Stadtgericht gepflogenen Untersuchung bekannte Bachmann seine Verbrechen ein. Das von dem »hohen Herrn« gesandte Geld traf wirklich einige Tage später ein. Die arme Anna kam aber nicht mehr in die Lage, darüber zu verfügen. Trotz sorgfältiger ärztlicher Behandlung starb sie am 22. Mai 1817, nachdem der Bruder ihres Dienstgebers schon am 12. des Monates seinen Verletzungen erlegen war.
Die gerichtliche Obduktion ergab, daß der 62 Jahre alte Mann drei Hiebe mit dem ein Pfund, 21 Lot schweren Schlegel erhalten hatte, welche die Vorder-, Ober- und die Seitenteile des Kopfes trafen.
Die Köchin hatte vier Schläge an dem »gewölbten Teile des Kopfes« empfangen. Bei beiden Personen wurden dadurch mehrfache Knochensprünge des Schädels sowie heftige und wiederholte Gehirnerschütterungen erzeugt, wie die Gerichtsärzte sich ausdrückten. Eine weitere Folge seien Blutaustritte und Entzündungen der Hirnhaut gewesen, welche notwendig zum Tode führen mußten.
Das Urteil wurde im Juni 1817 über Johann Bachmann gesprochen. Es lautete auf Tod durch den Strang. Am 23. Juni desselben Jahres langte es, von den Oberbehörden bestätigt, herab, wurde ihm öffentlich kundgemacht und am 26. Juni vollzogen.
Diese Justifizierung gehört zu den grauenvollsten, welche die Wiener Kriminalgeschichte kennt. Johann Bachmann hatte bis zum letzten Tage auf Begnadigung gehofft. Als dieselbe ausblieb, wurde er von einer unbezwinglichen Todesangst ergriffen. Er verweigerte jeden geistlichen Beistand und gebärdete sich so rabiat, daß er an Händen und Füßen gebunden auf den »Malefizwagen«, gehoben werden mußte. Dies war auch wahrscheinlich der Grund, daß er während der düsteren Fahrt zur »Spinnerin am Kreuz« bei einer jähen Wendung des Karrens auf die Straße kollerte. Unter großem Geschrei der Menge und des Mörders selbst wurde er wieder hinaufgeschafft. Das Volk erblickte in dem Vorfalle aber irgend ein Zeichen der Vorsehung. Vor dem Galgen spielten sich noch entsetzlichere Szenen ab. Bachmann sträubte sich, als man ihm die Fußfesseln gelöst, nach Kräften gegen die Hinrichtung. Sein Jammergeschrei durchschnitt unheimlich die Luft. Dazu kam, daß eine weiße Straßentaube immerwährend den Pflock umkreiste, um sich wiederholt auf denselben niederzulassen. Der Scharfrichter geriet dadurch in merkliche Verwirrung und legte dem Delinquenten, der den Kopf auf die Brust preßte, die Schlinge so schlecht um den Hals, daß sie abrutschte. Bachmann fiel herab, wurde jedoch von den Gehilfen des Scharfrichters aufgefangen, die nun so roh Zugriffen, daß dies abermals den Unwillen der zahlreichen Zuschauer erweckte. Militär und Polizei mußte gegen die Menschenmassen einschreiten, die Miene zu machen schienen, den verurteilten Doppelraubmörder den Händen der Justiz zu entreißen. Auch der zweite Versuch des Scharfrichters schlug beinahe fehl. Mit Gewalt mußte dem Todeskandidaten das Kinn emporgerissen werden, um die Schlinge wirksam anlegen zu können. In den Akten findet sich über jene Vorgänge zwar nur wenig, daß die Justifizierung indessen mit Schwierigkeiten verbunden war, geht selbst aus den wenigen Notizen hervor. Bis abends, wo der Leichnam nach Vorschrift herabgeholt wurde, harrte die erregte Menge vor dem Galgen aus und konnte nur mühsam im Zaume gehalten werden.