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1522. 1523.
Des Erasmus und des Verhältnisses, in welchem Hutten zu ihm stand, haben wir im ersten Theile unserer Erzählung wiederholt gedenken müssen. Es war damals von Seiten Hutten's das der reinen Verehrung und Bewunderung des älteren Meisters und Vorbildes; von Seiten des Erasmus das des Wohlgefallens an einem begabten Jünger, gegen dessen Huldigungen der Meister nicht unempfindlich ist, dessen Brausen und Ueberschäumen er mit seiner Jugend, in Erwartung künftiger Läuterung, entschuldigt. Der Gegensatz der Naturen war durch die Gemeinsamkeit des humanistischen Standpunktes scheinbar ausgeglichen: sobald der eine von beiden diesen verließ, während der andere auf demselben verharrte, so mußte auch der Widerstreit der Naturen zum Vorschein kommen. Nun war aber Hutten während der letzten Jahre aus dem Humanisten immer mehr zum Reformer geworden, während Erasmus Humanist blieb: unmöglich konnte ihm dieser fortan in demselben Lichte wie früher erscheinen; an dem strahlenden Vorbilde seiner Jugend mußten ihm jetzt mancherlei Flecken bemerklich werden.
Vor allem haben wir uns hier, wo der denkwürdige Streit zwischen beiden Männern zu entwickeln ist, mit der ganzen Größe und geschichtlichen Bedeutung des Erasmus zu durchdringen. Es ist leicht gesagt, ihn in Vergleichung mit Luther seicht und schwach, im Verhältniß zu Hutten sogar feig und zweideutig zu finden. Das waren die beiden Träger der geschichtlichen Macht, die ihn ablöste: in Vergleichung mit dieser aber, so lang eine Geschichtsperiode im Aufsteigen begriffen ist, erscheint der Vorgänger regelmäßig im Nachtheile. Ihm gerecht zu werden, müssen wir rückwärts blicken, ihn mit demjenigen vergleichen, worauf er fußte, was er weiterbildete, in sich zusammenfaßte. Da sehen wir denn in Erasmus den lebendigen Inbegriff fast alles dessen, was, in Folge der Wiedererweckung des Studiums der Alten, die Geister der abendländischen Nationen seit mehr als hundert Jahren errungen hatten. Es waren dieß nicht blos Sprachkenntnisse, nicht blos Bildung des Stils, des Geschmacks: sondern damit hatte die ganze Geistesform einen freieren Wurf, einen feineren Strich bekommen. In diesem umfassenden Sinne kann man sagen, daß Erasmus der gebildetste Mann seiner Zeit war.
Zugleich verstand er seine Zeit, kannte ihre Bedürfnisse, und kam denselben durch seine Schriften nach den verschiedensten Seiten hin entgegen. Seine kritischen Ausgaben von Classikern und Kirchenvätern, seine Blumenlesen von Sprüchwörtern, Gleichnissen und Sentenzen, seine Uebersetzungen aus dem Griechischen, seine Anweisungen zum Studium überhaupt, zur wahren Theologie, zum richtigen und eleganten Sprechen und Schreiben des Lateinischen, worin seine zahlreichen Briefe praktische Muster waren, kamen zur rechten Zeit und wirkten in den weitesten Kreisen. Seine griechisch-lateinische Ausgabe des Neuen Testaments, die erste gedruckte des griechischen Grundtextes, erschien, dem Papste Leo X. zugeeignet, ein Jahr vor dem Anfangsjahre der Reformation. Seine Paraphrasen zu den neutestamentlichen Schriften folgten; wobei es ihn bezeichnet, daß er die zur Apokalypse schuldig blieb. So wenig er aber, wie schon früher bemerkt, Mystisches in seiner Natur hatte, so fehlte ihm darum der Sinn für praktische Religion, selbst für sittliche Ascese keineswegs: wie seine Unterweisung eines christlichen Streiters, seine Schriften über das Gebet, den christlichen Ehestand u. dgl. zeigen. Ueberall dringt er in der Religion auf das Innere, die Gesinnung und Bedeutung, ohne welche ihm das Aeußere, die kirchliche Ceremonie, keinen Werth hat. Er verspottet den Aberglauben des Volkes, die Unwissenheit und Barbarei der Geistlichen, insbesondere der Mönche, den Aberwitz der Scholastik, klagt über die Plackereien der Fastengebote und wagt selbst gegen die Herrsch- und Habsucht des römischen Hofes manch freies Wort.
Alle Welt, die ganze menschliche Gesellschaft, unterwirft er in seinem Lob der Narrheit einer ironischen Musterung. Hier tritt im Geschmacke jener Zeit, der freilich nicht mehr der unsrige ist, die personificirte Thorheit redend auf, rühmt ihre Verdienste um die Menschheit und lobt, indem sie die verschiedenen Stände nach der Reihe durchgeht, an den einzelnen gerade das, was an denselben als Verkehrtheit zu rügen ist; wobei sie freilich oft genug aus der Rolle und aus dem verstellten Lob in directen Tadel fällt. Die Schrift ist bei Lebzeiten ihres Verfassers mindestens 27mal aufgelegt worden.
Kaum mindern Beifall erhielten seine Vertrauten Gespräche, die, aus einer Anleitung zur lateinischen Conversation, in den spätern Ausgaben zu einer Sammlung von Unterhaltungen wurden, in denen Erasmus bald Sitten oder Unsitten seiner Zeit schilderte, bald seine Ansichten über wichtige Fragen der Lebensweisheit oder der Religion niederlegte. Die Angabe des Inhalts von einigen dieser Gespräche wird die Denkart und Stellung des Erasmus am besten deutlich machen. In dem Gespräch: Die Leiche, werden zwei Sterbende geschildert. Der eine, ein gewesener Kriegsmann, der viel ungerecht erworbenes Gut besitzt, läßt sämmtliche Bettelorden holen, stirbt in der Franciscanerkutte und läßt sich in der Kirche begraben, vermacht sein ganzes Vermögen den Orden und zwingt Weib und Kinder, geistlich zu werden. Der andere, ein rechtschaffener und verständiger Mann, stirbt ohne allen Prunk, im Vertrauen auf das Verdienst Christi allein, vermacht den Klöstern und den Armen, da er den letzteren im Leben nach Kräften Gutes gethan, keinen Pfennig, nimmt zwar noch die letzte Oelung und das Abendmahl, doch ohne Beichte, da ihm, wie er sagt, kein Scrupel mehr in der Seele haftet. Dabei wird zugleich die Erbschleicherei der Mönche, die Eifersucht zwischen ihnen und den Pfarrern, wie der verschiedenen Orden unter einander, und deren rohe Sitten, anschaulich gemacht. In dem Gespräche vom Fischessen wird unter anderem eine Geschichte erzählt, wie einer in tödtlicher Krankheit sich weigerte, nach dem Rath seiner Aerzte (wider sein Gelübde) Eier- und Milchspeisen zu essen, aber keinen Anstand nahm, eine Schuld durch einen Meineid abzuschwören. Im Schiffbruch, während die Uebrigen der eine diesen, der andere jenen Heiligen anrufen, wendet sich der verständige Sprecher geradezu an Gott selbst, in der Ueberzeugung, daß kein anderer die Bitten der Menschen schneller höre und lieber gewähre. In der Unterhaltung über das Wallfahrten antwortet Menedemus dem Ogygius auf die Frage, ob er nicht auch die Pilgerfahrten, die ihm dieser zuvor gerühmt, machen wolle? er mache seine Wallfahrten zu Hause ab. Nämlich so: er gehe in das Zimmer, um über die Sittsamkeit seiner Töchter zu wachen; von da in die Werkstatt, um den Fleiß der Knechte und Mägde zu beaufsichtigen, und so da und dorthin, um das ganze Haus in Ordnung zu halten. Aber das würde, wendet der andere ein, wenn du zu ihm pilgern gingest, der heil. Jakobus für dich besorgen. Die heil. Schrift, entgegnet Menedemus, heißt es mich selbst besorgen; daß ich es den Heiligen überlassen soll, finde ich nirgends vorgeschrieben.
In dem Jahrzehnt, welches dem Auftreten Luther's voranging, stand der Ruhm des Erasmus auf seiner Höhe. Er galt für die erste literarische Größe des Abendlandes, und war es auch. Von fernher reisten aufstrebende junge Männer wie ältere Gelehrte an seinen Wohnort und schätzten sich glücklich, sein Angesicht gesehen zu haben. Weltliche und Kirchenfürsten bewarben sich um seine Briefe und lohnten seine Zueignungen durch Geschenke. Auf seinen Reisen wurde er in den gebildeteren Städten wie ein Potentat empfangen: Deputationen erschienen, hielten Anreden und überreichten Gedichte, die Obrigkeiten warteten auf und schickten Verehrungen. In bequemer Muße, ohne Amt, dem er immer auswich, seit 1516 mit dem Titel eines Raths König Karl's von Spanien und einem Gehalte von 400 Fl., wozu noch etliche kleinere Pensionen hochgestellter Gönner kamen (die freilich in der Weise jener geldarmen Zeit nicht selten stockten), lebte Erasmus, von seinen Reisen nach Frankreich, Italien, England zurückgekehrt, erst zu Löwen, dann zu Basel, wo es ihm am wohlsten wurde, bis die Unruhen in Folge der Reformation ihm den Aufenthalt verleideten und ihn zur Uebersiedelung nach Freiburg bewogen.
Wie zu Luther's Auftreten der Handel Reuchlin's gewissermassen ein Vorspiel war, so ließ sich aus des Erasmus Verhalten bei dem letztern schon ungefähr abnehmen, wie er sich zur Reformation stellen würde. Da der Streit sich über den Thalmud und andere Judenbücher entspann, die dem Erasmus fremd, wo nicht widerwärtig waren, so konnte er in gewissem Sinne mit Wahrheit sagen, daß ihn derselbe nichts angehe. Dann war aber auch die Heftigkeit, mit welcher der Kampf von beiden Seiten geführt wurde, seiner Denkart und Natur zuwider. Er meinte, die Freunde der bessern Studien sollten mehr aufbauend als polemisch zu Werke gehen, sich lieber als Gäste allmälig einschmeicheln, als gewaltsam wie Feinde einbrechen. Bei dem kriegerischen Verhalten, das Reuchlin's Anhänger angenommen hatten, war es ihm unangenehm, daß Pirckheimer in seiner Schutzschrift für denselben auch ihn dem Verzeichniß der Reuchlinisten einverleibt hatte. Denn welcher gelehrte und rechtschaffene Mann sei ihm nicht hold? sagte er; was er aber meinte, war, daß der Freund ihn auf keine Weise in einen Parteienstreit hätte verflechten sollen, da er auch hier, wie später bei der Lutherischen Tragödie, wie er es nannte, nur Zuschauer, nicht Mitspieler sein wollte. In der Stille übrigens sprach er dem Angefochtenen freundlich zu, in diplomatischer Form verwendete er sich für ihn bei Papst und Cardinälen, und als am 30. Juni 1522 Reuchlin durch den Tod dem Streit entrückt war, feierte er ihn in einer Apotheose, die er seinen Dialogen einverleibte. Ein von Tübingen kommender Schüler Reuchlin's erzählt von dem Morgentraume, oder vielmehr der Vision, die ein frommer Franciscaner daselbst in Reuchlin's Todesstunde gehabt habe. Jenseits einer Brücke, die über einen Bach führte, erblickte er eine herrliche Wiese: auf die Brücke schritt Reuchlin zu in weißem, lichtem Gewande, hinter ihm ein schöner Flügelknabe, sein guter Genius. Etliche schwarze Vögel, in der Größe von Geiern, verfolgten ihn mit Geschrei; er aber wandte sich um, schlug das Kreuz gegen sie und hieß sie weichen; was sie thaten, mit Hinterlassung unbeschreiblichen Gestankes. An der Brücke empfing ihn der sprachgelehrte heil. Hieronymus, begrüßte ihn als Collegen und brachte ihm ein Kleid, wie er selbst eines anhatte, ganz mit Zungen in dreierlei Farben besetzt, zur Andeutung der drei Sprachen, welche beide verstanden. Die Wiese und die Luft war mit Engeln angefüllt; auf einen Hügel, der sich aus der Wiese erhob, senkte sich vom offenen Himmel eine Feuersäule nieder, in dieser stiegen die beiden Seligen, sich umarmend, unter dem Gesang der Engelchöre empor. Der Erzähler und sein Mitunterredner wollen nun den Entschlafenen in das Verzeichniß der Heiligen, dem heil. Hieronymus zur Seite, setzen, sein Bild in ihren Bibliotheken aufstellen und ihn fortan als Schutzheiligen der Sprachgelehrsamkeit anrufen.
Als nun Luther auftrat, fehlte auch ihm von Anfang weder die Theilnahme des Erasmus, noch sein diplomatisch empfehlendes Wort. Die vertrauliche Aeußerung auf Friedrich's des Weisen Frage zu Köln, unmittelbar vor dem wormser Reichstage, Luther habe in zwei Stücken gefehlt, daß er dem Papst an die Krone und den Mönchen an die Bäuche gegriffen, wirkte tief auf des Kurfürsten Gemüth und fiel ihm noch kurz vor seinem Tode wieder ein. An den Cardinal Albrecht von Mainz hatte Erasmus schon vorher über Luther einen sehr günstigen Bericht erstattet, war aber auch äußerst ungehalten gewesen, als Hutten sich beigehen ließ, den Brief ohne sein Vorwissen drucken zu lassen; wie er die zu Köln in gleichem Sinne geschriebenen Axiomata dem Spalatin bald wieder abforderte, ohne doch damit ihren Druck verhindern zu können. Vor allem begriff Erasmus sehr wohl, daß Luther nicht ohne die dringendste Veranlassung aufgetreten sei. Es waren ja dieselben Uebelstände, über welche auch er selbst bisher schon seine Klagen nicht zurückgehalten hatte. Die Beschwerung des christlichen Volks durch Menschensatzungen; die Verdunkelung der Theologie durch scholastische Dogmen; die lästige Uebermacht der Bettelmönche; das Unwesen, das sie mit der Beichte und dem Ablaß trieben; die Entartung der Predigt, in welcher, statt von Christus und christlichem Leben, fast nur noch von dem Papst und seiner Machtvollkommenheit oder von kindischen erlogenen Mirakeln die Rede war; der mehr als jüdische Ceremoniendienst, unter dessen Drucke der lebendigen Frömmigkeit die Erstickung drohte. Die schamlose Uebertreibung auf dieser Seite veranlaßte Luther zum Widerspruch, und diente nach des Erasmus Urtheil auch manchem Uebermaß auf seiner Seite zur Entschuldigung. Auf eine ehrliche Absicht bei Luther schloß er schon daraus, daß es demselben weder um Geld noch um Ehren zu thun war. Auch fand er, daß gerade die besten Menschen an Luther's Schriften am wenigsten Anstoß nahmen. Luther schien ihm (und das schrieb er an den Papst selbst) eine schöne Gabe zur ascetischen, praktischen Schriftauslegung zu haben, welche in der damaligen Zeit über spitzfindigen scholastigen Fragen mehr als billig vernachlässigt war. Er sah in Luther ein tüchtiges Rüstzeug zur Auffindung der Wahrheit, zur Wiederherstellung evangelischer Freiheit, das nicht zerbrochen werden dürfe.
Gleich von Anfang jedoch hatte Erasmus in Luther's Schriften (von Person kannte er ihn nicht) etwas bemerkt, das seinem Wesen fremd, ja zuwider war. Es war das Scharfe und Herbe, die Heftigkeit und Leidenschaft in denselben, was ihn erst bedenklich machte, dann immer mehr abstieß. Er sah Aufruhr und Zwiespalt als Folge eines so stürmischen Auftretens voraus. Als daher Luther an ihn geschrieben hatte, ermahnte er denselben in seiner Antwort zur Mäßigkeit und Bescheidenheit. Wie statt dessen Luther im Verlaufe seines Streites immer heftiger und schonungsloser wurde, trat Erasmus immer mehr von ihm zurück. Er wurde zweifelhaft, welch ein Geist den Mann treibe. Noch abgesehen von dem Inhalte seiner Lehre, wie er sich mehr und mehr entwickelte, fand Erasmus jedenfalls die Art, wie Luther zu Werke ging, zweckwidrig. Je mißliebiger an sich schon das Geschäft sei, eingewurzelte Mißbräuche zu bekämpfen, meinte er, in desto milderer Form hätte es geschehen müssen. Wozu Schmähungen gegen diejenigen, welche es zu heilen galt? wozu Uebertreibungen, die Anstoß erregen mußten? Durchaus glaubte er die weise Oekonomie, die Urbanität der Predigt zu vermissen, wie wir sie in den Vorträgen Christi und Pauli finden. Zuweilen begriff er Luther als einen Arzt, den die tiefen Schäden der Zeit zu grausamen Mitteln, zum Schneiden und Brennen, nöthigten; aber er fand die Mittel zum Theil schlimmer als die Krankheit. Für Erasmus war Streit und Krieg der Uebel größtes: er wollte im Collisionsfalle lieber einen Theil der Wahrheit dahinten lassen, als durch Behauptung der ganzen den Frieden stören.
Von seinem Standpunkte aus schildert Erasmus Luther's Naturell und Art ganz treffend. Er fand in ihm des Peliden Zorn, der von Nachgeben nichts weiß. Habe er etwas zu behaupten unternommen, so werde er gleich hitzig und lasse nicht ab, bis er die Sache auf die Spitze gestellt habe. Erinnere man ihn, so sei er so weit entfernt, die Uebertreibung zu mildern, daß er sie im Gegentheil noch weiter steigere. Daher die Paradoxen in seiner Lehre, von denen Erasmus urtheilte, daß sie nur dazu dienen können, schädliche Mißverständnisse zu veranlassen. Zu diesen Paradoxen rechnete er gleich den Lutherischen Hauptsatz, daß der Mensch einzig durch den Glauben gerecht werde, seine Ansichten von dem freien Willen, den guten Werken u. dgl. m.
Nichts konnte mehr gegen den Sinn des Erasmus sein, als daß Luther, wie es ihm schien, durch die Härte und Rücksichtslosigkeit seines Verfahrens die Machthaber von sich zurückstieß. Des Erasmus Idee war, im Einverständniß mit Papst, Bischöfen und Fürsten die Kirche zu reformiren, ihnen daher die bittere Pille so süß wie möglich einzuwickeln, und lieber von der Strenge der Forderung etwas Namhaftes nachzulassen, als sie zu Gegnern der Reform zu machen. So wünschenswerth es war, daß die Sache diesen Gang nehmen möchte, so widersprach es doch so sehr aller bisherigen Erfahrung, daß nur die unüberwindliche Scheu vor jeder Gewaltsamkeit dem Erasmus, sogar noch unter Clemens VII., die Möglichkeit des Gelingens vorspiegeln konnte.
Was ihn aber gegen Luther's und seiner Anhänger Beginnen noch tiefer verstimmte, war der Umstand, daß er gar bald diejenige Angelegenheit, die ihm vor allem am Herzen lag, die humanistische Bildung, darunter leiden sah. Und zwar in doppelter Art: indem theils manche frühere Gönner der letzteren, um der reformatorischen Bewegung willen, die sie aus derselben hervorgegangen glaubten, ihr feind wurden; theils der reformatorische Eifer die humanistischen Bestrebungen aus dem Mittelpunkte des Zeitinteresses verdrängte. Des Erasmus Klagen über den Haß, welchen Luther und dessen Anhänger den besseren Studien zugezogen, nehmen kein Ende. Dagegen bemüht er sich, zu zeigen, daß beiderlei Bestrebungen einander gar nichts angehen; versichert, daß ihm Luther persönlich fremd sei, und viel zu wenig classische Studien habe, um zu den Humanisten gerechnet werden zu können. Nichts desto weniger machten ihn seine Gegner für die ganze Reformationsbewegung verantwortlich. Die Bettelmönche predigten, Erasmus habe die Eier gelegt, Luther sie ausgebrütet. Ja, erwiederte Erasmus, er habe ein Hühnerei gelegt, Luther aber einen ganz andern Vogel herausgebracht. Wer bis an das Ufer vorwärts gegangen sei, der könne doch nicht als Vorgänger desjenigen angesehen werden, der sich nun mitten in die Fluthen stürze. Dem widerspricht es nur scheinbar, wenn Erasmus ein andermal, der Geringschätzung gegenüber, mit welcher Luther und dessen eifernde Anhänger ihn bei Seite schoben, die Ueberzeugung ausspricht, fast alles, was Luther lehre, auch schon gelehrt zu haben, nur in milderer Form, ohne Schmähungen und Paradoxen. Darum sträubte er sich auch lange, gegen Luther aufzutreten: unter verschiedenen Gründen doch auch deßwegen, weil er fürchtete, mit Luther's Werke zugleich seine eigenen Saaten zu beschädigen.
Immer störender griff mittlerweile mit jedem ihrer Fortschritte die Reformation in das Leben des Erasmus ein. Nicht allein daß er sich mit einem male von der ersten Stelle verdrängt, ja aus der ersten Reihe in die zweite zurückgeschoben sehen mußte. Sondern, indem die Anhänger der Reformation ihm zumutheten, mit ihnen Partei zu machen, die Gegner, sich gegen dieselbe zu erklären, und er keine von beiden Forderungen erfüllen mochte, fand er sich zwischen zwei Feuern. Die einen schmähten ihn als feig, die andern hielten ihn für falsch und warfen ihm vor, daß er mit Luther unter einer Decke stecke. Er sah alte Freundschaften zertrennt, alles mit Streit und Zank, die bald in wilde Kämpfe ausbrachen, erfüllt; er betrachtete die Reformation als das Unglück seines Lebens und glaubte eine allgemeine Verwilderung im Anzug.
Letzteres auch insofern, als, neben der Anfeindung von außen, der humanistische Bildungstrieb zugleich innerlich abzusterben drohte. Der philologische Eifer erkaltete, wie der religiöse zunahm. Die grammatischen und rhetorischen Studien schienen ihre Bestimmung erfüllt zu haben, nachdem sie die Umgestaltung der Theologie ermöglicht hatten. Einer um den andern ging aus dem humanistischen Lager in das reformatorische über, und darunter gerade solche, auf welche Erasmus als die Seinigen am meisten gerechnet hatte. So Hermann Busch, Justus Jonas, Hutten, Melanchthon, den er so wenig wie einst Reuchlin gern in Wittenberg sah. Bald glaubte er zu bemerken, daß, wo das Lutherthum herrsche, die humanistischen Studien zu Grunde gehen.
Beklagte demnach Erasmus in Hutten vor allen einen solchen, der für die Sache, für welche sie früher beide in Gemeinschaft thätig gewesen, verloren gegangen sei: so erschien dem letztern von seinem Standpunkte aus Erasmus als ein Mann, der die Grundsätze seines frühern Lebens und Wirkens jetzt verläugne. In dieser Richtung hatte er demselben schon von Steckelberg und der Ebernburg aus zwei Briefe geschrieben, von denen der eine bereits als ein Vorläufer der umfassenden Streitschrift erscheint, mit welcher Hutten seine schriftstellerische Laufbahn vor der Zeit beschließen sollte. Es ist dieß der Brief vom 15. August 1520, dessen wir, soweit er die päpstliche Fahndung auf Hutten und seine Rettung betraf, schon früher gedacht, was aber sein Verhältniß zu Erasmus anging, absichtlich bis hieher verspürt haben. Hutten eröffnet dem Erasmus, was er, bei diesem Stande seiner Angelegenheiten, von demselben verlange, und verhehlt zugleich nicht, was ihm in dessen bisherigem Verhalten mißfallen habe. In Reuchlin's Handel habe er sich allzuschwach und ängstlich gezeigt. Die Briefe der Dunkelmänner, die er erst hochgepriesen, habe er hernach verdammt. In Bezug auf Luther sodann habe er dessen Widersacher zu überreden gesucht, als wäre die Kirchenreform eine ihm fremde Angelegenheit. Das habe ihm doch übel angestanden und sei überdieß zwecklos gewesen, da seine wahre Gesinnung aus seinen Schriften wohl bekannt sei, und daher niemand seinem Vorgeben Glauben geschenkt habe. So habe er der Reformpartei geschadet, ohne sich zu nützen. Schon bisher habe Hutten der Leute Reden über Erasmus ungern gehört, doch den Freund, obwohl er selbst nicht ganz mit ihm zufrieden gewesen, entschuldigt. Jetzt, da die Sache ihn persönlich betreffe, wolle er sich offen gegen Erasmus erklären. Er möge demjenigen, der ihn stets hochgeschätzt habe und auch jetzt noch zu den besten Diensten für ihn bereit sei, so viel zu Liebe thun, daß er sich nicht auch über ihn so wie über Reuchlin und Luther äußere. Billigung seiner Sache, obwohl ihm nichts Ehrenvolleres zu Theil werden könnte, wolle er nicht von ihm verlangen; nur möge er auch nicht aus Menschenfurcht schlecht von derselben sprechen, sondern sie lieber völlig mit Stillschweigen übergehen, in Erwägung, wie nachtheilig ein einziges ungünstiges Wort von ihm für Hutten sein müßte. Das habe er ihm, als einem Freunde, freimüthig geschrieben. An Erasmus, 15. August 1520. S. oben S. 341.
Noch gab Hutten den Erasmus für die Sache der Reform nicht verloren. Don seiner innern Zustimmung glaubte er überzeugt sein zu dürfen, und den Muth zum äußern Bekenntniß konnten ihm vielleicht bald die Verhältnisse geben, wenn er sich nur mittlerweile nicht allzutief mit den Feinden des Fortschritts einließ und mit dessen Förderern überwarf. Oder wie? wenn man den ängstlichen Mann eben bei seiner Aengstlichkeit ergriff? Wenn man ihn überredete, er sei unter den Romanisten seines Lebens nicht sicher? Seinen Wohnsitz hatte er noch immer in Löwen; die Anwesenheit des Kaisers und mehrerer Fürsten führte ihn um Wintersanfang 1520 auch nach Köln. Das waren aber die Hauptsitze der Finsterlinge: an beiden Orten wurden eben um jene Zeit die Schriften Luther's verbrannt. Diesen Umstand versuchte Hutten zu benutzen, um dem Erasmus bange zu machen. Was er denke, schrieb er ihm gerade ein Vierteljahr nach dem so eben erörterten Briefe wieder viel freundlicher, an Orten sich aufzuhalten, wo der größte Haß gegen ihre Partei (zu welcher Hutten den Erasmus jetzt ohne Weiteres rechnet) herrsche, und die päpstlichen Mandate ohne Schonung vollzogen werden? Ob er glaube, da noch sicher zu sein, wo man Luther's Bücher verbrannt habe? er, über den die Feinde längst schreien, er sei der Urheber und erste Anstifter aller dieser dem Papste so verdrießlichen Bewegungen. Dieß verhalte sich zwar nicht so (gibt hier Hutten dem Erasmus zu, der jenen Vorwurf nicht gerne hörte); doch wisse er ja, mit welcherlei Leuten sie es zu thun haben, und könne sich denken, daß ihr Haß gegen die Wissenschaften weit mehr noch den treffen werde, der sie eingeführt, der Deutschland mit Gelehrsamkeit erfüllt habe. Daß der Versuch, den Erasmus seit Jahren angestellt, den Papst und seine Anhänger durch Lob und Schmeichelei für die gute Sache zu gewinnen, nicht zum Ziele geführt habe, sehe er nun wohl selbst ein. Darum möge er fliehen, ehe es zu spät sei. Der gewaltsame Losbruch, den Hutten und Franz im Sinne haben, werde die Stellung des Erasmus noch bedenklicher machen, und nicht offenen Angriff allein, auch Gift und Dolch habe er zu fürchten. Daher sei Hutten's Rath, er solle Löwen mit Basel vertauschen, wo er längst beliebt und verehrt sei, wo die Geister von Natur schon freier und nun überdieß durch Luther's Schriften und ein deutsches Gedicht Hutten's (die Klag und Vermahnung) erregt seien. Darum bitten ihn durch Hutten gemeinschaftliche Freunde, deren Verlangen er nachgeben und sich dem gemeinen Besten erhalten möge. An Erasmus, 13. Nov. 1520; Schriften I, S. 423-426.
Wenn Erasmus noch in demselben Winter sich wirklich nach Basel begab, um nicht wieder nach Löwen zurückzukehren, so lag dabei zwar, neben der Absicht, den Druck seiner Schriften in der Froben'schen Officin selbst leiten zu könnens noch die andere zum Grunde, den fortwährenden Angriffen der Finsterlinge jener Stadt und Universität, auf Kanzeln, Kathedern und sonst, sich zu entziehen. Aber keineswegs, um nun in das Lager der Reformation überzugehen: vielmehr betrachtete er Basel als neutralen Boden, den er, als derselbe acht Jahre später von der Reformation entschieden erobert war, mit einer altgläubig gebliebenen Stadt vertauschte.
Zwei Jahre waren seit der Abfassung jenes Briefs verflossen, seit dritthalb Jahren hatten sich beide Männer nicht gesehen, als gegen das Ende des Jahres 1522 Hutten, wie schon erwähnt, als Flüchtling aus Deutschland, in Basel erschien. Für das Folgende sind die Berichte Hutten's in seiner Expostulatio auf der einen Seite und des Erasmus in seiner Spongia auf der andern, in Hutten's Schriften II, S. 180 ff. 265 ff., zu vergleichen. Ebendaselbst sind auch verschiedene auf die Sache bezügliche Briefe abgedruckt. Schon unterwegs, in Schlettstadt, hatte er gegen Beatus Rhenanus und andere geäußert, wenn er nach Basel komme, wolle er dem Erasmus Muth machen, denn Furchtsamkeit sei es doch, daß dieser sich nicht günstiger für Luther zeige. Die erste Nachricht von Hutten's Ankunft in Basel erhielt Erasmus hierauf durch Heinrich von Eppendorf, einen jungen Mann, der auf Kosten des Herzogs Georg von Sachsen damals seine Studien in Basel machte und mit Hutten schon vorher bekannt war. An der Freude, welche Erasmus über diese Nachricht empfunden haben will, dürfen wir dem weitern Erfolge nach billig zweifeln; denn nach den ersten Erkundigungen über Hutten's Befinden und Umstände gab er dem Eppendorf den Auftrag, dem Ritter freundlich beizubringen, derselbe möge während seines Aufenthalts ihn nicht durch seinen Besuch compromittiren. Dieß war jedenfalls der deutliche Sinn der Aeußerung des Erasmus, auch wenn er, seiner Versicherung zufolge, noch die Einschränkung hinzufügte, falls Hutten nichts Besonderes mit ihm zu reden hätte, und das Anerbieten, wenn er ihm sonst in etwas dienen könne, sei er dazu gern bereit. Welchen Eindruck diese Botschaft von Erasmus, als sie ihm noch desselben Tags durch Eppendorf hinterbracht wurde, auf Hutten machen mußte, ließ sich denken und dachte sich auch Erasmus selbst; wenngleich, wie er erzählt, der Mittelsmann ihn versicherte, jener habe die Sache im besten Sinne aufgenommen. Andere Mitglieder des Erasmischen Kreises, wie Basilius Amerbach, denen gegenüber Hutten seiner Entrüstung freien Lauf ließ, hatten ihm sicher Winke gegeben. Daher die wiederholten Fragen nach Hutten's Stimmung gegen ihn, die Erasmus an Eppendorf richtete. So gedrängt, habe Eppendorf endlich geäußert, vielleicht wünsche Hutten doch mit Erasmus zu reden: und darauf will dieser sich erboten haben, wenn es etwas Wichtiges betreffe, oder jenem so viel daran liege, so komme es ihm auch nicht darauf an, und möge Hutten immerhin zu ihm kommen; es frage sich nur, ob derselbe bei seiner Krankheit des Erasmus kalte Zimmer (wo jedoch ein Kaminfeuer nicht fehlen solle) ertragen könne; könnte er selbst die Ofenwärme leiden, so würde er dem Ritter den Besuch machen.
Daß der letztere diese nachträgliche, halb widerwillige Einladung mit Stolz zurückgewiesen hätte, müßten wir natürlich finden: nach seiner Versicherung aber ist sie ihm niemals zugekommen; ob sie nun, wie Erasmus später andeutete, von dem Zwischenträger unterschlagen, oder von jenem niemals ausgegangen ist. Was die geheizten Stuben betrifft, so hätte, nach Hutten's Versicherung, Eppendorf den Erasmus belehren können, daß jener oft zwei bis drei Stunden lang mit seinen Freunden auf dem Markte auf- und abgehe, auch an des Erasmus Hause will er absichtlich mehrmals vorübergegangen sein, um sich diesem bemerklich zu machen. Aber Erasmus schrieb noch am Weihnachtsfeste an seinen Freund, den Domherrn Johann von Botzheim nach Konstanz, Hutten habe er nicht gesehen, und wünsche es jetzt auch nicht. Er meine es gut mit ihm, sofern Hutten es mit sich selber gut meine; aber er habe anderes zu thun.
Der vornehmste Beweggrund zu dieser Handlungsweise war, wie Erasmus selbst gestand, die Besorgniß, durch den Verkehr mit Hutten sich seinen hohen Gönnern gegenüber bloßzustellen. Die Nachricht von diesem Besuche, sagt er, würde nach Rom gelangt sein an den Papst; nach Spanien an den Kaiser; nach Brabant, wo ich eifrige Ankläger habe; nach England, wo es nicht an Leuten fehlt, die mich, ich mag wollen oder nicht, zum Lutheraner machen. Auch hätte es sich, meinte Erasmus, nicht blos um eine Unterredung gehandelt: einmal in Berührung mit ihm getreten, hätte er den heruntergekommenen kranken Ritter in sein Haus aufnehmen müssen; wobei ihm gleich sehr vor der Ansteckung, die er durch bloßen Hauch möglich glaubte, vor einem Darlehn, das ihm angesonnen werden könnte, vor dem angeblich evangelischen Anhang Hutten's, von dem er überlaufen zu werden fürchtete, wie vor dessen eigener Verbitterung und Ruhmredigkeit graute, von denen er voraussetzte, daß sie mit seinem Unglück sich noch gesteigert haben müßten.
Von Hutten's Beschäftigungen während seines Aufenthalts in Basel erfahren wir durch Erasmus, daß er eine heftige Schrift gegen den Kurfürsten von der Pfalz verfaßte, weil dieser, wie oben erwähnt, seinen Diener, wegen eines Raubanfalls auf drei Aebte, hatte hinrichten lassen. Er suchte aber vergeblich einen Buchdrucker, der es gewagt hätte, sie zu drucken. Dagegen ließ er eine Satire auf einen basler Arzt erscheinen, der sich vermuthlich in der Behandlung von Hutten's Krankheit Blößen gegeben hatte. Erasmus sprach gegen Eppendorf seine Verwunderung aus, wo Hutten in seinem Siechthum und Elend Muße und Stimmung zu solchen Späßen hernehme? aber Eppendorf meinte, dergleichen mache er eben, um sich zu zerstreuen.
Daß er indeß auch ernstere Umtriebe im Sinne eines Umsturzes der bestehenden Kirchenzustände machte, erhellt daraus, daß sofort auf das Andringen der Geistlichkeit der Magistrat von Basel ihm den zugesagten Schirm aufkündigte. So sah Hutten, nach einem Aufenthalte von nicht ganz zwei Monaten, früher als es in seiner Absicht gelegen war, sich genöthigt, Basel zu verlassen. Dieß that er am 19. Januar, ohne daß selbst seine besten Freunde wußten, wohin er seinen Weg genommen. Er hatte aber seine Blicke auf das benachbarte Mülhausen gerichtet, das, dazumal der Eidgenossenschaft zugewandt, ihn wie Basel Schutz gegen die deutschen Fürsten hoffen ließ; während die reformfreundliche Denkart des Raths, insbesondere des einflußreichen Stadtschreibers Oswald Gamsharst, mit welchem Hutten von früher her bekannt gewesen zu sein scheint, ihn gegen den Einfluß der Geistlichkeit zu decken versprach. Auf Nebenwegen, weil er die Nachstellungen seiner Feinde zu fürchten hatte, erreichte er in Eppendorfs Begleitung wohlbehalten seinen neuen Zufluchtsort, wo ihm Gamsharst's Fürsprache im Augustinerkloster um so leichter eine Herberge ausmittelte, je günstiger dessen Bewohner für das Werk ihres sächsischen Ordensbruders gestimmt waren. Hutten gedachte hier den Rest des Winters zuzubringen; zu welcher Arbeit aber er seine Muße im Augustinerkloster benutzte, werden wir in Kurzem finden.
Schon während seines Aufenthaltes in Basel war dem Ritter, von der ihm persönlich widerfahrenden Kränkung abgesehen, und außer dem, was er aus des Erasmus neueren Schriften wußte, über dessen Verhalten zu der Reformation und deren Anhängern so manches Nähere zu Ohren gekommen, was nicht geeignet war, seine Stimmung gegen denselben zu verbessern. Jetzt, in Mülhausen, erfuhr er von besuchenden Freunden aus Basel, wovon er schon früher hatte munkeln hören, Erasmus gehe mit einem schriftlichen Angriff auf die Lutheraner um. Er ließ ihn durch Eppendorf warnen: wenn er Luther angriffe, könnten sie nicht mehr gute Freunde sein. Endlich, etwa im März, kam ihm des Erasmus Brief an Laurinus, Decan des Collegs von St. Donatian in Brügge, gedruckt vor Augen, der das Ungewitter, das von Hutten's Seite schon längst dem Erasmus gedroht hatte, zum Ausbruche brachte. Abgedruckt in Hutten's Schriften II, S. 158-177.
Das ausführliche Schreiben an den niederländischen Gastfreund vom 1. Februar 1523 ist, bei aller scheinbar abschweifenden Geschwätzigkeit in Reise- und Ortsbeschreibungen, doch durchaus auf den Zweck berechnet, die ungünstigen Gerüchte zu zerstreuen, welche über des Erasmus Stellung zu Luther und seinem Unternehmen im Umlaufe waren. Diese Gerüchte gingen zwar, je nach der Parteistellung der Urtheilenden, nach zwei entgegengesetzten Seiten hin, und Erasmus widerspricht ihnen auch in beiden Richtungen; doch so, daß er nicht verhehlt, es liege ihm weit mehr daran, sich von dem Verdachte zu reinigen, als hielte er es mit Luther, als ihn der Vorwurf bekümmerte, er sei ungerecht gegen ihn. Den ersteren Verdacht gegen Erasmus hatte seine Abreise aus Löwen und sein langes Verweilen in Basel verstärkt. Dagegen führt er nun die literarischen Veranlassungen seiner Reise nach Basel auf und stellt sich, als ob er keineswegs daselbst zu bleiben gedächte. Bei dem Kaiser wie bei dem neuen Papst Adrian VI. sei er mit nichten in Ungnade; an der Sage, daß Hochstraten seine Bücher verbrannt habe, sei kein wahres Wort. Er möchte fast glauben, dergleichen Gerüchte werden von gewissen Anhängern Luther's ausgesprengt, um ihn mit der Gegenpartei zu überwerfen. Es heiße jetzt, viele Lutheraner strömen in Basel zusammen, um sich bei Erasmus Raths zu erholen. Wollte Gott, es kämen alle Lutheraner und Antilutheraner zu ihm und folgten seinem Rathe, so würde es besser in der Welt stehen. Unter den vielen Fremden, die ihn besuchen, möge sich wohl mancher Anhänger Luther's befinden, darnach frage er nicht; auch von seinen ältern Freunden habe er keinem um deßwillen, weil er später allzueifriger Lutheraner geworden, so wenig als denjenigen, die ihm in der Anfeindung Luther's zu weit zu gehen geschienen, die Freundschaft aufgekündigt: sofern nur beiderseits noch die gute Absicht zu erkennen sei. So sei Hutten wenige Tage als Gast in Basel gewesen, ohne daß einer den andern besucht habe: und doch würde er, wenn Hutten zu ihm gekommen wäre, dem alten Freunde, dessen schönes Talent er noch jetzt lieben müsse, eine Unterredung nicht versagt haben. Denn was dieser sonst noch betreibe, gehe ihn nichts an. Weil aber Hutten seiner Krankheit wegen die Ofenwärme nicht habe missen können, die Erasmus nicht ertragen könne, so sei es gekommen, daß sie einander nicht gesehen haben.
Ueber Luther's Lehre habe er sich bisher aus mancherlei Gründen kein Urtheil erlaubt, vor allem, weil das eine Sache sei, die vor einen höhern (kirchlichen) Richterstuhl gehöre; auch habe er Luther's Schriften bei weitem nicht alle gelesen, und die in sächsischer Sprache geschriebenen (d. h. die deutschen) könne er nicht einmal lesen. Nur so viel habe er hin und wieder in gedruckten Briefen bezeugt, daß er der Verbindung der Lutheraner fremd sei und in Luther's Büchern zu wenig christliche Bescheidenheit und zu viel Bitterkeit finde. Dabei läugne er nicht, daß Luther auf manches aufmerksam gemacht habe, das nicht länger zu ertragen gewesen sei und um des Wohls der Christenheit willen gebessert werden sollte. Da übrigens Luther kein Bedenken trage, nicht allein Kirchenlehrern, sondern selbst Kirchenversammlungen zu widersprechen, so könne er nichts dagegen haben, wenn man auch ihm widerspreche; und da jetzt alle Welt gegen ihn schreibe, wäre es auch dem Erasmus nicht zu verübeln, wenn er, dem Befehle solcher sich fügend, denen zu widerstreben gefährlich sei, bei gelegener Zeit seine Stimme über Luther abgeben würde. Sich persönlich von dessen Handel loszusagen, fährt er mit ächt Erasmischer Ironie fort, sei für ihn einfach eine Sache der Bescheidenheit gewesen. Da er bei vielen hohen Häuptern als der eigentliche Urheber von Luther's Lehre, ja als der Verfasser mehrerer von seinen Schriften gegolten, so habe er eine so hohe Ehre unmöglich annehmen können, sondern wie Johannes der Täufer rufen müssen: Ich bin es nicht. Luther und seine Anhänger nennen ihn so oft einen schwachen Christen, der von geistlichen Dingen nichts verstehe: so mögen sie es ihm zu Gute halten, wenn er sich an das Urtheil bewährter Väter halte, und Luther's Neuerungen mitzumachen sich nicht getraue. Wem der Herr größere Geistesgaben verliehen, der möge sie zu dessen Ehre gebrauchen: er wolle nicht so hoch fliegen, aber desto sicherer gehen. Sein Wunsch sei auf evangelische Eintracht, auf friedliche Heilung der Schäden der Kirche, mit gleichmäßiger Rücksicht auf die Würde des Priesterstandes, wie auf die Freiheit des christlichen Volkes, gerichtet. Wer dieses Weges gehe, dem werde des Erasmus Handreichung nicht fehlen. Ziehe aber einer vor, lieber alles durcheinander zu werfen, der werde gewiß ihn weder zum Führer, noch zum Begleiter haben. »Sie wenden (schließt er) den Antrieb des heil. Geistes vor. So mögen sie denn mit gutem Glück unter den Propheten tanzen, wenn der Geist des Herrn sie angeweht hat. Mich hat dieser Geist noch nicht ergriffen: wird es einmal geschehen, so werde ich vielleicht auch Saul unter den Propheten heißen.«
An diesem Erasmischen Sendschreiben mußte unserem Ritter alles zuwider sein: die ironische Kaltsinnigkeit gegen eine Sache, die ihn in Flammen setzte; die vorgewendete Unparteilichkeit, welche die Parteinahme nur schlecht verdeckte; die Vorsicht und Friedensliebe endlich, die aber mit des Briefstellers Verzagtheit und Schwachheit für die Großen unverkennbar zusammenhing. Dazu kam nun, daß die Stelle, in welcher Hutten's gedacht war, verschiedene handgreifliche Unwahrheiten enthielt, durch welche Erasmus seine Handlungsweise, bei der er offenbar kein gutes Gewissen hatte, zu beschönigen suchte. Es war nicht wahr, daß Hutten nur wenige Tage in Basel gewesen; nicht wahr, daß nur der Ofenpunkt beide Männer auseinandergehalten; nicht wahr, daß es nur bei Hutten gestanden hatte (sofern man hierunter versteht, was er mit Ehren hätte thun können) zu Erasmus zu kommen. Glaubte dieser vielleicht gar, Hutten werde es als eine Schonung erkennen, wenn er nicht öffentlich erzählte, wie er sich dessen Besuch verbeten, so verrechnete er sich sehr. Am dritten Tage schon, nachdem ihm das Sendschreiben zu Gesicht gekommen, machte sich Hutten daran, in einer ausführlichen Streitschrift mit Erasmus wegen alles dessen, was er sowohl persönlich, wie als Anhänger der Reformpartei längst gegen ihn auf dem Herzen hatte, endlich Abrechnung zu halten. Zwar verzog sich deren Vollendung bis in den andern Monat: doch erhielt Erasmus zeitig genug Nachricht, indem namentlich Eppendorf, der zwischen Basel und Mülhausen hin- und herreiste, seine Gründe hatte, ihn von Hutten's übler Stimmung gegen ihn und von dem drohenden Angriff in Kenntniß zu setzen.
Dieser Heinrich von Eppendorf, dessen vorgebliche Ritterschaft jedoch Männer, die der Verhältnisse kundig sein konnten, in Abrede stellten, ein fahrender, verschuldeter Literat, der, erst zuthulicher Hausfreund des Erasmus, sich dann an Hutten gehängt hatte, spielt in diesem ganzen Handel eine mindestens zweideutige Rolle. Daß er, wie ihm Erasmus Schuld gab, den Streit absichtlich herbeizuführen gesucht und zu diesem Zwecke sich Zweizüngigkeiten erlaubt, dem Erasmus die Erbitterung Hutten's, diesem die nachträglichen Erbietungen des Erasmus verschwiegen habe, möchten wir dem letztern nicht ohne weiteres nachsprechen. Daß er aber später, als Hutten wirklich sich daran gemacht hatte, gegen Erasmus zu schreiben, dieß als Mittel zu benutzen suchte, um dem Erasmus oder seinen Freunden Geld abzupressen, wird sowohl aus seinem Benehmen bei dieser Gelegenheit, als aus einem spätern Falle wahrscheinlich, wo er den alten Mann, der ihm bei Herzog Georg ein schlechtes Zeugniß gegeben hatte, recht wie ein Heckenreiter überfiel. Erasmus geht nur darin zu weit, daß er diese Absicht der Gelderpressung ebenso auch Hutten unterlegt. Die Unfläterei eines Karthäuserpriors mochte diesem eine willkommene Gelegenheit gewesen sein, seinen Finanzen aufzuhelfen: in dem Streite mit Erasmus war es ihm ein heiliger Ernst um die Sache, und diesen Ernst athmet seine Schrift durchaus; wenn er auch, als diese fertig war, es geschehen ließ, daß der geschäftige Anhänger sie zu einer Geldspeculation zu benutzen suchte.
Auf die Nachricht, die Eppendorf bei seiner zweiten Wiederkehr von Mülhausen mitbrachte, daß Hutten, über die erfahrene Zurückweisung erbittert, an einer Schrift gegen Erasmus arbeite, entspann sich zunächst ein Briefwechsel zwischen beiden. Nach des Erasmus Darstellung wären es seine Freunde, insbesondere Beatus Rhenanus, gewesen, die ihn gegen seine eigene Ansicht zu dem Schritte beredeten, einen schriftlichen Sühneversuch bei Hutten zu machen: so allerdings, wie er denselben machte, konnte er wissen, daß der Versuch nicht zum Ziele führen würde. Durch Heinrich Eppendorf, schrieb er ihm am Charfreitag, habe er von Hutten's Unwillen und der Streitschrift gegen ihn, mit welcher der Ritter umgehen solle, gehört. Darüber müsse er sich wundern, da seine Freundschaft für Hutten unverändert geblieben sei, wenn auch für den Augenblick die Umstände ihnen den frühern vertrauten Umgang unmöglich machen. Was neulich, während Hutten's Anwesenheit in Basel, zwischen ihnen vorgefallen, sei keine Zurückweisung gewesen. Vielmehr habe er von Hutten nur dasjenige sich freundlich ausgebeten, was er an dessen Stelle von selbst gethan haben würde: dem Freunde nicht, ohne Nutzen für sich selbst, durch einen Besuch Verdruß zuzuziehen. Und doch habe er ihm nachher durch Eppendorf sagen lassen, wenn Hutten die Ofenwärme missen könne, die ihm unerträglich sei, so solle sein Besuch ihm nicht unlieb sein. Beleidigt also habe er Hutten nicht, weder jetzt noch sonst, vielmehr, um von Wohlthaten nicht zu reden, ihm bis auf diesen Tag von Herzen wohlgewollt. Er möchte ihm wünschen, daß er keinen schlimmern Feind hätte als den Erasmus, oder daß er besäße, was dieser Feind ihm wünsche. Vielleicht werde er gegen ihn aufgehetzt von Leuten, die Hutten's Feder zur Sättigung ihres Hasses gegen Erasmus mißbrauchen möchten. Wolle Hutten diesen willfahren, so möge er fürs erste bedenken, daß er es gegen einen thue, der es nicht um ihn verdient habe; dann, daß er seinen eigenen ärgsten Feinden, dem Hochstraten u. A., keinen größern Gefallen thun könne, als gegen Erasmus zu schreiben. Schon insofern dürfte es der Klugheit gemäß sein, wenn Hutten, ehe es zum wirklichen Kriege komme, vorher in einem Privatschreiben ihm mit freundschaftlicher Offenheit mittheilte, was er gegen ihn habe; Hutten müßte ganz ein anderer geworden sein, als er ehedem gewesen, wenn es dem Erasmus nicht gelingen sollte, ihm durchaus genugzuthun.
So weit war das Schreiben des Erasmus für seinen Zweck ganz wohl berechnet, den es zwar schwerlich erreicht haben würde, da zwischen beiden Männern sich allzuviel Stoff zum Streite angesammelt hatte: nun aber nahm es eine Wendung, welche dem reizbaren Hutten die Feder gegen Erasmus, wenn er sie noch nicht ergriffen gehabt hätte, in die Hand drücken mußte. Außer der Rücksicht auf die alte Freundschaft und auf den Jubel der Feinde, fährt nämlich Erasmus fort, müsse auch die Rücksicht auf seinen eigenen Ruf den Ritter von seinem Vorhaben zurückhalten. Nicht allein daß man einen Angriff auf den schuldlosen Freund inhuman finden würde: »auch an solchen«, schreibt er, »würde es vielleicht nicht fehlen, die, in Erwägung, wie deine Sachen jetzt stehen, argwöhnen möchten, es sei bei dem ganzen Beginnen nur auf Beute abgesehen; und es wäre kein Wunder, wenn dieser Verdacht bei vielen Platz griffe, als gegen einen Landflüchtigen, Verschuldeten und zum äußersten Mangel an allem Nothwendigen Heruntergekommenen. Dir ist nicht unbewußt, welche Sagen über dich umgehen; auch weißt du wohl, warum der Pfalzgraf dir zürnt und was er dir droht, der ja an deinem Diener bereits die Todesstrafe vollzogen hat. Deßwegen möchte ich nicht, daß du meine Erinnerung der Furcht oder dem bösen Gewissen zuschriebest: da sie vielmehr von Liebe zu dir ausgeht, und ich damit mehr für dich als für mich sorge. Du magst so gehässig schreiben als du willst, so wirst du fürs erste es weder mit einem solchen zu thun haben, dem dergleichen Anfechtungen ungewohnt sind, noch mit einem Stummen. Dann aber, gesetzt auch, ich schwiege, wirst du doch deinem Rufe übler thun als dem meinigen. Darum sieh wohl zu, mein Hutten, daß du hier mehr deine Klugheit zu Rathe ziehest, als der Leidenschaft leichtgesinnter Menschen folgest. Lebe wohl. Ich erwarte deine Ausforderung.« Erasmus an Hutten, 25. Merz 1523. Hutten's Schriften II, S. 178 f.
Darunter verstand Erasmus die vorläufige Darlegung von Hutten's Beschwerden über ihn in einem Privatbriefe, die dann auch, wie er erzählt, in einem sehr trotzigen Schreiben erfolgte, dem aber nach Hutten's Ankündigung binnen drei Tagen schon die Streitschrift selbst (vorerst zwar noch ungedruckt) nachkommen sollte, von der es ein kurzer Inbegriff war. Einstweilen beantwortete Erasmus das vorläufige Schreiben, indem er sich Punkt für Punkt auf Hutten's Vorwürfe einließ und ihm nochmals bemerklich zu machen suchte, wie es nicht minder in des Ritters als in seinem Interesse liege, ihren Streit in der Stille abzumachen. Das Schlimme war aber, daß die Hutten'sche Streitschrift handschriftlich bereits durch viele Hände in Basel gegangen, jetzt auch nach Zürich versendet war, so daß Erasmus von dritten Personen vernahm, was Hutten gegen ihn vorgebracht habe. So erklärte auch dieser selbst in der Antwort auf des Erasmus zweites Schreiben (in deren milderem Tone dieser eine Wirkung von dem mittlerweile erfolgten Falle Sickingen's zu erkennen meinte), das Manuscript sei bereits an den Buchdrucker abgegangen; doch wenn Erasmus dazu schweigen wolle, so solle zwischen ihnen Fried und Freundschaft bestehen wie zuvor. Jetzt endlich kam eine Abschrift auch dem Erasmus zu, aber unverschlossen und unversiegelt; und nun legte Eppendorf vergeblich ihm und seinen Freunden nahe, den Angriff durch eine Geldsumme abzukaufen. Der Verleger der Erasmischen Werke, Johann Froben, zwar bot 50 Fl., der Domherr Johann Botzheim, im Schrecken um den Freund von Konstanz herübergeeilt, sprach von 70 Fl., um die es sich handle: aber Erasmus wollte nicht der Geprellte sein, wenn die in Abschriften schon verbreitete Schrift, wie vorauszusehen war, nachher doch erschiene; er gab nichts, und hielt auch seine Freunde ab, sich auf den Handel einzulassen. Mittlerweile hatte sich Hutten von Mülhausen nach Zürich begeben, von wo er nochmals an Erasmus schrieb, das Geschehene wollen sie auf die homerische Ate (den Dämon unbedacht unheilvoller Thaten) schieben; inskünftige (so läßt Erasmus ihn sich ausdrücken) wolle er sich vorsichtiger halten. Auch bezeugte er dem Eppendorf, dieser habe die Verbreitung der Schrift widerrathen, d. h. wohl eben, ihm zugeredet sie sich abkaufen zu lassen. Da dieß mißlungen war, so reiste nun Eppendorf, so berichtet Erasmus, nach Straßburg und beredete den Buchdrucker Johann Schott, der schon von früher her mit Hutten in Verbindung stand, den Druck der Beschwerdeschrift zu übernehmen, den er noch vor der Mitte des Juli vollendete. Ulrichi ab Hutten cum Erasmo Roterodamo presbytero theologo Expostulatio. Mit der deutschen Uebersetzung Schriften II, S. 180-248.
So wenig dem Erasmus, und zwar nicht erst seit Hutten's Aufenthalt in Basel, sondern schon seit dessen Briefen von Steckelberg und Ebernburg aus, ein Angriff von seiner Seite unerwartet sein konnte: so fand er sich doch durch die Art, wie derselbe ausgeführt war, betroffen. In ganz Deutschland, schrieb er an Pirckheimer, hätte er so viel Inhumanität, Unverschämtheit, Eitelkeit und Gehässigkeit nicht vermuthet, als die Eine Schrift von Hutten enthalte. Er sah in diesem einen Undankbaren, der ihm die wiederholten Empfehlungen an den Cardinal von Mainz und andre Fürsten, die ehrenvollen Erwähnungen in Briefen und Schriften, die wohlwollendste Gesinnung, nun so vergelte. Er schwankte, oder that doch als schwankte er einen Augenblick, ob er antworten solle: wie er denn auch seine basler Freunde mit der, seiner Versicherung nach in sechs Tagen vollendeten Gegenschrift überraschte, die er einen Schwamm, zur Abwischung von Hutten's Anspritzungen, betitelte Spongia Erasmi adversus aspergines Hutteni. Ebendaselbst S. 265-324..
Hutten's Expostulatio ist eine, im Verhältniß zu der Mehrzahl seiner übrigen Schriften ziemlich umfangreiche Arbeit, und Erasmus wollte seiner asiatischen Redefülle mit lakonischer Kürze antworten: dabei wurde aber seine Spongia beinahe noch einmal so stark. So wollte er auch, Hutten's Leidenschaft gegenüber, sich mäßigen, sich, wie schon der Titel seiner Schrift anzeigt, mehr nur abwehrend verhalten: aber die Abwehr führte ihn zu Ausfällen, die um so kränkender waren, je mehr sie sich gegen den Charakter und Wandel des Gegners richteten; um so grausamer, da sie sich des Spottes über sein Unglück nicht enthielten, und dadurch nicht schonender wurden, daß sie sich meistens in bloße Anspielungen versteckten. Wir suchen von beiden Schriften nach- und zum Theil nebeneinander eine Vorstellung zu geben.
Beide beginnen mit einer Auseinandersetzung der Veranlassung des Streites, indem Hutten, der Erasmischen Entstellung in dem Brief an Laurinus gegenüber, zu erhärten sucht, daß des Erasmus Benehmen bei seinem Aufenthalt in Basel wirkliche Beleidigung eines treuen Freundes und Verehrers gewesen sei; wogegen Erasmus erweisen zu können glaubt, bei jener Gelegenheit die Pflichten der Freundschaft und Humanität in keiner Weise verletzt zu haben. Dieser Beweis gelingt ihm nicht; denn, wenn man auch sehr wohl einsieht, daß ihm in seiner Stellung, bei seiner Denk- und Gemüthsart, eine Berührung mit Hutten in jenem Zeitpunkte nicht erwünscht sein, vielleicht selbst nachtheilig werden konnte, so war ja eben hier ein Fall, wo eine höhere Pflicht die Abneigung zu überwinden und die Klugheitsrücksichten bei Seite zu setzen gebot. Wenn Hutten dem Erasmus zuruft, nicht anders als wie ein höheres Wesen habe er ihn stets verehrt, gegen jeden seiner Feinde sei er immer sogleich zu Felde gezogen, und jener halte ihn jetzt nicht einmal einer Unterredung werth, verschließe ihm aus Furcht vor den elendesten Menschen die Thür: so hatte Erasmus nichts vorzubringen, was der Wirkung solcher Vorwürfe begegnen konnte.
Als eine Art von Seitenstück, als eine von Hutten erlittene Kränkung, über die er auch viel Aufhebens hätte machen können, sucht Erasmus eine Indiscretion geltend zu machen, die sich Hutten vor Jahren gegen ihn hatte zu Schulden kommen lassen. Im Jahr 1519 hatte Erasmus den oben erwähnten Brief an den Erzbischof Albrecht von Mainz geschrieben, in welchem er Luther, ohne dessen Sache vertreten zu wollen, gegen die Verketzerung von Seiten der löwener Theologen in Schutz nahm. Diesen Brief hatte er in Umschlag an Hutten geschickt, mit dem Auftrage, denselben, je nachdem er es passend finde, zu übergeben oder zu vernichten. Statt dessen ließ Hutten den Brief eilends drucken. Natürlich machte er ein Aufsehen, das weder dem Erzbischof noch dem Erasmus lieb sein konnte. Ersterer, dem erst ein Vierteljahr später auf seine Nachfrage der handschriftliche Brief, zerrissen und von der Druckerei beschmutzt, zu Händen kam, beschwerte sich; Erasmus berichtete ihm zu seiner Entschuldigung, wie es zugegangen, und stellte, als er Hutten wiedersah, diesen zur Rede, der nun mit beschämtem Lächeln (erzählt Erasmus) die Thatsache zugestand, aber auf die Nachlässigkeit der Schreiber schob. Eine ächt Hutten'sche Indiscretion, wie gesagt, zu dem Zwecke, der Sache Luther's Vorschub zu thun, und wohl auch den Erasmus vorwärts zu schieben; diesem begreiflicherweise höchst unangenehm: aber mit der Kränkung, um deren willen jetzt Hutten mit ihm rechtete, nicht zu vergleichen.
Doch die persönliche Beleidigung, fährt Hutten fort, möchte er wohl mit Stillschweigen übergangen haben, wenn nicht immer mehr auch des Erasmus Abfall von der Sache des Evangeliums sich herausgestellt hätte, am deutlichsten in dem Brief an Laurinus. In diesem liege nun unläugbar vor, daß er entweder seinen Sinn schmählich geändert habe, oder daß er jetzt aus Menschenfurcht schmählich heuchle. Was mag die Triebfeder solchen Abfalls sein? fragt sich Hutten. Neid auf Luther's Ruhm? kleinmüthige Furcht vor der Gegenpartei? Bestechung? Oder hätte sich Erasmus wirklich eines andern überzeugt? – Für die tiefste Quelle des Uebels sieht Hutten jedenfalls den Kleinmuth an, der ihm von jeher an Erasmus mißfallen hat. Die Verschwörung so vieler Fürsten gegen die Sache des Evangeliums, meint Hutten, läßt ihn am Erfolge verzweifeln, und so findet er räthlich, sich von derselben loszusagen, und sich um die Gunst jener Fürsten auf jede Weise zu bewerben. Freundlich von ihnen aufgenommen und belobt, will er sie doch der Sicherheit wegen erst durch einen Dienst sich verpflichten; wozu ihm am passendsten scheint, was jene längst von ihm verlangten, gegen die Lutheraner zu schreiben. Daß er damit gleich von Anfang so hart auftritt (in dem Brief an Laurin) ist darauf berechnet, diese zu schrecken, damit sie sich um so eher ergeben sollen; denn gelänge es, sie hiezu zu bringen, so wäre ihm viel Ruhm und Gunst gewiß. Aber seine Rechnung, meint Hutten, könnte ihn täuschen. Daß die Mächtigen so eifrig um seinen Beistand werben, beweist, daß doch noch Gefahr bei der Sache ist: für Erasmus Gefahr nicht für sein Leben, doch für seinen Ruhm. Längst hat seine Wandelbarkeit Mißfallen erregt; doch, so lange sie sich auf Nebensachen bezog, hat man sie seinen übrigen Vorzügen zu Gute gehalten. Wenn man aber nun sehen wird, in welcher bedeutenden Angelegenheit er seinen Schwachheiten und Neigungen nachgibt, wie groß wird die Entrüstung sein!
Sofort geht Hutten auf die einzelnen Punkte ein, über welche er den Erasmus, wenn er ihn in Basel zu sprechen bekommen hätte, gerne mündlich zur Rede gestellt haben würde, nun schriftlich und öffentlich zur Rede stellt. Zum Theil sind sie mehr persönlicher Art: daß Erasmus in einigen seiner neuern Schriften Hutten's mißliebige Erwähnung gethan, dessen Freunde geschmäht, dessen Feinde gelobt habe. So in einem Schreiben an den Ketzermeister Hochstraten, in welchem Erasmus der bittern Briefe von Reuchlin, Nuenar, Busch und Hutten gegen denselben mit der diplomatischen Wendung gedacht hatte, er habe sehr bedauert, daß Hochstraten durch vorausgegangene gleichfalls höchst bittere Schriften jene zu solchem Unmaß gereizt und dadurch ehrenwerthen Männern Anlaß gegeben habe, zu denken, jene bittern Dinge seien ihm nicht unverdient gesagt worden. Hier ist nun Hutten außer sich, gleicherweise darüber, daß sein Zorn gegen Hochstraten, den Erasmus einst gebilligt, diesem jetzt zu viel ist, wie über die glimpfliche, beinahe schmeichelhafte Art, in der Erasmus mit einem Scheusal wie Hochstraten, das er selbst früher für ein solches erklärt hat, zu Werke geht. Sieht man den angeschuldigten Brief selbst an Abgedruckt in Hutten's Schriften I, S. 303-305., so findet man, daß Erasmus dem Hochstraten in der feinsten Art, und zum Theil mit süßen Worten, doch höchst bittere Wahrheiten sagt; ob er etwa, fragt er jetzt den Ritter, auf gut Huttenisch so an jenen hätte schreiben sollen: Unflätige Cloake, du erfrechst dich, große Männer mit deinen Sch…büchern zu beschmitzen? In vielen Fällen freilich weiß Erasmus seine nach allen Seiten hin verschwendeten Schmeicheleien nur durch Spitzfindigkeiten zu rechtfertigen, und auch wir können uns eines widrigen Eindrucks von denselben um so weniger erwehren, als wir meistens aus sonstigen Aeußerungen des Erasmus wissen, daß er über die so geschmeichelten Persönlichkeiten für sich ganz anders dachte. Er hatte den Grundsatz, daß man keineswegs gehalten sei, überall und immer die Wahrheit zu sagen, ja in manchen Fällen sei es Pflicht, sie zu verschweigen; Hutten weiß seinen Abscheu vor einem solchen Grundsatze (dem er als Humanist selbst bisweilen gehuldigt hatte) nicht stark genug auszudrücken: durch diese Starrheit aber hatte er sich aus allen Verhältnissen der Wirklichkeit herausgesetzt; während Erasmus, um gegen diese in seinem Wirken auf keiner Seite zu verstoßen, nicht selten Wahrheit und Würde aus den Augen verlor. So stehen sich in diesem Streite immer zwei ganze Menschen, zwei geschlossene Standpunkte entgegen, deren jeder seine einseitige Berechtigung hat, aber eben durch diese Einseitigkeit der Schuld und dem Schicksale verfällt.
Doch nicht nur Feinde Hutten's und der schönen Wissenschaften sollte Erasmus gelobt, auch Freunde desselben angeschwärzt haben, vor allem den damals kürzlich verstorbenen Reuchlin. Hier macht nun wirklich Hutten aus einer Fliege einen Elephanten. Daß Erasmus im Hebräischen Capito über den alten Meister gestellt, wird aus seinem Neid und Aerger darüber, daß man Reuchlin und ihn als die beiden Augen Deutschlands zusammenzustellen pflegte, hergeleitet; über die ohne Zweifel ganz wahrheitsgemäße Notiz aber, die Erasmus dem Erzbischof von Rochester in einem Briefe gab, daß Reuchlin bei der vorübergehenden Wiederkunft des vertriebenen Herzogs Ulrich im Sommer 1519 einigen stuttgarter Bürgern, denen er erst versprochen gehabt, mit ihnen nach Eßlingen auszuwandern, nachher nicht Wort gehalten habe, wird er wie über die schwärzeste Verläumdung weitläufig und drohend zur Rede gestellt.
Den Kern der Hutten'schen Anklage gegen Erasmus jedoch bildet die Stellung, welche dieser zu Luther und dessen Sache genommen hatte. O des unwürdigen Schauspiels! ruft hier Hutten aus. Erasmus hat sich dem Papst ergeben. Von ihm hat er den Auftrag, dem Ansehen des apostolischen Stuhles nichts geschehen zu lassen. Das ist wie Hercules im Dienste der Omphale. Welchen verworfenen, verächtlichen Menschen hat er sich damit in Dienst gegeben! Und er hat schon den Krieg eröffnet, schon eine Wunde versetzt. Welche Umwandlung! »Du«, redet ihn Hutten an, »der noch jüngst die begrabene Frömmigkeit wieder ausgrub, das Evangelium aus dem Winkel an das Licht zurückführte und die Religion wiederherstellte, du leihst jetzt zu deren Zerstörung, Vertreibung, Niederwerfung, Vernichtung deine Hand.« Ob er noch bei Sinnen sei? Um die Gründe solcher Handlungsweise befragt, gebe Erasmus selbst nicht Mißfallen an der Sache, sondern das Andringen eines Aleander und Glapion, eines Wilhelm von Montjoie und Herzogs Georg von Sachsen an; selbst der Kaiser, bringe er vor, habe ihn zur Widerlegung Luther's für den Geeignetsten gehalten. »Da sieht man«, ruft Hutten ihm zu (und diese Worte trafen eine der verderblichsten Schwächen des Erasmus), »da sieht man, wie es dir wohlthut, dich kitzelt, wenn große Herren dich grüßen, dich vertraulich anreden, dir ihren großartigen Dunst, ihre fürstlichen Possen vormachen, in ihrem Hofprunke mit freiwilligen Gnaden dir entgegenkommen. Wärest du nicht lüstern nach solchem Zeuge, so hätten dir jene vergeblich Fallen gestellt, und nie hätte man dich von uns abwendig gemacht, wenn du nicht eine große Ehre für dich darin fändest, daß die verlassene römische Curie auf die Nachricht von deinem Uebertritte wie von schwerem Drucke wieder aufathmet.«
Doch für seine Treue gegen den römischen Stuhl gebe Erasmus den Grund an, daß die römische Kirche die katholische Kirche sei. »Ich will auf der Stelle verloren sein an Leib und Seele«, ruft hier Hutten aus, »wenn du nicht sehr gut weißt, welch großer Unterschied zwischen der katholisch apostolischen und dieser römischen Kirche ist.« Wo wäre die göttliche apostolische Schrift, in welcher stünde, daß zu Rom eine Kirche sei, die der übrigen Haupt sein und einen Bischof haben solle, der die andern tyrannisiren, das Evangelium abändern dürfe; der bei aller Schlechtigkeit heilig genannt werden müsse; dem es zustehe, über die Reiche der Welt zu verfügen und den Himmel zu verkaufen? Erasmus sage, jeder Fromme sei dem Papste hold. Im Gegentheil, meint Hutten, kein Frommer könne demjenigen hold sein, dessen ganzes Wesen Gleisnerei ist, mit der keine wahre Frömmigkeit bestehen kann.
An Luther setze Erasmus sein hochfahrendes Wesen und seine maßlose Schmähsucht aus. Allein selbst wenn ihm diese persönlich zur Last fiele, entgegnet Hutten, so ginge das die Sache des Evangeliums nichts an. Auch an einzelnen Lehren desselben möge Erasmus immer mäkeln. Frage man ihn jedoch aufs Gewissen, was es doch sei, das den Papst an Luther so sehr verdrieße, daß er ihn durchaus todt haben wolle? so werde Erasmus selbst antworten müssen: das, daß er, nicht zuerst, doch am gewaltigsten der päpstlichen Tyrannei sich widersetzt habe; daß er den Menschensatzungen ihr Ansehen entzogen, den päpstlichen Trug der Welt offenbar gemacht, die Macht der Bullen vernichtet, dem Ablaß und ähnlichen Spiegelfechtereien Deutschland verschlossen habe. Diese Dinge habe er, Hutten, schon vor Luther bekämpft; Luther sei weder sein Lehrer gewesen, noch handeln sie jetzt im Einverständniß, sondern jeder treibe sein Geschäft für sich: aber weil es einmal Sitte geworden, daß jeder Feind der päpstlichen Zwingherrschaft und Freund des Evangeliums Lutheraner heiße, so lasse er sich lieber durch diese Benennung Unrecht thun, um nicht durch Ablehnung derselben den Schein zu erregen, als wollte er das Bekenntniß der Sache verläugnen. In diesem Sinne aber sei auch Erasmus ein Lutheraner, und um so mehr, da er beredter als irgend einer, ehe noch die Welt von Hutten oder Luther etwas gewußt, ganz auf dasselbe hingearbeitet habe. Davon wolle er zwar nichts mehr wissen; aber, wenn nicht der größere Theil seiner Schriften vernichtet werde, müsse jeder, der auf die Sache selbst, und nicht auf Worte achte, ihn zu dieser Partei rechnen, die er jetzt bekämpfe, die aber Hutten, auch gegen ihn, vertheidigen werde. Letzteres thue er ungern: »doch«, erklärt er, »weil du lieber bei jenen schmarotzen, als mit mir der Pflicht getreu bleiben willst, so muß ich's leiden, daß wir uns trennen. Magst du dort ein behagliches Leben führen, wo große Herren sind, die dir Geschenke machen, und wenn du gegen Luther schreiben willst, Bisthümer für dich in Bereitschaft halten und fette Pfründen dir abtreten: ich will hier in Gefahr stehen, wo ernste, rechtschaffene, wahre, lautere, beständige und freie Männer sind, die sich durch keine Geschenke bewegen, durch keine Ehren umstimmen, durch keine Gefahren schrecken lassen; denen Gerechtigkeit heilig, Treue unverletzlich, die Religion Herzens-, die Wahrheit Gewissenssache ist. Was gehen mich die vielen Rücksichten an, durch welche du dich der römischen Curie verbunden bekennst? Ich werde ebenso standhaft um des gemeinen Nutzens willen jene Zwingherrschaft bekämpfen, als du um eignen Vortheils willen sie beharrlich zu vertheidigen gedenkst. Und dabei werde ich leichtere Arbeit und ein freieres Gewissen haben, da ich offen und einfach die Wahrheit sagen darf: während du in der übeln Stellung bist, erdichten, erfinden, ersinnen, lügen und täuschen zu müssen.«
Noch einmal wird dem Erasmus am Schlusse zu Gemüthe geführt, wie sehr er sich in seiner Rechnung auf den Erfolg seines Kampfes gegen Luther und auf die Dankbarkeit der Partei, in deren Dienst er getreten, täuschen dürfte. Diese Leute werden ihn mehr wie einen, der sich ergeben habe, wie einen Gefangenen, als wie einen Bundesgenossen aufnehmen. Sie meinen, mit Erasmus der Sache des Evangeliums ihre mächtigste Stütze zu entziehen. Aber sie werden finden, daß die Wahrheit solcher Stützen nicht bedürfe. Ja, sie werden finden, daß auch nach seinem Uebertritt Erasmus fort und fort durch seine frühern Schriften für die Sache des Evangeliums und gegen die römische Tyrannei kämpfen werde. Das werden ihm die Romanisten nie verzeihen. Stets werden sie ihn als denjenigen hassen, der ihnen die erste Wunde geschlagen habe. So verliere er auf der einen Seite mehr Dank, als er auf der andern gewinne. Er bringe sich um seinen frühern wahren Ruhm, ohne neuen zu erwerben. Selbst wenn er mit seinen neuen Bundesgenossen siegen sollte, würde es ein trauriger Sieg für ihn sein. Er weiß es wohl, und sagt es auch selbst, daß mit der Unterdrückung der Lutherischen Partei auch vieles von demjenigen, wofür er gewirkt und gestrebt, unterdrückt werden würde. Und dennoch kämpft er gegen sie! Für Hutten ist er ein Gegenstand des Mitleidens. Auch die übrigen Lutheraner beklagen seinen Uebertritt mehr um seiner als um ihretwillen, denen er nichts schaden kann. Sie sehen dem Kampfe mit ihm getrost entgegen, um so mehr, da der frühere Erasmus selbst in ihren Reihen gegen den jetzigen streiten wird.
Wir haben Hutten als den Kläger ausreden lassen, um nun auch die Vertheidigung und Wiederklage des Erasmus im Zusammenhänge zu vernehmen. Hutten beschuldige ihn, sagt er, früher sei er der Lutherischen Partei zugethan gewesen, jetzt bekämpfe er die Sache des Evangeliums. Eines sei so falsch wie das andere. Im Gegentheil: von jeher sei er jener Partei abgeneigt gewesen, und nie habe er aufgehört, ein redlicher Förderer der Sache des Evangeliums zu sein. Parteimann sei er überhaupt nicht; dazu sei ihm seine Unabhängigkeit zu lieb. Daß er von der Lutherischen Partei nichts wissen wolle, habe er dem Ritter vor drei Jahren bei ihrer Unterredung in Löwen selbst gesagt. Der ganze Handel sei wider seinen Rath angefangen worden. Gleich Anfangs habe er erklärt, er vermisse an Luther evangelische Bescheidenheit und Milde, habe seine Hartnäckigkeit im Behaupten getadelt, an dem Geiste, der ihn treibe, Zweifel geäußert. Diese Ausstellungen seien durch die Schriften, die Luther seitdem ausgehen lassen, immer mehr bestätigt worden. Da er sich in diesem Sinne von vorne herein über Luther ausgesprochen, so wisse er sich hierin keiner Wandelbarkeit schuldig.
Ebensowenig in seinen Aeußerungen über den römischen Stuhl. Päpstliche Tyrannei und Raubsucht, worüber die Klagen schon so alt, habe er nie in Schutz genommen. Den Ablass so wenig in Bausch und Bogen verworfen, als den schmählichen Handel damit gutgeheißen. Die Erklärungen seiner Ergebenheit gegen Rom, aus denen ihm Hutten ein Verbrechen mache, seien, in seinem Sinne verstanden, durchaus unverfänglich. Ja, er habe gesagt, er werde von dem römischen Stuhle niemals weichen. Aber nur so lange dieser nicht von Christo weichen werde. Er habe gesagt, jeder Fromme sei dem Papste hold. Allein dem Papste hold sei, wer ihn gerne mit apostolischen Tugenden geziert sehe; man könne den Leo (der war todt) hassen, und doch den Papst lieben; wer es mit den Unthaten der Päpste halte, der meine es nicht gut mit dem Papste selbst. Das sind nun freilich bloße Worte. Denn eben die Erfahrung war damals reif geworden, daß das Verkehrte und Verderbliche im Wesen des Papstthums selber liege; daß also auch ein zufällig besseres Individuum, das in die Stellung eines Papstes komme (wie etwa der damalige Papst Adrian VI., auf den sich Erasmus auch berief), entweder durch dieselbe verderbt, oder doch so gebunden werde, daß seine persönlichen Vorzüge dem Institute selbst und der Welt nicht zu Gute kommen.
Unter den Dingen, welche dem Erasmus an der Reformation mißfielen, standen natürlich die Streitigkeiten und Unruhen, die sie mit sich führte, oben an. Hutten wies dagegen auf das Wort Christi hin, daß er nicht den Frieden, sondern das Schwert und Entzweiung bringe; erinnerte, daß die Schuld dieser Unruhen auf diejenigen falle, welche das Evangelium nicht leiden wollen; und meinte, auf die Frage, was besser sei, die Unruhen in den Kauf zu nehmen, oder, um sie zu vermeiden, die Unterdrückung des Evangeliums sich gefallen zu lassen, könne die Antwort nicht zweifelhaft sein. Aber Erasmus glaubte Mittel und Wege zu wissen, wie die Sache des Evangeliums ohne Tumult durchgeführt werden könne; er wartete nur, bis ihn Fürsten und Gelehrte um sein Gutachten angehen würden. Doch ganz hielt er mit seinen Rathschlägen auch jetzt schon nicht zurück. Auf beiden Seiten sah er Uebertreibung. Wozu es führen solle, wenn der eine Theil nur noch von Unruhen, Zank und Schmähungen, der andre nur von Bannbullen und Scheiterhaufen wissen wolle? Beide Theile sollen sich in einander schicken. In allen alten und Hauptartikeln des christlichen Glaubens und Lebens sei man ja einig. Der Streit betreffe größtentheils nur gewisse Paradoxen, die theils unverständlich, theils unwesentlich seien. Darum sollten die geistlichen und weltlichen Machthaber ihre Leidenschaften und ihren Privatvortheil dem Gemeinwohl und der Ehre Christi nachsetzen und auch aus geringem Munde Belehrung annehmen. Die Gelehrten aber sollten, ohne Zank und Schmähungen, über die Beilegung des Zwiespaltes und das Beste der Christenheit verhandeln und die Ergebnisse dieser Verhandlungen in geheimen Briefen dem Papst und dem Kaiser zur Kenntniß bringen! – Also das war das Erasmische Arcanum: erst die ganz begründete, nur leider in allen Zeiten der Bewegung vollkommen wirkungslose Predigt der Mäßigung nach beiden Seiten; dann ein Vorschlag, der so kindisch ist, daß man glauben müßte, Erasmus habe selbst im Stillen über denselben gelächelt, wüßte man nicht, wie die Furcht vor Revolutionen die klügsten Männer seiner Art über das Unzureichende der Mittel, die sie dagegen in Vorschlag bringen, zu verblenden pflegt.
Als seinen Lebensberuf erkennt Erasmus die Beförderung der bessern Wissenschaften, die Erneuerung einer einfachen, reineren Theologie: und dafür werde er zeitlebens wirken, ob es Luthern lieb oder leid sei, den er für einen Menschen halte, der irren und andre irreführen könne. Auch Hutten gebe ja nur ungern zu, daß man ihn Lutheraner nenne, und insofern mit Recht, als Luther selbst ihn nicht anerkenne. Ja, er müßte sich sehr täuschen, wenn diesem nicht ein Gegner wie Erasmus lieber wäre, als ein Anhänger wie Hutten. Damit ist wohl noch mehr gemeint, als was Erasmus an einer andern Stelle sagt, seine Zurückhaltung schade der Sache Luther's weniger als Hutten's unüberlegte Hitze. Wen doch dieser unter den Wir und Uns verstehe, von denen er so oft rede? Ob alle ohne Unterschied, die irgendwie Luthern anhängen und dem Papste übel wollen? Nach des Erasmus Urtheile sind hier verschiedene Klassen wohl zu unterscheiden. Erstlich gelehrte und wohlgesinnte Leute (er gehöre nicht zu ihnen, sagt Erasmus, aber erkenne sie als ehrenwerthe Leute an, unter denen er gute Freunde zähle), welche die meisten von Luther's Lehren billigen und der Macht der Römlinge Schranken gesetzt wünschen. Sie wollen, daß Papst und Bischöfe statt weltlicher Fürsten evangelische Lehrer, statt Tyrannen Väter seien; daß der Ablaß- und Bullenhandel beschränkt, die Menge der Ceremonien und Festtage gemindert, wahre Frömmigkeit dagegen belebt werde; daß die scholastischen Lehren der heil. Schrift weichen; allerhand Lasten, wie Speiseverbote, Ehehindernisse, erleichtert, die jetzt so verweltlichten Mönche zu wahrhaft geistlichem Leben zurückgeführt werden u. dgl. m. Von allen diesen billige aber kein einziger Hutten's Unternehmungen, so wenig als Luther selbst. Eine andere Klasse von Lutheranern bestehe aus Menschen ohne Bildung und Urtheil, von unreinem Wandel und unruhigem Sinne, die Luthern anhängen, ohne seine Lehren zu befolgen, ja nur recht zu kennen. Sie halten sich vorzugsweise an das Negative darin, gehen nicht in die Kirche, verletzen die Speiseverbote, schimpfen auf den Papst und schließen ihre evangelischen Bündnisse am liebsten beim Becher. Deren aufrührerischem Gebahren werden die Fürsten mit Gewalt entgegentreten müssen. Ihre Schuld werde es dann sein, daß auch den gerechten Beschwerden nicht abgeholfen werde. Mit dieser Art von Menschen wünsche er keine Gemeinschaft, und auch Hutten scheine nichts von ihnen wissen zu wollen. Nun gebe es aber noch eine dritte Klasse, denen es gar nicht um das Evangelium, sondern unter dessen Vorwande lediglich um Beute und Plünderung zu thun sei. Diese erkenne Luther nicht an, wie denn auch ihre Lehrsätze von den seinigen sehr verschieden seien, nämlich diese: wer einigen Adel vorwenden könne, der habe das Recht, einen Wanderer auf offener Straße anzufallen und entweder zu berauben, oder gefangen wegzuführen; das Recht, wenn er sein Geld bei Wein, Dirnen und Spiel durchgebracht, jedem Fehde anzukündigen, von dem er etwas gewinnen zu können glaube. Vielleicht gebe es einige, die, nachdem sie alles das Ihrige verschwendet haben, sich nun als Lutheraner stellen, um unter diesem Titel sich Gönner zu erwerben. Daß damit auf Hutten und Eppendorf gezielt und, außer frühern angeblichen Thaten des ersteren, der Angriff beider auf Erasmus gemeint ist, wäre klar, wenn auch nicht an einer andern Stelle Erasmus geradezu sagte, die Benennung eines Lutheraners möge für Hutten jetzt von Nutzen sein, da sie allein ihm Schutz und Nahrung verschaffe.
Auch folgende Stelle ist voll verborgener Spitzen gegen Hutten. Er sehe, sagt Erasmus, zwar viele Lutheraner, aber wenig Evangelische. Wenn Hutten Leute kenne, die, statt mit Wein, Dirnen und Würfelspiel, sich durch Lesen der heil. Schrift und fromme Gespräche ergetzen; welche niemand um das Geld, das sie ihm schuldig, betrügen, sondern freiwillig, was sie nicht schuldig, den Dürftigen spenden; welche, statt solche, die ihnen nichts zu Leide gethan, zu schmähen, vielmehr auf das Scheltwort selbst eine versöhnliche Antwort geben; welche niemanden Gewalt anthun oder androhen, sondern sogar erlittenes Unrecht mit Wohlthaten vergelten; welche so wenig Unruhen erregen, daß sie im Gegentheil, wo sie können, Eintracht und Frieden stiften; welche sich nicht selbst rühmen, nicht mit Verbrechen oder mit Thaten, die sie gar nicht gethan haben, prahlen, sondern das Lob auch ihrer guten Werke auf Christum übertragen: wenn Hutten dem Erasmus solche Evangelische zeige, so werde er sich ihnen mit Freuden anschließen. Aber sie seien, wenn es überhaupt dergleichen gebe, wenigstens äußerst rar.
Gegen das Ende seiner Beschwerdeschrift hatte sich Hutten der Wendung bedient, Erasmus gebe durch seine Wandelbarkeit und Unzuverlässigkeit der deutschen Jugend ein übles Beispiel, und Hutten werde daher alle ermahnen, des Erasmus Sitten zu fliehen, wie er immer gemahnt habe, seinen Studien nachzueifern. Gut, entgegnet dieser, so möge denn die deutsche Jugend sich Hutten's Sitten zum Muster nehmen. Wie er an einer andern Stelle der Zumuthung Hutten's an ihn, zu schreien und die Laster der Päpste dem Volke zu verkündigen, mit der Bemerkung begegnet war, er sei sich zu tief seiner eigenen Fehler bewußt, um den Richter über fremde zu machen; aber Hutten möge schreien, der Reine, dem keine Beschuldigung zurückgegeben werden könne. Hiegegen kann es fast noch harmlos erscheinen, wenn Erasmus einmal sagt, während seines Aufenthaltes in Brabant habe er von seiner Armuth in Einem Jahre mehr an Studirende gespendet, als gewisse Leute von ihren väterlichen Gütern beziehen; oder wenn er dem Hutten'schen Vorwurfe gegenüber, daß er sich durch Schmeichelei gegen Päpste und Fürsten zu schützen suche, bemerkt: Hutten freilich habe Burgen und Wälle, Truppen und Büchsen, Rauch, Feuer und Schwerter, Fehdebriefe und Kriege zu seinem Schutze; das alles gehe dem Erasmus ab. Zudem besitze Hutten jetzt nichts mehr, wofür er zu fürchten brauchte; vielleicht sei er darum so tapfer. Er, Erasmus, das gestehe er, fürchte für seine Werke, von denen auch Hutten bezeuge, daß sie in weiten Kreisen nicht wenig Nutzen stiften. Er spare sich auf, um ferner nützen zu können.
In Betreff der Zueignungen seiner Bücher, die ihm von Hutten als Geldjägerei vorgeworfen waren, erwiedert Erasmus, von Privaten habe er nicht einmal eine Danksagung dafür angenommen, und von den Fürsten haben ihm die wenigsten etwas dafür gegeben; gebettelt habe er bei keinem. Und doch wäre es, in Betracht der Bedürftigkeit des menschlichen Lebens, verzeihlicher, durch ehrlichen Fleiß auf die Freigebigkeit der Fürsten Jagd zu machen, als von den Freunden zu entlehnen, was man ihnen nicht wiederzugeben, zu kaufen, was man nicht zu bezahlen gedenke, oder durch Drohungen Geld von solchen zu erpressen, die nichts verschuldet haben. Er wisse nicht, sagt Erasmus an einer andern Stelle, ob der Verdacht derjenigen ganz grundlos sei, welche behaupten, Hutten sei vom Ritter zum sitzenden Arbeiter geworden und verfertige dergleichen Schriften, wie die gegen ihn, auf den Erwerb, und zwar einen doppelten, indem er sich erst von den Bestellern für die Schrift, dann von denen, gegen die sie gerichtet, dafür bezahlen lasse, daß sie nicht gedruckt werde. Bereits habe ihm auch, wie verlaute, (für seine Expostulatio) der Buchdrucker etwas bezahlt. Es ist merkwürdig, mit welchem Eifer Hutten's Vertheidiger gegen die Erasmische Spongia, Otto Brunfels, den letztern Punkt zu widerlegen sucht. Hutten habe den Drucker seiner Streitschrift gar nicht gekannt, und dieser könne beschwören, ihm nichts für dieselbe geschenkt zu haben. Doch, meint er, wenn dieß auch der Fall gewesen, so wäre daran immer nichts Unrechtes. Ob man sich denn für seine Arbeit nicht belohnen lassen dürfe? und ob nicht Erasmus selbst zumeist von solchem Erwerbe lebe? Bekannt sei doch, daß sein Verleger Froben ihn für mehr als 200 Fl. jährlich zu Basel unterhalte. Ebenso eifrig widersprach nun aber sofort Erasmus dieser Angabe, durch welche er seiner Ehre zu nahe gethan glaubte. Daß ein Schriftsteller von Geschenken und Pensionen der Großen lebe, die er sich durch Dedicationen erschmeichelt, fand man damals in der Ordnung: dagegen, vom Verleger sich bezahlen zu lassen, galt für nicht ganz ehrenhaft. Es ist eine Besserung der Verhältnisse, wie eine Berichtigung der Begriffe, daß sich dieses Urtheil seither umgekehrt hat.
Seine Spongia eignete Erasmus in einem vorangeschickten Schreiben dem Zwingli zu, mit welchem er, obwohl mit seinem reformatorischen Auftreten vielfach unzufrieden, doch immer noch in freundlichem Verkehre stand, und zu dem sich unterdessen Hutten von Mülhausen aus (wovon sogleich mehr) begeben hatte. Weil nach Zürich zuerst von Basel aus das Gift (das Hutten'sche Libell) gebracht worden, so habe es ihm passend geschienen, auch das Gegengift zuerst dorthin zu schicken. Dabei ließ er in einem Privatbriefe an Zwingli diesen seine Unzufriedenheit über die zwischen ihm und Hutten bestehende Verbindung merken und machte ihn nicht undeutlich für das Erscheinen der Hutten'schen Streitschrift verantwortlich.
Obwohl wir auf den Zeitpunkt, in welchem die Erasmische Gegenschrift erschien, erst weiter unten zu sprechen kommen, so sei doch hier ein Wort über den Eindruck gesagt, welchen die beiden Schriften auf die Zeitgenossen hervorbrachten. Es war im Ganzen ein peinlicher. Den Feinden der wiederauflebenden Wissenschaften, den Dunkelmännern, meinte Erasmus nicht mit Unrecht, werde Hutten's Angriff auf ihn die größte Freude machen. Im Lager der Humanisten wurde derselbe ziemlich allgemein mißbilligt. Sogar Hutten's alter Bundesbruder Eoban Hesse wollte ihm denselben nicht verzeihen. So tiefgewurzelt war noch immer das Ansehen des Erasmus. Unter den Evangelischen waren zwar manche, denen es Freude machte, dessen Zweideutigkeit endlich entlarvt zu sehen, denen Hutten's schroffer Freimuth besser als seines Gegners vermittelnde Diplomatie zusagte. Aber gerade in Luther's Umgebung mißbilligte man Hutten's Schrift. Nach allen Seiten hin schrieb Melanchthon, man möge doch nicht glauben, daß er oder Luther an derselben Gefallen fänden. Den Verleger Schott stellte er in einem überaus scharfen Schreiben wegen des Drucks zur Rede. Wenn auch das Benehmen des Erasmus der Reformation gegenüber manchem Tadel unterliege, meint Melanchthon, so hätte man doch, in Betracht seiner Verdienste und seines Alters, ein Auge zudrücken sollen. Auch aus Klugheitsrücksichten hätte man dieß thun sollen, da eine solche Herausforderung nur dazu dienen könne, theils den Erasmus noch mehr gegen die Evangelischen zu erbittern, theils diesen in weiten Kreisen Haß zuwege zu bringen.
Doch beinahe scheint es, daß auch solche, die mit der Hutten'schen Schrift Anfangs sehr unzufrieden gewesen waren, nach dem Erscheinen der Erasmischen Gegenschrift milder über jene zu denken anfingen. Die Heftigkeit des Angriffs erschien harmlos, wenn man sie mit den Tücken der Abwehr verglich. »Ich wollte«, schrieb Luther über beide Bücher, »daß Hutten keine Beschwerde geführt, noch viel weniger aber, daß Erasmus sie abgewischt hätte. Wenn das mit dem Schwamm abwischen heißt, was ist dann Schmähen und Lästern?« Der Brief vom 1. Oct. 1523 in Hutten's Schriften II, S. 379. Sicher hatte damit Luther den Besten der Zeitgenossen aus der Seele gesprochen.
Bald rührten sich – da Hutten inzwischen vom Schauplatze abgetreten war – auch Federn zu seiner Vertheidigung. Der feurige Hermann von dem Busche ging mit einer Schrift gegen den Schwamm des Erasmus um, die aber, wie dieser meinte auf Melanchthon's Abmahnung hin, nicht zur Ausführung kam. Ohne Zweifel wäre sie besser gerathen als die des Otto Brunfels, den zur Vertheidigung seines Beschützers Dankbarkeit und evangelischer Eifer trieb, auch persönliche Bekanntschaft befähigte, während er an Geist beiden Männern, in deren Streit er sich mischte, allzu unebenbürtig war. Seine Schrift Othonis Brunfelsii pro Ulricho Hutteno defuncto ad Erasmi Roter. Spongiam Responsio. In Hutten's Schriften II, S. 325-351. ist in einer Art von Gesprächsform abgefaßt, indem jedesmal erst eine herausgerissene Stelle aus der Spongia unter dem Namen des Erasmus angeführt, dann unter dem Namen Otto beantwortet wird. Es ist eine wohlgemeinte, gewissenhafte Arbeit, der wir insbesondre auch manche schätzbare biographische Notiz über Hutten verdanken; die aber zwischen den zwei Schriften, auf die sie Bezug nimmt, nicht blos durch ihr schlechtes Latein eine klägliche Figur macht. Sondern, während Hutten und Erasmus auf dem freien Felde des Humanismus kämpfen, in dem weiten Gesichtskreise des Vernünftigen, Rechten und Schicklichen sich orientiren, zeigt sich Brunfels bereits in den Horizont einer blos religiösen, ja confessionellen Denkart gebannt. Es fehlte nur noch, daß, wie sofort von Erasmus Alber geschah, die Erasmische Streitschrift ausdrücklich nach ihrem Verhältniß zu der Lehre Luther's geprüft, mithin an einem Maßstabe gemessen wurde, welcher der denkbar unpassendste zu ihrer Beurtheilung war. Judicium Erasmi Alberi de Spongia Erasmi Rot. adeoque quatenus illi conveniat cum M. Lutheri doctrina. Ebendaselbst S. 373-378.
So verengte sich der Geist der Zeit: aber dieses sich Verengen war zugleich ein sich Zusammennehmen, und zusammennehmen mußte er sich, um seine Aufgabe zu lösen. Der Humanismus war weitherzig, aber auch mattherzig, wie wir an keinem andern deutlicher sehen als an Erasmus: er hätte die Umbildung der Zeit nicht durchgesetzt. Luther war engherziger, beschränkter als Erasmus: aber dieser sich zusammenhaltenden, nicht rechts noch links sehenden Kraft bedurfte es, um durchzubrechen. Der Humanismus ist der breite, spiegelnde Rhein bei Bingen: er muß erst enger und wilder werden, wenn er sich durch das Gebirg die Straße zum Meere bahnen will. Dadurch eben war Hutten so einzig, daß er mit der humanistischen Geistesweite den reformatorischen Willensdrang vereinigte.