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Der Verfasser (von »Rouge et Noir«) ist eine der merkwürdigsten Persönlichkeiten, die einem Beobachter in jener schon fernliegenden Zeit aufstoßen konnten; um so unerklärlicher, daß sein Hauptprodukt »Rouge et Noir« nicht zu jener wohlfeilen Schriftstellerglorie gelangen konnte, die auf einer untergeordneten Stufe manchem seiner Landsleute und Zeitgenossen zuteil wurde. Beyle konnte mit vollem Rechte ausrufen, wenn er um sich her die Mitbewerber um die Gunst des Publikums gewahrte:
Ich sah des Ruhmes heil'ge Kränze
Auf der gemeinen Stirn entweiht.
Woher dies sonderbare Hintenansetzen eines überragenden Talents?
Henri Beyle war als Skribent im Grunde kein angenehmer Gesellschafter; er wußte dem allgemeinen Geschmack nicht zu schmeicheln, beleidigte auch beiläufig reelle Größen. Er warf zwar dem Publikum höchst originelle Wahrheiten hin, brachte paradoxale Sätze vollauf zu Markte, allein es lag in seiner Art, den Stoff zu behandeln, eine Herausforderung für seine Leser. Besonders die Götzen der Modewelt und der Salons suchte er von ihrem Throne herunterzustoßen. Eiskalt und giftig wie eine Schlange wagte er sich auf die Stufen und in das Heiligtum des anerkannten offiziellen Tempels der dramatischen Kunst; jeder Phraseologie und Rhetorik abhold, stellte er die Sachen unverblümt hin; alles ironisierend, ein unverkennbarer Enkel des Mephistopheles, besprach er die Liebe, Italien, das Leben in der französischen Provinz, Rossini, die Altertümer, die Geschichte und die moderne Gesellschaft Roms, oft vielfach und ohne Pedanterie belehrend, bisweilen planlos, aber doch in jedem besprochenen Gegenstand auf die Hauptpunkte hindeutend. Bemerkt wurde er wohl von Kunstkennern, von Bibliophilen, aber nicht goutiert, wie das die Franzosen mit ihrem eignen Ausdruck benennen. Als er um die Zeit der Julirevolution mit seinem größeren Roman »Rouge et Noir« hervortrat, hatte er bereits ein durch eigne Schuld verdorbenes Terrain vor sich. Günstige Besprechungen waren nicht hinreichend, ihn neben Balzac, Eugène Sue, Alexandre Dumas d.Ä. ins Licht zu setzen; vollends, wenn in aristokratischen Kreisen einige tonangebende Autoritäten ihn zu durchblättern geruhten, da fiel das Verdikt so ungünstig aus, mußte so ausfallen, daß keine Dame den verpönten Roman, auch nicht im geheimen, las; denn es gab ja das Buch keine Gelegenheit zur Konversation. Wer hatte sich darüber zu äußern gewagt, wer sich bewogen gefühlt, ein »geschmackloses, unsittliches Sittengemälde« zu lesen! »Rouge et Noir« lieferte den unwiderleglichsten Beweis, daß eine Phantasieschöpfung, so merkwürdig sie sein mag, temporär zu Tode geschwiegen werden kann und oft auf ewige Zeiten in der anschwellenden Flut der Makulatur untergeht.
Henri Beyle, aus dem Dauphiné gebürtig, unter dem Ersten Kaiserreich in der Beamtenwelt bekannt, hatte sich unter der Restauration vielfach in Italien herumgetrieben und wurde nach der Julirevolution als Konsul in Civitavecchia angestellt. In seiner offiziellen Residenz weilte er aber nicht, hatte in Rom seine feste Wohnung aufgeschlagen und überließ die eigentlichen Geschäfte dem Kanzlisten im päpstlichen Hafen. Seine literarische Notabilität war doch insoweit Tatsache, daß man diesen Verstoß gegen jede diplomatische Regel zugab. Der französische Gesandte in RomLouis Clair Graf de Sainte-Aulaire (1778–1854). benutzte übrigens die Gegenwart des geistreichen, halb italienisierten Mannes. Als Ancona im Frühjahr 1832 durch einen Gewaltstreich von französischen Truppen – zu einer Demonstration gegen österreichischen Einfluß – besetzt wurde, betraute Graf Sainte-Aulaire den Konsul von Civitavecchia mit einer konfidentiellen Sendung. Er sollte die aufgeregten italienischen Patrioten besänftigen, belehren, denn das Aufhissen der Trikolore in der Festung und im Hafen von Ancona schien zu einem förmlichen Aufstand gegen die pontifikale Regierung erwünschte Gelegenheit zu bieten. »Ich werde meine Pflicht erfüllen«, beteuerte der innerlich radikal gesinnte Konsularagent, als ihm der Gesandte seine Verhaltungsbefehle gab, und als Ehrenmann hielt Beyle seine Parole.
In den Salons war er der genaue Abdruck seines Pseudonyms; d.h. wenn er sprach, ironisierte er Gegenwärtige und Abwesende, allgemeine Zustande und tägliche Vorkommnisse, doch immer in den Grenzen der Konvenienz und ohne sich eine Blöße zu geben. Die boshaftesten Bemerkungen behielt er für die a parte unter vier oder sechs Augen, in einer Ecke oder Fensterbrüstung des Salons. Nicht ungern ritzte er die Haut seines Partners mit einem seiner Stilette und minderte das Prickeln der Wunde nicht. Dabei hatte er doch etwas von dem fanfaron de vice, liebte schlimmer zu scheinen als er in der Tat war...
Unterhaltend war er in hohem Grade, besonders wenn er von Musik und Antiquitäten sprach. Eines Abends, da wir uns allein in der Gesandtschaftsloge des Teatro Valle zusammenfanden, wurde die »Semiramide«Oper von Rossini (1823). gegeben. Die Unger,Karoline Unger-Sabatier (1803–77). damals in voller Jugendblüte, sang die Hauptrolle mit ihrer glockenreinen, umfangreichen Stimme. »Zum wievielten Male hören Sie diese Oper?« fragte ich unwillkürlich meinen Nachbar. »In der Tat, ich wüßte es nicht zu sagen; Sie würden mich für einen Aufschneider halten.« – »Und Sie finden immer neuen Genuß?« – »Ja, fürwahr, Nuancen, die ich beim vierzigstenmal nicht bemerkte, treten jetzt hervor.« Das durfte ich wohl auf Treu' und Glauben hinnehmen. Geht es uns doch mit großen Dichterwerken so!...
Henri Beyle war im Gesandtschaftshotel nicht gerade beliebt. Seine allzusehr bloßgelegte dämonische Natur mißfiel; der verkappte Republikaner, welcher sich der transitorischen Julimonarchie nur ungern anbequemte, legte manchmal auf eine köstliche Weise die vorgehaltene Maske ab. »Wie lange noch glauben Sie«, so äußerte er sich einmal vor mehreren Herren der Botschaft, »den Strom noch aufhalten zu können? Sie lassen unvorsichtig den höheren Unterricht sich entfalten; die turbulente jüngere Generation wird Ihnen über kurz oder lang zurufen: Gebt mir Brot, Geld, Einfluß.«
Gegen mich war er zuvorkommend. Da er eine zweite Ausgabe seiner »Promenades dans Rom« vorbereitete und er mich mit den deutschen kapitolinischen Gelehrten in Verbindung wußte, kam mir der wenig schmeichelhafte Gedanke: er suche mich etwa auf, weil es ihm nicht unangenehm wäre, von der deutschen Schule einige Brocken mühelos zu erhaschen. Einer der französischen Sekretäre, der sich mit denselben Gegenständen beschäftigte – denn es trieb in Rom jeder Gebildete etwas Archäologie – gab mir meine Vermutung zu. Doch blieb mir Eigenliebe genug für den Wahn: auch meine Individualität, die nicht ganz in den gewöhnlichen Guß paßte, habe für ihn einige Anziehungskraft.
Dem deutschen Wesen in genere war Beyle abhold. Es erstreckte sich bei ihm diese Antipathie auf einen Teil der deutschen Musik. Wie er sich gegen Maria v. Weber verhielt, entsinne ich mich nicht mehr; Schubert war ihm nicht kongenial. Eines Abends wurden im Privatsalon der Gesandtschaft Schuberts herrliche Lieder vorgetragen. Beyle schnitt dabei unliebsame Gesichter.
Auf einem auswärtigen Ausflug traf ich ebenfalls einmal mit ihm zusammen. An einem glänzenden Maitage 1832 scharte sich eine Karawane von Spaziergängern aus der höheren Gesellschaft um den Gesandten, der seine Familie auf den Monte Albano geleitete. Horace BernetBerühmter französischer Maler (1789–1863), von 1828–36 Leiter der französischen Kunstakademie in Rom (Villa Medici), mit dem Beyle freundschaftlich verkehrte. mit Frau und anmutsvoller Tochter nahmen teil daran, selbstverständlich mehrere jüngere Attachés, welche den Damen ihre Dienstfertigkeit bei dem Bergritt erwiesen; ein neapolitanischer Duca, ein freiwilliger Bewohner des Benediktinerklosters von Subiaco, schlenderte zu Fuß mit dem Nachtrab, worunter Henri Beyle, meine Wenigkeit und Eichhoff, der Privatbibliothekar der Königin Amalie.
Diesmal war der Verfasser keineswegs ironisch, nein, sehr ernst gestimmt; er ließ dem berühmten Künstler Horace Bernet das unschuldige Vergnügen, seine Begleiter, sobald sie ihm einige Schritte voreilten, auf eine drollige Art in ihren Bewegungen und Gesten zu karikieren. Er selber, von den Pariser Nachrichten seltsam ergriffen – die Cholera herrschte dort – gestand ehrlich seine Furcht vor der schrecklichen Krankheit. War doch »Herr von Stendhal« jeder Affektion fremd und gehörte zu der Klasse von Menschen, die weder Gott noch Teufel, weder Mann noch Frau respektieren, aber vor der asiatischen Seuche den Hut ziehen. »Die kecksten und besten Ärzte«, sagte er zu mir, »sind der Ansicht, daß kein Mittel probat, und es ist fünf gegen eins zu wetten, der reell Ergriffene geht ad patres. Wäre nur die Seuche nicht mit mörderischen Schmerzen verbunden; ich habe mir immer einen schnellen Tod gewünscht.«
Sein Wunsch, wenn er aufrichtig war, sollte ihm zehn Jahre später, in derselben schönen Frühlingszeit, in Erfüllung gehen. Er wurde nach einem Besuch in den Bureaus des Ministeriums des Auswärtigen zu Paris vom Schlag gerührt und fiel tot in der Rue des Capucins zu Boden.
Mit einer Grabrede: Friede seiner Asche! wäre ihm wenig gedient. Durch seinen radikalen Unglauben und seine Gleichgültigkeit gegen ein eventuelles Jenseits war er einigermaßen gegen derartige Wünsche gefeit; woran ihm hundertmal mehr lag, an seinem Nachruhm, der hat sich, gegen seine Hoffnung, an seine Pseudonymität und seinen bürgerlichen Namen geheftet.
Mir wollte es manchmal scheinen, als läge der Grundzug seines Charakters in einer krankhaften Eitelkeit. Sein breites Gesicht, seine unfeinen Züge, seine etwas schwerfällige Gestalt machten aus dem VierzigjährigenBeyle war damals 49 Jahre alt. durchaus keinen schönen Mann. Wenn er in der Jugend bei den Frauen sein Glück suchte, so hatte er es gewiß nicht durch einschmeichelndes Wesen erobert...
Stendhal war eine eigens ausgestattete Natur, die weitab von dem breitgetretenen Pfade der Schriftstellerwelt sich durch dick und dünn herumtrieb, den gewöhnlichen Ansichten keck entgegentrat, oft mit bizarren, oft mit sehr haltbaren Gründen. Ihn ausschließlich als materialistischen Sakripan zu brandmarken, ist mithin ungerecht; ihn als systematischen Verächter des weiblichen Geschlechts ohne weiteres an den Pranger zu stellen, heißt denn doch weitgehen auf der Bahn des strengen Platonismus. Die weiblichen Gestalten, besonders in seinem Roman »Rouge et Noir«, sind oft treue Photographien, und wie Faust von Mephistopheles sagt: »Es muß auch solche Käuze geben«, darf der unbefangene Beobachter der menschlichen Komödie von den Frauen oder Mädchen, die Henri Beyle zum Gegenstand seiner Zeichnungen gewählt, behaupten: sie sind nicht aus den Wolken gefallen. Ein unheimliches Frösteln überfällt, das ist wahr, den gemütlichen Leser der Beyleschen Romane, zur Kenntnis der Nachtseite des menschlichen Herzens aber bringen sie tüchtige Belege.
Balzac ließ seinem Kollegen und Rivalen volle Gerechtigkeit widerfahren; seine tiefeingehende Analyse der »Chartreuse de Parme«In der »Revue Parisienne« vom 25. September 1840. Beyles berühmt gewordene Antwort an Balzac vom 30. Oktober 1840 in Band 8 dieser Ausgabe. ist ein Diplom für Beyles Meisterschaft in dem Fach des modernen französischen Romans. Der Verfasser der »Kartause« gesteht, vor Freude gezittert zu haben bei der ersten Lektüre des Balzacschen Aufsatzes. Es bekundet diese bizarr-giganteske Schöpfung die Vertrautheit Beyles mit den Verhältnissen Italiens während der Restaurationszeit und seinen karbonarischen Haß der italienischen despotischen Kleinstaaterei. In letzter Hinsicht mag die »Chartreuse de Parme« als historisches Zeugnis für die jetzt in die Rumpelkammer geworfenen Zustände Ober- und Mittelitaliens gelten. Beyle trug unbewußt Bausteine herbei zur Gründung der Einheit des herrlichen Landes und würde, wenn er nicht schon vor 30 Jahren in den Straßen von Paris unter einem Schlagfluß zusammengebrochen, jetzt mit dem sarkastischen Lächeln später Befriedigung seine Tage beschließen.
Wer in den dreißiger Jahren des laufenden Jahrhunderts in einer Theaterloge zu Rom die breitschultrige Gestalt, die nicht anziehende Physiognomie des Verfassers von »Rouge et Noir« beobachtete, hätte hinter diesen Zügen nie den feinen Musik-, Malerei- und Menschenkenner gesucht. Und doch verbarg sich unter dieser breiten Satyrmaske ein enthusiastischer Bewunderer Rossinis, dessen Opern er vielleicht zum hundertsten Male mit jugendfrischer Begeisterung anhörte und mit seinen Nachbarn besprach. Beyle gehörte zu den sonderbar angelegten Naturen, die sich jeder idealistischen Regung schämen, nur die ironisierende Seite ihres Wesens herauskehren und hinter diabolischem Spotte oft nur ein tief verwundetes, für innige Liebe angelegtes Herz verbergen. Es gehört zur Eigenheit unserer Kulturepoche: der krasseste Egoismus überkleistert mit philanthropischer Tünche, das unbefriedigte Liebesbedürfnis sich Luft schafft durch Hohngelächter. Heinrich Heine und Henri Beyle mögen sich getrost die Bruderhand reichen.