Stendhal (Henri Beyle)
Essays
Stendhal (Henri Beyle)

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Giotto.

(1267–1337.)

Cimabue war in der Darstellung des Stolzen und Schrecklichen recht glücklich gewesen. Sein Schüler Giotto war durch seine Natur dazu bestimmt, ein Maler der Grazien zu werden. Wenn Cimabue der Michelangelo jener Zeit ist, so ist Giotto ihr Raffael. Geboren auf dem Lande, unweit von Florenz, war er ein einfacher Schäfer. Während er seine Herde hütete, beobachtete ihn Cimabue, wie er eins seiner Schafe mit einem scharfen Stein auf ein Stück Schiefer zeichnete. Entzückt von dieser Zeichnung, erbat er sich ihn auf der Stelle von seinem Vater und nahm ihn mit nach Florenz. Er konnte sich damit schmeicheln, der Malerei einen echten Künstler geschenkt zu haben.

Zunächst ahmte der Hirt seinem Meister nach, den er sehr bald übertreffen sollte. Die Klosterväter besitzen eine Verkündigung, eins seiner frühesten Werke. Sein Genie schimmert darin bereits durch; der Stil ist noch trocken, aber man findet eine ganz neuartige Anmut.

Er war auch Bildhauer. Man weiß, welche Vorteile jede dieser beiden starkverwandten Künste der anderen bringt und wie sehr der Stil dessen gewinnt, der sie beide beherrscht. Es gab in Florenz antike Marmorwerke. Sie sind durch den Streit, den Niccolò und Giovanni Pisano darüber geführt haben, bekannt, und es ist höchst unwahrscheinlich, daß Giotto, dem die Natur ein so reges Gefühl für das Schöne gegeben hatte, sie übersehen konnte. Wenn man in seinen Bildern gewisse Männerköpfe in der Kraft des Alters, gewisse kräftige gedrungene Formen, die so verschieden von den kränklichen und übermäßig langen Gestalten der zeitgenössischen Maler sind, gewisse Haltungen, die nach dem Vorbild der Antike vornehme Ruhe und hoheitsvolle Zurückhaltung zeigen, sieht, kann man kaum anders als glauben, daß er die Antike gekannt hat. Woher hätte er seine seltene, natürliche, majestätische Manier im Faltenwurf? Sogar seine Fehler verraten die Quelle seines Könnens. Die Bologneser Schule hat von seinen Figuren gesagt, sie seien kopierte Statuen. Dieser Vorwurf, der auch der Mittelmäßigkeit einer ganzen großen modernen Richtung anhaftet, war damals das schmeichelhafteste Lob.

Die ersten Fresken, die er in Assisi neben denen seines Meisters malte, lassen erkennen, wie weit er ihn schon übertraf. Im Fortschritte dieses Werkes, daß das Leben des heiligen Franziskus darstellt, schreitet auch seine Kunst vorwärts. An den letzten Szenen dieses merkwürdigen Lebens beobachtet der Betrachter mit Vergnügen eine mannigfaltigere Zeichnung in den Gesichtszügen, sorgfältiger ausgeführte Hände und Füße, eine größere Lebendigkeit des Ausdrucks, sinnreichere Bewegungen der Gestalten, natürlichere Landschaften. Was an diesem Bilderzyklus besonders auffällt, das ist die Kunst der Komposition. In ihr machte Giotto täglich Fortschritte und ihn trotz seines frühen Jahrhunderts hierin zu übertreffen, scheint fast unmöglich. Ich bewundere ferner seine Kühnheit in der Behandlung der Nebendinge. Er zögerte nicht, in seinen Fresken die großen Architekturwerke anzubringen, die seine Zeitgenossen allerorts aufbauten, und dabei jene glänzenden blauen, roten und gelben Farben oder jenes leuchtende Weiß anzuwenden, die damals Mode waren. Er hatte das Gefühl für die Farbe.

Die Fresken in Assisi fesseln sowohl die Augen des Kenners wie die des Laien. Auf einer von ihnen befindet sich jener vom Durst verzehrte Mann, der an eine Quelle stürzt, die er sich zu Füßen entdeckt hat. Raffael, der Meister hierin, hätte dem Ausdrucke dieser Gestalt nichts hinzuzufügen gewußt. In der Unterkirche finden sich Anfänge einer allegorischen Malerei, an einem heiligen Franziskus, der sich vom Laster weg der Tugend zuwendet.

Die Gelehrten erkennen in jenen Fresken den Stil der Reliefs des Niccolò Pisano. Es ist ganz natürlich, daß Giotto sie studiert hat; und die Malerei, damals noch in den Kinderschuhen und noch nicht reif für die Perspektive und das Helldunkel, verlor gar nichts, wenn sie den Spuren ihrer Schwester nachging.

Um diesem seltenen Manne gerecht zu werden, muß man seine Vorgänger betrachten. Es gibt heute keinen Maler, der sich nicht unendlich erhaben über den armen Giotto fühlte. Und doch könnte dieser sehr wohl sagen:

»Wär' ich nicht, der ich so gering, ihr wäret nichts«.Bourfault.

Wenn sich heute ein Pariser Bürger einen Fiaker nimmt und ins Theater fährt, so ist er gewiß viel großartiger als der größte Grandseigneur am Hofe Franz des Ersten, der bei Regen und Wintersturm zu Pferd, seine Frau hinten auf der Kruppe, durch die ungepflasterten Straßen, auf denen der Schmutz fußhoch lag und die keine Laternen hatten, zu Hofe kam. Darf man aber daraus folgern, daß der Konnetabel von Montmorency oder der Admiral Bonnivet weniger bedeutende Menschen im Staate waren, als jenes Schneiderlein aus der Rue Saint-Denis?

Von seinen Zeitgenossen wurde Giotto grenzenlos bewundert, sein Name erklang in ganz Italien. Seine Bilder stellen Vorgänge aus den Evangelien dar, die er ohne Bedenken fast in der gleichen Weise an verschiedenen Orten wiederholte. Eine gewisse Symmetrie, ein Genuß für den kennerischen Liebhaber, und vor allem eine weniger steife Zeichnung und ein wärmeres Kolorit heben ihn über seine unbeholfenen Vorgänger gefällig empor. Ihre verdorrten Hände, ihre geschlossenen Füße, ihre unglücklichen Gesichter, ihre starren Augen, alle diese Reste byzantinischer Barbarei verschwinden mehr und mehr.

Ich finde, seine Werke gefallen um so mehr, je geringer sie im Umfange sind. So sind zum Beispiel die kleinen Figuren in der Sakristei des Vatikans höchst anmutige Miniaturen. Was vor allem der Kunst vor ihm fehlte, war gerade die Anmut. So barbarisch die Menschen sein mögen, das Schreckliche verstehen sie immer, weil sie wissen, was Leiden ist, aber um sie für das rein Anmutige zu fesseln, dazu müssen sie das Glück zu lieben kennen.

Giotto verstand es, Einzelheiten der Natur, die ernster Szenen an sich nicht würdig sind, trefflich darzustellen und brachte sie in ihnen an. So ist gerade die Natur.

Man kann sagen, er habe das Porträt erfunden. Unter anderen verdankt man ihm Bilder von Dante, seinem Freunde. Verschiedene Maler hatten ihn ähnlich zu malen versucht, aber ihm gelang es zuerst.

Er war Baumeister. Der berühmte Campanile in Florenz ist nach seinen Plänen errichtet. Es ist in der Tat ein sehr bemerkenswerter Turm. Nicht ohne gotische Anklänge, macht er ohne weiteres den Eindruck des Reichtums und der Eleganz. Er steht getrennt vom Dom und im verkehrsreichsten Teile der Stadt, ein Glück, das viele bewunderungswerte Baudenkmäler nicht haben.

Giotto war sein ganzes Leben lang auf der Wanderschaft. Kaum war er von Assisi zurück, als ihn Bonifacius der Achte nach Rom kommen ließ, wo er wiederum Gelegenheit hatte, die Antike zu sehen.

Als Avignon die Residenz der Päpste war, rief ihn Clemens der Fünfte nach Frankreich. Ehe er dahin ging, hielt er sich in Padua auf. Als er nach achtjähriger Abwesenheit nach Italien zurückkehrte, schienen sich die Fürsten, zum mindesten die, die ihn zur Rückkehr angeregt hatten, um ihn zu streiten. Jede Stadt hatte irgend eine mächtige Familie, die ehrgeizig nach der höchsten Gewalt strebte. Diese Familien zogen aus der Empfänglichkeit des Volkes ihren Nutzen und, indem sie ihre Vaterstadt verschönerten, suchten sie sie zu beherrschen. Diese Politik war es, die Giottos Laufbahn so glänzend gestaltete. Die Polentini von Ravenna, die Malatesti von Rimini, die Este von Ferrara, die Castruccio von Lucca die Visconti von Mailand, die Scala von Verona boten alles auf, um ihn einige Zeit in ihrem Dienste zu haben.

Giotto war der Mann, auf den das vierzehnte Jahrhundert blickte, wie das sechzehnte auf Raffael und das siebzehnte auf die Caracci. Man hat gesagt, das Erhabene sei die Sprache einer großen Seele. Mit mehr Wahrheit kann man sagen: Die Schönheit in der Kunst ist der Ausdruck der TugendenStendhal pflegt vertu im Sinne des lateinischen virtus zu verwenden. einer Gesellschaft.


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