Rudolph Stratz
Lieb Vaterland
Rudolph Stratz

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3.

Karl Feddersen hatte inzwischen mit seinem Bruder im Hotel Adlon diniert. Alexandre Feddersen war blond und blauäugig, von unverkennbar teutonischem Typus wie er, aber kleiner und von schmächtiger Gestalt. Paris, sein langjähriger Aufenthaltsort, hatte auf ihn abgefärbt. Sein Gesicht war blaß und nervös, er gestikulierte im Sprechen viel mit den Händen. Mit seinem Spitzbart und dem Zwicker vor den Augen erinnerte er an einen französischen Advokaten. Die beiden redeten miteinander Deutsch. Das war Gewohnheit in der Familie geblieben, so wenig sie sich auch als Deutsche fühlten. Die laufenden Finanzangelegenheiten nahmen sie während der Mahlzeit so in Anspruch, daß sie rein mechanisch aßen. Karl Feddersen meinte:

»Das Balkangeschäft geht überhaupt nicht nach Wunsch. Wir sind da schlecht vertreten! Wir sind ewig ungenügend informiert! Dabei gilt unser Moise Kabiljo zum Beispiel da unten als Autorität. Lewy Frères in Saloniki auch. Und trotzdem ...«

»Weißt Du, was der Grund ist?«

»Da bin ich gespannt!«

Alexandre Feddersen suchte nach gallischer Art die klarste Form für das, was er sagen wollte.

»Es kommt daher, mon ami, daß das alles Kaufleute sind. In diesen halbwilden Gegenden aber – sei es Marokko oder der Balkan – entscheidet immer noch mehr oder minder die Gewalt, die Waffe – die militärische Seite einer Angelegenheit. Das können wir nun gar nicht beurteilen ... Wir haben ja selber auch in Rußland nicht gedient! Darin sind uns die Deutschen über. Wir müßten unter unsern vielen Leuten einen Sachverständigen dafür haben – einen fixen Kerl – irgendeinen früheren Offizier, den man nach Bedarf da und dorthin schickt ...«

»Ja, gewiß!« sagte Karl Feddersen. Er hatte nur halb zugehört. Seine Augen schweiften durch den Grillroom, die Treppenstufen hinab in die jetzt leere Vorhalle. Dann sagte er, mehr für sich, als zu seinem Bruder:

»Zu drollig ... die Gesellschaft, mit der ich vorhin da unten gesessen hab'!«

»Ja, Du hast's erzählt!«

»Leute, die buchstäblich von nichts eine Ahnung haben! Und dabei in einer Weise von sich überzeugt ... Ein junges Mädchen war darunter. Die schien ein wenig anders als die andern!«

»Auf das merkwürdige junge Mädchen kommst Du nun schon zum drittenmal heute abend. Bleib' doch bei der Sache!«

»Ja! Wovon sprachen wir doch? Nein, Sascha: was die Antitrust-Bewegung betrifft! Die Standard Oil ist stärker. Unsere Petroleumpreise in Baku ...«

»Das haben mir bereits beim Fisch festgestellt,« sagte der Pariser kaltblütig. »Hast Du denn die ganze Zeit geschlafen? Hör' doch gefälligst zu ...«

Er wiederholte seinen Vortrag. Karl Feddersen saß ihm zerstreut gegenüber. Der leere Tisch in der Vorhalle ließ ihn nicht los. Wenn er die Augen halb schloß, nickte da unten eine große, steife schwarze Sammetschleife von einem weißen Tellerhut, eine lichte Bluse schimmerte, und dazwischen war ein lebendiges, schönes Mädchengesicht – tiefdunkles Haar – große dunkle Augen ...

»Ich hab' in der Sache Briefe aus Liverpool!« Er hörte die Stimme des Bruders wie aus der Ferne. »Es nimmt mit dem Baumwoll-Corner in New York noch ein schlimmes Ende!«

»Recht so!« pflichtete Karl Feddersen mechanisch bei. Er vernahm über den Tisch etwas von Diskonterhöhung der Bank von England, von einem halben Prozent ... aber die Versteifung des internationalen Geldmarktes ließ ihn heute kühl, und er brachte in der ersten Pause die Rede wieder auf den Tisch da unten:

»Eine gute Rasse ist doch noch hier im Lande!« sagte er. »Die Gesellschaft, mit der das junge Mädchen vorhin zusammen war ...«

Sein Bruder warf ihm einen mehr als mißtrauischen Blick zu. Er wurde unruhig. Aber er zweifelte noch. Der gute blonde Charley war so gar nicht der Mann, sich Hals über Kopf zu verlieben. Er klopfte vorsichtig auf den Busch.

»Hör' mal, mon cher ... die alte Frage ... Du bist doch nun zweiunddreißig. Warum heiratest Du eigentlich nicht?«

»Gott ... Du weißt doch ... Ich bin noch nicht dazu gekommen ... Die ewige Arbeit seit Papas Tod. Aber ich lass' es mir immer 'mal durch den Kopf gehen. Es wäre auch ganz gut, wenn die Firma mit ihren Geldmitteln etwas liquider würde!«

Der blonde Deutsch-Pariser war beruhigt. Gott sei Dank: sein Bruder dachte noch an die Mitgift! Er sagte wie beiläufig:

»Dieser Tage war Mademoiselle Pharasli zum Tee bei meiner Frau!«

»So ... Die Pharasli ...!«

Karl Feddersen schnitt eine Grimasse. Der andere runzelte die Stirne.

» Eh bien ... was hast Du denn gegen sie?«

»Nichts!«

» Tiens! Das wäre so eine Partie für Dich! ... Es ist so ziemlich das erste levantinische Haus an der Pariser Börse. Dabei ist sie hübsch, in ihrer Art ...«

»Ein winziges, schwarzes Püppchen ist sie!«

»Herrgott ... es geht doch nicht nach dem Gardemaß!«

Karl Feddersen wurde ohne allen Grund zornig.

»Doch! Ich bin, unberufen, ein stattlicher Kerl. Das ist ja lächerlich: ich und dieser Knirps! Nein ... bringe mir eine« ... Er brach ab. Er hatte fortfahren wollen: »Die etwa so ausschaut wie das junge Mädchen da unten.« Sein Herz wurde wieder unruhig. Er schwieg.

Der Bruder erriet seinen Gedanken. Er wußte jetzt genug. Es war wirklich Gefahr im Verzug. Er frug:

»Mir scheint, Du denkst schon wieder an die junge Dame von vorhin? Wer war denn das eigentlich?«

»Das weiß ich nicht!«

»Wie heißt sie denn?«

»Grete. Ein scheußlicher Name! Nicht?«

Dabei formte sich in seinen Ohren wie ein Klavierakkord das weiche, helle, gallisch tändelnde: Margot. Der andere forschte:

»Und ihr Familienname?«

»Den weiß ich nicht!«

»Was ist denn der Vater?«

»Weiß ich nicht!«

»Wo wohnt sie denn?«

»Weiß ich nicht!«

»Was treibt sie denn?«

»Weiß ich nicht!«

Sascha Feddersen mußte lachen. Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Charley! ... Charley!« sagte er. »Ich hätte Dich für vernünftiger gehalten! ... Sieh mir ins Gesicht!«

Karl Feddersen tat es und wurde unter dem spöttischen Blick des anderen ein wenig rot. Ihm war unbehaglich zumut. Der Pariser schaute ihn scharf an.

»Du bist ja im Begriff, Dich zu verlieben, Du Unglücklicher!«

»Unsinn!«

»Und noch dazu in eine Unbekannte ...«

»Ach, laß mich in Ruhe!«

»Und gar noch in eine Dame, von der Du selbst vorhin erzähltest, sie sei schon mit einem Offizier verlobt! ... Charley ... Gib mir mal Deine Hand ...«

»Wozu?«

»... und versprich mir, daß Du morgen abend mit mir nach Paris fährst!«

Eine Pause. Dann sagte Karl Feddersen zu des anderen Erstaunen mit einem plötzlichen Entschluß und in seinem alten, nüchternen Ton: »Gut! Ich komme mit!«

» Parole d'honneur

» C'est décidé

Aber als am nächsten Abend die zehnte Stunde sich über Berlin senkte, das Gepäck fertig dastand, die Hotelrechnung quittiert daneben lag, saß Karl Feddersen immer noch untätig in seinem Zimmer. Sein Bruder hatte noch auf dem französischen Generalkonsulat zu tun. Es war verabredet, daß sie sich auf dem Bahnhof treffen sollten. Hinter ihm hustete es diskret. Sein Kammerdiener mahnte:

»Monsieur, es ist höchste Zeit!«

»Stören Sie mich jetzt nicht, Adolphe ...«

Und wieder nach zehn Minuten:

»Monsieur können zur Not noch mit dem Handgepäck in einem Auto zurechtkommen!«

»Adolphe ... Sie wissen, daß ich nicht gerne ewig unterbrochen werde!«

Die Uhr schlug ein viertel nach zehn. Der Glattrasierte verzog keine Miene. Er begann schweigend das Reisenecessaire wieder auszupacken. Karl Feddersen wandte unwirsch den Kopf.

»Was machen Sie denn da, Adolphe?«

»Monsieur, der Nord-Expreß ist vor fünf Minuten abgegangen!«

Sein Herr stand auf. Er mußte lachen, wenn er an das enttäuschte Gesicht seines Bruders dachte, der jetzt allein im Abteil des Luxuszuges saß. Am nächsten Morgen schon kamen entrüstete Depeschen von Sascha: eine von Hannover, eine aus Köln, eine von der Grenze. In allen dasselbe: Ein Kaufmann halte das Wort! Auch unter Brüdern! Karl Feddersen ließ das ganz kühl. Er warf die Telegramme in den Papierkorb. Nachmittags sprang er plötzlich auf, als ob er etwas Wichtiges vergessen hätte, sah auf die Uhr und ging hinunter in die große Halle des Hotels. Da war das Treiben des Five-o'clock wie gestern. Der blaubefrackte Diener hatte ihm einen Platz reserviert, dicht vor jenem runden Tisch. Aber an dem saßen heute nur gleichgültige, unbekannte Leute. Fremde Gesichter überall. Karl Feddersen wartete gut zwei Stunden, bis der große Raum fast leer war. Dann zog er seinen Frack an, dinierte allein, las dabei gähnend die neuesten blauen Wolffschen Handelsdepeschen und legte sich mit den Hühnern schlafen.

Am nächsten Tage ging das ebenso, am dritten auch. Jeden Nachmittag sah er andere Gestalten an dem runden Tisch. Das junge Mädchen kam nicht wieder. Die Millionenstadt hatte sie verschlungen. Dabei flogen die Briefe des Bruders aus Paris. Jeden Tag einer. Er mußte sie lesen, weil auch Geschäftliches darin stand, und dazwischen immer ein wütendes »Was soll das? ... Wann fährst Du?« ... Und endlich eine unverhüllte Drohung: »Wenn Du nicht gleich kommst, erzähle ich überall, daß Du Dich hoffnungslos in eine kleine Berlinerin verliebt hast ... Alle lachen Dich dann hier aus!« Das wirkte am meisten. Karl Feddersen war empfindlich. Er hatte eine starke Meinung von sich und seinem Geldwert. Er war gewohnt, respektiert zu werden und fühlte selber: er stand im Begriff, sich ein wenig lächerlich zu machen ... auch vor sich selber ...

Er sagte sich: Sascha hat reich geheiratet – eine Amerikanerin. Auch Nicolais, des Moskauer Bruders, Frau, eine Russin, hatte viel Geld. Er, Charley, war es der Firma schuldig, auch eine Millionen-Mitgift hineinzubringen. Er stieg noch einmal hinunter zu dem Five-o'clock. Hunderte von Menschen waren da. Das einzige Gesicht, das er suchte, nicht. Er faßte einen letzten Entschluß. Er winkte dem Kellner. Wer das neulich wohl alles an dem runden Tisch gewesen sei? Aber der Blaubefrackte entsann sich nur noch dunkel. Er kannte die Herrschaften nicht. Die kamen sonst nicht hierher.

Nun gab Karl Feddersen es auf. Eigentlich fühlte er sich erleichtert durch den Entschluß, noch diesen Abend abzureisen. Es war das einzig Vernünftige. Er war mit sich zufrieden, während sein Adolphe auf dem Boden des Hotelzimmers kniete und wieder die Koffer packte. Dann verschloß er seine Geschäftsbriefe in einer Mappe, da klopfte es. Der Kellner brachte eine Karte. Der Rittmeister Baron Elendt wünschte seinen Besuch zu machen. Er stand draußen im Vorraum des Hotelzimmers, trat säbelklirrend ein, schüttelte ihm die Hand und nahm Platz.

»Entschuldigen Sie, daß ich Sie des Abends überfalle, Herr Feddersen! Aber bei Tag hab' ich höllischen Dienst! Ich komme nämlich mit einer Bitte – nicht für mich, sondern für jemand anderen ... oder eigentlich mehr mit einer Anfrage ... ganz im Vertrauen ...«

»Und womit kann ich dienen?« frug Karl Feddersen kühl. Er, der reiche Mann, war diese Einleitungen schon gewohnt.

Sein Besucher sah sich in dem Gemach um und pfiff durch die Zähne.

»O weh!« versetzte er. »Mir scheint, ich komme zu spät ... gerade vor Toresschluß! ... Sie sind im Begriff, abzureisen?«

»Ja. Um zehn!«

»Gott, wie schade! ... Hätt' ich das nur vorher gewußt. Da hat es eigentlich kaum mehr Zweck, daß ich mich meines Auftrages entledige! ... Aber schließlich, ich habe es nun einmal übernommen, es auszurichten: Fräulein von Teuffern hätte Sie für ihr Leben gerne noch einmal gesprochen!«

Der Millionär hatte zerstreut zugehört. Solche Bittgesuche waren sein tägliches Brot. Er wiederholte gedankenlos:

»Fräulein von Teuffern?«

»Erinnern Sie sich nicht, neulich hier unten ... die Dame, die Ihnen gerade gegenüber saß? Sie sprachen noch so viel mit ihr ...«

Karl Feddersen wandte dem Ulanen den Kopf zu. Er hatte Mühe, sich zu beherrschen.

»Die schlanke, dunkle Dame ...? Der Bruder war auch dabei ...«

»Ja. Eben die!«

»Das ist ein Fräulein von Teuffern?«

»Der Alte ist Generalleutnant z. D. Sie wohnen draußen in Charlottenburg. Eine sehr gute Familie. Ich komme manchmal Sonntags hin. Eigentlich wollte Ihnen Fräulein von Teuffern schreiben. Aber dann fürchtete sie, das käme am Ende nur in die Hände Ihres Sekretärs und von da in den Papierkorb. Sie kriegen doch gewiß täglich massenhaft allerhand Wische. Da entschloß sie sich lieber, mich zu schicken ...«

»Ich stehe zur Verfügung!« sagte Karl Feddersen. Seine Stimme schwankte vor Erregung. Der Rittmeister achtete nicht darauf. Er spielte mit seinem Säbel, den er zwischen den Knien hielt.

»Sie mochte Sie nämlich etwas fragen!« sagte er. »Nur ein paar Minuten, aber möglichst ungestört. Das ginge nun zum Beispiel bei dem Five-o'clock da unten nicht. Da setzen sich gleich zehn, zwölf Bekannte von uns ungebeten mit an den Tisch. Aber im Tattersall in der Luisenstraße etwa ... es kommen da vormittags viele Damen hin, um zu reiten ... da geht man ganz ungeniert auf und nieder ... Es war natürlich von Haus aus unbescheiden, Ihnen den kleinen Weg zuzumuten! Und nun, wo es der Unstern will, daß Sie in wenigen Stunden schon abdampfen ...«

»Einen Augenblick, bitte!« unterbrach Karl Feddersen und griff heftig, um seine Verwirrung zu verbergen, nach einigen Depeschen, die ihm der Diener hingelegt hatte. Er riß sie auf. Zwei enthielten gleichgültige Geschäfte. Die dritte war aus Paris: »Du bist ein Deserteur! Wenn Du nicht kommst, hole ich Dich übermorgen persönlich. Sascha!« Er faltete das Blatt zusammen und sagte mit erkünstelter Ruhe:

»Das trifft sich merkwürdig, Herr Baron! ... In diesem Moment bittet mich ein Geschäftsfreund dringend, nicht abzureisen. Er sei im Begriff, mich hier aufzusuchen. Ich muß wohl oder übel bleiben!«

»Ah famos! ... Mir fällt förmlich ein Stein vom Herzen! ... Die Sache ist natürlich für Sie nicht wichtig, aber für die anderen sehr. Haben Sie denn auch wirklich morgen ein paar Minuten Zeit?«

»Viel nicht!« Karl Feddersen gab sich den Anschein eines von Arbeit überhäuften Mannes. »Aber es läßt sich schon machen. Würde es wohl um elf Uhr passen?«

»Wann Sie bestimmen! Also um elf im Tattersall. Und inzwischen herzlichen Dank!«

Der Ulan klirrte händeschüttelnd hinaus. Der andere schloß die Türe hinter ihm, setzte sich an den Schreibtisch und drahtete an seinen Bruder. »Bin mündig. Bleibe Du in Paris. Gruß. Charley.«

Voll Unruhe und Ungeduld, eine unbestimmte, lächerliche Hoffnung im Herzen, fuhr er am nächsten Vormittag die Linden entlang und über die Spree nach dem Tattersall. Am Eingang stand schon der Rittmeister und wartete. Er führte ihn geschäftig auf die hölzerne Estrade, die die Stirnseite der Reitbahn abschloß. Da blieb Karl Feddersen stehen. Es waren wenig Pferde in der Bahn. Nur ein paar Zuschauer auf den Tribünen. Gegenüber auf der anderen Schmalseite des Rechtecks, wo links der Eingang zu den Ställen war, tauchte ein Mützchen aus billigem weißen Möwengefieder auf. Dann ein ebensolcher kleiner weißer Schulterkragen. Er erkannte mit einem jähen freudigen Schrecken das lebhafte Mädchengesicht, die dunklen Haare, die dunklen Augen. Sie schien ihm noch schöner, als er sie in der Erinnerung gehabt. Sie trug eine einfache Jacke, einen kurzen grauen Rock und lenkte doch alle Blicke auf sich, während sie leichtfüßig und schlank den Gang herunterkam. Karl Feddersen sagte sich, während er ihr entgegenging: Wenn die ein Pariser Schneider, eine Pariser Hutkünstlerin anzögen, was gäbe das für eine Erscheinung ...

Margarete von Teuffern streckte ihm unbefangen die Hand hin. Sie lächelte. Sie unterdrückte ihre Aufregung. Sie war durchaus ein Mädchen von Welt. Das sah er gleich. Das gefiel ihm.

»Ich danke Ihnen von Herzen, Herr Feddersen! Es ist so furchtbar nett von Ihnen, daß Sie gekommen sind! Ich habe mir eigentlich hinterher schreckliche Vorwürfe gemacht, Ihnen das zuzumuten! Aber ich weiß faktisch nicht mehr, wo mir der Kopf steht ...«

»Wenn ich Ihnen irgendwie nützlich sein kann, mein gnädiges Fräulein, so ist es mir eine Freude!«

Karl Feddersen sagte das höflich und ruhig und rückte sich den spiegelglatten Zylinder, den er zur Begrüßung abgenommen, auf dem blonden Haupt zurecht. Sie schwieg. Es war eine Pause. Dann sagte sie stockend: »Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll, Herr Feddersen! Bisher war ich ganz guten Muts. Aber nun, wo's drauf ankommt, fällt mir direkt das Herz in die Schuhe! ... Ich bin Ihnen doch so ganz fremd! ...«

Karl Feddersen kam unwillkürlich auf die rechte Antwort.

»Sie müssen sich denken, daß sich sehr oft Menschen an mich wenden! Das ist jemandem wie mir nichts Neues!«

Das gab ihr wieder Mut. Sie entschloß sich, ihm ins Gesicht zu sehen.

»Es handelt sich um eine Bitte, Herr Feddersen!« sagte sie freimütig. »Ich hoffte ja auch, daß Sie sich das schon von selber denken würden! ... Sonst würde ich nie ... Ich habe auch meinen Eltern nichts davon erzählt! Ueberhaupt keiner Menschenseele, außer Elendt! Ich tue es ganz auf eigene Faust! Schließlich langt man nach einem Strohhalm ... wenn man so gar keinen Rat mehr weiß ... nicht wahr?«

»Es wird schon nicht so schlimm sein! ... Erzählen Sie einmal recht ruhig und der Reihe nach, mein gnädiges Fräulein!«

Sie beugte den schlanken Oberkörper über die Holzwandung der Reitbahn, stützte sich den Ellbogen darauf und musterte die Pferde. Er sah: sie war bemüht, ihrem Beisammensein vor den anderen den Charakter einer zufälligen Begegnung, eines gleichgültigen Geplauders zwischen zwei Bekannten zu geben.

»Es hat mir so imponiert, was Sie mir neulich über den Umfang Ihrer Geschäfte erzählten, Herr Feddersen! Ich verstehe nichts davon. Aber die müssen ja riesenhaft sein!«

»Es gibt noch viel größere, Fräulein von Teuffern!«

»Immerhin! ... Jedenfalls haben Sie Verbindungen mit allen reichen Leuten in Europa ...«

Er mußte lachen.

»Wenigstens mit einer Anzahl!«

»Und darum dreht sich eben mein Anliegen!« Sie sprach stockend, aber entschlossen. »Es handelt sich um einen jungen Offizier. Sie kennen ihn. Er saß neulich auch mit am Tisch. Leider Gottes hat er sich unfreundlich und herausfordernd gegen Sie benommen!«

»Ach, der mit dem schwarzen Kragen?«

»Ja. Der Feldartillerist! Ein Leutnant Lünemann. Er ist so ein schrecklicher Dickkopf. Ich hab's ihm auch nachher gesagt. Ich hoffe, er bereut's! Er dachte, er müsse mit seinem Preußentum auftrumpfen! Das ist bei uns so Mode! ... In meinem Elternhaus auch. Wer da nicht mitmacht ... Aber ich bin nicht so. Was hat man denn davon?«

Sie furchte trotzig die Stirne. Dann fuhr sie fort:

»Dumm ist Lünemann nicht. Er sucht sich nur einen anderen Wirkungskreis. Die Friedenskarriere ist bei uns ja trostlos. Er möchte bei der Industrie unterkommen. Er hat ganz nette Vorkenntnisse. Er hat sich schon an Gott und die Welt gewandt. Aber es wird nichts. Ich glaube, es liegt rein nur an ihm. Er kommt immer schon so herein, als ob er die Leute fressen wollte, von denen er etwas haben möchte. Da natürlich ... Ich hab' mir in der Verzweiflung gedacht: jetzt nehme ich's mal in die Hand ...«

»Wir möchten uns nämlich dann heiraten!« sagte sie nach einer kurzen Pause heftig, den Blick am Boden. Es klang wie feindselig gegen Karl Feddersen, daß er ihr dies Geständnis erpreßte. Ein leises Rot überzog ihre Wangen. Er sah von der Seite ihr zartes Profil. Er mußte sich niederbeugen, um besser zu hören. Sie murmelte beinahe nur noch, immer die Augen trotzig von ihm abgewandt.

»Sie haben doch gewiß auch in Deutschland Bekannte, die eine Stellung zu vergeben haben! Können Sie Lünemann nicht irgendeine verschaffen? Nur für den Anfang! Wir wollen ja nichts Großes! Wir sind ja mit allem zufrieden ... Nur, daß wir leben können! Sie tun ein gutes Werk! ... Ich sorge dafür, daß Lünemann Ihrer Empfehlung keine Schande macht! Das schwöre ich Ihnen! Ich bin der einzige Mensch auf der Welt, vor dem er Angst hat ...«

Karl Feddersen schwieg.

Sie harrte bekümmert und unsicher. Sie verstand sein Stummbleiben nicht. Dann seufzte sie auf.

»Ich hab's ja gewußt!«

»Was denn, gnädiges Fräulein?«

»Moritz verdirbt immer alles! Er hat Sie neulich so vor den Kopf gestoßen! ... Wie kann man da verlangen, daß Sie ...«

»Das hat auf mich gar keinen Eindruck gemacht, Fräulein von Teuffern!«

»Also können Sie ihm aus anderen Gründen nicht helfen?«

»Davon hab ich doch noch kein Wort gesagt! Sie müssen mir doch ein bißchen Zeit zur Ueberlegung lassen!«

Der junge Millionär sprach es fast ärgerlich.

Margarete von Teuffern wagte nicht, ihn noch einmal durch eine Frage zu stören. Sie hatte sich von der Brüstung aufgerichtet und stand frei da und sah ihn mit vor Erwartung angstvoll zusammengepreßten Lippen, aber ohne Scheu, aus ihren dunkeln schönen Augen an. Eine Sekunde regte sich in ihm noch die Versuchung des reichen, vielgeplagten Mannes: was tat man oft mit den Leuten, die Mögliches und Unmögliches von einem forderten? Man hielt sie hin ... Man vertröstete sie auf die Zukunft. Nein, diesmal wollte er wirklich helfen. Dieses Mädchen, das einen Eindruck auf ihn gemacht hatte wie keine je zuvor, sollte ihm dankbar sein. Dann konnte auch er später ohne Aschermittwochsstimmung an diese paar wunderlichen Berliner Tage zurückdenken.

»Wir wollen sehen, Fräulein von Teuffern!« sagte er. »Es trifft sich günstig: ich habe gerade in diesen Tagen so etwas gehört ... Ich kann von mir allein aus nichts entscheiden. Aber ich werde anfragen. Ich telegraphiere jetzt gleich nach zwei, drei Seiten. Bis heute abend habe ich Antwort und Sie morgen früh von mir Bescheid!«

Sie traute ihren Ohren nicht. Er mußte es wiederholen, bis sie es glaubte.

»Schon morgen früh?«

»Warum nicht? Wenn die fragliche Stellung nicht schon besetzt ist, was ich nicht glaube ...«

Fräulein von Teuffern trat sprachlos auf den Millionär zu. Ein Schimmer von Glück lief plötzlich wie ein Sonnenstrahl über ihre schönen Züge. Sie streckte unwillkürlich die Hände aus. Sie verlor ganz die anerzogene Zurückhaltung. Sie hatte nicht mehr das Gefühl, einem jungen Mann gegenüberzustehen, sondern einem Wohltäter.

»Ich bin noch wie ... wie vor den Kopf geschlagen!« versetzte sie mit einem schwachen, halb ratlosen Lächeln. »Am Ende bild' ich mir das alles bloß ein! ... Ich träume es nur!«

»Es ist doch nichts so Ungeheuerliches!«

»Also ist's wirklich wahr?«

»Ja, gewiß!«

Ihre Augen wurden feucht. »Ich danke Ihnen von Herzen!« sagte sie leise und einfach. Sie hielt ihm immer noch die Hände hin. Er nahm sie. Und verspürte dabei, zu seinem eigenen Erstaunen, keine Genugtuung über seinen Edelmut, sondern nur die Angst: Herrgott, sie wird doch nicht zu weinen anfangen! Nahe daran war sie ... Und ihm war der Kopf heiß. Es drängte ihn plötzlich von Margarete von Teuffern weg. Sonst war er, der nüchterne Geschäftsmann, noch imstande, zu guter Letzt irgend eine Dummheit zu sagen oder zu tun und alles zu verderben. Er nahm rasch, unvermittelt, Abschied.

»Also wäre vorläufig alles erledigt!« versetzte er. »Verzeihen Sie, wenn ich jetzt einer anderen dringenden Verabredung folge ... Auf Wiedersehen, mein gnädiges Fräulein ...«

Während er draußen durch das unwirtliche Winterwetter mit hochgeklapptem Pelzkragen, die Hände in den Taschen, langsam zu Fuß seinem Hotel zuschritt, dachte er sich mit einem leisen Seufzer: Ja ... die ist nun versorgt! ... und hinterher: Wer wird wohl einmal Deine Frau sein?

Er konnte sich nicht helfen: Dies Bild der Zukunft trug immer noch, immer wieder Margarete von Teufferns Züge. Er blieb ärgerlich stehen und stampfte mit dem Fuß auf. Er wollte jetzt diese Dummheit vergessen. Er trat in sein Zimmer und öffnete die eingelaufenen Depeschen, darunter auch eine sehr gereizte seines Bruders aus Paris.

»Der Ton Deines Gestrigen ist durchaus unkaufmännisch. Ich mache Dich darauf aufmerksam, daß Du Teilhaber der Firma Feddersen bist, aus ihr Deine Revenuen ziehst und ihr mithin auch Deine Arbeitskraft schuldest. Wir Brüder haben ausgemacht, daß einer von uns immer nur mit Genehmigung der beiden anderen sich außergewöhnlichen Urlaub erteilen kann. Du hast also kein Recht, Dich wochenlang plötzlich in Berlin aufzuhalten, wenn dies nicht im Interesse des Hauses geschieht!«

Karl Feddersen zündete sich eine Zigarre an, setzte sich und schrieb das Antworttelegramm.

»Bin hier im Interesse des Hauses. Habe hier auf Deinen ausdrücklichen, neulich geäußerten Wunsch militärisch geschulte Kraft für unser Orientgeschäft gewonnen. Erbitte Vollmacht, abzuschließen. Reise dann postwendend Paris.«

Am späten Nachmittag war die Erwiderung da: »Engagiere, wen Du willst! Aber komm!« Und drei Stunden darauf eine Depesche aus Jekaterinoslaw, wohin Karl Feddersen dem dritten der Brüder, Nicolai, gedrahtet hatte. Ein bündiges »Karaschô!« Es ist gut!

Als dies alles geordnet war, schrieb Karl Feddersen an Margarete. Er hielt seine Worte so knapp wie möglich:

»Sehr geehrtes gnädiges Fräulein!

Die inzwischen telegraphisch festgesetzten Bedingungen wären: möglichst baldiger Eintritt, zunächst probeweise auf ein Jahr, dann dauernde Anstellung mit Verpflichtung zu Auslandsreisen aller Art. Das Salair ...«

Er zögerte. Wieviel? Er hatte ja freie Hand. Er wollte nun wirklich großmütig sein. Dagegen warnte der Kaufmann in ihm. Er fuhr fort:

»Das Salair vorläufig zehntausend Francs jährlich, und Ersatz aller Spesen. Könnte der Herr Leutnant – sein Name ist mir leider entfallen – morgen mittag um ein Uhr bei mir vorsprechen? Er würde dann alles Nähere von mir erfahren. Ich reise morgen abend.

Ihr ergebener Diener Karl Feddersen.«

Unten beim Portier schlug er in dem Adreßbuch den Namen des Generalleutnants z. D. von Teuffern auf und fügte Margaretes Straße und Hausnummer auf dem Umschlag hinzu. Ein Page nahm ihm dienstfertig den Brief ab und warf ihn in den Kasten. Karl Feddersen atmete auf. So. Nun war's geschehen. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirne. Als erwache er aus einem Traum. Aber aus einem Traum, in dem er sich tadellos benommen hatte. Er war hinterher über sich selber erstaunt. Er hätte sich das gar nicht zugetraut.


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