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Zweites Kapitel.
Entschiedenes Auftreten gegen Rom. Verhältniß zu Luther.

1519. 1520.

Um diese Zeit war Hutten's Aufmerksamkeit auf Luther nicht die gleichgültige, halb ironische mehr, die sie noch während seines augsburger Aufenthalts gewesen war. Insbesondere seit der leipziger Disputation im Sommer 1519 und den durch sie veranlaßten Schriften Luther's war es nicht länger möglich, seinen Handel als ein bloßes Mönchsgezänk zu nehmen. Hutten erkannte in ihm einen Streiter für dieselbe Sache, der auch er selbst sich gewidmet hatte, und würde gerne mit ihm in Verbindung getreten sein, hätten nicht äußere Verhältnisse vorerst im Wege gestanden. Unmerklich schob sich in den Mittelpunkt von Hutten's Interesse statt des Humanismus die Reformation, statt Reuchlin's Luther vor: ohne daß er darum in der treuen Anhänglichkeit an die alten Gegenstände seiner Verehrung nachgelassen hätte.

Wie er während des würtembergischen Feldzuges seinen ritterlichen Freund von der Ebernburg für Reuchlin zu interessiren wußte, ist an seiner Stelle gemeldet worden. Nicht nur augenblicklichen Schutz hatte Sickingen dem angefochtenen Alten gewährt, sondern auch fernern zugesagt. Durch das päpstliche mandatum de supersedendo war Reuchlin's Handel mit den Kölnern nur niedergeschlagen, nicht ausgetragen; der in Speier zu seinen Gunsten gefällte Spruch war außer Kraft gesetzt, während Hochstraten und die Seinigen nicht aufhörten, ihn und seine Freunde in Rede und Schrift zu verunglimpfen. Kaum aus dem Felde zurückgekehrt, erließ daher Franz von Sickingen, am Freitag nach St. Jakobs Tag, eine Erforderung und Verkündung an Provinzial, Prioren und Convente des Predigerordens deutscher Nation, und sonderlich an den Bruder Jakob Hochstraten, von wegen des hochgelehrten und weit berühmten Herrn Johann Reuchlin, beider Rechte Doctors. Allgemein sei es bekannt, wie sie diesen betagten, erfahrenen, frommen, kunstreichen Mann, wider päpstliches Verbot und kaiserliche Willensmeinung, durch unbegründete Appellation gegen das speiersche Urtheil aufzuhalten und zu beschädigen gesucht haben, auch noch immer durch unziemliche Schmachschriften anzutasten fortfahren. Da nun aber er, Franz, als Liebhaber von Recht und Billigkeit, in Betracht ferner, daß Reuchlin seinen Eltern oftmals gefällige Dienste erzeigt, auch, so viel an ihm gewesen, sich befleißigt habe, ihn, Franz, in seiner Jugend zu sittlicher Tugend zu unterweisen, ob solchem ihrem Fürnehmen nicht unbillig Mißfallen trage: so stehe an Bruder Hochstraten und dessen Ordensobere sein Begehren, gemeldten Doctor Reuchlin fortan ruhig zu lassen, auf den Grund des speierschen Urtheils ihm Genugthuung zu geben, und insbesondere die ihnen auferlegten Proceßkosten im Betrage von 111 Fl. an ihn zu entrichten, und zwar binnen Monatsfrist nach Ueberantwortung dieses Briefs; sonst werde er, Sickingen, sammt andern seinen Herren, Freunden und Gönnern, wider sie, die ganze Ordensprovinz und deren Anhänger, so handeln, daß Dr. Reuchlin, als ein Alter, Frommer, unter den Hochgelehrten nicht der Niederst, deß Ehre, Kunst und Lob in weiten Landen erschollen und ausgebreitet, solcher gewaltiger Durchächtung endlich vertragen, in diesem seinem ehrlich hergebrachten Alter bei Ruhe bleiben, dasselbe auch, so viel Gott gefalle, friedlich beschließen möge, und dadurch vermerkt werde, daß vielen hohen adelichen und andern trefflichen weltlichen Ständen, geschweige der Hochgelehrten und Geistlichen, ihre (der Dominicaner) bisher gegen Dr. Reuchlin geübte Handlung von Herzen und Gemüth leid gewesen und noch sei. Hutteni Operum Supplem. I, S. 438-440.

Bald nach Erlaß dieses Fehdebriefes gegen seine geistlichen Verfolger brach indeß über Reuchlin von neuem ein wirklicher Kriegssturm herein. Im September fiel der kaum ausgetriebene Herzog Ulrich wieder in sein Land. Wie er gegen die Hauptstadt heranzog, gedachte Reuchlin, der ihn haßte und fürchtete, erst zu entweichen, blieb dann aber, um seine Habseligkeiten nicht preiszugeben, doch zurück. Große Einbuße ward ihm gleichwohl, als der Vertriebene sich der Stadt wieder bemächtigte, nicht erspart, und als nach vier bangen Wochen Ulrich zum zweiten male Stadt und Land räumen mußte, legten die einrückenden Bündischen auf Reuchlin's Eigenthum Beschlag, bis Herzog Wilhelm von Baiern ihn in seinen Schutz nahm. Aber es war ihm unbehaglich in der von Parteien zerrissenen, zuletzt auch von der Pest heimgesuchten Stadt, und im November 1519 siedelte er vom Neckar an die Donau, nach Ingolstadt über. Auch hier jedoch war er Anfangs in sehr gedrückter Stimmung; erst durch den Proceß, dann durch den Krieg in seinen Mitteln erschöpft, hätte er seine mühsam geretteten goldenen Sparpfennige versilbern müssen, wenn ihm nicht der stattliche Pirckheimer 30 Goldgulden vorgestreckt hätte.

Doch jetzt fing auch Sickingen's Fehdebrief an, seine Wirkung zu thun. Um Weihnachten kam der Dominicanerprovinzial zu dem Ritter nach Landstuhl, und auf sein Bedeuten machten sich bald darauf zwei Abgesandte des Ordens zu Reuchlin nach Ingolstadt auf den Weg. So kleinmüthig dieser oft war, so war er doch klug genug, sie an Franz von Sickingen, als seinen Bevollmächtigten, zurückzuweisen. Von diesem »Hercules« erwartete er, daß er den Nichtswürdigkeiten seiner Widersacher ein Ende machen werde. Erst versuchten diese allerhand Winkelzüge, verlangten Fristen u. dergl., aber Sickingen zeigte ihnen den Ernst. Um die Unterhandlung mit ihm zu erleichtern, veranlaßten sie nun den Hochstraten, seine Aemter als Prior und Inquisitor niederzulegen, und zu Ende des Mai 1520 hatte Reuchlin die ihnen in Speier auferlegten Proceßkosten in gutem Gold in Händen, das ihm nach den schweren Einbußen jeder Art wohl zu Statten kam. Ueberdieß erließen die Dominicaner ein Schreiben an den Papst, in welchem, unter ehrenvoller Erwähnung Reuchlin's, um gänzliche Hinlegung des Handels auf ewige Zeiten gebeten war. Die Belege zu obiger Erzählung finden sich in Hutteni Opp. Supplem. I, S. 440-448. Vgl. Erasmi Spongia, Hutten's Schriften II, S. 279, und den Dialog, Conciliabulum theologistarum mit Böcking's Anmerkung, in Hutten's Schriften IV, S. 575. Davon war indessen die Baarzahlung das einzige Reelle; alles Weitere war der schändlichste Pfaffentrug, wie der biedere Reuchlin nur gar zu bald erfahren sollte.

Während Hutten auf diese Weise für Reuchlin und den Humanismus zu wirken fortfuhr, suchte er nun doch zugleich die tüchtigsten seiner alten Freunde, seine Bundesgenossen im Kampfe gegen die kölnischen Dunkelmänner, in das neue entscheidende Unternehmen gegen Rom, als den Kopf des Wurms, hineinzuziehen. Schon im August 1519, kurz nach seiner Heimkehr aus dem würtembergischen Feldzuge, schrieb er nach längerer Zeit wieder an die erfurter Freunde, Eoban Hesse und Petrejus Eberbach. Er beschwert sich, daß dem erstern, der im vorigen Herbste durch Mainz gekommen, die zehn bis zwölf Meilen zu viel gewesen seien, um ihn (muthmaßlich auf Steckelberg, wohin er nach Vollendung der Guaiak-Cur um Wintersanfang 1518 von Augsburg aus sich begeben hatte) zu besuchen; daß Eberbach seit vier Jahren ihm nicht geschrieben: daß Mutian vollends durch keinen Brief noch sonst ein Zeichen bezeuge, daß er ihm nicht böse sei. Hutten ahnt, daß sein Auftreten in neuester Zeit dem behutsamen Manne mißfallen könnte; er läßt ihn ehrfurchtsvoll grüßen und verspricht, bei ehester Gelegenheit an ihn zu schreiben. Den beiden jüngern Freunden schickt er die zweite, vollständige Ausgabe seiner Türkenrede zu und knüpft die Frage daran, ob nicht auch sie einmal etwas für Deutschlands Freiheit zu wagen gedenken? Eoban habe in seiner Antwortsepistel Italiens eine gewaltige Freiheitsliebe angekündigt; nun stehe er ab, vielleicht durch das Schelten eines Curtisans zurückgeschreckt. Er solle keine Furcht haben. Es werden mehr Schriftsteller dieser Richtung auftreten, als er denke. Und kein ruhmloses Wagniß werde es sein. Wie er, Hutten, der Gelegenheit wahrnehme, solche zu gewinnen, die viel vermögen, aber bisher die Sache nicht verstanden haben, und sich nun gerne von ihm unterrichten lassen (er meint vor allen Franz von Sickingen), sollen sie künftig erfahren. Er schmiede jetzt an einem Gespräch mit dem Titel: Trias Romana, das Heftigste und Freimüthigste, was bis daher wider die römischen Goldsauger herausgekommen. Sobald es fertig, sollen sie es haben. Und Eberbach, der selbst in Rom gewesen sei und die Ränke der dortigen Betrüger kennen gelernt habe, ob er dem Vaterlande die Frucht seiner Studien ganz entziehen wolle? »Bleibe nicht für immer stumm«, bittet er ihn, »sondern brich einmal los!« Und ehe er noch Antwort hatte, schrieb er im October, von Steckelberg aus, noch einmal an Eoban in gleichem Sinne. Was er diesem kürzlich von seinen Arbeiten geschrieben, habe den Zweck gehabt, zu erfahren, was er, Eoban, unterdessen treibe? ob er nicht auch für den Ruhm des Vaterlandes und seine Befreiung von dem päpstlichen Joche etwas wagen wolle? Er möge doch etwas unternehmen, und was es sei, ihm zu seiner Aufmunterung vorher mittheilen. Mit Luther gemeinschaftliche Sache zu machen, hindere ihn die Rücksicht auf den Erzbischof Albrecht, der, obzwar ohne Grund, der Meinung sei, dieser Handel gehe ihn an; wodurch ihm, Hutten, kürzlich eine treffliche Gelegenheit entgangen sei, die Schmach des Vaterlandes (ohne Zweifel durch Auftreten gegen einen von Luther's Gegnern) zu rächen. Indeß thue er das nichtsdestoweniger, und vielleicht besser, weil er nur seinem eigenen Antriebe folge; während Luther seinerseits an Melanchthon einen tüchtigen Mitarbeiter habe. Die Briefe aus Mainz und Steckelberg vom 3. August und 26. October 1519 in Hutten's Schriften I, S. 301-303. 313 f.

Im Januar 1520 war Hutten bei Sickingen auf Landstuhl und suchte ihn ebenso für Luther, wie kurz vorher im würtembergischen Feldlager für Reuchlin, zu stimmen. Luther hatte sich in der leipziger Disputation gegen den Primat des römischen Stuhls, gegen das zwingende Ansehen der Concilien erklärt, hatte des verbrannten Huß sich angenommen; sein Widersacher Eck, durch den Schriftenwechsel über die Disputation noch mehr erbittert, bereitete sich zur Reise nach Rom; da war unschwer vorauszusehen, was kommen würde. Bereits war Luther durch einen Grafen von Solms brieflich bei Sickingen empfohlen; um so leichter gelang es Hutten, diesen zu überzeugen, daß Luther ein Biedermann, und gerade deßhalb den Römlingen verhaßt sei. Jetzt erhielt er von Sickingen den Auftrag, an Luther zu schreiben, wenn ihm in seinem Handel etwas Widriges begegnen sollte und er keine andere Hülfe hätte, möchte er nur zu ihm kommen, er wolle für ihn thun, was er könne. An Luther selbst schrieb nun Hutten aus Rücksicht auf Erzbischof Albrecht nicht, sondern, nach Mainz zurückgekehrt, an Melanchthon, der es, ohne von Hutten's Vermittelung etwas zu sagen, an Luther ausrichten und ihn zugleich veranlassen sollte, seinen hochherzigen Beschützer in einem Schreiben zu begrüßen. An Melanchthon, Mainz, 20. Jan. 1520. Schriften I, S. 320 f. Wie sehr dieses Anerbieten Sickingen's, dem bald ein ähnliches des fränkischen Ritters Sylvester von Schauenburg folgte, dazu beitrug, Luther in einer bedenklichen Zeit zu ermuthigen, und wie er der Andeutung Hutten's erst durch Briefe an ihn und Sickingen, in der Folge durch Zueignung einer Schrift an den letztern, entsprach, ist bekannt.

Mit Franz, schrieb Hutten sechs Wochen später in einer Beilage zu dem vorigen Briefe, der, schlechtbestellt, an ihn zurückgekommen war, von Steckelberg aus an Melanchthon, mit Franz habe er große und überaus wichtige Plane; wäre Melanchthon bei ihm, so wollte er ihm mündlich etwas davon verrathen. Den Finsterlingen, hoffe er, solle es schlimm gehen, und allen, welche das römische Joch über Deutschland bringen. Er lasse jetzt Gespräche drucken: Die römische Dreifaltigkeit und Die Anschauenden, vom höchsten Freimuthe besonders gegen den Papst und die Plünderer Deutschlands; er hoffe, sie sollen dem Melanchthon gefallen, oder doch nicht mißfallen. Vor allem möge er mit Luthern reden. Wenn dessen Handel sich irgendwie zweifelhaft anlasse, so möge derselbe sich nur ungesäumt zu Franz auf den Weg machen. Unterwegs könnte er mit ihm, Hutten, zusammentreffen; doch wisse er nicht, ob er gerade auf Steckelberg sein werde, denn er müsse in wenigen Tagen reiten. Luther sollte über Fulda reisen, dort werde er bei dem Wirthe zum Bären erfahren können, ob Hutten daheim sei; er habe dann nur wenige Meilen bis Steckelberg. Treffe ihn Luther hier, so wolle er ihm auch ein Reisegeld schenken, wenn er es bedürfen sollte. Melanchthon möge ihm nur ungesäumt entweder nach Fulda oder Magdeburg Antwort geben. Steckelberg, 28. Februar 1520. Schriften I, S. 324 f.

Auf Steckelberg vollendete Hutten die oben erwähnten Dialoge und hatte gerade vierzehn Tage vor dem letzten Briefe an Melanchthon, am 13. Februar 1520, die Zueignung des Vadiscus an den vielgereisten Ritter und kurfürstlich mainzischen Rath, Sebastian von Rotenhan, geschrieben. Er nimmt es dem Schwager beinahe übel, daß er (in einem Briefe, wie es scheint) erst fragen könne, ob Hutten etwas schreibe? Habe er dieß in der Unruhe des Hoflebens nicht lassen können, so lade ihn ja auf Steckelberg die Einsamkeit doppelt dazu ein. »Davon hast du«, fährt er fort, »einen Beweis an dem Gespräch Vadiscus, welches mir mit andern diese Ruhe und diese Berge gebracht haben. Wenn es deinen Beifall gewinnt, so wirst du auch meinen Entschluß, mich auf einige Zeit vom Hofe zu entfernen, nicht mißbilligen. Ich will dir das Büchlein nicht als gut empfehlen, da der Gegenstand, von dem es handelt, der schlechteste ist; als frei und wahr möchte ich es vielleicht, und unter diesem Namen muß es dir auch am willkommensten sein. Ich selbst bin, wenn irgendwo, in diesem Büchlein mit mir zufrieden. Unsere Freiheit war gefesselt und von des Papstes Stricken gebunden: ich löse sie. Verbannt war die Wahrheit, verwiesen über die Garamanten und Inder hinaus: ich führe sie zurück. Einer solchen und so großen That mir bewußt, mache ich auf keine öffentliche Belohnung Anspruch. Das nur wünsche ich, daß, wenn mich jemand deßwegen verfolgen sollte, alle Guten die Vertheidigung meiner Sache übernehmen mögen. Das soll der Lohn dieser Arbeit sein.« Die Zueignung in Hutten's Schriften I, S. 322. Das Gespräch selbst IV, S. 145-259. In meiner Übersetzung von Hutten's Gesprächen S. 94-185.

Der Vadiscus oder die römische Dreifaltigkeit nimmt unter den fünf Dialogen, welche sofort im April 1520 gedruckt erschienen, der Ordnung nach die vierte, der Wichtigkeit des Inhalts wie dem Umfange nach die erste Stelle ein. Er ist Hutten's Manifest gegen Rom, der Handschuh, den er der Hierarchie hinwarf; mit ihm war in der That, wie Hutten's Wahlspruch sagte, das Loos geworfen. Und zwar ging dieser hierin Luthern ermuthigend, zum Theil selbst wegzeigend, voran; dessen Absagebrief gegen Rom, seine Schrift von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche, erst im October, und auch die Schrift an den christlichen Adel deutscher Nation erst im Juni desselben Jahres erschienen ist.

Der Schauplatz des Gesprächs ist Frankfurt am Main. Hutten, noch immer als mainzischer Hofmann, doch in freiem Dienstverhältniß vorgestellt, kommt mit dem Kurfürsten und dessen nächster Umgebung (worunter Stromer) dahin. Hier trifft er einen alten Freund, Ernhold genannt, an, der einst mit ihm in Rom gewesen ist, und mit dem er sich nun unterhält. Den Eingang macht in gar anmuthiger Weise das Lob des »goldenen Mainz«, mit seinem milden Himmel, der gesunden Luft, der angenehmen Lage, den beiden herrlichen Strömen, welche das Reisen sowohl als das Einlaufen von Nachrichten aus ganz Deutschland erleichtern. »Dann bin ich auch der Meinung«, fährt Hutten fort, »daß es für Gelehrte ein besonders zusagender Wohnort sei; denn so oft ich anderswoher zurückkomme, kaum daß ich die Stadt wieder im Gesichte habe, fühle ich mich erfrischt und ermuntert, werde auch hier nie des Lesens oder des Schreibens müde, und nirgends geht mir die Arbeit leichter von der Hand.«

Nach mainzer Neuigkeiten befragt, meldet Hutten zuerst eine spaßhafte, das angemessene Ende eines reichen und geizigen Pfaffen zu Köln; dann aber eine verdrießliche, daß nämlich der mainzer Buchdrucker (Schöffer vermuthlich) aus Scheue vor dem Verbote Leo's X. sich geweigert habe, von Tacitus mit fünf neu aufgefundenen Büchern eine Ausgabe für Deutschland zu veranstalten. Hier weiß Hutten nicht, worüber er unwilliger sein soll, über das neidische Verhalten des römischen Hofes zu der Geistesbildung des deutschen Volkes, oder über die stumpfsinnige Geduld eben dieses Volkes, sich so etwas bieten, sich den Druck der Werke eines Schriftstellers, der von unsern Vorfahren so rühmlich gesprochen, untersagen zu lassen. Dieß führt die Unterredner auf so manches Andere, was sich die Deutschen von Rom gefallen lassen; zugleich aber auch auf die Hoffnung, daß, bei den ins Maßlose steigenden Mißbräuchen und Brandschatzungen, die Geduld nächstens reißen dürfte. Diese Hoffnung wird gegründet auf den Geist der Freiheit, welcher da und dort sich zu regen anfange; auf den Unwillen aller Bessern, vornehmlich auch unter den Fürsten, über die römischen Anmaßungen, der sich bei jeder Gelegenheit ausspreche; insbesondere auch auf den neuen Kaiser. Wie immer, so findet sich auch hier Hutten's Zorn dadurch am empfindlichsten gestachelt, daß diese Italiener den Deutschen, deren Gutmüthigkeit sie mißbrauchen, erst keinen Dank wissen, sondern sie dafür nur verachten und verhöhnen.

Doch fangen sie, fährt Hutten fort, selbst zu merken an, daß es mit ihnen zu Ende gehe, da ihnen nicht verborgen bleibe, was gegen sie jetzt allenthalben geredet und selbst geschrieben werde. So sei neulich ein gewisser Vadiscus in diesen Gegenden gewesen, der seine zu Rom gemachten Beobachtungen in einer für jene Nation äußerst beschimpfenden und gehässigen Weise vorgetragen habe. Er habe alles, was er gegen die jetzigen Römer, oder, um seine Ausdrücke zu gebrauchen, gegen die Romanisten und Römlinge auf dem Herzen gehabt, in Triaden gebracht, d. h. in Gruppen von jedesmal drei Stücken zusammengestellt. Hierdurch bestimmt sich nun die Form und erklärt sich der Titel des Gesprächs: indem Hutten die von Vadiscus aufgestellten Triaden aus der Erinnerung mittheilt, auch durch eigene vermehrt, so jedoch, daß die einzelnen gesprächsweise erläutert, bisweilen längere Abschweifungen dazwischen geschoben werden, von denen aber jedesmal wieder zu den Triaden des Vadiscus, als dem eigentlichen Thema, zurückgelenkt wird. Diese Dreiheiten machen sich so, daß z. B. gesagt wird: drei Dinge hat man in Rom im Ueberfluß – drei Dinge sind selten zu Rom – drei Dinge sind in Rom verboten – drei Dinge bringt man aus Rom heim, u. dgl. m. Es ist nicht zu leugnen, daß diese Form etwas epigrammatisch Pikantes, und besonders etwas Volksthümliches und Behältliches hat; wodurch die ungemeine Wirksamkeit und vielfache Verarbeitung gerade dieses Hutten'schen Dialogs bedingt war. Das hat Niemand besser eingesehen als Luther; denn in seiner wenige Monate nachher erschienenen Schrift von der babylonischen Gefangenschaft spricht er gleichfalls von drei Mauern, welche die Romanisten um sich gezogen, von drei Ruthen, die sie uns, um selbst ungestraft zu bleiben, gestohlen haben. Aber der Einverleibung in ein Gespräch widerstrebt diese Form. Die Triaden sind etwas Fertiges; der witzige Kopf, der sie ersonnen hat, und noch mehr der Erzähler, der sie aus dem Gedächtniß wiedergibt, bringt sie gleichsam in der Tasche mit und wirft sie wie Münzen oder Nüsse aus; während im Dialog alles entstehen, ein Wort das andere geben, ein Gedanke sichtbar aus dem andern hervorsprossen soll.

Fragt man, wie Hutten zu einer so widerstrebenden Mischung kam, so darf man sich nur der Frage erinnern, wie er denn zu dem lustigen Tone seiner Dunkelmännerbriefe gekommen sei. In der That ist die Antwort dieselbe: beide male steckt Freund Crotus dahinter. In einem anonymen Gespräch, dessen Verfasser aber vermuthlich Crotus ist, dem »Kampf der Frömmigkeit und des Aberglaubens«, ist von einem römischen Consul Vadiscus die Rede, dessen einziges Geschäft sei, der Menschen Sitten zu beobachten. Hutten's Schriften IV, S. 571. Dieser müßige Menschenbeobachter ist hier wie dort Crotus. Nur kann Hutten nicht, wie es in unserm Gespräche heißt, seine Reden über die römischen Zustände vor Kurzem mündlich von ihm vernommen haben; denn Crotus war, als jener den Vadiscus schrieb, nicht »in der Gegend«, sondern noch abwesend in Italien, und kam erst um die Zeit, als die Gesprächsammlung im Druck erschien, nach Deutschland zurück. Aber er kann seine Dreiheiten dem Freunde schriftlich herausgeschickt haben, und so, ohne Gespräch, sind sie auch wirklich in jenen Jahren verschiedentlich gedruckt worden; einmal freilich so, daß man sieht, sie sind aus dem Gespräch gezogen, ein andermal aber so, wie sie vermuthlich dessen Grundlage gebildet haben. S. bei Böcking, a. a. O. S. 262-268. Vgl. meine Uebersetzung der Hutten'schen Gespräche, S. 95 f. Von hier aus begreifen wir nun auch erst Hutten's Verfahren. Die Dreiheiten seines witzigen Freundes reizten ihn, wie den Musiker eine Melodie reizt, Variationen darüber zu schreiben. Und den Leser reizt es nun, wenn er aus dem reichen dialogischen Geflechte, womit Hutten sie durchschlungen, immer von neuem jene neckischen Triaden hervorspringen sieht. Der logischen Ordnung freilich war eine solche Einrichtung nicht förderlich. Hutten hat dieß selbst gefühlt und durch den Ausruf entschuldigt, den er auf die Frage des Ernhold, in welcher Ordnung er sein Thema zu behandeln gedenke, sich in den Mund legt: »Was Ordnung? als ob in solcher Verkehrtheit Ordnung wäre!« Doch nicht blos in dem Vadiscus, sondern auch in dem Ernhold unseres Gesprächs finden wir einen alten Bekannten. Hutten will ihm seinen Vortrag nur unter der Bedingung halten, daß ihm der Freund die Angelegenheit, in der er seinen Beistand erbeten, fleißig besorgen wolle; worauf Ernhold erwiedert, an Zureden wolle er es nicht fehlen lassen, es komme nur darauf an, ob es ihm gelingen werde, »jene zu überreden«. Diese »Jene« kennen wir aus der Geschichte von Hutten's Brautwerbung; und da wir mit dem Vadiscus im Jahresanfang 1520 und auf frankfurter Boden stehen, so kennen wir auch den Ernhold: es ist kein anderer als Hutten's Freund Arnold Glauberger daselbst, der Vetter der von ihm vergeblich begehrten Kunigunde, mit dem er, wie angeblich mit Ernhold, in Italien zusammen gewesen war.

Nach diesen Vorbemerkungen geben wir erst von den Dreiheiten, welche die Form des Gesprächs bedingen, etliche Proben, dann von den Hauptgedanken desselben eine Uebersicht. Drei Dinge erhalten Rom bei seinen Würden: das Ansehen des Papstes, die Gebeine der Heiligen und der Ablaßkram. Drei Dinge sind ohne Zahl in Rom: gemeine Frauen, Pfaffen und Schreiber. Drei Dinge dagegen sind aus Rom verbannt: Einfalt, Mäßigkeit und Frömmigkeit; oder wie es ein andermal heißt: Armuth, die Verfassung der alten Kirche und Verkündigung der Wahrheit. Drei Dinge begehrt Jedermann zu Rom: kurze Messen, alt Gold und ein wollüstiges Leben. Von dreien hingegen hört man daselbst nicht gern: von einem allgemeinen Concil, von Reformation des geistlichen Standes, und daß die Deutschen anfangen klug zu werden. Mit drei Dingen handeln die Römer: mit Christo, mit geistlichen Lehen und mit Weibern. Mit drei Dingen sind sie zu Rom nicht zu ersättigen: mit Geld für Bischofsmäntel, Papstmonaten und Annaten. Zwei der schreiendsten päpstlichen Anmaßungen, wonach 1), Bisthümer und Abteien ausgenommen, von sämmtlichen geistlichen Stellen in Deutschland alle diejenigen, welche während der sechs ungeraden Monate (Januar, März u. s. f.) erledigt wurden, der Besetzung durch den Papst vorbehalten waren; 2) von jeder geistlichen Stelle, die über 24 Dukaten jährlich ertrug, bei der Besetzung ein Jahresertrag nach Rom bezahlt werden mußte. Drei Dinge macht Rom zunichte: das gute Gewissen, die Andacht und den Eid. Drei Dinge pflegen die Pilger aus Rom zurückzubringen: unreine Gewissen, böse Magen und leere Beutel. Drei Dinge haben bisher Deutschland nicht klug werden lassen: der Stumpfsinn der Fürsten, der Verfall der Wissenschaft und der Aberglaube des Volks. Drei Dinge fürchten sie zu Rom am meisten: daß die Fürsten einig werden, daß dem Volke die Augen aufgehen, und daß ihre Betrügereien an den Tag kommen. Und nur durch drei Dinge wäre Rom zurecht zu bringen: durch der Fürsten Ernst, des Volkes Ungeduld und ein Türkenheer vor seinen Thoren.

Den Inhalt des Gesprächs betreffend, können wir die Beschwerden von den Vorschlägen zur Besserung unterscheiden. Jene sind die schon seit mehr als einem Jahrhundert hergebrachten; nur daß sie von Hutten mit besonderer Schärfe und Andringlichkeit vorgetragen werden. Er weiß vor allem das bedrohliche Vorschreiten, das schamlose Umsichgreifen der römischen Anmaßungen anschaulich zu machen: daß, was ehedem als Gunst erbeten worden, jetzt als Recht gefordert werde; daß Concordate, schon an sich zum Nachtheil der deutschen Nation geschlossen, in der päpstlichen Auslegung und Anwendung noch weit überschritten werden; daß die Besetzung immer mehrerer deutschen Kirchenstellen nach Rom gezogen, die Preise der Bischofsmäntel u. dgl. immer höher gesteigert, immer mehr Mittel und Wege, dem deutschen Volke sein Geld abzulocken, erfunden und eröffnet werden. Unter andern groben Blendwerken wird auch des trierer Rocks gedacht, der vor wenigen Jahren ausgegraben, und von dem Papste, gegen einen Antheil an den Spenden der Pilger, zum Leibrocke Christi gestempelt worden sei. Auch die Uebergriffe in die Rechte der fürstlichen Gewalt werden, mit besonderer Berechnung auf den jungen Karl, in das gehörige Licht gestellt; die angebliche Schenkung Konstantin's ausführlich als Lüge dargethan. Als unwürdig des kaiserlichen Namens wird auch hier jener böhmische Karl IV. hingestellt, der sich von dem Papste Urban von Rom aussperren und aus Italien weisen ließ. Davor wird der fünfte Karl die Kaiserehre zu retten wissen, wird seine Krone nicht von des Papstes Füßen nehmen, noch diese Füße küssen wollen. Erfüllt er diese Erwartung, so wird man ihn für weise halten; die gelehrtesten Männer werden Loblieder auf ihn singen und Bücher zu seinem Ruhme schreiben; man wird ihn als Beschützer der deutschen Freiheit begrüßen, und wo er geht und steht, ihm als dem tapfersten, gerechtesten, hochherzigsten, wahrhaft frommen und christlichen, zujauchzen.

Doch die finanzielle Ausbeutung und politische Bevormundung der deutschen Nation ist noch nicht einmal das Aergste, was dieser von Rom aus widerfährt. Das moralische Verderben ist das größere Uebel, das zu Rom seinen Sitz hat und von dort aus nach Deutschland sich verbreitet. Seit Jahrhunderten hat auf Petri Stuhle kein ächter Nachfolger des Petrus mehr, wohl aber Nachfolger und Nachahmer des Nero und Heliogabalus, gesessen. Der päpstliche Hofstaat ist ein Pfuhl aller Verdorbenheit. Die Legaten, die in unsre Länder kommen, bringen abscheuliche, dieser Nation sonst unbekannte Laster mit. Also nicht nur keine geistlichen Güter, keine Belehrung und Erbauung, erkaufen wir Deutschen uns durch Spendung unsres zeitlichen Gutes an Rom, sondern, was uns hiefür von da zurückkommt, ist nur Verderbniß und Sittenpest. Wir handeln nicht blos klug, wir handeln fromm und gottgefällig, wenn wir unsre Spenden einstellen und damit dem römischen Verderben, das auch auf uns überströmt, seine Nahrung entziehen.

»Sehet da« – in Rom; mit diesen Worten im Munde des Ernhold schließt Hutten seine Darstellung – »sehet da die große Scheune des Erdkreises, in welche zusammengeschleppt wird, was in allen Landen geraubt und genommen worden; in deren Mitte jener unersättliche Kornwurm sitzt, der ungeheure Haufen Frucht verschlingt, umgeben von seinen zahlreichen Mitfressern, die uns zuerst das Blut ausgesogen, dann das Fleisch abgenagt haben, jetzt aber an das Mark gekommen sind, uns die innersten Gebeine zerbrechen und alles, was noch übrig ist, zermalmen. Werden da die Deutschen nicht zu den Waffen greifen? nicht mit Feuer und Schwert anstürmen? Das sind die Plünderer unseres Vaterlandes, die vormals mit Gier, jetzt mit Frechheit und Wuth, die weltherrschende Nation berauben, vom Blut und Schweiße des deutschen Volkes schwelgen, aus den Eingeweiden der Armen ihren Wanst füllen und ihre Wollust nähren. Ihnen geben wir Gold; sie halten auf unsre Kosten Pferde, Hunde, Maulthiere, und (o der Schande!) Lustdirnen und Lustknaben. Mit unserm Gelde pflegen sie ihrer Bosheit, machen sich gute Tage, kleiden sich in Purpur, zäumen ihre Pferde und Maulthiere mit Gold, bauen Paläste von lauter Marmor. Als Pfleger der Frömmigkeit versäumen sie diese nicht allein, was doch schon sündlich genug wäre, sondern verachten sie sogar; ja sie verletzen, beflecken und schänden sie. Und während sie früher durch Schönthun uns köderten und durch Lügen, Dichten und Trügen uns Geld abzulocken wußten, greifen sie jetzt zu Schrecken, Drohung und Gewalt, um uns, wie hungrige Wölfe, zu berauben. Und diese müssen wir noch liebkosen; dürfen sie nicht stechen oder rupfen, ja nicht einmal berühren oder antasten. Wann werden wir einmal klug werden und unsre Schande, den gemeinen Schaden, rächen? Hat uns davon früher die vermeinte Religion und eine fromme Scheu zurückgehalten, so treibt und zwingt uns dazu jetzt die Noth.«

Belehrt, meint Hutten, daß wahre Gottesfurcht und abgöttische Verehrung der päpstlichen Tyrannei sehr verschiedene Dinge seien, solle und werde nächstens das deutsche Volk einhellig den mannhaften Entschluß fassen, dieses Joch abzuwerfen. Dem Körper der Christenheit solle sein bisheriges Haupt, der Papst und seine Curie, nicht abgeschnitten, sondern dieses nur von den ungesunden Säften, die sich in demselben angesammelt, befreit werden; welches einfach dadurch geschehen könne, daß der Krankheit die Nahrung entzogen, d. h. den Geldspenden nach Rom ein Ende gemacht werde. Dann werde der römische Hof sich schon von selbst der vielen Müßiggänger und seiner anstößigen Ueppigkeit entschlagen; aber, was er an Glanz verliere, an wahrer Würde gewinnen. (Ein andermal jedoch wird weiter gegangen und gesagt, jeder Bischof habe so viel Gewalt als der zu Rom, denn Christus sei ein Liebhaber der Gleichheit und ein Feind des Ehrgeizes gewesen.) Auch in den übrigen Ländern werde die Ueberzahl der Geistlichen sich mindern; wenn aber von hunderten nur Einer bleibe, werde es genug sein. Die geistlichen Stellen werde man den besten und gelehrtesten Männern geben, und diese werden, wenn sie wollen, auch heirathen dürfen, um den Anlaß zur Ausschweifung abzuschneiden.

Daß das alles nicht so glatt abgehen, daß Papst und Klerisei mit allen Waffen, geistlichen und weltlichen, sich wehren werden, daß mithin auch ihm, wenn er zu jenen Maßregeln rathe, Gefahr drohe, darüber täuscht sich Hutten nicht. Wohl thust du recht, sagt ihm Ernhold, gegen diese Tyrannei zu sprechen. Aber du wirst dich vor ihren Nachstellungen hüten müssen, damit dir nicht etwas widerfahre, das solchen Muthes nicht würdig wäre. Denn man darf jene Feinde nicht verachten. – Das thue ich auch nicht, erwiedert Hutten; aber ohne Gefahr geschieht keine große und denkwürdige That. – Wohl ist es eine große und herrliche That, entgegnet Ernhold, durch Rathen, Mahnen, Treiben, Zwingen und Drängen das Vaterland zu nöthigen, daß es seine Schmach erkenne und sich ermanne, seine urväterliche Freiheit wieder zu erringen, eine herrliche That ist dieß, wenn es einer durchsetzt. – Wenn er es auch nicht durchsetzt, meint Hutten, so ist schon der Versuch verdienstlich, und vielleicht wirkt das Beispiel, daß auch andere dasselbe wagen, und endlich die Welt in Bewegung komme und Deutschland klug werde. Dieses könnte nach meiner Meinung Christo, könnte der Kirche keinen größern Dienst erzeigen, als wenn es demnächst den ungerechten Erpressungen ein Ende machte und sein Geld hier behielte: möchten dann jene Copisten und Protonotarien zu Rom immerhin verhungern. – Möchtest du die Deutschen dazu bereden! wünscht Ernhold. – Ich will es wenigstens versuchen, versetzt Hutten. – Die Wahrheit zu sagen? fragt jener. – Ich werde sie sagen, ob sie mir auch mit Waffen und dem Tode drohen. – Welche Listen werden sie dagegen ersinnen! – Welche Bundesgenossen werde ich mir zugesellen, welche Schutzwehren aufwerfen! – Dazu gebe Christus seinen Segen! ist Ernhold's Gebet.

Wenn das bisher von uns betrachtete Gespräch, bei aller Wucht seines reformatorischen Inhalts, doch in Betreff seiner künstlerischen Form einigem Bedenken unterlag, so finden wir dagegen in demjenigen, zu dem wir uns nun wenden, beide Seiten im schönsten Gleichgewichte. Es athmet Lucian's Geist (dem auch der Titel, doch eben nur dieser, entlehnt ist) und erhebt sich durch die Wendung am Schlusse zu Aristophanischer Höhe. Es ist das letzte in der Sammlung vom Frühjahr 1520 und heißt Inspicientes, oder in Hutten's späterer Verdeutschung die Anschauenden. Schriften IV, S. 269-308. In meiner Uebersetzung der Hutten'schen Gespräche S. 186-219.

Diese Anschauenden sind der Sonnengott mit seinem Sohn und Wagenlenker Phaethon, die, während ihre Rosse nach erreichter Mittagshöhe sich verschnauben, durch die zertheilten Wolken einen Blick auf die Erde werfen. Ein großes Getümmel, das gerade in Deutschland zu bemerken ist, lenkt ihre Aufmerksamkeit auf dieses Land. Bewaffnete und Unbewaffnete ziehen schneller oder langsamer, alle nach demselben Orte hin, wo man die einen behaglich schmausen, die andern ernstlich rathschlagen, noch andere beides zugleich oder abwechslungsweise treiben sieht. Der Ort ist Augsburg, es ist der Reichtstag von 1518. Dem allschauenden Sonnengotte sind Menschen und Verhältnisse längst bekannt; aber der Sohn wundert sich über manches, das er sieht, und erhält nun vom Vater Auskunft darüber. Zuerst fällt ihm der Widerspruch auf, in welchem mit dem ernsten Zwecke der Versammlung das ungeheure Trinken steht. Der Vater stellt den Widerspruch nicht in Abrede, macht übrigens den Sohn auf einzelne Nüchterne aufmerksam, die sich in der Versammlung finden, dafür aber freilich von der Mehrzahl als Fremdlinge angesehen und verachtet werden. Indessen seien doch ein paar verständige Fürsten ihnen günstig, und auch manche von den Trunkenen fangen an, sie als gelehrte und geschickte Leute gelten zu lassen. Wenn Hutten jene Trunkenen näher als Hofleute, von hohem Wuchse, in gestickten Kleidern, mit gekräuselten Haaren und Ketten um den Hals, die Wassertrinker dagegen als leibarme aber geistreiche, magere aber scharfsinnige Männchen beschreibt; wenn er in Bezug auf die letztern den Sonnengott ausrufen läßt: »Behüten die Götter die großen Kleinen!« so sieht man wohl, daß er dabei an sich und eigene Erlebnisse gedacht hat.

Während dieser Reden wird in den Straßen Augsburgs eine Procession sichtbar: sie gilt dem päpstlichen Legaten Cajetan, der aus seiner Wohnung in die Reichsversammlung geleitet wird, um hier das Begehren das Papstes in Betreff des Türkenkrieges vorzutragen. Der Krieg, erläutert Sol, ist dabei nur Vorwand, das Ganze eine Speculation auf das deutsche Geld, die aber dießmal schwerlich gelingen wird, weil sie schon allzu oft sich wiederholt hat. Die Deutschen sind gewitzigt, die Fürsten machen zum Theil böse Gesichter und der Legat sieht nicht lustig drein. Doch wird der bösartige Schleicher noch allerhand Wege versuchen, um zu seinem Ziele zu gelangen. Wie lange wird er dieses Spiel noch spielen? fragt hier Phaethon. So lange, antwortet der Vater, bis die Deutschen weise werden, welche jetzt noch Rom durch Aberglauben in Bethörung hält. Und ist es nahe daran, fragt jener, daß sie weise werden? Nahe! versichert der Sonnengott; denn dieser da wird der Erste sein, der mit leeren Händen heimkommt, zum großen Schrecken der heiligen Stadt, wo man nicht geglaubt hätte, daß die Barbaren sich solches unterstehen würden. So nämlich, erläutert Sol, nennen sie die Deutschen, wie überhaupt alle Völker außerhalb Italiens; da doch heutzutage, wenn man auf echte Gesittung sieht, die Deutschen das gebildetste Volk, die Römer hingegen die ärgsten Barbaren sind.

Hier fügt sich nun ein Rundgemälde von den Sitten und der Staatsverfassung der Deutschen ein, in welches sich Hutten mit Liebe vertieft, ohne doch dabei die Gesichtspunkte aus dem Auge zu verlieren, welche für sein ganzes schriftstellerisches Wirken die leitenden geworden waren. Nach dem, was der Vater von ihnen sage, könnten ihm die Deutschen schon gefallen, meint Phaethon, wenn sie nur ihr Saufen lassen wollten. Auch dem Vater gefällt dieses nicht, besonders, daß die Fürsten darin mit üblem Beispiel vorangehen; doch glaubt er bereits einige Besserung zu bemerken. Die hartnäckigsten Trinker seien jedenfalls die Sachsen. Sie sitzen beständig hinter den Bechern und vertilgen unbillige Massen Bier; denn tränken sie Wein, so würde der Ertrag des ganzen Deutschlands für ihr Bedürfniß nicht ausreichen. Ihr Appetit bleibt hinter dem Durste nicht zurück, und dem Ueberflusse machen sie ungescheut auf die unfläthigste Weise Luft. Phaethon, wie er sie schmausen sieht, glaubt einem Gastmahle der Centauren und Lapithen zuzusehen. Er meint, die Leute müssen gar keine Vernunft haben. Aber weit gefehlt: der Vater belehrt ihn, daß diese tollen und vollen (Nieder-) Sachsen so klug seien wie andere, ja klüger; denn nirgends sei das Gemeinwesen so wohl regiert, nirgends mehr Sicherheit; von Körper seien sie gesünder und stärker als alle andern Deutschen, und im Kriege tapfer ohne Gleichen. Hutten's Gunst oder Nachsicht sichert ihnen schon das, daß sie, wie Sol berichtet, von Aerzten nichts wissen und von den Rechtsgelehrten nichts wollen. Sie sprechen nach dem Herkommen Recht und befinden sich dabei besser als andere bei geschriebenen Gesetzen. Mich wundert, scherzt hier Phaethon, daß du nicht sagst, sie werden durch ihr Trinken besser. Das sage ich nicht, entgegnet Sol; das aber zeigt der Thatbestand, daß sie vieles besser ausrichten und klüger einrichten als irgend welche Nüchterne. Vielleicht, meint der Sohn, ist ihnen das Trinken schon so zur andern Natur geworden, daß man fürchten muß, wenn sie davon ließen, möchten sie auch von ihrer Biederkeit lassen. Wohl möglich, versetzt der andere.

Doch schon zieht den jungen Betrachter ein anderes deutsches Paradoxon an. Er sieht Männer und Weiber nackt mit einander baden, sich einander küssen und umhalsen, und das alles, versichert der Vater (ja noch mehr, denn sie legen sich auch wohl zusammen schlafen) in Züchten und Ehren. Nirgends sei die weibliche Schamhaftigkeit reiner bewahrt als in Deutschland, wo sie so wenig bewacht sei, nirgends werde die Ehe heiliger gehalten. Die Männer seien nicht eifersüchtig wie in Italien; überhaupt herrsche in allen Dingen Vertrauen, Offenheit und Unbefangenheit. »Wahrlich kein schlimmes Volk!« ruft hier Phaethon aus, und nun wird der rothbackige, harm- und arglose Deutsche mit dem bleichen, neidischen, von Leidenschaften zerfressenen Italiener mit seinem Dolch und Gift in einen sprechenden Contrast gesetzt.

Einmal im Zuge des Wohlgefallens an der deutschen Nation, findet unser Beobachter, nicht ganz mit Recht, auch das hübsch, daß die Deutschen keine gemeine Kasse haben, sondern im Fall eines Kriegs die Kosten erst zusammensteuern; wodurch er auf die politische Verfassung Deutschlands zu sprechen kommt. Von der Liebe der Deutschen zur Unabhängigkeit geht er aus. Ihren Fürsten dienen sie treu, aber in freier Weise, der eine diesem, der andere jenem; insgemein erkennen sie jenen Alten dort (Maximilian ist gemeint) für ihren Herrn, den sie Kaiser nennen; den ehren sie, so lange er nach ihrem Sinne handle, aber fürchten ihn nicht, seien ihm auch nicht sehr gehorsam: daher ihre langen, unergiebigen Berathungen, in denen sie wenig Gemeinsinn zeigen; daher die vielen Streitigkeiten und innerlichen Kriege unter ihnen, und das Schlimmste, daß der Kaiser genöthigt sei, diese zu nähren, um durch gegenseitige Schwächung der Fürsten sich oben zu halten. Eigentümlichkeiten freilich, welche die Deutschen zur Herrschaft über andere Völker ziemlich untüchtig machen. Unter den Fürsten, fährt Sol in seiner statistischen Belehrung fort, seien die einen geborene, die andern erwählte: letzteres die Bischöfe und geistlichen Herren. Und zwar seien diese an Macht wie an Zahl den andern überlegen: mehr als halb Deutschland sei von Pfaffen besessen. Das haben die Nachkommen dem Aberglauben ihrer Vorfahren zu verdanken, welche durch Vergabung ihrer Güter an die Kirche ihren verarmenden Enkeln Herren erkauft haben. Nach den Fürsten kommen die Grafen, und an sie schließe sich der gemeine Adel an.

Hier kommt Hutten auf seinen eigenen Stand zu reden, und da zeigt er ganz den Rittersmann. Unter die seltsamen Erwartungen, die man von großen Geistern zu hegen pflegt, gehört auch die, sie von Hause aus über Standesvorurtheile erhaben zu finden. Im Gegentheil, je stärker in dergleichen Menschen die Natur wirkt, desto stärker ziehen auch solche Bande an. Für sich ist Hutten über diese Befangenheit sein Leben lang nicht hinausgekommen: um so höher müssen wir es ihm anrechnen, daß er, wo es zu handeln galt, das Vorurtheil bei Seite zu setzen wußte, wie wir an seinem Orte finden werden. Hier spricht er seine ritterlichen Zu- und Abneigungen noch mit der naivsten Offenherzigkeit aus. Mit Recht läßt er die kriegerische Tüchtigkeit, mit Recht auch das an dem Ritterstande rühmen, daß derselbe noch einen Rest von urväterlicher Sitte, von altdeutscher Biederkeit bewahre. Daß auf der andern Seite die Ritter durch ihre Fehden und Räubereien vielen beschwerlich fallen, leugnet er nicht. Er sucht es aber zu erklären. Zum Theil thun sie es, sagt er, im Dienste der Fürsten, die sich der Ritter als Stützen ihrer Gewalt bedienen. Zum Theil geschehe es aber auch aus Haß gegen die Kaufleute und die freien Städte. Der Widerwille der Ritter gegen die Kaufleute wird aus ihrer Anhänglichkeit an die vaterländische Sitte, ihrer Abneigung gegen das Fremde hergeleitet. Sie hassen in den Kaufleuten diejenigen, welche mit ausländischen Stoffen und Gewürzen Luxus- und Weichlichkeit in Deutschland einführen. Es wäre kein Schaden, meint der junge Hitzkopf Phaethon, wenn es den Rittern eines Tages gelänge, alle diesen fremden Waaren sammt den Kaufleuten zu vertilgen.

Hutten's Anschauung vom Handel war, alle seine Aeußerungen über denselben zusammengerechnet, staatswirthschaftlich wie culturhistorisch gleich einseitig. Er sah in ersterer Hinsicht nur auf den (damals freilich überwiegenden) Importhandel, der das Geld aus dem Lande zieht; in letzterer nur auf die Vermehrung der Bedürfnisse, die derselbe im Gefolge hat. Wie beides sich wieder in's Gleiche bringt, wie insbesondere der Handel als unschätzbarer Bildungshebel von jeher gewirkt hat, das übersah Hutten, halb aus ritterlichem Vorurtheil, halb aus schulmäßig rhetorischem Stoicismus. Ebenso wenig, und aus ähnlichen Gründen, hat er das Wesen der Städte begriffen. An dieser Stelle gibt er eine höchst spaßhafte Geschichte ihrer Entstehung, in welcher sie lediglich als Erzeugnisse der Verweichlichung, als Schutzwehren für die Feigen und Trägen, die sich nicht mehr im freien Felde wehren mochten, erscheinen. Solche Verderbniß, solchen Abfall von altdeutscher Sitte zu hassen und zu bekämpfen, haben die Ritter, als Vertreter der letztern, alles Recht; da sie aber jenen Entarteten hinter den Wällen und Mauern ihrer Städte nicht beikommen können, so bleibt ihnen nichts Anderes übrig, als, wenn einer ausreist, ihn unterwegs niederzuwerfen und auszuplündern. So bringt Hutten am Ende gar heraus, daß die Städte für solche Befehdung den Rittern noch danken müssen, welche allein ihr völliges Versinken in träge Ueppigkeit verhindern. Begreiflich mußte, wer einen Pirckheimer, einen Peutinger zu Freunden hatte, Ausnahmen unter den Städtebewohnern vorbehalten; wie, wer der öffentlichen Stimme jener Tage nicht allzu grell widersprechen wollte, das ritterliche Raubwesen nicht loben durfte. Allein, indem Hutten es tadelt, nennt er es doch einen »mannhaften Frevel«; jene Stegreifritter verfahren ihm nur zu rauh und gewaltsam: es müßte sich ein gesetzlicher Weg finden lassen, die fremden Waaren auszuschließen, und jenen Schwelgern und Dienern der Schwelgerei die Wahl zwischen einer andern Lebensart oder der Auswanderung zu stellen.

Doch noch schlimmer als die Kaufleute, fährt der belehrende Sol fort, seien die Pfaffen: sie tragen zum gemeinen Nutzen gar nichts bei, sondern wissen nur in Trägheit und Ueppigkeit ihren Leib zu pflegen. In ihnen sei gar nichts von deutscher Art mehr, und es sei eine Schande für die Nation, daß sie aus mißverstandener Frömmigkeit sie noch dulde. Eine gleiche Bewandtniß habe es mit den Mönchen, von deren Beichthören und Absolviren eine komische Beschreibung gegeben wird. Aus alledem wird am Ende der Schluß gezogen, daß dem deutschen Volke eine allgemeine Verbesserung der Sitten Noth thue, die hauptsächlich gegen Pfaffen und Kaufleute sich richten müßte.

Indem die beiden erhabenen Beschauer so reden, bemerken sie, daß aus der Procession dort unten, die sie eine Weile aus den Augen gelassen, einer zornig zu ihnen heraufruft und heraufblickt. Es ist der päpstliche Legat, welcher dem Sonnengotte Vorwürfe macht, daß er nicht, wie jener ihm doch bei seiner Abreise aus Italien befohlen, während seines Aufenthalts in dem kalten Deutschland besser und wärmer scheine. Seit zehn Tagen habe Sol keinen Blick durch die Wolken gethan. Ob er nicht wisse, daß der Papst (und der habe jetzt seine ganze Gewalt auf Cajetan, als seinen Legatus a latere, übertragen) alles, nicht blos auf Erden, sondern auch im Himmel, nach Belieben binden oder lösen könne? Als der Sonnengott erwiedert, davon habe er wohl gehört, es aber nicht geglaubt, nennt ihn der Legat einen schlechten Christen und droht, ihn zu excommuniciren und dem Teufel zu übergeben, wenn er nicht eiligst um Vergebung bitte und dem Copisten des Legaten beichte. – Und wenn er das thue, was dann? fragt der Sonnengott. – Dann werde er ihm, antwortet der Legat, zur Buße entweder ein mehrtägiges Fasten auferlegen, oder eine Arbeit, eine Pilgerfahrt, Almosen, oder auch Ruthenstreiche für seine Sünde. – Als Sol über solchen Wahnwitz sich lustig macht, wird das Pfäfflein drunten ganz wüthend und thut die Sonne in den Bann. Sol besänftigt es durch verstellte Abbitte und bemerkt zu seiner Entschuldigung boshaft, daß er nicht heller geschienen, damit habe er dem Legaten einen Gefallen thun wollen, in der Meinung, dieser habe manches zu betreiben, was die Deutschen nicht sehen sollen, z. B. seine Umtriebe, um Karl's Bestimmung zum Nachfolger seines Großvaters zu verhindern. Aus den Deutschen mache er sich nichts, erwiedert Cajetan; doch möge Sol es ihnen nicht verrathen und mittlerweile in Deutschland Pest erregen, damit viele Pfründen und geistliche Lehen ledig werden, aus denen die neuernannten Cardinäle, worunter er selbst, Geld ziehen können. Auf Sol's Einwendung, daß er dann nicht hell scheinen dürfe, denn zur Pest sei Nebel und trübe Luft erforderlich, zeigt sich alsbald, daß dem Legaten am Gelde doch noch mehr als am Sonnenscheine liegt: und nun hält Hutten's Ebenbild, Phaethon, sich nicht länger. Er schilt ihn einen verruchten Bösewicht, heißt ihn dem Papste sagen, wenn er nicht fortan anständigere Legaten nach Deutschland schicke, werde es zu einer Empörung der Schafe gegen einen so ungerechten und blutdürstigen Hirten kommen, und widmet ihn, als der Legat nun auch über ihn den Bann ausspricht, dem Hohngelächter aller Deutschen, die ihm vielleicht noch etwas Schlimmeres anthun werden. Sol aber, mit Verachtung gegen den Elenden, welchem Phaethon noch eine Verwünschung hinunterruft, heißt diesen den Wagen weiter lenken.

In demselben Frühjahr mit den Gesprächen, die wir in diesem und dem vorigen Kapitel betrachtet haben, gab Hutten eine ältere von ihm aufgefundene Schrift, wie früher die von Lorenz Valla über die Schenkung Konstantin's, mit einer geharnischten Vorrede heraus. In Fulda, aus dessen Domstift er einst als junger Mensch entlaufen war, und wo nun, nach dem Rücktritt Hartmann's von Kirchberg, der Neffe seines ehemaligen Vorgesetzten, Graf Johann von Henneberg, als Abt regierte, hielt sich jetzt Hutten, aus Gelegenheit seiner Besuche auf der väterlichen Burg, bisweilen auf. Was ihn anzog, war hauptsächlich die uralte Bibliothek, die einen schätzbaren Vorrath von Handschriften besaß. Hier fand Hutten einen Plinius, Solin, Quintilian, Marcellus medicus, die er in Abschriften seiner Bibliothek einverleibte. In Fulda war im Jahre 1519, als Hutten eben des mainzischen Hofdienstes entbunden war, Joachim Camerarius mehrere Tage in vertraulichem Verkehr mit ihm zusammen. Vielleicht war es dazumal, daß Hutten, wie er am 26. October desselben Jahres von Steckelberg aus an Eoban berichtete, beim Stöbern unter alten Büchern, von Staub und Moder bedeckt, einen Band ohne Titel und Schluß, in sehr alterthümlichen Schriftzügen, fand, in welchem er bald eine Schrift aus den Zeiten Heinrich's IV., zu dessen Gunsten und wider Gregor VII. verfaßt, erkannte. »Du wirst«, schrieb er darüber an den Freund, »einen Schriftsteller kennen lernen (denn ich gedenke das Buch herauszugeben), wie du ihn in jenen Zeiten nicht gesucht hättest. Scharf bestreitet er der Päpste Tyrannei und kämpft muthig für die deutsche Freiheit. Ich kenne nichts Freimüthigeres, nichts Feineres in dieser Art, so schlägt es, so zermalmt und erwürgt es die Betrüger. Ich habe es der Mühe werth gehalten, eine Vorrede dazu zu schreiben, welche in Verbindung damit erscheinen wird. Mache von diesem schönen Funde den Freunden in deiner Nähe Mittheilung, um ihre Erwartung zu erregen; denn ich glaube nicht, daß es schon Jemand gesehen hat, und thue mir viel darauf zu Gute, etwas so Vortreffliches und Nothwendiges in dieser Zeit zuerst ans Licht zu bringen.« An Eoban, Schriften I, S. 313 f.

Die Schrift ist, wie sich aus ihrem Inhalt ergibt, um das Jahr 1093, als Gregor VII. schon todt war, aber die durch ihn verursachten kirchlichen und politischen Wirren noch fortdauerten, für Heinrich IV. und dessen Papst Clemens III. geschrieben und hat, wie spätere Forschungen ergeben haben, den Bischof Walram von Naumburg zum Verfasser. Die Lobsprüche, die Hutten ihr ertheilt, verdient sie in der That. Sie stellt sich auf den Boden des geistlichen Primats der römischen Kirche, weist aber nur um so entschiedener die päpstlichen Uebergriffe in das Gebiet der weltlichen Gewalt zurück. Könige zu machen oder abzusetzen ist nicht der Päpste Amt; das Binden und Lösen, wozu Christus dem Petrus die Vollmacht gab, bezieht sich nur auf die Sünden, nicht auf den Eid der Treue, den Völker und Fürsten ihrem Oberherrn geschworen haben. Dem Nachfolger Petri gebührt es, Frieden und Einigkeit zu stiften, nicht Streit und Spaltung: sein Schwert ist nur ein geistliches, kein Kriegerschwert. Diese und ähnliche Ideen werden klar und bündig, mit Schärfe gegen Gregor, und doch im Geiste apostolischer Milde vorgetragen.

Bei einer Schrift, die zur Vertheidigung des deutschen Königthums gegen päpstliche Uebergriffe geschrieben war, lag es nahe, an den neugewählten König Karl zu denken. Es konnte nichts schaden, ihn in diesen Spiegel blicken zu lassen, um ihn im Beginne seiner Regierung schon mit dem vollen Bewußtsein seiner Stellung gegen Rom, der Nothwendigkeit eines festen Auftretens gegen dasselbe, zu durchdringen. Doch Karl war noch in Spanien. Dagegen war sein Bruder Ferdinand in den Niederlanden angekommen, und es schien zweckmäßig, einstweilen diesen zu gewinnen, um nachher durch ihn auf den Bruder wirken zu können. Auch Sickingen hatte es damals besonders auf Ferdinand abgesehen. Hutten an Melanchthon, Mainz, 20. Januar 1520. Schriften I, S. 321. Diesem widmete daher Hutten die gefundene Schrift, die im März 1520 zu Mainz herauskam. De unitate ecclesiæ conservanda, et schismate, quod fuit inter Henrichum IV. Imp. et Gregorium VII. P. M. etc. Voran steht: Ulrichi Hutteni eq. ad Ill. principem Ferdinandum Austriae Archid. etc. in sequentem librum præfatio. Diese in Hutten's Schriften I, S. 325-334.

Dem neuen Regenten Karl, führt Hutten in seiner Zueignung aus, sei jeder verpflichtet, nach Kräften die besten Rathschläge zu geben. Während andere ihn in andern Beziehungen berathen, halte er, Hutten, es für seinen Beruf, ihn aufs dringendste aufzufordern, daß er die deutsche Nation nicht länger der schimpflichen Tyrannei des Papstes preisgegeben sein lasse. Sie abzuwehren, sei nothwendiger als den Türken zu bekämpfen. Diese Wahrheit, diese Nothwendigkeit anschaulich zu machen, werde er alles Mögliche thun, ohne Furcht vor Gefahr und mit dem Bewußtsein, sich dadurch ein Verdienst zu erwerben. Darum habe ihn auch der unerwartete Fund dieses Buchs so erfreut, da es ganz in die Zeit und seine Absichten passe. Wäre damals Karl zur Stelle gewesen, so würde er in seiner Freude zu ihm gelaufen sein, in der Ueberzeugung, daß derselbe seine Gabe zu schätzen gewußt und vielleicht auch in dem Geber etwas für ihn, den König, Dienliches gefunden hätte. Einen größern Dienst könne ja beiden jungen Fürsten Niemand erweisen, als wer sie nicht länger Knechte sein lasse. Knechte der römischen Bischöfe aber seien alle diejenigen deutschen Kaiser gewesen, welche sich die Demüthigungen bei der Krönung, die Eingriffe in die Regierung, die Plünderung Deutschlands, wie sie seit langem herkömmlich geworden, haben gefallen lassen. Anders Heinrich IV. Ihn, wie diese Schrift ihn wahrheitgemäß, gegen ultramontane Verläumdungen, darstelle, möge Karl sich zum Vorbilde nehmen, und Ferdinand den Bruder dazu ermuntern. Hutten ohnehin werde ihnen als fleißiger Mahner zur Seite stehen, ohne sich durch Drohungen schrecken zu lassen. Von Leo X. (dem sofort ähnliche Complimente wie in der Vorrede zu Lorenz Valla's Schrift, doch schon viel zweideutiger, gemacht werden) versehe er sich keines Uebeln. Auch könnten ja die römischen Bischöfe nichts Klügeres thun, als einer Gewalt und Stellung, die sie allgemein verhaßt mache, sie menschlicher Rache und göttlicher Strafe aussetze, freiwillig zu entsagen. Von dem Erpressungs- und Bevortheilungssystem, welches die Päpste gegen Deutschland in Anwendung bringen, wird hierauf eine summarische Schilderung entworfen und dabei als das Schmählichste das gefunden, »daß, während unsere Vorfahren es für unwürdig hielten, den Römern, die damals das kriegsgewaltigste Volk waren und die Welt bezwungen hatten, zu gehorchen, wir nun diese Weichlinge, Sklaven der Wollust und Völlerei, ein faules, weibisches, muth- und markloses Gesindel, nicht blos dulden, sondern auch, um ihnen ihr Wohlleben möglich zu machen, selbst schmählich darben, ihnen, gleich als hätten sie uns im Krieg überwunden, Tribut bezahlen und unsre Erbgüter an sie verschwenden.« Dem sollen die beiden erlauchten Brüder ein Ende machen, sie sollen ihr Regiment damit eröffnen, daß sie den Deutschen die Freiheit wiedergeben, und jenen ihr Rauben, Plündern und Trügen legen. Dazu mitzuwirken, komme dieses Büchlein gerade recht, indem es zeige, daß auch schon früher unter weit ungünstigern Umständen das Gleiche gewagt worden sei.

Schon in den vorhin betrachteten Gesprächen waren von Hutten zuweilen, besonders wenn es darauf ankam, die Entartung der römischen Kirche anschaulich zu machen, biblische Stellen angeführt worden. Doch hatte er sich ebenso oft noch, wie früher, classischer Stellen, vornehmlich aus römischen Dichtern, bedient. Dieß, was seinem Bildungsgange entsprach, gibt er nun zwar auch ferner nicht auf. Doch im gleichen Verhältniß, wie er von dem humanistischen Boden nach und nach auf den kirchlich-reformatorischen hinüberrückt, fangen auch die Bibelsprüche die classischen Reminiscenzen zu überwiegen an. Zum erstenmale fällt diese Manier in der Vorrede auf, die wir so eben besprochen haben. Sie fällt auf, weil sie dießmal weder von der Sache, noch von den Personen, mit denen Hutten es zu thun hatte, gefordert, ja für die letztern kaum geeignet war. Auf die beiden jungen Fürsten, die er für seine Idee einer Emancipation von Rom gewinnen wollte, war sicher durch politische Gründe mehr Eindruck zu machen, als durch die Stellen aus Jesaias und Ezechiel, Matthäus und Johannes, mit denen er seine Rede verzierte. Da er an der alten Schrift, die er bevorwortet, unter anderm rühmt, wie geschickt sie aus dem Evangelium und den Worten Christi zusammengefügt sei, so kann es scheinen, daß sie zunächst ihn zur Nachahmung veranlaßt habe. Doch behielt er diese Art fortan bei und bildete sie weiter aus. Darin bestärkte ihn Luther's Vorgang. Und wie er nun vom nächsten Jahr an sich an die Verdeutschung seiner lateinischen und an Abfassung von deutschen Schriften begab, so war allerdings in denjenigen Kreisen, für welche er jetzt schrieb, diese Manier die wirksamste. Daß sie Hutten und seinen Werken gut zu Gesichte stünde, können wir nicht sagen. Dem alten Bischof, dessen Schrift er darum lobt, steht sie ganz wohl. Luther'n auch. Denn deren ganze Denkart ist aus Fäden gesponnen, die aus Bibel und Kirche gezogen sind. Da ist es also ganz natürlich, daß die von theologischem Geiste durchdrungene Betrachtung sich von Zeit zu Zeit in biblische Schlagworte zusammenfaßt. Das ist bei Hutten ganz anders. Seine Bildung ist eine durchaus weltliche, theils humanistisch, theils politisch. Selbst das Kirchliche und Religiöse betrachtet und behandelt er aus diesem Gesichtspunkte. Dazu passen nun die Bibelsprüche nicht, die einer ganz andern Weltanschauung entstammen. So geschickt sie im Einzelnen eingefügt sind, so bleiben sie doch dem Ganzen fremd. Sie stören, statt zu fördern. Man glaubt stellenweise Hutten in Kutte und Kapuze sich vermummen zu sehen, den doch nur Harnisch und Lorbeer kleideten. Daß er dabei für seine lateinischen Schriften an die Vulgata, für die deutschen an vorlutherische Bibelübersetzungen gewiesen war Luther's Bibelübersetzung fing erst zu erscheinen an, wie Hutten's schriftstellerische Laufbahn nahezu geschlossen war; das N. T. erschien im Sept. 1522; vom Alten 1523 die Bücher Mosis., in denen viele, besonders alttestamentliche Stellen gar nicht zu verstehen sind, war noch ein besondrer Uebelstand.

Um die Zeit, als die zuletzt von uns betrachteten Schriften erschienen, vermutheten Hutten's frankfurter Bekannte, von denen er zu Anfang Februars in der Richtung nach Steckelberg sich getrennt hatte, ihn in Bamberg bei Crotus Rubianus, der vor kurzem aus Italien zurückgekommen war. Beide Freunde hatten sich zuletzt im Juni 1517, wie es scheint in Venedig, gesehen; im August des folgenden Jahres war Crotus mit seinen Zöglingen in Bologna, wohin ihn Hutten an Julius von Pflugk empfahl; dorthin oder nach Rom waren auch die Grüße gerichtet, welche Hutten Ende Mai 1519 dem Chilianus Salensis brieflich an ihn nach Italien auftrug; denn in jenem Sommer besuchte Crotus Rom; im Frühling des Jahres 1520 kehrte er nach Deutschland heim, und kam über Nürnberg, wo er bei Pirckheimer einsprach, nach Bamberg, wo Andreas und Jakob Fuchs, die Verwandten seiner Zöglinge, als Domherren lebten. Obige Angaben beruhen auf den Briefen von Cochläus an Pirckheimer, Frankf., 5. April 1520, in Hutten's Schriften I, 335; von Hutten an Pflugk, Augsburg, 24. Aug. 1518, a. a. O. S. 187, an Chilianus Salensis, Eßlingen, Ende Mai 1519, a. a. O. S. 267, an Fried. Fischer, bei Eßlingen, 21. Mai 1519, a. a. O. S. 273; von Crotus an Luther, s. die nächste Anmerkung.

Auch für Crotus, wie früher für Hutten, gewann diese italienische Reise, insbesondre der Aufenthalt in Rom, eine tiefgreifende Bedeutung. Der Feind, den er bis daher bekämpft hatte, war die Scholastik mit ihrer Unwissenheit und Unbildung gewesen. Da war die Waffe des Lächerlichen, in deren Führung es ihm von den Mitstrebenden keiner zuvorthat, ganz an ihrer Stelle. Nun kam er an den Sitz des Kirchenregiments, dessen Stütze jene Scholastik war, und von dem sie hinwiederum gehalten wurde. Was er hier sah, ging auch dem »alles belachenden Crotus« über den Spaß. »Neulich war ich in Rom«, schrieb er aus Bologna an Luther. »Ich sah die Denkmale der Alten, sah den Stuhl der Pestilenz. Daß ich's gesehen, ist mir lieb und ist mir leid.« Die drei denkwürdigen Briefe von Crotus an Luther, aus Bologna vom 16. October 1519, ebendaher ohne Datum, aber etwas später, und aus Bamberg vom 28. April 1520, sind abgedruckt in Hutten's Schriften I, S. 307-312. 337-341. Die moralische Versunkenheit, der Mangel jedes ernsten religiösen Sinnes, gingen über seine Erwartung. Und solches Verderben nähren wir mit unserm Gelde! Man muß den Deutschen die Augen öffnen, muß schreien und schreiben »gegen die schädlichen Sitten, die Rom uns herausschickt«. Dazu bedurfte es aber eines andern Tons, einer andern Kampfweise als gegen die Scholastik. Nun waren dem Crotus eben erst in Italien durch seinen Freund Jakob Fuchs, der nach ihm dahin pilgerte, die ersten Nachrichten von Luther's Auftreten zugekommen. So lang er in Deutschland war, hatte man »von diesem punischen Kriege« noch nichts gehört. Das Erste was ihm von Schriften in der Sache in die Hände kam, war der Dialog des Silvester Prierias gegen Luther. Das war derselbe Dunkelmann, der schon gegen Reuchlin gewirkt hatte, ihn also an seine alten Kämpfe erinnerte. Ueberhaupt waren es auch jetzt wie damals hauptsächlich wieder die Dominicaner, die sich dem neuen Lichte entgegenstellten. Dann las er Luther's Bericht über seine Verhandlungen mit dem Cardinal Cajetan in Augsburg. Nein, war das wirklich sein ehemaliger Studiengenosse von Erfurt her? der sinnige Musicus und Philosoph, der ihm dann hinter der Pforte des Augustinerklosters verschwunden war? Ja, er hatte ihn gekannt, diesen Martin, und doch nicht gekannt; jetzt erst gingen ihm über den alten Bekannten die rechten Lichter auf. Jetzt sah er in ihm den Mann, wie die Zeit, wie die Christenheit und Deutschland ihn bedurften; jetzt hielt er ihn als den ersten, der es gewagt, das Volk des Herrn vom schädlichen Wahne loszumachen, des Namens Vater des Vaterlands, einer goldnen Bildsäule und jährlicher Feste werth. Und nun erinnerte er sich auch wieder des besondern Umstandes, der Luther's Eintritt in das Kloster zunächst veranlaßt hatte: der Blitzstrahl der den von seinen Eltern zurückkommenden vor der Stadt Erfurt zu Boden warf, bezeichnete ihn als andern Paulus, freilich erst für ein viel späteres Verständniß.

Mit diesen Gesinnungen, die er dem fern und unbeachtet von ihm zum großen Manne emporgewachsenen Jugendbekannten in mehreren Briefen auszudrücken sich gedrungen gefühlt, fand nun der heimgekehrte Crotus den Herzensfreund Hutten wieder. Er hatte ihm aus Rom eine Schrift des Nicolaus von Clemangis aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts über den verdorbenen Stand der Kirche mit einer Zueignung unter erdichteten Namen zugeschickt Die Zuschrift: Eubulus Cordatus Montesino suo, vor der damals wieder herausgegebenen Schrift des Clemangis De corrupto ecclesiæ statu, wird mit Wahrscheinlichkeit dem Crotus beigelegt. S. Hutten's Schriften I, S. 277 f., andrerseits von ihm Zusendungen erhalten, die eine ähnliche Wendung in den Bestrebungen des Freundes beurkundeten. Jetzt war er kaum einige Tage in Bamberg bei den Gebrüdern Fuchs, als er durch Hutten's Ankunft überrascht wurde. Es war nichts zwischen den Freunden verabredet, sondern Christus, meinte er, habe sie so zusammengeführt, der ja keines Opfers sich so sehr erfreue, als der wechselseitigen Liebe der Menschen. In ihre Osterfeier fielen, von Erasmus an Hutten geschickt, die verdammenden Sprüche der löwener und kölner Theologen gegen Luther hinein, die den Freunden reiche Veranlassung zum Lachen wie zum Zürnen boten. Fortan schienen beide, wie einst für Reuchlin und den Humanismus, so nun für Luther und die Reformation verbunden.

Bald nach dieser Zusammenkunft mit Crotus zu Bamberg finden wir Hutten wieder an und auf dem Rhein. Im Mai fuhr er den Strom hinunter, und hatte da zu Boppard eine Freude, wie sie zwei Jahre vorher Erasmus ebendaselbst gehabt hatte. Auf der Reise von Basel nach Löwen begriffen, war der letztere an jener trierschen Zollstätte ausgestiegen, und ging, während das Schiff durchsucht wurde, mit seiner Gesellschaft am Ufer auf und ab. Da erkannte ihn einer und sagte dem Zollbeamten Eschenfelder: das ist Erasmus. Der Freude des wackern Mannes glich nur die Ueberraschung des Erasmus, an der Zollbank einen so warmen Verehrer zu finden. Er mußte mit ihm in sein Haus kommen, Frau, Kinder, Freunde und Bekannte wurden zusammengerufen. Auf dem Schreibtisch des Mannes, zwischen Zollregistern, fand Erasmus seine Schriften liegen. Die Ungeduld der Schiffer beschwichtigte Eschenfelder durch wiederholte Weinsendungen, verbunden mit dem Versprechen, ihnen auf der Rückfahrt den Zoll nachlassen zu wollen, da sie ihm einen solchen Mann zugeführt hätten. Wie jetzt Hutten nach Boppard kam, fand er bei Cinicampianus, wie Erasmus unterdessen den humanistischen Zöllner latinisirt hatte, eine ähnliche Aufnahme. Er mußte sein Gast sein, sein Haus, seine Bücher sehen, und unter diesen fand Hutten eine alte Handschrift, die ihn beim Blättern und Lesen immer mehr anzog. Wie das sein Wirth bemerkte, machte er ihm mit derselben ein Geschenk, und Hutten fand die Schrift, wenn auch der kürzlich zu Fulda gefundenen an Werth nicht gleich, doch in das, was ihm jetzt einzig am Herzen lag, so einschlagend, daß er sie herauszugeben beschloß.

Es war eine Sammlung von Sendschreiben aus dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts, der Zeit der großen Kirchenspaltung zwischen den römischen und avignonschen Päpsten: gegenseitige Zuschriften der oxforder, prager und pariser Universität; dieser drei Universitäten an den Papst Urban VI. und den König Wenzel; ein Ausschreiben des letztern an alle christlichen Nationen, und endlich eine Mahnung an die Deutschen, klug zu werden. Dieser Sammlung setzte Hutten eine »unter dem Reiten« verfaßte Zueignung an alle Freien in Deutschland vor De schismate extinguendo et vere Ecclesiastica libertate adserenda epistolæ aliquot etc. Voran steht: Hulderichus de Hutten liberis in Germania omnibus Salutem. Datirt Inter equitandum. 6 Cal. Junii (27. Mai) Anno 1520. Vive libertas. Jacta est alea. Schriften I, S. 349-352., in welcher er diesen über seine bisherige Thätigkeit gleichsam Rechenschaft ablegt. »Noch bin ich nicht lässig gewesen«, sagt er, »von dem Tage an, da ich die schon lange gebundene und beinahe erstickte Freiheit dieser Nation, so viel an mir ist, zu lösen und wiederherzustellen unternommen habe; bald suche und erforsche ich, was irgendwo von Alterthümern verborgen liegt, das meinem Vorhaben dienen möchte; bald schreibe ich und lasse ausgehen, was der des Wahren sich bewußte Sinn nicht länger im Verborgenen lassen mag.« Nun erzählt er, wie er zu der vorliegenden Schrift gekommen sei, und fährt dann fort: »Da habt ihr also das Gastgeschenk des Freundes, ihr freien Männer! Denn was kann Hutten erfreuen, das er allein genießen, und nicht sogleich allen Guten mittheilen möchte? oder was mag zur Förderung des gemeinen Nutzens in Deutschland dienlich sein, das er im Verborgenen lassen dürfte?«

Die freisinnigen Erlasse der drei Universitäten aus früherer Zeit mußten ihm zur Beschämung der kölner und löwener Hochschulen dienen, die im August und November des vorigen Jahres Luther's zu Basel erschienene kleinere Schriften öffentlich verdammt hatten. »Die alten Theologen«, sagt nun Hutten – und dieß könnte mit den Abänderungen, die im Unterschiede der Zeiten liegen, heute wieder ebenso geschrieben werden – »ließen sich durch das Gewissen leiten: heute sind es lauter Schmeichler und Wohldiener, die, wenn sie einmal ihr Amt thun wollen, entweder über leere Possen Aufhebens machen, oder, den Mächtigen zu Gefallen, ehrliche Leute in Haß, Gefahr, bisweilen selbst ins Verderben stürzen. Was läßt sich auch Unwürdigeres denken, als die leichtfertige, muthwillige und bösartige Behandlung, welche den Schriften rechtschaffener Männer schon mehr als einmal von solchen widerfahren ist, die nicht aus Irrthum, sondern aus Neid und Bosheit dasjenige verdammten, was sie, wenn man ihr Gewissen befragen wollte, die Ersten sein müßten, zu behaupten und zu billigen? Dabei gebärden sie sich als Helden, wenn sie zu Gunsten des römischen Bischofs oder seiner Legaten die Stacheln ihres Urtheils gegen diejenigen kehren, welche bestrebt sind, mit dem Zeugniß evangelischer Wahrheit den Aberglauben aus den Gemüthern der Gläubigen auszureuten und die wahre Religion von jeder Schminke zu befreien. Hingegen wider die schädlichen Curtisanen, die abscheulichen Simonisten und die gottlosen Ablaßkrämer entweder vor dem Volke zu predigen, oder eine Schrift herauszugeben, oder im Rathe sich freimüthig vernehmen zu lassen, hat bis jetzt noch keiner von jenen Theologen den Muth gehabt.«

»Doch«, schließt Hutten, »so viel ich sehe, wird ihre Tyrannei die längste Zeit gedauert haben, und wenn mich nicht alles trügt, bald vernichtet werden. Denn gelegt ist bereits, ja gelegt ist an der Bäume Wurzel die Axt, und ausgerottet wird jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, und des Herrn Weinberg gereinigt werden. Das sollet ihr nicht mehr hoffen, sondern nächstens mit Augen sehen. Inzwischen seid guten Muthes, ihr deutschen Männer, und muntert euch wechselseitig auf. Nicht unerfahren, nicht schwach, sind eure Führer zur Wiedergewinnung der Freiheit. Beweiset nur ihr euch unerschrocken und erlieget nicht mitten im Kampfe. Denn durchgebrochen muß endlich werden, durchgebrochen; besonders mit solchen Kräften, so gutem Gewissen, so günstigen Gelegenheiten, einer so gerechten Sache, und da das Wüthen dieser Tyrannei aufs Höchste gestiegen ist. Das thut und gehabt euch wohl. Es lebe die Freiheit! Ich hab's gewagt!«

Auf dieses Sendschreiben und die darin angenommene Haltung bezieht es sich ohne Zweifel, was Hutten an seinen Freund, den frankfurter Bürgermeister Philipp von Fürstenberg, schrieb: »Meinen Brief wider die Theologisten hast du. Gesprengt hab' ich nun alle Schranken der Geduld, und will hervortreten ganz wie ich bin.« Schriften I, S. 355.

Ehe Hutten in Verfolgung dieser Entwürfe weiter ging, erwies er gelegentlich noch dem Erasmus einen literarischen Ritterdienst. Ein englischer Theolog, der sich zu Löwen aufhielt, mit Namen Eduard Lee, nicht leer an Kenntnissen, doch noch voller von Einbildung, und von jener schlechtesten Art von Ruhmsucht getrieben, die sich durch Herunterreißen anerkannter Größen zu heben trachtet, hatte über die Erasmische Ausgabe des Neuen Testaments Anmerkungen geschrieben, in denen er an der Arbeit des Meisters mehrere hundert Fehler nachgewiesen zu haben glaubte. Waren auch unter seinen Einwürfen manche nicht ohne Grund, so hatte er sie doch in einem so verletzenden Tone vorgetragen, daß unter den Verehrern des Erasmus, in Deutschland vornehmlich, nur Eine Bewegung des Unwillens war. Erasmus selbst schrieb eine Apologie wider Lee, von welcher Pirckheimer urtheilte, er hätte entweder schweigen, oder vernichtender antworten müssen: und nun erließ Hutten einen ordentlichen Fehdebrief an denselben. Er bezeichnet ihn als einen Herostrat, als einen Undankbaren, welcher dem Manne, von dem auch er, wie alle Zeitgenossen, gelernt habe, mit Schmähungen lohne; an seiner Wuth werden die trefflichen englischen Gelehrten, die Tunstall, Morus, Linacer u. s. f., am meisten Mißfallen haben; die Deutschen aber werden sie nicht mit ihren Degen, wie er zu fürchten vorgebe, sondern mit der Feder zu ahnden wissen. Ehe nun aber er, Hutten, ihn wirklich angreife, fordere er ihn zuvor auf, erstlich, seine Schmähungen gegen Erasmus öffentlich zu widerrufen, und zweitens, diesen um Verzeihung zu bitten: das sei der einzige Weg, wie er der Züchtigung, die Hutten an ihm zu vollstrecken gedenke, entgehen könne. Inzwischen erkläre er sein Geschreibe für Lügen, ihn selbst für einen Schelm, und werde ihn, wenn er die verlangte Genugthuung nicht leiste, auch der Nachwelt als solchen darstellen. U. Huttenus eq. Eduardo Leo, Anglo, resipiscere. Ex Moguntia (20. Mai). Schriften I, S. 346-348. Unserm Ritter selbst fehlte hiezu später Zeit und Lust; aber in dem bald darauf aus seinem Kreise hervorgegangenen Dialog: Hogstratus ovans, ist Lee (welcher in der Wirklichkeit zuletzt bis zur Würde eines Erzbischofs von York aufstieg) als Hund verewigt. Hogstratus ovans, dial. etc. Interlocutores: Hogstratus … Ed. Leus, canis ex homine factus. Hutteni Opp. Supplem. I, S. 461 bis 488.

Bereits fingen die zuletzt von Hutten herausgegebenen Schriften Rumor zu machen an. Neben dem Beifall auf der einen Seite zeigte sich Erbitterung auf der andern; die Gönner warnten, die Widersacher drohten; Erasmus ermahnte den jungen Freund, die Freiheit seiner Feder zu bändigen, um die Gunst seines Fürsten nicht zu verscherzen; Andere sprachen von Bann und Gefängniß, von Gift und Dolch, die ihm bevorstünden. Huttenus Omnibus omnis ordinis ac Status in Germania etc. Schriften I, S. 407. Erasm. Spongia, in Hutten's Schriften II, S. 318. Schon im vorigen Jahre hatte Eck, wie Hutten durch Crotus wußte, in einem nach Rom geschriebenen Briefe ihn denuncirt: und nun war Eck selbst nach Rom gereist. An das alles kehrte sich Hutten vorerst nicht, sondern faßte im Gegentheil den Entschluß, seine Ansichten und Bestrebungen an höchster Stelle persönlich geltend zu machen.


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