Rudolph Stratz
Lieb Vaterland
Rudolph Stratz

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9.

» Voilà la tour Eiffel!« Eine Stimme in dem Abteil erster Klasse des Metz-Pariser Schnellzugs rief es. Andere Mitreisende sprangen empor und drängten sich an die Fenster, an denen General von Teuffern und seine Frau einander gegenüber saßen. Die beiden wachten von einem kurzen Nickerchen auf und schauten auch hinaus. Goldener Maisonnenglanz lag auf den Fluren Frankreichs. Weithin dehnte sich das grüne, mit weißen Häusern besäte Hügelland, und darüber dämmerte fern am Horizont ein seltsames, aufrechtes Spinngewebe ... der Eiffelturm ... Paris ...

»Uff – da wären wir!« sagte der alte Herr, als der Zug nach einer Stunde sich dem Ostbahnhof näherte. Er sprach ungeniert und laut Deutsch. Ihm war es höchst egal, was die Franzosen für Gesichter dazu schnitten: die Gesellschaft kannte er – noch von damals her. Er hatte eigens einen Umweg gemacht, um wieder einmal die Schlachtfelder von Metz zu besuchen, und andächtig am Eingang von St. Privat unter der Statue des heiligen Michael gestanden, auf den hin im Halbrund über die aufsteigende Halde die Linien der Kriegergräber, wie jetzt noch von einem unerbittlichen, stürmenden Willen getrieben, zusammenliefen, und an die Abendstunde gedacht, in der der damalige Premierleutnant von Teuffern als der letzte Offizier seines Gardebataillons die Seinen vorwärtsgeführt, bis auch ihn die Chassepotkugel in die Schulter niederstreckte. Sein greises Herz war noch voll von kriegerischen Erinnerungen. Aber nicht deswegen klopfte es ihm jetzt so stark zwischen den Häuserreihen von Paris. Er bemühte sich, ruhig zu erscheinen.

»Ich bin zu gespannt, Mutter, wie wir die Grete finden!« sagte er. »Anderthalb Jahre sind eine lange Zeit ...«

»Ich war immer dafür, daß wir schon früher fahren sollten ...«

»Nee ... nee ... im ersten Jahr der Ehe soll man die jungen Leutchen sich selber überlassen ... da soll man nicht hineintapern ... gerade in dem Fall ... na ... nu' komm!«

Er stieg aus, half seiner Frau und schaute prüfend aus seinen freundlichen blauen Augen den Bahnsteig hinab. »Wo steckt das Kind denn nur?« murmelte er. Da unten, ziemlich am Ausgang, stand, gleichfalls suchend, eine hier unter den Franzosen auffallend groß wirkende schlanke Frau. Beinahe jeder Vorübergehende wandte den Kopf nach ihr. Das schneeweiße, enganliegende Schneiderkleid hob noch ihre stolze Erscheinung. Ihr mächtiger, kornblumenblauer Hut, mit den langwallenden Straußenfedern, überragte die Köpfe der Menge. Der glattrasierte, respektvoll hinter ihr harrende Lakai reichte ihr bis kaum an die Schulter. Jetzt erhellte sich ihr Antlitz. Sie erkannte die Eltern, sie flog lachend, mit ausgebreiteten Armen auf sie zu, und nun wurde es auch den alten Teufferns klar:

Das war ihre Tochter. Und doch war ihnen diese schöne Weltdame, die sie strahlend mit heiterer Sicherheit empfing, im ersten Moment der Begrüßung ebenso fremd wie der leise Hauch feinsten exotischen Parfüms, der die Luft um sie erfüllte. Aber da war ihre Stimme ... die liebe, alte Stimme ... die dunklen, lange nicht mehr so schwermütigen Augen, das Lachen von einst ... Frau von Teuffern hielt krampfhaft die Hand der schönen Frau fest ... »Grete ... meine Herzensgrete!« sagte sie bewegt. Und die gab ihr einen neuen, fröhlichen Kuß. »Endlich mal wieder jemand, der mich Grete nennt! Weißt Du, wie sie mich jetzt hier alle nennen? Daisy! Sie behaupten, es wäre im Englischen das gleiche. Ueberhaupt: Englisch ist ja jetzt mächtig Mode!«

Sie sprach lebhaft und leichthin, wie jemand, der gewohnt ist, über Gott und die Welt zu plaudern, und zog die Eltern mit sich. »Hier muß ich Euch schon bemuttern!« meinte sie geschäftig. »Charley läßt sich tausendmal entschuldigen, er konnte beim besten Willen nicht kommen; er hatte jetzt gerade um fünf Uhr nachmittags eine wichtige Konferenz. Die Moskauer sind da – sein Bruder nebst Anhang. Das ist immer eine Riesengeschichte! So! Da ist das Auto! Ich hab's ein bißchen heizen lassen. Sitzt Ihr auch bequem?«

Es war ein Riesenkasten, mit seinen Spiegelscheiben, dem Schirmständer, dem Klapptischchen, dem Veilchenstrauß an der Vorderwand. Draußen glitten die Boulevards vorbei, schmutzig, mit Papierfetzen besät. Die Generalin von Teuffern kam nicht dazu, hinauszusehen. Sie musterte immer wieder ihre Tochter. Ihr Frauenauge sah merkwürdige kapriziöse Einzelheiten der Eleganz an ihr. Dies Gefunkel an der Brust, das aus der Ferne wie ein großer Edelstein aussah und bei näherer Betrachtung eine mikroskopische Brillantuhr war, dieser sinnlos teure Türkis als Schirmknopf, dieser papierdünne, winzige Muff aus feinsten Spitzen – ein Muff im Mai! – mit einer kornblumenblauen Tuffe besetzt – unter ihrem Arm ein weißwollenes Knäuel, das sich als ein unwahrscheinlich kleines Bologneserhündchen erwies. »Es wiegt nur vier Pfund!« erklärte Margarete stolz und wickelte den kläffenden Zwerg in sein Deckchen. Und draußen immer weiter das Sausen der Gummireifen – Paris ... Paris ohne Ende ... freie Plätze ... Brücken ... Park ... Die Autos in zehn Reihen nebeneinander, Tausende von Wagen, Zehntausende von Menschen ... Im Hintergrund der aufsteigenden Allee der Triumphbogen ... Der alte Herr wurde lebendig. Er richtete sich straff auf.

» Die Gegend kenne ich!« erklärte er erfreut. »Da sind wir doch einundsiebzig einmarschiert! Ich war gerade zum Regiment zurückgekommen!«

Margarete Feddersen sah sich unwillkürlich scheu um, ob sie nicht jemand hören könnte. Dann beugte sie sich vor und legte ihrem Vater scherzhaft warnend die weißbehandschuhten Fingerspitzen auf die Lippen.

»Pscht, Papa! Um Gottes willen!«

»Na was denn, mein Kind?«

»Das ist so ungefähr das Unglücklichste, was Du hier erzählen kannst ... Diese Reminiszenz ...«

»So? Nun, für mich war es nach meinem Hochzeitstag der glücklichste Tag meines Lebens, wie ich von da oben Paris zu unseren Füßen gesehen hab'!« versetzte der General unbekümmert und laut. »Ich weiß noch, da drüben ritt ein Kavallerieregiment hinunter zum Fluß. Dem sein Oberst hatte beim Kriegsausbruch vor der Front geschworen, seine Gäule in der Seine zu tränken! Ein Riesenkerl, sag' ich Dir!« Er lachte übers ganze Gesicht.

»Papa ... hab' doch ein Einsehen!«

Margarete rang in komischer Verzweiflung die Hände. Vater und Tochter verstanden sich nicht. Er schüttelte den Kopf.

»Das muß man heilig halten, Grete! Gerade heutzutage, wo der lange Frieden die Leute weibisch macht. Nee – mich krempelst Du nicht mehr um ...!«

Das Automobil hielt vor einem Hotel. Die junge Frau sprang eilig heraus. Sie war froh, daß diese Unterhaltung ein Ende hatte.

»Ich hab' Euch nämlich hier Quartier bereitet! Ganz nah' bei uns. Aber dort ist's ein bißchen zu eng. Ihr sollt doch auch Komfort haben!«

»Ich glaube, die Grete ist verrückt!« sagte der General in ehrlichem Zorn, als er mit seiner Frau oben in dem Appartement stand. »Fünf Zimmer! Ich bin doch kein amerikanischer Nabob! ... Lieber Gott, was das kosten mag ... Du, Mutter ... Sie ist überhaupt ein bißchen schusselig geworden! Findest Du nicht auch?«

»Wir werden ja sehen! Wasch' Dich jetzt lieber, Hans! Und dann komm!«

Margarete Feddersen freute sich, wie würdig und vornehm der Vater aussah, als er die Treppe hinabstieg. Bei Mama war das selbstverständlich. Gottlob, die Eltern konnten sich blicken lassen, auch hier in dieser internationalen Gesellschaft, die auf den alten Herrn gar keinen Eindruck machte. Sein Blick ruhte nur auf einer Gruppe französischer Kavallerieoffiziere in ihren schwarzverschnürten Attilas und flammendroten Hosen und wurde dabei lebhaft und warm, als wollte er sagen: Aha, da seid Ihr ja wieder, Ihr Kerle! ... Es lag Achtung vor den Reitern von Reichshofen und Floing darin. Seine Tochter hatte mit einigen Damen zusammengesessen. Rings um sie Welt. Schwärme von Pariserinnen und Amerikanerinnen in Riesenhüten. Nun sprang sie auf und rauschte liebenswürdig den Ihren entgegen. Sie hatte die Unbefangenheit der Nordländerin verloren, sie blieb sich stets nach französischer Art ihres Eindrucks bewußt.

Es war ein zierliches kleines Palais in der Avenue du Bois de Boulogne, in das sie die Eltern in ihrem Automobil hinüberbrachte, aber innen ein Schmuckkästchen, das teppichbelegte Treppenhaus gleichzeitig Gemäldegalerie, das Boudoir ein blauseidenes Nest, die Salons weiß-golden, in steifem, kostbarem Empire. Da war der kreisrund verglaste Wintergarten, da das Billardzimmer, unter dem der Stall für die Reitpferde lag. Grade gegenüber im Hof die Garage. Sehr praktisch! Freilich, man mußte sich einschränken. Es war alles zu klein ... Charley plante einen Neubau weiter draußen. Er wartete nur ein günstiges Geschäftsjahr ab. Bei der nächsten guten Getreideernte in Rußland wurde bestimmt der Grundstein gelegt. Wenn Charley das versprach, konnte man sich darauf verlassen. Er war gewissenhaft jusqu'au bout des ongles! ... Die junge Frau erzählte das alles ihren Eltern, während sie mit ihnen in ihrem Boudoir zusammensaß, immer das Seidenhündchen Bibi auf dem Schoß, und ihnen Tee eingoß. Ihre Berichte waren abspringend, im Zickzack hin und her, wie es ihr gerade durch den Kopf ging. Die Unrast des Pariser Lebens zitterte hindurch. Die Alten hörten eine Welle still zu. Das Kreuz und Quer ermüdete sie. Endlich fragte die Mutter:

»Also, es geht Dir gut, Grete?«

»Ausgezeichnet!«

»Und Du fühlst Dich wohl in Paris?«

»Wie ein Fisch im Wasser.«

»Und hast auch netten Verkehr?«

»Charley ist ja mit Gott und der Welt verwandt!«

»Und die sind alle freundlich zu Dir?«

»Die werden sich hüten, Charley vor den Kopf zu stoßen! Dazu haben wir viel zu viel Geld, Mama! Bloß meine Schwägerin Magde, die Amerikanerin ... Wenn wir beide zusammen sind, sagen wir uns Sottisen ... stundenlang! Die andern amüsieren sich königlich!«

»Auch eine Beschäftigung!« meinte der General trocken.

»Das ist hier nun so der Ton! Noch eine Tasse Tee, Mama?« Margarete hatte ihre Schwägerin schon wieder vergessen. Die Eingebungen folgten bei ihr rasch. Sie sprang plötzlich auf, lief auf ihren Vater zu und küßte ihn wieder. »Du guter, alter Papa! Wenn ich Dein liebes Gesicht wieder sehe! Und Deines, Mama! ... Ich schwatz' da in einem Zug! Erzählt doch jetzt endlich etwas von zu Hause!«

Ja, zu Hause ... Der alte Herr räusperte sich und begann. Seine Frau half ihm. Sie ergänzten sich. Die Verlobungen – die Versetzungen – die Hochzeiten und Todesfälle ... Margarete hatte als Mädchen immer gegähnt, wenn dies endlose Thema aufs Tapet kam, und sie hörte auch jetzt nur aus Höflichkeit zu. Sie hatte einen geistesabwesenden Blick, während die Vettern und Muhmen Revue passierten. Dann horchte sie plötzlich auf. Ihr Vater hatte ein Wort ausgesprochen ...

»Mit dem Lünemann ... das weißt Du wohl, daß der ein Vierteljahr nach Deiner Hochzeit doch den Abschied genommen hat und bei einem Generaldirektor Malloney, dem Leiter von irgendeinem großen Industrieunternehmen, eingetreten ist? ... Er soll da recht gute Geschäfte machen ... Na ... Mich freut's für ihn ... ich gönn' es ihm ...«

»Gott ... Lünemann ...« Margarete Feddersen wiederholte den Namen langsam mit einem seltsamen Lächeln. Seit langem war er ihrem Bewußtsein entglitten. Das lag in ferner, grauer Vergangenheit. Sie war jetzt erst vierundzwanzig, aber diese Charlottenburger Zeit von einst, voll Hangen und Bangen – war abgeschlossene oder wehmütige Jugendtorheit. Ihr Vater endete:

»Er war ja immer ein fixer Kerl. Sie schicken ihn jetzt schon in Geschäften ins Ausland. Er soll eine besondere Gabe haben, die Leute so recht treuherzig übers Ohr zu hauen! Ich kenn' das von seinen Pferdehändeln von früher. Da sah er auch so dumm drein, daß sogar die Kavalleristen auf ihn 'reinfielen ... Ach ... da ist ja Dein Mann!«

Karl Feddersen war eingetreten, eine große Aktenmappe unter dem Arm, ein Bündel Depeschen in der rechten Rocktasche, und begrüßte die Schwiegereltern. Herzlich, aber noch ein wenig zerstreut, wie ein Finanzier, in dessen Kopf sich das Millionen-Gewölk marokkanischer, türkischer und russischer Unternehmungen erst allmählich verzog. Er war ein wenig behäbiger geworden in den anderthalb Jahren und fast noch ruhiger. Und hier, wo er Herr im Hause war, hob ihn alles umher und gab ihm den Hintergrund einer gewissen Würde.

Er setzte sich. Aufregung bereitete ihm der Besuch der Schwiegereltern nicht. Es war wie nach einem abgeschlossenen Geschäft. Er hatte ja Margarete. Und an das Kommen und Gehen der Verwandten und Handelsfreunde aus allen Ecken Europas war man in diesem Hause gewöhnt. Jetzt wieder der Bruder Nicolai aus Moskau. Mit dem hat es eben einen netten Tanz gegeben. Er berichtete es Margarete. Der Mensch stak unter dem Pantoffel seiner Frau – das war das Unglück! ... Diese mächtige, phlegmatische russische Blondine hetzte ihn auf...

Der General von Teuffern hörte still, die Augen halb geschlossen, dem Gespräch der beiden Gatten zu. Er beobachtete, wie sie miteinander umgingen. Es dünkte ihn eine oberflächliche Art Kameradschaft in tausend äußeren Dingen: Besuchen, Besorgungen, Einladungen, Billetten ins Vaudeville, Karten für Auteuil, eine Weinrechnung – Gesellschaftsklatsch ... sie waren beide in das Französisch gekommen, das Margarete schon so geläufig, rasendschnell auf die Endsilben hin wie eine Pariserin sprach, daß ihre Eltern nicht alles verstanden. Es war ja auch gleich. Die beiden Teuffern kannten die Anspielungen und Histörchen doch nicht, die sich immer um einen bestimmten Kreis drehten. Viel deutsche, englische, griechische Namen klangen mit. Es schien eine ganz internationale Gesellschaft. Und jedesmal, wenn Margarete ihren Mann im Eifer des Gesprächs »mon ami« nannte, gab es für den alten Herrn einen Halt in seinen Gedanken. »Mein Freund!« – Wie steif und töricht sich das im Deutschen anhörte! Er hätte lachen müssen, wenn seine Frau ihn je so genannt hätte! Es war gallisch! Da drüben saßen ein paar Franzosen. Eine davon seine Tochter. Für die beiden paßte das und für ihren leidenschaftslosen Verkehr. Sein Schwiegersohn war eben ein Geschäftsmann. Er suchte auch in der Ehe einen Associé, mit dem man möglichst wenig Aerger und Verdruß hatte, damit man den Kopf für andere Dinge klar behielt, und hatte ihn in dieser schönen jungen Frau gefunden, die glücklich und zufrieden war, wenn man ihr Paris, vom Gipfel des Eiffelturms bis zu ihrem Hündchen Bibi, als ein einziges großes Spielzeug bot.

Zu Tisch erschien sie in großer Toilette – zart lachsfarben, mit weißen Perlenfransen über der Seide, die bei jeder Bewegung leise, verräterisch klangen und über ihre schlanke Gestalt hin im Licht der Silberkandelaber geheimnisvoll wie Fischschuppen aufblitzten. Ihre dunklen Augen leuchteten. Ihre Eltern selber waren betroffen, wie reizend sie war. Fremdartig. Sie hatte, auch in ihrer geschmeidigen Art, ihrem ein wenig seelenlosen Lächeln etwas von einer wunderschönen Nixe. Selbst ihre Züge schienen dem Vater verwandelt – nicht nur frauenhaft geworden, gegen die Mädchenzeit – nein, strenger, klassisch, edel. Die Mutter merkte den Grund: Es war die griechische Frisur, die sie jetzt trug – dieser schwere Knoten, der ihr schwarzes Haar auf dem Hinterhaupt zusammenfaßte und den weißen, perlenschimmernden Nacken frei ließ.

Zwei Diener schlichen geräuschlos mit den Schüsseln hin und her. Karl Feddersen schickte sie durch ein Stirnrunzeln hinaus. »Man kann dann bequemer Deutsch reden!« erklärte er seinem Schwiegervater. »Ich tue es nicht gerne in Gegenwart des Personals. Man hat so leicht Unannehmlichkeiten davon ...«

»Dann tät' ich es hier gerade!« sagte der alte Herr freundlich und offenherzig über den Tisch hinüber. Der andere blickte an seiner Frackklappe hernieder. In der schimmerte ein rotes Streifchen wie drüben ein schwarzweißes Band.

»Du trägst das Eiserne Kreuz, Schwiegerpapa! Ich den Orden der Ehrenlegion. Das ist der Unterschied. Auf den nimmt jeder in seiner Weise Rücksicht!«

»Also, jetzt bist Du auf einmal Franzose!«

»Ich denke stark daran, es zu werden! ... Ich werde ja doch wohl zeitlebens mein pied-à-terre in Paris haben! Da wäre es für die Geschäfte von großem Vorteil ... Besonders auf dem Balkan. Von einem Russen, der ich jetzt bin, erwarten die Türken nun einmal nichts Gutes!«

Der Generalleutnant z. D. von Teuffern schwieg. Er wollte keinen Zank. An der kühlen Selbstgerechtigkeit dieses Kosmopoliten prallte ja doch alles ab. Man erschien sich da förmlich rückständig als ein Mensch mit Vaterland, als ein ehrlicher Preuße. Aber als er spät abends in das Hotel zurückgekehrt mit seiner Frau auf dem Balkon vor ihren fünf Zimmern stand, versetzte er plötzlich erbittert:

»Meine Tochter Französin! Hast Du Dir das je träumen lassen, Mutter? ... Dazu ist das Kind nun bei uns aufgewachsen und ...«

»Reg' Dich nicht auf, Hans!« sagte seine Frau gottergeben. Auch sie war traurig. Ueber den beiden alten Leuten stand funkelnd klar der Sternenhimmel, um sie spielte weiche, blütenschwere Mainachtluft, vor ihnen glänzte nah und fern, mit Tausenden und Zehntausenden von Flammenpunkten das Lichtermeer von Paris. Der alte Herr sah ins Weite hinaus und schüttelte den Kopf:

»Das ist eine verfluchte Stadt, Hildegard! Dreimal sind wir nun hier einmarschiert! Aber sie steht immer noch! ... Und der Teufel geht darin herum und schaut, wen er fängt! Und das Schlimmste ist, wenn einer sein eigener Seelenverkäufer ist wie die Grete! Ich hab's kommen sehen. Nun weiß ich's! Wir haben unser Kind hingegeben, Mutter! Es ist fort!«

»Aber ... Mann ...«

»Still, Mutter! Das weißt Du nicht! Ist denn das noch die Grete? Mein altes, gutes, ungezogenes, widerhaariges Mädel? ... Nee ... nee ... nee... die haben sie uns hier vertauscht!«

»Du mußt nicht so streng sein!«

»Ich habe gar nichts gegen eine große Dame!« sagte der alte General ruhig. »Auch wenn diese Weltdame zufällig meine Tochter ist. Aber meine Tochter selber wäre mir lieber! ...«

»Komm, Hans! Wir wollen schlafen gehen!«

Er folgte ihr zögernd in die Zimmer. Dieser aufdringliche Luxus war ihm ein Greuel.

»Eigentlich ist ihr Mann doch gräßlich? Nicht, Hildegard?«

»Mein Gott – wie solche Leute sind!«

»Ich hab' immer Angst, ich verwechsle ihn 'mal mit seinem Geldschrank in der Ecke. Die beiden haben eine verdammte Ähnlichkeit.«

Exzellenz von Teuffern ließ die Fenstervorhänge herunter, um die Stadt da draußen nicht mehr zu sehen.

Die Generalin war nicht so unerbittlich wie er. Oder wenn sie es zu sein versuchte, war ihre Natur stärker. Sie hatte so wenig vom Leben gehabt. Sie war nie recht herausgekommen. Nun genoß sie, mit einer späten, matten, herbstlichen Freude, halb über sich selber lächelnd, Paris. Mit ihrer schönen Tochter an der Seite fühlte sie hier eine Art Heimatberechtigung. Zuweilen gingen ihr bei der Geldverschwendung in den großen Magazinen und in den Schauläden der Rue de la Paix doch die Augen über. Margarete gab die Tausende mit einer so unbefangenen Selbstverständlichkeit aus – sie fragte oft gar nicht nach dem Preise – man merkte: sie wollte dadurch nicht etwa imponieren – sie war es einfach so gewohnt. Der Mutter war es unheimlich. Sie entschloß sich, doch einmal mit dem Schwiegersohn, als sie unter vier Augen waren, zu reden. Aber Karl Feddersen zog erstaunt die blaßblonden Brauen hoch.

»Warum soll sich denn Daisy nicht kaufen, was ihr Spaß macht?«

»Aber das sind ja kleine Vermögen, die da aufgehen!«

» Ma chère maman – das spielt bei mir wirklich keine Rolle!«

Frau von Teuffern zögerte. Dann meinte sie ernst:

»Und die Rückwirkung auf ihren Charakter ... fürchtest Du da nichts?«

»Charakter ... wieso?«

»Ich meine, das muß doch schließlich zur Oberflächlichkeit führen, wenn eine junge Frau so auf Putz und Schmuck aus ist ...«

»Zum Glück ist sie's. Sonst würde ich sie darum bitten müssen! Ich wünsche eine elegante Frau!«

Karl Feddersen begegnete der Schwiegermutter mit einer etwas gelangweilten Höflichkeit. Er wußte mit ihr nichts anzufangen. Mit dem General freilich noch weniger. Der war ihm ganz fremd. Da versiegte binnen kurzem jedes Gesprächsthema. Der alte Herr ging auch am liebsten seine eigenen Wege. Er pilgerte still in Paris herum. Er stand in dem Rondell des Triumphbogens und äugte hinüber nach dem Mont Valérien, der ihnen Anno siebzig so zu schaffen gemacht, und sah auf dem langen schnurgeraden Ausblick durch die Elysäischen Felder bis zum Louvre die weite Stelle, wo damals bald nach dem Einmarsch die Trümmer der Tuilerien rauchten, und sah den damals gestürzten Napoleon wieder klein und schwarz aufrecht auf der hohen Säule stehen.

Gäste kamen um diese Zeit wenig in das Feddersensche Haus. Das Ehepaar hielt sie fern. Aber der General merkte doch: Mit dem eigentlichen Paris hatte seine Tochter wenig Fühlung. Es waren nicht jene Vollblutfranzosen, denen die Boulevards die Grenzen der Welt bedeuteten, es war eine internationale Geldclique, in der sie verkehrte. Sie gestand es ihm selbst und lachte und meinte: »Einmal müssen wir sie Euch doch vorsetzen! Zum nächsten Donnerstag haben wir alles zusammengetrommelt!«

Es waren meist Verwandte, die sich an diesem Abend in der Avenue du Bois de Boulogne einfanden. Alexandre Feddersen, der Vollblut-Pariser, nervös, mit blondem Spitzbart und Zwicker, seine Frau, die Amerikanerin, in extravaganter Toilette, zu schmächtig, um mehr als hübsch zu sein, mit strahlendem Lächeln. Margarete rauschte ihr stürmisch entgegen. Beide küßten sich so zärtlich, als hätten sie sich ein Jahr lang nicht gesehen, während ihnen die Feindschaft wie den Katzen aus den Augen blitzte. Dann Nicolai, der Moskauer Bruder, und seine russische Gattin, groß, schwer, blond, mit dem verächtlichen Ausdruck einer slawischen Schönheit auf dem majestätischen, regungslosen Gesicht. Sie sprach nur Russisch mit den Brüdern Feddersen und mit Madame Lisa Campbell, der an einen Amerikaner verheirateten kleinen Baltin. Dann Monsieur und Madame Beinhauer – ein untersetzter Herr mit weißem Vollbart. Sein deutscher Name freute den General von Teuffern, er hätte ihn schon beinahe als Landsmann angesprochen. Aber jener kam zuvor: O nein, er war Elsässer ... Er hatte für Frankreich optiert. Er war Nationalist sans phrase, trotz seiner Spinnereien in Mülhausen. Und wieder nannte der Diener an der Tür die Namen: Monsieur und Madame Cogan, in Firma Cogan u. Mitchell, russischer Weizen, erläuterte Margarete flüsternd den Eltern. Monsieur van der Muylen, ein Brüsseler Bankier, in intimer Beziehung mit der dortigen Succursale des Hauses Iwan Feddersen und Söhne – Monsieur te Kloot, russische Maschinenindustrie – Monsieur und Madame Lesueur, Pariser Börse ... Die Gesellschaftsräume des Feddersenschen Hauses waren überfüllt. Es war eine erstickende Hitze. Ein Geruch wie im Parfümladen – ein Gelächter und Geschwatze, auf französisch, englisch, russisch, deutsch – zuweilen sprang einer mitten im Satz in eine andere Sprache über, sein Nachbar antwortete in einer dritten – die Worte waren ihnen wie eine gleichgültige Scheidemünze, die man beliebig bald aus dieser, bald aus jener Tasche zog. Und was man sich auf diese Weise mitteilte: bei den Männern drehte es sich fast ausschließlich um Geschäfte ... die Marge für Moskauer Baumwolle – Nachtfröste in den südrussischen Weizengouvernements die deutsche Konkurrenz auf dem Balkan ... Dann ein hitziger Wortwechsel. Die drei Brüder Feddersen stritten plötzlich wieder über die Birsula-Brauerei-Aktien ...

Die Damen waren an diese Börsenstimmung zwischen Fisch und Braten, zwischen Blumenschmuck und Silberprunk schon gewöhnt. Sie schwatzten unterdessen über ihre Angelegenheiten ... Theater ... Moden ... ein paar große Hochzeiten ... Klatsch ... Auch Margaretes Antlitz war leer und liebenswürdig: das Konventionelle der Weltdame ... eine rosige Maske, hinter der der alte Teuffern sein Kind nicht mehr sah. Er war schlechter Laune. Innerlich gereizt durch diese Umgebung vergnügter Geldmänner und ihrer Frauen. Zum Unglück meinte eben jetzt sein zweiter Nachbar zur Linken, Monsieur Henry Beinhauer, in der Absicht zu scherzen:

»Herr General, wie fühlen Sie sich denn so zwischen dem Zweibund?« »Wieso Zweibund?«

»Nun, ich hier links als Franzose und Ihr Schwiegersohn rechts als Russe ...«

»Ich sehe hier drei Leute,« sagte der alte Herr schroff. »Die heißen Teuffern, Feddersen und ... und Beinhauer, wenn ich recht verstanden habe. Ehrlichere deutsche Namen kann ich mir nicht denken! Wenn das Russen und Franzosen vorstellen sollen ... na ... ich bin ein Preuße!«

Und in nachträglichem Zorn fügte er hinzu:

»Aber wenn Sie so intim mit dem Zweibund sind, dann sagen Sie ihm bitte, Herr Beinhauer ... in meinem Namen ... Wir seien noch genau dieselben ekligen Kerle wie damals ... Sie wissen schon, wann ...«

»Ich war sogar dabei, mein General! Ich war in Koblenz gefangen!«

»Na ... sehen Sie, was dabei herauskommt!« sagte der alte Herr befriedigt und trank sein Glas aus. Dann saß er steif und gerade da. Im ersten günstigen Augenblick gab er nach Tisch seiner Frau einen Wink. Es glückte ihnen, sich unbemerkt zu empfehlen und zu Fuß durch den lauen Frühlingsabend nach ihrem Hotel hinüber zu gehen. Herr von Teuffern sprach unterwegs nicht viel. Nur einmal stieß er mit dem Stock auf das Pflaster und sagte lebhaft:

»Mutter ... Was ist das für eine Menagerie!«

»Ja, Ludwig – mir gefallen sie auch nicht!«

»Und da fühlt sich die Grete nun wohl!«

Wenige Tage darauf kam Exzellenz von Teuffern zu ungewohnt früher Stunde in das Haus seiner Tochter. Er traf sie allein, im weißen Spitzenmorgenrock, Bibi, den Kläffer, auf dem Schoß, bei der Frühstücksschokolade. Sie zeigte ihm lachend eine Stelle in dem Pariser New York Herald: »Siehst Du, da stehst Du drinnen, Papa. Gestern abend unter den Gästen im Elysée-Eden-Hotel: Monsieur le général et madame de Teuffern de Berlin ...«

»Das sind Kinkerlitzchen, Grete!« Der alte Herr setzte sich. »Spielt Ihr Euch meinetwegen so'n Zeugs vor, wenn es Euch amüsiert. Weißt Du, Kind ... Mama und ich sind jetzt einig: Morgen mittag reisen wir!«

»Aber Papa ... Ihr seid doch erst vierzehn Tage ...«

»Es ist genug! Wir haben Dich gesehen! Wir haben gefunden, daß es Dir gut geht ... was sollen wir noch hier? Ich hab' mit Deinen Leuten nichts zu schaffen und die nichts mit mir ... Wir kosten Dich ein Heidengeld in dieser Räuberhöhle da um die Ecke ...«

»Ich bitte Dich, das bißchen ...«

»Na ... mir ist's leid um die schönen Groschen! Also rede nicht weiter, Grete! Du weißt: wenn ich in mir einmal etwas festgesetzt habe, dann geschieht's.«

Es war eine kurze Pause. Der alte Militär sah still die schöne, dunkle, schlanke Frau vor ihm an, die aufrichtig betrübt, aber ohne weiter dem Vater zuzureden, mit der weißen, reich beringten Hand durch das Fell des Bolognesers glitt. Er bemerkte jeden Tag neue Edelsteine an ihr. Ihr Schmuckkasten schien unerschöpflich. Er fragte unvermittelt:

»Sag' mal, Grete: wie stehst Du denn nun so eigentlich mit Deinem Mann?«

Sie war erstaunt. Die blauen Augen des Vaters ruhten so freundlich und offen auf ihr, daß sie lachte und unbefangen erwiderte:

»Sehr gut, das siehst Du doch!«

»Du meinst damit: Ihr streitet Euch nicht!«

»Nein, wir vertragen uns.«

»Aber wie ist denn das mit Eurer geistigen Gemeinschaft? Er ist doch so ein ganz anderer Mensch! Seid Ihr Euch denn auch seelisch nahe?«

»Seelisch nahe? ...« wiederholte sie. Es war ein schwaches Lächeln auf ihren Zügen, dessen Oberflächlichkeit ihn verdroß. Er betonte ernst:

»Kind ... das ist doch die Grundbedingung ... Man muß wissen, wer der andere ist und was man an ihm hat!«

»Glaubst Du, daß an Charley so viel zu ergründen ist?«

Nun war ein Zucken um ihre Lippen, so harmlos, als belustigte sie die Vorstellung, in Karl Feddersens Seelentiefe auf Entdeckungsfahrten auszugehen. Sie meinte:

»Charley verdient Geld, Papa! Und das tüchtig! ... Weitere Seiten wirst Du ihm schwer abgewinnen!«

»Und das genügt Dir?«

»Ich kann ihn doch nicht anders machen, als er ist! Er läßt mich auch treiben, was ich will!«

»Eben, mein Kind! Ihr geht nebeneinander her. Und immer unter anderen Menschen. Ich habe Euch beobachtet: Ihr habt ja eine wahre Scheu, einmal einen Abend allein miteinander daheim zu sein!«

»Das ist doch auch gräßlich langweilig!«

»Wieso denn, Grete? Du bist doch zum Beispiel musikalisch!«

»Aber er schläft dabei ein!«

»Oder man liest zusammen ein gutes Buch!«

Nun mußte sie lachen, trotz des Respekts vor dem Vater. »Ja ... den Kurszettel, Papa ... Weiter langt's nicht ...«

»Das ist aber sehr traurig.«

»Ja, Gott ... Charley hat nun einmal seinen Beruf.«

»Schön. Und Du, Grete ... Was machst Du den ganzen Tag? ... Mir scheint: nichts!«

Margarete Feddersen gab ihren Zügen absichtlich einen etwas leichtsinnigen Ausdruck.

»Ich amüsiere mich! Man lebt hier nicht so schwer und bieder wie bei Euch. Ich amüsiere mich königlich, Papa ... Paris ist doch eine himmlische Stadt ... Gesteh' es nur 'mal selbst ...«

»Und das soll immer so weitergehen?«

»Ja, wenigstens solang' man noch jung und hübsch ist.«

»Na, viel Glück, mein gutes Mädel!« sagte der General. »Aber ich rate Dir doch: suche Deinen Mann! Du bist allein hier in fremdem Land. Du hast niemanden als ihn!«

»Nun – er läuft mir ja auch nicht davon!« versetzte Margarete leichthin, griff nach einem silbernen Döschen und zündete sich eine Zigarette an, mit der Ruhe einer Frau, die ihres Besitzes völlig sicher ist. Sie wußte, wie verliebt ihr Mann immer noch in sie war. Der alte Herr schüttelte den Kopf.

»Zwischen Mama und mir hat's, wie wir jung waren, so manches Donnerwetter gegeben, Grete! Das war notwendig, damit wir den Weg zueinander fanden. Wir haben manche Not und Sorge zusammen durchgemacht! Wir haben Euch sechs Bälge großgezogen. Deine Mutter hat's oft nicht leicht gehabt! Aber sie hat sich auf mich stützen können. Das war meine Pflicht ... Der Mann soll in der Ehe der Freund sein ... der Führer ... Vergiß das nicht, mein Kind!«

Der General hatte sich erhoben. Seine Tochter saß, die Hände im Schoß, und schaute verblüfft zu ihm auf. Bisher hatte sie leichthin geplaudert, in der Hoffnung, so dies Gespräch, in dem wieder die Nüchternheit des Elternhauses, die Langeweile ihrer Mädchenjahre nachklang, mit guter Miene loszuwerden. Jetzt fühlte sie sich auf einmal ängstlich und unsicher. Der Vater sah so besorgt darein! Was war denn passiert? Nichts! Gar nichts! ... Es konnte auch nichts geschehen! Man gönnte ihr nur wieder einmal ihre Freiheit nicht ... Das war wieder ein Hauch von einst ... von drüben, wo es als ein Verdienst galt, sich und andern immer die Hälfte aller Dinge im Leben abzuknapsen und darauf stolz zu sein, daß man auch mit dem Rest noch sein Begnügen fand. Die bloße Erinnerung machte sie ungeduldig. Sie unterdrückte einen nervösen Aerger.

»Jetzt kann man noch nicht mit Dir darüber reden!« fuhr ihr Vater fort. »Jetzt tanzest Du noch wie die Mücke im Sonnenschein. Aber es gibt auch andere Tage! Das geht doch nicht für ewig, sich Paris um die Ohren schlagen, bei einem halbwegs ernsthaften Menschen ...«

»Ja, Ihr denkt immer, alle Welt soll ernsthaft sein ...«

Margarete schwieg. Ihre Stirne war kraus. Der General zog seine Tochter zu sich empor und küßte sie.

»Suche Deinen Mann, Grete! Such' ihn beizeiten! Glaube mir, es kommt die Zeit für jede Frau, wo sie ihn braucht! ... Weh', wenn es dann zu spät ist ... So! Und nun ...« Er wurde ganz der Alte. Er fuhr ihr liebkosend mit der Hand über den Scheitel. »Nimm mir die Standpauke nicht übel! Ich hab' mein Herz einmal erleichtern müssen! Ich bin doch solch ein alter Pflichtenmensch!«

»Aber ich bitte Dich, Papa! Ich bin Dir ja nur dankbar!« Margarete Feddersen sagte es mechanisch und zerstreut. Sie war froh, daß die Geschichte vorüber war. Sie haßte Szenen. Daheim hatte es ewig welche gegeben. Strafpredigten von der Backfischzeit an. Man machte es den Eltern ja nie recht. Auch jetzt noch nicht. Sie lenkte weltläufig ab:

»Im Herbst, wenn Charley nach Makedonien muß, dann besuch' ich Euch, Papa! Auf einmal steh' ich eines schönen Abends in der Tür!«

Der alte Herr nickte. Vorläufig war er froh, selber von Paris wegzukommen. Am nächsten Mittag reiste er mit seiner Frau ab. Margarete stand auf dem Bahnhof unter dem Fenster seines Abteils. Sie stellte sich auf die Fußspitzen und reichte den Eltern die Hände und sah noch einmal die lieben alten Gesichter, während der Zug sich langsam in Bewegung setzte. Ihre Augen waren ein wenig feucht, als sie dem Ausgang zuschritt. Aber da draußen, vor dem düsteren Gewölbe des Ostbahnhofs, lag das Sonnengold des Frühlingstages, da grünten die Bäume, da lachte Paris ...


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