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Die kleine Stube war hell erleuchtet. Valdemar und ich gingen sogleich zu der Frau hin, gaben ihr die Hand und grüßten sie:
»Guten Abend, Frau!«
»Guten Abend, Kinder!« erwiderte sie mit einem ungewöhnlich scharfen Blick auf uns.
Der Mann mit seiner dröhnenden Baßstimme sagte kurz:
»Setzt euch!« Dabei deutete er mit der Hand auf eine kleine hölzerne Bank am Ofen.
Wir setzten uns nebeneinander auf die Bank nieder.
Der große schwarze Hund war auch mit hereingekommen und hatte sich neben der Tür auf den Boden niedergelegt. Jetzt stand er wieder auf und ging langsam mitten durch die Stube, immerfort seine funkelnden Augen auf uns gerichtet. Schließlich kam er zu uns her und beschnupperte uns sorgfältig beide, einen nach dem andern. Als er damit fertig war, ging er wieder an seinen Platz und legte sich. Seinen großen, schweren Kopf ließ er auf den ausgestreckten Vorderpfoten ruhen.
Währenddessen hatte der Hausherr am Tisch bei der Lampe noch einmal meinen Revolver untersucht und wollte nun auch die blinden Patronen sehen. Ich reichte ihm das metallene Döschen, worin sie eingeschlossen waren.
Der Mann betrachtete den Inhalt des kleinen Döschens und gab es mir dann samt dem Revolver zurück. – »Hier hast du dein Schießzeug wieder«, sagte er freundlich. »Es macht einen ordentlichen Lärm. Ich habe wirklich geglaubt, der Schuß im Wald sei ein richtiger gewesen; drum habe ich mich vorgesehen.«
Ich wußte nicht recht, was ich antworten sollte. Um aber doch etwas zu sagen, fragte ich:
»Sie haben wohl gemeint, wir seien Räuber?«
Der Mann lächelte. »Gewiß, so etwas Ähnliches mußte ich schon annehmen. An euch zwei kleine Abenteurer hätte ich ja nicht gedacht. – Nun sagt aber, wie kommt es, daß ihr ganz allein von Kopenhagen hierher gefahren seid?«
»Es ist nur ein Ferienausflug, den wir zu unserm Vergnügen machen«, erwiderte ich.
»Aber warum seid ihr dann nicht nach Malmö gefahren?«
»Wir sind von Seeräubern überfallen worden und mußten deshalb unsern Kurs verlassen.«
»Von Seeräubern?«
»Ja, von drei großen Burschen in einem Ruderboot.«
Wir erzählten nun, was uns auf der Reise begegnet war. Der Mann und seine Frau, die sich auch an den Tisch gesetzt hatte und an einem Strumpf strickte, hörten uns aufmerksam zu. Namentlich unser Abenteuer mit den »Seeräubern« erregte ihre Teilnahme.
»Das sind gewiß wieder Gassenbuben von Malmö gewesen«, bemerkte zuletzt die Frau. Der Mann aber gab uns den Rat, die Sache am nächsten Tag bei der Polizei in Malmö zu melden. Er sagte, das sei unsere Pflicht; die Nichtsnutze müßten einmal gehörig bestraft werden, sonst würden sie noch öfter ihr Unwesen treiben.
Das Gespräch hatte uns bereits mit den Leuten befreundet. Die Frau stand jetzt auf und holte draußen zwei große Tassen voll Milch und gab uns Butterbrote dazu.
Das war ein vorzügliches Abendessen. Wir waren hungrig und nahmen es gerne an.
Dann ging die Frau wieder aus der Stube, um uns in einem anstoßenden Raum eine Lagerstätte für die Nacht zu bereiten. Während sie draußen war, fragten wir den Mann, ob er und seine Frau allein in diesem Hause wohnten.
»Nein«, sagte er, »wir haben noch einen Sohn, der ist sechzehn Jahre alt. Er ist heute nach Malmö gegangen. Eigentlich sollte er schon lange zurück sein. Ich kann mir gar nicht denken, warum er so lange ausbleibt. Er muß aber jeden Augenblick kommen.«
»Wie weit ist es von hier bis nach Malmö?« fragte ich.
»Ein paar Stunden zu Fuß.«
»Und wie weit ist es mit dem Kahn vom Strande aus?«
»Wenn ihr morgen vormittag hinfahrt, könnt ihr es in einer Stunde machen, ihr habt dann die Strömung mit euch.«
Ich fragte weiter: »Glauben Sie nicht, daß jemand unsern Kahn unten am Strand wegnehmen könnte?«
»O nein, da kommt nicht leicht jemand hin, denn es wohnt niemand in der Nähe.«
Der Mann lebte also ganz einsam hier mit seiner Familie. Er hatte eine kleine Landwirtschaft und brannte Holzkohlen im Walde, was ihm einen guten Verdienst einbrachte.
So erzählte er uns, während wir zusammen auf den Sohn des Hauses warteten. Die Frau hatte inzwischen unser Nachtlager bereitet und war wieder in die Stube hereingekommen.
Auf einmal fing der Hund an zu knurren. Er spitzte die Ohren, sprang bellend auf gegen die Tür und versuchte sie durch Kratzen mit den Pfoten aufzumachen.
»Das wird der Junge sein«, sagte die Frau.
Valdemar und ich waren sehr darauf gespannt, den Sohn unserer freundlichen Gastgeber kennenzulernen.
Bald hörten wir Schritte draußen. Die Frau öffnete vorsichtig das Fenster und rief hinaus: »Gustav, bist du es?«
»Ja, Mutter,« lautete die Antwort, und gleich darauf trat mit einer kleinen Blendlaterne in der Hand der junge Bursche in die Stube herein.
Valdemar und ich standen auf, um ihn zu begrüßen. Als wir ihn aber genauer sahen, wichen wir, wie von einem Schlag ins Gesicht getroffen, einige Schritte zurück.
Hätten wir einen Toten von der Bahre aufstehen und auf uns zukommen sehen, wir wären kaum heftiger erschüttert worden, als jetzt beim Erscheinen dieses Jungen. Wir erkannten nämlich in dem Sohne der guten Leute – einen der drei »Seeräuber«, die uns wenige Stunden zuvor auf dem Meere überfallen hatten!
Valdemar faßte mich bei der Hand. Ohne ein Wort herauszubringen, ließen wir uns beide ganz verwirrt wieder auf die kleine Ofenbank nieder.
Mitten in der Stube stand der Bursche kreidebleich und starrte uns mit offenem Munde an …
Den beiden Eltern war sofort unser Benehmen aufgefallen. Auch sie schauten sprachlos auf uns drei Knaben. Die Frau hatte Strumpf und Arme sinken lassen.
Der erste, der wieder Worte fand, war der Vater des Jungen. – »Warum schaut ihr euch denn so an?« sagte er. »Ist am Ende etwas zwischen euch vorgefallen?«
Valdemar und ich schwiegen. Dem überraschten Burschen aber schoß bei dieser Frage das Blut in den Kopf. Soeben noch blaß wie eine Leiche, war er jetzt auf einmal feuerrot geworden. Wir sahen deutlich, daß heftige Gefühle in seiner Brust miteinander kämpften. Er gab keine Antwort. Schließlich ging er auf die Seite und setzte sich in der Nähe seiner Mutter, etwas vom Tische weg, auf einen Stuhl. Den Blick hielt er verlegen zu Boden gesenkt.
»Ich will nicht hoffen, Junge, daß du wieder mit deinen Kumpanen von Malmö zusammen warst!« begann sein Vater jetzt in strengem Tone. Dann wandte er sich zu uns und fragte, etwas freundlicher, aber ganz bestimmt: »Sagt mir, ist er dabei gewesen, wo ihr überfallen worden seid?«
Gustav warf uns einen angstvollen, bittenden Blick zu.
»Ja«, antwortete ich, »aber er hat uns nichts getan, nur die andern zwei.«
Der Mann stand nun zornig auf, machte einen Schritt vorwärts und sagte zu Gustav: »So, so, du Bürschchen! – Marsch! in die Kammer dort!«
Der arme Junge folgte schluchzend dem scharfen Befehl. Der Vater schritt hinter ihm her in die Kammer und machte die Tür zu.
Valdemar und ich schauten uns beklommen an. Mir pochte das Herz.
Auch die Frau war sehr ernst geworden; sie blieb aber ruhig sitzen und arbeitete an ihrem Strickzeug weiter.
Bald darauf hörten wir, daß nebenan in der Kammer ein lebhaftes Gespräch zwischen Vater und Sohn stattfand, doch konnten wir kein Wort davon verstehen.
»Jetzt fragt er ihn aus!« sagte Valdemar mir leise ins Ohr.
»Ja, wenn wir ihm aber nur helfen könnten, Valdemar!« Gustav tat mir nun sehr leid.
Die Frau, die unser Flüstern bemerkt hatte, schaute von ihrer Arbeit auf, rückte ihren Stuhl näher zu uns hin und fing eindringlich, aber doch gütig mit uns zu reden an:
»Was hat es eigentlich zwischen unserm Jungen und euch gegeben? Wollt ihr es mir nicht sagen?«
Ich antwortete ihr, es sei so gewesen, wie wir schon erzählt hätten. Gustav habe uns aber gar nichts getan, er habe überhaupt nicht an dem Kampfe teilgenommen; er verdiene deshalb auch ganz sicher keine Strafe.
Dann mußte ich ihr beschreiben, wie die beiden andern Burschen ausgesehen hätten.
»Ach, bei denen ist er wieder gewesen!« sagte sie betrübt darauf. »Wie oft hat sein Vater ihm das schon verboten! Jetzt wird aber sein Maß voll sein.«
»Glauben Sie, daß er Schläge bekommt?« fragte schnell der kleine Valdemar.
Ehe die Frau antworten konnte, hörten wir von der Kammer her ein angstvolles Schluchzen und gleich darauf sausende Hiebe und Schreien: »Ich tu's nicht mehr! – Ich tu's nicht mehr!«
Von größtem Mitleid ergriffen, sprangen Valdemar und ich an die Tür der Kammer und klopften fest an. Damit erreichten wir, daß für den Augenblick wenigstens die Schläge aufhörten.
Gustav weinte und jammerte.
Der Vater zankte heftig mit ihm. Wir fürchteten, er werde ihn nochmals schlagen.
Das wollten wir verhüten. Wir wollten dem unglücklichen Jungen helfen, um jeden Preis!
Deshalb klopften wir jetzt nicht mehr an; wir rissen die Tür auf und stürzten hinein.
In der Kammer waren zwei Betten. Auf dem einen lag ausgestreckt Gustav, daneben stand der strenge Vater mit einer starken Rute in der Hand.
Als wir eindrangen, sprang Gustav vom Bette auf. Der Vater warf uns einen scharfen Blick zu. Seine Augen flammten vor Zorn. Wir ließen uns aber dadurch nicht zurückhalten, sondern eilten zu ihm hin und faßten flehend seine Hände.
»Ich bitte Sie recht schön«, begann ich ohne weiteres, »tun Sie ihm jetzt nichts mehr! Er hat ja gar nichts mit uns gehabt! Er ist nur bei den andern gewesen! Die sind die Schuldigen, er nicht!«
»Aber ich hatte es ihm verboten, mit diesen Taugenichtsen zu gehen! Darum strafe ich ihn!« erwiderte voll Erregung der Mann.
Ich entgegnete: »Er wird es aber gewiß nicht mehr tun! Bitte, verzeihen Sie ihm und schlagen Sie ihn nicht weiter!«
»O ja, verzeihen Sie ihm doch!« kam Valdemar mir zu Hilfe. »Er hat ja gar nichts gemacht! Mich haben nur die andern geschlagen!«
So bestürmten wir unaufhörlich den Mann mit unsern Bitten und hielten seine Hände fest. Endlich sagte er:
»Meinetwegen, so will ich es ihm für diesmal noch hingehen lassen. Aber der Bursche soll sich ja in acht nehmen!«
Damit steckte er die Rute in eine Schublade hinein und ging in die Stube zurück.
Valdemar und ich blieben noch ein wenig mit Gustav in der Kammer und suchten ihn zu trösten. Er dankte uns, noch immer mit Tränen in den Augen. Dann gingen auch wir wieder in die Stube und setzten uns, alle drei zusammen, auf die kleine Ofenbank.
Der Hausherr war eben daran, seiner Frau zu erzählen, was er von Gustav erfahren hatte. – Der Junge war von den beiden andern Buben eingeladen worden. Sie hatten ihm gesagt, sie wollten eine Seefahrt machen und »Wikinger« spielen. Deshalb hatten sie die roten Schilder, das heißt rotbemalte Pappendeckel mitgenommen. Als sie dann unser Boot auf hoher See gesichtet hätten, seien sie auf uns losgesteuert mit der Absicht, wie richtige Wikinger uns zu berauben.
So erzählte der Mann seiner Frau. Zu uns sagte er dann: »Ihr braucht der Polizei in Malmö morgen nichts zu melden; ich werde selbst für die Bestrafung der Burschen sorgen.«
Wir fragten ihn, an wen wir die erbeuteten Ruder abliefern sollten.
»Behaltet sie nur«, antwortete er, »und nehmt sie mit nach Kopenhagen; ihr habt sie in ehrlichem Kampf erworben. Die Buben sollen sehen, wie sie mit dem Eigentümer des Bootes fertig werden. Morgen fährt dann Gustav mit euch nach Malmö, damit ihr nicht allein seid. Ich rate euch aber, haltet euch nicht zu lange in der Stadt auf, ihr habt bis Kopenhagen einen weiten Weg. – So, und jetzt gehen wir zu Bett.«
Wir wünschten dem Manne und auch Gustav gute Nacht. Die Hausmutter geleitete uns mit einem Licht in unser Schlafzimmer, schaute noch einmal nach, ob uns nichts fehle, und sagte dann:
»Schlaft wohl, Kinder. Ruht euch gut aus, ihr seid heute müd geworden. Und vergeßt auch nicht euer Abendgebet.«
Damit ließ sie uns allein.
Als sie draußen war, sagte Valdemar still zu mir: »Nonni, sie hat uns ans Abendgebet erinnert; sie muß eine fromme Frau sein.«
»Das glaube ich auch, Valdemar. – Betest du immer dein Abendgebet?«
»Ja, fast immer.«
»Ich auch fast immer. Heute hätte ich es aber sicher nicht vergessen, auch wenn die Frau nichts davon gesagt hätte. Weißt du warum? – Weil wir heute so viel Glück gehabt haben.«
Wir knieten nun beide, jeder an seinem Bett, nieder und verrichteten ein kurzes Abendgebet. Dann kleideten wir uns aus und schlüpften in die Betten hinein.
Ehe wir einschliefen, plauderten wir noch ein Weilchen leise miteinander.
»Bist du nicht froh, Valdemar, daß Gustav morgen mit uns nach Malmö fährt?« begann ich.
»O ja, Nonni! Ich kann ihn jetzt ganz gut leiden.«
»Ich auch. Ich glaube, er ist doch kein schlimmer Junge. Und wie merkwürdig, daß wir nochmals mit ihm zusammengetroffen sind! Und nun fährt er morgen sogar mit uns nach Malmö! Ist das nicht sonderbar, Valdemar? Ich bin gespannt, was wir morgen alles erleben werden!«
»Morgen möchte ich nicht mehr mit Räubern zusammenkommen, Nonni!«
»Aber auf den Saltholm gehen wir wieder und besuchen dort unsere Freunde noch einmal, die Schafe und den Hund!«
»Ja, Nonni, das tun wir!«
»Dann füllen wir unsere große Flasche mit Milch, und kochen wieder zu Mittag, und fangen uns Fische und braten sie!«
Valdemar besann sich einen Augenblick. Drauf sagte er: »Ja, Nonni, und dann weiß ich noch etwas! – Gustav muß uns ein paar Knochen mitgeben für den Hund!«
»Ja, das ist ein guter Einfall, Valdemar! – Ich freue mich schon auf morgen! – Vielleicht können wir auch wieder auf ein großes Schiff steigen!«
So machten wir unsere Pläne für den folgenden Tag.
Nach und nach wurden wir aber sehr schläfrig. Ich löschte das Licht aus, wir sagten einander gute Nacht und schliefen dann rasch ein.
In dem stillen trauten Waldhäuschen störte uns kein Laut die ganze Nacht. Wir schliefen in einem Zuge durch bis in den hellen, sonnigen Morgen.
Ich war der erste, der erwachte.
Dies geschah auf eine seltsame Art. – Mein rechter Arm hing beim Schlafen ein wenig über den Bettrand herunter. Allmählich fühlte ich, daß etwas Eigentümliches meine Hand berührte. Im Halbschlaf konnte ich mir zunächst nicht erklären, was es war. Als ich dann aber langsam wach wurde und die Augen aufmachte, da erschrak ich. Ich erblickte nämlich vor meinem Bett eine schwarze Gestalt, die sich hin und her bewegte. Ich richtete mich schnell auf, und erst jetzt erkannte ich, daß es – der große Haushund war!
Die Türe stand ein wenig offen. Da war der Hund hereingekommen. Er hatte meine herunterhängende Hand geleckt und mich dadurch aus dem Schlafe gebracht.
Sobald er sah, daß ich wach war, schaute er mich treuherzig an, wedelte freudig mit dem Schwanz und legte seinen großen Kopf auf den Rand meines Bettes. Er wollte mir gewiß auf diese Weise seinen Morgengruß darbringen und mir zeigen, daß er nicht nur zu bellen und zu knurren verstehe, wie am Abend vorher, sondern daß er auch freundlich und liebenswürdig sein könne.
Ich klopfte ihm nun mit beiden Händen liebkosend auf seinen gewaltigen, breiten Kopf, worauf er noch rascher mit dem Schwanze wedelte und mit merkwürdig hohen, seufzerähnlichen Lauten aus seiner Kehle antwortete. Schließlich ging er in seiner Freundlichkeit so weit, daß er sich zu mir heraufstreckte, um sogar mein Gesicht zu lecken.
Das war mir aber doch zuviel. Ich bedeutete ihm durch einige abwehrende Handbewegungen, daß es jetzt genug sei.
Der Hund verstand dies sofort und ging in aller Ruhe – zu Valdemar hinüber. Dabei wandte er sich ein paarmal zu mir um und wedelte mit dem Schwanze, als wollte er sagen, daß er mir nichts übelgenommen habe.
Valdemar lag noch in tiefem Schlaf. Zuerst sah sich der Hund ihn etwas näher an. Dann streckte er den Kopf hinauf bis zu seinem Gesicht und begann es zärtlich zu lecken.
Ich schaute mit Vergnügen eine Weile zu und war gespannt, was nun geschehen werde. Dann wurde ich aber doch besorgt um Valdemar. »Ob er nicht erschrecken wird«, dachte ich, »wenn er erwacht und plötzlich den großen, schwarzen Kopf des Hundes vor sich steht!«
Ich wollte darum das Tier zurückrufen. Zu gleicher Zeit öffnete aber der Kleine schon die Augen. Er fuhr zusammen und stieß entsetzt einen Schrei aus.
Da rief ich schnell: »Hab keine Angst, Valdemar! Er tut dir nichts! Er will nur mit dir spielen!«
Der Hund war durch den Schrei ein wenig zurückgewichen, blieb aber gleich wieder stehen und schaute gutmütig zu Valdemar hin.
Valdemar blickte verwundert um sich, und indem er mit der Hand über sein Gesicht fuhr, sagte er:
»Nonni, was ist denn das gewesen? Mich hat jemand im Gesicht berührt!«
»Das war der große Hund, Valdemar. Die Hunde wollen einen ja immer lecken, wenn sie in guter Laune sind.«
Jetzt fing der Kleine an zu lächeln. Er neigte sich zum Bett heraus und tatschte liebevoll das gute Tier am Kopfe.
Dem Hund gefiel das so sehr, daß er vor lauter Freude ein paarmal in die Höhe sprang und immer weiter scherzen wollte. Wir hatten aber leider keine Zeit mehr; es war schon längst heller Tag.
»Valdemar, wir müssen aufstehen!« sagte ich. »Sieh nur, wie die Sonne hereinscheint! Ich glaube, das Wetter ist herrlich! Komm, wir stehen auf! Der Hund soll sich jetzt legen.«
Unser vierbeiniger Freund war ein gut gezogenes Tier. Wir gaben ihm Zeichen mit der Hand und riefen beide: »Leg dich!« worauf er sich sogleich unter den Tisch legte, der in der Kammer stand. Er behielt uns aber von dort aus immer im Auge.
Jetzt sprangen wir aus unsern Betten. Wir schlossen die Tür, wuschen uns, kleideten uns an und beteten unser Morgengebet.
In der Nebenstube hatten wir schon eine Zeitlang geschäftige Tritte und Stimmen gehört. Als wir fertig waren, gingen wir hinüber. Wir trafen dort Gustav und die Hausmutter.
»So, ihr kleinen Siebenschläfer«, empfing uns freundlich neckend die Frau, »habt ihr nun endlich ausgeschlafen? Ich habe schon ein paarmal nach euch geschaut, aber ihr habt so gut geschlafen, daß ich euch nicht wecken wollte. Nun seid ihr also selbst aufgewacht?«
»Nein, der Hund hat uns geweckt.«
»O der Schlingel! Ich habe wohl die Tür nicht fest genug zugemacht, da ist er zu euch hineingeschlüpft. – Habt ihr euch aber jetzt auch tüchtig ausgeruht?«
»Ja, wir sind wieder ganz frisch. Nur die Arme tun uns etwas weh.«
»Das glaube ich schon – von Kopenhagen bis hierher!« bemerkte Gustav, der bis jetzt etwas scheu und verlegen, wie mir schien, sich zurückgehalten hatte. »Das wird aber bald vorüber sein. Wenn ihr nachher wieder eine Strecke weit gerudert seid, dann spürt ihr nichts mehr. – Übrigens, ihr müßt Kraft haben, ihr zwei!«
»Wieso?« fragte ich etwas überrascht.
»Weil ihr euern Kahn so weit aufs Ufer hinaufgebracht habt.«
»Wie weißt du das?«
»Ich hab's gesehen.«
»Wann?«
»Heute früh, wo ihr noch geschlafen habt. Ich war mit dem Vater unten am Strand. Der Kahn liegt ganz oben im Gebüsch.«
Valdemar und ich sahen uns mit vergnügten Blicken an und erzählten dann Gustav von den runden Stöcken, die wir unter den Kiel des Bootes geschoben hatten.
»Das habt ihr aber sehr schlau gemacht«, sagte er.
Während wir weiter mit ihm plauderten, deckte die Hausmutter den Tisch und brachte aus der Küche ein kräftiges Frühstück herein. Wir mußten zusammen mit Gustav am Tische Platz nehmen.
Die Frau sagte: »Eßt nur tüchtig, damit ihr gut aushaltet. Auf den Weg bekommt ihr dann noch etwas mit.«
»Das ist nicht nötig«, antwortete ich. »Wir fahren von Malmö zuerst nach dem Saltholm, da landen wir wieder und kochen zu Mittag. Wir haben noch genug zu essen in unserm Kahn, und im Sund möchten wir noch Fische fangen.«
Hierauf erzählten wir unser Abenteuer mit dem Schäferhund auf dem Saltholm und fragten, ob wir nicht ein paar Knochen für ihn mitbekommen könnten.
»Gewiß«, sagte die gute Frau, »das arme Tier soll auch was haben.«
Sie holte dann die schönsten Knochen aus der Küche, wickelte sie in ein dickes Papier ein und steckte uns auch noch Äpfel in die Tasche.
Nach dem Frühstück, als wir schon zur Abreise bereit waren, kam der Hausherr in die Stube herein. Valdemar und ich gingen ihm gleich entgegen und wünschten ihm guten Morgen.
»Ihr seid wohl schon fertig!« erwiderte er in der freundlichsten Weise. »Heute habt ihr aber Glück! Es geht ein prächtiger Wind. Und das schönste Wetter dazu! Das gibt eine flotte Fahrt nach Kopenhagen. Gustav fährt also mit euch bis nach Malmö. Haltet euch aber, wie ich schon gesagt habe, dort nicht zu lange auf, der Wind könnte noch umschlagen.«
Wir versprachen, in Malmö nicht lange zu bleiben. Dann nahmen wir Abschied. Wir dankten dem biederen alten Mann und der guten Frau nochmals herzlich für die gastliche Aufnahme und verließen frohgemut zusammen mit Gustav das freundlich-stille schwedische Waldhäuschen.