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1519.
Für den Augenblick jedoch wurde Hutten's literarische Muße durch ein unerwartetes Ereigniß unterbrochen. Am 12. Januar 1519 war Kaiser Maximilian zu Wels in Oberösterreich verschieden, und von der Mahlzeit bei seiner Todtenfeier zu Stuttgart war auf die Nachricht, daß zwei Reutlinger seinen Burgvogt von der Achalm erstochen, Herzog Ulrich aufgesprungen, zu Pferde gestiegen, und nachdem er im Lande Sturm schlagen lassen, den 21. mit Kriegsvolk und Geschütz vor die Stadt gerückt, die am achten Tage erobert und aus einer kaiserlichen Reichsstadt zur würtembergischen Landstadt gemacht war.
Der Kaiser war todt; der Reichsverweser für das südwestliche Deutschland, Pfalzgraf Ludwig, wollte den ihm befreundeten Herzog nicht beißen. Aber Reutlingen war Mitglied des schwäbischen Bundes, aus welchem Ulrich, auf seine Eigenmacht eifersüchtig, ausgetreten war, und in welchem dessen grollende Schwäger, die Baiernherzoge, eine hervorragende Stellung einnahmen. Der schwäbische Bund also sammelte gegen den Landfriedensbrecher ein Heer, zu dem viele von der fränkischen Ritterschaft stießen, die Hutten voran, welche die ihnen im blaubeurer Vertrage zugesprochene Entschädigungssumme immer noch nicht empfangen hatten. Wie hätte da Ulrich von Hutten daheim bleiben können, wo ihm die Gelegenheit sich bot, den alten Widersacher, gegen den er vergeblich den Kaiser und das Reichsgericht aufgerufen hatte, endlich doch noch stürzen zu helfen, und dabei, nachdem er sich nun längere Zeit ausschließlich als Gelehrter hervorgethan, nun auch wieder den Ritter in sich sehen zu lassen? Während er daher seinen Phalarismus wiederauflegen ließ, rüstete er sich zugleich im Februar und März eilig mit Waffen und Pferden aus An Arnold Glauberger, Schriften I, S. 255., ritt mittlerweile auch einmal zu Franz von Sickingen, der, früher in Frankreichs Solde und mit Ulrich von Würtemberg in Verbindung, jetzt vornehmlich durch seinen Gegenschwäher, Dietrich Spät, Sabinens Paladin, für den schwäbischen Bund zum Feldzuge gegen ihn gewonnen war.
In diesem gemeinschaftlichen Interesse traten sich die beiden Männer zuerst näher, die sich bald gegenseitig anzogen, und aus deren Verbrüderung so große Entwürfe, aber auch so große Unfälle für beide hervorgehen sollten. Während des Hutten'schen Besuchs wurde dessen Gespräch: Febris, vorgelesen, und was Sickingen davon verstand, oder ihm übersetzt wurde (denn das Latein war des Ritters starke Seite nicht), gefiel ihm so wohl, daß er merken ließ, er möchte es gern deutsch haben. Diesem Wunsche zu entsprechen, veranstaltete Hutten eine deutsche Uebersetzung desselben, die er am 1. März von Steckelberg aus dem ehrenvesten, theuren und hochberühmten Franz von Sickingen mit einer heitern Zuschrift widmete. Dialogus oder eyn gesprech. Febris genant, durch den Ernvesten vnd hochberumpten Vlrich von Hutten in latein beschriben, yetz durch gut gunner zu deutsch gemacht. – Unter dem lateinischen Text, mit den wenigen Abänderungen der spätern Gesammtausgabe der Gespräche, abgedruckt in Hutten's Schriften IV, S. 29 ff.; die Zueignung an Sickingen I, S. 247. Ein scherzhaftes kleines Büchlein wie dieses eigne sich zwar als Gabe für einen Mann von so ernsten und ritterlichen Thaten wenig; doch weil es ihm jüngst wohlzugefallen geschienen, hauptsächlich aber weil Franz, wie Hutten gehört, dem Fieber auf seinem Haus und Schlössern auch schon Oeffnung und Herberge habe geben müssen, möchte er ihm etwas zur Abwehr gegen dasselbe in die Hände geben; habe daher »solches Büchlein vom Latein in das Teutsch, wiewohl es im Latein viel lieblicher und künstlicher dann im Teutschen lautet, verwandeln lassen«, und eigne es ihm hiemit als Zeichen seiner Dienstbeflissenheit zu.
Noch den Tag vorher, am letzten Februar, war Hutten zu Rotenburg an der Tauber gewesen, hatte seinen Phalarismus mit einem Brief an Pirckheimer nach Nürnberg geschickt, dann, gleichsam schon mit einem Fuß im Steigbügel, an den ihm von seiner Gesandtschaft her persönlich bekannten König Franz I. von Frankreich, von dem es hieß, er wolle den Herzog von Würtemberg unterstützen, ein Abmahnungsschreiben erlassen. Vom 28. Febr. 1519. Schriften I, S. 242-246. Er könne es nicht glauben, führt er dem König zu Gemüthe, daß dieser sich in eine Verbindung eingelassen, die ebenso schmählich als gefährlich für ihn sein würde. Ersteres wird in einer Reihe von Gegensätzen zwischen des Königs angeblichen Tugenden und des Herzogs Lastern und Unthaten durchgeführt; in letzterer Hinsicht auf die verzweifelte Lage des Herzogs, die starken Rüstungen des Bundes, und auf das alte Sprichwort hingewiesen: wer unglücklich kämpfen wolle, müsse mit den Deutschen kämpfen. Womit nicht gesagt sein solle, fügt Hutten hinzu, Deutschland sei unüberwindlich; wohl aber, daß noch keiner über Deutsche einen erfreulichen Sieg davongetragen. Wenn Hutten dem König den Vorgang der »bäurischen und rohen Schweizer vorhält, die Anfangs mit starker Heeresmacht dem Herzog zugezogen, dann aber, vom Gewissen geschlagen, nicht ohne Wortbruch ihn verlassen haben«, so wäre dieß am letzten Februar, wenn es damals schon in dem erst später gedruckten Briefe stand, noch ein rednerischer Vorgriff gewesen, da erst nach der Mitte des März diese zum Nachtheil des Herzogs entscheidende Wendung wirklich eintrat.
Genauer schrieb Hutten am 6. März von Mainz aus, wohin er von Rotenburg und Steckelberg vor dem Aufbruch zum Feldzug noch einmal zurückgeritten war, an Erasmus, daß er zwar den Banditen nicht fürchte, dieser aber gleichwohl noch Kräfte und Bundesgenossen habe, und möglicherweise ganz Deutschland in die Kriegsunruhen verwickelt werden könne. Sollte ihn, setzt er hinzu, dieser Kampf verschlingen, so möge Erasmus durch seine unsterblichen Schriften für sein Andenken sorgen. Schriften I, S. 248. Auch aus den während des Feldzugs geschriebenen Briefen Hutten's geht hervor, daß der Herzog Ulrich sehr gefürchtet, und dem bündischen Kriegszuge von manchen Seiten ein übler Ausgang prophezeit worden war. Aber freilich, wenn die Schweizer abzogen, war seine beste Kraft gebrochen. Außer ihnen hatte der Herzog nur bewaffnete Landleute und wenige Söldner, welche dem kriegsgeübten Bundesheere mit vielen Rittern und selbst einer Truppe leichter albanesischer Reiter, Stratioten genannt, nicht entgegenzustellen waren. Das wußten die schwäbischen Bundesräthe, und hatten daher bei der schweizerischen Tagsatzung die Rückberufung der Reisläufer ausgewirkt. Auch Herzog Ulrich wußte es, darum weinte er, wie er am 17. März sie schaarenweis abziehen sah: jetzt war der Krieg schon vor seiner Eröffnung entschieden und es blieb ihm nichts übrig, als sich in sein Schloß Tübingen zu werfen und sein Land dem anrückenden Feinde zu überlassen.
Am 28. März brach das Bundesheer aus der Gegend von Ulm auf, und rückte über Heidenheim und Göppingen in das Würtembergische ein. Des Bundes oberster Feldhauptmann war der Herzog Wilhelm von Baiern, Georg von Frundsberg Oberster der Fußknechte; Franz von Sickingen mit 789 Reitern, worunter auch Hutten, stieß in den ersten Tagen des April unweit Kirchheim zu dem Bundesheer. Der Feldzug glich einem Spaziergange. Nirgends zeigte sich ernstlicher Widerstand. Am 7. April huldigte die Hauptstadt Stuttgart den Siegern.
Von Hutten haben wir aus diesem Feldzug eine Reihe von Briefen an Freunde, die uns zwar nicht in den Krieg, aber mitten in das bewegte Leben des Lagers versetzen. Sie stehen in Hutten's Schriften I, S. 256 ff. Am 14. April schrieb er aus Stuttgart an den Rechtsgelehrten Arnold Glauberger nach Frankfurt, noch habe er keinen Feind gesehen, aber die meisten Städte und Dörfer haben sich ergeben, nur Tübingen stehe noch aus, in dessen festes Schloß sich der Adel geworfen habe, während der Herzog aus demselben mit wenigen Reitern, man wisse nicht, nach Frankreich oder in die Schweiz (in der That nach der Pfalz) geflohen sei, vermuthlich um sich Hülfe zu holen. Aber das Bundesheer von 30 000 Mann zu Fuß und 4000 Reitern (in spätern Briefen gibt Hutten richtiger etwas geringere Zahlen), mit trefflichem Geschütz und voll Muth, wünsche sich nichts Besseres als einen tüchtigen Feind, um Beute und Ruhm zu gewinnen. Ihm selbst sei bis jetzt von der Beute noch nichts zugefallen: sobald er seinen Theil erhalte, werde er den Freunden etwas davon schicken. Als merkwürdige Neuigkeit meldet Hutten, daß wenige Tage vor des Herzogs Flucht die Wittwe seines ermordeten Vetters in Tübingen bei jenem gewesen sei; Schade, daß die Helena dieses Kriegs nicht in ihre Hände gefallen, um ihren Lohn zu empfangen.
Diesen Brief schrieb Hutten im Hause Reuchlin's, für den er Jahre lang einen literarischen Krieg geführt hatte, und dem er nun auch im wirklichen Krieg als Helfer erscheinen sollte. Der gute Alte, der mehr moralischen als physischen Muth besaß, war, als das feindliche Heer sich der Stadt näherte, in tausend Aengsten gewesen. Seine geliebten Bücher hatte er vergraben. Er wußte nicht, welcher Freund ihm unter diesen Feinden lebte. Durch Sickingen's Vermittlung setzte Hutten es bei den Anführern durch, daß, im Fall einer gewaltsamen Eroberung Stuttgarts, durch öffentlichen Ausruf im Heere Reuchlin's Haus sicher gestellt werden sollte. So schlimm kam es aber nicht: Stuttgart ergab sich auf Bedingungen, und nun ging Sickingen selbst mit Hutten zu Reuchlin, bezeigte ihm, der seinerseits die Krieger als Geißeln Gottes anredete, seine Ehrfurcht, und versprach ihm auch in Bezug auf seinen alten, immer noch nicht ausgetragenen Streithandel alle Hülfe.
Das würtemberger Land gefiel dem vielgereisten Ritter über die Maßen wohl. »Kaum hat Deutschland«, schreibt er, »eine Gegend, die schöner wäre. Der Boden ist vortrefflich, das Klima gar milde und gesund, Berge, Wiesen, Thäler, Flüsse, Quellen, Wälder, Alles höchst angenehm, die Früchte gedeihen wie fast nirgends sonst. Der Wein ist nach Landesart. Stuttgart selbst nennen die Schwaben das irdische Paradies, so anmuthig ist seine Lage.« Um so mehr, meint Hutten, verdiene das Land einen bessern Herrn, als es an Herzog Ulrich gehabt habe.
Am 21. April schrieb Hutten an die Freunde nach Mainz aus dem Lager zwischen Stuttgart und Tübingen. Noch immer hatte kein Feind im Felde sich blicken lassen, die Uebergabe von Städten und Dörfern dauerte fort. Jetzt war Alles auf Tübingen gespannt; man war entschlossen, falls es sich nicht ergäbe, es aufs Aeußerste zu bestürmen. Wiederholt rühmt Hutten die Ausrüstung und den Muth des Heeres. »Stellet mir die Türken entgegen, und heißet mich Asien bekriegen mit diesen Truppen!« ruft er aus. Dann, nachdem er sich nach dem Cardinal Cajetan, der eben in Mainz angekommen war, als Hutten's Dialog Febris in deutscher Übersetzung ausging, spöttisch erkundigt, schließt er mit den Worten: »Doch ich kann nicht weiter. Schon bläst die Trompete. Später Ausführlicheres, ich hoffe nach der Einnahme Tübingens. Lebet wohl und gedenket mein … Eilig, unter Trompeten, Pferdegewieher, Trommeln und Lagerlärm.«
Am letzten April gibt Hutten aus dem Lager bei Stuttgart den Freunden die Nachricht, daß vorgestern (genauer war es am Abend des 25.) Tübingen übergegangen sei. Bei der Festigkeit des Schlosses gegen jeden Angriff findet er in diesem Erfolge, wie überhaupt in dem Gange des ganzen Kriegs, Gottes Hand oder die Macht des Gewissens wirksam. Nun sollte es gegen Asperg gehen, von dessen Besatzung unter dem wilden Hans Leonhard Reischach, dem treffliches Geschütz und Pulver im Ueberfluß zu Gebote stand, man eine verzweifelte Gegenwehr erwartete; doch auch diese Veste capitulirte nach fünftägiger Beschießung, und Neuffen ergab sich dann von selbst.
Unterdessen hatten die Hutten'schen auch ihrer Pflicht gegen den ermordeten Vetter zu genügen gesucht. Gegen Ende der Fastenzeit gruben sie in dem thumbischen Dorfe Köngen, nicht weit von dem Schauplatze der grausen That, seinen Leichnam aus, und daß er nach vier Jahren noch nicht verwest, das Angesicht noch kenntlich war, und bei der Berührung Blut aus den Wunden trat, galt ihnen als ein Wunderzeichen seiner Unschuld. Sie brachten ihn nach Eßlingen, wo er aufgestellt wurde, um später in der Familiengruft in Franken beigesetzt zu werden.
Während dieses Feldzuges hatte sich Hutten's Verhältniß zu Franz von Sickingen enger geknüpft. Er schlief in dessen Zelte, kam selten von seiner Seite, und das gemeinsame Lagerleben führte schnell Vertraulichkeit herbei. Hutten's Briefe aus dieser Zeit sind voll von Sickingen's Lobe. Er nennt ihn einen großen Mann in allen Stücken, von hohem, auf Glück und Unglück gleich gefaßtem Muthe, großen Gedanken, bedeutender, würdiger Rede, dabei einfach und leutselig im Benehmen, daher bei den Soldaten ungemein beliebt. »Ein Mann«, schreibt er an Erasmus, »wie Deutschland lange keinen gehabt hat, und von dem ich hoffe, daß er dieser Nation einmal noch zu großem Ruhme gereichen werde. Nichts bewundern wir an den Alten, dem er nicht eifrig nachstrebte. Er ist klug, ist beredt, greift Alles rasch an, und entwickelt eine Thätigkeit, wie sie bei einem Oberanführer erforderlich ist … Gott möge den Unternehmungen des tapfern Mannes beistehen!«
Nach Beendigung des Feldzuges begab sich Hutten in das Wildbad, um seine Gesundheit zu stärken, und erhielt hier Briefe von Hermann Busch aus Köln und Beatus Rhenanus aus Schlettstadt, nachdem ihm schon vorher bei Cannstatt ein Schreiben von Erasmus aus Löwen vom 23. April, als Antwort auf Hutten's letzten Brief aus Mainz, zugekommen war. Ganz konnte es der friedliebende Erasmus hier doch nicht lassen, den jugendlichen Freund mit seiner Kriegslust aufzuziehen. Nachdem er ihm gemeldet, daß er am Lesen seiner Aula bisher durch Geschäfte verhindert gewesen, und daß seine Febris (sammt dem ihr beigedruckten Phalarismus) wegen der persönlichen Anzüglichkeiten darin zu Löwen verboten sei, übrigens allgemeinen Beifall finde, fährt er fort: »Doch was höre ich? Hutten, ganz von Eisen, wird in der Schlacht fechten? Da sehe ich ja wohl, daß du zum Kriege geboren bist, da du nicht allein mit Feder und Zunge, sondern auch mit des Mavors Waffen kämpfest. Freilich, was ist es auch Großes, wenn du jetzt unter so vielen gegen Einen zu kämpfen wagst, da du einst zu Bologna allein so viele in die Flucht geschlagen hast? Ich lobe deinen Muth; doch wenn du mir Gehör gibst, wirst du den Musen ihren Hutten erhalten.« Und wie die eigentliche, so sucht Erasmus dem Freunde weiterhin auch die literarische Kriegslust auszureden. Den Triumphus Capnionis habe er noch nicht gesehen, und hoffe, wie man ihn auf seinen Rath so lange zurückgehalten, werde man auch die ganze Schrift noch gemildert haben. Der Zänkereien sei kein Ende, im Verläumden, Lügen und Schimpfen die Gegenpartei ihnen weit überlegen: aber diesen Sieg sollten sie, die Humanisten, ihren Gegnern willig lassen, da sie Besseres zu thun haben, als ihre Zeit mit unwürdigen Streitigkeiten hinzubringen. In Hutten's Schriften I, S. 260-262.
Aus dem Wildbade begab sich Hutten Ende Mai nach Eßlingen, wo nach Würtembergs Eroberung die Bündischen eine zahlreich besuchte Versammlung hielten. Schon von Stuttgart aus hatte er seinen Freund Arnold Glauberger in Frankfurt gebeten, seine Reden gegen den Herzog Ulrich abschreiben zu lassen; jetzt sah er sie noch einmal durch, da von vielen Seiten der Druck gewünscht wurde, und verfaßte eine Schlußrede dazu. S. den Brief an Chilianus Salens., Schriften I, S. 267. Die vierte, die er vor zwei Jahren zu Bamberg geschrieben hatte, schloß mit jenem erschütternden Aufrufe an den Kaiser und die Fürsten zum Gericht über den Verbrecher; einem Aufrufe, dessen rednerische Donner in den Ohren unserer Leser noch nicht verhallt sein können. Was dort gefordert wurde, war nun erreicht: der Tyrann war bestraft, war unschädlich gemacht. Aber es war nicht in der Weise gekommen, wie es dort gefordert worden war: nicht in Vollziehung eines Richterspruchs der obersten Reichsgewalt, sondern auf dem Wege der Selbsthülfe, durch einen Verein einzelner Reichsstände. Dieß war weniger als jenes, aber doch immer viel. Ein Erfolg – dieß ist das Thema von Hutten's fünfter Rede Schriften V, S. 84-95. – welcher die Betheiligten ebenso zu Dank und Preis gegen Gott, der so augenscheinlich dazu mitgewirkt, verpflichtet, als er sie für sich zur lebhaftesten Freude berechtigt. Aber nicht so dürfe man sich jene göttliche Mitwirkung vorstellen, als ob Gott auch ohne unser Zuthun geholfen haben würde. Im Gegentheil habe der Erfolg diejenigen beschämt, welche nun in das vierte Jahr sich mit bloßen Wünschen und müßigen Gebeten begnügt haben. Sie haben nichts ausgerichtet: ihnen dagegen, die, ohne das Gebet zu verabsäumen, frisch zum Werke und zum Schwerte gegriffen, sei es gelungen. Ihnen sei Gott sowohl äußerlich, durch Naturereignisse und andere Fügungen (wie der Rückzug der Eidgenossen), als innerlich, durch das Gericht des Gewissens, das den Verbrecher zu Boden geschlagen, zu Hülfe gekommen. Um nun aber die Größe der göttlichen Wohlthat, das Erfreuliche des erreichten Erfolges, anschaulich zu machen, wird die Verworfenheit des verjagten Fürsten, die Gefährlichkeit seiner Anschläge, noch einmal weitläufig ausgemalt. Hierüber war nach den frühem Reden nicht wohl etwas Neues, auf keinen Fall etwas Stärkeres, zu sagen: und so ist nicht zu leugnen, daß diese Theile der Rede durch Wiederholung und Länge ermüden. Abermals und ausführlicher als je wird Herzog Ulrich als Inbegriff aller Laster und Verbrechen dargestellt. Pikant ist die Wendung: als er in Hans Leonhard Reischach einen fünffachen Mörder (von Weib, Magd und Knecht, beide ersteren schwanger) kennen gelernt habe, sei ihm sein bisheriger Marschalk, Konrad Thumb, der Kuppler der eignen Tochter, als ein zu gewöhnlicher Verbrecher erschienen, und er habe seinen Posten dem erstern übertragen. So sei sein Kanzler (Volland) ein Dieb, Testamentsverfälscher und Angeber der Guten gewesen; sein Kammerdiener ein Diener unnatürlicher Lust; sein Barbier ein Henker und Erfinder neuer Folterqualen. Dem Herzog wird nachgesagt (wie in der That unter dem Volke die Rede ging), er habe sich zum König machen und die deutsche Verfassung umstürzen wollen; in seinen Zimmern seien Proscriptionslisten gefunden worden, auf denen verschiedene Grafen, mehr denn 200 Ritter, voran alle waffenfähigen Hutten, gestanden hätten.
Im September darauf (während Herzog Ulrich, im August wieder in sein Land gefallen, es dem überraschten Bunde mit unzureichenden Streitkräften wieder abzuringen suchte, um im October zum zweitenmal, und nun für lange Jahre, daraus vertrieben zu werden) ließ dann Hutten sämmtliche auf die Ermordung seines Vetters bezüglichen Schriften und Briefe zusammen drucken Unter dem Titel: Hoc in volumine haec continentur: Vlrichi Hutteni eq. super interfectione propinqui sui Jo. Hutteni eq. Deploratio. Ad Lud. Huttenum super interemptione filii Consolatoria. In Vlrichum Vuirtenpergensem Orationes V etc. etc. Hoc … opus excusum in arce Stekelberk an. 1519 mense Sept. Schriften I, S. 39-101. III, S. 401-412. V, S. 1-96., angeblich auf Steckelberg, in der That jedoch bei Schöffer in Mainz, dem er durch jene Angabe nur Verantwortung und Gefahr ersparen wollte. Sie fanden nicht allein in Deutschland, sondern auch in Frankreich und England, Spanien und Italien begierige Leser. Die Reden dienten in den Schulen als Uebungsstücke, der Phalarismus machte den würtembergischen Tyrannen neben dem alten sicilischen zum Sprüchwort. Gemäßigte oder ängstliche Männer mochten die Heftigkeit und Uebertreibung mißbilligen: der Wirkung konnten sie nicht wehren, welche das im besten Geschmacke der Zeit mit Feuer und Talent geschriebene, Hand in Hand mit einem großen Erfolge gehende Werk in den weitesten Kreisen hervorbrachte.
Doch wir kehren von diesem Vorsprunge in die Reihe der Zeitordnung und zu Hutten nach Eßlingen zurück, wo wir ihn des unruhigen Lager- und Versammlungslebens nunmehr satt finden. »Ich blicke«, schreibt er Ende Mai an einen Freund, »nach meinen Studien mit großer Sehnsucht zurück, so daß ich bisweilen im Schlafe ausrufe: o Muse! o Wissenschaft.« Und wenige Tage früher an einen andern: »Von hier aus werde ich nach Mainz zurückkehren, zu meinen Büchern und Studien: freilich einstweilen auch an den Hof. O die Höfe und ihre Töpfe!« Schriften I, S. 267. 273.
Damit hing aber noch ein anderes Bedürfniß zusammen, das um dieselbe Zeit sich in Hutten zu regen begann. Die Muße, nach der ihn verlangte, konnte, bei einer Natur wie die seinige, durch wissenschaftliche Beschäftigung nur zum Theil ausgefüllt werden. Zugleich hatte er zum ersten Male seit Jahren das Gefühl der Gesundheit und sich erneuernden Lebenskraft. So stiegen Heirathsgedanken in ihm auf. »Mich beherrscht«, schrieb er am 21. Mai an den alten Freund, den Würzburger Domherrn Friedrich Fischer, »mich beherrscht jetzt eine Sehnsucht nach Ruhe, in die ich mich künftig begeben möchte. Dazu brauche ich eine Frau, die mich pflege. Du kennst meine Art. Ich kann nicht wohl allein sein, nicht einmal bei Nacht. Vergebens preist man mir das Glück der Ehelosigkeit, die Vortheile der Einsamkeit an. Ich glaube mich nicht dafür geschaffen. Ich muß ein Wesen haben, bei dem ich mich von den Sorgen, ja auch von den ernsten Studien erholen kann. Mit dem ich spielen, Scherze treiben, angenehme und leichtere Unterhaltung pflegen kann. Wo ich die Schärfe des Grams abstumpfen, die Hitze des Kummers mildern kann. Gib mir eine Frau, mein Friedrich, und daß du wissest, was für eine: laß sie schön sein, jung, wohl erzogen, heiter, züchtig, geduldig. Besitz gib ihr genug, nicht viel. Denn Reichthum suche ich nicht, und was das Geschlecht betrifft, so glaube ich, wird diejenige adelich genug sein, welcher Hutten die Hand reichen wird.« A. a. O. S. 273.
Könnte es hiernach scheinen, als wäre Hutten über den allgemeinen Wunsch und Plan, sich zu verheirathen, damals noch nicht hinaus gewesen, so erhellt aus einem bereits drei Wochen früher geschriebenen Briefe an Arnold Glauberger, der auf ein noch früheres, ausführliches, aber uns nicht erhaltenes Schreiben verweist, daß er vielmehr schon ganz bestimmte Absichten hatte. Arnold Glauberger oder von Glauburg, Sprößling eines frankfurter Patriciergeschlechts, zwei Jahre älter als Hutten, mit diesem schon als Knabe bekannt, hatte später in Italien, wo er 1515 zu Pavia die juristische Doctorwürde erwarb, Freundschaft mit ihm geschlossen. Wie vertraulicher Art diese war, sehen wir aus allerlei häuslichen Bestellungen (Empfangnahme von Effecten, Pferdskauf), die ihm Hutten kurz vorher aufgetragen hatte. »Was ich vom Heirathen geschrieben«, bemerkt er ihm jetzt, »hast du so, wie es geschrieben ist, zu verstehen. Es ist kein bloßes Vorgeben, es ist mein bestimmtes Vorhaben, sofern jene es geschehen lassen.« Schriften I, S. 263. Die andern Aufträge S. 255. Damit ist offenbar die Familie der Auserkornen gemeint; aber welche Familie? Sehen wir die drei Briefe an Glauberger aus der Zeit vor und während des Feldzugs näher an, so fällt die Pünktlichkeit auf, womit er jedesmal, selbst in dem eiligst geschriebenen Zettel, dessen Frau und Schwiegervater, den verehrungswürdigen Greis Hammon (d. h. Amandus von Holtzhausen, einen hochangesehenen Patricier), zweimal auch die Brüder, grüßen läßt, überdieß von der Beute, sobald er seinen Theil erhalten haben werde, jedem ein Stück zu verehren verspricht. Wir wollen uns diese Aufmerksamkeit einstweilen merken.
Zwischen dem 21. Mai und 5. Juni kam Hutten nach Mainz zurück Sofern er unter ersterem Datum noch von Eßlingen aus an Fischer, unter letzterem von Mainz aus an Erasmus schrieb., wo man ihn unterdessen tobt gesagt hatte. Es hieß, er sei im Kriege geblieben. Liebhaber seines Talents und Anhänger der Sache, welcher er diente, trauerten Kilian Leib an Pirckheimer, Hutten's Schriften I, S. 307.; die Feinde jubelten, und hätte es sich bestätigt, meinte Hutten, so würden sie gesagt haben, das haben sie bei Christus durch ihr Gebet ausgewirkt. An Erasmus, Schriften I, S. 274.
Was Hutten's Stellung in Mainz betrifft, so hielt Kurfürst Albrecht, was er ihm zugesagt hatte. Er entband ihn des Hofdienstes, ohne ihm sein Gehalt zu entziehen. Hutten an Eoban Hesse und P. Eberbach. Schriften I, S. 302. Einmal schien es, als wolle der Fürst durch Hutten Eitelwolf's Schulplan in Ausführung bringen lassen. Auch machte er in der Folge wohl einmal den Versuch, ihn doch wieder für den Hofdienst zu gewinnen: aber Hutten ließ sich nicht überreden. So hätte der mäcenatische Albrecht gerne auch mit Erasmus seinen Hof geziert, und lud ihn durch Hutten wiederholt zu sich ein. Jetzt hatte ihm Erasmus seine Anleitung zur wahren Theologie gewidmet, und ihn dabei besonders auch um der Gunst willen gelobt, die er Hutten, dem Liebling der lateinischen Sprache, beweise. Dadurch hoch geschmeichelt, bestimmte ihm der Kurfürst eine schön gearbeitete silberne und vergoldete Schale, mit deren Uebermittlung er Hutten beauftragte. Hutten an Erasmus, a. a. O. Diesen dem Fürsten als einen jungen Mann zu empfehlen, der einst eine hohe Zierde Deutschlands zu werden verspreche, versäumte Erasmus in der nächsten Zeit nicht leicht eine Gelegenheit; die jetzige Ausgelassenheit seines Talents, setzt er hinzu, werde das zunehmende Alter von selbst verbessern. Z. B. in dem Briefe vom 16. August 1519, in Hutten's Schriften I, S. 305 f.
In einer so sorgenfreien Lage verfolgte nun Hutten seinen Heirathsplan weiter. Abermals wendet er sich (am 26. Juli) an seinen Freund Arnold; denn der Glauburg'schen Familie gehörte, wie jetzt ermittelt ist, das Mädchen an, auf die seine Absicht gerichtet war. Es war Kunigunde, die Tochter eines Johannes Glauburg von einem andern Zweige der Familie, deren Vormünder nach des Vaters Tode Arnold's Schwiegervater und Bruder waren, während die Mutter eine zweite Ehe geschlossen hatte. Vgl. die Notizen bei Böcking, Hutteni Opp. Suppl. II, S. 796 f. Darum betrachtete es Hutten als einen günstigen Umstand für seine Angelegenheit, daß eben jetzt die beiden Brüder sammt dem alten Holtzhausen in Frankfurt beisammen waren. Von der Mutter des Mädchens befürchtete er Schwierigkeiten; sie schien ihm mit der Tochter hoch hinaus zu wollen, und muß eine heftige Dame gewesen sein. Sie sollte der alte Hammon mit seinem diplomatischen Takte ausforschen und bearbeiten: ausforschen, auf was für eine Familie sie denn eigentlich mit der Tochter speculire; bearbeiten, indem er ihr Hutten's Liebe zur Tochter, seine Hochachtung für die Mutter, sein freundschaftliches Verhältniß zu der ganzen Familie, zu Gemüth führte, und ihr den Verdacht benähme, als ob er ein Revolutionär, ein gefährlicher Mensch wäre. Wenn sie erkannt haben wird, sind Hutten's eigene Worte, »daß in mir nichts Unruhiges, nichts Aufrührisches ist, meine Studien voll Anmuth, Scherz und Witz, so hoffe ich, wird sie mich ertragen und sich selbst erträglich finden lassen«. Der Bruder sodann soll sich auf Kundschaft legen, was an dem Vermögen des Mädchens sei, was ihr die Mutter gleich mitgeben, was nachlassen werde. Die Besorgniß besonders, von der ihm ein anderer frankfurter Freund, Philipp von Fürstenberg, geschrieben, daß man sie hege, soll er den Leuten ausreden, als beabsichtigte Hutten, die Neuvermählte mit sich auf ein Felsennest in der Wildniß zu nehmen. Dort würde er es am wenigsten aushalten: und eben dieß sei ja einer der Gründe, warum er eine städtische Verbindung suche, um selbst in der Stadt wohnen zu können. »Pallas hat die Städte gegründet: sie ist die Göttin meiner Studien. Centauren mögen sich am besten in Wäldern behagen.« – »Möchte euch«, so schließt er seinen Brief, »möchte euch Hutten würdig und tauglich erscheinen, mit eurem Bürgerrechte beschenkt, in eure Schwägerschaft aufgenommen zu werden. Er, der nicht viele Städte erobert hat, wie einer jener Eisenfresser, aber viele Reiche mit dem Rufe seines Namens durchwandert; nicht viele umgebracht hat, wie jene, dafür aber viele liebt, und von vielen innig geliebt wird. Der nicht auf ellenhohen Schienbeinen dahersteigt, noch durch riesenmäßigen Körper die Begegnenden schreckt, doch an Geistesstärke nicht leicht einem nachsteht. Der zwar nicht mit Schönheit prangt, oder durch Wohlgestalt sich auszeichnet, aber durch die Bildung seines Geistes liebenswürdig und begehrenswerth zu sein sich schmeicheln darf. Der nicht großzusprechen versteht, nicht prahlerisch sich herauszustreichen pflegt, aber weil er einfach, offen und redlich handelt und redet, hoffen darf, daß, wer ihn kennen gelernt hat, ihn nicht verwerfen werde. Doch dieß ist selbst beinahe prahlerisch. Ich wünsche dir mit Bruder, Schwäher, Frau und ganzer Familie langes Wohlsein, und erwarte bald einen erfreulichen Brief von dir, oder was es für einer sei, wenn er nur auf alle einzelnen Punkte des meinigen antwortet. Noch einmal lebe wohl, und antworte mir bald und ausführlich. – Nachschrift. Ich arbeite jetzt an Schriften, durch die ich euch bald zu erfreuen gedenke. Für jetzt schicke ich die Febris deinem Bruder. Ich lebe in den Studien mit großem Genuß. Wären wir nur beisammen, damit du sehen könntest, mit welchen Scherzen ich mich ergetze. Zerreiße diesen Brief sogleich, wenn mein Ruf dir am Herzen liegt: bei deiner Treue beschwöre ich dich.« Schriften I, S. 286-288. Der Freund ist dieser Bitte nicht nachgekommen, der Brief hat sich im Archiv seiner Familie erhalten, ohne, seit er bekannt geworden, dem Rufe des Ritters bei der Nachwelt den mindesten Schaden zu thun.
Die Unterhandlungen scheinen von Anfang Erfolg versprochen zu haben; denn ein halb Jahr später, am 8. Februar 1520, schreibt Cochläus aus Frankfurt über Hutten, bald werde er, wenn seine Hoffnung nicht fehlschlage, eine edle und reiche Frau heimführen. In Hutten's Schriften I, S. 321.
So träumte auch Hutten einmal den Traum eines einfach menschlichen Daseins in den friedlichen Schranken der Natur und der Sitte; er hielt sich einen Augenblick für einen harmlosen Menschen und seine Arbeiten für anmuthige Spiele: durch die er gerade im Begriffe stand, einen Sturm zu entfesseln, der ihn von dem Hafen, in welchen er eben einzulaufen meinte, weit und für immer verschlagen sollte.