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1517. 1518.
Wir haben oben den Faden von Hutten's Lebensgeschichte da abgerissen, wo er gegen Ende Juni 1517 die Rückreise von Bologna nach Deutschland antrat. Er reiste in Gesellschaft des rechtsgelehrten Ritters Georg von Streitberg, und vor der Mitte des Juli finden wir ihn in Augsburg, wo der gelehrte Patricier, Konrad Peutinger, ihn gastfreundlich in sein Haus aufnahm. Eben befand sich Kaiser Maximilian in Augsburg, und diese Gelegenheit wollte Peutinger, in Verbindung mit dem Secretär des Kaisers, Jakob Spiegel, und dem kaiserlichen Historiographen und Mathematicus, Johann Stab, welche die Humanistenpartei zu den Ihrigen rechnen durfte, benützen, um für Hutten etwas beim Kaiser auszuwirken. Um diesem sich bekannt zu machen, sollte Hutten seine italienischen Epigramme, von denen bis jetzt nur einzelne (mit der Epistel Italiens und Eoban's Antwort) gedruckt waren, andere nach dem ersten Entwurf in fehlerhaften Abschriften umliefen, mit einer Zueignung an den Kaiser herausgeben. Er ging auf den Gedanken ein, sah die Gedichte durch und schrieb die Zueignung: aber sie erschienen erst im folgenden Jahre in der größern Sammlung, welche an erster Stelle einen verbesserten Abdruck des Aufmahnungsgedichts gegen Venedig enthielt. Hoc in volumine hœc continentur. Ulrichi de Hutten eq. Ad Cæsarem Maximilianum ut bellum in Venetos coeptum prosequatur Exhortatorium. Eiusdem ad Cæs. Maximil. Epigram. liber I. etc. etc. Die Zueignung der Epigramme an den Kaiser s. Schriften I, S. 234 f. Die des Aufmahnungsgedichts ebendas., S. 233 f.
Mittlerweile brachte Peutinger in einer glänzenden Versammlung beim Kaiser die Rede auf Hutten, schilderte seine Studien, seine mühseligen Reisen, vergaß das zu des Kaisers Ehren von dem Ritter bestandene Franzosenabenteuer nicht, und brachte allerlei Titel und Privilegien in Vorschlag, mit denen ein so ausgezeichneter junger Adelicher zu zieren wäre. Maximilian beschloß, ihn feierlich zum Dichter zu krönen. Zierlich flocht die schöne und tugendhafte Constanze, Peutinger's Tochter, daheim für Hutten den Lorbeerkranz. Sie war die jüngere Schwester jener früh reifen, aber auch früh verstorbenen Juliana, welche vor 13 Jahren als 4jähriges Kind den Kaiser Max bei seinem Einzug in die Stadt mit einer lateinischen Anrede empfangen hatte. In glänzendem Geleite führte Peutinger am 12. Juli den Gast dem Kaiser zu, der ihm in Gegenwart seines Hofstaates den Kranz auf das Haupt setzte, mit welchem sich Hutten von da an so gerne abbilden ließ. Hutten an Peutinger, Schriften I, S. 173.
Von bewährten Männern, heißt es in der darüber ausgestellten Urkunde, sei dem Kaiser Ulrich von Hutten, der Sprößling eines edeln Rittergeschlechts, als ein junger Mann empfohlen, der aus Liebe zu den Wissenschaften die Heimath verlassen, einen großen Theil von Europa durchwandert, dabei viel Ungemach erduldet, auch Lebensgefahren bestanden, hiedurch aber es nunmehr dahin gebracht habe, daß seine Schriften in aller Händen seien, die gelehrtesten Männer in Italien und Deutschland sich seine Freunde nennen und in öffentlichem Drucke für seine seltenen Vorzüge Zeugniß ablegen. Weil er so zu dem angeborenen Adel des Geschlechts den durch die besten Studien erworbenen hinzugefügt, habe auch der Kaiser ihn werth geachtet, durch ein Merkmal seines Beifalls ihn auszuzeichnen. So ertheile er ihm denn aus eigenem Antriebe, nach gewisser Kundschaft, mit kaiserlicher Machtvollkommenheit den Lorbeerkranz und den goldenen Ring, ernenne ihn zum Dichter und Redner, mit dem Rechte, an allen Schulen, insbesondere an Hochschulen, in den Fächern der Dicht- und Redekunst zu lehren, überhaupt mit allen Privilegien, Ehren, Gnaden und Freiheiten, welche die übrigen kaiserlich gekrönten Poeten und Oratoren von Rechts oder Herkommens wegen genießen. Und um ihm noch ein besonderes Merkmal seiner Gnade zu geben, nehme der Kaiser ihn, genannten Ulrich, sammt allen seinen Gütern, Angelegenheiten und Rechten, sowohl jetzigen als künftigen, in seinen und des heil. Reiches Schutz, und ertheile ihm das Vorrecht, vor keinem andern Richter als dem Kaiser und dessen Rathe gerichtet werden zu können. Das alles zur Nachachtung für alle des heil. röm. Reichs geist- wie weltliche Fürsten, Städte, Universitäten u. s. f., und bei Strafe von 15 Mark Goldes für den Übertreter, wovon bei jedem einzelnen Uebertretungsfalle die Hälfte dem kaiserlichen Fiscus, die andere Hälfte aber dem beschädigten Ulrich selbst, zu Gute kommen solle. Die Urkunde s. in Hutten's Schriften I, S. 143 f. – Das Jahr darauf vernahm Hutten überdieß von einem kaiserlichen Geschenke, das, auf Peutinger's Vermittlung, für ihn unterwegs sei; ob etwas an dem Gerüchte war, erhellt weiterhin nicht.
Im Zusammenhang mit dieser Gnadenerweisung suchten Peutinger, Spiegel und Stab den neugekrönten Dichter an den kaiserlichen Hof zu ziehen; andere Freunde erinnerten an den Erzbischof von Mainz, für dessen Dienste er einst von Eitelwolf bestimmt gewesen, von dem er schon früher einzelne Aufträge, dann zu seiner italienischen Reise Unterstützung empfangen hatte. Hutten konnte sich nicht sogleich entschließen. Zunächst begab er sich (ohne Zweifel über Nürnberg, um Pirckheimer den versprochenen Besuch zu machen) nach Bamberg, wo er seinen Freund, den Domherrn Jakob Fuchs, antraf, der schon vor ihm Bologna verlassen und den Rückweg in die Heimath angetreten hatte. Hier sah ihn auch der junge Joachim Camerarius zum erstenmale, der dabei von dem glänzenden Rufe nicht blos der Gelehrsamkeit, sondern auch der Tapferkeit berichtet, welcher, in Folge seines Kampfs mit den fünf Franzosen, dem Ritter bei seiner Rückkehr nach Deutschland vorangegangen. Camerar. Vita Melanchthonis, in Hutten's Schriften II, S. 361 f. In Franken trat diesem der Familienhandel mit dem Herzog Ulrich von Würtemberg von Neuem nahe; vielleicht kam ihm erst hier das Ausschreiben desselben wider die Hutten'schen zur Hand, zu dessen Widerlegung er jetzt in wenigen Tagen seine vierte Rede gegen den Herzog schrieb. S. oben S. 106-110. Außerdem stattete er in einem Briefe dem Erasmus Bericht von seiner Reise und seiner Dichterkrönung ab, und dankte ihm für die ehrenvolle Erwähnung seines Namens in der Vorrede zu Erasmus' Ausgabe des Neuen Testaments. Dieser Brief ist am 21. Juli geschrieben Schriften I, S. 146-148.: einen Monat später finden wir Hutten noch immer in Bamberg; auch an den Eintritt in die Dienste des dortigen Bischofs scheint er gedacht zu haben. Nicht lange hernach reiste er ab; Bekannte in Bamberg wußten nicht, wohin: gegen das Ende des Jahres finden wir ihn bei den Seinigen auf Steckelberg, mit einer merkwürdigen Arbeit beschäftigt.
Es ist oben erzählt worden, wie am Tage vor seiner Abreise aus Bologna nach Deutschland Hutten bei Cochläus ein Exemplar der Schrift des Laurentius Valla über die erdichtete Schenkung Konstantin's gesehen hatte. Cochläus hatte die Schrift von einem Andern geliehen bekommen; Hutten wollte sie in Deutschland wiederabdrucken lassen, und wünschte daher eine Abschrift nehmen zu dürfen; was Cochläus, obgleich ihm bei der Sache nicht ganz wohl war, doch um so weniger abschlagen mochte, je mehr er mit dem Inhalte der Schrift damals noch einverstanden war. Friedrich Fischer, der würzburger Domherr, der noch in Bologna zurückblieb, besorgte die Abschrift, die dem Ritter nach Deutschland nachgeschickt wurde. Cochläus an Pirckheimer, Hutten's Schriften I, S. 142.
Daß die genannte Schrift des um Philologie und kirchengeschichtliche Kritik hochverdienten italienischen Humanisten aus der ersten Hälfte des vorhergegangenen Jahrhunderts für Hutten eben jetzt ein willkommener Fund war, begreift sich aus ihrem Inhalt und Geist, wie aus ihrer Form. War sie in letzterer Beziehung ein wahres Prachtstück des humanistischen Renaissancestils, sofern sie in classischem Latein, durchaus rhetorisch gehalten, ihre Gründe nach Art der alten Historiker in erdichtete Reden der betheiligten Personen (der Söhne Konstantin's, des römischen Volks, des Papstes Sylvester) einkleidet: so griff sie, was ihren Inhalt betrifft, das System der römischen Anmaßungen an einem der verwundbarsten Punkte an, und that dieß im Geiste jener freimüthigen, opferbereiten Wahrheitsliebe, von der Hutten selbst beseelt war. Eine Hauptstütze der päpstlichen Ansprüche nämlich bildete das angebliche Edict des Kaisers Konstantin, kraft dessen er dem römischen Bischof Sylvester und dessen Nachfolgern, als Zugabe zu dem kirchlichen Primat, nicht blos seinen lateranensischen Palast in Rom sammt den kaiserlichen Insignien, sondern auch die Stadt Rom, ja Italien und das ganze Abendland, überlassen, und sich selbst auf den Orient beschränkt haben soll. Die Unächtheit und Ungereimtheit dieses Actenstücks zeigt Valla's Declamation in so schlagender, ja schneidender Weise, daß uns weder die Verfolgung befremden kann, die er sich dadurch zuzog, noch der Verruf, in welchem seine Schrift bei den kirchlichen Machthabern stand.
Diese Schrift nun, welche die weltliche Herrschaft des Papstes in ihrer Grundlage angriff, gab jetzt Hutten heraus, und widmete sie, mit ächt Hutten'scher Dreistigkeit, dem Papste selbst De donatione Constantini quid veri habeat etc. Die Zueignung in Hutten's Schriften I, S. 155-161., widmete sie ihm so, als wäre er versichert, daß der Papst mit der Herausgabe einverstanden, ja dem Herausgeber für dieselbe dankbar sein werde. Dieß war nichts weniger als sein Ernst. Er hatte Leo dem X. während seiner bereits 4jährigen Regierung längst abgesehen, daß er in der Hauptsache ein Papst war wie die andern auch; hatte schon im vorigen Sommer an Pirckheimer über ihn als einen leichtgesinnten, geldgierigen Florentiner, einen Heiligen, dessen Unheiligkeit bei allen Verständigen eine ausgemachte Sache sei, geschrieben. Es war also nur eine Wendung, um den Papst in die Verlegenheit zu setzen, mit guter Art nicht wohl eine Unzufriedenheit über Hutten's Unterfangen äußern zu können.
Hutten knüpft seine Zueignung an die Inschrift an, welche, im Gegensatze zu seinem kriegerischen Vorgänger, Leo dem X. als dem »Wiederhersteller des Friedens« in Italien gesetzt worden war. Mit dem Frieden habe er Gerechtigkeit, Wahrheit und Freiheit zurückgeführt: nun können die Wissenschaften wieder aufleben, nun dürfe ans Licht treten, was bisher sich verstecken mußte, und um so zuversichtlicher, je wahrer und lauterer es geschrieben sei, wie diese Schrift des Valla. Andere Päpste haben dieselbe verboten, weil sie die Wahrheit nicht hören wollten: Leo werde sie lieben, weil er ein Freund der Wahrheit sei. Was die Schrift gegen schlechte Päpste sage, gehe ihn nichts an, der sich bewußt sei, ein guter Papst zu sein. Schlechte Päpste aber, oder vielmehr gar keine Päpste, seien diejenigen gewesen, welche mit weltlichem Sinne jene Schenkung Konstantins erdichtet, oder die schamlose Dichtung sich zu Nutze gemacht haben. Leo werde von selbst und gütlich aufgeben, was man, wenn ein schlechter Papst an seiner Stelle gewählt worden wäre, diesem mit Gewalt abgenommen haben würde. Nur so könne er sein Wort, daß er der Wiederhersteller des Friedens sein wolle, wahr machen. Denn Friede könne zwischen Räubern und Beraubten nicht eher stattfinden, als bis erstere den letztern das Geraubte zurückgegeben haben. So nennt Hutten die früheren Päpste geradezu Räuber und Diebe: und zu meinen, daß sich Leo dadurch beleidigt finden werde, erklärt er eben für die größte Beleidigung gegen einen Papst, der mit jenen nichts könne gemein haben wollen.
Dabei führt er eine Reihe von Mißbräuchen und Bedrückungen so auf, als ob sie nur den Vorgängern Leo's zur Last fielen, von denen er doch sehr gut wußte, daß sie unter Leo theils fortdauerten, theils sich noch verschlimmert hatten. Nichts sei so bitter, daß es nicht gegen jene Päpste gesagt werden dürfte, »welche vom geringsten Vorwande Anlaß zu endlosen Plünderungen genommen, Gnaden feilgeboten, mit Dispensationen und Bullen aller Art schon so lange Zeit Handel getrieben haben. Die für die Sündenvergebung einen Kaufpreis festgesetzt und aus den Strafen des künftigen Lebens eine Erwerbsquelle gemacht haben. Welche die geistlichen Stellen bei uns, die milden Stiftungen unsrer Voreltern, sich abkaufen ließen. Welche die Deutschen glauben machten, die seien keine Bischöfe, welche nicht ihr Pallium für viele tausend Goldstücke von ihnen erhandelt haben. Welche, nicht zufrieden, einmal des Jahres eine außerordentliche Steuer zu erpressen, so oft es ihnen gefiel, Leute schickten, die, bald unter diesem, bald unter einem andern Vorwande, sammeln mußten, das einemal für einen Türkenkrieg, das andremal um zu Rom dem h. Petrus eine Kirche zu bauen, die sie nie fertig machen lassen. Welche endlich, während sie alles das verübten, dennoch sich als Seligste und Heiligste begrüßen ließen, und gegen ihr Treiben kein Wort, viel weniger eine Handlung dulden wollten … Wer solchen Räubern, so unholden Tyrannen, dich beizählen wollte, solltest du den nicht für deinen ärgsten Feind achten, großer Leo?« Wahrhaft ehre ihn dagegen derjenige, welcher, wie Hutten durch die Zueignung der Schrift des Valla, thatsächlich das Vertrauen zu ihm beweise, daß er sich von den weltlichen Anmaßungen seiner Vorgänger, gegen welche jene Schrift gerichtet sei, durchaus losgesagt habe. So wenig er daher zweifle, schließt Hutten mit muthwilliger Keckheit, daß das Büchlein dem Papste gefallen werde, so wäre es ihm doch lieb, wenn dieser seinen Beifall öffentlich bezeugen möchte: dann wolle er sich Mühe geben, bald wieder etwas Aehnliches aufzufinden.
Einen Zug in dieser Zuschrift dürfen wir nicht außer Acht lassen, weil er Hutten's Empfindungsweise bezeichnet, und durch seine ganze Polemik gegen das Papstthum hindurchgeht. Nichts bringt ihn heftiger auf an jener untergeschobenen Urkunde, als daß der Betrug so plump ist, daß man sieht, er war vorzugsweise auf die Deutschen berechnet, von welchen die Italiener sagten, sie haben kein Hirn. Hätten sie es mit andern Nationen zu thun gehabt, meint Hutten, so würden sie es feiner angegriffen haben. Während er daher über den Stumpfsinn unsrer Vorfahren sich ärgert, denen man so etwas bieten konnte, fühlt er sich zugleich zu doppeltem Hasse gegen diejenigen entflammt, die unsre Einfalt so zu mißbrauchen im Stande waren.
Wie sehr diese durch Hutten veröffentlichte Schrift in die Zeit eingriff, ersehen wir aus dem Eindrucke, den sie auf Luther machte, als sie ihm, etwas verspätet, zu Händen kam. Er konnte nicht genug darüber staunen, daß so crasse unverschämte Lügen so lange Jahrhunderte hindurch sich haben halten, ja wie Glaubensartikel betrachtet werden können: und nun erst schien es ihm immer mehr, als wäre der Papst der leibhaftige Antichrist. Luther an Spalatin vom 23. Febr. 1520. Hutten's Schriften I, S. 324. Auch dem Papste scheint die ihm zugeeignete Schrift damals noch nicht zugekommen zu sein: wenigstens nahm er von Hutten's Schriftstellerei erst drei Jahre später öffentlich Notiz.
Mittlerweile hatte sich dieser für die mainzischen Dienste entschieden. Sein Vetter Frowin und der Leibarzt des Kurfürsten, Heinrich Stromer, ein eifriger Freund der humanistischen Richtung, mochten es bei ihm wie bei dem Erzbischof Albrecht vollends ins Reine gebracht haben. Daß dieser den Mann, der so eben eine Schrift wie die vorerwähnte mit einer solchen Vorrede herausgab, ohne Anstand an seinen Hof nahm, ist bezeichnend für die kirchlichen Zustände der Zeit. Die Ausbeutung Deutschlands durch die römische Curie war längst so drückend geworden, daß das Interesse eines deutschen Kirchenfürsten mit dem des päpstlichen Stuhles nicht mehr in allen Stücken Hand in Hand ging; und insbesondere das mainzische Erzstift war durch den auf 20 000 Goldgulden gesteigerten Preis des erzbischöflichen Palliums, der in der letzten Zeit, bei häufigen Erledigungsfällen, wiederholt hatte erlegt werden müssen, aufs Aeußerste erschöpft. Mit Rücksicht darauf hatte Erzbischof Albrecht sich anheischig gemacht, dasselbe aus eigenen Mitteln zu bezahlen: diese Mittel sollte ihm der Ablaß schaffen, dessen Verwaltung ihm der Papst überließ, und auf dessen halben Ertrag nun die Fugger, die ihm das Palliengeld vorgeschossen hatten, angewiesen wurden. Von hier aus begreift man, wie derselbe Erzbischof, der Luther's Angriff auf den Ablaß so übel aufnahm, mit Hutten's Kampfe gegen die päpstlichen Uebergriffe im Stillen gar nicht so unzufrieden war.
Noch vor dem Ende des Jahres 1517 machte Hutten im Auftrage seines Fürsten eine Reise an den Hof des Königs von Frankreich Der kurfürstliche Bestallungsbrief vom 20. Sept. steht in Hutten's Schriften V, S. 507 f. Hutten heißt darin consiliarius noster, und als Zweck seiner Sendung ist Abschließung eines Bündnisses nebst einigen andern Geschäften angegeben, wozu ihm plenaria potestas ertheilt wird., und wurde in diesem Lande, nicht blos dieser äußern Stellung wegen, sondern auch um seines literarischen Namens willen, ehrenvoll aufgenommen. Auf seiner Durchreise durch Paris wurde er zu dem Unterpräfecten Ludwig Ruzeus, einem Liebhaber der schönen Wissenschaften und Gönner der Gelehrten, eingeladen, und lernte hier den Secretär des Königs, Wilhelm Budäus, den Correspondenten und Nebenbuhler des Erasmus, kennen, der bei dieser Gelegenheit gegen diesen Hutten's feines und wahrhaft adeliches Wesen rühmt. Damals eilte Hutten, seinem Auftrage gemäß, das königliche Hoflager zu erreichen: berührte aber auf der Rückreise Paris noch einmal, und befreundete sich mit den dort lebenden Humanisten noch genauer. Vgl. über diese Reise die Briefe von Budäus an Erasmus, Hutten's Schriften I, S. 162, 171, und Erasmus' Spongia, ebendas., II, S. 270, §. 39. Ohne Zweifel war es auf dieser Reise, daß er auch die Bekanntschaft des alten, um die Auslegung des Neuen Testaments wie des Aristoteles hochverdienten Faber von Etaples und der beiden gebildeten Aerzte Copus und Ruellius machte, deren ersterer, jetzt Franz des I. Leibarzt, sich vor einigen Jahren vergeblich bei der pariser Universität für Reuchlin verwendet hatte. Wenigstens pflegte Hutten von da an diese Männer als die Hauptstützen des wissenschaftlichen Fortschritts in Frankreich zu rühmen.
Nach Mainz, wie es scheint, Anfang Februar zurückgekehrt, kam Hutten eben recht, um seinen Kurfürsten in dessen sächsische Diöcesen zu begleiten, wo dieser bis zum Beginne des augsburger Reichstags im Juli verweilte, seinen neuen Diener aber zu Ende März oder Anfang April mit einem Auftrage nach Mainz zurückreiten hieß. Kaum vom Pferde gestiegen, erhielt dieser hier einen Brief von dem Grafen Hermann von Nuenar aus Köln, sammt einer Schrift von Hochstraten Ohne Zweifel die Schrift: Ad Sanctiss. D. N. Leonem P. X. ac div. Maxemilianum Imp … Apologia R. P. Jac. Hochstraten contra dialogum Geo. Benigno Archiep. Naz. in causa Jo. Reuchlin ascriptum etc. Colon. 1518. Vgl. Hutteni Opp. Suppl. I, S. 419-27 und II, S. 101., in welcher unter andern Anhängern Reuchlin's auch der Graf in der Weise jenes Ketzermeisters geschmäht war. Graf Hermann nahm sich gegen diesen Angriff bald darauf die Genugthuung, daß er einige Zuschriften gleichgesinnter Männer an ihn über die Sache, mit Antwort von ihm und verschiedenen den Streit betreffenden Actenstücken, drucken ließ. Epistolæ trium illustrium virorum ad Hermannum Com. Nuenarium. Ejusd. Responsoria etc. Vgl. Hutteni Opp. Supplem. I, S. 327-329, 427-429. Der Brief Hutten's vom 3. April 1518 in dessen Schriften I, S. 164-168. Unter diesen Briefen befindet sich, neben einem von Reuchlin und einem von Hermann Busch, auch eben derjenige Ulrich's von Hutten, durch welchen dieser die erwähnte Sendung Nuenar's fast noch im Steigbügel beantwortete.
Hutten bekennt in diesem Briefe geradezu, daß er die Schandschrift Hochstraten's mit Vergnügen gelesen habe. Je frecher, desto besser, meint er; um so früher werden der deutschen Nation die Augen über diese Menschenklasse auf-, und die Geduld mit derselben ausgehen. Freilich sei es kaum zu begreifen, und in Italien ihm, zu seiner Beschämung, mehr als einmal vorgehalten worden, wie viel wir Deutschen uns von den Ordensbrüdern bieten lassen. Von Leuten, die wir von unserm Erbgute zum Behufe des Gottesdienstes erhalten, lassen wir uns beherrschen und mißhandeln. Nichts sei hochmüthiger, unbändiger, schonungsloser als diese Menschenart; wenn sie einmal »jene Burg ihrer Frechheit, die Kanzel, bestiegen haben«, sei kein Name, kein guter Ruf mehr vor ihren Lästerungen sicher. Hier nimmt Hutten gelegentlich zwei solche Pfaffen vor, die wir schon aus der Geschichte des Reuchlin'schen Streites sattsam kennen. Der frankfurter Pleban Peter Meyer kommt dießmal mit der kurzen Bezeichnung weg, er sei der Ungelehrteste und dabei Unverschämteste von allen, welche dem Reuchlin übel wollen. Desto ausführlicher wird Bartholomäus Zehender von Mainz bedacht, mit dem es wohl frische Zusammenstöße gegeben hatte. Keine Predigt vor der unwissenden Menge halte der Bösewicht, in die er nicht irgend ein Gift einfließen ließe. Er könne den Mund nicht aufthun, ohne Gehässigkeiten vorzubringen; alle Guten sehe er scheel an. So habe er den Reuchlin auf der Kanzel geschmäht, so ihn, Hutten, wiederholt in seinen Predigten heruntergerissen. Dieß wirke übrigens nur bei der Hefe des Volkes: von Seiten der Gebildeten habe er sich dadurch gefährlichen Haß zugezogen. Man dürfe aber den Menschen nur ansehen: er sei der eingefleischte Neid. Sein Aussehen habe etwas vom Skorpion. Wie dessen Schwanz immer zum Stiche bereit sei, so zeige die Miene dieses Pfäffleins jeden Augenblick, daß es etwas Böses denke, auf eine Schmähung sinne, einen Trug bereite, mit Einem Wort irgend ein Gift koche. »So sei mir Christus gnädig, wie ich jede zufällige Begegnung dieses Schurken für ein böses Zeichen halte, und daher von dem Weg abbiege, von dem ich weiß, daß er ihn gehen wird. Solche Apostel hat jetzt Deutschland, solche Verkündiger das Evangelium. Man konnte sie dulden, so lange sie die Fehler der Menschen mit Glimpf rügten. Nun aber, da sie sich alles erlaubt halten und mit Lust wen sie wollen schmähen; da sich in ihren Predigten kein ächter Religionseifer, keine Spur von Frömmigkeit zeigt; da sie statt Gottes Wort Schimpfwörter säen, im öffentlichen Heiligthum für Privatbeleidigungen sich rächen, ja selbst Beleidigungen zufügen und Unschuldige in Gefahr bringen; da sie das alles ohne Maß, mit Uebermuth und Grausamkeit betreiben: was hindert, daß wir nicht endlich mit Prügeln und Steinen auf solche Heuchler losgehen?«
Daß der Kampf gegen diese innern Feinde der Christenheit dringender sei, als der gegen den Türken, wird auch hier (wie in der Vorrede zum Triumphus Capnionis) ausgesprochen. Der Verfall der Frömmigkeit, die Spaltungen in der Kirche, insbesondere der Abfall der Böhmen, wird ihnen Schuld gegeben, auch die berner Geschichte nicht vergessen. Hermann von Nuenar begehre Hutten's Ansicht, was gegen sie zu thun sei. Bisher habe er das Schweigen der Verachtung allen Apologien vorgezogen. Allein er fange an zu glauben, daß dieß nicht hinreiche, um herbeizuführen was sie wünschen: Aufblühen der Wissenschaften, Verbannung der Barbarei, Verehrung für die wahren, Verachtung für die Scheingelehrten. Einiges davon sei erreicht, aber noch lange nicht genug. Er möchte sich dem Grafen mündlich mittheilen können: unterdessen sei es tröstlich, daß die Feinde selbst sich gegenseitig aufzureiben anfangen.
Und nun ist es merkwürdig, daß unter diesem Gesichtspunkt – eines verächtlichen Mönchsgezänks, bei dessen Anblick die Freunde des Fortschritts sich schadenfroh die Hände reiben – eine Sache zuerst in Hutten's Gesichtskreis tritt, die zwei Jahre später die heiligste Angelegenheit für ihn war: die Sache Luther's. Erst erinnert er an die Skandale, welche der Streit der Dominicaner und Franciscaner über eine so nichtige Frage wie die Empfängniß der Maria vor wenigen Jahren herbeigeführt habe. »Nun aber«, fährt er fort, »was du vielleicht noch nicht weißt, ist zu Wittenberg in Sachsen (aus der Nachbarschaft kam Hutten so eben zurück) eine Partei gegen die Gewalt des Papstes aufgetreten, während die andere den päpstlichen Ablaß vertheidigt. Von beiden Seiten nimmt man einen gewaltigen Anlauf und bietet viel Kraft auf. Mönche stehen an der Spitze der Kämpfenden. Die Heerführer selbst sind rasch und hitzig, voll Muth und Eifer; bald rufen sie und schreien, bald jammern sie und klagen das Schicksal an. Neuestens haben sie sich auch an das Schreiben gemacht. Die Buchdrucker bekommen zu thun. Es werden Streitsätze und Corollarien, Schlüsse und (was schon manchem übel bekommen ist) Artikel verkauft. So, hoffe ich, werden sie sich gegenseitig zu Grunde richten. Ich selbst habe neulich einem Ordensbruder, der mir die Mittheilung machte, zur Antwort gegeben: Fresset einander, damit ihr von einander gefressen werdet. Mein Wunsch ist nämlich, daß unsre Feinde so viel als möglich in Zwietracht leben, und nicht ablassen mögen, sich unter einander aufzureiben. Ja, gebe Gott, daß alle zu Grunde gehen und aussterben, welche der aufkeimenden Bildung hinderlich sind, damit die lebendigen Pflanzungen der herrlichsten Tugenden, die sie so oft zertreten haben, endlich sich erheben mögen.«
Sofort spricht Hutten dem edeln Freunde Muth ein, versichert ihn seiner treuen Bundesgenossenschaft für alle Fälle, und theilt ihm den Plan mit, den seine jetzige Stellung ihm nahe legte: an den Fürstenhöfen so viel möglich für die gemeinsame Sache zu werben. Diesem Plane ist Hutten die ganze Zeit, die er im erzbischöflichen Dienste zubrachte, nachgegangen. Die Sache, für die er warb, nannte sich nach Reuchlin; sie war aber die Sache des Humanismus, der in seinem Vorkämpfer gefährdet war. Dem Humanismus durch Huldigungen gegen gebildete Kirchen- und Staatsoberhäupter Schutz und Boden zu verschaffen, war auch die Politik des Erasmus: es war die natürliche Politik des Humanismus, der auch Hutten treu blieb, so lange er nur Humanist war. Luther's Politik, die Politik der Reformation, war eine andere. Sie wandte sich nicht an die Bildung weniger Vornehmen, sondern an das Bedürfniß aller, auch der Geringen. Aufklären läßt sich mittelst der Großen: aber reformiren, ein entartetes Kirchen- oder Staatswesen umbilden, nur, ob mit, ob gegen die Großen, durch die Mittleren und Kleinen. Diese Erfahrung werden wir auch Hutten machen sehen, sobald er aus dem Reuchlin'schen Kreise zu Luther's Fahnen übergetreten sein wird.
Für jetzt freut er sich der vielen hochgestellten Männer, welche in Frankreich und Deutschland, an Höfen und in Städten die Sache Reuchlin's vertreten. In Leipzig regen und erheben sich, trotz des hartnäckigen Widerstandes der Sophisten, die bessern Studien. Nach Wittenberg beruft Kurfürst Friedrich Lehrer des Griechischen und Hebräischen. Ganz besonders günstig für die Wissenschaften aber sei sein Fürst, der Erzbischof Albrecht, gestimmt. Er sei der eifrigste Verehrer und Leser des Erasmus. Eine Schmähschrift Pfefferkorn's gegen Reuchlin's Freunde, die ihm sein Leibarzt Stromer mitgetheilt, habe er zwar gelesen, dann aber in das Kaminfeuer, woran er eben saß, mit den ewig denkwürdigen Worten geworfen: So mögen zu Grunde gehen die also reden! Das alles gebe Hoffnung, daß man das vorgesteckte Ziel erreichen werde. Der Freund möge fortfahren, wie er angefangen; mit Begierde sehe Hutten der verheißenen Schrift wider den mordbrennerischen Kuttenträger entgegen. »Mögen sie uns immer hassen, wenn sie uns nur zugleich fürchten müssen.«
Dem Grafen von Nuenar wie noch andern Freunden Hutten's war dessen Eintritt in Hofdienste befremdlich, ja bedenklich. Bis sich Gelegenheit zur mündlichen, oder Muße zu ausführlicher schriftlicher Rechtfertigung finde, bittet Hutten den Freund, zu glauben, daß er seine frühere (literarische) Lebensgewohnheit darum keineswegs aufgegeben habe. Für die Zukunft aber habe er im Sinne, sich ganz mit den Musen auszusöhnen, wenn diese ihm grollen sollten wegen seines nothgedrungenen Eintritts in die Dienste des stolzen Mars: doch es sei ja sonst schon vorgekommen, daß sie im Lager unter dem Getöse der Waffen übernachtet haben.