Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
1515-1517.
Schon ein Jahr vor diesen letzten Briefen, Anfang August 1516, hatte Ulrich Hutten in Bologna aus der Heimath die Nachricht erhalten, daß daselbst eine Satire gegen Reuchlin's Widersacher unter dem Titel: Epistolæ obscurorum virorum, erschienen sei und viele Leser finde. Eines gedruckten Exemplars war er noch nicht habhaft geworden, aber sehr begierig, eines zu bekommen. Einen Monat später, am 11. September, schrieb er an Richard Crocus nach Leipzig: »Die Dunkelmänner habe ich erhalten. Gute Götter! welche nicht unfeinen Scherze. Nun aber haben die Sophisten mich als Verfasser nicht blos im Verdachte, sondern geben mich, wie ich höre, öffentlich dafür aus. Nimm dich gegen sie des abwesenden Freundes an, und laß mich nicht mit diesem Schmutze besudeln. Schreibe mir auch ausführlich von der Sache, und laß mich wissen, was sie im Schilde führen.« Schriften I, S. 125. Bereits wurden die Briefe auch in England mit Beifall gelesen, während in Deutschland eine zweite Ausgabe derselben erschien.
Was Hutten von dem Schmutze spricht, mit dem er sich nicht gern besudeln lassen wolle, ist nicht auf die Briefe selbst, die er ja eben vorher gelobt hatte, sondern auf die Ausfälle der darin verspotteten Dunkelmänner gegen den vermeintlichen Verfasser zu beziehen, welche der Freund von ihm abwehren sollte. Wie sehr die Briefe nach seinem Geschmacke waren, zeigte sich darin, daß er bald darauf seinen Landsleuten in Bologna Briefe derselben Art vorlas, worin sie ihn als Verfasser zu erkennen glaubten, wenn er dieß gleich mit der scherzhaften Wendung ablehnte, »Gott selbsten« sei es ( est Deusmet). Cochläus an Pirckheimer, in Hutten's Schriften I, S. 126. So erschienen denn auch nach einander, zuerst zur dritten Ausgabe ein Anhang, dann ein zweiter Theil der Briefe, dem bald ebenfalls ein Anhang beigefügt wurde. Es bestehen also die Epistolæ obscurorum virorum, wie sie uns jetzt vorliegen, 1) aus den 41 Briefen der ersten und zweiten Ausgabe vom Herbst 1515 und Anfang 1516; 2) aus der zur dritten Ausgabe, auch noch vom Jahr 1516, hinzugekommenen Appendex von 7 Briefen; 3) dem 1517 erschienenen zweiten Theile mit 62 Briefen; wozu 4) in der zweiten Ausgabe nochmals ein Anhang von 8 Briefen (denn der neunte oder vielmehr erste ist nur Wiederholung einer Nummer aus dem ersten Theile) kam. Der achte Brief der ersten Appendex erschien erstmals in einer Ausgabe von 1556 und ist ein plumpes späteres Machwerk; der sogenannte dritte Theil der Epistolæ aber, 1689 zum erstenmal gedruckt, eine Sammlung vermeintlicher Seitenstücke dazu aus verschiedener Zeit, hat vollends mit dem ursprünglichen Buche nichts mehr zu schaffen. Epistolæ obscurorum virorum ad venerabilem virum M. Ortuinum Gratium etc. Der Text in Böcking's Hutteni operum Suppl. I, S. 1-79. 181-300. Böcking's Commentar ebendas., II, S. 515-784. Das Bibliographische II, S. 1-37.
Der Titel und wohl der ganze Gedanke der Schrift ist als Gegenstück zu den Epistolæ clarorum virorum an Reuchlin entstanden, die im Jahre 1514 von seiner Seite veröffentlicht worden waren, um in dem Streite mit den Kölnern ein Gewicht in seine Wagschale zu werfen. Wie nahe lag es, diesem wirklichen Briefwechsel aus dem Reuchlin'schen Kreise einen erdichteten aus dem Kreise seiner Widersacher entgegenzustellen. Standen auf seiner Seite ruhmeshelle, allbekannte Männer, so waren die Anhänger der Gegenpartei dunkle, obscure Männer, von denen Niemand etwas wußte. War die erstere Sammlung darauf berechnet, zu zeigen, welch edle Menschen, welche löblichen Bestrebungen für Bildung und Fortschritt sich um Reuchlin gesammelt hatten, so galt es hier, einen Blick in den Pfuhl von Unwissenheit, Dummheit und Gemeinheit zu eröffnen, welcher das Element seiner Gegner war. Wenn jenes größtentheils Briefe an oder von Reuchlin gewesen waren, so wurde hier als Adressat mit gutem Takte nicht Pfefferkorn (der war zu gemein), nicht Hochstraten oder Tungern (die waren zu furchtbar), sondern ihr lateinischer Handlanger und poetischer Schildhalter Ortuinus Gratius gewählt. Mit dem Widerspruche, einerseits selbst auch ein Humanist und schöner Geist sein zu wollen, und doch andererseits der alten Scholastik zu dienen, war er schon von Hause aus ein komisches Subject; während zugleich ein solcher Mensch, der die Bildung, welche er dem neuen Princip verdankt, zu dessen Bekämpfung im Dienste des alten verwendet, als Verräther ein Gegenstand besondern Hasses für alle diejenigen ist, die es mit dem neuen Princip ehrlich meinen.
Wie aber nach der einen Seite zu den Briefen berühmter Männer an Reuchlin, so bilden nach der andern die Briefe der Dunkelmänner auch zu dem Triumphus Capnionis ein ergänzendes Gegenstück. Waren in diesem Gedichte die Gegner Reuchlin's und des Humanismus mit Ernst und Pathos, mit allen Waffen des Unwillens, der Verachtung und des Hasses gleichsam tragisch bekämpft, so geschieht dieß in den Briefen der Dunkelmänner komisch, mit den Waffen der Satire. Daß aber nicht ein Anderer über die Dunkelmänner schreibt, sondern diese selbst, die Magister und Baccalaurei Genselinus, Caprimulgius, Scherschleiferius, Dollenkopfius, Mistladerius u. dgl., einigemale auch Ortuin, Hochstraten und Tungern in eigener Person die angeblichen Briefsteller sind, ist eine Wendung, welche die Erhebung der Satire in das Gebiet der reinen Komik erleichtert. Die Barbarei wird, mit Erasmus zu reden, barbarisch verlacht, d. h. dadurch, daß sie sich selbst ungescheut, ohne Ahnung ihrer Verkehrtheit, darlegt. Soll diese Selbstdarstellung schlagende Kraft haben, so muß sie ihren Gegenstand idealisiren, die in der Wirklichkeit zerstreuten Züge von Roheit, Blödsinn u. s. w. in Brennpunkte sammeln: das satirische Ideal ist nothwendig Carricatur. Aber Kunstwerk ist diese nur dann, wenn sie sich so weit mäßigt, die Uebertreibung so mit Lebenswahrheit zu mischen weiß, daß die Täuschung nicht gestört wird, als hätte man es mit wirklichen Wesen, in unserm Falle nicht mit fremdem Spotte, sondern mit dem eigenen Sichgehenlassen unbefangener Briefsteller zu thun. Diese Probe bestanden bekanntlich die Briefe der Dunkelmänner in dem Grade, daß bei ihrer ersten Erscheinung die Bettelmönche in England jubelten, im guten Glauben, eine Schrift zu ihren Gunsten und gegen Reuchlin in Händen zu haben, und in Brabant ein Dominicanerprior eine Anzahl von Exemplaren zusammenkaufte, um seinen Obern ein Geschenk damit zu machen. Erst der letzte Brief des Anhangs zum zweiten Theile, der aus dem Tone der Ironie in den der Invective fällt, öffnete den guten Leuten die Augen. S. den Brief des Erasmus, Hutten's Schriften II, S. 442.
Von der Art des Werkes eine Vorstellung zu geben, ist gleich der erste Brief besonders geeignet, welcher mit künstlerischer Berechnung gleichsam als Exposition vorangestellt ist. Unter allerhand Citaten aus Aristoteles und der Heiligen Schrift legt der Theol. Baccalaureus Thomas Langschneider seinem ehemaligen Lehrer Ortuin Gratius eine Streitfrage zur Entscheidung vor, die kürzlich bei einem Magisterschmaus in Leipzig aufgeworfen worden sei. Er vergißt nicht, vorher zu beschreiben, wie die Doctoren, Magister und Licentiaten sich bei der Gelegenheit auf Kosten der neuen Magister gütlich gethan mit gebratenen Hühnern, Kapaunen und Fischen, Malvasier und Rheinwein, einbecker, torgauer und neuburger Bier. So erheitert, beginnen die Magister schulgerecht von wichtigen Fragen zu reden, unter anderm, ob einer, der Doctor der Theologie, d. h. nach damaligem Sprachgebrauche Magister noster, zu werden im Begriffe stehe, Magister nostrandus oder noster Magistrandus zu nennen sei. M. Warmsemmel, ein feiner Scotist, entscheidet sich für das Letztere. Denn, sagt er, magistrare ist ein verbum, s. v. a. magistrum facere, und davon kommt magistrandus; dagegen nostro, nostrare, ist nicht gebräuchlich, und kommt nicht im Wörterbuch. Hiegegen hält M. Delitzsch, Artist, Mediciner und Jurist zugleich (eine wirkliche Person, Professor und einigemale auch Rector in Leipzig), den Widerpart. Es sei gar nicht einerlei, ob noster vor oder nach Magister stehe: Magister noster bezeichne herkömmlich einen Dr. Theol., noster Magister aber könne nach Umständen jeder Meister in irgend einer freien oder unfreien Kunst genannt werden; also könne nur Magister nostrandus das Richtige sein. Daß ein Verbum nostrare nicht gebräuchlich, stehe dem nicht im Wege, da es ja nach Horaz ( Ars poetica) gestattet sei, neue Worte zu bilden. Welche von beiden Ansichten nun die richtige sei, bittet der Briefsteller, möge Ortuin entscheiden, und ihn auch in Kenntniß setzen, wie es mit dem Kriege zwischen ihnen und dem Dr. Reuchlin stehe; denn er habe gehört, daß dieser Schuft immer noch nicht widerrufen wolle. Auch das artikelweise geschriebene Buch Arnold's von Tungern (gegen Reuchlin) möge er ihm noch einmal schicken, und sein vertrauliches Schreiben nicht übel nehmen. – An diesem ersten Briefe mit seinem prandium magistrale hatte Erasmus, dem er schon vor dem Druck abschriftlich zugekommen war, eine solche Freude und las ihn so oft unter Freunden vor, daß er ihn beinahe auswendig wußte. Erasmi Spongia. Hutten's Schriften II, S. 277.
Durch denselben sind wir nun schon völlig in das Leben und Treiben, in den geistigen Horizont der Menschen versetzt, mit welchen es die Epistolæ obsc. viror. zu thun haben. Aehnliche Scenen, ähnliche Streitfragen, eine immer scholastischer als die andere, wiederholen sich. So hatte Ortuin einmal von einem gewissen Magister noster den Ausdruck gebraucht, er sei ein Glied ( membrum) von zehn Universitäten. Aber der scharfsinnige Dr. Klorbius Epist. obsc. viror., II, 13. macht ihn aufmerksam, wie unstatthaft es sei, von einem Gliede mehrerer Körper zu sprechen, da wohl ein Körper mehrere Glieder haben, aber nicht ein Glied mehreren Körpern angehören könne. Jenen Magister noster statt eines Gliedes vielmehr Körper von zehn Universitäten zu nennen, gehe aber auch nicht an, da ja dann die Universitäten seine Glieder, also ihm untergeordnet, und er mehr sein müßte als zehn Universitäten: welches für diese verkleinerlich, und selbst für einen Magister noster, die ja doch immer noch Menschen seien, zu viel wäre. Was bleibt also für ein Ausweg? Wer auf zehn Universitäten immatriculirt ist, entscheidet Dr. Klorbius, welcher solche Weisheit zu Löwen gelernt hat, der kann sagen: Ich bin Glieder ( membra) von zehn Universitäten; wobei die Incongruenz des Numerus so wenig schadet, als wenn Virgil den einen Alexis delicias seines Herrn nennt. Auch Gewissensfälle geben oft zu ähnlichen scharfsinnigen Erörterungen Veranlassung. Es ißt einer ein Ei, worin schon ein Junges zu bemerken; nachher besinnt er sich, daß es Freitag ist, und die gebrochenen Fasten fallen ihm aufs Gewissen. Ein Freund tröstet ihn, das junge Hühnchen, so lange es noch nicht ausgeschlüpft, werde nicht anders betrachtet als wie die Würmer im Käse oder in Kirschen, die man auch ungescheut zur Fastenzeit verschlucke. Allein der Briefsteller ist damit noch nicht beruhigt und wendet sich um Auskunft an Ortuin; denn die Würmer, hat er von einem Arzte gehört, der ein guter Naturforscher sein soll, rechne man zu den Fischen, sie seien also Fastenspeisen, dagegen das ausgebildete Hühnchen im Ei wirkliches verbotenes Fleisch. Epist. o. v., II, 26.
Während sie auf diese Weise am Nichts ihren Scharfsinn üben, zeigen sich unsere dunkeln Männer in allem demjenigen, woran sich in jener Zeit der geistige Fortschritt knüpfte, in Sprachen- und Alterthumskenntniß, aufs Aeußerste unwissend. Sie verwechseln den Grammatiker Diomedes mit dem Homerischen Helden. Sie klagen, daß Reuchlin (auf hebräisch Capnion genannt, wie es ein andermal von ihm heißt) und ein Anderer, Namens Proverbia Erasmi (bezieht sich auf die von Erasmus herausgegebenen Adagia), ein neues Latein in die Theologie einführen wollen. Sie halten Griechisch und Hebräisch für unnütz; denn 1) sei die Heilige Schrift schon genügend übersetzt, und 2) dürfe man die ungläubigen Juden und die schismatischen Griechen nicht dadurch stolz machen, daß man ihre Sprachen lerne. Epist. o. v., I, 18 II, 33. 35. Die Frage wird aufgeworfen, ob es zur ewigen Seligkeit nothwendig sei, daß die Scholaren die Grammatik aus weltlichen Dichtern, wie Virgil, Cicero, Plinius, lernen? Sie wird verneint, da nach Aristoteles Metaph. I. die Dichter viel lügen, und wer lügt, der sündigt, und wer sein Studium auf Lügen gründet, der gründet es auf Sünden, was aber auf Sünden gegründet ist, das ist nicht gut, sondern wider Gott, der den Sünden feind ist. I, 7. Diesem Stand ihrer Sprachkenntnisse sind auch die Wortableitungen gemäß, die sich in den Briefen der Dunkelmänner finden. Mavors, der Kriegsgott, ist der Männerfresser, mares vorans; Mercurius derjenige, qui mercatores curat; Magister ist zusammengesetzt entweder aus magis und ter, weil er dreimal mehr wissen muß als ein Anderer, oder aus magis und terreo, weil er seinen Schülern schrecklich sein soll u. dgl. m. I, 28. II, 23. In diesem Stücke freilich hatte man von keiner Seite Ursache, sich in die Brust zu werfen. Etymologie war nicht die starke Seite jener Zeit. Manche Wortableitungen Reuchlin's geben den oben angeführten wenig nach.
Dabei geben aber Ortuin's Correspondenten so wenig als dieser selbst den Anspruch auf, Poeten und Schöngeister zu sein. Sie wissen rhetorisch und poetisch zu schreiben, und thun sich zum Theil etwas zu gut auf ihren Stil. Sie schicken ihrem Lehrer ihre dichterischen Ausarbeitungen ( dictamina) mit der Bitte zu, sie zu verbessern und zu scandiren; denn ihrer Schwäche auf den Füßen sind sie sich bewußt. Indessen, was kümmern sie die Füße? Sind sie doch keine weltlichen, sondern theologische Poeten, die nur auf den Sinn, nicht auf die Form zu sehen haben. Ein Anderes nämlich sei die gute alte Poeterei, welche auch die Magistri nostri in Paris und Köln gelten lassen, ein Anderes diese neumodische, welche jetzt von ungraduirten Gesellen nach Anleitung eines Virgil, Plinius und anderer neuen Autoren aufgebracht werde. Diese weltlichen Poeten machen Narrenspossen, während die kirchlichen das Lob der Heiligen singen; die ersteren erklären die heidnischen Schriftsteller blos buchstäblich, während die letztern sogar auf die Ovidischen Metamorphosen die vierfache Auslegung anwenden, und in Semele und Bacchus eine Allegorie auf Maria und Christus zu finden wissen. I, 25. 28. II, 27.
Besonders verderblich wirkten diese poetæ seculares, wenn wir den Klagen unserer Briefsteller ein Ohr leihen, auf die Universitäten. Mit Jubel wird die Vertreibung eines derselben, des Rhagius Aesticampianus, aus Leipzig erzählt, und die Kölner ermuntert, es mit ihrem Hermann Busch ebenso zu machen. M. Delitzsch, unser Bekannter von dem Magisterschmause her, habe von jenem gesagt, er sei an der Universität wie das fünfte Rad am Wagen und hindere nur die übrigen Facultäten. Und immer mehr sah man dieses Unwesen um sich greifen. Zu seiner Zeit, schreibt ein alter Magister, habe es nur Einen Poeten gegeben, Namens Samuel (den Verfasser der erbaulichen Reime: Disce, bone Clerice etc.); jetzt gebe es allein hier (wahrscheinlich in Leipzig) deren wohl zwanzig, welche den Anhängern des Alten jeden Schabernack anthun. Und mochten diese Alten die Poeten immer dahin wünschen, wo der Pfeffer wächst: bald mußten sie sich überzeugen, selbst wenn ein Poet da wäre, wo der Pfeffer wächst, würde er kommen und sich an ihrer Seite habilitiren. Ging das so fort, so konnte es nicht fehlen, die Universitäten, und insbesondere die philosophische Facultät, mußten zu Grunde gehen. Immer mehr schwand ja der Glanz und verödeten die Hörsäle der Magistri artium, bei welchen vordem die Jugend so feine Unterscheidungen, so scharfsinnige Einwürfe und Lösungen, so bündige Schlüsse hatte machen lernen. Auch die akademischen Grade, die sie zu ertheilen hatten, kamen in Mißachtung: die Zuhörer der Poeten wollten die scholastischen Würden eines Baccalaureus, eines Magister, nicht mehr erwerben. Kamen sie dann nach Hause, und die Eltern fragten, was sie geworden seien? so war die Antwort: Nichts (wie bei Hutten); die Eltern bedauerten ihr hinausgeworfenes Geld und warnten andere, ihre Söhne auf Universitäten zu schicken. I, 17. 25. II, 46. 58.
So nahmen denn die Reibungen zwischen Magistern und Poeten, und nehmen die Berichte von solchen Scenen in unsern Briefen, kein Ende. Bald streiten sie sich bei einer Zeche ( in una zecha) über den trierer Rock, den ein solcher Poetenschüler ein lausiges altes Kleid nennt; über die Reliquien der heiligen drei Könige zu Köln, von denen derselbe Freigeist meint, daß sie leicht von drei westfälischen Bauern herrühren könnten; über die alten scholastischen Lehrbücher, welche die Neuerer verspotten; dann über die Tagesfrage: Reuchlin und Hochstraten, welcher letztere bei den Poeten eine verfluchte Bestie heißt, wie die pariser Universität wegen ihres Verdammungsurtheils gegen den Augenspiegel sich gefallen lassen muß, ihren alten Ehrentitel als mater studiorum mit dem einer mater stultitiæ vertauscht zu sehen. I, 22. Auch an Thätlichkeiten zwischen beiden Parteien, wie sie in ein Possenspiel gehören, fehlt es in unsern Briefen nicht. Die Reise des M. Schlauraff, die er in Reimen beschreibt, ist eine Kette von Schlägen, Püffen und Ohrfeigen, die er, als Werber gegen Reuchlin, von den Poeten und ihren Anhängern bekommt, und mittelst deren er von einer Universität zu der andern in halb Deutschland herumgestoßen wird. Besonders das Gasthaus zur Krone in Mainz ist durch seine böse Tischgesellschaft, als das Heerlager der Poeten und Freigeister, den Magistern ein Gräuel. Jene Menschen gingen mit Schwertern und Degen an der Seite, würfelten um Hochstraten's Ablaßzettel, führten lästerliche Reden und ließen einen ehrsamen Magister nicht einmal für sein Geld mit Ruhe essen. Da ging auch Ulrich von Hutten zeitweise ein und aus; ein höchst bestialischer Mensch, wie ein Brief ihn schildert, der einmal gesagt hatte, wenn die Predigermönche ihm das thäten, was sie dem Reuchlin thun, so wollte er ihnen Fehde ansagen, und jedem von ihnen, der in seine Hände fiele, Nase und Ohren abschneiden. Der Briefsteller ist nur froh, daß Hutten jetzt fort ist, um Doctor zu werden, und seit einem Jahre sich in Mainz nicht hat blicken lassen; er wünscht, der Teufel holte ihn. I, 11. II, 9. 12. 55.
Dergleichen Streitunterredungen sind es denn auch, mittelst deren in unsere Briefe der directe ernste Tadel des Unwesens, dem die Briefsteller sonst das Wort reden, eindringen kann. Die guten Leute berichten einander treuherzig, was sie da und dort für derbe Wahrheiten haben anhören müssen. Am kaiserlichen Hoflager zu Innsbruck hört M. Wilh. Lamp auf der Durchreise laute Beschwerden über das Curtisanenwesen und das Wandern des deutschen Geldes nach Rom; bei einem Gastmahl in Worms ein anderer scharfe Reden gegen die Häufung der Pfründen, das Wohlleben und die anstößigen Sitten der höhern Geistlichkeit. Ein würzburger Magister klagt über den Prediger an der Hauptkirche daselbst, Johann Reyß, der in Allem einen eigenen Weg gehe, keiner Schule als der Schule Christi angehören wolle, von den Mönchsgelübden und Kutten wenig halte, da Gott nicht auf die Kleider sehe. Auch im Predigen habe er seine besondere Art: er biete gar keine Kunst, keinen Scharfsinn mit Fragen, Einwürfen und Schlußfolgerungen aus, sondern gehe ganz einfach zu Werke, und – sonderbar! – die Leute hören ihn doch gerne. Besonders bedenkliche Aeußerungen habe er sich über den Ablaß erlaubt. Dem Bruder Jakob, der auf der Kanzel gesagt habe, was in den Ablaßbriefen stehe sei so wahr wie das Evangelium, und wer dieselben empfange sei so vollständig absolvirt, als hätte Christus selbst ihn von seinen Sünden losgezählt, habe Rehß öffentlich mit den Worten widersprochen: »Nichts ist mit dem Evangelium zu vergleichen, und wer recht handelt, wird selig. Wenn einer hundertmal jenen Ablaß empfängt und nicht gut lebt, so wird er verdammt, und der Ablaß hilft ihm nichts. Dagegen, wenn einer rechtschaffen lebt, oder, falls er gesündigt, Buße thut und sich bessert, siehe dem verkündige ich, daß er ein Bürger des Himmelreichs sein wird, ohne andere Hülfsmittel nöthig zu haben.« II, 43.
Ist hier noch vor Luther's Ablaßstreite der wesentliche Inhalt seiner Thesen und Streitschriften ausgesprochen, so zeigt eine andere Stelle vollends deutlich, wie weit ihm vorgearbeitet war. In Frankfurt a. d. O. muß sich M. Klingesor von einem, »der ihm immer Widerpart hält«, die Weissagung Zephan. I, 12: Zu derselbigen Zeit will ich Jerusalem mit Laternen durchsuchen, und will heimsuchen die Leute, die auf ihren Hefen liegen u. s. f., so auslegen lassen: »Ich will Jerusalem durchsuchen«, spricht der Herr, d. h. ich will meine Kirche untersuchen, um sie zu reformiren und die Irrthümer zu entfernen, die sich in dieselbe eingeschlichen haben; und das will ich thun »mit Laternen«, d. h. durch gelehrte Männer, dergleichen in Deutschland Erasmus von Rotterdam, Johann Reuchlin, Mutianus Rufus u. A. sind; »und will heimsuchen die Männer«, d. h. die Theologen, »die liegen«, d. h. hartnäckig beharren, »auf ihren Hefen«, d. h. auf einer schmutzigen, finstern und widersinnigen Theologie, welche sie seit einigen hundert Jahren aufgebracht haben, mit Abweichung von jenen alten und gelehrten Theologen, die im wahren Lichte der Schrift gewandelt hatten; während sie selbst weder Latein, noch Griechisch oder Hebräisch verstehen, um die Schrift auslegen zu können. Nachdem sie also jene ächte und ursprüngliche Theologie verlassen haben, thun sie nichts weiter, als daß sie disputiren und argumentiren und unnütze Fragen aufwerfen. Darum wird sie der Herr »heimsuchen« und andere Doctoren senden, welche jene Sprachen verstehen, und nach Wegräumung der »Hefen« d. h. jener abgeschmackten Spitzfindigkeiten einer falschen Theologie, ihre »Laternen« bringen, d. h. uns die Schrift beleuchten und die alte, wahre Theologie wiederherstellen; wie kürzlich der genannte Erasmus die Schriften des Hieronymus verbessert herausgegeben hat. Auch den Text des Neuen Testaments hat er verbessert, und das halte ich für nützlicher, sagt unser Schriftausleger, als wenn 20 000 Scotisten und Thomisten 100 Jahre lang über Ens und Essentia disputiren würden. II, 50.
Doch dergleichen Strafpredigten oder andere Unfälle nehmen unsre Dunkelmänner nicht allzuschwer. Essen und Trinken schmeckt ihnen doch, Deo gratias, nicht minder Schlaf und – Liebesfreuden. Die ehelichen zwar sind ihnen, soweit sie dem geistlichen Stand angehören, durch ihr Gelübde untersagt, und die außerehelichen gelten für sündhaft; das erkennen sie an: doch wissen sie sich zu helfen, sogar an der Hand der Schrift. Sage denn nicht der Prediger Salomo Kap. XI, V. 9: Freue dich, Jüngling, deiner Jugend? und III, 12, es sei nichts Besseres, als daß der Mensch sich freue in seinem Werke? und IV, 11, wenn Zweie beieinanderliegen, werde ihnen warm, Einer für sich aber könne nicht warm werden? So sei der Wandel Simson's zur Delila und Salomo's Kebsweiber ohne Zahl bekannt, und doch sei über den erstern nachmals der heilige Geist gekommen, und der letztere sei, nach der gemeinen Annahme der Doctoren, selig geworden: mithin könne jene Sünde nicht so groß sein. »Ich bin nicht stärker als Simson«, schreibt M. Conrad von Zwickau, der vorzugsweise erotische Briefsteller des ersten Theils, »und bin nicht weiser als Solomo (eine Wendung des Aeneas Sylvius, nachmaligen Papsts Pius II.): folglich muß man bisweilen eine Freude haben, denn das, sagen die Aerzte, ist gut gegen die Melancholie. Nachher beichten wir dann, und Gott ist barmherzig, und wir dürfen auf Gnade hoffen. Ist man doch kein Engel, sondern ein Mensch, und jeder Mensch irrt. Ja, wenn Gott die Liebe ist, so kann die Liebe nichts Schlimmes sein: widerleget mir diesen Beweis«, setzt der verliebte Magister selbstzufrieden hinzu. I, 9. Man sieht, wenn überhaupt bei dieser glücklichen Menschenart die Gründe wohlfeil sind, so sind sie es besonders, wo es gilt, Uebertretungen des sechsten Gebotes zu beschönigen. Daher laufen anstößige Anekdoten durch das ganze Buch: wie ein Dominicaner genöthigt wird, nackt aus dem Fenster seiner Geliebten zu springen; wie die Predigermönche in Straßburg Weiber in ihre Zellen nehmen und als Mönche verkleidet zum Einkaufen auf den Markt schicken; wie ein Magister von Ortuin einen Liebeszauber verlangt, und dieser ihm statt dessen als Gegenmittel gegen fleischliche Anfechtungen Kreuzschlagen, Weihwasser und geweihtes Salz anräth, daneben übrigens ganz nach der Vorschrift der Ovidischen Remedia ihn dadurch zu curiren sucht, daß er ihn – freilich in sehr ekelhafter Weise – auf die körperlichen Mängel seiner Geliebten aufmerksam macht. I, 4. 33. 47.
Dabei gehört ein intimes Verhältniß Ortuin's selbst zu der Frau seines judenchristlichen Bundesgenossen, jener bellula mulier, wie Reuchlin sie genannt hatte, zu den Grundvoraussetzungen des Buches. Pfefferkorn, meint ein Briefsteller, sollte in diesem Falle gar nicht eifersüchtig sein, nach dem Spruche, daß zwischen Freunden Alles gemein sein müsse. Davon wollen zwar einige die Weiber ausgenommen wissen: allein es komme hinzu, daß Ortuin keine Frau habe, und denen, die nicht haben, sollen wir mittheilen. II, 39. Ein paar Wormser Juden, die übel von Pfefferkorn reden, widerlegt ein Magister unter anderm dadurch, wenn der Mann kein guter Christ wäre, so würden ihn die Theologen und Bürgermeister von Köln nicht zu ihrem Spitalpfleger und Salzmesser gemacht haben. Zwar sagen böse Zungen, diese Gunst der Herren verdanke er seiner hübschen Frau. Aber das sei nicht wahr, denn 1) haben die kölner Bürgermeister selbst schöne Frauen, und die Magistri nostri fragen bekanntlich den Weibern nicht nach; 2) aber sei Frau Pfefferkorn ein so honettes Frauenzimmer als eines in Köln, und der Briefsteller habe sie oft sagen hören, sie habe oft ihre Mutter sagen hören, daß beschnittene Männer faciunt feminis majorem voluptatem als nichtbeschnittene, und darum gedenke sie auf den Todesfall ihres Mannes wieder einen beschnittenen zu nehmen; demnach sei nicht zu glauben, daß sie sich mit Bürgermeistern einlassen werde, die ja nicht in diese Klasse gehören. I, 36. Es ist ein beißender Spott gegen das scholastische Wesen, wenn dergleichen unsaubere Dinge ganz in den Formen der Schule mit Pro und Contra erörtert werden. So die Frage, wenn ein Jude Christ werde, ob dann renascitur sibi præputium oder nicht? und wenn nicht, ob dann nicht am jüngsten Tage Irrungen zu befürchten seien? ferner, ob Pfefferkorn in der Eigenschaft als immer noch heimlicher Jude, oder nur als gewesener Metzger, so übel rieche? I, 37. II, 25. Diese Art des Scherzes indeß war den Verfassern der Epistolæ obscurorum v. durch einen öffentlichen Gebrauch der Zeit an die Hand gegeben. Den Disputationen an den Universitäten, besonders den sogenannten Quodlibets, pflegten sich schon seit dem 15. Jahrhundert, mittelst der Unterscheidung von quæstiones principales und minus principales, komische Nachspiele anzuhängen, wo in den hergebrachten Schulformen niedrige, am liebsten schlüpfrige Gegenstände abgehandelt wurden. Es sind uns verschiedene Stücke dieser Art erhalten Ein erfurter Quodlibet, De generibus ebriosorum, angeblich aus dem Jahre 1515, mit Versen u. a. von Eoban eingeleitet; ein heidelbergisches De fide meretricum u. dgl. m., aus denen wir unsere Briefe theils besser verstehen, theils aber auch höher schätzen lernen; denn bei aller Verwandtschaft übertreffen sie (in ihren ächten Theilen) an Kunst und Feinheit, selbst im Schmutzigen, jene Muster weit.
Durch alle diese Späße und wohl auch Unziemlichkeiten übrigens geht wie der rothe Faden die Reuchlin'sche Angelegenheit hindurch; womit einestheils für den possenhaften Vordergrund ein dunkler, ernster Hintergrund, anderntheils für die lose Form einer Briefsammlung das Band einer Fabel gewonnen, das Ganze dem Roman nahe gerückt wird. Schon im ersten Briefe des ersten Theils wird gefragt, wie es mit der Fehde zwischen Reuchlin und den Kölnern stehe? und der letzte Brief des Anhangs vom zweiten Theile wirft dem Ortuin und seinen Helfershelfer nunmehr offen die Schlechtigkeiten vor, die sie an dem rechtschaffenen und gelehrten Reuchlin verübt haben. Zwischen beiden Endpunkten aber sind nur wenige Briefe, in welchen dieses Thema nicht zur Sprache käme. Bald von Anfang wird Hochstraten's als in Rom befindlich Erwähnung gethan, und sofort ist es der schwankende Gang des Rechtshandels zwischen ihm und Reuchlin, der Wechsel zwischen Furcht und Hoffnung, wie wir ihn aus Hutten's, Mutian's u. a. Briefen kennen, der sich in denen der Dunkelmänner von der Kehrseite abspiegelt. Bald empfangen oder ertheilen sie gute Zeitung aus Rom: Hochstraten hat Wechsel erhalten, den Cardinälen und Auditoren ein fettes Gastmahl gegeben: da sind sie voll Hoffnung auf einen für sie günstigen Ausgang der Sache; zumal wenn gleichzeitig verlautet, daß Reuchlin's Mittel durch die Proceßkosten gänzlich erschöpft seien. Ein andermal aber heißt es, der Papst wolle die speiersche Sentenz bestätigen und den Druck des Augenspiegels in Rom gestatten; Leo dem X. trauen sie überhaupt nicht, weil er selbst ein Poet sei und den h. Thomas Contra gentiles nicht verstehe; nun geht auch dem Hochstraten das Geld aus, ein besuchender Magister sieht seine Kutte liegen und findet sie voller Läuse, was den guten Menschen bis zu Thränen rührt. Der erste Theil der Briefe endigte ursprünglich mit dem Gerüchte, das jedoch der Briefsteller unglaublich findet, daß Reuchlin obgesiegt habe; in der vermehrten Ausgabe ist ein Brief, angeblich von Hochstraten selbst, aus Rom, hinzugekommen, in welchem er gesteht, er wollte, er hätte den Handel nicht angefangen, denn es stehe schlecht, er habe oft nicht das liebe Brod, und wenn er mit Peter Meyer von Frankfurt auf dem Campo Fiore spazieren gehe, so spotten die Curtisanen: da gehen die Zwei, die den Reuchlin fressen wollen. I, 48. Gegen den Schluß des zweiten Theils schwebt zwar der Handel in Rom noch immer, doch ist bekannt, daß die Mehrheit der niedergesetzten Commission für Reuchlin ist, und die Aufmerksamkeit und Hoffnung wendet sich der großen Reuchlinistenverschwörung zu, welche sich mittlerweile in Deutschland gebildet und die Sache Reuchlin's und der Geistesfreiheit vor dem Richterstuhle der öffentlichen Meinung durchzufechten sich vorgesetzt hat. II, 53. 55. 59.
Nachdem so oft von Reuchlin die Rede gewesen, daß man gespannt sein muß, ihn selbst auftreten zu sehen, eröffnet endlich ein Brief des zweiten Theils den Einblick in das Studirzimmer des ehrwürdigen, nunmehr 61jährigen Mannes. »Wie ich in sein Haus kam«, erzählt ein Baccalaureus, »da sagte er zu mir: Willkommen, Herr Baccalaureus, setzet Euch. Und er hat einen Brill ( unum brillum) auf seiner Nase und ein Buch vor sich, das war seltsam geschrieben, und ich sah gleich, daß es weder deutsch, noch böhmisch, auch nicht lateinisch geschrieben war. Und ich sagte zu ihm: Vortrefflicher Herr Doctor, wie nennt man sothanes Buch? Er antwortete: es nenne sich der griechische Plutarchus und handle von der Philosophie. Da sagte ich: So leset es in Gottes Namen! und daher glaube ich, daß er wundersame Künste versteht. Dann sah ich ein kleines Buch, neugedruckt, unter der Bank liegen, und sagte zu ihm: Vortrefflicher Herr Doctor, was liegt denn da? Er antwortete: Es ist ein anstößiges Buch, das mir kürzlich ein Freund aus Köln geschickt hat, es ist gegen mich geschrieben, und die kölner Theologen haben es verfaßt, und sagen nun, Johann Pfefferkorn habe solches Buch gemacht. Da sagte ich: Was thut Ihr dagegen? wollet Ihr Euch nicht rechtfertigen? Antwortet er: Nichts weniger; ich bin schon hinlänglich gerechtfertigt, ich kümmere mich nichts mehr um diese Thorheiten, meine Augen reichen kaum noch hin, das zu studiren, was mir nützlich ist. Das Büchlein aber war betitelt: Defensio Jo. Pfefferkorn contra famosas.« II, 34. Von der Pfefferkorn'schen Defensio bald mehr.
Haben wir uns bis daher redlich bemüht, von Zweck und Inhalt, Form und Anlage der Dunkelmännerbriefe dem Leser eine Vorstellung zu geben: so können wir uns zum Schlusse das niederschlagende Bekenntniß nicht ersparen, daß wir etwas unternommen haben, das sich eigentlich nicht leisten läßt. Sollen wir mit Einem Worte den Punkt dieser Unmöglichkeit bezeichnen, so liegt er in der Sprache unserer Briefe. Da es die Dunkelmänner des beginnenden sechzehnten Jahrhunderts selbst sind, welche sich darin aussprechen, so thun sie es in ihrer Sprache, d. h. in einem Latein (wenn es noch so genannt werden kann), wie es sich im Laufe des Mittelalters aus der Mischung kirchlicher und landessprachlicher Bestandtheile mit dem ursprünglichen Grundstocke gebildet hatte. Diese Sprache ist dadurch komisch, daß sie zwar auf jedem Schritte mit den Gesetzen der classischen Latinität im Widerspruch, aber trotzdem etwas für sich, eine Sprache ist, der man es heute noch anmerkt, daß sie, wenn auch in unsern Briefen komisch idealisirt, d. h. übertrieben, doch ihrer Grundanlage nach gelebt hat und wirklich gesprochen worden ist; wie die Briefsteller ihrerseits, trotz des grellen Widerspruchs, worin ihr Treiben mit Vernunft und Bildung steht, doch so einig mit sich, so vergnügt in sich und unter sich sind, als nur je ein Falstaff, oder sonst ein ächt komisches Subject gewesen ist. Aber dieser komische Charakter ist an das Lateinische gebunden. Er geht in jeder Uebersetzung verloren. Diese Art von lächerlicher Verderbniß hat eben nur das Lateinische in seinem Durchgange durch das Mittelalter und die andersredenden Nationalitäten erlitten. Keine Art, wie der Uebersetzer das Deutsche oder sonst eine Sprache handhaben möchte, kann den Eindruck des Originals wiedergeben.
Am ehesten geht es noch an solchen Stellen, wo das Komische des Ausdrucks weniger in dem grammatischen als in dem logischen und rhetorischen Baue liegt, wie z. B. in folgendem Eingange des Briefs von Wilh. Scherschleiferius aus Frankfurt. »Ich wundre mich sehr«, schreibt er an Ortuin, »warum Ihr mir nicht schreibet, und Ihr schreibet doch an andre, die Euch nicht so oft schreiben, als ich Euch schreibe. Wenn Ihr mein Feind seid, daß Ihr mir nicht schreibet, so schreibet mir doch, warum Ihr mir nicht mehr schreiben wollt, damit ich weiß, warum Ihr nicht schreibet, da ich Euch doch immer schreibe, wie ich Euch auch jetzt schreibe, unerachtet ich weiß, daß Ihr mir nicht wieder schreiben werdet« u. s. f. I, 15. Oder wenn die liebe Unwissenheit so naiv sich vorträgt, wie in dem Brief eines Wormser Magisters an Ortuin aus Rom: »Ihr habt mir (beim Abschiede) gesagt: Peter, wenn Ihr nach Rom kommt, sehet zu, ob es neue Bücher gibt, und schicket mir etliche. Schauet nun, da habt Ihr ein neues Buch, das hier gedruckt ist, und weil Ihr ein Poet seid, glaube ich, daß Ihr viel Nutzen daraus ziehen könnet. Denn ich habe hier in der Audienz von einem Notarius gehört, der perfect sein soll in dieser Kunst, sothanes Buch sei der Quellbrunn der Poeterei, und sein Verfasser, mit Namen Homerus, sei der Vater aller Poeten. Und er hat gesagt, es gebe noch einen andern Homerus, auf Griechisch. Da sagte ich: was geht mich das Griechische an? der lateinische da ist besser, denn ich will ihn nach Deutschland schicken an M. Ortuinus, der fragt nichts nach diesen griechischen Phantaseien. Und ich fragte ihn: was ist in dem Buch begriffen? Antwortet er, es handle von gewissen Leuten, die Griechen hießen, die haben Krieg geführt mit andern, die sich Trojaner nannten, die ich auch schon vordem habe nennen hören. Und diese Trojaner hatten eine große Stadt, und jene Griechen legten sich vor die Stadt und lagen allda wohl 10 Jahre; da kamen die Trojaner bisweilen zu ihnen heraus und schlugen sich handgreiflich mit ihnen, und würgten sich gar seltsam untereinander, also daß die ganze Ebene blutig war; und es war ein Wasser da, das wurde von dem Blute gefärbt und ganz roth; und das Geschrei hat man im Himmel gehört, und einer hat einen Stein geworfen, den 12 Männer nicht erheben konnten, und ein Pferd hat angefangen zu reden und hat geweissagt. Aber ich glaube solches nicht, weil es mir unmöglich vorkommt, auch scheint mir das Buch nicht sehr authentisch; bitte, schreibet mir, was Ihr davon haltet.« II, 44.
So kann man wohl auch von den lateinischen Versen unserer Magister durch Uebersetzung dem deutschen Leser eine Vorstellung zu geben suchen, z. B. wenn Cornelius Fenstermacher seine Klagen über die mainzer Kronengäste in Reime faßt:
Zu Mainz im gemeinen Gasthaus zur Krone,
Wo ich neulich schlief in eigner Persone,
Da sind zwei unverschämte Spaßmacher,
Die spielen gegen unsre Magister die Lacher,
Verstehen nicht förmlich in Schulen zu disputiren,
Noch aus einem Schlußsatz viele Corollarien zu formiren,
Wie der
Doctor subtilis gründlich lehrt,
(Wer ihn verachtet, ist sehr verkehrt) …
Von dem allem verstehen nichts die Poeten,
Darum führen sie so ungewaschene Reden,
Wie jene zwei frechen Possenreißer,
Die unsre Magister Narren heißen,
Aber unser Magister von Hochstraten muß sie citiren,
Dann wird es ihnen vergehen, erleuchtete Männer zu vexiren.
I, 11.
Doch auch hier steht, von den einzelnen Feinheiten des Mißausdrucks abgesehen, die Form des wilden Knittelreims mit der Eigenthümlichkeit der deutschen Sprache lange nicht in dem komischen Widerstreite, wie mit der exacten Metrik der lateinischen; der Fortschritt der Verderbniß, wie aus dem Hexameter durch Vermittlung erst des Leoninischen Verses dann des Vergessens der Quantität, der barbarische Knittelvers geworden, ist nur im lateinischen Original, nicht in der Uebersetzung bemerklich. So bleibt der volle und ganze Genuß der Epistolæ obscurorum virorum auf diejenigen beschränkt, welche sie in ihrer Ursprache zu lesen verstehen.
Das thut aber ihrem Werthe so wenig Eintrag, als es in jener Zeit, wo das Lateinische noch Welt- und Geschäftssprache war, ihrer Wirksamkeit gethan hat. Unterscheiden wir diese beiden Gesichtspunkte für ihre Beurtheilung, so geht die gewöhnliche Meinung dahin, den Werth der Epistolæ obscurorum virorum mehr in ihrer geschichtlichen Wirkung, als in ihrer Bedeutung als Kunstwerk zu suchen. Wenn unsere bisherige Darstellung ihren Zweck nicht ganz verfehlt hat, so werden die Leser mit uns anderer Ansicht sein. Uns haben die Briefe der Dunkelmänner an kein Buch lebhafter erinnert, als an das erste in seiner Art, den Don Quixote, diese weltgeschichtliche Satire, zu welcher der Stoff in dem Contrast einer abgängigen Denk- und Lebensform mit einer neu aufkommenden gegeben war, aber vom Genie ergriffen und über die Sphäre der bloßen Satire hinaus in die Höhe des Humors erhoben wurde. Eine ähnliche Bewandtniß hat es mit den Briefen der Dunkelmänner. Die geschlossene Einheit der Romanform, das plastische Hervortreten handelnder Hauptpersonen, geht ihnen freilich ab: sie sind einem figuren- und gruppenreichen Relief zu vergleichen, auf welchem Silen und Esel, Satyr und Bacchantin sich durcheinandertreiben, und wo der Reichthum des Einzelnen für den Mangel an Einheit des Ganzen schadlos hält. Daß diese gleichwohl nicht ganz fehlt, haben wir nachgewiesen, und daß, was die Hauptsache ist, die Erhebung in das Gebiet des poetischen Humors in allen Hauptpartien gelungen ist, davon wird jeden der Eindruck überzeugen, den das Lesen des Büchleins und seiner einzelnen Theile in ihm zurückläßt, und welcher der Wirkung einer Aristophanischen Komödie, einer Sancho- oder Falstaffsscene, vollkommen ebenbürtig ist.
So ausführlich, wie geschehen, von den Briefen der Dunkelmänner hier zu handeln, hätten wir kein Recht gehabt, wenn nicht unter denen, welche auf die Verfasserschaft des ohne Namen erschienenen Werkes Anspruch haben, Ulrich Hutten in erster Reihe stünde. Daß er in frühern Jahren sich mit dergleichen anonymen Spottschriften gegen die Feinde der Aufklärung abgegeben, gesteht er selbst, wenn er später einmal an Pirckheimer schreibt, falls jene Menschen so fortmachen, habe er beschlossen, sie nicht mehr blos hinterrücks zu verspotten, sondern sie muthig ins Angesicht anzugreifen. Schriften I, S. 197. So kam er denn auch, kaum daß die erste Lieferung der Dunkelmännerbriefe erschienen war, in den Verdacht der Verfasserschaft. Erasmus sagt von dem Brief über den Magisterschmaus, es habe geheißen, er sei von Hutten In seiner Spongia, Hutten's Schriften II, S. 277. und dieser selbst lehnte seinen Antheil an dem Buche nicht so ernstlich ab, als besorgte Freunde um seiner Sicherheit willen hätten wünschen mögen. Brief des Laurenz Behaim an Pirckheimer, Hutten's Schriften I, S. 150. Nur von einem Antheil nämlich, nicht von ausschließender Urheberschaft Hutten's ist gleich Anfangs bei den besser Unterrichteten die Rede: Erasmus glaubte bestimmt von drei Verfassern zu wissen. A. a. O. S. 278. Theilt sich mithin jetzt die Frage in die beiden: welche Theile der Sammlung für Hutten's Arbeit gelten können? und welches seine Mitarbeiter und deren Antheile gewesen sein mögen? so scheint er sich von der Verantwortlichkeit für den ersten Theil in den schon erwähnten beiden Briefen an Richard Crocus loszusagen. Näher zugesehen indeß erscheint dieß als der Stil, worin die Reuchlinisten den Kampf für den verehrten Meister führen zu sollen meinten: wie das ernste Triumphgedicht, so sollten auch diese satirischen Geschosse nicht von einem einzelnen, sondern von einer Mehrheit zum Verderben der Finsterlinge Verschworener (wie das Nachwort zum Triumphus sich ausdrückt) zu kommen scheinen. So sahen wir ja Hutten auch die Urheberschaft eines Briefs im zweiten Theil, wenn gleich nur scherzhaft, ablehnen, der ihm mit der größten Wahrscheinlichkeit zugeschrieben wird; die Einzelnen traten planmäßig zurück, um, ernsthaft genommen, als verkappte Rächerschaar desto furchtbarer, komisch gefaßt als namenloser Wespenschwarm desto unbequemer zu sein.
Sehen wir uns in den damaligen Humanistenkreisen um, zu dem Zwecke, nur einstweilen die Gegend zu ermitteln, wo wir den ersten Ursprung der Epistolæ obsc. v. zu suchen haben, so weist uns eine Reihe von Anzeichen auf den uns schon wohlbekannten gotha-erfurter Kreis hin. »Du hast«, schreibt Crotus im Jahre 1514 an den angefochtenen Reuchlin, »du hast für dich den ganzen Mutianischen Orden, er faßt Philosophen, Poeten, Redner und Theologen in sich, alle dir ergeben, alle gerüstet für dich zu kämpfen. Befiehl nur; sobald du willst sind wir bereit.« Hutten's Schriften I, S. 29. Im Einzelnen macht Crotus aus diesem Kreise außer dem hochgelehrten Mutian den Eoban Hesse mit seinem himmlischen Dichtertalent und Hutten mit seinem Feuer und seiner Schärfe namhaft; daß er dabei bereits an das Unternehmen der Epistolæ gedacht, wird daraus wahrscheinlich, daß er hinzusetzt, mit Einem Anlaufe werde dieser den saftlosen Ortuin – den Hauptadressaten der Briefe – zermalmen. Für sich selbst nimmt Crotus in diesem Heere nicht die Stelle des Feldherrn, sondern nur die eines Kriegstribunen in Anspruch. Daß er indeß, wenigstens bei dem in Rede stehenden Unternehmen, mehr als nur ein Subalternofficier war, dafür ist uns ein unverwerfliches Zeugniß aufbehalten.
Wir besitzen den Brief eines Ungenannten, in dem man früher den aus der sächsischen Reformationsgeschichte wohlbekannten Justus Jonas vermuthete, seit Böcking's Untersuchungen mit mehr Wahrscheinlichkeit den demselben Kreise angehörenden Justus Menius findet, an Crotus Rubianus, geschrieben im Jahre 1532 Ad Apologiam Jo. Croti Rubeani responsio amici etc. In Hutten's Schriften II, S. 456-465. Womit zu vergl. die ebendaselbst angeführte Abhandlung von Böcking.. Damals war Crotus, der einst Hutten's Busenfreund, Reuchlin's eifriger Vertheidiger, bald auch Luther's warmer Verehrer gewesen war, von der Sache, deren Anfänge er nicht wenig gefördert hatte, zurückgetreten, hatte sich den Vertheidigern der alten Kirche beigesellt, und dieser Wandlung in einer Schutzschrift für den Erzbischof Albrecht Ausdruck gegeben. Diese neue Stellung des Abgefallenen sucht nun der Briefschreiber dadurch zu untergraben, daß er seine Antecedentien enthüllt. Er erinnert ihn an die beißenden Scherzreden gegen das alte Kirchenwesen, die er im Mutianischen Kreise zu Gotha geführt, an die namenlosen Spottschriften, welche noch vor Luther's Auftreten von ihm und Hutten, den aber er erst dazu aufgestiftet, gegen Papst und Cardinäle, Theologen und Mönche, verbreitet worden seien. Das Schärfste von allem aber seien seine Epistolæ obscurorum virorum gewesen; ein Buch, das der Ungenannte mit Recht ein »zwar nicht unvergleichliches, doch ewiges Gedicht« nennt, das zehn Demokriten zu lachen geben könnte, ein Signal, das alle diejenigen, die für sich so viel Witz nicht aufzubieten gehabt, mit neuen Waffen gegen die Papisten ausgerüstet, und der päpstlichen Herrschaft mehr als vielleicht irgend ein anderes Buch des Jahrhunderts geschadet habe. Daß er den Spott des Crotus, der zunächst gegen die scholastische Barbarei und nur mittelbar gegen die alte Kirche ging, unmittelbar gegen diese gerichtet sein läßt, gehört zur Tendenz des Anonymus. Der Briefsteller spricht als einer, der dem damaligen Kreise des Crotus angehörte (Menius hatte in den Jahren 1514-16 zu Erfurt, wo Crotus sich seit 1515 wieder aufhielt, studirt), er erinnert ihn an ihre vertraulichen Gespräche, an die Spaziergänge und Mahlzeiten, wo Crotus sein entstehendes Werk bei sich gehabt und daraus vorgelesen habe. In Kirchen und Hörsälen, berichtet er, habe dieser ein Schreibtäfelchen mit sich geführt, um solche Reden, die ihm zur Verarbeitung in sein Werk passend erschienen, darin zu verzeichnen. Auf dieses habe er sich nicht wenig zu gute gethan, und der Briefsteller sagt es auch dem Apostaten noch auf den Kopf zu, daß er dasselbe als seine Erfindung immer noch im Stillen zärtlicher liebe als eine Aeffin ihr Junges, und eher möchte, daß Homer's Ilias zu Grunde ginge, als des Crotus anmuthige Scherze und unsterbliches Lachen über die Papisten.
Die Erfindung also, die Conception und erste Idee der Briefe der Dunkelmänner wird hier von einem offenbar genau mitwissenden Zeitgenossen dem Crotus zugeschrieben. Hutten's Antheil wird nicht geleugnet, ein Brief ihm ausdrücklich beigelegt, weiterhin jedoch bemerkt, in diesem Fache, wo es sich um Durchziehen der Papisten, um beißende Verhöhnung von Cardinälen und Bischöfen gehandelt habe, sei Hutten, mit all seiner hohen Redner- und Dichtergabe, dem Crotus bei Weitem nicht gewachsen gewesen. Wir werden nicht vergessen, daß der Briefschreiber ein Interesse hatte, sich hier stark auszudrücken, weil, was er in die Wagschale des ehemaligen Crotus legte, die des abgefallenen in die Höhe zog: deßwegen hat er sich wohl auch über das Verhältniß seines satirischen Talents zu dem von Hutten allgemeiner ausgesprochen, als daß wir sein Urtheil ohne Einschränkung gelten lassen könnten. Nur so viel ist richtig: für sich wäre Hutten schwerlich auf diese Manier verfallen, die seinem Freunde Crotus eigenthümlich war; nachdem dieser jedoch einmal den Ton angegeben, war er vermöge seines vielseitigen Talents im Stande, auf denselben einzugehen. Für sich war er, auch als Schriftsteller, ernster, pathetischer gestimmt. Alles von Hutten, auch seine Satire, spornt zur That, nie vergißt er, daß man das Dumme und Schlechte nicht blos belachen, sondern bekämpfen muß. Dem Verfasser der Epistolæ dagegen ist es unter seinen Dunkelmännern offenbar ganz behaglich. Er vergißt, daß sie Schufte sind, weil sie so gar ergötzliche Thoren sind. Er muthet ihnen nicht zu, anders zu sein, ja es müßte ihm leid thun, wenn sie anders wären, weil er dann nichts mehr zu lachen hätte. Ueber dem ästhetischen Gesichtspunkte kommt ihm der praktische aus den Augen: und das pflegt Hutten, wo er ganz er selbst ist, nicht zu begegnen.
Um so genauer paßt diese Eigenthümlichkeit des Werkes zu demjenigen, was wir von dem Charakter des Crotus wissen. Von jeher habe dieser, sagt eben jener ungenannte Briefschreiber, eine Abneigung vor ernsten politischen Geschäften gehabt; nie habe er sich durch die Noth der Zeit, den Zerfall des Staats, die Entartung der Kirche, Schlaf, Appetit und Humor verderben lassen; immer lieber im Kreise seiner Freunde scherzen mögen, als sich für das gemeine Beste abzuarbeiten und abzusorgen. Das ist nun zwar einseitig: das humoristische Wesen in Crotus schloß, wie wir bereits gesehen haben und noch bestimmter sehen werden, einen innern Antheil an den Gegensätzen und Kämpfen der Zeit nicht aus; selbst sein Scherz und Spott war nicht blos als geselliges Ergetzen, sondern zugleich als Waffe gegen das Verkehrte gemeint. Aber jener ernste Antheil an den Dingen ging nicht so weit, daß Crotus sich dafür hätte aussetzen mögen; daß er nicht lieber schließlich mit dem Alten seinen Frieden gemacht hätte, als durch entschiednes Eintreten für das Neue sich in weitaussehende Kämpfe zu verwickeln. Darum sandte er die Pfeile seines Spottes gern aus dem Verstecke; zu keiner seiner Schriften hat er seinen Namen hergegeben, als zu jener letzten, durch welche er sich die bittre Antwort des Anonymus zuzog, die ihn dann für den Rest seines Lebens zum stummen Manne machte. Eine besondere Beziehung zu den Dunkelmännern, denen die Epistolæ obsc. v. galten, d. h. den kölner Theologen, verleugnete er gleichwohl nicht. » Meine Kölner«, schreibt er später an Luther, »haben deine Bücher verbrannt.« Dabei falle ihm die Tragödie des ehrwürdigen Reuchlin wieder ein, von der er ein Jahr lang Zuschauer gewesen sei, und dabei das rasende Gebahren der Theologen beobachtet habe. Möchten nur, wünscht er, die dunkeln Männer mit ihrem Anschlage (gegen Luther ebenso, wie einst mit dem gegen Reuchlin) hervortreten, um aufs neue nach Verdienst beleuchtet zu werden; was sie nur mit ihrem eigenen Lichte – durch komische Nachahmung – können In Hutten's Schriften I, S. 433 f.; eine Nachahmung, mit der sich, wie wir durch Mutian wissen, in Betreff des Küchenlateins jener Männer Crotus auch in seinen Briefen zu belustigen pflegte.
Aus dieser Stelle geht nun überdieß hervor, daß Crotus während des Reuchlinischen Streites sich eine Zeit lang an einem der Hauptschauplätze des Kampfes, vermuthlich in Köln, aufgehalten haben muß; denn ein Zuschauer aus der Ferne war er nicht blos ein Jahr lang. Damals, 1512 oder 1513, hatte er auch den Pfefferkorn kennen gelernt, und ihn absichtlich auf seinen Handel mit Reuchlin zu reden gebracht. Daß er an diesem warmen Antheil nahm, wissen wir theils aus Mutian's Briefen, theils aus dem oben angeführten Schreiben des Crotus an Reuchlin, in welchem er ihm mit dem gesammten Mutianischen Heere seine Dienste anbietet, falls er deren bedürfen sollte. Den Gelehrten und Verständigen übrigens, meint er dort, geben Reuchlin's Gegner und ihre Schriften nur Stoff zum Lachen. Dazu war insbesondere Crotus auch unter Umständen aufgelegt, die sonst viel zu wünschen übrig ließen. Zwar waltete sein alter Gönner, Burggraf Hartmann von Kirchberg, bis dahin Coadjutor, seit 1513 als Abt in Fulda. Auf sein Zureden trat Crotus in den geistlichen Stand, was ihn in der Folge mitunter reuen wollte; doch verhalf es ihm zu einer Pfründe, während er von dem Lehramte bei den Mönchen entbunden wurde. Aber die Pfründe war gering und ihre säumig fließenden Einkünfte reichten kaum für die bescheidensten Bedürfnisse, namentlich nicht für die literarischen ihres Inhabers hin. Dazu kam der Stumpfsinn der Stiftsgeistlichkeit, unter der ihm jeder anregende Umgang fehlte. Bitter beklagte er sich darüber in einem Brief an Mutian Hutten's Schriften III, S. 543 f.; gerne hätte er seinen Aufenthalt verändert, Fulda mit Erfurt oder Köln vertauscht, wenn nicht seine geistlichen Functionen ihn festgehalten hätten. Indessen unterhielt er sich durch allerlei satirische Ausarbeitungen, deren wir in Mutian's Briefen gedacht finden, und in denen wir ohne Zweifel Vorarbeiten und Anfänge der Dunkelmännerbriefe zu erkennen haben. Im Jahre 1515 setzte er endlich sein Vorhaben eines längeren Aufenthalts in Erfurt durch, wo er im Umgange mit den alten Freunden, einem Eoban, Jonas, bald auch Eberbach, und vor Allen mit dem benachbarten Mutian, die schon in Fulda begonnene Arbeit fortgesetzt und vollendet haben mag.
Ulrich Hutten war seit dem Herbst 1515 in Italien. Vorher hatte er dem Erasmus, wie wir uns erinnern, den Triumphus Capnionis, aber nichts von Dunkelmännerbriefen gezeigt. Der Rest des Jahres, bis zu seiner Abreise, gesetzt auch, daß er mit Crotus noch einmal zusammentraf, verging unter dem ersten Sturme, den die Ermordung seines Vetters in ihm und seiner Familie erregte. Diese Umstände würden erklären, wie es möglich war, daß er an einer Unternehmung, die ihn in ihrem Fortgange so lebhaft interessirte, doch von Anfang an vielleicht keinen thätigen Antheil hatte. Wenn er nun aber bald darauf seinen Landsleuten in Bologna ähnliche Briefe vorliest, von denen wir jetzt wenigstens einen bestimmt im zweiten Theile der Epistolæ obsc. v. finden, und wenn er sich später offenbar wie ein Miturheber des Werkes äußert In dem Briefe an Erasmus vom 21. Juli 1517, Schriften I, S. 147, §. 15.: so liegt es nahe, seine Theilnahme daran vorzugsweise auf den zweiten Theil zu beziehen. Die Kölner schienen durch den ersten noch nicht genug geschlagen. Pfefferkorn hatte gegen denselben seine Defensio Defensio Jo. Pepericorni contra famosas et criminales obsc. v. epistolas etc. Hutteni Opp. Supplem. I, S. 81-176. herausgegeben, worin er seinen Handel mit Reuchlin noch einmal von vorn aufnahm und die Dunkelmännerbriefe als ein verläumderisches, gotteslästerliches, mehr als saracenisches Buch bei Papst und Kaiser denuncirte. Darauf war eine neue Abfertigung nöthig, und so entstand der zweite Theil.
Dieser zweite Theil, den wir uns jetzt noch einmal besonders ansehen müssen, ist einerseits seinem ältern Bruder vollkommen ebenbürtig. Sein oder seine Verfasser, sofern sie andere waren, hielten den von Crotus angegebenen Ton ein. Der spätere Theil der Epistolæ obsc. verhält sich zu dem frühern in mancher Hinsicht wie der zweite Theil des Don Quixote zum ersten. Es wird fingirt, die Briefsteller haben den früher erschienenen Theil gelesen und reflectiren nun darüber. Einer bedankt sich, daß man einen seiner Briefe in den ersten aufgenommen habe. II, 36. Der Verfasser des Schlauraff'schen Reisegedichts muß bereits gewußt haben, daß den Erasmus der Eröffnungsbrief besonders ergetzt hatte, da er ihm das Schlagwort desselben aufs neue präsentirt. Auch die Nachricht, daß manche wirklichen Dunkelmänner die Briefe für Ernst genommen hatten, wird gleich im ersten Stücke des zweiten Theils benutzt. Sichtlich ist dieses eine Nachbildung des Eröffnungsbriefes zum ersten Theile. Beidemale wird über einer Mahlzeit eine Streitfrage aufgeworfen, die in scholastischer Weise erörtert wird, und zwar beidemale unter Anführung desselben Spruchs aus dem Aristoteles. Die Streitfrage ist dießmal, warum M. Ortuin seine Briefsammlung gerade Epistolas Obscurorum genannt habe? und die Antworten so wenig als die ganze Behandlung bleiben hinter dem Vorbilde zurück. Dieß gilt überhaupt von dem zweiten Theile; weßwegen wir auch oben unsere Beispiele ohne Unterschied aus beiden genommen haben.
Doch sind gewisse Unterschiede zwischen beiden Theilen nicht zu verkennen. Erstlich ein äußerlicher. Die Briefe des ursprünglichen ersten Theils sind sämmtlich aus deutschen Orten (die Niederlande miteingerechnet) geschrieben; erst im Anhang erscheint ein Brief aus Rom. Unter 48 Briefen sind 9 aus Leipzig, 3 aus Mainz, ebenso viele aus Wittenberg, 4 (worunter 2 im Anhang) aus Heidelberg u. s. f. Dagegen ist von den 70 Briefen des zweiten Theils mehr als ein Drittheil aus Rom datirt. Nachrichten daher enthält auch der erste Theil häufig; doch nur mittelbar, indem die in Deutschland befindlichen Briefsteller schreiben, sie haben dieß oder jenes durch Briefe oder Reisende aus Rom erfahren. Hier im zweiten, wie schon in jenem Briefe Hochstraten's im Anhang zum ersten, werden diese Nachrichten nun auch unmittelbar aus Rom, von solchen, die daselbst studiren, sollicitiren u. dgl., geschrieben. Es kommen römische Anschauungen und Erfahrungen: der Papst und sein Elephant, der Campo Fiore und die Orangen, die unerträgliche Sommerhitze, ja eine (bereits erwähnte) Reiseroute aus Deutschland nach Rom mit Angabe der einzelnen Stationen und deren Merkwürdigkeiten vor. II, 2. 8. 12. 23. 31. 48. Crotus Rubianus aber, das steht fest, war damals noch nicht in Italien gewesen. Freilich konnte er jene Notizen von Reisenden und aus Büchern haben: doch Besonderheiten wie die, daß in Rom keine gute Kreide, keine ordentlichen Nestel zum Schnüren der Stiefel zu bekommen seien II, 19., weisen eher auf einen solchen hin, der an Ort und Stelle diese kleinen Leiden selbst durchgemacht hatte.
Zu diesem äußerlichen Unterschiede kommt nun aber ein innerer. Zwar, was man wohl von einer Verschiedenheit des Tones spricht, muß erst näher bestimmt werden, um zuzutreffen. Der Scherze, Possen und Zoten sind im zweiten Theile nicht weniger als im ersten; aber das kommt häufiger vor, daß unter der Form des Berichts von gehaltenen Gesprächen sehr ernste Erörterungen eingeflochten werden. Briefe wie der über die Lehrweise des Würzburger Predigers, oder der mit der Deutung einer Prophetenstelle auf die Reform der entarteten Theologie, von denen oben die Rede gewesen, sind ohne Vorgang im ersten Theile. Durch die Ironie schlägt im zweiten Theile öfter das Pathos durch. Darauf und auf einen damit zusammenhängenden Unterschied in der Sprache bezieht sich Böcking's vortreffliches Bild: im ersten Theil arbeite ein Bohrer, der, nicht minder scharf als der im zweiten, doch weniger Geräusch und weniger Späne mache. Hutteni Opp. Supplem. II, S. 647. Und diesen geräuschvollern Bohrer des zweiten Theils (d. h. Hutten als Verfasser) glaubt Böcking schon in den Briefen des Anhangs zum ersten Theile zu bemerken. Gleich im ersten derselben, der von einer Zusammenkunft mit Erasmus erzählt (wie sie Hutten kurz vorher in Mainz und Frankfurt gehabt und auf dem Wege nach Italien ersehnt hatte), verfällt der Verfasser stellenweise in ein ganz gutes (Hutten'sches) Latein, als wäre er des Jargons der Dunkelmänner noch nicht mächtig; wie er andrerseits, wenn ihm einfällt, wen er reden läßt, die Sprache viel gewaltsamer verdreht, als dieß der Hauptverfasser des ersten Theils mit seiner genauern Sachkenntniß und feinern Mimik gethan hatte. Im zweiten Theile wird es damit besser, doch bleibt in der Mehrzahl der Briefe der Unterschied immer noch bemerkbar. Der Anhang zum zweiten Theile, der mit dessen zweiter Ausgabe zum erstenmal erschien, verräth eine schwerere Hand. Er ist überhaupt ein Ueberfluß. Mit den 110 Briefen des ersten und zweiten Theils war das Thema erschöpft, durch alle möglichen Variationen durchgeführt. Einmal muß auch der beste Spaß ein Ende haben, wenn nicht Uebersättigung eintreten soll. Der Handel Wimpheling's, als Seitenstück des Reuchlin'schen beigebracht, möchte früher Wirkung gethan haben; jetzt ermüdet er. Auch sonst vermißt man in den Briefen dieses Anhangs den rechten Schick, geschmacklos Unflätiges läuft mit unter, und der letzte Brief vollzieht die Enttäuschung über den Sinn und Zweck der Briefe in weit gröberer Weise, als der letzte Brief des ursprünglichen zweiten Theils schon gethan hatte. Wie günstig das alles der Vermuthung ist, daß am zweiten Theile der Epistolæ, einschließlich des Anhangs zum ersten, aber ausschließlich dessen zum zweiten Theile, Hutten als Haupturheber betheiligt sei, erhellt von selbst. Auch daß er hier mehrmals von den Briefstellern genannt und schlecht gemacht wird II, 9. 20. 55. Vgl. den Brief des Laurenz Behaim an Pirckheimer, Hutten's Schriften I, S. 133., stimmt damit zusammen. Wenn er dann im Januar 1517 an Reuchlin schreibt, bald werde die von dessen Feinden angefangene Tragödie in eine Komödie sich verwandeln, diese von einem lachenden Hause ausgezischt werden; dazu habe er, Hutten, sich mit Kampfgenossen verbunden, deren Alter und Stellung zu einer solchen Kriegführung passe A. a. O. S. 130.: so kann man sich zwar wundern, wie Hutten das Lachen und Auszischen erst als ein künftiges darstellen mochte, das doch mit der ersten Erscheinung der Epistolæ bereits laut genug begonnen hatte; doch wird man seine Aeußerung schwerlich auf etwas Anderes als auf den zweiten Theil jener Sammlung, dessen Erscheinen bevorstand, beziehen können.
Wie er hier selbst von seinen Kampfgenossen in der Mehrheit spricht, so hat, wie wir früher sahen, Erasmus im Ganzen drei, andere noch mehrere Verfasser der Epistolæ angenommen. Namhaft macht Erasmus, außer Hutten, keinen; auch der Verf. der Lamentationen (wovon nachher) versichert, er kenne sie wohl, aber ›r wolle sie nicht nennen. Der bamberger Domherr Laurenz Behaim, ein Freund Pirckheimer's und ein Bekannter Hutten's, übrigens ein schwacher Kopf, vermuthete, sein College Jakob Fuchs, zugleich Domherr in Würzburg, habe einige der Briefe verfaßt, oder sei doch nicht weit davon gewesen, als sie gemacht wurden. A. a. O. Das letztere hat freilich seine Richtigkeit, sofern Fuchs mit Hutten im Jahr 1516 in Bologna war; das erstere bleibt möglich, aber aus der Freude des geistreichen Mannes an dergleichen Producten läßt es sich so wenig mit Bestimmtheit erschließen, als aus seiner übrigen Gesinnung, vermöge deren er später den geistlichen Stand verlassen und geheirathet hat. Wer außerdem noch an den Dunkelmännerbriefen als Mitverfasser betheiligt gewesen, darüber sind besonders in neuerer Zeit die verschiedensten Muthmaßungen aufgestellt worden. Man hat auf Hermann von dem Busche und Hermann von Nuenar, auf Eoban Hesse und Petrejus Eberbach, wovon der letztere im Jahr 1516 mit Hutten in Rom gewesen, mithin Verfasser eines Theils der dorther datirten Briefe des zweiten Theils sein könnte, gerathen, und auch Versuche gemacht, jedem seinen muthmaßlichen Antheil zuzuscheiden. Glücklicherweise liegt es in unserer Aufgabe nicht, uns auf dieses weite Feld zu begeben, da wir höchstens für den Antheil unseres Helden an der in Rede stehenden Arbeit verantwortlich sein können.
Auch hier übrigens kommen wir über Vermuthungen, die freilich zum Theil einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit haben, nicht hinaus. Am sichersten scheint mir die Sache bei dem Reisegedicht des M. Schlauraff II, 9. Vgl. den Brief von Cochläus an Pirckheimer in Hutten's Schriften I, S. 126. zu stehen, sofern dieses Hutten in Bologna vorgelesen und die ihm zugemuthete Autorschaft mit einem so durchsichtigen Scherzwort abgelehnt hat. Zugleich bildet es ein Seitenstück zu einer früher besprochenen Elegie in Hutten's Querelen, wo ebenso die Muse, wie hier der Dunkelmann, bei sämmtlichen dem Dichter bekannten Humanisten Deutschlands die Runde macht. S. oben S. 23 f. 52 f. Dieses Carmen rithmicale mit seiner sprudelnden Laune, seinen unerschöpflich fortquellenden Versen und Possen, mit der jedesmal äußerst glücklichen Einsprengung deutscher Reime unter die lateinischen, z. B.
Et ivi hinc ad Hagenaw: do wurden mir die augen blaw,
Per te Wolffgange Angst, Gott gib das du hangst,
Quia me cum baculo percusseras in oculo –
dieses Schlauraff'sche Reisegedicht ist ohne Frage das Prachtstück der ganzen Sammlung, das lauteste Aufjauchzen der satirischen Lust, die höchste Schaumwelle in diesem Meere des Humors. Und diese in gewissem Sinne höchste Leistung ist nicht dem Erfinder der ganzen Conception unserer Briefe, sondern einem andern gelungen, der in diesem Felde doch nur Nachahmer war. Allein jener Erfinder war zwar in dem Fache der mimischen Satire, wie wir die Epistolæ obsc. v. bezeichnen möchten, eine Specialität, der Nachahmer hingegen das umfassendere Talent, der phantasiereichere, genialere Kopf. Wenn Crotus umgekehrt sich in Hutten's Fache versuchte, dem der ernsten Rede oder des Lucianischen Dialogs, wie in einigen anonymen Stücken, die ihm mit Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden Z. B. die Dialogi septem festive candidi, in Hutten's Schriften IV, S. 554-600. Hier zeigen nur diejenigen Stücke, die, wie das Conciliabulum theologistarum, in das mimische Fach gehören, die volle Crotus'sche Meisterschaft., so hat er den Freund nicht übertroffen, sondern ist merklich hinter ihm zurückgeblieben. Auf das Reisegedicht wird dann gleich in dem folgenden Schreiben des M. Wilhelm Lamp II, 12. Bezug genommen, das, wie schon früher bemerkt, noch aus einem andern Grunde auf Hutten als Verfasser hinzuweisen scheint, sofern nämlich die Reise, von welcher der Dunkelmann darin berichtet, nach Zeit und Richtung mit Hutten's zweiter italienischer Reise zusammentrifft. In dem Brief des M. Mesve II, 24. hierauf wird dem Ecbert Harlem, Hutten's rostocker Gastfreund, ein Denkmal gesetzt; in dem des M. Hackstro II, 23. von den Stalldiensten der deutschen Pfründensucher in Rom in ähnlicher Weise wie in Hutten's auf der Reise geschriebenem Brief an Erasmus gesprochen; der Licenciat Lapp II, 33. schildert die ewigen Stichblätter von Hutten's polemischer Feder, die Prediger Peter Meyer in Frankfurt und Bartholomäus Zehender in Mainz, ganz wie der Verfasser des Triumphus Capnionis. Freilich kommen diese beiden auch schon im ersten Theile I, 5. 26. 27. daran, wo außerdem noch die genaue Bekanntschaft mit den Mainzer Kronengästen I, 11., die Heckmannsgeschichte aus Wien I, 14. Vgl. oben S. 64 f., und manches Aehnliche auf die Vermuthung führen könnte, Hutten habe schon an diesem Grundstocke des Werkes Antheil gehabt. Doch war ja auch Crotus in Mainz bekannt, und Neigungen wie Abneigungen, Anekdoten wie Redensarten in dem Kreise der jungen Humanisten Gemeingut. Daß die ernsteren Stücke des zweiten Theils, wie die strafende Prophetenauslegung in dem Brief des M. Klingesor II, 50., die an Stellen in dem Vorworte zum Hutten'schen Nemo anklingt, mit besonderer Wahrscheinlichkeit auf Hutten zurückgeführt werden, ist im Allgemeinen schon angedeutet, im Einzelnen aber möchte ich hier nicht weiter rathen, sondern dem Scharfsinn der Leser auch etwas zu leisten überlassen.
Nur Eines sei hier noch bemerkt, weil es den raschen Entwicklungsgang jener Zeit bezeichnet. Die Briefe der Dunkelmänner fanden schnell die weiteste Verbreitung, dazu so viele Nachahmer, daß unserm Hutten zuletzt der Zusendungen ad modum obscurorum virorum zu viel wurde. Laurenz Behaim an Pirckheimer. Hutten's Schriften I, S. 150. Von dem ersten Theile der Epistolae erschienen, bis der zweite hinzukam, drei, dann von diesem bis zum Jahre 1518 zwei Ausgaben; von da an hingegen fehlt bis zum Jahre 1556 jede Spur, daß die Briefe neu aufgelegt worden wären. Am 31. October 1517 nämlich hatte Luther seine Thesen angeschlagen, im Sommer 1519 in Leipzig mit Eck disputirt, und von da an ging das ganze geistige Interesse der Zeit in der Reformationsangelegenheit auf.
Wie die zu seinen Gunsten und Ehren veranstaltete Schrift von Reuchlin selbst aufgenommen worden, wissen wir ausdrücklich nicht: der Brief in den Lamentationen, dem zufolge er sie verworfen und verwünscht hätte, ist jedenfalls von den Gegnern erdichtet; soviel aber ist uns doch glaubhaft überliefert, wie es an sich glaublich ist, daß dem würdigen alten Herrn, wenn er auch in jüngern Jahren selbst eine satirische Komödie mit sehr persönlicher Beziehung geschrieben hatte, doch jetzt der Muthwille seiner jugendlichen Vertheidiger gar zu bunt war. Camerarius de vita Melanchth. ed. Strobel, pag. 18. Die Komödie Sergius, die Reuchlin 1496 in Heidelberg schrieb, war eine Satire auf den Günstling des Herzogs Eberhard II. von Würtemberg, den Augustinermönch Holzinger, vor dem er sich geflüchtet hatte. Von Erasmus wissen wir aus seinem eigenen Bekenntniß, wie einzelne ihm vor dem Drucke des Ganzen zugekommene Proben (er selbst spricht nur von einem, andere von zwei Briefen) Spongia, Hutten's Schriften II, S. 277. Epist. Anonymi ad Crotum, ebendas., S. 460. ihn belustigten; daß das Lachen darüber ihn durch Zersprengung eines gefährlichen Geschwürs gesund gemacht habe, ist eine alte Sage. Bedenklicher war ihm schon die erste gedruckte Sammlung; wie nun aber nach kurzer Zeit eine neue Auflage mit einem Anhang erschien, dessen erste Nummer gleich den Erasmus selbst bei einem Gastmahl im Gespräche mit einem Dunkelmann vorführte, voll Verehrung zwar, und zum Sprechen getroffen mit seiner schwachen Stimme und seinem feinen Lächeln über die Thorheit der Menschen; wie endlich gar ein zweiter Theil folgte, worin er noch öfters, zwar als »ein Mann für sich« II, 59., doch der That nach als Bundesgenosse der jungen Stürmer und Dränger erschien: da wurde ihm die Sache fatal, und er sprach laut seine Unzufriedenheit über das böse Beispiel aus, das nur dazu beitragen könne, die humanistische Richtung verhaßt zu machen. An Cäsarius, Hutten's Schriften I, S. 149. Ebenso fehlte Luthern, wenigstens damals, der Humor, um ein Werk wie die Epistolæ rein aufzunehmen: er fand sie frech und nannte den Verfasser einen Hanswurst. In einem Brief an Joh. Lange vom 5. Oct. 1517. Luther's Briefe, herausgegeben von de Wette, I, S. 37 f. Auch hierin zeigt sich Hutten als der umfassende, Gegensätze in sich vereinigende Geist. Crotus konnte über die Dunkelmänner nur lachen; Luther nur zürnen und gegen sie handeln: Hutten vermochte Beides.
Die Angegriffenen ihrerseits wandten sich, ihrer ganz würdig, zunächst an die Kirchengewalt. Sie ließen es sich viel Geld kosten, bis sie ein päpstliches Breve auswirkten, welches allen Christgläubigen bei Strafe der excommunicatio ipso facto incurrenda gebot, binnen drei Tagen nach dem Bekanntwerden der Verordnung die etwa in ihrem Besitze befindlichen Exemplare der Epistolæ zu verbrennen, und Urheber, Drucker und Besitzer derselben, die sie nicht verbrennen wollten, dem Ortspfarrer anzuzeigen. Mit dieser Waffe versehen, glaubte nun Ortuin auch literarisch gegen den Feind zu Felde ziehen zu können. Er kehrte die Bezeichnung: Obscuri viri gegen die Urheber der unter diesem Titel erschienenen Briefe; diese, im Dunkel der Anonymität versteckt, seien die wahren Dunkelmänner, die er nun über ihr angeblich so übel abgelaufenes Unternehmen lamentiren läßt. Lamentationes obscurorum virorum, non prohibitae per sedem apostolicam, Ortwino Gratio auctore. Die erste Ausgabe von 45 Briefen war zur Ostermesse 1518 erschienen; eine neue, mit einem zweiten Theil von 40 Briefen vermehrte: Impressio secunda cum additionibus, erschien im August desselben Jahres zu Köln. Bei Böcking, Hutteni opp. Suppl. I, S. 323-418. Daher wird gleich von Anfang das päpstliche Breve und des Erasmus mißbilligendes Schreiben abgedruckt: ein weiterhin eingerücktes angeblich von Reuchlin zeigt durch seine Plumpheit, wie wenig Ortuin seinen Gegnern gewachsen war. Die Verfasser der Epistolæ läßt er ein ganz ungesalzenes Pater Peccavi anstimmen, in matten Ausrufungen, langweiligen heu und eheu, proh Jupiter und proh dii immortales! ihre Niederlage und den Sieg der Theologen beklagen. Auf ein so geistvolles Product wie die Epistolæ obsc. v. sind diese Klagebriefe eine unerlaubt geistlose Erwiederung. Zum Glück sind die meisten sehr kurz, bisweilen nur von wenigen Zeilen; aber man merkt auch, daß das Vermögen in der That nicht weiter, oft kaum so weit, reichte. Das leidlichste Stück ist noch das Verzeichniß der moralischen, d. h. unmoralischen Grundsätze, welche den Reuchlinisten zugeschrieben werden. Lament. obsc. v. novae Ep. 16. Der Stil durfte, da die vorgeblichen Briefsteller in den Lamentationen die Humanisten sind, nicht schlecht sein, daher schreibt Ortuin offenbar so gut er kann; was zwar immer noch schlecht genug, doch auch wieder nicht so schlecht ist, um wider Willen ergötzlich zu sein. Uebrigens will er, wie solche Gesellen pflegen, billig scheinen, unterscheidet zwischen guten und schlechten Reuchlinisten und Poeten, wovon er nur für die letztern bedauert, daß die alte Kirchenzucht mit Händeabhacken, Zungenausreißen und Erdrosseln abgekommen ist, und sie, als Vorläufer des Antichrists, dem Strafgerichte des weltlichen Arms empfiehlt.