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Im offenen Kahn über den Öresund nach Schweden

1. Ein großer Plan

Als das Frühjahr gekommen war, wurde uns eines Tages in der Schule gesagt: »Nächste Woche gibt's frei!«

Die Begeisterung unter uns Knaben war groß, denn nur an solchen schulfreien Tagen war es uns möglich, etwas längere Kahnfahrten auf dem Meere oder Ausflüge in die riesigen Buchenwälder der Umgegend von Kopenhagen zu machen.

Gleich nach der letzten Schulstunde lief ich zu meinem jüngeren Freund Valdemar und brachte ihm die freudige Botschaft. Drauf lud ich ihn ein, einen kleinen Spaziergang mit mir zu machen.

Es war ein wunderschöner Frühlingsnachmittag. Wir gingen durch die Stadt zum Meeresstrand hinaus an den lieblichen Öresund. Das Meer war spiegelglatt. Es widerstrahlte vom Sonnenlicht und schimmerte wie der Regenbogen in den herrlichsten Farben, in hellem Grün und Blau, vermischt mit Silberschein und goldnem Glanz.

Überall auf der weiten, stillen Wasserfläche zerstreut sah man eine Menge Ruderboote mit frischfröhlichen Knaben und Mädchen darin, bei denen meist auch Erwachsene waren; dazwischen lange, schmale Schnellruderboote, geführt von starkarmigen Jünglingen in roten, blauen oder schneeweißen, eng anliegenden Trikotjacken. Dies waren Wettruderer. Ihre leichten Boote schossen blitzschnell durch die ruhige Flut und warfen vorne weißen Schaum in die Luft hinauf.

Etwas weiter vom Lande entfernt, mitten auf dem Sund, waren Hunderte von Segelschiffen und auch viele Dampfschiffe, große und kleine. Aber nur die Dampfer bewegten sich. Die Segler hatten zwar alle Segel ausgespannt, doch wegen der Windstille kamen sie nicht vorwärts. Sie sahen aus wie große weiße Möwen, die im Sonnenschein sich wiegen.

Valdemar und ich gingen bis dicht ans Wasser hinunter und ergötzten uns eine Weile an dem bezaubernden Anblick ringsumher. Vor uns das sonnenverklärte, lebenerfüllte weite Meer, das uns sanft seinen salzigfrischen Hauch entgegenwehte, hinter uns die tiefen dänischen Buchenwälder in ihrem ersten, zartesten Grün.

Am Ufer hin, soweit das Auge reichte, zwischen dem Waldrand und dem Meere, standen Häuser mit Gärten, überragt von Villen, den schönen Landhäusern reicher Kopenhagener Familien.

Ich war entzückt von all dieser Frühlingspracht.

Je länger ich aber das große Meer und das lebhafte Treiben vor uns auf dem Wasser betrachtete, um so mehr lockte es mich, selbst in einem Boot hinauszufahren, wie ich es so oft in Island auf dem bergumsäumten Eyjafjörður getan hatte. Und mir kam jetzt wieder mein Gespräch mit Kapitän Foß auf dem Runden Turm, gleich nach meiner Ankunft in Kopenhagen, in den Sinn.

Damals hatte ich mir fest vorgenommen, einmal in einem Kahn über den Sund bis nach Schweden zu fahren. Allerdings, der Kapitän hatte mir abgeraten. Aber ich war jetzt älter und stärker geworden. Ich war schon volle dreizehn Jahre alt, und ich kannte mich aus auf dem Meere. Jetzt, dachte ich, würde Herr Foß wohl nichts mehr gegen meinen Plan einzuwenden haben.

O wie schön, wenn ich in einem kleinen Kahn bis nach Schweden hinüber segeln oder rudern könnte!

Ich mußte mit Valdemar darüber sprechen. Vielleicht würde er sogar mitgehen und mein Reisegefährte sein, wie es früher mein kleiner Bruder Manni oft gewesen war.

Valdemar war zwar erst elf Jahre alt. Aber das machte nichts. Er war stark und ein aufgeweckter, kluger Junge.

Ich ging mit ihm zu einer nahen Bank, von der man über das Meer hinsah, setzte mich mit ihm zusammen und sagte:

»Valdemar, weißt du, woran ich eben gedacht habe?«

»Wie soll ich das wissen können, Nonni?«

»Gut, dann will ich es dir sagen. – Ich habe etwas vor, Valdemar! – einen großen Plan! – Ich will nächste Woche in den Ferien eine Kahnfahrt machen von hier nach der schwedischen Küste hinüber!«

Valdemar sah mich überrascht an. – »Von hier bis nach Schweden!« rief er aus. »Ist dir das Ernst, Nonni?«

»Ja, es ist mein voller Ernst. Und wenn du willst, dann kannst du mit mir fahren.«

Valdemars Augen fingen an zu glänzen. Ich merkte, daß ihm mein Plan bereits gefiel.

»Aber meinst du, Nonni, wir könnten das?« entgegnete er.

»O ja, ganz sicher, Valdemar! Ich bin doch schon so oft auf dem Meere gewesen, auch als ich noch viel kleiner war, und ich verstehe gut ein Boot zu führen.«

»Kannst du auch segeln, Nonni?«

»Ja, ich kann segeln und rudern.«

»Weißt du aber auch, wie breit der Sund hier bei Kopenhagen ist?«

»Ja, er ist über dreißig Kilometer breit. Das wären mit dem Kahn bei günstigem Wind fünf bis sechs Stunden.«

»Und du glaubst, wir könnten diesen weiten Weg hin und zurück rudern oder segeln?«

»Sicher, Valdemar, das können wir zusammen leicht. Gehst du mit?«

»O ja, Nonni, ich würde sehr gern mit dir gehen; aber wir müßten uns dann zuerst gut darauf vorbereiten, meinst du nicht?«

»Das versteht sich, Valdemar. Wir können uns schon jetzt alles genau überlegen. – Bist du schon einmal von hier aus nach Schweden gefahren?«

»Ja, schon mehrmals, aber immer nur mit einem Dampfer.«

»Dann mußt du unbedingt mit, denn dann weißt du ja, wie es drüben in Schweden aussieht.«

»Ja, Nonni, ich gehe mit!«

»O, wie das mich freut, Valdemar! – Kannst du auch Schwedisch sprechen?«

»Nein, aber wenn man Dänisch kann, dann kann man sich schon mit den Schweden verständigen. Die beiden Sprachen sind ja einander ähnlich.«

»Gut, dann wird uns also die Sprache keine große Schwierigkeit machen.«

Ich sprang jetzt freudig in die Höhe und hüpfte auf die Bank hinauf. Mit der Hand das Gesicht beschattend, ließ ich meinen Blick über den breiten Sund hinwegschweifen.

Dort über dem Meer, am äußersten Ende, mußte die schwedische Küste sein!

Ich strengte meine Augen an und reckte mich. Ich schaute und schaute. – Ein großes Dampfschiff ganz draußen, das gewiß nach Schweden fuhr, zeigte mir die Richtung, wo ein schwedischer Hafen sein mußte.

Endlich fand ich, in weiter, weiter Ferne, jenseits der mächtigen Wasserfläche, eine dunkle Linie, einen kaum sichtbaren Streifen tief unten am Horizont.

Das ist die schwedische Küste! sagte ich mir sofort; ganz bestimmt!

Ja, aber Valdemar und der Kapitän Foß hatten recht: der Weg dorthin war weit, schrecklich weit!

Ob wir mit unsern schwachen Kräften diesen langen, weiten Weg durch Rudern zurücklegen könnten?

Auch ich fing jetzt zu zweifeln an. – Wenn wir mitten auf dem Sund, ermattet und erschöpft, nicht weiter könnten, was dann? – Und wenn wir noch dazu von einem Sturm oder vom Nebel überrascht würden? – Oder wenn wir in eine gefährliche Meeresströmung hineingerieten? – Was dann?

Das waren ernste Fragen. Ich wurde einen Augenblick unschlüssig.

Dann aber schämte ich mich meiner Verzagtheit. – Sollte sich ein starker, gesunder Junge wirklich durch solche Kleinigkeiten Furcht einjagen lassen?

Ach was! dachte ich, warum nur an die Schwierigkeiten allein denken? Wenn man dreizehn Jahre alt ist, muß man doch imstande sein, solche Hindernisse zu überwinden! Wir werden nicht nur Ruder, sondern auch Segel mitnehmen, und wenn der Wind uns nicht zu ungünstig ist, dann werden wir bald die dreißig Kilometer zurückgelegt haben. – Sollte uns aber etwas Schlimmes zustoßen, dann würde uns schon eines der Schiffe, die auf dem Sunde hin und her fahren, aus der Not helfen.

So überlegte ich, während ich schweigend von der Bank aus nach dem Ziel meiner Wünsche, der fernen schwedischen Küste, hinüberschaute.

Valdemar, der auf der Bank sitzen geblieben war, schien ebenfalls über den großen Plan nachzudenken. Er war ganz still, und als ich ihn anschaute, glaubte ich auf seinem Gesicht einen gewissen Ausdruck von beginnender Furcht und Entmutigung zu entdecken.

Ich setzte mich wieder zu ihm und sagte:

»Du bist doch wohl nicht bange, Valdemar?«

Ein wenig zögernd antwortete er: »Wenn du nicht bange bist, Nonni, dann bin ich es auch nicht.«

»Ich bin gar nicht bange, Valdemar! Du wirst sehen, wir kommen leicht hinüber.«

Ich merkte, daß der Mut Valdemars ganz von dem meinigen abhing. Ich nahm mir daher fest vor, mutig zu sein und auch Valdemar noch mehr aufzumuntern. Ich erzählte ihm, wie schon oftmals, von meinen großen Kahnfahrten auf Island, von den Abenteuern, die ich dabei erlebte, und sagte dann:

»Eine solche Fahrt mußt du einmal mitmachen, Valdemar! Das ist großartig! Von hier nach Schweden hinüber geht es ganz leicht. Du weißt ja den Weg. Und einen guten Landungsplatz wird es dort wohl auch geben. Kennst du die schwedische Küste?«

»Ja, Nonni, bei Malmö kenne ich sie«, erwiderte er; »komm, ich will sie dir zeigen!«

Wir sprangen wieder auf die Bank hinauf. Valdemar deutete mit der Hand nach der dunklen Linie am fernen Horizont, die ich eben gesehen hatte, und sagte:

»Siehst du dort die kleinen schwarzen Punkte am schwedischen Ufer, gerade dort drüben?«

»Ja, ich glaube, Valdemar, daß ich so etwas sehe.«

»Das ist Malmö«, erklärte er mir. »Malmö ist eine schöne Stadt. Dort müßten wir hinfahren und landen.«

»O wie herrlich, Valdemar, daß dort eine schöne Stadt ist! Die können wir uns dann gleich ansehen! – Und wie ist der Weg bis Malmö? Gibt es keine gefährlichen Klippen im Sund?«

»Nein, Nonni, für ein kleines Book nicht; nur die großen Schiffe können nicht überall fahren.«

Während wir so sprachen, entdeckte ich auf einmal, ein wenig nach rechts mitten im Sund, eine Stelle, wo aus dem Wasser, wie mir schien, Bäume herausragten. Und doch konnte ich dort kein Land sehen.

Das kam mir merkwürdig vor. Ich fragte Valdemar, was dies sei. Er sagte:

»Das ist die Insel Saltholm, Nonni.«

»Eine Insel?« rief ich aus. »Warum sieht man aber nur Bäume dort?«

»Den Boden kann man von hier aus nicht sehen, Nonni, weil er so niedrig im Wasser liegt. Man meint deshalb, die Bäume erheben sich direkt aus dem Meere. Der Saltholm ist auch gar nicht groß; man kann in wenigen Minuten von einem Ufer zum andern laufen.«

»Dann ist das aber eine sehr kleine Insel, Valdemar, und es wohnen gewiß auch nicht viele Menschen dort?«

»Nein, auf dem Saltholm wohnen überhaupt keine Menschen. Ich habe gehört, es seien nur kleine Schafherden dort, die ganz allein für sich leben. Ich weiß aber nicht sicher, ob es wahr ist.«

»O wenn es nur wahr wäre, Valdemar! Dann könnten wir ja wie Robinson Crusoe auf einer unbewohnten Insel landen! Und wenn wir Durst hätten, dann könnten wir einige Milchschafe melken und gute Milch trinken!«

Valdemar schaute mich verwundert an. Er wollte nicht glauben, daß man die Schafe melken und ihre Milch trinken könne. Ich sagte ihm aber, das hätte ich schon oft in den isländischen Bergen getan, und ich wolle es auf dem Saltholm auch ihn lehren.

Jetzt glaubte er es. Er war nun sogar ganz begeistert dafür, daß wir bei unserer Fahrt nach Schweden auch eine Landung auf der kleinen, einsamen Insel vornehmen sollten.

»Ja, Valdemar, das müssen wir unbedingt!« erwiderte ich. Dann sprang ich von der Bank hinab in den Sand und Valdemar mir nach.

Voll Freude liefen wir beide bis ans Ufer hin, wo ganz kleine Wellen gerade vor unsern Füßen sanft gegen den Sand schlugen. Ich sagte zu Valdemar:

»Wie einladend sieht doch das Meer aus! Schade, daß wir nicht gleich losfahren können!«

»Ja, wenn wir nur einen Kahn hätten!« meinte er.

»Daran habe ich eben auch gedacht, Valdemar.« –

Aber wo würden wir ein passendes Boot finden? Das war das erste und wichtigste von allem.

Fragend schaute ich Valdemar an.

Der Kleine wußte gleich guten Rat. »O, einen Kahn werden wir bald haben, Nonni!« sagte er. »Im Hafen herum liegen ja viele Kähne im Wasser. Zum Beispiel im Holmens-Kanal, wo du immer vorbeikommst, wenn du zur Schule gehst: da gibt es Kähne genug zum Ausleihen!«

»Auch für Knaben in unserm Alter?«

»Ja, Nonni, jedermann kann dort einen Kahn leihen. Die Knaben, die eben dort draußen auf dem Meere rudern, haben fast alle ihre Boote vom Holmens-Kanal.«

»Dann schlage ich vor, Valdemar, wir gehen gleich jetzt nach dem Holmens-Kanal und schauen uns die Kähne dort an. Für eine so lange Reise paßt nämlich nicht jeder Kahn, da muß man einen ganz guten haben.«

Valdemar war sogleich einverstanden, und so kehrten wir eilends nach der Stadt zurück, um im Holmens-Kanal schon im voraus einen Kahn zu bestellen. –

Unterwegs fingen wir wieder an, über unsern Reiseplan zu sprechen.

Einen Kahn würden wir also leicht erhalten, das glaubte Valdemar ganz bestimmt. – »Wir brauchen aber noch mehr Sachen«, sagte ich zu ihm. »Wir müssen auch ein paar Angeln und Angelschnüre haben zum Fischen, und eine Spirituslampe und ein kleines Kesselchen dazu, darin werden dann die Fische gebraten. Das ist etwas Feines, Valdemar, solche Fische ganz frisch aus dem Wasser! Meinst du, wir könnten diese Sachen auch bekommen?«

»O ja, Nonni! Einen Spirituskocher haben wir selbst zu Hause, und Fischangeln und Angelschnüre habe ich auch.«

»Das ist ja ausgezeichnet, Valdemar! Im Notfall müssen wir uns nämlich das Essen aus dem Meere holen! Auf einer so großen Reise kann einem manches begegnen. Ja, und da wäre es am besten, wenn wir auch einen kleinen Revolver hätten.«

»Einen Revolver!?« rief Valdemar erschrocken aus und schaute mich ängstlich fragend an. »Was sollen wir denn mit einem Revolver, Nonni?«

»Was wir damit sollen? – Es könnte doch sein, Valdemar, daß wir uns verteidigen müßten.«

Valdemar wurde nachdenklich. Ich beeilte mich deshalb, ihn zu beschwichtigen.

»Das mußt du nicht so ernst nehmen«, sagte ich. »Ich meine keinen richtigen Revolver, sondern nur einen mit blinden Patronen, wo keine Kugeln darin sind. Es soll nur einer sein, der laut kracht wie ein richtiger Revolver, daß man Schreckschüsse mit ihm abgeben kann. Vielleicht brauchen wir das auf dem Meere oder auf dem Saltholm. Glaubst du, wir könnten einen solchen bekommen?«

»Ich weiß nicht, Nonni. – Aber halt! Bei uns in der Schule hat einer einen Revolver. Vielleicht leiht er ihn mir, wenn ich ihm ein wenig Geld gebe oder ihm etwas kaufe.«

Ich sagte zu Valdemar, er solle ihm einen Napoleonskuchen bringen.

»Ja, Nonni, richtig, das werde ich tun! Dann gibt er ihn mir ganz gewiß!«

Damit war für uns auch diese Frage gelöst. Die notwendigen Lebensmittel konnten wir uns leicht selber verschaffen. Also blieb uns nur noch das eine übrig: der Kahn!

»Im Holmens-Kanal gibt es Kähne genug zum Ausleihen«, hatte Valdemar gesagt. Unser Glück damit mußte sich jetzt gleich zeigen, denn wir waren bereits am kleinen Bootshafen im Holmens-Kanal angelangt.


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