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Raffael ist in Rom, was einst Herakles im heroischen Griechenland war; alles Große und Edle, was in der Malerei vollbracht worden ist, schreibt man jenem Heros zu. Sogar sein Leben, dessen Ereignisse so einfach sind, ist unklar und geheimnisvoll geworden, so sehr hat es die Bewunderung der Nachwelt mit seltsamen Zügen ausgeschmückt. Träumerisch durchstreife ich den hübschen Garten der Farnesina am Tiberufer; seine früchtebeladenen Orangenbäume erzählen mir vom Leben Raffaels, das angetan zu sein scheint, den Eindruck seiner Werke zu erweitern.
Geboren am Gründonnerstag 1473 ist er am nämlichen Tage des Jahres 1520 im Alter von siebenunddreißig Jahren gestorben. Der Zufall, einmal gerecht, hat in diesem so kurzen Leben anscheinend alle Arten von Glück vereint. Raffael besaß das Graziöse und die liebenswürdige Zurückhaltung des Hofmannes, ohne dabei Falschheit, ja kaum Vorsicht zu haben. Ein wirklicher einfacher Mensch wie Mozart, dachte er an keinen Mächtigen, sobald er außerhalb seines Gesichtskreises war. Er träumte nur von Schönheit und Liebe. Sein Onkel Bramante, der berühmte Baumeister, pflegte für ihn zu intrigieren. Raffaels früher Tod ist einer der größten Unglücksfälle, die die arme Menschheit betroffen haben.
Er wurde in Urbino geboren, einer kleinen malerischen Stadt in den Bergen zwischen Pesaro und Perugia. Man braucht nur die Landschaft dort anzuschauen, so weiß man, daß ihre Bewohner durch Geist und Lebhaftigkeit hervorragen müssen. Gegen 1480 standen die schönen Künste dort in Blüte.
Der erste Lehrer Raffaels war sein Vater, zweifellos nur ein leidlicher, aber ein gesunder Maler. Man betrachte die Verkündigung des Giovanni Santi in der Mailänder Brera. Neue Ideen gewann er, als er die Werke des Fra Carnevale kennen lernte, eines Malers, der bedeutender als sein Vater war. Er kam dann nach Perugia in die Werkstätte des Pietro Banuccia genannt Pietro Perugino. Bald war er imstande, Bilder zu malen, die vollkommen denen seines Lehrers glichen, nur daß die Züge seiner Köpfe weniger spießbürgerlich aussahen. Seine Frauen sind bereits schön, ihre Gesichter zeigen einen edlen Charakter, ohne hart zu sein. In der Brera zu Mailand findet man ein Meisterwerk aus Raffaels Jugend, die Vermählung Mariä, die von dem berühmten Longhi gestochen worden ist. Die zarte edle anmutsvolle Seele des jungen Malers begann den tiefen Respekt, den er noch für die Unterweisungen seines Lehrers hegte, zu überwinden. Vor der Revolution sah man in der Galerie des Herzogs von Orleans einen Christus mit dem Kreuze auf dem Gang nach Golgatha, ein reizvolles kleines Bild völlig gleichen Charakters. Raffael hat immer eine Scheu vor der Darstellung sehr bewegter Handlungen gehabt, wie sie von Diderot und anderen Literaten so geschätzt werden. Seine hohe Seele fühlte, daß die Malerei nur aus Notbehelf extreme Leidenschaften schildern darf.
Im Jahre 1504 kam Raffael nach Florenz, wo er unter anderen mit einem Genie der Malerei, Fra Bartolommeo della Porta befreundet wurde. Dieser Mönch unterwies ihn im Helldunkel. Im Jahre 1505 finden wir ihn in Perugia, wo er für die Kapelle des Klosters San Severo eine Freske malte. Aus dieser Zeit rührt auch seine Grablegung Christi in der Villa Borghese her.
Raffaels Werke aus den Jahren 1504 bis 1508 kennzeichnen den zweiten Abschnitt seiner Malweise, zum Beispiel die Madonna del Cardellino, die man in der Tribuna der Uffizien in Florenz bewundert.
Im Jahre 1508 kam Raffael von Florenz nach Rom, fünfundzwanzig Jahre alt. Welche Gefühle mußten beim Anblick der ewigen Stadt in seiner zarten edlen, das Schöne so liebenden Seele erstehen? Seine neuen Ideen und seine außergewöhnliche Milde gewannen ihm die Bewunderung des schrecklichen Julius des Zweiten, zu dem er nunmehr durch Bramantes Vermittlung in Beziehungen trat. Wie Canova ging dem großen Manne jeglicher Sinn für Intriguen ab. Die einzige Leidenschaft, die wir zu dieser Zeit in Raffael finden können, galt der Antike.
Er erhielt den Auftrag, die Stanzen des Vatikans zu malen. Kaum nach einem Monat blickte ganz Rom auf Raffael wie auf den größten Maler, den es je gegeben hat. Er wurde der Freund aller geistvollen Menschen seiner Zeit, unter denen sich ein großer Mann, Ariost und der Schriftsteller, der allein für sich die Opposition des Jahrhunderts von Leo dem Zehnten bildete, Aretin. Während Raffael die Stanzen malte, rief Julius der Zweite Michelangelo zu sich an seinen Hof.
Die Parteigänger des letzteren waren die einzigen Feinde Raffaels, ohne daß er der ihre war. Er hat wohl nie jemanden gehaßt; er gab sich viel zu sehr seiner Liebe und seinen Arbeiten hin. Was Michelangelo anbetrifft, so begriff dieser das Genie Raffaels keineswegs. Seine Rede war, dieser junge Mann sei ein Beispiel dafür, was das Studium ausmache. Genau so urteilte Corneille über Racine. Raffael hingegen war allezeit voll Achtung für jenen bewunderungswerten Mann, den ihm die Ränke des römischen Hofes zum Rivalen machten. Er dankte dem Schicksal, daß er im Zeitalter Michelangelos geboren war.
Raffael starb 1520, zwölf Jahre nach seiner Ankunft in Rom. Wir finden Porträts der Fornarina die die Veranlassung zu seinem Tode war, im Palast Barberini und in der Villa Borghese.Das zu zweit genannte Porträt ist nur eine Wiederholung des ersten (das sicher von Raffaels Hand herrührt) vielleicht von Sassoferrato Ihr Kopf zeigt einen großen Charakter: viel Freimütigkeit, Abscheu vor jeder Arglist und fast jene Urwüchsigkeit, wie man ihr im Viertel Travestere begegnet. Ihr Kopf hat ganz und gar nichts von der eleganten Ziererei, der Melancholie und der Schwäche, die das neunzehnte Jahrhundert in der Geliebten Raffaels finden will. Eher könnte man sie aus Rache häßlich nennen. Raffael hat sie treu und leidenschaftlich geliebt.
Das Gemälde, das Raffaels Talent am besten erkennen lehrt, ist die Disputa in den Stanzen des Vatikans. Nie wieder hat er mit dem großem Wunsche, etwas zu leisten, gearbeitet. Jung, eben erst in Rom angekommen, im Verkehr mit acht bis zehn berühmten, auf seine wachsende Berühmtheit eifersüchtigen Malern, hat er es höchst wahrscheinlich ganz selbständig gemalt.
Ein sehr berühmtes Bild ebenda, von dem im Louvre eine gute Kopie hängt, ist der Incendio del Borgo. Der Präsident Dupaty hat eine lebhafte Schilderung dieser Freske gegeben. Gegen die Mitte des neunten Jahrhunderts brach in den Gebäuden des Borgo Vaticano eine Feuersbrunst aus und bedrohte die Peterskirche. Leo der Vierte begab sich auf die loggia della benedizione, machte das Zeichen des Kreuzes und das Feuer verlöschte. Auf dem Bilde bemerkt man links im Hintergrunde die Fassade der alten Basilika von Sankt Peter. An diesem Gemälde stört uns die Wahrnehmung, daß eine Feuersbrunst und nicht das Wunder dargestellt ist. Nichts deutet an, daß das Feuer in dem Augenblick erlischt, wo der Papst das Zeichen des Kreuzes macht.
Verwirrung und Schrecken herrschen auf der Seite links vom Beschauer vor; auf der rechten denkt man bereits daran, Wasser herbeizuholen. Die Einzelheiten sind prächtig. Zur Rechten sieht man jene berühmte Gestalt: ein junges Mädchen, ein Gefäß voll Wasser auf dem Kopfe, das nach Hilfe ruft. Die antike Plastik hat nichts Besseres geschaffen. Welche Unnatürlichkeit würde man heutzutage in eine solche Gestalt im Vordergrunde legen!
Zur linken sieht der Beschauer einen jungen Mann, der einen Greis auf seinen Schultern trägt, offenbar seinen Vater. Dem jungen Menschen folgen Weib und Kind. Es ist Äneas, der den alten Anchises beim Brande von Troja rettet. Von der Höhe einer Mauer will sich ein Mann, der sich kaum noch mit den Fingerspitzen festhält, zum Erdboden herablassen.
Eine nackte Frau zeigt ihren Sohn seinem Vater, der die Arme ausbreitet, um ihn in Empfang zu nehmen.
Die Mitte des Vordergrundes dieses Gemäldes wird von einer Gruppe Frauen und Kinder ausgefüllt, lebhaften Bildern der Verwirrung, der Furcht und der Bestürzung. Eine dieser Frauen kniet, ihre Haare sind aufgelöst, mit zum Himmel erhobenen Händen erfleht sie Rettung von oben; eine andere drückt ihren kleinen Sohn gegen ihre Brust und blickt auf das Feuer; eine dritte treibt ihre Tochter, die kniet und die Hände gefaltet hat, an, den Papst um Hilfe anzugehen. Die vierte beschleunigt den Lauf ihrer Kinder, die vor Angst und Verwirrung nicht wissen, was sie tun sollen.
An diesen Gestalten sieht man, wie weit Raffael von dem heutigen Geschmacke, der die magere Schlankheit überschätzt, entfernt war. Offenbar glaubte Raffael, daß allein in kräftigen Körpern starke Leidenschaften und alle ihre Schattierungen, die das Lieblingsgebiet der Künste abgeben, Hausen könnten. Zweifellos kann auch ein schwacher gebrechlicher häßlicher Körper wie der Voltaires, den man in der Bibliothek des Instituts sieht, die leidenschaftlichste Seele bergen. Man kann sogar behaupten, daß die heftigen Leidenschaften naturgemäß dem Körper Spuren des Verfalls aufdrücken. Aber dieser betrübenden Wahrheit Ausdruck zu geben, ist die Kunst nicht imstande. In der Malerei muß ein leidenschaftliches Weib schön sein, zum mindesten nicht durch Mangel an Schönheit auffallen.
Um die Seelen auszudrücken, hat die Plastik nur die Form der Muskeln. Sie bedarf des Nackten. Die Malerei hat weitere Mittel in Farbe und Licht. Hier möchte ich wiederum Correggio nennen, von dem ich, wie mir meine Freunde vorwerfen, viel zu viel spreche. Die Behandlung des Lichtes, das Helldunkel, ist eine schwache Seite an Raffael. Dieser große Maler ist nie unnatürlich, nie verstößt er gegen den Geschmack, aber hinsichtlich des Helldunkels steht er nicht nur weit unter Correggio, sondern er erreicht nicht einmal das Können seines Freundes Fra Bartolommeo della Porta. Wenn man sich ferner des Martyriums der heiligen PetronillaIn der Galerie des Kapitols und der Aurora des Guercino erinnert, so sieht man, daß Raffael in genannter Beziehung auch viel schwächer als Guercino ist, der sonst im Vergleich zu jenem großen Meister nichts ist als ein einfacher Handwerker.