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Mit frischem Mut stiegen wir in unser Schifflein und fuhren wieder hinaus auf das große freie Meer, geradeswegs auf Malmö zu, das wir jetzt deutlich sehen konnten drüben an der schwedischen Küste.
Die Sonne stand zuhöchst am Himmel. Es war sehr warm geworden. Die Brise hatte sich wieder gelegt; kein Windhauch regte sich. Die spiegelglatte Fläche des Sundes schimmerte und glitzerte wie von Silber. Schneeweiße Möwen wiegten sich sanft über dem Wasser.
Wir ruderten beide kräftig voran und plauderten fröhlich von unsern Abenteuern auf dem Saltholm.
Es war ja so herrlich gewesen! Nie hätte ich gedacht, daß wir so vieles erleben würden.
»Bist du nun nicht auch froh, Valdemar, daß wir auf dem Saltholm gelandet sind?« sagte ich.
»O ja, Nonni. Aber ich bin doch sehr bange um dich gewesen, als du auf dem Floße warst.«
»Sah es denn so gefährlich aus?«
»Ja, das Floß hat immer so stark geschaukelt, und ich habe so Angst gehabt, du würdest ins Meer fallen und könntest ertrinken. Denk, Nonni, was wäre dann aus mir geworden?«
»O, so schlimm ist es nicht gewesen. Ich habe keine Angst gehabt. Und ich hätte ja schwimmen können.«
»Aber wenn du einmal im Wasser drin gelegen wärest, dann hättest du auch Angst bekommen!« versetzte der Kleine. – Er wollte nicht allein der Ängstliche gewesen sein.
Ich widersprach ihm jetzt auch nicht mehr, denn ich war wirklich schon mehr als einmal ins Meer gefallen und wußte, wie es einem da zumute ist. Ich nahm mein Ruder und ruderte wieder kräftig vorwärts.
Indessen kamen immer größere Scharen von Möwen herbei. Sie umschwärmken uns und trieben ihr munteres Spiel um unser kleines Boot herum. Oft kamen sie ganz nahe heran und spähten, ob nichts Eßbares für sie bei uns zu finden sei.
Sie schienen gar keine Furcht vor uns zu haben; ja sie schossen sogar blitzschnell ganz dicht an unsern Köpfen vorüber, als wollten sie uns sagen: Gebt uns doch etwas!
Dann ließen sie sich in schwebenden Kurven leicht und gewandt wieder aufs blinkende, tragende Wasser nieder und ruhten ein wenig aus.
Ein anderes Mal schwammen sie so nah an unsern Kahn heran, daß wir acht geben mußten, um sie nicht mit den Rudern zu stoßen.
Das war ein herrliches Bild, voll Leben und Schönheit!
Und wie zahm die Möwen alle waren! Valdemar sagte, dies komme daher, weil sie nichts zu essen hätten, da würden sie immer so zutraulich.
Ich fragte ihn: »Meinst du denn, daß sie hungrig sind, Valdemar, und daß sie wirklich etwas von uns haben wollen?«
»Ja, das glaube ich, Nonni. Aber ich weiß nicht, ob es gut wäre, ihnen etwas zu geben.«
»Warum denn nicht, Valdemar?«
»Weil es so viele sind.«
»Aber was macht denn das? Wie könnten denn Möwen uns gefährlich werden?«
»Das würdest du bald merken, Nonni! Wenn wir jetzt anfingen, sie zu füttern, dann würden wir was erleben!«
»Wieso, Valdemar?«
»Es würden noch viele andere kommen! Sie würden von allen Seiten her wie ein Bienenschwarm um uns herumfliegen!«
»O, das möchte ich aber gern sehen!«
Der Kleine zeigte hierzu keine Lust. Er sagte: »Das wäre sehr leicht, Nonni. Wir brauchen ihnen nur einige Stückchen Brok zuzuwerfen. Aber dann wird es gefährlich! Sie werden so zudringlich und fliegen so nah heran, daß sie einem mit den Flügeln ins Gesicht schlagen!«
»Das wird uns nicht so weh tun, Valdemar. Wir wollen es doch einmal probieren!«
»Gut; dann zieh aber erst deine Mütze fester an den Kopf, Nonni!«
»Wie! Meinst du, sie könnten uns die Mützen vom Kopf herunkerschlagen?«
»Aber sicher! Du wirst das gleich sehen!«
Wir hielten mit der Fahrt inne und nahmen die Ruder herein.
Ich blickte umher. Dann bückte ich mich nach einem unserer Paketchen im Boot und holte darauf ein Brötchen hervor. Alles übrige versteckte Valdemar sorgfältig unter dem Sitz hinten im Kahn. Er meinte, die hungrigen Vögel wären imstande, sich an unsern Mundvorrat zu wagen.
Dann wurden die Mützen fest an den Kopf gezogen.
Aufs höchste gespannt, brach ich nun von meinem Brötchen ein kleines Stück ab und zeigte es den schwimmenden Möwen, die uns gerade am nächsten waren.
Sofort wurden sie lebendig. Die meisten flogen auf und kamen auf mich zu mit ihrem eigentümlichen kurzen, scharfen Gekreisch. In der Luft schwebend, kreisten sie um meinen Kopf herum. Von denen auf dem Wasser schwammen einige bis ans Boot heran und dann immer an der Bootsseite schnell hin und her.
Nach einer Weile hielt ich das Stücklein Brot zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger in die Höhe. Und siehe da: im Flug schnappte es eine der Möwen hinweg.
Jetzt flogen alle, die noch auf dem Wasser schwammen, auf und umschwärmten mich. Ich brach ein zweites Stücklein Brot ab. Dies warf ich in die Luft. Ein starkes Kreischen von überall her war die Antwort. Das Stückchen Brot bekam nicht Zeit, hinunter zu fallen, es ward augenblicklich oben in der Luft fortgeschnappt.
Ich wartete nun ein wenig und schaute um mich. Zu meinem Erstaunen sah ich, wie ganze Scharen von Möwen von allen Seiten herangeflogen kamen. Valdemar hatte recht gehabt: die scharfblickenden Vögel waren von weit und breit sofort auf die Fütterung aufmerksam geworden.
Von ihren vielen schwingenden Flügeln entstand ein gewaltiges Sausen und Brausen um unser Boot. Es fing in der Tat sehr bald an, unheimlich für uns zu werden.
Ich warf jetzt ein Stücklein Brot nach dem andern in die Luft, und im Nu bildete sich um jedes ein dichter Knäuel von fliegenden, immer lauter kreischenden Möwen. Dabei flatterten die merkwürdigen Vögel so nah um meinen Kopf, daß ich mich mit dem Arm gegen sie schützen mußte.
Als ich schließlich das Brot nicht mehr in die Höhe warf, schnappten sie es mir gleich beim Abbrechen blitzschnell aus der Hand weg. Einige waren sogar so kühn geworden und hatten ohne die geringste Furcht mitten im Boot zwischen Valdemar und mir Platz genommen.
Ringsum aber war ein solches Kreischen und ein Sausen der Flügel, daß wir gar nicht mehr miteinander sprechen konnten. Selbst wenn wir laut schrien, vermochten wir einander kaum zu verstehen.
Zuletzt, da ich das ganze Brötchen ausgeteilt hatte, betrachtete ich still für mich das seltsame Treiben der lebhaften weißen Vögel. Ihre Zahl schien fortwährend zu wachsen. Sie bildeten förmlich eine dichte lebendige Wolke über unsern Köpfen, so daß wir fast die Sonne nicht mehr sehen konnten.
Endlich wurde es mir des Guten doch zuviel. Ich griff nach einem Ruder und reichte Valdemar, vor den Möwen mich duckend, das andere. Indem wir dann beide langsam die Ruder in der Luft herum bewegten, suchten wir unsern zudringlichen Freunden in der schonendsten Weise klarzumachen, daß es nun mit der Fütterung zu Ende sei. Sie schienen aber unsere Zeichen nicht recht zu verstehen, denn sie blieben noch immer da und flatterten lustig weiter um uns herum.
Da fiel mir plötzlich mein Revolver ein. Ich zog ihn aus der Tasche und feuerte einen blinden Schuß ab.
Dies half! Durch den gewaltigen Knall erschreckt, stoben die Vögel nach allen Richtungen auseinander.
Erst jetzt konnten Valdemar und ich uns wieder verstehen und über unser neues Abenteuer miteinander plaudern.
Ich wunderte mich, daß diese dänischen Möwen so zahm und doch so dreist waren.
»Das kommt daher, weil wir jetzt mitten auf dem Meere sind«, sagte Valdemar. »An den Küsten sind sie vorsichtiger. Nur im Winter, wenn sie sehr hungrig sind und draußen auf dem Meere nichts mehr zu fressen finden, dann kommen sie zuweilen bis ganz in die Stadt hinein und benehmen sich dort ebenso wie hier.«
»Aber daß es so viele sind, Valdemar! So große Scharen habe ich noch nie beisammen gesehen.«
»Ja, heute sind außerordentlich viele da. Ich glaube, an der schwedischen Küste sind Heringe gefangen worden, das zieht sie an.«
»Aber jetzt mit meinem Revolver habe ich sie fortgebracht!« bemerkte ich. –
Da wir nun wieder frei waren von dem Schwarm der Möwen, fuhren wir weiter unserm Ziel entgegen. Das seltsame Erlebnis hatte mir ein köstliches Vergnügen bereitet.
Wir strengten uns tüchtig an und kamen ein gutes Stück vorwärts. Die Stadt Malmö wurde immer deutlicher sichtbar und immer größer, der Saltholm dagegen immer kleiner und entfernter. Die dänische Küste konnten wir kaum mehr sehen; sie verlor sich weit, weit in der Ferne in einem feinen, rosafarbigen Dunst.
Von dem starken Rudern wurden wir aber bald wieder müde und hungrig, besonders der kleine Valdemar. Wir zogen die Ruder ein und holten unsere Lebensmittel hervor.
Diesmal wärmten wir die Speisen nicht in unserer Kochmaschine; sie schmeckten uns auch so vortrefflich. Nur daß wir nichts zu trinken mitgenommen hatten, empfanden wir wiederum schmerzlich, denn wir waren nun sehr durstig geworden.
Wir schöpften ein wenig Seewasser mit der hohlen Hand und versuchten davon zu trinken. Aber ach, es war widerlich salzig! Wir konnten es unmöglich genießen.
Hätten wir nur auf dem Saltholm eine leere Flasche gehabt, dann hätten wir sie mit guter Schafsmilch füllen können! Ich glaube, wir würden sie jetzt auf einmal ausgetrunken haben. Nun war es aber leider zu spät.
Was sollten wir tun? Ich lehnte mich über den Bootsrand und blickte sinnend ins Wasser hinunter. Da entdeckte ich zu meiner größten Verwunderung, daß man hier, obwohl so weit draußen vom Lande, doch ganz deutlich bis auf den Grund des Meeres sehen konnte.
Schnell rief ich: »Valdemar, schau! Da steht man ja bis unten auf den Meeresgrund!«
Valdemar blickte auch hinunter, aber er war gar nicht überrascht. Er sagte, im Öresund könne man fast überall bis auf den Grund sehen, wenn das Wetter hell und das Meer ruhig sei.
»Das habe ich noch nicht gewußt«, antwortete ich. »Im Eyjafjörður auf Island kann man das nicht.«
»Dort wird es aber auch tiefer sein als hier.«
»Ja, viel tiefer! – Was meinst du, wie tief es hier sein könnte, Valdemar?«
»Ich glaube, zehn bis zwölf Meter.«
»Das glaube ich auch. Aber schau, wie merkwürdig es da unten aussieht! Da sind ganz eigentümliche Pflanzen! Sieh mal, die schimmern ja! – grün und rot und braun!«
»Das sind Seealgen, Nonni.«
Ich sah ganze Wäldchen von diesen wunderschönen Pflanzen dort unten. Und nicht bloß das: es waren auch eine Menge Fische da, große und kleine. Sie schwammen scharenweise durch die zierlichen Pflanzengebüsche, schossen wie um die Wette aus und ein, einander entgegen, kreuz und quer, bald hier bald dort.
Auch Valdemar bewunderte lange mit mir diese Herrlichkeiten des Meeresgrundes. Zuletzt sprang ich auf und sagte:
»Ich mache dir einen Vorschlag, Valdemar: »Sollen wir nicht ein paar von diesen schönen Fischen fangen? Wir können sie ja gleich braten! Das gibt einen feinen Nachtisch! Wozu haben wir denn Leine und Angel?«
Valdemar stimmte mir sofort bei. Wir holten die Angel hervor und befestigten als Köder daran ein zusammengeknetetes Kügelchen Brot. Dann ließ ich die dünne Schnur über den Bootsrand ins Wasser hinunter. Ein kleiner bleierner Fisch an der Angel zog diese mit dem Köder durch sein Gewicht in die Tiefe.
Als die Angel den Meeresboden berührt hatte, zog ich sie ungefähr einen Fuß höher, hielt sie ruhig und beobachtete nun das Benehmen der vielen Fische drunten.
Es war köstlich zu sehen, wie schnell und zahlreich sie herbeihuschten und sich um das ihnen fremde Ding herum scharten. Sie schauten es neugierig an, sammelten sich in Gruppen, schwammen hin und her an ihm vorbei und betrachteten es von allen Seiten, links, rechts, vorn und hinten. Einige stellten sich sogar senkrecht auf den Kopf und bewunderten es von oben, andere von unten her.
Sie hatten gewiß noch nie so etwas gesehen.
Valdemar und ich hatten das größte Vergnügen an dem lustigen Treiben der Fische. Nach und nach kamen sie näher und schnüffelten an dem Köder. Es wagte aber noch keiner anzubeißen.
Auf einmal zog ich mit einem plötzlichen Ruck die Angel ein wenig in die Höhe. Die Fische erschraken und stoben pfeilgeschwind auseinander. Sie kehrten aber bald wieder zurück.
Nun fuhr ich nach Fischerbrauch fort, die Angel auf und nieder gehen zu lassen. Zuerst schauten die Fische diesen Bewegungen der Angel in kurzer Entfernung zu. Dann kamen sie näher und folgten dem Köder auf und nieder.
»Sie meinen sicher, der bleierne Fisch an der Angel sei lebendig!« sagte Valdemar leise.
So schien es auch. Einige wurden schon kühner und schwammen ganz nah an den Köder hin.
Ich beobachtete sie genau. Besonders einer zeigte sich gierig. – Wird er es wagen anzubeißen? dachte ich. – Ja, jetzt öffnete er das Maul! – Er schnappte zu und versuchte mit einer blitzschnellen Bewegung Angel und Köder hinunterzuschlucken!
Im selben Augenblick zog ich rasch nach oben. An der schwergewordenen Leine zappelte der Fisch und machte verzweifelte Anstrengungen, sich loszureißen. Aber es gelang ihm nicht.
Die andern schauten ihm erstaunt nach. Zum Teil schwammen sie hinter ihrem Kameraden her, doch kehrten sie bald wieder nach unten zurück.
Ich hatte einen prächtigen Fang gemacht. Valdemar klatschte vor Freude in die Hände und rief aus:
»O, ist der aber schön, Nonni! – und so groß! – Den können wir ja kaum aufessen!«
»Das meine ich auch, Valdemar. An dem einen haben wir genug. Wir wollen deshalb die andern in Ruhe lassen.«
Es war in der Tat ein sehr schöner Fisch. An den Seiten hatte er glänzende, silberne Streifen und auf dem Rücken purpurrote runde Pünktchen.
Wir töteten ihn, legten ihn auf die Ruderbank und öffneten mit dem Messer seinen Leib. Die Eingeweide warfen wir über Bord. Nur die Leber behielten wir, denn wir wußten, sie gab einen Leckerbissen, wenn sie richtig zubereitet wurde.
Drauf schnitt ich den Fisch in mehrere Teils, gerade so groß, daß ein jeder unsern kleinen Kochtopf ausfüllte. Valdemar zündete die Spirituslampe an, tat ein Stück Butter ins Töpfchen und stellte es über die Flamme.
Als die Butter geschmolzen war, legte ich eine der Portionen hinein.
Zisch! fing er an zu braten.
Der Duft, der sich bald verbreitete, bewies uns, daß alles ganz richtig und kunstgerecht vor sich ging.
Nach einer Weile drehten wir das Stück im Töpfchen auf die andere Seite um. Diese ließen wir ebenso lange braten. Dann löschte ich die Spirituslampe aus, legte den fertig gebackenen Fisch auf den Deckel einer kleinen runden Blechdose, worin wir unser Gemüse aufbewahrten, und teilte das Stück in zwei gleiche Teile. Mit etwas Salz darauf verspeisten wir vergnügt jeder seine Portion.
Köstlicher hatte uns selten ein Fischbraten geschmeckt. Er war so gut, daß wir übereinkamen, noch ein zweites Stückchen zu braten.
Zum Schluß wurde auch die Leber noch gebacken. Sie bildete den letzten und besten Teil des kleinen Mahles, das wir uns selbst aus dem Meere geholt hatten.
Was von dem Fisch noch übrig war, wickelten wir in ein Stück Papier ein und nahmen es mit auf unsre weitere Reise, die wir nun mit neuen Kräften fortsetzten.
Wir hätten jetzt gewiß die ganze Strecke bis nach Malmö in einem Zuge zurücklegen können, wenn wir auch etwas zu trinken gehabt hätten. Aber gerade das fehlte uns. Und seitdem wir den Fisch gegessen hatten, war unser Durst noch viel größer geworden.
Am meisten litt Valdemar daran. Er klagte fort und fort und fragte mich, ob ich denn nicht wüßte, wie wir uns helfen könnten.
Plötzlich fiel es mir ein: »Wir müssen ein Schiff aufsuchen!« sagte ich. »Da steigen wir an Bord und kaufen eine Flasche Wasser.«