Rudolph Stratz
Lieb Vaterland
Rudolph Stratz

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16.

Ich finde wirklich gar nichts daran, wenn Sie auch einmal bei mir Tee trinken, Cousine Margot,« sagte Alphonse Feddersen gemütlich. »Sie haben so schöne Augen! Sie brauchen sie gar nicht vor Entrüstung noch größer zu machen! ... Erstens bin ich ein ganz harmloser Mensch! Das werden Sie doch bemerkt haben, seit wir nach Ihrer Rückkehr aus Potsdam gute Freunde geworden sind! Als ›bête noire‹ gelte ich nur bei Ihrem Mann und bei der Firma Feddersen – der Neid, weil ich nicht arbeite – ›la fourmi et la cigale‹. Zweitens kommen Sie doch natürlich nicht allein, sondern mit Ihrer Moskauer Schwägerin. Außerdem laden wir noch eine Dritte im Bunde ein. Ihre Freundin Lisa zum Beispiel!«

»Lisa Campbell? Die kennen Sie ja kaum!«

Der Vetter zog die schwarzen Augenbrauen hoch.

»Lisa? Ich bitte Sie! Es ist doch eine Cousine von mir. Sie macht nur wenig Gebrauch davon. Sie ist doch eine geborene Brettschneider von Brettschneider und Prausnick in Petersburg. Der Großvater stahl gräßlich während des Krimkrieges – daher das viele Geld!«

»Sie wissen, Vetter, daß ich diesen Ton nicht ausstehen kann!«

»Verzeihung!« sagte Alphonse Feddersen reumütig. »Sie haben recht. Sie sind überhaupt viel zu schade für diese Stadt und diese Menschen. Also Sie kommen nachmittags zu einem Cousinenkaffee? Ganz philiströs. A l'allemande! Mit Napfkuchen und Veilchensträußchen. Bitte, bitte! Ich bin doch jetzt auch so viel bei Ihnen!«

»Ja, ich frage mich auch, warum!«

Der Vetter ließ weich seinen Blick auf der jungen Frau ruhen, die ihm im Dämmern der gegen die Sonnenglut halbgeschlossenen Jalousien in ihrem weißen Kleid gegenübersaß.

»Sie tun mir leid!« sagte er, »Sie sind so einsam. Niemand kümmert sich um Sie. Seit Sie nach Ihrer Rückkehr aus Potsdam Ihrer lieben Schwägerin Madge den Stuhl vor die Türe gesetzt haben, sind Sie doch bei der ganzen Clique in Acht und Bann!«

»Das ist mir völlig gleichgültig!«

»Und unser guter Charley interessiert sich momentan nur für die Erzlager im Rif. Er betätigt seine Reue durch doppeltes Geldverdienen. Er ist wieder so respektabel wie sein Hauptbuch. Sie können es mir glauben. Mir macht er doch nichts vor!«

»Ich habe Sie nicht beauftragt, ihn zu überwachen!«

»Könnten Sie es denn, Sie arme, kleine Frau?« Alphonse schüttelte mitleidig den Kopf. »Nicht zehn Schritt weit kommen Sie auf eigenen Füßen durch Paris. Jeder Gamin schlägt Ihnen ein Schnippchen. Sie sind aus viel zu feinem Stoff. Also, wie gesagt: Ihre Verwandten wollen nichts mehr von Ihnen wissen. Ihr Mann läßt Sie allein. Es geht Ihnen wie mir! Sie haben zu viel freie Zeit! Und für solche leeren Stunden bin ich doch immer besser als nichts!«

Alphonse Feddersen schaute wieder mit träumerischem Lächeln durch das kleine Boudoir und hinaus auf den Sonnenglanz und das Menschengewinnnel der Avenue du Bois de Boulogne.

»Es sitzt sich gut bei Ihnen, Cousine Margot! Und draußen zieht die Welt vorbei. Bunt und dumm wie eine Seifenblase! Sehen Sie mal die Amerikanerinnen mit den Riesenhüten! Was die hier noch wollen! Die Saison ist doch vorbei! Es ist doch schon Anfang Juli!«

»Warum sind Sie denn da noch hier?«

Es lag ihm auf den Lippen: »Wegen Ihnen!« Aber er begnügte sich damit, Margarete stumm anzusehen!

»Ich habe nirgendwo was auf der Welt verloren!« sagte er dann, »selbst mein natürlicher Landesvater, der Fürst von Monako, würde mich nicht vermissen, wenn ich einmal in den Spielsälen fehlte. Entre nous: Ich spiele eigentlich nur noch, um die Feddersens zu ärgern!«

»Was haben die Ihnen denn getan?«

»Sie sind da! Das genügt. Außerdem verachten sie mich. Sie verachten Sie auch, Cousine Margot! Sie werden ewig die arme Schwägerin aus Deutschland bleiben und ich der Müßiggang der Familie. Wir sind beide Opfer der Krämerseelen!«

Die junge Frau beugte sich vor und goß ihm Tee ein.

»Das ist das Neueste, Vetter, daß Sie sich auch noch mit mir identifizieren!«

»Ich nicht! Das Schicksal hat uns beide als die Outsider der Firma Iwan Feddersen und Söhne zusammengeführt. Wir sind Leidensgefährten. Warum sollten wir uns da nicht gegenseitig trösten!«

»Ich brauche gar keinen Trost! Ich sag' mir selber, was ich mir vielleicht manchmal sagen muß!«

»Aber hilft es Ihnen auch? Ich glaube, wir kranken beide am Leben, Cousine Margot!«

Er hatte ernst und gefühlvoll gesprochen. Sie lachte nur auf und reichte ihm die Zuckerschale. Er sah schmerzlich darein.

»Sie tun mir weh. Sie nehmen mich nicht ernst! Es ist mein Schicksal. Ich bin abgestempelt seit Jahren! Ich kann mich nicht mehr ändern, weil sich die Meinung über mich nicht mehr ändert. Aber Ihnen würde ich wenigstens gerne in besserem Licht erscheinen ...«

Er stand plötzlich auf und griff nach seinem Zylinderhut, um sich zu empfehlen.

»Glauben Sie, es ist viel an mir gesündigt worden, Cousine Margot. Niemand hat mich je den Ernst des Lebens gelehrt. Ich habe nie ein rechtes Vaterhaus gehabt. Sie wissen: meine Eltern lebten getrennt. Zwanzig Jahre habe ich meine Mutter darunter leiden sehen, ohne ein Wort der Klage. Sie war eine Heilige. Wenn man mir jetzt Frivolität vorwirft: Ein Mann, der solch eine Mutter hatte, kann nie wirklich die Ehrfurcht vor den Frauen verlieren! Er findet nur zu schwer die Frauen, die solch eine Ehrfurcht verdienen!«

In seinen schwermütigen Augen stand zu lesen: »Du bist solch eine Frau!« Dann änderte er den Ton und zeigte lachend seine Zähne.

»Adieu, Cousine! Auf Wiedersehen bei mir! Ich muß jetzt Ihre Schwägerin Ljubow ins Konzert schleppen!« –

Madame Ljubow Feddersen, die Gattin Nikolais, war eine imposante, blonde Slawin, mit dem verächtlichen Ausdruck einer russischen Schönheit, für ihre Jugend schon zu korpulent und voll gesunden Phlegmas, obwohl sie sich eines Leidens wegen in Paris aufhielt, sich dabei nach Moskau zurücksehnte und aus Langeweile den ganzen Tag Zigaretten rauchte und Süßigkeiten aß. Das tat sie auch jetzt, einige Tage später, in der Wohnung Vetter Alphonses. Sie hatte gar keine Scheu vor dieser Höhle des Löwen. Ob er oder eine alte Tante ihr die Honneurs von Paris machten, war ihrem schläfrigen Temperament ganz gleich. Sie war froh, jemanden zu haben, mit dem sie Russisch reden konnte: sie verstand nun einmal kein Wort einer anderen Sprache. Außerdem waren ja auch die Schwägerin Margot und Lisa Campbell da. Die drei jungen Frauen saßen um den Teetisch. Die blumengeschmückten sommerlichen Riesenhüte nickten, ein feiner Hauch von Parfüm schwebte über dem Rascheln der duftigen Kleider. Sie lachten und schwatzten und waren doch ein wenig aufgeregt, die beiden Pariserinnen und, durch sie angesteckt, schließlich auch die Russin. Es war immerhin keine Kleinigkeit, bei Vetter Alphonse zu Gaste zu sein, von dessen Wohnung und ihren Geheimnissen man sich sonst im Familienkreis nur vom Hörensagen Räubergeschichten zuraunte. Aber es war, wie immer in solchen Dingen, eine Enttäuschung. Die Vorderräume, in denen er seine Cousinen empfing, unterschieden sich in nichts von dem Interieur irgendeines anderen reichen Junggesellen. Und was sonst noch Merkwürdiges vorhanden sein konnte, das vielberufene türkische Badezimmer, das fensterlose marokkanische Rauchkabinett – diese Geheimnisse zeigte er nicht. Sein Quartier lag in einem Eckhaus des Boulevard des Italiens und einer Seitengasse, mitten im nervenerschütterndsten Lärm der Weltstadt. Er war auch darin Pariser geworden, daß seine Ohren sich gegen Geräusche völlig abgestumpft hatten. Er fühlte sich hier sehr wohl. Er saß mit einem gönnerhaft gutmütigen Lächeln zwischen den drei hübschen und übereleganten in kostbarem Schmuck flimmernden jungen Frauen, beinahe wie ein Papa unter seinen Töchtern. Er hatte absichtlich etwas Väterliches an sich. Er hatte einige Schwierigkeiten mit der Unterhaltung, denn er mußte abwechselnd mit der Moskauerin Russisch, mit Margarete Deutsch reden. Nur Lisa Campbell verstand beide Sprachen gleichmäßig. Nun war er wieder mit Madame Nicolai Feddersen beschäftigt. Er bemerkte etwas zu ihr, mit einem Seitenblick auf Margarete. Die fuhr nervös auf: »Lisa, was hat er eben von mir gesagt?«

»Ach nichts!«

»Erzähl' es doch!«

Die kleine Petersburgerin lachte.

»Er hat gesagt, Du seist die hübscheste Frau von Paris!«

»Hab' ich nicht recht?« versetzte der Vetter Alphonse auf deutsch, ohne mit der Wimper zu zucken, und bot seinen Gästen seine eigens präparierten Damenzigaretten aus Teeblättern an. »Ich erwähnte diese allgemein anerkannte Wahrheit auch nur, um meine Nachbarin zur Linken etwas zu beleben. Sie heißt Ljubow. Ljubow heißt auf deutsch: Liebe. Nun sehen Sie dies Phlegma! Beneidenswert, nicht? Wenn man uns Liebe getauft hätte ...« Er lenkte rasch ein, da er sah, daß Margaretes Stirn sich umwölkte. »Aber das hat sie von ihrem Vater. Ein Russe, wie er im Buch steht! Er beißt noch den Zucker ab und bekreuzigt sich, eh' er den Tee aus der Untertasse trinkt!«

Er wandte sich wieder der Moskauerin zu. Margarete stand auf und sah sich in der Wohnung um. Nebenan war ein Eckraum, den Vetter Alphonse die Stirne hatte, als sein Arbeitskabinett zu bezeichnen. Auf dem Tisch lagen Revuen in vier, fünf Sprachen, Broschüren und Bücher. Sie nahm ein paar zur Hand. Sie waren alle aufgeschnitten, zuweilen die Seiten umgebogen. Er mußte doch in seiner oberflächlichen Art vielerlei Interessen haben. Das erstaunte sie. Sie hätte es ihm nicht zugetraut. Auch die Bilder an den Wänden, die Bronzen und Marmorskulpturen zeugten von ausgesprochenem Kunstgeschmack. Dann sah sie wieder etwas Neues. Auf dem Schreibtisch, so daß sein Blick zu jeder Zeit darauf fallen mußte, stand die Photographie einer alten Dame, offenbar seiner Mutter. Ein frisches Veilchensträußchen lag davor und verbreitete seinen zarten Duft: das rührte sie beinah. Dabei erzählte er eben nebenan auf russisch eine offenbar recht gewagte Geschichte, denn Frau Ljubow lachte so herzlich, wie sie es nur bei solchen Gelegenheiten tat, und die kleine Petersburgerin schaute so streng, als es ihr zartes Kindergesicht erlaubte, an ihm vorbei in die Ecke. Dann stand er plötzlich neben Margarete. Er war ganz ernst. Er nickte ihr zu

»Die Blumen vor dem Bild lege ich jeden Morgen frisch hin!« sagte er. »Das ist eine alte Angewohnheit von mir seit vielen Jahren!«

Im selben Augenblick beinahe schon schlug seine Stimmung wieder ins Gewohnte um.

»Kommen Sie!« bat er. »Die beiden drinnen sind zum Morden langweilig. Helfen Sie mir!« Und während er sie an seinem Arm zurückführte, flüsterte er: »Ich bin so froh, daß Sie einmal bei mir waren. Das ist für mich und diese Räume wie eine Art Weihe. Sie wissen ja gar nicht, welche Macht Sie über mich besitzen. Ich werde durch Sie ein anderer Mensch. Ich habe nie geahnt, daß einem eine Frau so im reinsten Sinne Freund werden kann!«

»Margot!« rief Lisa Campbell plötzlich, als sie wieder um den brodelnden silbernen Samowar und die Sèvresschale mit Früchten und Süßigkeiten zusammenfassen, und klatschte in die Hände. »Gott sei Dank!«

»Was denn?«

»Eben hast Du gelacht! Zum erstenmal, seit Du aus Deutschland zurück bist ... Nun wirst Du doch endlich wieder die Alte!«

»Ach, Unsinn!«

»Sei doch froh! ... Du und die Kopfhängerei ... das geht doch auf die Dauer nicht zusammen!«

Margarete Feddersen lachte wirklich. Sie fühlte sich sonderbar frei und leicht.

»Gott, Kinder – warum soll man denn schließlich nicht vergnügt sein?« sagte sie. »Das Leben ist ja so kurz. Es lohnt sich kaum der Mühe ...«

Diese Stimmung zwischen Uebermut und Traurigkeit blieb in ihr. Als das Gespräch wieder einmal in das Russische umgeschlagen war, trat sie allein auf den kleinen Balkon hinaus. Es ging schon gegen Abend. Das Blau des Himmels war verblaßt, die Luft voll eines seinen, silbergrauen Staubs, im Westen, gegen Versailles zu, über dem Häusermeer lag eine feurige Glut. Tief unter ihr, auf dem breiten Boulevard, donnerte und brauste Paris. Die Menschen wimmelten schwarz wie ein Ameisenschwarm – verworrenes Geräusch drang aus dem sprudelnden Grund – Rädergerassel – das Gellen der Zeitungsverkäufer: »Deuxième Edition!« Die ersten Laternen blinkten auf. Dazwischen bunte Farbenflecken – die Körbe der Blumenhändler. Ein halbverwehter, süßer Hauch glitt da empor, schwebte träumerisch über dem Lärm und Leben ... gab Mut ... Noch war das Leben da ... tausendgestaltig winkte es! Die alle da unten lebten. Warum nicht auch sie da oben, die einsame junge Frau?

Drinnen schwatzten und lachten sie weiter. Sie gesellte sich zu ihnen. Sie machte mit. Sie war in übermütiger Laune. Alphonse Feddersen bewahrte gegen sie eine ehrerbietige, zarte Höflichkeit, die ihr wohl tat. Es plauderte sich gut mit ihm. Sie dachte, wohlig in ein Ungetüm von ledernem Klubsessel zurückgelehnt, die komische kleine Teezigarette zwischen den Lippen, nicht an das Fortschreiten der Zeit. Aber ihre Freundin Lisa sah auf die Uhr, raffte eilig den Orchideenbüschel von ihrem Platz zusammen, steckte ihn an die Brust und sprang auf.

»O Gott, ich muß heim!« sagte sie. »Reginald wartet!«

Sie hatte große Angst vor ihrem Mann, obwohl dieser hartgesottene Yankee mit den grausam dünnen, glattrasierten Lippen gegen sie die Rücksicht selber war. Margarete schloß sich ihr an. Die Automobile der jungen Frauen harrten auf der Straße. Der Vetter Alphonse kam eilig hinterher das Treppenhaus herunter. Er hatte eben noch rasch mit der blonden Russin zu tuscheln gehabt. Die ging nur, weil die anderen gingen. Sie wäre ebensogut auch bis zwei Uhr nachts sitzen geblieben. Ihr war alles recht. Jetzt stand Alphonse Feddersen da, lächelte und winkte dankend zum Abschied mit der Hand. Und während Margarete ihm noch einmal zunickte und ihr Coupé in das Grau des Boulevards hinausschoß, beschlich sie eine sonderbare Traurigkeit, wie der Abschied von einer Kameradschaft. Sie zog fröstelnd den lichtgrünen Seidenburnus enger um die Schultern. Unter ihr surrten die Gummireifen. Vor den Scheiben tanzten schattenhaft Gaslaternen, Menschen, Bäume vorüber. Die Welt wurde immer dunkler, immer einsamer, je weiter man hinaus bis in die Avenue du Bois de Boulogne kam ...

Als sie und ihr Mann sich einige Tage später allein daheim bei Tisch gegenübersaßen, im hellen Kerzenlicht, er im Frack und weißer Binde, die Rosette der Ehrenlegion im Knopfloch, sie mit bloßen Schultern, ein dickes Perlenkollier um den weißen Hals, da begann Karl Feddersen:

»Hör' mal, Margot: Was war denn das für eine Geschichte nachmittags bei Alphonse? Davon hast Du mir ja gar nichts erzählt? Ich höre jetzt erst nachträglich von dritter Seite ...«

»Sag' doch lieber gleich: von Madge!«

»Gleichviel von wem ... natürlich: es waren ja auch die anderen da. Aber trotzdem ... es gibt Dinge, wo man auch den Schein vermeiden sollte ...«

Die schöne junge Frau ließ die Gabel sinken und sah ihn frostig über den Tisch hin an.

»Das ist das Neueste!« sagte sie, »daß Dir etwas nicht recht ist, was ich tue! Du hast doch sonst darin solch einen göttlichen Gleichmut!«

Er schlug ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch.

»Ich habe Dir meinerseits strengste Korrektheit versprochen und halte sie ein!« versetzte er scharf. »Aber ich verlange sie auch von Dir! Und wenn es auch nur Vetter Alphonse ist ... gewiß ... ça ne tire pas à conséquence ... Aber ich wünsche nicht, daß Du Dir eigenmächtig diese kleinen Freiheiten nimmst ... durchaus nicht!«

In ihr war ein sonderbarer leiser Triumph. Ein Ahnen wiedererwachender Macht über ihn, wenn das da drüben Eifersucht war ... Sie dachte sich: Mein Gott! ... Ich bin ja so vernarrt ... Ich bin ja so enttäuscht ... Ich will ja auch jetzt noch, nach allem, nichts anderes als ihn! Ich hab' es gelernt, bescheiden zu sein! ... Aber die Zeit, wo sie freudig die Hände ausstreckte, um eine Gnade von ihm zu empfangen, war vorüber. Sie versetzte in kühlem Trotz:

»Mein lieber Charley ... ich nehme solche Verhaltungsmaßregeln nicht an!«

»Was?«

»Entweder man hat einen Mann, der sich um einen kümmert, oder einen, der das nicht tut. Ich habe das letztere. Aber dann verlange ich auch Vertrauen. Das ist das geringste, was man mir zubilligen muß. Lasse Dir das gefälligst gesagt sein! Ein für allemal!«

Karl Feddersen traute seinen Ohren nicht. Er war ganz verblüfft.

»Das ist allerdings großartig!« meinte er endlich. »Wenn meine eigene Frau ...«

»Als Deine Frau hab' ich längst hier keine Stellung mehr ... Die hast Du selber preisgegeben, seit Jahren, in jeder Art. Meine Stellung Euch allen gegenüber hab' ich nur als Charles-Iwans Mutter. Und aus der nehm' ich mein Recht, vor mir zu verantworten, was ich tue!«

»Aber es gibt gewisse Rücksichten, ma chère ...«

»Wer nimmt denn auf mich Rücksichten? Wer dankt denn mir etwas! Wenn ich jetzt auf meinen eigenen Füßen steh', so habt Ihr's gewollt und mich dazu gebracht!«

»Du bist auf einmal ein ganz anderer Mensch, Margot!«

»Gar nicht!« sagte Margarete ruhig und schob ihren Stuhl zurück, um sich zu erheben. »Ich lasse mich nur nicht unterkriegen! ... Ich bin darüber hinaus! ... Da hättest Du Dir eine Frau von anderer Herkunft suchen sollen! Wir in Preußen sind aus zähem Holz!«

Karl Feddersen schwieg, als sie zusammen in den kleinen Salon hinübergingen. Er war betreten. Dann sammelte er sich. Er hatte jetzt andere Dinge im Kopf. Er schob mit seiner gewohnten Kühle den Zwischenfall zur Seite. Er fing wieder an, von Geld zu reden.

»Heiß wird es nachgerade in Paris!« sagte er, sich eine Zigarre anzündend. »Unerträglich! Ich wollte, ich könnte schon mit Dir weg! Aber die Geschäfte sind augenblicklich auf einem Punkt ... Ich möchte nur wissen, wer die Deutschen erfunden hat! Ueberall sind sie einem in der Quere. Da steckt jetzt wieder dieser Generaldirektor Malloney in Paris. In Geschäften mit uns. Kein Vergnügen.«

»Vertragt Euch doch!« erwiderte Margarete gleichgültig.

Er machte ein nervöses Gesicht. »Wie wenig Takt dieser Malloney hat,« sagte er, »kannst Du schon aus folgendem ermessen. Er wußte sich keinen anderen Begleiter und Berater nach Paris mitzubringen als Herrn Lünemann! Ausgerechnet Herrn Moritz Lünemann! Nun bitte ich Dich ... Malloney ist ja, scheint's, über das Nähere nicht orientiert, aber so viel weiß er doch, daß wir seinerzeit Herrn Lünemann für uns gewinnen wollten und dieser es brüsk abgelehnt hat!«

Sie war bei dem Namen zusammengezuckt.

»Da hast Du jetzt mit ihm zu tun?« fragte sie tonlos.

» Ah non, ma chère! Das fehlte mir gerade noch. Das lehnte ich von vornherein energisch ab. Herr Lünemann scheint auch selbst gar nicht diese Absicht gehabt zu haben. Er hält sich ganz im Hintertreffen. Er bleibt unsichtbar. Er kann wohl nichts dafür. Er ist Angestellter einer Aktiengesellschaft. Er muß seine Vorgesetzten begleiten. Die kommen offenbar ohne ihn nicht mehr aus. Er hat sich, scheint's, in seinem Konzern eine sehr starke Position geschaffen. Unerquicklich bleibt's! Ich kann es nicht leiden, wenn einem geschäftliche und persönliche Beziehungen durcheinanderlaufen. Es trübt den klaren Blick ...«

Er brach ab und kam nicht mehr auf das Thema zurück. Aber in Margarete klang es nach, die nächsten Tage, die folgende Woche. Es war ein seltsames Gefühl, sich mit Moritz Lünemann zusammen in derselben Stadt zu wissen, in dieser Riesenstadt, in deren Millionengewimmel man sich doch ferner war als über Länder und Meere hin, zwei Atome im Weltall – ein Zufall, wenn man sich einmal begegnete.

Sie fürchtete sich vor diesem Zufall. Aber sie tat nichts, um ihm aus dem Weg zu gehen. Heimlich pochte ihr Herz, wenn sie den heißen Staub der inneren Boulevards einatmete, die schattigen Kolonnaden der Rue Rivoli durchschritt, die Mittagsglut des Vendôme-Platzes, des Tuileriengartens kreuzte. Das waren die Stadtteile, in denen sie ihre Einkäufe in den Läden machte, und in denen zugleich das Fremdenleben, der Geschäftsverkehr der Ausländer sich abspielte. Zuweilen, wenn sie in der Ferne einen mit breiten Schultern die Franzosen überragenden Herrn in Zivil sah, der etwas schwerfällig und aufrecht seines Weges ging, dachte sie, er wäre es. Aber es war jedesmal irgendein unbekannter deutscher Landsmann, der sich die Beine auf Pariser Pflaster vertrat und der schönen schwarzäugigen, jungen Frau – seiner Meinung nach ein Vollbluttyp der Pariserin – bewundernd nachschaute. Allmählich wurde sie ruhiger. Wahrscheinlich verließ Moritz Lünemann tagsüber sein Zimmer kaum, sondern saß über seinen Akten und Tabellen im Hotel. Oder schrieb an seine Braut ...

Eine heiße, wilde Bitterkeit zuckte ihr durch das Herz: Jetzt erlauben sie ihm zu heiraten – jetzt nach fünf Jahren – wo mein Leben verpfuscht und verloren ist! Seines fängt nun erst recht an. Ich hab' Hoffnung und Glück hinter mir ...

Sie lächelte leer im Weitergehen. Sie zeigte jetzt immer ein lächelndes Gesicht. Sie zwang sich, die Dinge nicht mehr bis ans Ende zu denken. Es ging hier auch so. Die Oberfläche des Lebens war bunt und reich. Von Gold verklärt. In unwillkürlichem Respekt vor der Macht des Goldes machten die Menschen auf dem Boulevard Sebastopol Halt, wenn ihre mächtige Limousine da majestätisch mit blitzenden Spiegelscheiben, den feierlich glattrasierten Diener neben dem schnurrbärtigen Chauffeur auf dem Bock, vorfuhr und sie ausstieg, um, wie sie zuweilen tat, ihren Mann zum Lunch abzuholen.

Einmal, als sie wieder mit flüchtigen Schritten, einen zarten Veilchenhauch hinter sich in der muffigen Stubenluft lassend, in das Privatkontor trat, schnellte bei ihrem Anblick ein kleiner, stämmiger Herr auf die Beine, der da in eifrigen Debatten gesessen und den ganzen Raum mit Zigarrenqualm erfüllt hatte. Er hatte rötliches, aufrechtstehendes Haar, ein schlau-gemütliches Gesicht mit goldenem Zwicker vor den durchdringenden kleinen Augen, die weiße Weste über dem gerundeten Bäuchlein. Ihr Mann stellte ihn ihr als den Generaldirektor Malloney vor. Dann benutzte er die Gelegenheit und gewann unauffällig die Tür. »Unterhalte Dich ein wenig mit ihm!« raunte er Margarete zu. »Ich will eben mal rasch telephonieren! Ein Gauner ist der Kerl! ... Nicht zu sagen!«

Sie hörte, wie er nebenan in die Fernsprechkammer lief und sich mit Brüssel verbinden ließ. Sie saß inzwischen im Allerheiligsten dem Besucher gegenüber. Er kannte sie nicht. Er wußte nur, daß sie die Gattin des Chefs war. Er hielt sie für eine Pariserin und begann in einem sprudelnd geläufigen, abenteuerlich sächsisch betonten Französisch. Sie mußte lachen.

»Sprechen Sie nur ruhig Deutsch, Herr Generaldirektor! Ich bin eine Deutsche!«

»Ist's die Möglichkeit?« sagte Herr Malloney verwundert. Jetzt hatte er nichts mehr von seiner vierschrötigen Energie als Geschäftsmann an sich, sondern schaute recht harmlos und pfiffig drein. In seiner Art war er ein Weltmann, gerade weil er's gar nicht darauf anlegte, ihn zu spielen. Ob mit einem türkischen Pascha oder einem Streitdeputierten seiner Arbeiter oder einer hübschen Frau – er konnte mit jedem reden. Er plauderte ganz nett und geläufig. Margarete gefiel dem alten Schwerenöter sehr. Sie merkte es. Eine Weile hörte sie ihn an. Dann fragte sie plötzlich, mitten in seine bewegliche Klage, daß er, eine Seele von einem Menschen, immer in Paris mißverstanden werde:

»Sie haben Herrn Lünemann mit sich, nicht wahr?«

»Ja! Kennen Sie ihn?«

»Früher schon! Als Offizier! Ich hab' ihn jetzt jahrelang nicht gesehen! Wie geht es ihm denn?«

»Sehr gut! ... Wenn ich jemanden manage, gnädige Frau! ... Mir ist der Hundertste nicht recht! ... Ein helles Köpfchen! ... Er sieht, wo's Geld steckt!«

Dabei stieß Herr Malloney mit seinem Spazierstock gegen die Diele, als seien da Schätze vergraben, und hörte mißtrauisch auf die Verhandlungen in der Telephonzelle nebenan: Das Gespräch mit der Frau seines Geschäftsfreundes oder Geschäftsfeindes führte er nur mit halbem Ohr. Ihm entging das leise Schwanken ihrer Stimme, als sie anscheinend leichthin meinte:

»Hat er nicht neulich geheiratet?«

Der Generaldirektor lachte.

»Nee, noch nicht,« sagte er harmlos. »Aber dichte dran ist er allerdings! Seit einem halben Jahr oder länger verlobt!«

»Eine gute Partie?«

Ihr Gegenüber zündete sich mit einer Verbeugung gegen sie eine neue Zigarre an.

»Und ob!« sagte er zerstreut, immer im Geiste mit am Telephon nebenan. »Ein sehr hübsches Mädchen! Ich kenne sie und den Alten! Geld ist da nicht zu knapp ... Aber ich habe den Eindruck: es ist doch eine Neigungsheirat! Sonst hätte der gute Lünemann noch gewartet. Seine Chancen steigen ja von Jahr zu Jahr ... Nun – wie ist's, Herr Feddersen! Vertragen wir uns wieder?«

Er wandte den roten Kopf vergnügt zu Margaretes Mann, der wieder eintrat und der verschmitzten Vertraulichkeit des andern mit vornehmer Kühle begegnete:

»Wir werden sehen, Herr Malloney! Mein Bruder fährt nach Brüssel. Ohne die Belgier können wir nichts machen!« Die Verhandlungen fanden an diesem Tage keinen Abschluß. Sie dauerten auch noch die folgende Zeit. In dieser Woche war Margarete noch mehr allein als sonst. Ihren Mann sah sie nur des Abends, wenn er, nervös von den Verhandlungen, nach Hause kam ... Einmal lag auf seinem Schreibtisch ein Brief, ein Ultimatum, das er an Malloney sandte. Sie las die Adresse. Der Generaldirektor wohnte in einem der vornehmsten Hotels am Vendôme-Platz. Dort hatte er jedenfalls auch seinen Begleiter untergebracht.

In den nächsten Tagen kämpfte Margarete Feddersen mit sich einen schweren Kampf. Der einzige, der etwas davon merkte, war der Vetter Alphonse. Der fand zweimal hintereinander, als er zur Teestunde kam, verschlossene Türen. Madame fühle sich nicht wohl, berichtete der Diener, und der Besucher trat kopfschüttelnd den Rückzug an. Unterdessen saß Margarete an ihrem Louis-Seize-Tischchen und schrieb mit raschen Federzügen, ohne einmal den Kopf zu heben, so, wie man sich etwas von der Seele beichtet:

»Lieber Moritz!

Oft habe ich in diesen fünf Jahren an Dich gedacht. Dich einmal auch gesprochen. So bist Du meinem Leben nicht fern geworden. Ich habe, soweit es mir möglich war, immer Deine Schritte verfolgt und mich gefreut, daß es Dir so gut geht und Du so vorwärts kommst. Nun bist Du wieder in meiner Nähe und stehst vor der größten Lebenswende, die uns überhaupt beschieden ist. Du selbst hast es mir nicht mitgeteilt, aber ich hab' es von verschiedenen anderen Seiten gehört, daß Du verlobt und im Begriff bist, Deinen eigenen Hausstand zu gründen.

Das macht mich froh und traurig zugleich. Froh für Dich, dem ich alles Gute im Leben wünsche, traurig für mich. Denn nun erst, wo Du bald ganz einer anderen gehörst, scheidest Du völlig aus meinem Sein. Ein Stück Erinnerung, alles, was einst war, sinkt nun endgültig ins Grab. In dem liegt für mich schon vieles, beinahe alles gebettet, was ich einst hoffte und wünschte. Und doch muß ich dem Schicksal dankbar sein, daß ich endlich von der Last der Verantwortung befreit bin, die ich diese ganzen Jahre mit mir herumgetragen habe, von der Furcht davor, daß auch Dein Leben durch meine Schuld so verpfuscht bleiben möge, wie meines geworden ist. Gottlob, darüber bist Du nun hinaus, und ich halte Dir noch einmal, zum letzten Male, die Hand entgegen und bitte Dich zum Abschied: Verzeih' mir, was ich Dir Schmerzliches zugefügt habe, und behalte mich von jetzt ab in freundlicher Erinnerung.

Und zum zweiten wünsche ich Dir von Herzen Glück, mein lieber Moritz. Und ich weiß, Du wirst glücklich werden. Ich habe aufgeatmet und unserem Schöpfer gedankt, als ich hörte, daß Du bei Deiner Heirat durch eine Herzensneigung bestimmt wirst. Ich will Dir jetzt gestehen: Ich hatte immer eine wahre Todesangst, Du könntest meinem Beispiel folgen und auch eine Verstandespartie eingehen – die Versuchung liegt ja für Dich so nahe – und dieselben Erfahrungen machen wie ich. Mißverstehe mich nicht! Ich will mich hier nicht als die Unglückliche aufspielen. Ich will keine unnützen Geständnisse ablegen. Ich will niemanden anklagen als mich selbst. Aber glaube mir – vielleicht ist es Dir nachträglich eine Genugtuung – für das, was ich getan, habe ich auch redlich gebüßt. Für das, was ich geopfert, hab' ich wenig Gegenwert empfangen. Ich bin einsam in fremdem Land und werde es zeitlebens bleiben und unter Fremden sterben und begraben werden. Jetzt verstehe ich, Moritz, was ich Dir damals so übel nahm: daß Du erklärtest, Du könntest nie und nimmer in französische Dienste treten. Du hast so wahr gesprochen. Hättest Du nur auch mich überzeugt. Jetzt weiß ich es selbst nur zu gut! Wir können unsere Art nicht verleugnen. Wir bleiben, was wir sind: Deutsche.

Mein eigentlicher Lehrmeister im Leben bist immer Du gewesen. Du zeigst mir nun auch jetzt wieder, was ich damals hätte tun sollen. Du verkaufst Dich nicht um Geld. Du folgst Deinem Herzen. Ich bin so froh. So steht Dein Bild so rein und ungetrübt in mir. Ich kann in der Erinnerung zu Dir emporsehen und Dir sagen: Einer von uns beiden hat wenigstens den rechten Weg gefunden, wie es geschrieben steht: Was hülfe es mir, wenn ich die ganze Welt gewönne und hätte der Liebe nicht? Um Dir das alles zu sagen, hab ich Dich noch einmal Du genannt. Zum letzten Mal. Sonst hätte ich es nicht herausgebracht!

So – nun ist mir leicht ums Herz! Ob's recht war oder nicht, Dir von mir so viel zu schreiben – ich hab's tun müssen! Leb' wohl, vergiß mich – das brauch' ich Dir jetzt erst nicht mehr zu sagen! – Und sei glücklich!

Margarete!«

Ein Diener brachte diesen Brief hinüber nach dem Vendôme-Platz und meldete, daß er ihn im Hotel an Herrn Lünemann selbst, der in seinem Zimmer gesessen, abgegeben habe. Margarete zweifelte nicht, daß Moritz Lünemann ihr bald und ausführlich antworten, oder daß er selbst kommen werde. Das durfte er nach ihren Zeilen. Die waren eine Bitte um Versöhnung auf beiden Seiten. Er konnte doch nicht auch jetzt noch so nachtragend und hartherzig sein und die Hand nicht ergreifen, die sie ihm bot. Hatte doch schon einmal seither, beim Begräbnis ihres Vaters, seine Rechte in der ihren geruht.

Aber die Tage kamen und gingen. Nichts rührte sich. Und eines Abends versetzte Karl Feddersen gähnend und ärgerlich nach dem Essen:

»Gott sei Dank, wir werden die teutonische Invasion los!«

»Hast Du Dich mit Malloney endlich geeinigt?«

»Im Gegenteil! Der Kerl ist zu niederträchtig. Wir stehen vor dem Bruch! Er ist noch in Paris! Aber sein Vertrauter, Herr Lünemann, ohne den er nicht vierundzwanzig Stunden existieren kann, ist gestern abend glücklich heimgedampft. Das ist ein Zeichen, daß er ihm bald folgen wird! Meinetwegen! Da war es eben verlorene Liebesmüh'!«

»Ja. Das war es!« sagte Margarete.

Ihre Gedanken folgten Moritz Lünemann auf seinem Weg nach Deutschland – übern Rhein – den Strom entlang – irgendwo stand da ein Haus – etwas Weißes, wie ein Mädchenkleid, leuchtete auf der Schwelle – zwei Arme breiteten sich ihm entgegen. Die Sonne schien. Die Vögel sangen. Glück und Frieden wohnten dort im Schatten einer rheinischen Rebenlaube ... Sie sank am nächsten Nachmittag plötzlich verzweifelt auf ihrem Diwan zusammen. Sie lag stundenlang, das Antlitz in den Kissen, wie eine Tote, in einem tiefinnern herbstlichen Frösteln, als sei jetzt erst für sie die letzte Brücke zum Vaterland, zur Jugend, zu dem, was sie selbst gewesen und hätte werden sollen, abgebrochen. Dann richtete sie sich auf und starrte aus erschrockenen, tränenlosen Augen um sich. Sie war in der Verbannung. Draußen hörte sie französische Laute. Eine Männerstimme. Der Diener erschien und meldete, Monsieur Alphonse Feddersen wünsche Madame seine Aufwartung zu machen.

Und zugleich streckte, diesmal entschlossen seinen Vorteil wahrnehmend, der Vetter Alphonse schon vertraulich wie ein Hausfreund seinen lächelnden schwarzen Pariser Mephistokopf durch den Türspalt. Sie sah es gleichgültig.

»Darf ich eintreten, Cousine Margot?«

»Kommen Sie nur herein!« sagte sie müde. Er stand schon vor ihr, lächelte wieder und beugte sich tief über die eiskalten Fingerspitzen, die sie ihm entgegenstreckte.


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