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1520.
Den ritterlichen Gestalten jener Zeit, einem Franz von Sickingen, Götz von Berlichingen und ihresgleichen, ist für uns, die wir in einem ganz andern Weltzustande leben, nicht leicht, in unserm Urtheile gerecht zu werden. Entweder wir nehmen sie zu hoch, oder zu niedrig. Ersteres begegnet uns insgemein, so lange wir nur Allgemeines und Unbestimmtes, letzteres, wenn wir einmal das Einzelne von ihnen wissen. Denn der Wahn verschwindet in diesem Falle gründlich, als hätten jene Ritter ihr Schwert in der Regel zum Besten der Unterdrückten, aus uneigennütziger Liebe zu Recht und Freiheit gezogen. Sie erscheinen nicht allein roh, sondern auch mit Berechnung eigennützig. An ihren Fehden empört uns nicht blos die Unbarmherzigkeit, mit der einer des andern arme Leute plündert, ihre Dörfer anzündet, ihre Felder verwüstet; sondern fast mehr noch die Beobachtung, daß das alles wie ein Gewerbe betrieben wird, bei dem der Gewinn an Beute oder Lösegeld der Zweck, das Recht aber, die angebliche Beleidigung durch einen andern Edelmann, eine Stadt u. s. f., meistens nur ein Vorwand ist, um die Bauern des einen brandschatzen, die Kaufleute der andern niederwerfen und berauben zu können. Dieß wird aus Götzens naiven Selbstbekenntnissen zum Greifen deutlich Außer dieser Götzischen Selbstbiographie gibt es kaum etwas Lehrreicheres über diesen Punkt als die kleine Schrift: »Dem Landfrieden ist nicht zu trauen.« Fehde Mangold's von Eberstein zum Brandenstein gegen die Reichsstadt Nürnberg, 1516-1522. Herausgegeben nach urkundlichen Aufzeichnungen und Briefen im k. Archiv zu Nürnberg von L. F. Freiherrn von Eberstein. Nordhausen 1868. – Die Fehde war nach Anlaß und Führung exemplarisch, Mangold überdieß Hutten's mütterlicher Oheim und mit den Steckelbergern, wie es scheint, in sehr genauem Verhältniß., und auch Franz von Sickingen, den man nicht mit Unrecht einen Götz in höherm Stile genannt hat, war doch aus demselben Holze geschnitzt.
Das Geschlecht der Sickingen war alt, doch schrieb sich seine Bedeutung erst von Franzens Vater her. Dieser, Schweickard von Sickingen, dehnte durch allerlei Fehden, die er theils im Dienste, theils unter dem Schutze der Pfalz, deren Marschalk er war, besonders auch gegen Städte führte, seine Besitzungen aus. Wie auch er zu solchen Fehden kam, davon nur ein Beispiel. Einst ging er in Köln herum und trug, wie er pflegte, seinen Dolch im Gurt. Da dieß wider die Stadtordnung lief, so mußte er denselben auf der Straße von sich thun und abliefern. Das erschien ihm als eine solche Schmach, daß er von Stund an der Stadt Feind wurde, ihr viel Schaden that und sogar Anschläge machte, sie zu erobern. Der hochstrebende Mann war ein Mathematicus und beobachtete die Sterne. In seines Sohnes Franz Geburtsstunde soll er am Himmel eine wunderbarliche Constellation bemerkt haben, aus der er abnahm, daß derselbe ein treffliches Ansehen in der Welt gewinnen, sein Ende aber beschwerlich sein werde. S. die Flersheimer Chronik (von Franzens Schwager Philipp von Flersheim, Domsänger und später Bischof von Speier), abgedruckt bei Münch, Franz von Sickingen, III, S. 223 ff. Auch Schweickard's Ende war tragisch. In dem bairischen Erbfolgekriege von 1503 und 1504 verfocht er die Ansprüche seines Herrn von der Pfalz gegen den Spruch des Kaisers Maximilian, und mußte diesen Ungehorsam, so wie manche andere Gewaltthat, worüber sich bei der Gelegenheit Klage erhob, auf dem Blutgerüste büßen.
Auf der Ebernburg bei Kreuznach (neben Landstuhl bei Kaiserslautern dem wichtigsten Schlosse des Sickingers) war Franz im Jahre 1481 geboren. Seine Erziehung, ob er gleich dem gelehrten Johann Reuchlin Einfluß auf dieselbe zuschreibt, war doch nur eine ritterliche. Des Vaters Unglück und früher Tod hinterließ ihm die Aufgabe, den Glanz des Geschlechts wieder herzustellen. In allerlei Diensten und Kämpfen arbeitete er sich empor. Seine Fehde mit Worms war diejenige, welche zuerst die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte; die gegen den Herzog von Lothringen diejenige, welche seinen Ruf auf den Gipfel brachte. Bei diesen und andern Händeln und Zügen war Anlaß und Kriegführung im Wesentlichen von gleicher Art. Verbannte Bürger einer Stadt, beeinträchtigte Unterthanen oder Nachbarn eines Fürsten, riefen gegen wirkliches, oder öfter blos vermeintliches Unrecht, gegen Verzögerung eines Rechtshandels durch die Gerichte, den Ritter zu Hülfe, traten etwa auch Güter oder Schuldforderungen an ihn ab; nun verlangte er ihre Wiederaufnahme und Entschädigung, die Herausgabe ihrer Güter oder Auszahlung ihres Guthabens an ihn; wurde dieß verweigert, zog er vor die Stadt, oder fiel in das Land, verwüstete dieses, beschädigte jene, plünderte und fing die unterwegs betroffenen Kaufleute, denen schwere Ranzionen aufgelegt wurden; um die Abmahnungen des Kammergerichts, in der wormser Fehde selbst die kaiserliche Acht, kümmerte er sich nicht, und ließ sich endlich seinen Abzug von den Angegriffenen meistens mit großen Summen (von Metz mit 20 000 Fl., von Hessen mit 50 000 Fl. u. s. f.) abkaufen. Dem Kaiser machte seine schwankende Stellung unmöglich, in solchen Fällen sich immer als strengen Richter zu behaupten. Die mehrjährige Fehde gegen Worms, die heillose Beschädigung einer Reichsstadt, wurde dem Ritter zuletzt verziehen, weil Kaiser Maximilian seine Dienste gegen Ulrich von Würtemberg nicht missen wollte. Statt die Acht wider ihn aufrecht zu erhalten, nahm er ihn in seinen Sold, und als bald darauf Maximilian starb, stand Sickingen als eine Macht im Reiche da, um welche sich die beiden Thronbewerber, Franz von Frankreich und Karl von Spanien und Oesterreich, wetteifernd bemühten. Sickingen löste eine frühere Verbindung mit dem ersteren, bei der er seine Rechnung nicht gefunden hatte, auf und widmete sich dem Dienste Karl's, wirkte zu seiner Wahl nach Kräften mit, und verpflichtete ihn überdieß durch ein baares Darlehn von 20 000 Fl. Karl ernannte ihn zu seinem Feldhauptmann, Rath und Kämmerer mit einem Jahrgehalt von 3000 Fl., und gestattete ihm eine Leibwache von 20 Kürassieren.
So weit ist Sickingen's Treiben einfach das eines Ritters, der mit und wider seinesgleichen, neben und auf Kosten der städtischen und Fürstenmacht, wenn auch nach Umständen an die letztere gelehnt, sich emporzubringen sucht, dazu, ohne viel Bedenklichkeit über den Rechtspunkt, jeden tauglichen Vorwand ergreift, und seiner Ritterehre genügt zu haben glaubt, wenn er seinem Angriff jedesmal einen ordentlichen Fehdebrief vorausgehen ließ. In dem lockern Verbande des damaligen deutschen Reichs fühlte sich der Ritter als selbstständige Macht, die im Zusammentreffen mit andern ähnlichen Mächten ebenso nur durch Rücksichten des Vortheils, und ebenso wenig durch Grundsätze des Rechts und der Moral sich leiten ließ, als von jeher in der politischen Welt die Staaten im Verhältniß zu einander: so oft auch hier wie dort jene hochtönenden Worte im Munde geführt werden.
Doch Ein Fall wenigstens ist uns vorgekommen, wo Sickingen, so viel wir einsehen können, sich uneigennützig und edel eines Bedrängten annahm: der Handel Reuchlin's; und ein anderer wird uns sogleich begegnen, wo er sich für eine Sache, die ihm freilich auch politisch dienlich werden konnte, doch zugleich um ihrer selbst willen begeisterte: die Reformation. Beides in Folge des Einflusses von Hutten, der, wie ein geschickter Gärtner, auf den rauhen, aber tüchtigen Stamm die edelsten Reiser zu pfropfen wußte. Ohne gelehrte Bildung, war Sickingen doch nicht ohne Sinn für dieselbe und für das Ideale überhaupt; so kam ihm die Bekanntschaft Hutten's, die er im würtembergischen Feldzuge machte oder enger knüpfte, ganz gelegen, und wurde bald zu einer Freundschaft, welche, ob ihr schon das Schicksal nur wenige Jahre gegönnt hat, doch unter den Beispielen dieser Art, an denen die deutsche Geschichte so reich ist, eine der obersten Stellen einnimmt. Sickingen war um sieben Jahre älter als Hutten, und diesem eben so weit an Reichthum, Macht und Einfluß überlegen, als Hutten ihm an Geist und Bildung; dabei stand jenem reiche Lebenserfahrung, Uebung in Geschäften des Kriegs und Friedens, zur Seite; so ergänzten sich beide wie Idee und Praxis, wie Kopf und Arm.
Sickingen war bis dahin in den herkömmlichen religiösen Vorstellungen mitgegangen. Zu seinem und der Seinigen Seelenheil hatte er in Gemeinschaft mit seiner Ehefrau, Hedwig von Flersheim, unweit der Ebernburg eine Beguttenclause erneuert und begabt; ja er ging, womit Hutten ihn später aufzog, als dieser ihn kennen lernte, mit dem Plane um, »den holzfüßigen Franciscanern ein neues Nest zu bauen«. Hutten wußte ihn erst für Reuchlin, dann für Luther, zu interessiren; er führte ihn den gleichen Weg, den er selbst in seiner Entwicklung gegangen war. Auf sein Betreiben bot Sickingen beiden Männern eine Freistatt auf seinen Schlössern an. Sie machten von seinem Anerbieten keinen Gebrauch, da der erstere nicht wirklich verfolgt, für den andern aber die neutrale Haltung seines weisen Kurfürsten der sicherste Schutz war. Nun aber bedurfte Hutten dieser Freistatt, den sein geistlicher Kurfürst, wollte er nicht förmlich mit Rom brechen, nicht weiter schützen konnte, der auch mit bloßem Schutze nicht wie Luther zufrieden war, sondern von den Schlössern seines Freundes aus, wie wir sehen werden, neben dem geistigen Kampfe zugleich einen wirklichen Feldzug gegen die Sendlinge und Anhänger Roms vorzubereiten suchte.
Die Ebernburg, in dem Winkel, den (an der Nordspitze der jetzigen bairischen Pfalz) die Einmündung der Alsenz in die Nahe bildet, auf einem steilen Felsen gelegen, und von Franz von Sickingen als sein Hauptsitz mit stattlichen Wohnräumen und festen Werken versehen, war in den Jahren 1520-1522 einer der merkwürdigsten Schauplätze der deutschen Geschichte. Herbergen der Gerechtigkeit nennt Hutten die Burgen seines Freundes. Außer ihm öffneten sie sich auch andern, die um ihrer Begeisterung für die Kirchenverbesserung willen Verfolgung litten. Kaspar Aquila war einst Franzens Feldprediger gewesen, dann Pfarrer in der Gegend von Augsburg geworden, bis seine Anhänglichkeit an die Reformation ihn in den bischöflichen Kerker zu Dillingen brachte. Es gelang ihm, zu entfliehen: und die Schlösser seines ehemaligen Herrn gewährten ihm mit Weib und Kindern Schutz und Brod. Martin Bucer, der nachmalige straßburger Reformator, war aus dem Dominicanerorden getreten: bei Sickingen fand er eine Zufluchtsstätte. Der weinsberger Johann Oekolampadius, später als der schweizerische Melanchthon hochberühmt und hochverdient, war aus dem Brigittenkloster Altenmünster entflohen: ihm öffnete sich die Ebernburg. Reuchlin's Landsmann, Johann Schwebel, hatte den heil. Geistorden verlassen, und war in seiner Heimath nicht mehr sicher: Sickingen stellte ihn als Geistlichen an und richtete ihm bald hernach auf Landstuhl die Hochzeit aus.
Vom September 1520 an erscheint Hutten auf der Ebernburg, und sein erstes Geschäft war hier, die Anschläge Roms gegen ihn öffentlich zu enthüllen, um Kaiser, Fürsten und alle freien deutschen Männer gegen eine Macht aufzubringen, die solche Absichten hege, solcher Mittel sich bediene. Eben schickte Franz von Sickingen sich an, zur Begrüßung des aus Spanien angekommenen Königs Karl abzureisen, von dem er auch sofort bei seiner Kaiserkrönung zu Aachen (23. October) mit einer Auszeichnung behandelt wurde, die ihm eine einflußreiche Stellung zu versprechen schien. Ihm gab jetzt Hutten ein Klagschreiben an den Kaiser Carolo, Romanorum et Hispaniarum regi, U. de Hutten, eq. Germ. Schriften I, S. 371-383. mit, in welchem er die Anschläge, die an dessen Hofe gegen sein Leben gesponnen worden, den aus der römischen Curie an verschiedene deutsche Fürsten ergangenen Befehl, ihn gefesselt nach Rom zu schicken, zu seiner Kenntniß bringt und ihn bittet, dem an ihn selbst gestellten Ansinnen, diese Auslieferung zu gestatten, keine Folge geben zu wollen. Ein deutscher Ritter habe mit dem römischen Bischof nichts zu schaffen; er dürfe nur in Deutschland, nur vom Kaiser, gerichtet werden. Ueberhaupt sucht Hutten in diesem Schreiben seine Sache zugleich als Sache des Kaisers, den Haß der Römlinge gegen ihn als Folge seiner kaiserlichen Gesinnung, jedes Leid, das Karl jetzt ihm geschehen ließe, als Beeinträchtigung seiner eigenen Kaisermacht darzustellen. Zuerst habe er es mit jenen Menschen durch seine Türkenrede verdorben, wo er ihren Umtrieben gegen Karl's Erwählung zum römischen König entgegengetreten sei. Auch weiterhin habe nichts sie so gegen ihn aufgebracht, als daß er ihren maßlosen Eingriffen in die Rechte des Kaisers, der täglichen Plünderung des Vaterlandes, habe ein Ende machen wollen, daß er der deutschen Nation ein Mahner an ihre Würde gewesen sei.
Offen gesteht Hutten, daß er es mit seinen Schriften auf eine Umkehr der bestehenden Ordnung abgesehen habe. Und zum Beweise, wie wenig er sich dabei einer Schuld bewußt sei, versichert er, zu diesem Zwecke auch ferner nach Kräften wirken zu wollen. Seien es doch nur die Gegner der Wahrheit, der gemeinen Freiheit und der kaiserlichen Würde, die er bekämpfe. »Keine Privatsache ist es, die ich betreibe, kein eigener Handel, kein persönliches Geschäft. Wie würden jene sich anstellen, wie übermüthig würden sie triumphiren, wenn irgend etwas von alle dem, was ich unternommen, mich selbst beträfe! Dennoch verfolgen sie mich und wollen mich verderben, ja sie möchten dazu deiner Macht sich als Werkzeugs bedienen. Ich dagegen stelle mich zuvörderst unter den Schirm meines Gewissens, dann setze ich Vertrauen auf deine Billigkeit. Durch freimüthig geschriebene Bücher habe ich der Wahrheit Zeugniß gegeben; aus Pflichtgefühl habe ich dir, aus Anhänglichkeit dem Vaterlande dienen wollen. Mit festen Gründen habe ich gegen den päpstlichen Trug gestritten, habe die Anschläge gegen deine Herrschaft und die gemeine Freiheit zu vereiteln gesucht. Wo ist der Lohn für solches Verdienst? frage ich, damit Niemand meine, ich fürchte Strafe wie für ein Verbrechen.« Sofort wird das ganze Sündenregister der päpstlichen Anmaßungen und Erpressungen vorgelegt und Karl besonders auf deren gefährliches Weitergreifen, wenn denselben nicht kräftig entgegengetreten werde, aufmerksam gemacht. Wenn Hutten nicht mehr frei ermahnen dürfe, werde der Kaiser bald nicht mehr frei beschließen dürfen. Er, Hutten, wäre berechtigt gewesen, gegen den ihm drohenden Angriff sich mit den Waffen zu wehren, wozu es ihm an Kräften und Beistand nicht gefehlt haben würde; doch habe er vorgezogen, alles in Karl's Hände zu legen, von dem er jetzt nicht blos erwarte, daß er ihm verzeihen, sondern auch, daß er seine Verfolger für ihre strafbaren Anschläge zur Verantwortung ziehen werde.
Kaum minder wichtig als die Gesinnung des neuen Kaisers war für Hutten die des hochangesehenen und einflußreichen Kurfürsten von Sachsen, dessen Haltung in der Sache Luther's, so wenig sie auch dem Feuereifer Hutten's genügte, ihm doch mehr Hoffnung gab, als ihm in Bezug auf Karl dessen Auftreten und Umgebungen übrig ließen. In verschiedenen Briefen ging er daher um jene Zeit Spalatin mit der Bitte an, seinen Herrn auszuforschen, wessen man sich wohl für den Fall, daß es in dem Kampfe gegen die Römlinge zur Anwendung der Waffen käme, von ihm zu versehen hätte. Jetzt legte er sein nächstes Anliegen dem Kurfürsten selbst in einem freimüthigen Schreiben dar. Invictissimo Principi Fridericho Sax. Duci, Elect. Ulrichus de Hutten eq. G. Ebernburg, 11. Sept. 1520. Schriften I, S. 383-399.
Die Fahndung auf ihn und die Bannbulle gegen Luther (mit der eben damals Eck aus Italien zurückkam) seien Zeichen, daß in Güte mit Rom nichts auszurichten sei, sondern seiner Tyrannei Gewalt entgegengesetzt werden müsse. Luther's und Hutten's ganzes Verbrechen bestehe darin, daß sie die von den Romanisten um ihres Eigennutzes willen beinahe vertilgte evangelische Lehre wiederherstellen und die der Freiheit so würdige deutsche Nation nicht knechten lassen wollen. Dieses Unternehmen habe jenem römischen Oberhirten mißfallen, aber Christo habe es gefallen; der Habsucht der römischen Curie habe es Eintrag gethan, aber dem verarmten Vaterlande fange die neue Freiheit schon zu nützen an. Wenn Luther und er Christo, der Wahrheit und dem Vaterlande dienen wollten, so haben sie unmöglich mit der Bande der Römlinge Frieden halten können. Es sei Zeit, Ernst zu brauchen, da der Frevel aufs Höchste gestiegen, aber auch, wenn nicht alle Zeichen trügen, die große Babel ihrem Falle nahe sei. Diesen herbeizuführen und das Verdorbene zu bessern, sei freilich Gottes Sache; aber darum dürfen wir nicht müßig sein, da Gott durch Menschen zu wirken pflege. Und zwar sei es zunächst der Fürsten Beruf, sich der gemeinen Freiheit und Wohlfahrt anzunehmen; insbesondere Friedrich's, als des Fürsten jener stets freien, nie besiegten Sachsen. Von dem Papste haben diese sich freilich, wie die gesammte Christenheit, unterjochen lassen; doch können sie diesen Flecken glänzend abwaschen, wenn sie nun der Nation in Abwerfung jenes Joches vorangehen. Davon sei bis jetzt nichts zu bemerken, als daß Friedrich dem von allen verlassenen Luther Aufenthalt gebe, und noch einen Funken der alten Mannhaftigkeit in sich zu nähren scheine, der einst zum heilsamsten Brande ausbrechen möge. Was sie doch denken, die Fürsten, wenn sie sehen, wie Hutten, ein bloßer Ritter, in dieser Sache so viel Eifer zeige, während es doch weit eher ihnen geziemen würde, sich darein zu legen. Beide Stände müssen zusammenwirken, die Fürsten ihre Macht mit dem Muthe der Ritter vereinigen, wenn diesen Schäden geholfen werden solle. Er selbst, Hutten, werde zu mahnen nicht ablassen, bis er entweder sehen werde, daß die Fürsten sich ermannen, oder, daß sie keiner Mannhaftigkeit mehr fähig seien. Im letztern Falle werde er andere Mittel ergreifen; doch bitte er die Fürsten, es nicht so weit kommen zu lassen, sondern die Schmach und den Schaden zu beherzigen, die mit dem jetzigen Stande der Dinge verknüpft seien.
Welche Schmach, daß eine tapfere Nation, die Königin der andern, jemanden, geschweige denn faulen Pfaffen, dienstbar sein solle! Lieber den Türken, die doch ein mannhaftes Volk, und deren Joch auch wirklich weniger drückend sei. Der Schaden aber liege in der Verarmung Deutschlands vor Augen. Und wenn nur das Geld, das wir uns entziehen und nach Rom senden, dort zu guten Zwecken verwendet würde. Aber es diene den schlimmsten. »Wohlan«, ruft Hutten aus, »wenn wir Philosophen sein und unser Geld wegwerfen wollen, so haben wir in der Nähe Meere und Flüsse genug: bei uns den Main, weiter den Rhein, dort bei den Sachsen die Elbe und andere Wasser; da lasset uns das Geld hineinwerfen, damit es lieber selbst verderbe, als daß es Vielen aller Orten Ursache des Verderbens sei, indem wir dadurch jene römische Sittenpest ernähren, und zwar so überflüssig, daß sich von dort die Ansteckung auch hieher und in alle Welt ergießt. Doch nein, nicht wegwerfen lasset es uns, sondern nur nicht dulden, daß es anderswohin geführt und verwendet werde. Das wird das erste und beste Mittel sein, jene Tyrannei zu zerstören. Denn wenn man ihrer Ueppigkeit diese Nahrung entzieht, so werden sie sich desto weniger erheben und zahmer werden. Alsdann wollen wir unter einem Haupte, wie der alte Kaiser Otto war, den päpstlichen Rath mustern und die Stadt Rom besichtigen, daraus viele Böse vertreiben, und etliche Wenige zum heiligen Amte verordnen, sie aber nicht über uns herrschen lassen. Dem Kaiser, wenn er will, werden wir den Sitz des Reichs (Rom) zurückgeben, den römischen Bischof den übrigen Bischöfen gleichstellen. Den Geistlichen wollen wir auch hier ihre Einkünfte mindern, sie zur Mäßigkeit zurückführen und ihre Zahl verringern, indem wir von hundert nur Einen behalten. Was aber werden wir mit denen machen, welche Brüder oder Mönche genannt werden? Was anders, als daß, meiner Meinung nach, die ganze Art abgethan werden soll, zum großen Nutzen gemeiner Christenheit, wie sich bald finden würde.« Nachdem Hutten sofort über die Anwendung des so ersparten Geldes die gleichen Ideen, wie schon im Vadiscus, vorgetragen und die Hoffnung ausgesprochen hat, daß eine solche Reinigung unseres Kirchenwesens die Böhmen zu uns zurückführen, die Griechen und Russen mit uns vereinigen, und selbst den Türken und Heiden bessere Gesinnungen gegen uns beibringen würde, fragt er: »Heißt dieß das schwankende Schifflein Petri versenken? die Kirche Gottes zerstören, und (wie die kirchenräuberischen Römlinge und unreinen Schwelger schreien) den ungenähten Rock Christi zerreißen? und nicht vielmehr durch den Zutritt so vieler Völker, durch Besserung der Sitten, Wegräumung böser und ansteckender Beispiele, die Kirche reinigen, fördern und mehren?«
»Wollte Gott, daß entweder ihr dazu den Willen hättet, die ihr die Macht besitzet, oder ich die Macht besäße, wie ich den Willen habe. Kann ich aber euch nicht bewegen, noch auch anderswo einen Brand erregen, der jene Dinge verzehren mag, so werde ich doch, was ich für mich allein kann, leisten: ich werde nichts thun, was eines tapfern Ritters unwürdig wäre; werde nie, so lange ich bei gesunden Sinnen bin, auch nur einen Schritt von meinem Vorhaben weichen; euch aber, die ich von männlicher Festigkeit abfallen sehe (wenn ich das sehen sollte), werde ich bedauern. Ich selbst werde frei bleiben, weil ich den Tod nicht fürchte. Auch wird man nie von Hutten hören, daß er einem fremden König, wie groß und mächtig der auch sei, geschweige denn dem unthätigen Papste dienstbar geworden … Doch nun verlasse ich die Städte, weil ich die Wahrheit nicht verlassen kann, und halte mich aufs Freieste verborgen, weil ich nicht mehr frei unter den Menschen wandeln darf, mit großer Verachtung der Gefahr, die mich umringt. Denn sterben kann ich, aber Knecht sein kann ich nicht. Auch Deutschland geknechtet sehen kann ich nicht. Aber der Tag wird kommen, denke ich, an dem ich aus diesen Schlupfwinkeln hervorbrechen, der Deutschen Treu und Glauben anrufen und vielleicht eben da, wo die größte Versammlung ist, ausrufen werde: Ist Keiner da, der um gemeiner Freiheit willen mit Hutten zu sterben wagt? – Das habe ich an dich, mehr der Bewegung meines Gemüths, als deiner Würde gemäß, freimüthig geschrieben. Allein ich hoffe von dir das Beste. Daher glaubte ich, an einen Freien frei schreiben zu sollen. Gehab dich wohl und ermanne dich.«
Daß durch Hutten's jugendlichen Feuereifer, so rein er auch gerade in diesen Klagschreiben flammt, der alte Kurfürst Friedrich aus der Bahn weiser Mäßigung, die er sich vorgezeichnet hatte, sich werde herauswerfen lassen, war freilich eben so wenig zu erwarten, als daß bei dem feinsinnigen, aber schlaffen und vielfach abhängigen Kurfürst-Erzbischof Albrecht von Mainz Hutten's Zusprache etwas ausrichten werde. Uebrigens schrieb er an diesen (unter dem 13. September) mit aller der Rücksicht, die er seinem unverkennbaren Wohlwollen schuldig war. Alberto Cardinali et Archiepiscopo Ulrichus de Hutten. Schriften I, S. 400-403. Erst spricht er seine Empfindlichkeit darüber aus, daß der Erzbischof ihn von dem päpstlichen Ansinnen nicht selbst in Kenntniß gesetzt habe: wohl in Folge seiner Ergebenheit gegen den Papst, von der Hutten nur wünscht, daß sie gute Folgen für den Erzbischof haben möge. Allein er fürchtet, der Papst werde durch einen so unerhörten Schritt über die ganze Klerisei ein schlimmes Gewitter herbeigezogen haben. Dem zuvorzukommen, wäre jetzt Sache der Bischöfe. Gar zu gerne möchte Hutten eben jetzt den Erzbischof sprechen, und verwünscht denjenigen, der ihn von dem Umgang eines für wahre Frömmigkeit und für alle Guten so wohlgesinnten Herrn geschieden hat. Kaum ist ihm etwas in seinem jetzigen Mißgeschick empfindlicher. Doch er will alles ertragen und sich nichts merken lassen. »Man schließt mich aus«, ruft er, »von den Höfen, von den Städten (zu meinem Schmerz auch von dem goldenen Mainz), von der Oeffentlichkeit und der menschlichen Gesellschaft; einen Mann, der keines Frevels beschuldigt, keines Verbrechens, keiner Unthat überwiesen ist, einen Verfechter der Wahrheit, einen Mahner zum Besten; und man schließt mich aus, ohne mich gehört zu haben, ja man will mich zur Bestrafung nach Rom ziehen. Wer hat noch einen Tropfen deutschen Blutes in sich, den solche Frechheit nicht bewegte, solcher Frevel nicht empörte?« Wenn der Papst gegen ihn, im grellen Widerspruch mit dem Wesen der Kirche, den weltlichen Arm anrufe, so sei dagegen ihm, Hutten, genug, auf den Arm des Herrn zu hoffen. Im Vertrauen auf ihn fürchte er das Mißfallen derer nicht, welche die Wahrheit, die er gesagt, nicht ertragen können. Dem Erzbischof wünsche er alles Glück, besonders daß er sich durch das böse Beispiel nicht anstecken lassen möge.
Desselben Tages, wie an seinen ehemaligen Herrn, schrieb Hutten auch an dessen Rath, den Ritter Sebastian von Rotenhan, dem er zu Anfang des Jahres seinen Vadiscus zugeeignet hatte. Sebastiano de Rotenhan. Schriften I, S. 403-405. »Während gegen mich«, beginnt der Brief, »dieser Donner des zehnten Leo daherrollt, was thust du? was sind deine Hoffnungen, deine Muthmaßungen für die Zukunft? Und wenn du hörst, was von den geistlichen Vätern täglich gegen mich Abwesenden gesprochen wird, was wagst du zu munkeln? was frei zu reden? Wohnt in dir kein fränkischer Muth mehr, kein angestammter Freisinn? Unmöglich kann ich an solchen Haß der Himmlischen gegen Deutschland glauben, daß sich nicht die meisten mit mir verbinden sollten, um das herbeizuführen, was bald geschehen muß, soll es nicht um unsere Freiheit, um die christliche Wahrheit gethan sein. Doch, wenn man mich im Stiche läßt, tröste ich mich mit meinem Bewußtsein und mit der Hoffnung auf die Nachwelt. Denn dieses Feuer läßt sich nicht so ersticken, daß es nicht dermaleinst, zum Verderben von jenen, furchtbar wieder ausbrechen sollte.« Indessen möge der Freund auf alles achten, was dort (zu Mainz) geschehe, und darüber an Hutten Bericht erstatten. Bei dem Adel möge er für ihn und die gute Sache reden, seine Feinde aber durch den Wahn sicher machen, als ob er sehr eingeschüchtert wäre. Hierauf thut Hutten seiner Klagschriften an den Kaiser und die Fürsten Erwähnung, und schließt mit dem Wunsche, daß Karl sich seiner Stellung würdig beweisen und die Sache selbst in die Hand nehmen möge.
Auch an Luther, dem er noch unmittelbar vor seiner Abreise zu Ferdinand geschrieben hatte, gab er jetzt von der über ihn verhängten Verfolgung und seinem Entschlusse, mit Schriften und Waffen gegen die päpstliche Tyrannei zu Felde zu ziehen, in einem Briefe voll leidenschaftlichen Muthes Nachricht, von dem wir nur aus einer Aeußerung Luther's wissen, der zufolge er auf diesen gewaltigen Eindruck gemacht hatte. Luther an Spalatin, Wittenberg, 11. Sept. 1520, in Hutten's Schriften I, 369 f. Durch den Erlaß des mainzer Erzbischofs gegen Hutten's »und ähnliche Schriften« fand Luther auch sich berührt und stellte in Aussicht, sobald er ausdrücklich genannt würde, »seinen Geist mit dem Hutten's verbinden und sich so entschuldigen zu wollen, daß es dem Bischof keine Freude machen sollte. Vielleicht indeß«, setzt er hinzu, »beschleunigen sie durch solches Vorgehen selbst das Ende ihrer Tyrannei.«
Doch nicht blos einzelnen Fürsten und gleichgesinnten Männern, den Deutschen aller Stände wollte Hutten seine Angelegenheit, welche ja wirklich die der ganzen Nation war, an das Herz legen. Omnibus omnis ordinis ac Status in Germania Principibus, Nobilitati ac Plebeis, Ulrichus de Hutten Eques Orator et Poeta laureatus S. Vom 28. Sept. 1520. Schriften I, S. 405-419. Damit erst erhielt die Reihe seiner klagenden und anklagenden Sendschreiben ihren angemessenen, volltönenden Schluß. Ausführlicher als in den übrigen legt er hier die römischen Anschläge gegen ihn und die deßhalb an ihn ergangenen Warnungen dar, welche ihn zu dem Entschlusse bewogen haben, sich von dem öffentlichen Verkehre zurückzuziehen. Ja, dahin sei es gekommen, daß er, der noch vor kurzem nach Mitstreitern im Kampfe für Wahrheit und deutsche Freiheit gerufen habe, jetzt um Schutz und Hülfe für seine eigne Person sich umsehen müsse.
»Aber wohin soll ich mich wenden? wo Hülfe suchen? Euch rufe ich an, deutsche Fürsten und Männer! Wollet ihr wohlverdiente Leute austreiben, unschuldige bestrafen lassen? Wo ist die deutsche Redlichkeit und Tugend? wo jene bei allen Völkern gepriesene deutsche Tapferkeit? Beschirmet alle einen, da einer für euch alle gearbeitet hat. Denn die Arbeit und das Unterfangen waren mein: der Erfolg freilich steht in Gottes Willen, nicht in des Menschen Wunsche. Ich schwebe jetzt nicht minder in Gefahr, als wenn ich, was ich euch zu Liebe gewollt habe, glücklich erreicht hätte. Ich stünde jetzt in des römischen Bischofs Gunst, hätte ich nicht dem Vaterlande zu Gute und zu gemeinem Nutzen alles das verwenden wollen, was ich mit so vieler Mühe auf einer so harten und schweren Wanderung, unter so herben Unfällen und im Kampfe mit einem so widrigen Geschicke gesucht und erworben habe: die Frucht so vieler Nachtwachen, so mancher Reisen hier und dort bei Tag und Nacht, der Armuth und Verachtung, die ich auf mich nahm, der vieljährigen Heimathlosigkeit, die ich mir im blühendsten Alter auferlegte. Aber es trieb mich dazu der Durst nach Wahrheit, es trieb mich die Liebe zum Vaterlande. Um so weniger dürfet ihr zugeben, daß ich um den Lohn für meine Dienste komme. Wollet ihr mich unverhört, unverurtheilt hinmorden lassen? … Das Recht scheue ich nicht; in eurer Mitte weile ich mit gutem Vertrauen. Nur Gewalt lasset mir nicht geschehen, schon deßwegen nicht, damit nicht meine Feinde, wenn sie den Unschuldigen gewaltsam umgebracht, gegen den Todten eine Schuld erdichten mögen. Ich sollte von hier weggerissen werden, ich Unseliger? Von dieser Erde, die mich bei meiner Geburt empfing? diesem Himmel, der mich nährte? diesen Menschen, unter denen ich so freundlich gewohnt habe? Diese Herde, diese Altäre sollte ich verlassen? und nicht um in der Verbannung elend zu leben, sondern zu grausamer Marter, zu schmählichem Tode soll ich geschleppt werden? Zu Hülfe, meine Landsleute! stehet mir bei! Lasset den nicht in Bande legen, der eure Bande zu lösen unternommen hat!«
Eben nur dieß, in der That das höchste Verdienst, sei sein Verbrechen. Sonst sei er sich keiner Schuld bewußt. Seine Feinde seien auch Deutschlands Feinde; in ihm vertheidigen die Deutschen sich selbst. »Thut die Augen auf, ihr Deutschen, und sehet, wer es ist, der euch daheim beraubt, auswärts in übeln Ruf bringt und von allem Unglück, allem Mißstande bei euch die Schuld trägt. Es sind die heillosen Ablaßkrämer, die verruchten Händler mit Gnaden, Dispensationen, Absolutionen und allerlei Bullen, die einen Markt mit heiligen Dingen in der Kirche Gottes eingerichtet haben, daraus er einst diejenigen trieb, die doch nur geringe weltliche Waaren kauften und verkauften. Sie sind wie Werkmeister alles Trugs, die Erfinder aller Listen, die Urheber der Knechtschaft und Gefangenschaft dieses Volks. Sie sind es auch, die mich in diese Noth und Gefahr gebracht haben, um keiner andern Ursache willen, als weil ich ihre Künste verrathen, ihre Schande aufgedeckt, ihrer Räuberei widerstanden, ihrem Frevel einen Riegel vorgeschoben habe, und weil durch mich bereits ihrem Gewinn etwas abgegangen, der wahren Frömmigkeit viel zugewachsen ist. Stets habe ich Aufruhr gemieden, zur Empörung nicht Ursache geben wollen, und zum Beweise, wie wenig es meine Absicht war, einen Umsturz der öffentlichen Zustände herbeizuführen, habe ich lateinisch geschrieben, gleichsam um sie unter vier Augen zu ermahnen, und nicht gleich den großen Haufen zum Mitwisser zu machen; obwohl ich, dieß zu thun, mehr als genug Ursache gehabt hätte.« Selbst jetzt, da sie deutlich zu erkennen geben, wie wenig freundliche Ermahnung bei ihnen ausrichte, wolle er immer noch nichts Gewaltsames gegen sie veranlassen, wolle sie nicht für ihre Uebelthaten bestraft, sondern nur theils sich selbst gegen sie geschützt, theils sie an fernerem Uebelthun verhindert wissen. – Darunter setzte Hutten den Spruch aus dem zweiten Psalm, der von jetzt an bei ihm öfters neben oder statt seines eigentlichen Wahlspruchs wiederkehrt: Lasset uns zerreißen ihre Fesseln und von uns werfen ihr Joch!
Im October 1520 erschien die Sammlung dieser Klagschriften, wurde bald mehrmals wiedergedruckt, und wo die Buchhändler sich fürchteten, durch Hutten's Freunde vertrieben. Es war ein lebhafter Verkehr von der Ebernburg herunter zwischen Hutten und seinen Freunden in Mainz, Speier, Worms und andern Orten; sein Schreiber wanderte hin und her mit Packeten und Aufträgen; Martin Bucer war ein gefälliger Vermittler; auch ein Bruder Ulrich's erscheint als Vertrauensmann, dem Briefe und Sendungen an ihn übergeben werden können. Die Exemplare der Hutten'schen Schriften wurden, so weit er sie nicht verschenkte, entweder gegen andere Bücher, die er haben wollte, Kirchenväter, Classiker, geschichtliche Werke, vertauscht, oder auch verkauft, und von dem Gelde, welches dafür einging, Bücher eingekauft und deren Einband bestritten. Hutten an Bucer vom 25. und 28. Nov. 1520, Schriften I, S. 427-429. An Capito, a. a. O. S. 365 f. An Luther und den Kurfürsten Friedrich schickte Hutten Exemplare seiner Klagschriften durch Crotus, der kürzlich zum Rector der erfurter Hochschule gewählt worden war; das Sendschreiben an alle Deutschen aber ließ er (vielleicht in Mainz?) öffentlich anschlagen. Luther an Spalatin, 15. Dec. 1520, in Hutten's Schriften I, S. 437. Hutten's Endtschüldigung, Schriften II, S. 131, §. 5.
Der päpstliche Anschlag auf Hutten's Freiheit und Leben diente nur dazu, ihn um so mehr (neben Luther) zum volksthümlichen Helden zu machen. Es erschienen um jene Zeit unter dem Namen Abydenus Corallus eine Rede an Kaiser Karl und die deutschen Fürsten für Hutten und Luther, die Verfechter des Vaterlandes und der deutschen Freiheit Oratio ad Carolum max. Augustum et Germanos Principes, pro Ulricho Hutteno eq. G. et Martino Luthero, patriæ et Christianæ libertatis adsertoribus. Authore S. Abydeno Corallo. S. Hutten's Schriften I, S. 442-445., und zwei Gespräche, das eine der gefangene, das andere der verherrlichte Hutten betitelt. Huttenus captivus. Huttenus illustris. In Dialogi septem, festive candidi, authore S. Abydeno Corallo Germ. In Hutten's Schriften IV, S. 593-600. In der Rede wird besonders das Formlose und Rechtswidrige in dem Verfahren gegen Hutten, das Schmähliche des angeblichen Vergiftungsversuchs, hervorgehoben. In dem erstern der Gespräche ruft Papst Leo die Curtisanen gegen Luther, und noch mehr gegen Hutten, dessen Anschläge gefährlicher seien, auf. Von einem Franciscaner geführt, ziehen sie aus, um den Ritter am kaiserlichen Hofe zu greifen; Hutten wehrt sich; Sickingen kommt hinzu, erbietet sich, die Sache dem Kaiser vorzutragen; mittlerweile soll sich Hutten auf Steckelberg in Sicherheit bringen, von wo er alle Deutschen zu seinem Beistand und zum Kampfe gegen die Curtisanen aufzurufen gedenkt. In dem andern Gespräche wird Hutten von der personificirten Wahrheit seiner irdischen Waffen entkleidet, und mit den geistlichen, dem Krebs der Gerechtigkeit, dem Schilde des Glaubens, dem Schwerte des Wortes Gottes (das ganz anders gehandhabt sein wolle als das der Beredtsamkeit) ausgerüstet. In dieser Rüstung eines christlichen Streiters soll er, ohne irdisches Trachten, ohne persönliche Rachsucht, mit guten Büchern, besonders dem Evangelium, versehen, von einem einsamen Thurme aus für die Sache Gottes und des Vaterlandes kämpfen; wobei er selbst Fürsten, wenn sie sich wider die Wahrheit setzen, schelten darf, und des Siegs, wenn auch nicht des Lebens, sicher sein kann. Alle Kennzeichen deuten auf den jetzt in Erfurt weilenden Crotus als Verfasser dieser Schriften, der wahrscheinlich auch bei der sogenannten Intimatio Erfurdiana, der öffentlichen Erklärung der dortigen Universität für Luther und gegen die wider ihn erlassene päpstliche Bulle, betheiligt war.
Unterdessen war nämlich Johann Eck in Begleitung des päpstlichen Nuntius Aleander mit der Bannbulle gegen Luther nach Deutschland zurückgekommen. In dieser (ausgefertigt in Rom am 15. Juni 1520) waren 41 Sätze aus Luther's Schriften theils als ketzerisch, theils doch als falsch und anstößig bezeichnet, seine Bücher, so weit sie diese Sätze enthielten, zum Feuer verdammt, ihm selbst aber noch 60 Tage nach dem Anschlag der Bulle an den Domkirchen zu Brandenburg, Meißen und Merseburg Zeit zum Widerruf gelassen, nach deren fruchtlosem Verstreichen er als hartnäckiger Ketzer von der Kirchengemeinschaft abgesondert und nach Rom zur Bestrafung ausgeliefert werden sollte. Während Eck im Laufe des Septembers die Bulle in Baiern und Sachsen anschlagen ließ, reiste Aleander den Rhein hinunter, um sie dort zu verbreiten. Schnell hatte er von dem jungen König Karl die Erlaubniß ausgewirkt, in dessen burgundischen Erblanden Luther's Schriften verbrennen zu lassen. Auch in den deutschen Pfaffenstädten Köln und Mainz rauchten bald die unblutigen Scheiterhaufen. Doch war selbst in dem finstern Köln die Stimmung der Bevölkerung sehr getheilt und in dem gebildetern Mainz entschieden gegen die Maßregel. »Luther«, schrieb Hutten darüber an Martin Bucer, »hat zu Mainz gebrannt; doch, wie ich glaube, ohne es zu fühlen. Das können jene Mordbrenner, sonst nichts.« Hutten an Bucer, Schriften I, S. 427 f. Vgl. Hutten an Luther, ebendas., S. 436, und die Berichte von Beatus Rhenanus und Hedio, ebendas., S. 429 und 438. In Erfurt wurde die Bulle zerrissen, Eck in seiner Wohnung belagert.
Durch diese Vorgänge fand sich Hutten zu unglaublicher Thätigkeit angeregt. Noch während des October und November sehen wir ihn mit vier bis fünf Schriften gegen die Bannbulle, die Schriftenverbrennung und die römische Tyrannei überhaupt, beschäftigt. Da sie zum Theil neben einander ausgearbeitet wurden, so können wir sie hier in der Ordnung vornehmen, die uns ihrem Inhalte zufolge die bequemste ist.
Die Bulle Leo's X. gegen Luther reizte Hutten, sie zu glossiren. Den päpstlichen Sätzen die Gegensätze, den Ansprüchen den Widerspruch, Punkt für Punkt auf demselben Blatte gegenüberzustellen, den salbungsvollen Bombast eines solchen Actenstücks durch nüchterne Anmerkungen oder spitzige Querfragen zu stören, konnte ganz besonders dienlich erscheinen, um auch stumpferen Lesern die Augen zu öffnen. So ließ denn Hutten die Bulle wieder auflegen, mit dem päpstlichen Wappen auf dem Titelblatte, und so, daß der größer gedruckte Text derselben durch seine Glossen in kleinerem Drucke theils unterbrochen, theils am Rande eingefaßt erschien. Bulla Decimi Leonis contra errores Lutheri et sequacium. Auf der Rückseite des Titels: Ulrichus de Hutten eq. Germanis omnibus S. Die glossirte Bulle s. in Hutten's Schriften V, S. 301-333; das Vorwort I, S. 430 f., das Nachwort an den Papst ebendas., S. 431 f. Ein Seitenstück zu dieser Hutten'schen Schrift, die Oratio Constantii Eubuli Moventini de virtute clavium et bulla condemnationis Leonis X. contra Mart. Lutherum etc. (s. Hutten's Schriften V, S. 351 ff.) ist vermuthlich von Crotus. Voraus geht eine Vorrede, in welcher ausgeführt ist, daß es sich hier keineswegs blos um Luther handle, sondern der Papst beabsichtige, mit Luther die wiederauflebende christliche Wahrheit und deutsche Freiheit zu ersticken. Aber mehr als jemals sei jetzt die Gelegenheit einer rettenden That günstig, zu welcher sich die Deutschen doch wohl endlich mit Hutten entschließen werden.
Die Glossen hierauf sind, wie es die Natur einer solchen Arbeit mit sich bringt, bald ironisch, bald pathetisch, häufig treffend, bisweilen aber doch auch matt. Wenn Leo sich im Eingang hergebrachtermaßen den Knecht der Knechte Gottes nennt, so wirft Hutten dazwischen: Was gebietest du also und spielst mit so großem Hochmuth den Herrn? Wenn die Bulle selbst mit den Worten anfängt: Erhebe dich, o Herr – so bemerkt Hutten: ja, er wird sich erheben, doch zu des Papstes größtem Schaden. Wo, in Anwendung eines bekannten Bibelspruches, die neuen Ketzer Füchse genannt werden, die des Herrn Weinberg verwüsten, erwiedert der Glossator, daß vielmehr der Papst in der Art, wie er den Deutschen ihr Geld theils abzulocken, theils abzutrotzen wisse, sich listiger als ein Fuchs, räuberischer als ein Wolf beweise. Das Aufkommen solcher Ketzereien in Deutschland, fährt das Actenstück fort, bekümmere den Papst um so tiefer, weil er und seine Vorgänger gerade diese Nation jederzeit in den Eingeweiden ihrer Liebe getragen haben: – freilich in den Eingeweiden! ruft hier Hutten, denn ihr hattet sie verschlungen; aber jetzt werdet ihr sie von euch speien müssen, und Gott selbst wird sie aus eurem Bauche ziehen. Sonst, meint die Bulle, seien die Deutschen die eifrigsten Bestreiter der Ketzerei gewesen: – ach, wären sie es doch gewesen! seufzt da Hutten, dann hätten sie vor allem gegen die Päpste sich gewehrt. Von Luther sagt der Papst, wäre derselbe seiner Ladung nach Rom gefolgt, so sei kein Zweifel, er würde in sich gegangen und zur Erkenntniß seiner Irrthümer gekommen sein: – gesprochen wenigstens, meint Hutten, würde er ferner nichts mehr haben, wäre er einmal von dir zu Rom empfangen worden. Wenn die Bulle Luther's Lehren verderblich nennt, so erläutert dieß Hutten dahin, daß allerdings durch dieselbe viele Hochwürdigste mit Hunger, und ihr Herr selbst mit Mangel bedroht werde. Und wie nun der Papst bei der Verbrennung von Luther's Schriften ankommt: – du hast's erreicht! ruft da Hutten, sie brennen, aber in den Herzen aller Guten. Welch ein verderblicher Brand für dich! Nun lösche ihn, wenn du kannst!
Den Beschluß macht ein Epilog an Leo X., worin ihm zu bemerken gegeben wird, er wäre besser mit seiner Bulle daheim geblieben, die ihm nur Schande mache. Längst sage man in Deutschland von den päpstlichen Bullen, es sei mit ihnen wie mit dem Gelde: je neuer, desto schlechter. Er möge seiner Habsucht, seinem Truge Einhalt thun, die Zeugen der Wahrheit nicht ferner reizen, insbesondere aufhören, Luther und die von ihm Angeregten zu verfolgen, denn ihrer seien bereits mehr, als daß irgend ein Bischof so viele Seelen verderben könnte. Er solle sein Hirtenamt recht versehen, seine Heerde fortan mit Erkenntniß und Lehren, nicht mehr mit Bullen weiden, deren man überdrüßig sei, wie man auch vor dem Ablaß nachgerade Ekel empfinde. »Eines Papstes Gaben sind Weisheit, Reinheit, Keuschheit und Verachtung alles Irdischen. Denen trachte nach. Dann wird Deutschland dich verehren, wenn es sieht, daß du es liebst, nicht dich, wie jetzt, bekämpfen, da es bemerkt, daß du es schrecken willst. Es ziemt dir aber, durch Güte alle zu überwinden, niemanden durch Gewalt zu zwingen. Dieß freimüthig aber wahr, wie die Sache sich verhält und die Zeit es mit sich bringt. Lebe wohl! Aus Deutschland.«
Neben den Glossen zu der päpstlichen Bulle arbeitete Hutten um jene Zeit an einem Gedicht über die Verbrennung von Luther's Schriften, und zwar in doppelter Gestalt, lateinisch in Hexametern und deutsch in Reimen, wovon die erstere die frühere ist.
In incendium Lutherianum exclamatio Ulrichi Hutteni eq. anno dom. 1520. Schriften III, S. 451-455.
Eyn Klag über den Luterischen Brandt zu Mentz durch Herr Vlrich vonn Hutten. Schriften III, S. 455-59. Eigentlich sind beide zwei verschiedene Gedichte, die nur in wenigen Punkten zusammentreffen. Das lateinische hat den Vorzug größerer Kürze und edlerer Form; das deutsche macht seine Weitschweifigkeit und seine ungelenken Verse durch volksthümliche Rhetorik gut. Wie? so beginnt das erstere, wenn wir die lateinischen in entsprechende deutsche Verse übertragen –
Wie? Dem Brande geweiht ist die Frucht so mancher durchwachten
Nacht? dem Verderben die Schriften des wahrheitredenden Luther?
Das, ihr Flammen, erfrechet ihr euch? so sündigst du, Feuer?
Hilf den Frommen, du Flut, vom Himmel ergieße sich Regen,
Auszulöschen den Gräul! …
Nachdem sofort auf der einen Seite die römische Mißherrschaft, auf der andern Luther's Verdienst um Wiederherstellung der Wahrheit ins Licht gesetzt ist, wird Gott selber zum Einschreiten aufgerufen:
Und nun schau (sie enthalten dein Wort) auf die brennenden Bücher,
Schau, allmächtiger Vater, herab, und räche die Unthat!
Dir ja gilt die Empörung, die Schmach dir, deinem Gesetze
Thut man Gewalt. Dagegen wird jeglicher Frevel gebilligt,
Jedes Verbrechen gelobt. So erwache doch endlich, erwache!
Wie es ein jeder verdient, so werd' ihm wieder vergolten;
Wahrheit trage die Palme davon und Tugend die Krone!
Aber es fasse die Glut den jüdischen Schelm Aleander
Der päpstliche Nuntius Aleander galt für einen getauften Juden.,
Strafe die Stifter der frevelen That; nach dem wüthenden Leo
Sollen die Furien greifen, die er entfesselt; die Flammen,
Die es dem redlichen Luther geschürt, Rom selber verzehren.
Unter die volksrednerischen Züge, welche dem deutschen Gedichte zu Gute kommen, gehört vor allem die für ein gehäuftes Sündenregister so passende dreißigmalige Wiederholung des Hie – geschieht dieß oder das, z. B.:
Hie brennen, Herr, viel guter Wort,
Hie wird dein göttlich Lehr ermordt;
Hie thut man Gwalt der Predigt dein,
Hie gibt man alles Lasters Schein; …
Hie gibt man Ablaß und Genad,
Doch keinem, der nit Pfennig hat;
Hie wird gelogen, hie gedicht,
Ein Sünd vergeben, eh sie gschicht; …
Hie wird verkauft der Himmel dein,
Geurtheilt zu der Hölle Pein
Ein jeder der hinwider sagt;
Hie ist, wer Wahrheit pflegt, verjagt;
Hie wird teutsch Nation beraubt,
Ums Geld viel böser Ding erlaubt;
Hie bdenkt man nit der Seelen Heil;
Hie bist du, Herr Gott, selber feil u. s. f.
Am Schlusse des deutschen Gedichts wird Luther angeredet:
Dich aber, liebster Bruder mein,
Durch sollich Macht vergwaltigt sein,
Bin deinethalben ich beschwert;
Doch hoff' ich, es werd widerkehrt,
Und werd gerochen dein Unschuld;
Drum, Diener Gottes, hab Geduld.
Möcht ich dir aber Beistand thun,
Und rathen diesen Sachen nun,
So wöllt' ich, was ich hab an Gut,
Nit sparen, noch mein eigen Blut.
Unter das lateinische Gedicht setzte Hutten seinen Wahlspruch: Jacta est alea, den er in der deutschen Bearbeitung, wie von da an immer, durch: Ich hab's gewagt! wiedergab.
Doch hiemit sind wir in den Bereich von Hutten's deutscher Schriftstellerei übergetreten, der wir eine besondere Betrachtung widmen müssen, wenn wir erst noch seinem Verhältniß zu Reuchlin bis zu dem Abschlusse, den es um diese Zeit erreichte, gefolgt sein werden.
Wir sahen oben den ehrwürdigen Veteran des Humanismus durch Sickingen's ritterliche Dazwischenkunft von den »obscuren Kutten« befreit, die ihn Jahre lang bedrängt hatten; sie hatten ihre Bußgelder erlegt, nach Rom selbst um eine für Reuchlin günstige Beilegung der Streitsache geschrieben. Aber als ächte Pfaffen hatten sie das mit dem stillen Vorbehalte gethan, es unmittelbar darauf als erzwungen zu widerrufen. In diesem Sinne schickten sie jenem ersten Schreiben eilig andere nach. In Rom standen die Verhältnisse eben günstig für sie: von Reuchlin's Gönnern am päpstlichen Hofe waren die einen gestorben, andere entfernt; der Lutherische Streit, der sich als ein Schößling des Reuchlinischen darstellen ließ, warf auf diesen ein bedenkliches Licht, und so erfolgte im Sommer 1520 ein päpstliches Breve, das die speiersche Sentenz förmlich cassirte und Reuchlin's Buch verurtheilte. Hochstraten, in seine nur zum Schein verlorenen Stellen alsbald wieder eingesetzt, und seine würdigen Brüder schlugen das Breve in Köln mit Jubel an; Reuchlin suchte dagegen aufzukommen; Sickingen mußte sich noch einmal in den Handel legen; er ließ sich durch Hutten ein Schreiben an den Kaiser aufsetzen, auch die Kurfürsten von Mainz und Sachsen um ihre Verwendung in der Sache bitten; Reuchlin selbst lud er auf die Ebernburg ein Hedio an Zwingli, 15. Oct. 1520; Hutten an Bucer, 25. Nov.; an Luther, 9. Dec. 1520; an Spalatin und an Capita, 16. Jan. 1521, in Hutten's Schriften I, S. 421. 427. 437. II, 4 f.; es scheint aber, dieser, der auf den Antrag des Herzogs Wilhelm von Baiern zu Anfang des Jahres 1520 den Lehrstuhl des Griechischen und Hebräischen an der ingolstädter Universität angenommen hatte, erlitt von der Seite keine ernstliche Verfolgung mehr.
Aber schwach war er doch geworden, und zeigte dieß, wie freilich bald einer der Humanisten nach dem andern, gegenüber der beginnenden Reformation. Daß er in Ingolstadt Anfangs im Hause des berufenen Dr. Eck wohnte, war schon kein gutes Zeichen; obwohl, als dieser sich anschickte, Luther's Schriften verbrennen zu lassen, er es der Universität widerrieth. Aber seinen Philipp Melanchthon, den er selbst vordem nach Wittenberg empfohlen, hätte er nun gerne aus Luther's Kreise hinweg zu sich nach Ingolstadt gezogen. Daß der Neffe der Aufforderung keine Folge leistete, hat ihn die ihm bereits als Erbschaft zugesagte Bibliothek des Großoheims gekostet. Und nun scheint Reuchlin, durch die Nachricht geängstigt, daß man in Rom seinen Handel mit dem Lutherischen in Verbindung bringe, ein rechtfertigendes Schreiben an die bairischen Herzoge erlassen zu haben. Das Schreiben kam Hutten zu Gesicht, und bei aller Verehrung für den Altmeister, dazu konnte er doch nicht schweigen. »Deinen Brief an die Baiern«, schrieb er ihm am 22. Februar 1521 von der Ebernburg, »habe ich gelesen, denen du auf die Anklage Leo's X. antwortest. Unsterbliche Götter, was sehe ich! So tief bist du in Furcht und Schwäche versunken, daß du dich sogar der Schmähungen nicht enthältst gegen diejenigen, die stets deine Rettung gewünscht, zuweilen auch mit großer Gefahr deinen Ruf vertheidigt haben. Franz ist, da ich ihm die Sache vortrug, davon aufs äußerste erregt worden.« Warum er sich nicht wie Erasmus mit der Erklärung begnügt habe, daß er mit Luther nie etwas gemein gehabt, wozu die ausdrückliche Mißbilligung seiner Sache und die Versicherung, er habe auch seine Freunde von derselben abzuziehen gesucht? »Durch eine so schimpfliche Schmeichelei«, fragt ihn Hutten, »hoffst du jene zu versöhnen, die du, wenn du ein Mann sein wolltest, nicht einmal freundlich grüßen dürftest, so vielfach und unerhört haben sie dich mißhandelt. Doch versöhne sie. Und wenn dir's altershalber möglich ist, thu' auch das noch, was du so sehr zu wünschen versicherst, daß du nach Rom gehst, dem Herrn Leo die Füße zu küssen, und noch obendrein, was du ja nicht verschmähst, daß du gegen uns schreibst. Dennoch soll man sehen, daß wir, auch gegen deinen Willen und deinen mit den gottlosen Curtisanen einstimmigen Widerspruch, das schmähliche Joch abschütteln und aus der schimpflichen Knechtschaft uns befreien … Ich schäme mich, für dich so vieles geschrieben, vieles gethan zu haben, nachdem du den Handel, für den wir so muthig uns getummelt, mit einem so elenden Ausgang beschließest. Das wollte ich dir nicht verhalten. Du schaue zu, was dir gezieme, ob es löblicher sei, deinen Wohlthätern dich dankbar zu bezeigen, oder durch schmachvolle Haltung diejenigen zu verpflichten, die stets dein Verderben gewollt haben. Von mir sollst du wissen, nicht blos wenn du je Luther's Sache bekämpfen, sondern auch wenn du dich so dem römischen Bischof unterwerfen willst, daß ich gar nicht mit dir einverstanden bin.« Hutteni Opp. Supplem. II, S. 803 f.
Ob Hutten's Brief Reuchlin noch in Ingolstadt getroffen, wissen wir nicht. War auch die geistliche Verfolgung kaum noch zu fürchten, der Alte sollte doch keine Ruhe mehr finden. Vor zwei Jahren hatten Krieg und Pest ihn aus Würtemberg vertrieben: jetzt brach die Pest in Baiern aus und trieb ihn wieder nach Würtemberg. Im Frühling 1521 suchte er sein altes Hauswesen in Stuttgart wieder auf. Aber die damalige österreichische Regierung in Würtemberg wünschte mit einem solchen Manne ihre Universität zu zieren. So ging er nach Tübingen und las da im Winter 1521 auf 22 über griechische und hebräische Grammatik; womit der vormalige Bundesrichter sich schon in Ingolstadt wie Dionys der Tyrann, der Schulmeister geworden, vorgekommen war. Doch er fühlte seine Gesundheit wanken. Mit der bessern Jahreszeit suchte er Hülfe in dem Schwarzwaldbade Liebenzell. Er fand sie nicht. Krank nach Stuttgart zurückgekehrt, starb er am 30. Juni 1522 an der Gelbsucht, der hochverdiente, vielgeärgerte Mann. Er hatte ein Alter von 67 Jahren und 4 Monaten erreicht.