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Kaum hatte Karl Feddersen den Saal verlassen, so reckte sich sein Feind, der Feldartillerist, in den eckigen Schultern und meinte trocken:
»Das sind die Leute, die ich liebe! ... Kinder: man soll ja nicht über 'nen Abwesenden sprechen, wenn sein Platz hier noch warm ist. Aber was zu toll ist, ist zu toll. Wie haben Sie sich nur dies Gewächs aufgegabelt, Herr Rittmeister?«
Baron Elendt war ärgerlich.
»Sie könnten auch höflicher sein, wenn ich einen Gast hier am Tisch einführe, mein lieber Lünemann! Ich weiß doch auch, was ich tu'! Ich reiße mir doch auch nicht um jeden beliebigen Zeitgenossen die Beine aus dem Leib. Der Mann ist eine Nummer! Auf dem Schiff damals hätten Sie den Respekt der Russen und Ausländer vor ihm sehen sollen. Er galt allgemein als ein Reichmeier erster Güte!«
»Das hat er ja auch hier betont!« sagte Margaretes Bruder, der Gardeleutnant. Seine Stimme schwankte zwischen Ironie und unfreiwilliger Hochachtung.
»Ach ... blasse Renommage ... weiter nichts!« Der Oberleutnant Lünemann stand auf, um zu zahlen. Auch die anderen erhoben sich. In dem allgemeinen Aufbruch trat Margarete an ihren Verlobten heran. Sie blickte ihn an und kämpfte mit sich. Sie war in ihn verliebt. Er war nicht schön. Aber sie fand ihn schön. Sie sah tausend Züge an seinem Aeußeren, die anderen entgingen. Sie war verliebt in den Klang seiner Stimme – in die Wölbung des Kinns – in den Schalk in seinem Blick. Ihre Züge hatten sich verändert. Sie waren weich und kummervoll geworden, in den Augen lag ein feuchter, schmerzlicher Schein. Sie hielt die Hände ineinander gepreßt, um die Tränen zu unterdrücken.
»Wirklich, Moritz ... Es ist schon furchtbar mit Dir!« sagte sie mit zuckenden Lippen.
»Was hab' ich denn wieder verbrochen?«
»Du hast Dich wieder so unvernünftig benommen wie nur möglich!«
Er warf einen Blick nach den übrigen. Die kümmerten sich nicht um sie. Die kannten diese Auftritte zwischen den beiden schon, zwei Leuten, die sich heiraten wollten und aus Mangel an Mitteln nicht konnten und in dem ewigen Suchen nach einem Ausweg beide schon ganz nervös und herunter waren. Das junge Mädchen musterte den Artilleristen traurig und schüttelte den Kopf.
»Hat man 'mal irgendwo die Spur von einer Möglichkeit, dann mußt Du es doch auch gleich wieder verpatzen ... mit Deiner ewigen Dickfelligkeit. Da schneit 'mal durch Zufall ein Millionär in unseren Kreis, ein Mensch, der vielleicht Stellungen oder sonst was zu vergeben hat, und ich gebe mir die gräßlichste Mühe, nett und freundlich zu ihm zu sein und ihn uns warm zu halten – Du weißt: ich bin sonst gar nicht so überströmend liebenswürdig ...«
»Das hat mich ja gerade geärgert!«
»... und da fährst Du dazwischen und verdirbst alles! Auf die Weise wird es natürlich nie etwas mit uns werden, Moritz! Da können wir noch zehn Jahre nach einem Posten im Zivilberuf für Dich suchen!«
Sie verstummte betrübt und schritt neben ihm zum Ausgang, mit ihrem hohen, schlanken Wuchs ihm bis über die Schulter reichend. Moritz Lünemann machte zornig Halt.
»Ich tu' doch, was ich kann, Grete! Ich schreib' mir ja doch schon die Finger krumm und lauf' mir die Absätze schief, um mit Anstand irgendwo unterzukommen! Und was hat's geholfen? Nichts! Die Leute halten einen hin. Man ist ja ein Esel, wenn man's ernst nimmt!«
Draußen war Winterabend und lichterhell. Sie gingen zu Fuß nach dem Westen zu, wo sie alle wohnten. Moritz Lünemann und Margarete allein hinter den anderen. Das junge Mädchen hatte seinen Arm genommen. Sie schmiegte sich im Dahinschreiten leise an ihn. In der Wehmut, in der sie sich befand, mochte sie gar nicht reden. Moritz Lünemann aber sagte plötzlich wie aus ihren Gedanken heraus:
»So ein Kerl, wie dieser vaterlandslose Geselle von vorhin, der mit Leichtigkeit zehn oder hundert Familien ernähren könnte, der hat natürlich keine Frau ...«
»Nein, er trug keinen Trauring!«
»Und unsereins wieder, der ums Totschlagen gern heiraten möchte, der hat wieder kein Geld. Es ist zu dämlich im Leben eingerichtet. Das Schicksal haut immer daneben!«
»Ja. Wenn mir 'ne Million hätten ...« pflichtete das junge Mädchen bei. Die Vorstellung fiel in ihrer Seele auf fruchtbaren Boden. Sie fing an, sich etwas auszumalen, was man wohl im Besitz einer Million tun würde. Sie rechnete es sich und dem Verlobten vor: Erst gab man natürlich den Eltern gehörig ab. Die Geschwister kriegten auch was, wenn sie nett waren. Den Rest – vielleicht drei Viertel oder zwei Drittel – behielt man für sich. Es gab so herrliche Sachen auf der Welt: Die Trauungsfeier im Dom, das Festmahl bei Adlon, die Hochzeitsreise nach Paris – Schmuck von Lalique – Kleider von Paquin – solche Dinge und Adressen vergaß sie nicht, wenn sie sie einmal gehört und gelesen hatte – die Riviera – ein Auto ... Mitten in diese erträumte Seligkeit hinein sagte der Leutnant Lünemann trocken, fast strafend:
»Wie stellst Du Dir das eigentlich vor? Denkst Du denn, dann täte man überhaupt nichts mehr, als so als Hotelwanze da und dort zu vegetieren? Nee – ich bin für stramme Arbeit! Dann gerade! Ich bin kein solcher Faulpelz wie Du ...«
Margarete seufzte. Die Worte ihres Bräutigams ernüchterten sie schmerzlich. Eine Wolke der Enttäuschung verdüsterte ihr Gesicht. Er tat ihr immer weh mit seinem schonungslosen Verstand. Er war ein harter Mensch. Auf einmal empfand sie wieder, wie manchmal, die tiefe Kluft zwischen seinem und ihrem Wesen, die nur die Liebe von beiden Seiten überbrückte. Sie ärgerte sich und wurde heftig.
»Schön! Dann reite Du vor Deinen Kanonen herum, bis Du alt und grau bist! Und ich verhutzle daheim bei den Eltern sachte mit! Das ist eine reizende Perspektive! ... Tu' mir den einzigen Gefallen, Moritz, und schau nicht so phlegmatisch drein, als ob Du Dir im Laden ein paar Zigarren kauftest, statt daß wir über unser Lebensglück sprechen!«
»Du solltest unser Lebensglück von einer ernsteren Seite ansehen, Grete. Was sollen denn all die Kinkerlitzchen? Du bist viel zu äußerlich ... viel zu sehr aufs Vergnügen erpicht!«
»Ja. Ich bin nun einmal so! Ich bin für so ein Leben wie geschaffen!«
Sie ließ ihn nicht zu Worte kommen. Sie fuhr rasch und trotzig fort:
»Ich glaub' nicht an das Spartanertum, das unsereinem in unseren Kreisen von Kind an eingebläut wird. Das mag früher so gewesen sein, noch zu Mamas Zeit – aber jetzt ... Warum sollen es denn andere besser haben als ich und Du – das möchte ich bloß wissen! Ihr seid alle viel zu bescheiden! Das macht mich immer so wütend, wenn Ihr Euch immer gleich so duckt! Du besonders!«
Plötzlich kamen ihr die Tränen. Sie blieb stehen und weinte hellauf. Zum Glück war es mitten auf dem halbdunklen Viktoria-Luise-Platz, wo sich niemand in der Nähe befand als ihre vorausgegangenen Gefährten, die umdrehten und zu dem unter einer Laterne stehenden Paar zurückkehrten. Der Gardeleutnant musterte seine schöne Schwester kaltblütig durch das Monokel.
»Na, Du Heulliese! Was ist denn nun wieder los?«
»Gott ... sie hat sich!« sagte Lünemann ärgerlich. »Grete, sei doch vernünftig! Du blamierst einen ja auf offener Straße!«
Aber sie schluchzte krampfhaft weiter.
»Ich möcht' bloß wissen, wozu man eigentlich auf der Welt ist! Es wär' viel besser, man wäre gar nicht geboren! Dann hätte man doch nicht die ewige Plackerei! Das geht nun so zweiundeinhalb Jahr mit uns! Und Du fühlst Dich, scheint's, ganz wohl dabei! ... Du zuckst ja immer bloß die Achseln! Du hast mich ja gar nicht lieb!«
Sie schaute blaß und bang, am ganzen Körper zitternd, zu ihrem Verlobten hinauf, der den Arm um sie legte und nur sagte:
»Ich hab' Dich lieb, Grete!«
Das beruhigte sie ein wenig. Sie fing wieder an leis zu weinen und murmelte, während die anderen weitergingen:
»Sei nicht bös! Ich bin so auseinander! ... Wie zerprügelt ... Ich bin so mutlos, Moritz!«
»Ach was!«
Er sah sich rasch um, ob jemand sie beobachtete, und gab ihr einen Kuß, sie holte tief Atem, zupfte sich den Schleier zurecht und wurde gefaßter. Beide setzten ihren Weg fort. Der Artillerieleutnant fühlte, daß er seiner Verlobten Trost schuldig war. Eigentlich war sie noch gar nicht recht seine Verlobte, es war noch nicht offiziell ausgesprochen oder gar angezeigt worden, bei der vorläufigen Aussichtslosigkeit ihrer Lage. Margaretens Eltern drückten nur einstweilen die Augen zu. Alle Welt war nachsichtig, in Erwartung irgendeines Glücksfalles. Plötzlich ein Jauchzen in ihrer Stimme. »Moritz! Jetzt hab' ich 'ne Idee!«
»Na?«
»Nein. Das sag' ich Dir nicht! ... Du machst doch bloß wieder flau! Und dabei ist es das reine Ei des Columbus! Laß mich nur allein machen! Am Ende wird nun alles gut!«
Sie waren jetzt dicht bei den anderen, die vor Margaretens Elternhaus standen. Das junge Mädchen ging elastisch auf die Gruppe zu. Sie trug auf einmal den Kopf im Nacken und musterte die anderen belustigt von oben herab.
»Ach ... Ihr ...,« sagte sie. Weiter nichts.
»Was denn?«
»Ihr seid dumm! Allesamt! ... Aber meinetwegen! Macht nur weiter, wie Ihr's versteht! Wir fliegen Euch doch eines schönen Tages davon!«
»Na ... glückliche Reise!« meinte der Bruder und öffnete die Tür.
»Ihr seid furchtbar langweilige Leute! ... Du auch, Moritz! Aber ich hab' Dich doch gräßlich lieb!«
Sie sprach es weicher und innig. Er sah den geheimnisvollen glücklichen Schein auf ihrem Gesicht und zog sie ein paar Schritte abseits in das Halbdunkel. »Erzähl' doch, was Du vorhast!« bat er. Aber sie schüttelte hartnäckig den Kopf.
»Nein! Frag' mich nicht! Das darf man nicht berufen!«