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Vierzehntes Kapitel.
Zum zweiten mal nach dem Albert-Njansa.

Schwierigkeiten mit dem Stahlboot. – Verschlagenheit der Waldbewohner. – Gefangennahme von Zwergen und Beschreibung derselben. – Uebergang über den Ituri-Fluß. – Dr. Parke's Entzücken beim Verlassen des Waldes. – Lager bei Besse. – Witz der Sansibariten. – Wieder auf dem Nsera Kum Hügel. – Verkehr mit den Eingeborenen. – »Malleju« oder der »Bärtige«, die ersten Nachrichten von Emin. – Besuch Masamboni's und seiner Begleiter. – Jephson unterwirft sich der Ceremonie der Blutsbrüderschaft mit Masamboni. – Die Medicinmänner Nestor und Murabo. – Die Stämme des Kongo. – Besuch des Häuptlings Gavira. – Ein Wahuma-Häuptling. – Die Bavira- und Wahuma-Rassen. – Die verschiedenen Gesichtszüge in Afrika. – Freundschaft mit Mpinga. – Gavira und der Spiegel. – Das exponirte Usansa. – Ankunft in Kavalli. – Der Häuptling übergibt mir Malleju's Schreiben. – Emin's Brief. – Jephson und Parke bringen das Stahlboot nach dem See. – Abschrift meines durch Jephson an Emin gesandten Schreibens. – Freundschaftliche Besuche der Eingeborenen.

 

Am 2. April 1888 marschirten wir gegen Mittag, nachdem der Sprühregen aufgehört hatte, aus dem Fort, um zum zweiten mal den Versuch zu machen, den Pascha aufzufinden oder das ihn umgebende Schweigen zu durchdringen. Wir hatten das Stahlboot jetzt in seine 12 Abtheilungen zerlegt und entdeckten, da der Bug und das Heck ziemlich breit waren, sehr bald, daß wir unsere Aexte und Haumesser sehr viel würden gebrauchen müssen, um mit diesen Bootstheilen zwischen den Bäumen hindurchzukommen. Die mit Kisten, Ballen und Gepäck Beladenen der im Gänsemarsch marschirenden Karavane würden keine Schwierigkeiten finden; die schmälern, nur 61 cm breiten Theile konnten ohne Mühe durchpassiren, dagegen klemmten sich der pflugförmig gestaltete Steven und das Heck bald zwischen zwei kolossalen Bäumen ein, sodaß wir gezwungen waren, umzukehren und einen Umweg durch das Gebüsch zu machen, was nicht geschehen konnte, ohne zuvor einen Durchgang zu bahnen. Es wurde uns daher klar, daß unser zweiter Marsch durch den Wald nach dem Njansa einige Tage mehr in Anspruch nehmen würde.

Die Vorhut, welche den Pfad genau prüfte und alle krummen Wege und Schliche der Zwerge und Eingeborenen vollständig kannte, fand manche geschickt auf dem Wege verborgene Holzspitzen auf. An einzelnen Stellen waren sie zahlreich unter einigen Phryniumblättern oder am Fuße eines Baumstammes verborgen, über den der Wanderer wie über einen Steg hinwegschreiten konnte, um sich einen mit Widerhaken versehenen und mit dunkeln: Gift beschmierten Holzsplitter tief in den Fuß zu stoßen. Allein wir waren jetzt mit den Künsten der verschlagenen afrikanischen Waldbewohner wohlbekannt, und die Eingeborenen in der Erfindung von Mitteln nicht so geschickt, als daß sie neue Methoden zu unserer Belästigung und Störung gefunden hätten.

Unser nächster Rastplatz war das Zwergendorf an der Flußübergangsstelle, und am 4. April erreichten wir Indemwani. Am nächsten Tage marschirten wir bis zu einem andern Dorfe, wo es Saat Tato und einigen Gefährten beim Sammeln der Früchte in einem nahen Hain von Paradiesfeigenbäumen gelang, ein paar prächtige Exemplare der Zwerge gefangen zu nehmen. Wir bekamen 4 Frauen und 1 Knaben, bei denen ich zwei verschiedene Typen unterschied. Die eine gehörte offenbar derselben Rasse an, welche als Akka beschrieben werden, und hatte kleine, schlaue, tiefliegende und nahe zusammenstehende Affenaugen. Die vier andern besaßen große, runde, volle, vorstehende Augen, breite, runde Stirn und rundes Gesicht, kleine Hände und Füße, etwas vorstehende Kinnladen, wohlgeformte, wenn auch sehr kleine Figur und backsteinartige Farbe. »Halbgerösteter Kaffee«, »Chocolade«, »Cacao« und »Milchkaffee« sind Bezeichnungen, welche die Farbe nicht genau wiedergeben, vielmehr würde der gewöhnliche rothe Ziegelstein in halbgebranntem Zustande derjenigen des Körpers dieser kleinen Leute am besten entsprechen. Saat Tato meldete, daß etwa 20 von ihnen die Paradiesfeigen der Eingeborenen von Indepuja geplündert hätten, die vermuthlich nur durch das Gerücht von unserer Anwesenheit im Walde an der Vertheidigung ihres Eigenthums verhindert wurden. Das affenäugige Weib hatte ein Paar merkwürdige unheilverkündende Augen, über das Kinn hängende Lippen, vorstehenden Unterleib, schmalen, platten Brustkasten, hängende Schultern, lange Arme, stark einwärts gebogene Füße und sehr kurze Unterschenkel, wie sie dem lange gesuchten Gliede zwischen dem modernen Durchschnittsmenschen und seinen darwinistischen Vorfahren charakteristisch sein dürften. Sie verdiente entschieden als ein außerordentlich niedriger, entarteter und fast thierischer Typus menschlicher Wesen klassificirt zu werden. Von den übrigen war die eine offenbar Mutter, obwol sie das 17. Jahr noch nicht erreicht haben konnte. An den Proportionen ihrer Gliedmaßen war kein Fehler zu entdecken, die Hautfarbe war hell und gesund, die Augen waren glänzend, rund und groß; die Oberlippe zeigte den seltsamen Schnitt der Wambutti, den wir auch an dem Mädchen bei Ugarrowwa und der Frau des Häuptlings von Indekaru bemerkt hatten. Der obere Rand der Lippe biegt sich steil nach oben und fällt wieder senkrecht ab, sodaß die Linie einem geschickten Zickzackschnitt ähnelt, wobei die Haut gekräuselt ist, als hätte sie sich etwas zusammengezogen. Ich glaube dies als ein besonderes Charakteristikum der Wambutti bezeichnen zu können. Die Farbe der Lippen war blaßroth; die Hände waren klein, die Finger zierlich und lang, aber mager und runzelig, die Füße maßen 18 cm und die Größe betrug 1,32 m.

Die Proportionen dieser jugendlichen Mutter waren so regelmäßig, daß sie anfänglich wie eine sehr kleine Frau erschien, die infolge zu frühzeitigen geschlechtlichen Verkehrs oder eines andern zufälligen Umstandes im Wachsthum zurückgeblieben war; allein als wir einige unserer Sansibaritenknaben von 15-16 Jahren und eine Frau der ackerbautreibenden Eingeborenen neben sie stellten, sah doch jeder, daß diese kleinen Geschöpfe eine besondere Rasse bilden.

Drei Stunden hinter diesem großen Wambutti-Dorfe erreichten wir bei Sprühregen Barikunga.

Am 8. April kamen wir nach Indepessu und zwei Tage später wanderten wir in östlicher Richtung dem Fuße des Pisgah entlang auf einem neuen Pfade, welcher uns durch die kleinen Dörfer von Mande nach dem Ituri führte. Die Eingeborenen von Mande und den Abhängen des Pisgah waren sämmtlich mit ihrer beweglichen Habe geflohen und warteten in der Zuversicht, außer unserm Bereich zu sein, am linken Ufer des Flusses das Weitere ab. Als wir in Sicht des rechten Ufers kamen, war ich von der hellbraunen Masse der Krieger, die sich gegen die dunkelgrüne Vegetation im Hintergrunde scharf abhob, ganz überrascht. Wären sie von der Farbe der Sansibariten gewesen, so würden sie eine fast schwarze Masse gebildet haben, sie glichen jedoch an Farbe den aus ockerigem Thon bestehenden Ufern des Flusses. Sie schossen über den hier etwa 140 m breiten Strom Pfeile auf uns ab, von denen einige zu kurz fielen und andere mehrere Meter vorbeiflogen. Als wir dann unsererseits erwiderten, entstand eine allgemeine wilde Flucht. Anderthalb Stunden später war die Expedition mittels des Bootes am jenseitigen Ufer des Ituri, wo die Vorhut ein Päckchen reines einheimisches Salz im Gewicht von 5 kg auffand, das die Eingeborenen bei ihrer Flucht verloren hatten. Salz war ein uns sehr dringend nothwendiges Gewürz, und wir waren daher sehr erfreut über die Beute. Wir befanden uns nun im Gebiet der Bakuba in der Nähe von Kandekore, einer der reichsten Lichtungen im Walde des Oberkongobeckens. Am Uferrande befanden wir uns 915 m über dem Meeresspiegel.

Nach 3½ stündigem Marsche vom Ituri kamen wir aus dem Walde heraus; wiederum überraschte uns der Uebergang vom beständigen Zwielicht zum hellen Sonnenschein und blauen Himmel, und wir alle lächelten, als wir die Wirkung derselben auf die Nerven unsers sanften Freundes und Gefährten beobachteten, des ersten Sohnes Erins, der je die Grasländer dieser Gegend gesehen hat. Es war dies der 289. Tag, welchen Dr. Parke im Walde verlebt hatte, und die Wirkung dieses plötzlichen Heraustretens aus dem traurigen Schatten in den Anblick des von der grünen Erde bis zum hellen glänzenden Himmelsgewölbe erweiterten Panoramas machte ihn vor Entzücken zittern. Ein Champagnerfest hätte seine Wangen nicht tiefer färben können, als es die sich jetzt bietende aufheiternde Aussicht that.

Kurz bevor wir den Wald verließen, passirten wir auf unserm Wege eine Stelle, wo ein Elefantenspeer zu Boden gefallen war und sich so tief eingebohrt hatte, daß drei Mann nicht im Stande waren, ihn wieder herauszuziehen. Eine solche Kraft hätte nach unserer Ansicht einen Elefanten sofort tödten müssen.

Während ich nachmittags von unserm ersten Lager im Weideland eine Skizze des Berges Pisgah zeichnete, bemerkte ich, daß von Nordwesten her eine Wolke heranzog und den ganzen Wald jenseit des Berges mit ihrem tiefen Schatten bedeckte, während die wellenförmige Ebene noch von der glühenden Sonne beschienen wurde. Gleich darauf kam eine zweite Wolke von Südosten um das südliche Ende der Masamboni-Kette herum, welche immer weiter vordrang, sich über den blauen Himmel verbreitete und sich mit der Wolke über dem Walde vermischte, worauf es zu regnen begann.

In der Höhe von 975 m über dem Meeresspiegel liegt das Dorf Besse, 7 Stunden Marsch vom Ituri entfernt. Obwol es noch früh am Vormittage war, schlugen wir doch das Lager auf, da der Ueberfluß an völlig reifen Bananen, Mais, Geflügel, Zuckerrohr und Bananenwein gar zu verführerisch und die Entfernung nach den nächsten ostwärts gelegenen Dörfern uns nicht bekannt war. Während wir mit der Herstellung unserer Quartiere beschäftigt waren, fand ein ziemlich lebhaftes Scharmützel statt, bei welchem Fetteh, der einzige Dolmetscher bei den Stämmen der Ebene, oberhalb des Magens verwundet wurde. Die Babesse versuchten verschiedene Mittel, um uns zu belästigen, wobei sie durch das lange Gras begünstigt wurden; allein da wir an den Enden ihres Dorfes Scharfschützen postirt hatten, erkannten sie sehr bald, daß wir ihre Taktik durchschaut hatten, und verloren dadurch ihren Muth.

Durch Vermittelung eines Eingeborenen von Uganda hatten wir ein Gespräch mit einem der Dorfbewohner, der unter anderm sagte: »Wir sind vollständig überzeugt, daß ihr Schwarzen auch Geschöpfe seid wie wir, aber was ist es mit euern weißen Häuptlingen? Woher kommen sie?«

»O«, erwiderte unser Mann mit wunderbarer Bereitwilligkeit zum Lügen, »ihre Gesichter ändern sich mit der Geburt eines jeden Mondes; wenn der Mond voll ist, wird ihre Farbe so dunkel wie die unserige. Sie sind anders wie wir, da sie ursprünglich von oben herabkamen.«

»Ach, wahrhaftig, das muß wol so sein«, entgegnete der erstaunte Schwarze, während er aus Höflichkeit den vor Verwunderung weit aufgesperrten Mund mit der Hand bedeckte.

Je mehr wir von der Sprache dieser Eingeborenen verstanden, desto mehr wurden wir von der Gewißheit einer gemeinsamen Abstammung überzeugt. Wie konnten Leute wie diese je von etwas wie Witz gehört haben. Ein Sansibarite hatte einen Eingeborenen, der gegen ihn getaumelt war, ärgerlich gescholten:

»Einen solchen Narren wie du gibt es sicherlich nirgends mehr.«

Er fand aber mehr als seinen Mann, denn ich hörte, wie der Eingeborene mit wohlwollendem Lächeln erwiderte:

»Ja, du bist es, der allein die Weisheit besitzt.«

»Ah, aber du bist die Schlechtigkeit selbst.«

»Ich kann das nicht leugnen, denn alle Güte ist bei dir.«

Bei einer gewissen Klasse von Leuten ist es Gebrauch, daß, wenn jemand der Vorwurf gemacht wird, unartig gewesen zu sein, er dem Ankläger sagt, er sei ein Gentleman; man muß aber zugeben, daß diese Antwort des Afrikaners nicht weniger höflich ist.

Etwas östlich von Besse verloren wir den Eingeborenenpfad und waren deshalb gezwungen, uns quer durch das Land zu wenden und direct auf den Pic von Undussuma loszusteuern, der sich jetzt über der weiten Grasebene, welche sich in großen Wellen bis zu seinem Fuße ausdehnte, den Blicken zeigte. Die Sonne war furchtbar heiß, und da der Marsch meist durch hohes Gras führte, wurden wir sehr müde. Nachmittags erreichten wir eine bewaldete Vertiefung in der Nähe eines klaren kühlen Baches, der seinen Ursprung irgendwo an den Abhängen der noch ungefähr 8 km entfernten Undussuma-Kette hatte.

Am 14. April lagerten wir uns nach einem sechsstündigen Marsche auf dem Ausläufer des Nsera Kum-Hügels, wo wir dieselbe Gegend vor uns hatten, welche am 10. und 11. December der Schauplatz unserer Kämpfe mit Masamboni und seinen Stämmen gewesen war. Bis jetzt waren unsere Erfahrungen auf diesem Marsche ganz andere als damals. Wir sahen keine umherspringenden, frohlockenden Krieger und hörten keine einzige Drohung und kein Kriegsgeschrei; aber da wir hier einen Tag Rast zu machen beabsichtigten, mußten wir wissen, was wir zu erwarten hatten, und schickten daher unsern Uganda-Dolmetscher ab, um die Eingeborenen anzurufen, die auf den Gipfeln der entfernten Hügel saßen und auf uns herabblickten. Nach mehrern geduldigen Versuchen veranlaßten wir sie um 5 Uhr, herab und näher zu kommen, bis sie schließlich unser Lager betraten. Das weitere Verfahren zur Herstellung der Freundschaft war leicht. Wir konnten uns gegenseitig ins Antlitz sehen und wie in einem Buche lesen, was jeder von dem andern dachte. Wir tauschten dann gegenseitig unsere Ansichten aus, wobei sie erfuhren, daß wir weiter nichts als einen freien, unbelästigten Durchmarsch nach dem See wollten und nicht als Feinde, sondern als Fremde gekommen seien, die einen Rastplatz für die Nacht suchen und am nächsten Morgen ungestört den Weg fortsetzen wollen. Als Entschuldigung für ihr früheres Benehmen gaben sie an, man hätte ihnen versichert, wir seien Warasura, Soldaten des Königs Kabba-Rega, welche manchmal diese Gegend heimsuchten, das Land verwüsteten und das Vieh forttrieben.

Als wir uns gegenseitig davon überzeugt hatten, daß Freundschaft möglich sei und unser früheres Misverständniß die zukünftigen Beziehungen nicht beeinträchtigen sollte, ließen sie sich das Geheimniß unserer Anwesenheit erklären und erfuhren, daß wir nur unterwegs seien, um einen weißen Häuptling aufzusuchen, der vor Jahren irgendwo in der Nähe des Sees von Unjoro gewesen sein sollte. Ob sie je von einem solchen Manne gehört hätten?

Sie erwiderten eifrig: »Ungefähr zwei Monate nachdem ihr auf dem Rückwege vom Njansa wieder bei uns vorbei wäret, kam ein weißer Mann Namens Malleju oder der Bärtige in einem großen Kanoe ganz aus Eisen nach Katonsa.

»Mutter! wie schwamm dasselbe! Und in der Mitte desselben stand ein großer schwarzer Baum, aus welchem Rauch und Feuerfunken hervorkamen, und es waren viele fremde Leute an Bord, und es liefen Ziegen wie auf dem Dorfmarkt einher und waren Hühner in mit Stangen verschlossenen Kisten, und wir hörten auch die Hähne ebenso fröhlich krähen wie zwischen unsern Hirsefeldern. Malleju fragte mit tiefer, tiefer Stimme nach dir, seinem Bruder. Was Katonsa gesagt hat, wissen wir nicht, doch fuhr Malleju wieder fort mit seinem großen eisernen Kanoe, das so viel Rauch in die Luft steigen ließ, als wenn es in Brand stünde. Zweifelt nicht, ihr werdet ihn bald finden. Masamboni soll seine Läufer nach dem See schicken, und Katonsa wird morgen Abend die Ankunft von Malleju's Bruder erfahren.«

Das waren die ersten Mittheilungen, welche wir von Emin Pascha hörten. Ich hatte schon im Februar 1887 von Sansibar Boten ausgeschickt, um überall die Nachricht von unserm Kommen zu verbreiten und die Eingeborenen auf das plötzliche Herannahen von Fremden aus dem unbekannten Westen vorzubereiten. Hätte Emin Pascha, der uns am 15. December erwartete, sich nur die Mühe gemacht, seine Dampfer auf eine neunstündige Fahrt von Mswa auszuschicken, dann wären wir schon am 14. December mit seinen Leuten zusammengetroffen, hätten fünftägige Kämpfe erspart, nicht vier Monate Zeit verloren, und ich wäre am oder gegen den 15. März innerhalb der Palissaden von Jambuja gewesen, früh genug, um Barttelot vor dem Mörder, Jameson vor dem tödlichen Fieberanfall, Troup vor der Nothwendigkeit, als Invalide nach Hause gesandt zu werden, Wood vor seiner vollständig nutzlosen Mission nach San Paolo de Loanda und Bonny vor der Leidenszeit in Banalja zu bewahren.

Der nächste Tag war ein sehr schwerer für mich, da alles Sprechen mir zufiel und ich den ganzen Tag vom Morgengrauen bis zur Dunkelheit in meinem Armsessel gefangen gehalten wurde von Scharen von den Ackerbauern der Bavira und den Wahuma-Schäfern und -Hirten mit den Häuptlingen und Sklaven, Fürsten und Bauern, Kriegern und Weibern. Es wäre unpolitisch gewesen, mich aus dem dichten Kreise zu entfernen, welche die vereinigte Oligarchie und Demokratie von Undussuma um mich gebildet hatte. Was ich an Erfrischungen zu mir nahm, wurde mir über die Köpfe der fünf Mann hoch um mich herumstehenden Edlen und Knechte zugereicht. Mein Sessel stand in der Mitte, drei Schirmträger lösten sich einander ab; die Sonne vollendete ihren Lauf von Ost nach West; in den Mittagsstunden glühte sie mit der intensiven Hitze, welche man nur in den sonnverbrannten Wüsten kennt, von 3-5 Uhr röstete sie mir den Rücken, dann wurde es kühler, und bis die Kreise endlich bei der herannahenden, die Dunkelheit begleitenden Kühle sich lichteten und auflösten, war ich ein Märtyrer im Interesse der Brüderschaft der Menschen.

Zu sehr früher Stunde erschien Masamboni mit einer imposanten Schar von Begleitern vor der Seriba. Er wurde mit allen Beweisen der Hochachtung in die Mitte des Lagers geleitet, die Offiziere verbeugten sich höflich zu seiner Bewillkommnung, und die Sansibariten und Sudanesen, welche im December ihn und seine Legionen über die Hügel gejagt hatten, sahen so unschuldig aus, als hätten sie nie Fleisch gekostet, und lächelten ihm freundlich zu. Unter einem kleinen Baum wurden unsere besten Matten zur Bequemlichkeit des erhabenen Gastes ausgebreitet, und die Elefantenhörner ließen ihre sanftesten Töne erschallen und erinnerten mich an den kaiserlichen Hof à la Ramses des Autokraten von Uganda, Usoga und der Inselarchipele im Victoria-See. Nichts war unterlassen, was, wie die Erfahrung bei tausend Häuptlingen im dunkeln Afrika mir gezeigt hatte, erforderlich war, um die dunkeln Züge mit guter Laune, Vergnügen, Zufriedenheit und vollständigem Vertrauen aufzuhellen. Masamboni nahm jede Aufmerksamkeit als ein ihm zustehendes göttliches Recht entgegen und begrüßte uns weder mit einem Worte noch mit einem Lächeln. War der Mann taub und stumm? Nein, denn er sprach leise und kurz mit seinen Unterhäuptlingen, und seine Satelliten schrien es mit der Stimme von Ochsen weiter, als ob ich ein Hörrohr gebraucht hätte, um sie zu verstehen; die Töne betäubten mich, als ob sie mit einem Stabhammer hervorgebracht wären.

»Meine Freunde«, sagte ich, »der Kopf wird mir springen, wenn ihr in dieser Weise fortfahrt. Außerdem ist Weisheit, wie ihr wißt, kostbar. Weshalb soll die ganze Heerde die Staatspolitik hören?«

»Ja, wahrhaftig«, erwiderte ein Weiser, mit einem so weißen Barte, wie er dem Aeltesten des Raths zukam. Und nun senkte Nestor die Stimme und wiederholte mir geschwätzig die Geschichte des Landes, beschrieb, welche Wirkung das Herannahen der Colonne im December hervorgerufen habe, die hastigen Berathungen, welche sie abgehalten, die voreiligen Entschlüsse, die sie gefaßt hätten, und gestand zu, daß, als sie erfahren, daß sich weiße Männer unter den Fremden befänden, sie vermuthet hätten, daß sie mit den fortgesetzten Feindseligkeiten unrecht thäten, doch seien die jugendlichen Krieger zu ungestüm gewesen und hätten die Alten überstimmt. Als sie uns von dem Njansa hatten zurückkehren und friedlich nach dem Walde weiter marschiren sehen, hätten sie gewußt, daß die Warasura, wofür sie uns gehalten, niemals so rasch von ihrem eigenen See zurückgekehrt sein, sondern über den Semliki nach ihrem Lande gegangen sein würden. Und als sie dann gehört hätten, daß Malleju, der weiße Häuptling in dem eisernen Kanoe, nach uns gesucht habe, da seien sie überzeugt gewesen, daß sie sich vollständig geirrt gehabt hätten. »Aber das schadet nichts«, sagten wir, »die Fremden werden vom Kivira (Wald) zurückkehren und wir werden uns dann mit ihnen auseinandersetzen. Wenn sie unsere Freundschaft suchen, sollen sie sie haben und Masamboni's Blut sich mit dem ihres Häuptlings vermischen, und wir werden ein Volk sein. Und siehe da, ihr seid gekommen und die Träume unserer weisen Männer haben sich verwirklicht. Masamboni sitzt als Bruder an der Seite des weißen Häuptlings; laßt uns sehen, wie das Blut sich vermischt, und es soll nie wieder eine Wolke zwischen uns kommen, solange ihr im Lande seid. Was Masamboni gehört, ist dein, seine Krieger, Frauen, Kinder, das Land und alles, was darauf steht, gehören dir. Habe ich gut gesprochen, ihr Krieger?«

»Du hast gut und wahr gesprochen«, murmelte die Umgebung.

»Soll Masamboni ein Sohn Bula Matari's sein?«

»Ja.«

»Soll wahrer Frieden zwischen uns und den Fremden sein?«

»Ja«, ertönte der erregte Ruf der Menge.

Dann ergriffen Masamboni und mein Sohn, Herr Jephson, der sich freiwillig zu dem Opfer bereit erklärt hatte, sich gegenseitig kreuzweise über den gekreuzten Knien bei der rechten Hand, und der einheimische Professor der Medicin that einen leichten Schnitt in Jephson's Arm, bis derselbe vom Blute roth gefärbt war. Mein Professor des geheimen Ritualismus ließ das dunkelrothe Blut Masamboni's aus der Ader fließen, und als der Lebenssaft dann heraustropfte und an den Knien herabströmte, begann der weise Mann mit dem weißen Bart seine Beschwörungen und stieß, während er drohend die Zaubercalabasse mit den Kieselsteinen gegen die Kette des gegenüberliegenden Pic, den hufeisenförmigen Rücken unten in der Ebene sowie nach Osten und Westen des Thals schüttelte, von dem Gipfel des Nsera Kum seine fürchterlichen Verwünschungen aus, während seine Leute ihm mit offenem Munde zuhörten:

»Verflucht, wer sein beschworenes Gelübde bricht.

»Verflucht, wer im geheimen Haß nährt.

»Verflucht, wer seinem Freunde den Rücken wendet.

»Verflucht, wer am Tage des Krieges seinen Bruder verleugnet.

»Verflucht, wer seinem Freunde, dessen Blut mit seinem eigenen eins geworden ist, Böses räth!«

»Möge die Krätze ihn zum Schreckbild machen und sein Haupthaar durch die Räude verloren gehen; möge die Natter ihn auf seinem Pfade erwarten und der Löwe ihm auf dem Wege begegnen; möge der Leopard in der Nacht sein Haus belagern und sein Weib ergreifen, wenn es Wasser vom Brunnen holt; möge der Pfeil mit seinen Widerhaken ihm in die Eingeweide dringen und der scharfe Speer sich in seinem Leibe färben; möge Krankheit seine Kräfte verzehren und seine Zeit durch Leiden verkürzt werden; mögen seine Beine ihm am Tage des Kampfes fehlen und seine Arme durch Krämpfe steif werden.« In solcher Weise ging es weiter, bis er jedes Uebel und die gefürchtetsten Krankheiten angerufen hatte. Nunmehr ergriff unser sansibaritischer Professor des geheimen Ritualismus, der anfänglich durch die von Nestor mit solcher Redseligkeit herausgestoßene Reihe von Flüchen einigermaßen verwirrt gewesen war, seine Zaubercalabasse und schüttelte sie mit fürchterlicher Feierlichkeit gegen die Berge und das Thal, gegen den Kopf Masamboni's, gegen den Nestor und das von Ehrfurcht erfüllte Gefolge ringsum und übertraf in seinem hartnäckigen Ehrgeiz selbst den Nestor noch an Wuth, Stimme und Gesten; im Einklang hiermit rollte er wild die Augen und es trat ihm Schaum auf die Lippen. Er rief jede Pestilenz an, daß sie das Land und seine Producte befalle, jede seinen Landsleuten bekannte Kraft, daß sie Masamboni auf ewig verfolge, jeden dunkeln, mächtigen Geist aus der Hölle der bösen Einbildung, daß er ihn im Wachen und Schlafen quälen möge. Schließlich wurden seine Geberden so phantastisch, seine Flüche so fürchterlich und seine Blicke denen eines vom Teufel Besessenen so ähnlich, daß alle, Eingeborene und Sansibariten, in ein unwiderstehliches Gelächter ausbrachen, welches Murabo, unsern »Medicinmann«, veranlaßte, sofort sich zu ernüchtern und mit affectirtem Kopfschütteln auf Kisuaheli zu uns zu sagen: »Ja, Meister, wie gefällt euch diese Probe hoher Schauspielkunst?«, was mich ganz an Hamlet erinnerte, der den Laertes in bombastischem Geschwätz noch überbietet.

Obwol Masamboni unzweifelhaft der oberste Häuptling von Undussuma ist, scheint er doch durch eine ungeschriebene Verfassung sich leiten zu lassen. Die Minister sind seine hervorragendsten Verwandten, die in seiner Gegenwart sogar die äußere und innere Politik berathen, sodaß seine Stimme bei Regierungsangelegenheiten selten gehört wird. Den größten Theil der Zeit saß er schweigsam und zurückhaltend, man könnte fast sagen gleichgültig da. Dieser unverfälschte afrikanische Häuptling hat also – ob durch Ueberlegung oder traditionelle Gewohnheit, ist schwer zu sagen – entdeckt, daß es am besten ist, die Regierung zu theilen. Rührt das Princip aus der Gewohnheit her, so beweist das, daß die tausend Stämme des Kongobeckens vom Albert-Njansa bis hinab zum Atlantischen Ocean von einem Stamme, einem Volke, einer Familie herzuleiten sind. Die Aehnlichkeit auch noch anderer Gebräuche, der Gesichtszüge und der Wurzelwörter der Sprachen verstärken die Kraft der Beweise für diese Thatsache.

siehe Bildunterschrift

Ein Krieger Masamboni's

Wir fanden, daß die Häuptlinge sowol wie die geringem Leute unverschämte Bettler und von einer zu großen Habgier sind, um eine generöse That anzuerkennen. Obwol alle den Frieden eifrig erstrebten, schien dessen Annahme für sie doch weiter nichts zu sein, als das Mittel, sich mit den Geschenken der Fremden zu bereichern. Selbst nach der langen Arbeit dieses Tages vermochten wir Masamboni nicht zu veranlassen, mehr als ein Kalb und fünf Ziegen als Gegengeschenk für eine Decke im Werthe von 210 Mark, ein Bund Messingdraht und Elfenbeinhörner aus dem Walde herzugeben. Der Häuptling von Urumangua und Buessa, dessen blühende Niederlassung uns im December in so großes Erstaunen versetzt hatte, glaubte ebenfalls höchst freigebig zu sein, als er uns mit einem Ziegenböckchen und zwei Hühnern beschenkte.

Unter unsern heutigen Besuchern befanden sich auch Gavira, der Häuptling von Ost-Bavira, der uns von einem Hügel zugerufen hatte, das Land würde uns bei der Rückkehr vom See zu Füßen liegen, sowie auch ein Wahuma-Häuptling, welcher ganz unverfroren den prächtigen scharlachrothen Stoff trug, um den wir im December zur Erkaufung des Friedens gestraft worden waren. Er erbot sich nicht einmal zu einem uns so lange vorenthaltenen Gegengeschenk.

Wir fanden ferner, daß in dieser Gegend zwei verschiedene und sich deutlich voneinander unterscheidende Rassen in vollständiger Harmonie miteinander leben, von denen die eine offenbar indo-afrikanischer Abstammung ist, da sie äußerst feine Züge, Adlernase, schlanken Nacken, kleinen Kopf und vornehmes, stolzes Auftreten besitzt. Es ist dies eine uralte Rasse, die glänzende Ueberlieferungen hat und von der unbeugsamen Sitte geleitet wird, von der es kein Abweichen gibt. Obwol die meisten von ihnen eine nußbraune und einige sogar eine tief dunkelbraune Hautfarbe haben, gleichen die reinsten ihrer Rasse an Farbe doch dem alten Elfenbein und haben eine Haut, welche sich so wundervoll weich anfühlt wie der schönste Atlas. Sie beschränken sich einzig und allein auf Rindviehzucht und sind voll hochmüthiger Verachtung gegen die mit dem Karst arbeitenden Bavira, die sich nur mit Ackerbau beschäftigen. Kein hochmüthiges Herzöglein in England könnte mit ausgesprochenerer Verachtung auf einen Armen herabsehen, als die Wahuma auf die Bavira. Sie leben wol im Lande der letztern, aber nicht in ihren Dörfern, tauschen ihre Molkereierzeugnisse gegen das Getreide und die Gemüse der Ackerbauer aus, geben aber ihre Töchter nur einem geborenen Mhuma zur Frau. Ihre Söhne können Kinder von den Bavirafrauen haben, aber das ist auch das weitestgehende Zugeständniß. Darin liegt auch das wahre Geheimniß der verschiedenen Physiognomien und die Erklärung für deren Mannichfaltigkeit.

Die echte Negerphysiognomie finden wir in den fernen Gebieten Westafrikas, mit denen diese stolze zur höchsten Kaste gehörende Rasse viele Jahrhunderte hindurch unmöglich in Berührung gekommen sein kann; wir haben ferner die unvermischten Rassen des Waldes, die Akkas, Wambutti, Watua und Buschmänner, von denen die Wambutti bei weitem die hübschesten sind; die Zulus, Mafiti, Watuta, Wahha, Warundi, Wanja-Ruanda, welche Halbäthiopier sind; wir haben endlich die Aethiopier, die, außer in den aristokratischen Familien, etwas entartet sind, wie die Wahuma oder, wie sie auch genannt werden, Waima, Watschwesi, Wawitu und die Wataturu, welche zwei Menschenströme repräsentiren, von denen der eine von Aethiopien durch die südöstlichen Gallagebiete nach Unjoro und den hochgelegenen Weideländern am See gekommen und der andere direct nach Süden sich ergossen hat. Der Victoria-See liegt zwischen diesen Abtheilungen der hauptsächlichsten Bewohner Afrikas.

Ein Bavira-Häuptling beklagte sich mir gegenüber über die hochmüthige Verachtung, mit der die Bavira von den Wahuma angesehen werden, in etwa folgender Weise: »Sie nennen uns Bauern und verspotten die nüchterne Regelmäßigkeit, in welcher wir, den dunkeln Boden bebauend, unser Leben mit ehrlicher Arbeit verbringen. Sie schweifen zum Fourragiren umher und kennen keine Liebe zu einer festen Heimat; sie lassen sich nieder, wo sie durch das Weideland dazu veranlaßt werden, und bauen, sobald dort Mangel entsteht, ihr Haus an einem andern Orte.«

Doch zurück zu meiner Geschichte, da ich diesen Gegenstand später in einem besondern Kapitel behandeln muß. Am 16. April marschirten wir, von Masamboni mit 12 Führern versehen, escortirt von Gavira und 50 Kriegern, begleitet von einer langen Reihe unserer neuen Freunde, die sich der Nachhut angeschlossen hatten, und unterstützt von mehr als hundert Trägern, nach dem Gebiete Gavira's, dem Dorfe auf dem nackten Hügel, wo wir am 12. December nach einem Tage fürchterlicher Aufregung uns gelagert hatten. Wir bildeten jetzt eine friedliche Procession, die etwas Triumphmäßiges an sich hatte, denn in jedem Dorfe, welches wir passirten, kamen die Krieger heraus und riefen uns freundliche Begrüßungsworte zu, während in Mukukuru, dem uns bereits bekannten Dorfe, die Frauen uns mit lu-lu-lu empfingen. Von dieser Niederlassung in Usansa hatten wir einen weiten Ausblick, der ostwärts bis zum obern Rande des auf die Einsenkung des Albert-Sees herabschanenden Hochlandes und nach Westen bis zu dem sechs Tagemärsche entfernten Pisgah reichte; nordwärts sah man bis zu den Kegeln von Bemberri, südwärts stiegen in der Entfernung von l½ die Hügel der Balegga auf.

Der Häuptling der Bavira ist unter dem Namen Gavira, einem erblichen Titel, bekannt, obgleich er eigentlich Mpinga heißt; er war ein fröhlicher kleiner Mann, aber geizig und, wenn er nicht im Staatsrath beschäftigt war, geschwätzig. Er und sein Stamm bettelten in ähnlicher Weise um unsere Freundschaft, wie dies bei Masamboni geschehen war, und wir waren nicht abgeneigt, ihm dieselbe zu gewähren, aber unter der Bedingung, daß er sich der Expedition auf ihren Märschen durch sein Land gastfrei erweisen müsse. Da wir bei Masamboni einen Tag halt gemacht hatten, mußten wir nothwendigerweise Gavira die gleiche Ehre erzeigen, und da sein Dorf nur zwei kurze und einen langen Tagemarsch vom Njansa entfernt war, so erklärten wir uns einverstanden.

Abends kamen zwei Boten von Mbiassi aus dem Stamme der Babiassi, dem Häuptling des Districts von Kavalli, der sich in einem breiten Streifen bis zum Njansa ausdehnt. Sie theilten mir mit, ihr Häuptling besäße ein mit dunkelm Stoff umhülltes kleines Packet für mich, welches ihm von Mpigua aus Njamsassi gegeben worden sei, der es von einem ihnen als Malleju bekannten weißen Manne erhalten habe.

Am nächsten Tage waren wir von Hunderten freundlicher Leute umgeben, die uns nicht genug betrachten zu können schienen. Sie hockten deshalb gemächlich nieder und beobachteten in aller Ruhe unsere Bewegungen; die Jüngern wurden von den Alten ausgeschickt, um Brennmaterial und süße Kartoffeln für uns zu holen und Hirse ins Lager zu bringen. Gegen kleine Geschenke leisteten sie den Sansibariten beim Bau der Hütten die unterthänigsten Dienste, schleppten Wasser herzu und zerrieben die Hirsekörner zu Mehl, während unsere Leute zufrieden daneben saßen und sie mit einem freundlichen Nicken, einem gütigen Lächeln, einem kleinen Gegenstand aus Eisen, einigen Glasperlen, einem oder zwei Kauris oder einer messingenen Armspange zu harter Arbeit ermuthigten. Jeder von ihnen hatte sich einen warmherzigen und scharfsinnigen Bruder erkoren, und die Eingeborenen, abgesehen vom Kochen, zu allen Vorrechten enger Freundschaft zugelassen.

Nachmittags wurde der Häuptling Gavira, mit einem prächtigen scharlachrothen Stoffe bester Qualität bekleidet, im Lager umhergeführt, wo unsere Anführer ihm alle Ehren erwiesen und ihn unter lauter Anerkennung seiner guten Gesinnung in die verschiedenen Hütten einführten. Später zeigten wir ihm einen Handspiegel, über welchen er und seine ältern Begleiter in außerordentliche Verwunderung und Furcht geriethen. Als sie ihre eigenen Gesichter sich widerspiegeln sahen, glaubten sie, daß ein feindlicher Stamm aus der Erde gegen sie vordringe, und liefen davon, um sich in sichere Entfernung zu bringen, blieben aber instinctiv stehen, als sie bemerkten, daß wir uns nicht rührten. Dann kamen sie auf den Fußspitzen zurück, als wenn sie fragen wollten, was das für eine plötzliche Vision wol gewesen sein könnte; der Spiegel war nämlich mit der Kehrseite nach oben in den Kasten gefallen. Als Antwort auf ihre stumme Frage öffneten wir denselben aber wieder, und nun blickten sie fest hinein. Dann flüsterte einer dem andern zu: »Ah, die Gesichter sehen wie unsere aus!« Nunmehr erklärten wir ihnen, daß das, was sie sähen, das Spiegelbild ihrer eigenen außerordentlich einnehmenden Züge sei, bei welchem Compliment Mpinga vor Stolz dunkel erglühte. Als wir sahen, daß wir ihm den Spiegel anvertrauen konnten, ohne seine Nerven zu erschüttern, gaben wir ihm denselben in die Hand, und es war amüsant zu sehen, wie rasch die persönliche Eitelkeit wuchs. Seine ältern Begleiter drängten und gruppirten sich um ihn und bemerkten sämmtlich mit großem Vergnügen, wie wahr der Spiegel die Merkmale jedes einzelnen Gesichts wiedergab. »Sieh die Narbe, sie ist ganz genau so; aber sieh doch und sieh doch deine breite Nase, Mpinga, o, das ist ganz richtig! Ja, und sieh die große Feder, sie schwankt wirklich! Es ist zu wundervoll! Woraus kann es gemacht sein? Es sieht aus wie Wasser, ist aber nicht weich; und auf dem Rücken sieht es schwarz aus. Ah, wir haben aber heute ein Ding gesehen, das unsere Väter nie sahen, ah?«

An Usansa, das jedem Windstoß aus jeder Himmelsrichtung offen ist, werden wir uns noch lange erinnern. Als die Sonne unterging, wehte vom See her ein kalter Wind, der uns scharf mitnahm, da wir an die gleichmäßige Temperatur des Waldes gewöhnt und sehr schlecht mit Kleidung versehen waren. Einer der Offiziere bewaffnete sich mit seinem Regenrock, ein anderer zog den großen Ueberrock an, allein nichtsdestoweniger drang der Wind bis aufs Mark durch, und da es sonst nirgends warm war, als in den behaglichen bienenkorbartigen Hütten der Bavira, so zogen wir uns in diese zurück.

Anstatt unsern ersten Weg nach dem See zu verfolgen, wandten wir uns nordostwärts nach dem Dorfe Kavalli, wo das geheimnißvolle Packet sein sollte. Das Gras war von den zahlreichen Viehheerden kurz abgefressen, bedeckte aber die ganze Lichtung und sah einem Rasen ähnlich, außer in den im Laufe der Jahrhunderte durch den Regen ausgehöhlten kleinen Cañons.

Beim Marsche durch das lachende Land, überall begrüßt, angerufen und bewillkommnet von den freundlichen Eingeborenen, konnten wir nicht umhin, daran zu denken, wie verschieden dies jetzt war gegen die Tage, als wir durch die lärmenden Bataillone der Bavira, Babiassi und Balegga drangen, als die Eingeborenen ihre Nachbarn aufreizten, schimpften und schrien, die zahlreichen hochgeschwungenen Sperre im Lichte der Sonne blitzten und die meterlangen Pfeile zu unserm Empfange durch die Lüfte schwirrten, während wir jetzt thatsächlich 157 Bavira als Vorhut vor uns und ebenso viel als Nachhut hinter uns hatten und unsere 90 Lasten unter freiwillige Träger vertheilt waren, welche es als eine Ehre ansahen, jetzt denselben Leuten zu dienen, gegen welche sie einige Monate vorher so unbarmherzig angestürmt waren.

siehe Bildunterschrift

Kavalli, Häuptling der Babiassi.

Bald nach der Ankunft der jetzt sehr zahlreichen Colonne vor der dornigen Seriba von Kavalli erschien der Häuptling, ein hübscher junger Mhuma mit regelmäßigen Zügen, von hoher, schlanker Gestalt und wunderbar gemessenem Benehmen, um uns die Stelle zu zeigen, wo wir das Lager aufschlagen könnten. Denen, welche sich des Schutzes des Dorfes bedienen wollten, wurde dies gern gestattet. Als ich ihn nach dem von Malleju erhaltenen Packete fragte, zog er es hervor und gab es mir, wobei er bemerkte, in dem ganzen Lande hätten nur seine beiden jungen Leute gewußt, daß er es besessen habe; ganz besorgt fragte er, ob er es nicht ausgezeichnet gemacht habe, das Packet so geheimzuhalten.

Nachdem ich die aus amerikanischem Oeltuch bestehende Umhüllung gelüftet hatte, fand ich folgenden Brief:

Geehrter Herr!

Da das Gerücht verbreitet ist, daß Weiße irgendwo im Süden dieses Sees erschienen seien, bin ich hierher gekommen, um Nachrichten einzuziehen. Eine Reise nach dem entferntesten Ende des Sees, das ich mit dem Dampfer erreichen konnte, ist vergeblich gewesen, da die Bevölkerung in großer Furcht vor den Leuten Kabba-Rega's ist und ihre Häuptlinge angewiesen sind, alles zu verheimlichen, was sie irgendwie wissen.

Heute ist aber von dem Häuptling Mpigua in Njamsassi ein Mann eingetroffen, welcher mir berichtet, eine Frau des genannten Häuptlings habe Sie in ihrem Geburtsorte Undussuma gesehen, und der Häuptling habe sich freiwillig bereit erklärt, Ihnen ein Schreiben von mir zu übersenden. Ich schicke daher einen unserer Verbündeten, den Häuptling Mogo, mit dem Boten zu dem Häuptling Mpigua und lasse ihn bitten, Mogo und diesen Brief, sowie ein arabisches Schreiben an Sie zu senden oder Mogo zurückzubehalten und den Brief allein abzuschicken.

Haben Sie die Güte und bleiben Sie wo Sie sind, wenn dieses Schreiben Sie erreicht, und theilen Sie mir brieflich oder durch einen Ihrer Leute Ihre Wünsche mit. Ich könnte leicht zu dem Häuptling Mpigua kommen und mein Dampfer und meine Boote würden Sie hierher bringen. Bei der Ankunft Ihres Briefes oder Ihres Boten werde ich sofort nach Njamsassi aufbrechen, und von dort könnten wir unsere weitern Pläne verabreden.

Hüten Sie sich vor den Leuten Kabba-Rega's! Er hat Kapitän Casati fortgejagt.

Betrachten Sie mich, geehrter Herr, als Ihren ganz ergebenen
Dr. Emin.

Tunguru (Albert-See), 25.3. 88. 8 Uhr abends. Als ich nach meiner Rückkehr das Schreiben las, welches Emin Pascha unter dem 25. März 1888, dem gleichen Datum, an dem der vorstehende Brief geschrieben ist, an den Herausgeber von »Petermann's Mittheilungen« (vgl. 1890, Heft 4, der in Gotha erscheinenden geographischen Zeitschrift) gerichtet hat und das mit den bedeutsamen Worten schließt: »Kommt Stanley nicht bald, so sind wir verloren«, stiegen mir ganz seltsame Gedanken auf, welche der verständige Leser unschwer errathen wird. Glücklicherweise hatte der Pascha sein Geheimniß aber bewahrt, bis ich so weit von Bagamoyo entfernt war, daß ich ihn persönlich nicht mehr befragen konnte, was seine Beweggründe dafür gewesen seien, daß er am 14. December 1887, dem Tage, an welchem er uns erwartete, nicht nach Kavalli gekommen, sondern nach diesem Datum noch 2½ Monate ruhig in seinen Stationen geblieben und dann am selben Tage zwei solche Briefe, wie der vorstehende und derjenige an »Petermann's Mittheilungen«, geschrieben hat.

Als ich den Brief unsern Leuten übersetzte, wurden sie ganz rasend vor Enthusiasmus, und die Eingeborenen von Kavalli waren, wenn sie ihrer Freude auch nicht in so lärmender Weise Ausdruck gaben, nicht weniger erregt, als sie bemerkten, daß das mit so eifersüchtiger Sorgfalt behütete Packet die Ursache dieses Glückes war.

Von vielen Häuptlingen wurden uns unentgeltlich Lebensmittel gebracht, und ich beauftragte Mbiassi, auch den umliegenden Districten mitzutheilen, daß wir gern eine Beisteuer von jedem Stamm und jeder Abtheilung entgegennehmen würden.

Am 20. April sandte ich Jephson und Dr. Parke mit 50 Gewehrträgern und zwei eingeborenen Führern aus Kavalli ab, um das Stahlboot »Advance« nach dem Albert-See hinabzuschaffen. Von den Führern erfuhr ich, daß Mswa gar nicht weit entfernt sei; mit dem Boote könne man in einer zweitägigen Segelfahrt längs des westlichen Ufers dort sein. Herrn Jephson übergab ich folgenden Brief an Emin Pascha:

18. April 1888.

Geehrter Herr!

Ihr Schreiben wurde mir vorgestern von dem Häuptling Mbiassi aus Kavalli (auf dem Plateau) ausgehändigt und hat uns allen große Freude bereitet.

Von Sansibar aus hatte ich Ihnen durch nach Uganda gehende Träger ein langes Schreiben gesandt, welches Ihnen von meiner Mission und meinen Absichten Mittheilung machte. Für den Fall, daß Sie dasselbe nicht erhalten haben sollten, wiederhole ich hier in Kürze seinen Hauptinhalt. Es benachrichtigte Sie zunächst, daß ich gemäß der vom Entsatzcomité in London erhaltenen Instructionen eine Expedition zu Ihrem Entsatze befehlige. Die eine Hälfte der erforderlichen Mittel war von der ägyptischen Regierung, die andere von einigen Ihrer Freunde in England gezeichnet worden.

Dies Schreiben theilte Ihnen auch mit, daß die Instructionen der ägyptischen Regierung dahin lauteten, Sie aus Afrika zu geleiten, wenn Sie dasselbe zu verlassen wünschten; wenn nicht, sollte ich diejenige Munition, welche wir für Sie mitgebracht hatten, zurücklassen, und Sie und Ihre Leute sollten sich als nicht mehr in ägyptischen Diensten befindlich betrachten und Ihr Gehalt nach Ankündigung Ihres Entschlusses aufhören. Waren Sie gewillt, Afrika zu verlassen, so sollte Ihr Gehalt, sowie dasjenige Ihrer Offiziere und Mannschaften fortgezahlt werden, bis Sie in Aegypten gelandet seien.

Es benachrichtigte Sie ferner, daß Sie vom Bey zum Pascha befördert worden seien.

Es theilte Ihnen auch mit, daß ich wegen der Feindseligkeit Uganda's und aus politischen Gründen mich Ihnen über den Kongo nähern und Kavalli zu meinem Zielpunkte machen würde.

Aus der vollständigen Unkenntniß der Eingeborenen von Kavalli über Sie und da sie nur von dem Besuche Mason's wissen, der vor zehn Jahren stattgefunden hat, schließe ich, daß Sie mein Schreiben nicht erhalten haben.

Ich traf nach einigen verzweifelten Kämpfen zuerst am 14. December hier ein. Wir blieben zwei Tage in der Nähe von Kavalli am See und fragten jeden Eingeborenen, dem wir nahe kommen konnten, ob er etwas von Ihnen wisse, erhielten aber stets eine verneinende Antwort. Da wir unser Boot einen Monatsmarsch hinter uns zurückgelassen hatten, und weder durch ehrlichen Kauf noch mit Gewalt ein Kanoe bekommen konnten, so beschlossen wir umzukehren, unser Boot zu holen und nach dem Njansa zu transportiren. Das haben wir gethan und inzwischen auch 15 Tagemärsche von hier ein kleines Fort gebaut, um die Waaren, welche wir nicht tragen konnten, dort zu lagern, und sind dann mit dem Boot zum zweiten mal hierher marschirt, um Ihnen zum Entsatz zu verhelfen. Diesmal haben die gewaltthätigsten Eingeborenen uns mit offenen Armen empfangen und uns zu Hunderten auf dem Wege begleitet. Das Land ist jetzt von Njamsassi bis nach unserm Fort für einen friedlichen Marsch offen.

Ich warte jetzt in Njamsassi auf Ihre Entscheidung. Da es auf der Njansa-Ebene schwer hält, für unsere Leute Proviant zu erlangen, werden wir hoffentlich nicht lange darauf warten müssen. Auf dem Plateau über uns herrscht Ueberfluß an Lebensmitteln und Vieh, aber auf der an den Njansa grenzenden untern Ebene sind die Leute meist Fischer.

Wenn dieses Schreiben Sie erreicht, ehe Sie Ihren Aufenthaltsort verlassen, würde ich Ihnen rathen, mit Ihrem Dampfer und den Booten genügend Proviant mitzubringen, um uns während der Zeit zu erhalten, die wir auf Ihre Abreise warten, etwa 6000-7000 kg Getreide, Hirse oder Mais u. dgl., was Sie, wenn Ihr Dampfer einige Tragfähigkeit besitzt, leicht befördern können.

Sind Sie bereits entschlossen, Afrika zu verlassen, so möchte ich Ihnen Vorschlägen, alle Ihre Rinder und alle Eingeborenen mitzubringen, die Ihnen zu folgen gewillt sind. Nubar Pascha hoffte, daß Sie alle Ihre Makraka mitbringen und, wenn es Ihnen möglich ist, keinen einzigen zurücklassen würden, da er sie alle im Dienst behalten möchte.

Die Schreiben des Kriegsministeriums und Nubar Pascha's, welche ich Ihnen überbringe, werden Sie vollständig über die Absichten der ägyptischen Regierung unterrichten, und es wäre daher vielleicht besser, den Empfang der Schreiben abzuwarten, bevor Sie irgendwelche Schritte thun. Ich setze Sie einfach nur kurz von den Absichten der Regierung in Kenntniß, damit Sie sich die Sache überlegen können und einen Entschluß zu fassen vermögen.

Wie ich höre, haben Sie eine große Menge von Rindern bei sich; drei oder vier Milchkühe würden uns sehr angenehm sein, wenn Sie dieselben mit Ihrem Dampfer und den Booten befördern können.

Ich habe eine Anzahl Briefe, einige Bücher und Karten für Sie, sowie ein Packet für Kapitän Casati, fürchte aber, sie Ihnen mit meinem Boote zu senden, weil Sie vielleicht infolge des durch die Eingeborenen verbreiteten Gerüchts von unserer Ankunft schon von Ihrem Aufenthaltsort aufgebrochen sein und die Briefe Sie dann verfehlen könnten; außerdem weiß ich nicht gewiß, ob das Boot Sie erreichen wird, und behalte die Sendung daher, bis ich Gewißheit habe, daß sie Ihnen sicher ausgehändigt werden kann.

Während wir auf Ihr Erscheinen in Njamsassi warten, werden wir weit und breit umher fourragiren müssen, doch können Sie sich darauf verlassen, daß wir uns bemühen werden zu bleiben, bis wir Sie sehen werden.

Alle bei mir Befindlichen senden Ihnen die besten Wünsche und danken Gott, daß Sie sicher und wohl sind.

Betrachten Sie mich, geehrter Pascha, als Ihren ergebensten Diener
Henry M. Stanley,
Befehlshaber der Entsatz-Expedition.

An Se. Excellenz Emin Pascha,
Gouverneur der Aequatorialprovinzen etc. etc.

Während unsers Aufenthalts in Kavalli statteten mehrere hundert Eingeborene aus den umliegenden Districten uns freundschaftliche Besuche ab, und die Häuptlinge und ältern Stammesgenossen boten mir ihre Unterwerfung an. Sie sagten, das Land gehöre mir und meine Befehle, welcher Art sie auch sein möchten, würden sofort ausgeführt werden. Nach der Bereitwilligkeit, mit welcher uns Lebensmittel gebracht wurden, war kein Grund vorhanden, an ihrer Aufrichtigkeit zu zweifeln, obwol bisher noch keine Nothwendigkeit vorlag, die Betheuerungen allzu buchstäblich zu nehmen. Solange wir keinen Hunger litten, konnte nichts geschehen, um die eingetretenen friedfertigen Beziehungen zu Masamboni zu stören. Meinen Mitteln entsprechend erhielt jeder Häuptling ein Geschenk an Stoffen, Glasperlen, Kauris und Draht. Mbiassi lieferte mir täglich etwa einen Liter Milch in einem Gefäß von nachstehender Form.

siehe Bildunterschrift

Milchgefäß der Wahuma.


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