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Doch ich muß zu dem kleinen Garten in der Rue Caumartin zurückkehren. Dort erwartete uns allabendlich sehr frisches Bier, das uns eine große, sehr schöne Frau eingoß: Frau Romanée, die geschiedene Frau eines betrügerischen Verlegers und Maisonnettes Geliebte, die er besagtem Gatten für 2-3000 Franken abgekauft hatte...
In jenem Sommer begann ich wieder etwas Anteil an der Welt zu nehmen. Es gelang mir, fünf bis sechs Stunden hintereinander nicht mehr an Mailand zu denken; nur das Erwachen des Morgens war mir noch bitter. Manchmal blieb ich im Bett und hing trüben Gedanken nach.
Aus Maisonnettes Mund erfuhr ich, auf welche Weise die Macht, das einzig Wirkliche, damals in Paris verteilt wurde. Wenn ich in eine Stadt komme, erkundige ich mich stets nach den zwölf hübschesten Frauen, den beiden reichsten Männern und nach dem Manne, der mich an den Galgen bringen kann. Maisonnette beantwortete mir meine Fragen ganz gut. Wie erstaunt war ich über seine ehrliche Begeisterung für das Wort König! »Welch ein Wort für einen Franzosen!« schwärmte er, und seine kleinen schwarzen verzückten Augen richteten sich gen Himmel.
Maisonnette war 1811 Professor der Beredsamkeit gewesen. Bei der Geburt des Königs von RomNapoleons Sohn von Marie Louise (1811-32), der spätere Herzog v. Reichstadt. gab er seinen Schülern aus eignem Antrieb frei. Im Jahre 1815 schrieb er ein Pamphlet zugunsten der Bourbonen.»Histoire du Cabinet des Tuileries depuis le 20 mars 1815« usw., Paris 1815. Der Herzog Decazes las es, ließ ihn rufen und machte ihn zum politischen Schriftsteller mit 6000 Franken Gehalt. Heute ist Maisonnette sehr bequem für einen Minister. Er weiß über alle kleinen Tatsachen, alle Hintergründe der politischen Ränke in Paris von 1815 bis 1821 genau und zuverlässig Bescheid wie ein Nachschlagebuch.
Dies Verdienst erkannte ich nicht. Man erfährt es nur durch Fragen. Ich begriff seine unbegreiflichen Gedankengänge nicht. Ich sagte mir: Über wen macht er sich lustig? Über mich? Aber wozu? Über Mareste? Über den armen jungen Mann im grauen Überrock mit dem häßlichen Gesicht und der Stumpfnase? Dieser junge Mann hatte etwas Anmaßendes und höchst Unerquickliches. Seine kleinen, ausdruckslosen Augen hatten stets den gleichen boshaften Blick.
Das war der erste Eindruck, den ich von meinem besten jetzigen Freunde hatte. Über sein Herz bin ich nicht recht sicher, wohl aber über sein Talent. Es ist der heute so wohlbekannte Prosper Mérimée,Stendhal nennt ihn Graf Gazul, nach Mérimées erstem Werk »Le Théâtre de Clara Gazul« (1825). Prosper Mérimée (1803-79), der Carmendichter, seit 1831 Inspektor der geschichtlichen Denkmäler. Von ihm stammt die geistvoll-boshafte Lebensskizze Beyle-Stendhals: »H.B. Par un des quarante« (1850, Nachdruck 1864, neuerdings in »Collection de plus belles payos de Stendhal«, Paris 1908), sowie die »Notes et Souvenirs« am Anfang von Stendhals »Corresponance inédite« (1854 und Neudruck O.J.), die im Anhang des vorliegenden Bandes abgedruckt sind. von dem ich letzte Woche einen Brief erhielt, der mich für zwei Tage beglückt hat. Er war damals neunzehn Jahre alt, denn er ist wohl 1803 geboren.
Ich möchte fast mit Buffon glauben, daß wir viel von unsern Müttern erben. Diese Theorie scheint mir an Mérimée bestätigt zu werden. Seine Mutter besitzt viel französischen Geist und einen überlegenen Verstand. Wie ihr Sohn, scheint sie einmal im Jahre zarten Gefühlen zugänglich. Ich finde die meisten Werke Mérimées trocken, aber ich rechne auf die Zukunft. Als ich in dem hübschen Gärtchen in der Rue Caumartin verkehrte, war Mérimée Schüler der Rhetorik bei dem gräßlichsten Lehrer. Das Wort gräßlich paßt recht schlecht zu Maisonnette, dem besten aller Menschen. Aber sein Geschmack war so; das Falsche, Glänzende, Possenhafte ging ihm über alles. Er selbst war der Schüler des Herrn Luce de Lancival gewesen, den ich in meiner Jugend bei Herrn von Maisonneuve kennen gelernt hatte. Dieser Biedermann, der seine Trauerspiele nicht drucken ließ, obwohl sie Erfolg gehabt hatten, zeichnet mich mit dem Ausspruch aus, ich hätte einen höheren Geist.
»Sie meinen wohl einen höheren Stolz«, lachte Martial Daru, der mich ganz verblüfft sah. Doch ihm verzieh ich alles; er führte mich bei Clotilde, der ersten Tänzerin an der Oper, ein. Manchmal – welche schönen Tage für mich! – saß ich in ihrer Garderobe in der Oper, und sie kleidete sich vor mir aus und an. Welch ein Augenblick für einen Provinzler!
Maisonnette war also der Schüler Lancivals und Mérimée der Schüler Maisonnettes. So war Annibale Carraci zum Schüler des Flamen Calcar geworden.
Außer seiner ebenso wunderbaren wie aufrichtigen Leidenschaft für den gerade herrschenden Minister und seiner Tapferkeit besaß Maisonnette noch eine andre Eigenschaft, die mir gefällt. Er bekam vom Minister 22 000 Franken, um den Franzosen zu beweisen, daß die Bourbonen verehrungswürdig seien, und er gab 30 000 aus.
Wenn er bisweilen zwei Stunden hintereinander zum Lobe der Bourbonen geschrieben hatte, ging er zu einer anständigen Frau aus dem Volke und bot ihr 500 Franken. Er war häßlich und klein, besaß aber solch spanisches Feuer, daß diese Damen seine Häßlichkeit nach drei Besuchen vergaßen und nur noch die Schönheit der Banknote von 500 Franken sahen.
Hier muß ich hinzufügen, daß 500 Franken im Jahre 1832 so viel waren, wie 1000 im Jahre 1872 sein werden. Später gestand mir eine hübsche Verkäuferin von Petschaften, sie hätte vor Maisonnettes Banknote immer nur zwei Goldstücke bekommen. Die reichen Leute sind recht ungerecht und lachhaft, wenn sie alle Fehltritte und Verbrechen um des Geldes willen so streng verurteilen. Man sehe das Leben des Herzogs von Decazes seit seinem Sturz im Jahre 1820 bis auf diesen Tag!
Da bin ich also beim Jahre 1822, wo ich drei Abende in der Woche in der Komischen Oper und ein bis zwei bei Maisonnette in der Rue Caumartin verbrachte. Wenn ich Kummer hatte, war der Abend für mich stets der schwierigste Teil des Tages. An den Operntagen war ich mit Mareste, Miniorini, di Fiore von Mitternacht bis zwei Uhr früh bei Frau Pasta.
Fast hätte ich ein Duell mit einem sehr lustigen und sehr tapferen Manne gehabt, den ich bei der Pasta einführen sollte. Es war der liebenswürdige Edward Edwards, jener einzig dastehende lustige Engländer, mein Gefährte auf der Reise nach England, der für mich das Duell mit dem Schiffskapitän in Calais hatte übernehmen wollen. Ich lehnte es ab, ihn bei ihr einzuführen. Es war am Abend, und der arme Edwards war nicht mehr der gleiche wie am Morgen.
»Wissen Sie, lieber Beyle,« sagte er zu mir, »daß es nur von mir abhängt, beleidigt zu sein?«
»Wissen Sie, lieber Edwards, daß mein Stolz dem Ihren gleichkommt und daß Ihre Offenherzigkeit mir ganz einerlei ist?«
Die Sache ließ sich gut an. Ich schieße sehr gut: Mérimée hat es auf dem Scheibenstand im Luxembourg-Garten gesehen. Auch Edwards ist ein guter Schütze, vielleicht weniger gut als ich. Schließlich befestigte dieser Zank nur unsere Freundschaft. Ich entsinne mich dessen genau, denn am nächsten oder übernächsten Tage beging ich den Streich, der mir recht ähnlich sah, ihn zu bitten, mich seinem Bruder vorzustellen, dem berühmten Dr. Edwards,Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften, gest. 1842. (R. Columb). von dem im Jahre 1822 viel gesprochen wurde. Er brachte monatlich tausend Frösche um und sollte im Begriff sein, unsre Atmungsweise und ein Heilmittel gegen das Brustleiden hübscher Frauen zu entdecken. Bekanntlich kosten Erkältungen beim Verlassen des Balles alljährlich elfhundert jungen Frauen in Paris das Leben. Ich habe die offizielle Ziffer gesehen.
Nun aber hielt der gelehrte, weise, ruhige und fleißige Dr. Edwards von den Bekannten seines Bruders nicht eben viel. Er hatte sechzehn Brüder, und mein Freund war der größte Taugenichts unter ihnen. Gerade wegen seines allzu lustigen Tones und seiner leidenschaftlichen Vorliebe für schlechte Witze, die er durchaus nicht unterdrücken konnte, hatte ich ihn der Frau Pasta nicht vorstellen wollen. Ohne diese teuflische Manie, ebenso witzig zu sein wie ein Franzose, wäre er als schmucker Kerl sehr liebenswürdig gewesen, und es hätte nur an ihm gelegen, die größten Erfolge bei Frauen zu haben, wie ich es bei Gelegenheit Eugenies erzählen werde. Aber sie ist noch so jung, daß es vielleicht unschicklich ist, sie in diesem Geschwätz zu erwähnen, das vielleicht zehn Jahre nach meinem Tode gedruckt wird. Sage ich zwanzig, so werden alle Einzelheiten des Lebens verändert sein, und der Leser sieht nur noch die großen Züge. Aber wo sind diese großen Züge in meinem Federspiel?
Ich glaube, Edwards gab sich große Mühe, mich dem Doktor vorstellen zu dürfen. Er wollte sich auf eine edle Weise rächen, denn er besaß eine edle Seele, wenn sie nicht durch fünfzig Glas Branntwein getrübt war.
Ich fand einen kleinen, erzspießbürgerlichen Salon. Die Gattin war eine Frau von großen Vorzügen, die Moralpredigten hielt und die ich für eine Quäkerin hielt. Und der Doktor war ein trefflicher Mann, der in einem kleinen schmächtigen Körper steckte, dessen Lebenslicht auszugehen schien. Man empfing mich kühl.
Welch toller Gedanke, mich dort vorstellen zu lassen! Es war eine unverhoffte Laune, eine Narrheit. Wenn ich im Grunde etwas wünschte, war es, Menschen kennen zu lernen. Wohl allmonatlich kam ich auf diesen Gedanken zurück. Aber meine Neigungen, Leidenschaften und anderen Torheiten durften die Oberfläche des Wassers nicht trüben, wenn dies Bild darin erscheinen sollte. Ich sagte mir damals: »Ich bin nicht wie der und der Geck aus meiner Bekanntschaft. Ich wähle mir meine Freunde nicht aus. Ich nehme, was der Zufall bietet.«
Diese Worte bildeten zehn Jahre lang meinen Stolz. Ich brauchte drei Jahre, um den Widerwillen und Schrecken zu brechen, den ich im Salon der Frau Edwards einflößte. Man hielt mich für einen Don Juan, ein Ungeheuer an Verführungskunst und höllischem Geiste. Gewiß wäre es mir nicht schwer gefallen, mich im Salon der Madame de Talaru oder der Herzogin von Broglie durchzusetzen, die stets Bürgerliche empfing, oder gar im Salon der Madame de Récamier. Aber im Jahre 1822 hatte ich die ganze Bedeutung der Antwort auf die Frage noch nicht erfaßt, die man über einen gelesenen Schriftsteller stellt: »Was für ein Mensch ist er?«
Vor Mißachtung gerettet hat mich die Antwort: »Er verkehrt viel bei Frau de Tracy.« Die Gesellschaft von 1829 hat das Bedürfnis, einen Menschen zu verachten, dem sie – mit Recht oder Unrecht – etwas Geist in seinen Büchern zugesteht. Wie wäre es geworden, wenn die Antwort gelautet hätte: »Er verkehrt viel bei Madame de Duras (Mademoiselle de Kersaint)!« Wohlan, selbst heute, wo ich die Bedeutung solcher Antworten kenne, würde ich den gerade in Mode stehenden Salon aufgeben. Jetzt, im Jahre 1832, bin ich aus dem Salon der Lady Holyend fortgeblieben.
Dem Salon des Dr. Edwards blieb ich treu, obwohl er nicht liebenswürdig war, wie man einer häßlichen Geliebten treu bleibt, weil ich ihn jeden Mittwoch aufgeben kann. Aus Laune würde ich mich allem und jedem unterwerfen. Wenn man mir am Tage vorher sagte: »Morgen mußt du dich auf einen langweiligen Augenblick gefaßt machen«, so steigert ihn meine Phantasie ins ungemessene, und ich ließe mich lieber aus dem Fenster werfen, als mich in einen langweiligen Salon führen zu lassen.
Bei Frau Edwards lernte ich Herrn Stritch kennen, einen fühllosen, trübsinnigen und von Grund aus rechtschaffenen Engländer. Er war ein Opfer der Admiralität, denn er war Ire und Advokat. Trotzdem nahm er die von der Aristokratie in den englischen Köpfen gezüchteten Vorurteile als Ehrensache in Schutz. Diesen wunderlichen Widersinn im Verein mit größter Rechtschaffenheit und höchstem Zartgefühl fand ich bei Herrn RogersDaniel Rogers, der Oheim Sutton Sharpes, mit dem er ihn gemeinsam besuchte. in der Nähe von Birmingham wieder, bei dem ich 1826 einige Zeit verbrachte.
Dieser Charakter ist in England sehr verbreitet. Betreffs der zugunsten der Aristokratie verbreiteten und gezüchteten Ideen kann man sagen, daß es dem Engländer fast so sehr an Logik gebricht wie dem Deutschen, und das will viel sagen. Die Logik des Engländers ist bewundernswert in Geldsachen und in allem, was zu der Kunst gehört, am Wochenschluß Geld zu verdienen, aber sie verwirrt sich, sobald sie sich zu abstrakteren Fragen aufschwingt, die nicht unmittelbar Geld einbringen. Die Engländer sind in ihren Urteilen über die große Literatur durch den gleichen Mechanismus verblödet, der die französischen Diplomaten zu Dummköpfen macht: man trifft nur unter sehr wenigen Leuten die Wahl. Ein Mensch, der das Zeug hätte, über den Genius Shakespeares und Cervantes' zu urteilen, handelt mit Baumwollgarn in Manchester. Er würde sich über den Zeitverlust Vorwürfe machen, wenn er ein Buch aufschlüge, das unmittelbar von der fertig gesponnenen Baumwolle oder von ihrer Ausfuhr nach Deutschland handelte. Ebenso sucht sich der König von Frankreich seine Diplomaten nur unter den jungen Leuten von vornehmer Geburt und von großem Vermögen aus. Man muß das Verdienst in den Kreisen suchen, aus denen ein Thiers hervorgegangen ist (der sich freilich 1830 verkauft hat). Er ist der Sohn eines Kleinbürgers aus Aix in der Provence.
Im Sommer 1822 dachte ich nur noch selten daran, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Mein Dasein erfüllte sich zwar nicht mit angenehmen Dingen, aber doch mit allerlei, was sich zwischen mich und mein letztes Glück legte, das den Gegenstand meines Kultus bildet. Ich hatte zwei sehr harmlose Vergnügungen: Erstens, nach dem Frühstück mit Mareste oder einem andern Bekannten plaudernd spazieren zu gehen; ich hatte acht bis zehn, wie gewöhnlich Zufallsbekannte. Zweitens, wenn es heiß war, in Galignianis Garten die englischen Zeitungen zu lesen. Dort las ich mit Entzücken vier bis fünf Romane von Walter Scott wieder. Der erste, in dem Henry Morton und der Sergeant Boswell vorkommen (»Old mortality«, wenn ich nicht irre), brachte mir die noch so lebhaften Erinnerungen an VolterraS. Seite 450, Anm. 1. wieder ins Gedächtnis. Ich hatte ihn oft zufällig aufgeschlagen, als ich in Florenz im Lesezimmer bei Molini am Arno auf Mathilde wartete. Ich las ihn als Erinnerung an 1818 wieder.
Ich hatte lange Streitereien mit Mareste, weil ich behauptete, ein gutes Drittel seines Verdienstes verdanke Walter Scott seinem Sekretär, der ihm die Landschaftsschilderungen an Ort und Stelle entwarf. Ich fand ihn wie noch jetzt schwach in der Schilderung der Leidenschaft und der Kenntnis des Menschenherzens. Wird die Nachwelt das Urteil der Zeitgenossen bestätigen, die diesem Baronet und Royalisten einen Platz gleich hinter Shakespeare anwies? Persönlich war er mir stets zuwider, und ich habe mich mehrfach geweigert, ihn zu sehen (in Paris bei Herrn Mirbel und im Jahre 1832 in Neapel und Rom). Fox verschaffte ihm eine Stellung mit 50 000 bis 100 000 Franken; seitdem verleumdet er Lord Byron, der sich dies Meisterstück der Heuchelei zunutze machte. Siehe den Brief, den Lord Byron mir 1823 schrieb.Dieser Brief aus Genua vom 29. Mai 1823 steht in »Correspondence of Lord Byron«, Paris 1825, III, 195 ff. und in der »Notice biographique« von R. Colomb zu Stendhals »Romans et Nouvelles«, XLVI f. Stendhals Antwort in Band VIII dieser Ausgabe.
Als ich im Sommer 1822 innerlich wieder genas, dachte ich daran, ein Buch »Über die Liebe« drucken zu lassen, das ich in Mailand beim Spazierengehen und beim Träumen von Mathilde mit Bleistift geschrieben hatte. Ich wollte es in Paris umarbeiten, und das war auch sehr nötig. Aber jedes tiefere Nachdenken über solche Dinge stimmte mich zu traurig; das hieß, mit roher Hand an eine kaum vernarbte Wunde rühren. Mein Freund Edwards machte mir einen Verleger (Mongie) ausfindig, der mir zwar kein Honorar bezahlte, aber mir die Hälfte des Ertrages zusagte, falls das Buch Erfolg hätte.
Heute, wo der Zufall mich in Salons eingeführt hat, erhalte ich von Verlegern, die ich nicht kenne, Anerbietungen, Manuskripte von mir bar zu bezahlen. Ich ahnte nichts von der ganzen Mache der kleinen Literatur. Sie ekelte mich an und hätte mir fast das Schreiben verekelt. Siehe die Ränke Victor Hugos, die Umtriebe Chateaubriands, das Umherlaufen Bérangers, das noch am ehesten berechtigt ist, denn dieser große Dichter war von den Bourbonen aus seiner Stellung im Ministerium des Innern, die ihm 1800 Franken jährlich einbrachte, weggejagt worden.
Die Dummheit der Bourbonen erscheint hier in vollem Lichte. Hätten sie nicht einen armen Beamten wegen eines mehr lustigen als boshaften Liedes abgesetzt, so hätte der große Dichter sich nicht entwickelt und wäre nicht einer der mächtigsten Hebel zum Sturz der Bourbonen geworden. Er hat die Franzosen die heitere Verachtung vor diesem »morschen Throne« gelehrt. So nannte ihn die in Rom verstorbene Königin von Spanien,Maria Luise von Parma (geb. 1751, gest. 1819 in Rom), die Gattin Karls IV. von Spanien und Mutter Ferdinands VII. (1784–1833). die Freundin des Prinzen de la Paix. Der Zufall führte mich an diesen Hof, aber es langweilt mich, etwas anderes als die Analyse des Menschenherzens zu schreiben. Hätte mir der Zufall einen Sekretär beschert, ich wäre ein andrer geworden. »Von der Sorte haben wir genug«, sagt der Anwalt des Teufels.
Die alte Königin hatte aus Spanien einen Beichtvater nach Rom mitgebracht. Der hielt die Tochter des Koches in der Académie de France aus. Der alte Spanier, der noch immer ein Schürzenjäger war, beging die Unvorsichtigkeit, zu sagen – die Einzelheiten kann ich nicht wiedergeben, so erheiternd sie auch sind, denn die Figuren leben noch–, Ferdinand VII. sei der Sohn von irgendwem und nicht von Karl IV. Das war eine der größten Sünden der alten Königin gewesen. Sie war schon tot, als ein Spion diese Äußerung des Priesters erfuhr. Ferdinand VII. ließ ihn in Rom festnehmen, aber statt vergiftet zu werden, ward der Greis infolge irgendeiner Gegenintrige deportiert.
Darf ich sagen, welches das Leiden dieser so verständig denkenden alten Königin war? (Ich erfuhr es 1817 oder 1824 in Rom.) Es war eine Reihe so schlecht geheilter galanter Abenteuer, daß sie sich beim Hinfallen jedesmal einen Knochen zerbrach. Als Königin schämte sich die Ärmste dieser häufigen Unfälle, und so wagte sie sich nicht richtig kurieren zu lassen. Das gleiche Leiden fand ich 1811 am Hofe Napoleons. Ich kannte den trefflichen Cuillerier leider nur zu gut. Ich brachte drei Damen zu ihm; zweien von ihnen verband ich die Augen.
Es ist ein Glück für die bourbonische Rasse, von einem Ungeheuer wie Ferdinand VII. befreit zu sein. Der Herzog von Laval,Mathieu Félicité, Herzog von Laval-Montmoreney (1767–1826), war 1821–22 Minister des Auswärtigen. ein Ehrenmann durch und durch, aber adlig und Herzog – zwei Geisteskrankheiten – erzählte mir voller Stolz, daß Ferdinand VII. sein Freund gewesen sei. Und doch war er drei Jahre Gesandter an seinem Hofe gewesen.