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(1839.)
Am 15. Mai 1796 hielt der General Bonaparte seinen Einzug in Mailand, an der Spitze jener jungen Armee, die kurz vorher die Brücke von Lodi erstürmt und der Welt verkündet hatte, daß sich nach so vielen Jahrhunderten ein Nachfolger Cäsars und Alexanders gefunden habe. Die Wunder der Tapferkeit und des Genies, deren Zeuge Italien seit einigen Monaten gewesen, hatten ein Volk aus seinem Schlafe aufgerüttelt. Noch acht Tage vor dem Einrücken der Franzosen hatten die guten Mailänder in ihnen nur ein Brigantengesindel gesehen, gewöhnt, vor den Truppen Seiner kaiserlichen und königlichen Majestät überall das Hasenpanier zu ergreifen; so wenigstens wiederholte ihnen wöchentlich dreimal ein handgroßes, auf Löschpapier gedrucktes, offizielles Zeitungsblatt.
Im Mittelalter hatten die republikanischen Lombarden eine beinahe französische Tapferkeit bewiesen und es wohl verdient, ihre Städte von den deutschen Kaisern der Erde gleichgemacht zu sehen. Seitdem sie sich aber in getreue Untertanen umgewandelt, bestand ihr Haupt- und Staatsgeschäft darin, Sonette auf niedliche Tücher aus rosafarbenem Taft drucken zu lassen, wenn sich die Vermählung dieser oder jener Tochter irgend eines edlen oder reichen Patriziergeschlechts zutrug. Zwei oder drei Jahre nach diesem wichtigen Lebensabschnitte nahm die Neuvermählte einen Cavaliere servente, ja, oftmals prangte der Name des von der Familie des Gatten schon im voraus zum künftigen Cicisbeo erkorenen Glücklichen schon mit im Ehekontrakt. Wie himmelweit verschieden von dieser verweichlichten Kultur war daher der Aufschwung, den das unerwartete Erscheinen des französischen Heeres erregte. Neue Sitten und Leidenschaften tauchten alsbald auf. Ein ganzes Volk ward am 15. Mai 1796 plötzlich inne, daß alles, was ihm bis dahin wichtig und verehrungswürdig erschienen war, im Grunde nur höchst lächerlich und hier und da sogar hassenswert sei. Der Abmarsch des letzten österreichischen Regiments bezeichnete den Umsturz der alten Ideen; sein Leben Gefahren auszusetzen, kam in die Mode; man erkannte nach jahrhundertelanger geistiger Entartung, daß man, um glücklich zu sein, wahre Vaterlandsliebe und Heldentum hegen müsse. Die lange Nacht, die seit dem eifersüchtigen Despotismus Karls des Fünften und Philipps des Zweiten angedauert hatte, verschwand; ihre Bildsäulen wurden niedergerissen, ein blendender Lichtstrom überflutete mit einem Male die Lombardei. Seit fünfzig Jahren, seitdem die Enzyklopädie und Voltairè in Frankreich mehr und mehr Fuß faßten, predigten die Mönche den guten Mailändern aus vollem Halse, daß das Lesenlernen sowie überhaupt jede Wissenschaft eine höchst überflüssige Quälerei sei. Wenn man nur seinem Pfarrer pünktlich und gewissenhaft den Zehnten entrichte und auch nicht die kleinste Sünde im Beichtstuhl verschweige, so könne man mit ziemlicher Bestimmtheit auf ein herrliches Plätzchen im Paradiese rechnen. Und um dieses herrliche ehemals so freche und vorlaute Völkchen noch vollends zu entnerven, hatte ihnen das deutsche Kaiserreich um einen annehmbaren Preis zuletzt noch das Privilegium verkauft, den kaiserlichen Heeren keine Rekruten zu stellen.
Zu Anfang des Jahres 1796 bestand die mailändische Heeresmacht nur aus vierundzwanzig rotuniformierten Halunken, denen der Schutz der guten Stadt anvertraut war, wobei ihnen allerdings vier prächtige ungarische Grenadierregimenter halfen. Die Freiheit der Sitten war ganz außerordentlich, Leidenschaften dagegen etwas höchst Seltenes; zudem war das gute Mailänder Volk außer jener Unbequemlichkeit, dem Beichtvater bei Strafe der ewigen Verdammnis alles haarklein berichten zu müssen, noch gewissen kleinen monarchischen Einschränkungen unterworfen, die nicht weniger unbequem waren. So zum Beispiel war der kaiserliche Statthalter der Provinz, der in Mailand residierte, auf den lukrativen Einfall gekommen, sich mit Getreidehandel zu befassen. Demgemäß war den Bauern streng verboten, ihr Getreide eher zu verkaufen, als bis die Speicher Seiner Hoheit gehörig gefüllt waren.
Im Mai 1796, drei Tage nach dem Einzuge der Franzosen hörte ein junger, ziemlich verrückter, seitdem berühmt gewordener französischer Miniaturenmaler, namens Gros, der der Armee nachgeschlendert war, im Kaffeehause dei Servi, das damals Mode war, von diesem einträglichen Geschäftchen des Statthalters eines und das andere erzählen; er nahm das aushängende, auf einen Bogen groben gelben Papiers gedruckte Verzeichnis aller Sorten von Gefrorenem her und skizzierte auf dessen Rückseite den österreichischen Statthalter, wie ihm ein französischer Soldat einen Bajonettstoß in den Bauch verabreichte. Aber anstatt Blut ergoß sich eine ungeheuere Menge Getreides daraus. Was man anderwärts Witze und Karikaturen zu nennen pflegt, war in jenem Lande des vorsichtigen Despotismus etwas Unbekanntes, und so staunte man die von Gros auf dem Tische im Kaffeehaus liegen gelassene Karikatur wie ein vom Himmel herabgefallenes Wunder an; noch in derselben Nacht ward sie in Kupfer radiert und anderen Tages in zwanzigtausend Abdrücken verkauft. Am nämlichen Tage verkündigten große Maueranschläge die Erhebung einer Kriegskontribution von sechs Millionen Franken für die französische Armee, die in wenigen Wochen sechs Schlachten gewonnen und ein Dutzend Provinzen erobert hatte, und der nichts weiter fehlte, als Stiefel, Beinkleider, Röcke, Hemden und Hüte.
Die Masse von Glück und Freude, die mit diesen so armen Franzosen in die Lombardei einzog, war so groß, daß nur die Geistlichkeit, der Adel und die Reichen die Bürde dieser Kriegssteuer empfanden, der bald noch einige dergleichen nachfolgten. Die Soldaten der französischen Republik taten den lieben langen Tag nichts als Lachen und Singen. Es waren größtenteils Kerlchen unter fünfundzwanzig Jahren; ihr Obergeneral, obgleich selbst erst siebenundzwanzig, erschien fast unter ihnen wie weiland Nestor im Heere der Hellenen. Diese Heiterkeit, diese Jugend, diese Sorglosigkeit entsprachen in ihrer gefälligen Art ganz und gar nicht den furchtbaren Prophezeiungen der Mönche, die seit sechs Monaten von der Kanzel herab die Franzosen als Ungeheuer verschrieen hatten, die bei Todesstrafe verpflichtet wären, alles niederzubrennen und aller Welt die Köpfe abzuschneiden, zu welchem Zwecke jedes Regiment gleich eine Guillotine mit sich führe. Man sah vielmehr den französischen Soldaten auf dem Lande vor den Türen der Bauernhäuser sitzen, damit beschäftigt, das Jüngste seiner Quartiergeber in den Schlaf zu wiegen. Allabendlich rief die Geige irgend eines Tambours das junge Volk aus dem Dorfe zu einem improvisierten Balle zusammen, bei dem die Soldaten den Lombardinnen ihre Kontretänze zu lehren versuchten, oder, wenn das allzu schwer hielt, sich von ihnen den Monferino, die Saltarella und andere italienische Tanzweisen beibringen ließen.
Die Offiziere waren, so weit es möglich war, bei reichen Leuten einquartiert worden; sie bedurften allerdings etwelcher Restaurierungen. So hatte zum Beispiel ein gewisser Leutnant namens Robert ein Quartierbillet in den Palast einer Marchesa del Dongo erhalten. Dieser Offizier, ein leichtlebiger junger Mann, besaß bei seinem Einzuge in den Palazzo del Dongo in Summa Summarum nicht mehr als ein Sechsfrankenstück, das ihm der liebe Himmel in Piacenza beschert hatte. Nach dem Übergange über die Brücke von Lodi hatte er einem totgeschossenen, eleganten österreichischen Offiziere ein paar prächtige, nagelneue Nankingpantalons abgenommen, und niemals war ein Kleidungsstück zu gelegenerer Zeit gekommen. Seine Offiziersepauletten waren nur von Wolle und das Tuch seines Waffenrockes war noch besonders an das Ärmelfutter angenäht, nur damit die Stücke noch zusammenhielten. Aber ein noch weit trauriger Umstand war zu verzeichnen: seine Schuhe waren nichts anderes als ein paar Stücke Filz von einem Soldatenhute, den er auf dem Schlachtfelde in der Nähe der Brücke von Lodi aufgelesen hatte, und diese Filzsohlen waren so sichtbar mit Bindfaden ans Oberleder geschnürt, daß der Haushofmeister des Hauses del Dongo, als er ins Zimmer des Herrn Leutnants trat, um ihn im Namen der Frau Marchesa zur Mittagstafel zu laden, in die tödlichste Bestürzung geriet. Der arme Robert und sein Bursche verbrachten die zwei Stunden bis zu dieser fatalen Mittagstafel damit, gemeinsam den Rock so gut als möglich zusammenzuflicken und die unglücklichen Bindfaden an den sogenannten Schuhen mit Tinte schwarz zu färben. Endlich schlug die gefürchtete Stunde. »In meinem ganzen Leben,« – erzählte mir der Leutnant Robert später –, »ist mir nie so miserabel zumute gewesen. Vielleicht dachten die Damen, ich wolle ihnen Angst einjagen, wo mir in Wirklichkeit doch das Herz mehr bebte wie ihnen. Ich blickte auf meine Schuhe und gab mir die größte Mühe, so graziös wie möglich zu gehen. Die Marchesa del Dongo war damals,« – fügte er hinzu, – »auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit. Sie haben ihre so schönen und engelsanften Augen und ihre hübschen Haare von jenem Dunkelblond, das das Oval ihres reizenden Gesichtes so gut hervorhob, selbst gekannt. In meinem Zimmer hatte ich eine Tochter der Herodias von Lionardo da Vinci, die ihr Porträt zu sein schien. Gott wollte, daß ich von ihrer übernatürlichen Schönheit so ergriffen wurde, daß ich meinen Anzug ganz vergaß. Seit zwei Jahren waren mir in den Gebirgen um Genua nur häßliche und elende Dinge vor die Augen gekommen.
»Ich wagte es, einige Worte über mein Entzücken an sie zu richten, hatte aber doch noch so viel gesunden Verstand, um mich nicht allzu lange bei dergleichen Komplimenten aufzuhalten. Während ich diese Phrasen zusammenstoppelte, gewahrte ich in einem Speisesaale ganz von Marmor ein Dutzend Lakaien und Kammerdiener, deren Livree mir damals als der Inbegriff von Pracht erschien. Stellen Sie sich vor, diese, Schlingel hatten nicht nur gute Schuhe, sondern sogar noch silberne Schnallen darauf. Ich bemerkte gar wohl, daß ihre dummstolzen Blicke alle auf meinen Rock und vorzüglich auf meine Schuhe gerichtet waren. Das gab mir Stiche durchs Herz. Es wäre mir ein Leichtes gewesen, diese Kerle mit einem einzigen Worte zu Paaren zu treiben, wie aber hätte ich das anfangen sollen, ohne Gefahr zu laufen, die Damen zu erschrecken; denn die Marchesa hatte, wie sie mir späterhin oft erzählte, die Schwester ihres Mannes, Gina del Dongo, die nachmalige scharmante Comtessa di Pietranera, aus der Klosterschule holen lassen, um sich selbst ein wenig Mut zu machen. Niemand auf der Welt übertraf sie im Glücke an Munterkeit und an Liebenswürdigkeit des Geistes, wie ihr auch niemand an Mut und Seelenheiterkeit im Unglücke gleichkam.
»Gina, die damals dreizehn Jahre alt sein mochte, aber wie achtzehnjährig aussah, lebhaft und offen, – wie Sie wissen – hatte so große Not, beim Anblick meines Kostüms nicht vor Lachen herauszuplatzen, daß sie sich kaum zu essen getraute; die Marchesa dagegen überhäufte mich mit erzwungenen Höflichkeiten; sie sah mir meine Verlegenheit und Ungeduld recht wohl an der Nase an. Mit einem Worte, ich spielte eine alberne Rolle, gab mir aber alle erdenkliche Mühe, meinen Ärger hinunterzuwürgen, was bekanntlich einem Franzosen unmöglich sein soll. Endlich gab mir der Himmel einen lichten Gedanken ein: ich fing an, den Damen unser in den Gebirgen um Genua herum ausgestandenes Elend zu erzählen, woselbst uns alte, blödsinnige Generale zwei ganze Jahre eingepfercht und man uns mit im Lande ungültigen Assignaten und drei Unzen Brot täglich abgefertigt hatte. Aber keine zwei Minuten hatte ich erzählt, als der guten Marchesa die Tränen in die Augen traten und Gina höchst ernsthaft wurde. »Wie, Herr Leutnant,« rief die letztere, »nur drei Unzen Brot täglich?«
»Gewiß, Signorina, vielmehr auch diese Portionen blieben dreimal die Woche ganz aus, und da die armen Gebirgsbewohner, bei denen wir in Quartier lagen, noch weniger zu beißen hatten als wir, so haben wir ihnen auch noch ein wenig von unserm Brot abgegeben.«
»Als wir vom Tische aufstanden, bot ich der Marchesa meinen Arm und führte sie bis an die Saaltüre, kehrte dann schnell um und gab dem Lakaien, der mich bei der Tafel bedient hatte, mein einziges Sechsfrankenstück, um das ich mir schon die herrlichsten Luftschlösser erträumt hatte.«
Acht Tage später, nachdem man sich sattsam überzeugt, daß wir Franzosen niemandem den Kopf abschnitten, kehrte auch der Marchese del Dongo aus seinem Schlosse Grianta am Comersee zurück, wohin er sich beim Anrücken unserer Armee tapfer geflüchtet hatte, ohne seine junge schöne Gemahlin und seine Schwester vor den Wechselfällen des Kriegs zu schützen. Der Haß dieses Herrn Marchese gegen uns war nur seiner Furcht zu vergleichen, das heißt: beide waren nicht zu messen. Nichts war komischer als der Ausdruck seines frommen, bleichen, gedunsenen Gesichts, wenn er sich zwingen wollte, mir Artigkeiten zu sagen.
»Am Tage nach jenem verwünschten Diner erhielt auch ich meinen Anteil von jenen sechs Millionen Kriegssteuer in Gestalt von drei Ellen Uniformtuch und zweihundert Franken; ich staffierte mich neu aus und ward nun der Kavalier meiner schönen Wirtinnen, denn die Feste begannen.«
Die Geschichte des Leutnants Robert war so ziemlich die aller Franzosen; statt über ihr Elend zu spötteln, bemitleidete man diese tapferen Krieger und liebte sie schließlich.
Diese Epoche von unerwartetem Glück und Freude dauerte nur zwei kurze Jahre, aber dieser Freudenrausch war so stark und so allgemein gewesen, daß er sich nur durch die tiefsinnige historische Bemerkung erklären läßt: die guten Mailänder hatten sich ein Jahrhundert hindurch gelangweilt.
Die allen südlichen Völkern eigentümliche Lebenslust und Sinnlichkeit hatte ehedem auch an den Höfen der Visconti und Sforza, jener berühmten Herzöge von Mailand, geherrscht. Aber seit dem Jahre 1624, wo sich die Spanier Mailands bemächtigt und zwar als schweigsame, argwöhnische, stolze Herrscher, die überall Aufruhr witterten, war die Freude und der Frohsinn verschwunden. Das Volk, das die Sitten ihrer Herrscher annahm, wurde vielmehr darauf bedacht, die kleinste Unbill mit einem Dolchstoß zu vergelten, als die Gegenwart zu genießen.
Vom 15. Mai 1796, dem Tage des Einzuges der französischen Armee in Mailand, bis zum April 1799, wo sie Mailand infolge der Schlacht von Cassano wieder räumen mußte, hatten die Mailänder sich einer so ausgelassenen Fröhlichkeit hingegeben, jeden ernsten oder überhaupt nur vernünftigen Gedanken so gänzlich verbannt, daß man sogar alte millionenreiche Kaufleute, Wucherer, Notare und dergleichen Leute anführen konnte, die während dieser Zwischenzeit ihr mürrisches unausstehliches Wesen ganz abgelegt hatten.
Höchstens waren es noch einige Familien des Hochadels, die sich auf ihre Landschlösser zurückzogen, wie um über die allgemeine Heiterkeit und das Erschließen aller Herzen zu grollen. Freilich muß man aber auch zugestehen, daß gerade diese Familien bei der Verteilung der ausgeschriebenen Kriegssteuern auf eine keineswegs erfreuliche Art ausgezeichnet worden waren.