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Mailand, 28. Germinal IX (18. April 1801).
Ich will die Geschichte meines Lebens Tag für Tag aufzeichnen. Ob ich die Kraft haben werde, diesen Vorsatz durchzuführen, weiß ich nicht. In Paris habe ich schon damit begonnen.Davon ist nichts erhalten. Ich werde mich nicht genieren und grundsätzlich nichts streichen, auch wenn ich Fehler gemacht habe ...
10. Floréal (30. April).
Ich bin immer noch in Mailand. Die 6. Dragoner sind durchmarschiert.Beyles Regiment. Er selbst war seit dem 1. Februar 1801 (12. Pluviose IX) als Adjutant des Generals Michaud abkommandiert. Sie sollen nach Piemont, wo der General Jourdan mit der Vollmacht eines Vizekönigs kommandiert. Heute fand auf dem Schloßplatz eine große Friedensfeier statt. Abends dürftiges Feuerwerk. Ziemlich langweilige lyrische Szene im großen TheaterDie Scala. und Ball, bei dem die Damen der Gesellschaft tanzten.
11. Floréal (1. Mai).
Morgen gehe ich nach Bergamo. Martial (Daru) soll nach Florenz und MarignerEin von Beyle geschätzter Intendant. (Chuquet 50.) nach Bologna. Man spricht viel von einem Kriege ...
Seit ich nicht mehr an die reizende Frau MartinIhretwegen hatte Beyle ein Duell mit dem Adjunkten beim Kriegskommissariat Augustin Pétiet (1784-1858), dem Sohn des auf Seite 221, Anm. 2, genannten Statthalters der Lombardei. Vgl. Chuquet 49. denke, habe ich La Harpe gelesen. Ich habe Band eins bis acht seines »Kursus«› Cours de littérature‹. Paris 1799-1805, 16 Bde. durchstudiert. Ich habe viel über die dramatische Kunst nachgegrübelt, während ich die Verse von »Selmours« wieder durchlas.Einer der zahlreichen dramatischen Versuche Beyles; Pläne und drei fertige Akte sind in der Bibliothek zu Grenoble. (Arbelet.) Sie kamen mir weniger schlecht vor als bei der Niederschrift. Ich will Verse schreiben lernen, denn es wäre viel besser, wenn die »Verwechselungen« ein Versstück wären.»Les Quiproquos«, ebenfalls ein dramatischer Versuch Beyles; Reste in Grenoble. (Arbelet.)
[Bergamo,] 12. Floréal.
Die Straße von Mailand nach Bergamo ist prachtvoll, und das im schönsten Land der Welt. In Canonica, einem Dorfe 20 Miglien von Mailand an der Adda, hat man einen der schönsten Blicke, die es gibt. Der Blick von dem hochgelegenen Bergamo ist weniger schön, aber weitumfassend. Von der Casa Tersi, wo der General MichaudClaude Ignace François Michaud (1751 – nach 1832), Divisionsgeneral seit 1792, Generalinspekteur der Infanterie seit 1802. wohnt, erkennt man sehr deutlich die Apenninen auf fünfundzwanzig Miglien Entfernung. Nur nach Nordost und Südwest ist der Blick durch die Anhöhen begrenzt, an die sich Bergamo lehnt. Es gibt hier zwei Theater, ein sehr schönes im Borgo (der Unterstadt) und ein anderes aus Holz auf dem Platz der Altstadt. Wir gehen jeden Abend in dieses, da es ganz in der Nähe liegt.
19. Floréal (9. Mai).
Ich habe mir einen Fechtmeister genommen.
Ich habe Band 7 von Voltaires Werken und ein paar Bücher, die ich mir aus Mailand mitgenommen hatte, sehr schnell durchgelesen und habe mich aus Mangel an Büchern sehr gelangweilt.
25. Floréal (15. Mai).
Der General (Michaud) hat zu Alpy gesagt: »Ich mag den kleinen Beyle sehr gern; er hat viel Verstand. Ich hoffe stark, daß er seine Bestätigung als Adjutant erhält; er ist zu offenherzig und zu scharf.«
28. Floréal (18. Mai).
Heute nacht hatte ich einen sehr starken Fieberanfall.Beyle spricht schon am 23. von einem Fieberanfall. Am liebsten bäte ich den General um einen Tag Urlaub nach Mailand, um zum Dr. Gonel zu gehen.
29. Floréal.
Heute abend wurde »Zelinda e Lindoro« von Goldoni gespielt, ein ausgezeichnetes Lustspiel, aus dem sich ein gutes französisches Stück machen ließe.
30. Floréal.
Mein Bursche ist mit meinen beiden Pferden aus Mailand angekommen. Könnte man nicht ein Stück »Die Soldatomanie« oder »Die Militärmanie« schreiben?
1. Prairial (21. Mai).
Da mein Fieber täglich zunimmt, bin ich am 1. nach Mailand geritten, um Dr. Gonel aufzusuchen, und am 5. zurückgekehrt ...
Martial macht der Signora MontiDie Gattin des Dichters Vincenzo Monti, geb. Pickler, aus Rom. Siehe »Reise in Italien«, S. 73. den Hof. Er ist ganz verliebt in sie; als ich sie verließ, war er schon sehr weit gekommen ...
Ich habe mir von GieglerGiegler war Buchhändler in Mailand. »Das Zeitalter Ludwigs XV.«, ein nachgelassenes Werk des Abbé Arnoux Laffrey»Das Privatleben Ludwigs XV.« von Mouffle d'Angerville (London 1781, 4 Bde.). Neudruck (2 Bde.) unter dem falschen Namen Arnoux Laffrey. (Arbelet.) und die drei ersten Bände der Russischen Geschichte von Lévesque»Geschichte Rußlands«, Paris 1782, 5 Bde. (Arbelet.) mitgebracht.
7. Prairial (28. Mai).
Ich habe fünfundzwanzig Tropfen Ipecacuana und ein Tropfen Brechweinstein eingenommen, mich aber nur einmal leicht übergeben.
Ich lese Cäsars Feldzüge in der Übersetzung von Baudrecourt. Beim Buchhändler Antoine auf dem Platz in der Oberstadt habe ich mir den ersten Band von Goldonis Lustspielen geliehen, in dem »Gli amori di Zelinda e Lindoro« steht.
14. Prairial.
15. Prairial (4. Juni).
Martial hat mir einen Brief meines Obersten Le Baron an ihn geschickt, mit dem Befehl für mich, zum Regiment zu gehen. Ich habe Martial gebeten, an Herrn Daru zu schreiben, und dem Obersten geantwortet, ich würde zum Regiment nach Savigliano in Piemont gehen, sobald mein Zustand es erlaubte. Die Art, wie die beiden Schreiben Le Barons abgefaßt sind, hat mich eine Weile niedergedrückt. Ich habe keinen, der mir riete, keinen Freund, und bin von dem langen Fieber geschwächt. Trotzdem habe ich meinen Entschluß gefaßt, in der Überzeugung, daß ich es durch Dreistigkeit und Beharrlichkeit noch zum Adjutanten des Generals Michaud bringe.Beyle fungierte zwar schon seit 1. Februar 1801 als Michauds Adjutant, wurde es aber nie offiziell. Am 1. Complémentaire (siehe S. 220) mußte er wieder zu seinem Regiment zurück. Diesen Erfolg werde ich dann wie alle andern nur mir zu danken haben.
Ich habe beschlossen, eine ähnliche Medizin zu nehmen wie die, welche ich vor sechs Tagen ausgespieen habe.
17. Prairial.
Die Medizin hat gewirkt; ich glaube, das Fieber läßt nach. Morgen nehme ich meine Fechtstunden wieder auf. Ich habe die Übersetzung von »Zelinda und Lindor« halb fertig.
18. Prairial.
Nach der Fechtstunde habe ich einen Ritt rings um die reizende Bergkette gemacht, an die Bergamo angeklebt ist. Eine herrliche Gegend mit bezaubernden Aussichten.
20. Prairial.
Ich nehme seit gestern stets zwei Chinintabletten. Das Fieber ist nur noch schwach. Seit heute nehme ich Unterricht auf der Klarinette beim Musikmeister der 91. Halbbrigade. Er scheint mäßig zu sein.
23. Prairial (12. Juni).
Um ein Uhr früh die Übersetzung von »Zelinda und Lindor« beendet.Die Übersetzung befindet sich in der Bibliothek von Grenoble. (Arbelet.) Immer noch schwaches Fieber. Ich will morgen ein Purgiermittel nehmen.
Ich habe meinen Klarinettenlehrer entlassen; er taugt nichts. Die italienische ArmeeD. h. die französische Armee in Italien. besteht nicht mehr. Die Truppen in der Zisalpinischen Republik werden von einem Generalleutnant, sechs Divisionsgeneralen und zwölf Brigadegeneralen befehligt.
Gespielt wurde ein ausgezeichnetes Stück von Kotzebue »Die Zwillingsbrüder oder der Arzt als Versöhner«.Eine Bearbeitung der »Beiden Klingsberge« von Weiß, Faugres und Pakrat. Sanfte Sitten, reine Moral, natürliche Gefühle im Stil Geßners, geschlossene Handlung.
27./28. Prairial. Ich habe mit dem General Michaud große Spazierritte gemacht. Die Umgegend von Bergamo ist wirklich das schönste, was ich gesehen habe. Die bewaldeten Höhen hinter Bergamo sind das köstlichste, was sich denken läßt.
Der General BrunetBrigadegeneral (1765–1824). ist mit seinem Adjutanten zum Besuch des Generals Michaud gekommen. Er ist räuberisch, eitel, dumm und schwatzhaft: sein Adjutant ist ein taktloser Schwätzer und scheint die Syphilis gehabt zu haben...
(Brescia) 3. Messidor (22. Juni).
Nach siebenstündigem Ritt sind wir in Brescia angelangt...
13. Messidor (2. Juli).
Einen italienischen Lehrer genommen. Immer noch Fieber.
15. Messidor (4. Juli).
Gespielt wurde ein fünfaktiges Stück des Venezianers Carlo Gozzi: »La Donna contraria al consiglio«. Es wäre ein hübscher Stoff für eine komische Oper... Ein schwerfälliger deutscher Liebhaber, ein flatterhafter Franzose, die Frauencharaktere, die eine leichtsinnig, die andre langsam und einfältig, der luftige, geistreiche Bediente, der als venezianischer Philosoph auftritt – das alles gibt dem Stück Abwechslung. Das Thema ist zwar etwas abgedroschen, aber die Einzelheiten könnten gut wirken.
18. Messidor (7. Juli).
Ich gehe bis zum 20. nach Cremona. Ein großes Nest, in dem man vor Langeweile und Hitze umkommt.
23. Messidor (12. Juli).
Gespielt wird ein gutes Lustspiel von Albergati:Der Marchese Albergati-Capacelli (1728-1804) in Bologna war ein Nacheifern Goldonis. »Il sagio amico«. Wenn man es übersetzte, wie es ist, hätte es in Frankreich Erfolg. Gespielt wird »Ariodant«; daraus ließe sich wohl ein schönes Trauerspiel machen.Eine Episode aus Aliost, von Simon Mayr in Musik gesetzt. Vgl. Stendhals › Vie de Rossini‹, 20 ff. Im »Inventar seiner Brieftasche« gibt Stendhal eine Tragödie dieses Titels in 5 Akten an. (Arbelet)
Jeden Abend um elf Uhr habe ich leichte Fieberanfälle.
Genießen wir das Leben. Unsre Stunden sind gezählt; auch die Stunde, wo ich schwermütig war, bringt mich dem Tode näher. Arbeiten wir, denn die Arbeit ist die Mutter des Vergnügens, aber seien wir nie schwermütig. Überlegen wir, ehe wir handeln; ist der Entschluß gefaßt, so ändern wir ihn nie. Mit Beharrlichkeit erreicht man alles. Schaffen wir uns Talente an; eines Tages würde ich die verlorene Zeit bedauern.
Ein großer Trost liegt darin, daß man nicht alles auf einmal genießen kann. Man bekommt eine große Vorstellung von sich, wenn man sich in einigen Dingen überlegen sieht. Man vergleicht sich mit denen, die weniger leisten, fühlt sich ihnen überlegen und ist dann tief beschämt, wenn man sieht, daß sie in irgendeiner Sache Erfolg haben, auf die sie sich besonders geworfen haben. Es wäre zu grausam, wenn ein Mensch in allen Dingen überlegen wäre. Ich weiß nicht mal, ob das offenbare Glück, das daraus entspränge, nicht bald durch Langeweile getrübt würde. Trotzdem muß man nach dieser Überlegenheit trachten. Sie ist zwar nie absolut, aber doch mehr oder minder vorhanden und zumeist die Quelle des Erfolges. Zudem gibt sie uns die Zuversicht, die fast stets den Erfolg bedingt.
So glaube ich, daß ich eines Tages etwas im Theaterfach leisten werde. Die Entwürfe zu ›Selmours‹, zur ›Modeehe‹, zu den ›Verwechselungen‹, die Idee des ›Nächtlichen Abenteurers‹, die Tragödie ›Der heimkehrende Kreuzfahrer‹ und ›Ariodant‹ scheinen diese Hoffnung zu rechtfertigen.Dramenpläne Beyles.
Mein stets reger Geist läßt mich stets nach einer Belehrung suchen, die diese Hoffnungen rechtfertigen kann. Sobald sich eine Gelegenheit zu Belehrung oder Unterhaltung bietet, muß ich daran denken, daß ich Weltkenntnis lerne, um mir den rechten Genuß auszusuchen, Wie kann ich mich da wundern, daß ich Frauen gegenüber linkisch bin und kein Glück bei ihnen habe, daß ich in der Gesellschaft nur dann glänze, wenn ernstlich disputiert wird oder wenn von den Charaktereigenschaften und Leidenschaften die Rede ist, die mein dauerndes Studium bilden!
28. Messidor (17. Juli).
Ich habe mein Patent als Leutnant im 6. Dragonerregiment erhalten.Das am 5. Messidor (24. Juni 1801) ausgestellte Patent bestätigte Beyles am 1. Brumaire des Jahres IX (23. Oktober 1800) erfolgte vorläufige Ernennung zum Leutnant im 6. Dragonerregiment durch den damaligen Divisionsgeneral Davoust.
Man muß sehr mißtrauisch sein; der Durchschnitt der Menschen verdient es nicht anders; aber man darf sein Mißtrauen nicht zeigen.
2. Fructidor (20. August).
Wenn eine Reise lehrreich sein soll, muß sie ein Urteil über die verschiedenen Dinge sein, die man gesehen hat. Als ich nach Italien kam, kannte ich Frankreich nicht. Nutzen kann ich von meiner Reise also erst haben, wenn ich Frankreich oder irgendein anderes Land kenne und Vergleiche ziehen kann.
1. Complémentaire IX (18. September 1801).
Ich reite um halb sechs Uhr früh mit meinem Burschen von Brescia nach Bra, esse in Chiari zu Mittag und übernachte in einem elenden Nest. Ich habe Schnupfenfieber.
Anmerkung: Das heißt, er kehrte zu seinem Regiment zurück, da nach einer Verfügung des Kriegsministers alle Adjutantenstellen nur mit Oberleutnants besetzt werden sollten. Die Order seiner Ablösung vom selben Tage lautet:
Französische Republik.
Hauptquartier Brescia,
Zisalpinisches Korps.
1. Complimentaire IX.
3. Division.
Der Divisionsgeneral Michaud befiehlt dem Bürger Henri M. Beyle, Leutnant im 6. Dragonerregiment, morgen Brescia zu verlassen und zu seinem Truppenteil in Savigliano im Departement Tanaro in Piemont zurückzukehren. Zu diesem Zweck ist ihm vom Kriegskommissar eine Marschroute auszustellen.
Michaud
Unter diesen Befehl schrieb der General den Zusatz:
Der General Michaud, Kommandeur der 3. Division, bescheinigt, daß der Bürger Henri M. Beyle, Leutnant im 6. Dragonerregiment, bei ihm die Stelle eines Adjutanten vom 12. Pluviose IX (1. Februar 1801) bis auf diesen Tag bekleidet hat und daß er nur seine volle Anerkennung über die taktvolle und vorzügliche Art aussprechen kann, mit der er dauernd seinen Dienst erfüllt hat. Er benutzt den Zeitpunkt seiner Rückkehr zu seinem Truppenteil, um ihm dies Zeugnis seiner Achtung und Freundschaft sowie seiner Zufriedenheit mit seiner ausgezeichneten Führung auszustellen Michaud.
2. Complémentaire.
Um acht Uhr verlasse ich meine elende Herberge, esse in Cassano zu Mittag und fahre in einer Sediola in zwei Stunden nach Mailand...
[Mailand], 3. Complémentaire.
Ich suche, den Wundarzt Dr. Gonel, einen Freund des Generals Michaud, auf. Abends prächtige Aufführung. ›II Mercato di Monfregoso‹Von Zingarelli (1793). ist gewiß die hübscheste Oper, die ich in Italien gehört habe, sowohl die Musik wie der Gesang. ›Cleopatra‹ ist ein prachtvolles Ballett, das anderthalb Stunden dauert.
1. Vendémiaire X (25 September 1801).
Der Minister PetietClaude Pétiet (1749–1806), damals Statthalter der Lombardei. Beyle war an ihn empfohlen worden und hatte 1800 bei ihm in der Casa Bovara gewohnt und gearbeitet. (Arbelet.) gibt einen großen Ball im Palast der Consulta. Morgens Parade vor dem General Murat.Damals Höchstkommandierender der Truppen in Italien Abends ist das Theater taghell erleuchtet; nachher Maskenball. Um Mitternacht war das Gedränge so groß, daß man keinen Schritt weiter kam. Feuerwerk auf dem Foro Bonaparte.Die Esplanade des von Napoleon geschleiften alten Kastells der Sforza.
4. Vendémiaire.
Um halb fünf Uhr früh fahre ich auf dem Bock einer Vettura nach Tortona. Mein Bursche kommt mit den Pferden nach. Am Mittag sind wir in Pavia. Um zwei Uhr fahren wir auf einer gedeckten Brücke über den Tessin und kurz danach auf einer Schiffbrücke über den Po. Um acht Uhr kommen wir endlich in Boghera an. Wir hatten große Angst, überfallen zu werden.
5. Vendémiaire.
Um halb fünf Uhr fahren wir von Boghera ab. Die Straße nach Tortona ist schön; man hat fast stets einen Blick auf die Berge. Die Reisenden werden oft angefallen.
Um sieben Uhr bin ich in Tortona angelangt. Die Stadt liegt am Fuß einer Anhöhe, auf der eine starke, jetzt völlig geschleifte Festung liegt. Mittags reise ich weiter nach Alessandria. Die Straße ist kaum ein Weg. Die Gegend ist stets voller Räuber, da sie leicht in die Berge fliehen können. Drei Stunden jenseits Tortona sah ich das berühmte Schlachtfeld von Marengo. Man sieht ein paar abgeschlagene Bäume und viele Menschen- und Tierknochen. Die Schlacht fand vor fünfzehneinhalb Monaten stattAm 14. Juni 1800. Sie machte Napoleon zum Herrn der Lombardei. ...
6. Vendémiaire.
Ich verlasse Alessandria um sechs Uhr. Ein Vetturino fährt mich nach Asti. Die Straße ist recht malerisch. Man kommt durch eine lehmige Ebene, die im Winter oder bei Regen unpassierbar ist. Abends lange ich in Asti an.
(Bra,) 7. Vendémiaire.
Ein Vetturino fährt mich für einen Louisdor nach Bra, wo ich um sechs Uhr ankomme. Ich gehe sofort zum Major Remy, der die beiden Schwadronen in Bra befehligt. Mein Kapitän Debelle ist auf Jagd.Er war ein Landsmann Beyles aus Boreppe bei Grenoble. Ich esse mit den Offizieren.
10. Vendémiaire.
Ich gehe mit dem Kapitän Debelle auf die Jagd. Ich durchschreite bei großer Hitze einen Arm der Stura. Die Folge ist eine achttägige Kolik mit furchtbaren Schmerzen. Man setzt mir Blutegel an. Ich nehme Chinin und Opium, was mich wieder hochbringt. Ich habe nur noch Schmerzen infolge der SyphilisDiese Seuche, die sich Beyle wohl schon 1800 in Mailand zugezogen hatte, erklärt seine scheue Zurückhaltung vor dem weiblichen Geschlecht in jener Zeit. und des Quecksilbers.
1. Brumaire (23. Oktober).
Der Major Remy erhält Befehl, am 3. mit den zwei Schwadronen nach Fossano zu marschieren. Ich verlasse Bra gern, denn das Nest hat nichts als seine hübsche Lage. Wir haben gar keine Geselligkeit und nur ein Billard im Orte. Heute bin ich ein Jahr Dragonerleutnant. Ich beginne meine Dienstvorschrift zu studieren.
3. Brumaire.
Acht Uhr früh von Bra abmarschiert und um ein Uhr in Fossano angelangt.
4. Brumaire.
Um acht Uhr nach Saluzzo. Ankunft um zwei Uhr. Ich bin ganz erschöpft.
(Saluzzo,) 5. Brumaire.
Ich habe Fieber und große Atemnot. Ich schicke zu Herrn Depetas, dem vorzüglichen hiesigen Arzt, der mir ein Brechmittel gibt. Ich werde dreimal zur Ader gelassen. Am 3. waren mir schon zehn Blutegel gesetzt worden. Nach einer starken Schwitzkur stehe ich am 16. wieder auf und bin hergestellt.
18. Brumaire (9. November).
Die Glocken in Saluzzo läuten zur Feier des 18. BrumaireNapoleons Staatsstreich 1799. und des Friedens mit England.
Die Stadt liegt halb auf einer Anhöhe, halb an ihrem Fuße in der Ebene. Fast alle Läden sind in den Laubengängen auf dem Marktplatz, wo viel Leben herrscht. Der Aufstieg von der Unterstadt zur Oberstadt ist ziemlich steil. Einige Straßen steigen in vielen Windungen sanft an; kleine Treppenwege fuhren schnurgerade aufwärts.
Die Familie der alten Markgrafen von Saluzzo lebt noch. Mein Quartierwirt, Graf Benevello della Chiesa, hatte in erster Ehe eine Tochter dieses Geschlechts zur Frau. Jetzt sind 250 Invaliden im Schlosse untergebracht; die Offiziere wohnen in guten Bürgerquartieren.
18. Frimaire (9. Dezember).
Stets krank oder rekonvaleszent. Ich werde noch zweimal zur Ader gelassen. Schließlich geht es mir besser.
Heute morgen las ich die Odyssee in der Übersetzung von Bitaubé (1785)Beyles Schulpreis; s. Seite 147. zu Ende. Ich fand, daß Penelope ein vorzüglicher Stoff zu einem Trauerspiel ist.In dem »Verzeichnis seiner Brieftasche« figuriert tatsächlich eine fünfaktige Verstragödie »Odysseus«. (Arbelet.) Der große Vorteil liegt darin, daß man schöne Charaktere zu entwickeln hat, die allgemein bekannt sind ...
Eine Komödie über die Neugier schreiben. In Brescia sah ich ein italienisches Stück dieses Inhalts. Es war eine Gesellschaft von Freunden, die sich bisweilen in einer Privatloge trafen und die Frauen ausschlossen, um ungestört zu sein. Mit Hilfe einer schlauen Kammerzofe setzten ihre Frauen alles in Bewegung, um zu erfahren, was sie dort trieben.
19. Frimaire.
Einer Frau einen hohen Begriff von seiner Einsicht zu geben, ist ein sicheres Mittel, um sie kirre zu machen. Helden haben Anfälle von Furcht, Feiglinge Anwandlungen von Mut und tugendhafte Frauen haben schwache Stunden. Die Kunst besteht darin, diese zu erkennen und zu erfassen. Fast alles Unglück im Leben kommt von den falschen Vorstellungen, die wir uns von dem machen, was uns zustößt. Gründliche Menschenkenntnis und richtige Beurteilung der Ereignisse ist also ein großer Schritt zum Glück.
21. Frimaire (12. Dezember).
Nach einer Aussprache mit Herrn Depetas, den ich für einen vorzüglichen Arzt halte, scheint mein gewöhnliches Leiden Schwermut (ennui) zu sein. Viel Bewegung, viel Arbeit und nie Einsamkeit werden mich heilen. Ich glaube, ich werde mein Leben lang gut tun, viel zu handeln. Herr Depetas fand an mir Symptome von Heimweh und Melancholie.
29. Frimaire (19. Dezember).
Ich habe jeden Abend Fieber und erwarte mit Ungeduld meinen Erholungsurlaub.Beyle langte um die Jahreswende 1801/02 in seiner Vaterstadt Grenoble an und war am 15. April 1802 wieder in Paris.