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Neuntes Kapitel.
Von der Station Ugarrowwa's bis zur Station Kilonga-Longa's.

Ugarrowwa schickt uns drei desertirte Sansibariten. – Ein Exempel wird statuirt. – Die Expreßbüchsen. – Unterredung mit Raschid. – Der Lenda-Fluß. – Beschwerliche Stromschnellen. – Mangel an Lebensmitteln. – Einige Begleiter Kilonga-Longa's. – Vereinigung der Flüsse Ihuru und Ituri. – Zustand und Stärke der Expedition. – Krankheit Kapitän Nelson's. – Voraussendung von Boten an Kilonga-Longa. – Das Lager der Kranken. – Randy und das Perlhuhn. – Mangel an Lebensmitteln. – Krankheit infolge der Waldpfirsiche. – Phantastische Tischkarten. – Weitere Desertionen. – Asmani ertrinkt. – Kurze Schilderung unserer Lage. – Uledi's Vorschlag. – Umari's Klettern. – Mein Esel wird erschossen, um Fleisch zu erhalten. – Auffindung des Weges der Manjema und Ankunft in ihrem Dorfe.

 

Noch einmal bestand die Expedition jetzt wieder aus ausgesuchten Leuten, und mein Gemüth war von der Sorge um die Nachhut und das Schicksal, welches die Kranken bedrohte, befreit. Wir verließen die Station Ugarrowwa's mit 180 Lasten in den Kanoes und dem Boot und 47 Lasten, welche alle vier Tage abwechselnd von den verschiedenen Compagnien getragen werden mußten. Als wir am 19. September aufbrachen, begleiteten uns die Araber einige Stunden, um uns auf den Weg zu bringen und uns Erfolg zu unserm Abenteuer zu wünschen.

Als wir alle kaum im Lager versammelt waren und die abendliche Dunkelheit bereits rasch zunahm, erschien plötzlich ein von Ugarrowwa gesandtes Kanoe mit drei gefangenen und gebundenen Sansibariten, die, wie ich auf meine Frage nach dem Grunde dieser Maßregel zu meiner Ueberraschung erfuhr, desertirt und kurz nach der Rückkehr Ugarrowwa's nach seiner Station von ihm gefunden worden waren.

Sie waren mit ihren Gewehren davongelaufen und hatten es, wie die Patronentaschen zeigten, unterwegs möglich gemacht, Patronen zu stehlen. Zum Dank schenkte ich Ugarrowwa einen Revolver mit 200 Patronen. Die Gefangenen wurden für die Nacht sicher untergebracht, und ehe ich mich zur Ruhe begab, ging ich sorgfältig mit mir zu Rathe darüber, was am besten mit den Leuten zu machen sei. Ergriffen wir nicht die strengsten Maßregeln gegen solche Missethäter, so würden wir binnen kurzer Zeit gezwungen sein, den Rückweg anzutreten, und alle Menschenopfer und alle die fürchterlichen Kämpfe des Marsches wären umsonst gewesen.

Am nächsten Morgen ließ ich alle Mann zur Musterung antreten und hielt ihnen in passenden Worten eine Rede, der sie sämmtlich zustimmten. Sie waren einverstanden, als ich bemerkte, daß wir uns aufs äußerste bemüht hätten, unsere Pflicht zu thun; alle hätten viel ertragen, sie aber hätten sämmtlich bei dieser Gelegenheit bewiesen, daß sie Sklaven seien und keine Spur von moralischem Gefühl besäßen. Sie gaben bereitwillig zu, daß wir, wenn die Eingeborenen den Versuch machten, unsere Gewehre, »welche unsere Seelen seien«, zu stehlen, berechtigt sein würden, sie niederzuschießen, und daß Leute, welche für ihre Arbeit bezahlt, beschützt und freundlich behandelt werden, ebenfalls erschossen werden könnten, wenn sie versuchten, uns in der Nacht den Hals abzuschneiden.

»Nun denn«, sagte ich, »was thun diese anders, wenn sie unsere Waffen nehmen und mit unsern Vertheidigungsmitteln davonlaufen. Ihr behauptet, ihr würdet Eingeborene niederschießen, welche euch im Wege sind und euch hindern, vorzudringen oder den Rückweg anzutreten. Was thun diese Leute aber? Könnt ihr denn vorwärts oder rückwärts marschiren, wenn ihr keine Waffen oder Munition mehr habt?«

»Nein«, stimmten sie mir zu.

»Nun gut denn, ihr habt sie zum Tode verurtheilt. Einer soll heute, der andere morgen, der dritte am nächsten Tage sterben, und von heute ab wird jeder Dieb und Deserteur, der seinen Posten verläßt und das Leben seiner Kameraden gefährdet, mit dem Tode bestraft werden.«

Die Verurtheilten wurden dann gefragt, wer sie seien. Der eine erwiderte, er sei der Sklave des Fardjalla ben Ali, eines Anführers von der ersten Compagnie; der zweite war der Sklave eines Banianen in Sansibar, und der dritte der Sklave eines in Unjanjembe arbeitenden Handwerkers.

Hierauf wurde gelost; wer den kürzesten von drei Papierstreifen zog, sollte zuerst sterben. Das Los fiel auf den Sklaven Fardjalla's, der jetzt ebenfalls anwesend war. Dann wurde ein Tau über einen starken Baumast geworfen, und auf Befehl ergriffen 40 Mann das eine Ende des Taues, während die Schlinge dem Gefangenen um den Hals gelegt wurde.

»Hast du noch etwas zu sagen, ehe ich den Befehl zu deinem Tode gebe?«

Er antwortete durch ein Kopfschütteln. Dann erscholl das Signal, der Mann wurde in die Höhe gezogen, und ehe noch sein letztes Zucken aufgehört hatte, war die Expedition bereits aus dem Lager marschirt, während die Nachhut und die Flußcolonne zurückblieben. Darauf wurde das Tau durch ein Stück Rotang ersetzt und der Leichnam am Baum befestigt; eine Viertelstunde später war das Lager verlassen.

An diesem Tage machten wir gute Fortschritte, da dem Fluß entlang ein Pfad hinlief, welcher der Karavane sehr zu statten kam. Während des Marsches suchten wir nach Nahrungsmitteln, fanden aber nur 10 Büschel sehr kleiner Bananen. Etwa eine Stunde von der Mündung des Lenda in den Ituri schlugen wir das Lager auf.

Am andern Ufer sahen wir wieder einen Elefanten mit prachtvollen Zähnen im Flusse baden, worauf Kapitän Nelson, der eine ähnliche Doppelbüchse wie die meinige besaß, ich und der Jäger Saat Tato hinüberfuhren und uns bis auf etwa 5 m Entfernung von dem Thiere treiben ließen. Wir gaben gleichzeitig drei Schüsse auf den Elefanten ab und jagten ihm in der nächsten Secunde noch zwei weitere Kugeln in den Leib; allein trotz des vielen Bleis in den wichtigsten Theilen seines Körpers gelang es dem Thiere zu entkommen. Von diesem Augenblicke an hatten wir jegliches Zutrauen zu diesen Büchsen verloren. Während der ganzen Expedition haben wir mit diesen Expreßbüchsen nicht ein einziges Stück Wild erlegt. Kapitän Nelson verkaufte seine Waffe kurz darauf bei Kilonga-Longa für ein kleines Quantum Lebensmittel, und ich trennte mich von der meinigen, als ich sie beinahe zwei Jahre später Antari, dem König von Ankori, zum Geschenk machte. Dagegen habe ich mit der Reilly-Büchse Nr. 8 oder 10 stets Erfolg gehabt, was ich denen, die sich dafür interessiren, mittheile, damit sie sich meine Erfahrungen zu Nutze machen können.

Als am nächsten Morgen der Tag anbrach und das graue Licht desselben durch die über dem Lager hängenden Baumäste drang, ließ ich durch einen Jungen den Oberanführer Raschid holen.

»Nun, Raschid, alter Bursche, wir werden gleich den zweiten Mann hinzurichten haben. Es wird bald Zeit, die Vorbereitungen dazu zu treffen. Was meinst du?«

»Nun, was können wir anders thun, als diejenigen zu tödten, die uns zu tödten versuchen. Wenn wir den Leuten eine am Boden mit zugespitzten Pfählen und vergifteten Holzsplittern gespickte Grube zeigen und ihnen sagen, sie sollen sich davor hüten, dann kann man uns gewiß nicht die Schuld geben, wenn die Leute gegen unsere Warnungen taub sind und hineinspringen. Mögen sie sich selbst die Schuld beimessen.«

»Aber es ist trotzdem sehr hart. Raschid ben Omar, dieser Wald macht das Herz des Menschen zu Blei und der Hunger bringt den Kopf um seinen Verstand; man denkt an nichts, als an die leeren Eingeweide und den knurrenden Magen. Ich habe gehört, daß Mütter, vom Hunger getrieben, schon manchmal ihre Kinder gegessen haben. Wie sollen wir uns da wundern, daß der Diener seinem Herrn davonläuft, wenn dieser ihn nicht zu ernähren vermag?«

»Das ist Wahrheit so klar wie der Sonnenschein. Aber wenn wir sterben müssen, dann laßt uns alle zusammen sterben. Es gibt viele gute Männer hier, die ihr Blut für Euch hergeben, wenn Ihr es verlangt. Da sind andere – Sklaven von Sklaven – welche nichts wissen und sich um nichts bekümmern; sie würden mit dem, was wir selbst zur Sicherheit unsers Lebens brauchen, die Flucht ergreifen, laß sie umkommen und vermodern. Sie wissen sämmtlich, daß Ihr, ein Christ, alles dies nur unternehmt, um die Söhne des Islam zu retten, die fern von hier in der Nähe eines großen Sees in Schwierigkeiten sind; sie bekennen sich zum Islam und dennoch wollten sie den Christen im Busch verlassen. Laßt sie sterben!«

»Aber angenommen, Raschid, wir könnten dieses Fortlaufen und das uns sonst drohende Verderben auf irgendeine andere Weise verhindern, die nicht ganz so strenge ist als sie auszuhängen, bis sie todt sind; was meinst du dazu?«

»Ich möchte sagen, daß alle Mittel gut sind, das beste aber das ist, welches sie am Leben läßt, damit sie bereuen.«

»Gut denn, wenn ich Kaffee getrunken habe, soll das Signal zur Musterung gegeben werden. Bereite inzwischen ein langes Tau aus Rotang vor und wirf es über jenen starken Ast. Mache auch eine gute Schlinge in ein Stück von dieser neuen Lothleine. Halte den Gefangenen bereit, laß ihn von den Posten bewachen, und wenn du das Trompetensignal hörst, dann flüstere den übrigen Anführern folgende Worte ins Ohr: ›Kommt zu mir und bittet um Pardon für ihn; ich will ihn begnadigen.‹ Ich werde dich anblicken und fragen, ob du etwas zu sagen hast. Das wird dir das Zeichen sein. Wie gefällt dir das?«

»Möge geschehen, wie Ihr sagt. Die Leute werden Euch Antwort geben.«

Nach einer halben Stunde ertönte das Signal zur Musterung, und die Compagnien bildeten ein Carré um den Gefangenen. An dem Aste hing das lange Rohrtau mit der todbringenden Schlinge an dem einen Ende und schleifte auf dem Boden wie eine ungeheuere Schlange. Nachdem ich eine kurze Ansprache gehalten hatte, trat ein Mann vor und legte dem Verurtheilten die Schlinge um den Hals; eine Compagnie stand bereit, um den Verurtheilten in die Höhe zu ziehen.

»Nun, Mann, hast du noch etwas zu sagen, ehe du deinem gestern gestorbenen Bruder folgst?«

Der Mann blieb stumm und schien meine Worte kaum zu verstehen. Ich wandte mich darauf zu dem Oberanführer. »Habt ihr etwas zu sagen, ehe ich das Commando gebe?«

Raschid gab den übrigen Anführern ein Zeichen, worauf dieselben sämmtlich hervorstürzten, sich mir zu Füßen warfen, um Verzeihung flehten, mit strengen Worten die Diebe und Mörder schalten, und dabei aufs heiligste versicherten, daß sie sich in ihrem Verhalten in Zukunft bessern würden, wenn ich diesmal noch Gnade walten ließe.

Es lohnte sich der Mühe, die Züge der Sansibariten während dieser Scene zu beobachten, wie ihre Pupillen sich erweiterten, die Lippen sich zusammenpreßten, die Wangen blaß wurden, als mit der Geschwindigkeit des elektrischen Funkens die gleiche Bewegung alle erfaßte.

»Genug, Kinder! Nehmt den Mann, sein Leben gehört euch. Aber hütet euch! Für den, der uns ein Gewehr stiehlt, gibt es in Zukunft nur ein Gesetz, und das ist der Tod durch den Strang.«

Dann trat ein so allgemeiner Gefühlsausbruch ein, daß ich starr war – manchen liefen wirkliche große Thränen an den Wangen herab, die Augen hatten sich erweitert und zeigten die leidenschaftliche Erregung; sie warfen Mützen und Turbane in die Luft, hielten die Gewehre hoch, hoben den rechten Arm in die Höhe und riefen: »Niemand wird die ›weiße Mütze‹ verlassen, bis sie beerdigt ist! Tod dem, der Bula Matari verläßt! Zeige uns den Weg nach dem Njansa! Führe uns, wir werden jetzt folgen.«

Noch nirgends habe ich einen solchen ergreifenden Gefühlsausbruch gesehen, ausgenommen vielleicht in Spanien, als die Republikaner ihren Gefühlen in stürmischer Weise Luft machten, nachdem sie längere Zeit großsprecherischen Ermahnungen, fest zum neuen Glauben an Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu halten, zugehört hatten.

Auch der Gefangene weinte. Nachdem die Schlinge entfernt war, kniete er nieder und schwor, zu meinen Füßen sterben zu wollen. Ich schüttelte ihm die Hand und sagte: »Es ist Gottes Werk, danke Ihm dafür!«

Wiederum erklangen die Trompeten, und alle riefen mit lauter Stimme: »Mit Gottes Hülfe! Mit Gottes Hülfe!« Die für den Tag zum Tragen commandirten Truppen eilten an ihre Posten, empfingen ihre schwere Lasten und marschirten voll Freude ab, als ob es zu einem Feste ginge. Sogar die Offiziere lächelten ihnen Beifall. Noch niemals hat es im Kongowalde eine so große Zahl froher Herzen gegeben wie an diesem Tage.

Nach einer Stunde hatten die Landcolonne und die Flußabtheilung etwa zur gleichen Zeit den Lenda erreicht, einen anscheinend tiefen Fluß von ungefähr 90 m Breite. An der Westseite seiner Mündung lag ein kleines Dorf, doch waren die Bananenbäume längst ihrer Früchte beraubt. Nachdem wir bald darauf die Karavane über den Fluß gesetzt hatten, bekamen die Leute die Erlaubniß, das Land zu durchstreifen und Lebensmittel zu suchen, einige am nördlichen, die übrigen am südlichen Ufer, doch kehrten sie vor Eintritt der Dunkelheit sämmtlich zurück, ohne auch nur einen Bissen Eßbares gefunden zu haben.

Als wir am 22. in gewöhnlicher Weise den Weg zu Wasser und zu Lande fortsetzten, dachte ich daran, daß ich erst am 18. 56 Invaliden in dem Lager eines Arabers zurückgelassen und doch bei der Musterung am Morgen dieses Tages bemerkt hatte, daß wieder 50 Mann infolge Schwäche vollständig untauglich waren. Selbst die stärksten und klügsten Männer schwanden unter der anhaltend jämmerlichen Nahrung dahin. Durch die von den Elfenbeinjägern entvölkerten Wüsten weiter vorzudringen, schien einfach unmöglich zu sein, doch hatten wir bei der Ankunft in Umeni das Glück, genügend Rationen für einen ganzen Tag zu finden, sodaß wir aufs neue Hoffnung schöpften.

Am nächsten Tage desertirte ein gewisser Abdallah, der Buckelige. Auf dem Flusse hatten wir Schwierigkeiten mit mehrern Stromschnellen und mußten bei verschiedenen Strecken unruhigen Wassers die Ladung löschen, die Kanoes schleppen, bis wir schließlich einen Wasserfall von etwa 12 m Höhe mit Stromschnellen ober- und unterhalb derselben in Sicht bekamen.

Man hätte glauben sollen, daß der Ituri inzwischen zu einem unbedeutenden Strome geworden sein müßte; als wir aber die ungeheuern Wassermassen sahen, welche sich über diesen großen Fall stürzten, mußten wir zugeben, daß er noch ein sehr mächtiger Fluß war.

Den 24. September verbrachten wir mit Fourragiren und dem Hauen eines Weges durch den Wald bis oberhalb der Schnelle und mit Auseinandernehmen des Bootes für den Transport. Den Pionieren war es gelungen, eine ziemlich große Menge Bananen zu finden; die übrigen Compagnien hatten allerdings nichts. Die hindernden Felsen in diesem Wasserfalle bestanden aus röthlichem, schieferigem Gestein.

Am nächsten Tage hatten wir den dritten Katarakt hinter uns und machten bei einem alten arabischen Lager halt. Im Laufe dieses Tages hatten wir keinerlei Lebensmittelvorräthe erhalten können.

Am nächsten Tag erreichten wir eine weitere Reihe von Stromschnellen, und nachdem wir infolge mehrfachen Auf- und Abladens der Fahrzeuge und der Erschöpfung und Sorge bei der Hinauffahrt durch diese gefährlichen Hindernisse eine fürchterliche Tagesarbeit gehabt hatten, trafen wir in einem Lager gegenüber von Avatiko ein.

Wie nützlich das Boot und die Kanoes uns waren, geht aus der Thatsache hervor, daß wir drei Hin- und Herfahrten machen mußten, um 227 Lasten zu befördern, und selbst auf diese Weise hielt die Arbeit sämmtliche Gesunden bis zum Abend beschäftigt. Die Leute waren durch das Hungern so geschwächt, daß der dritte Theil von ihnen nur noch kriechen konnte. Ich selbst hatte an diesem Tage von früh bis abends nichts weiter zu essen als zwei Bananen, während einige unserer Sansibariten in den letzten beiden Tagen überhaupt nichts mehr zu leben gefunden hatten, was die Kraft selbst der besten Leute verzehrt. Eine Fourragirabtheilung der ersten Compagnie, welche über den Fluß nach der Niederlassung Avatiko gesetzt war, fand eine kleine Menge junger Früchte; dabei ward eine Frau gefangen genommen, welche behauptete, sie wisse Bananen so dick wie ihr Arm und könne uns hinführen.

Der 27. September war ein Rasttag. Ich sandte Lieutenant Stairs aus, um den Fluß vor uns zu erforschen, während 180 Mann unter Führung der gefangenen Frau über den Fluß gingen, um Lebensmittel zu suchen. Ersterer meldete bei der Rückkehr, daß er kein Dorf gesehen, dagegen ein sehr aufregendes Abenteuer mit Elefanten erlebt habe, denen er mit großer Mühe entgangen sei. Die Sansibariten kehrten mit so viel Bananen zurück, daß an jeden Mann 60-80 Stück vertheilt werden konnten. Hätten die Leute unsern Rath, sparsam zu sein, befolgt, wir würden weniger Leiden zu melden gehabt haben, allein ihr Appetit war nicht zu bändigen. Die hier gleichmäßig vertheilte Menge wäre für sechs bis acht Tage genügend gewesen, doch blieben mehrere die ganze Nacht auf, um immerfort zu essen, in der Erwartung, daß Gott auf dringendes Flehen ihnen auch noch mehr geben würde.

Am 30. September trafen beide Abtheilungen der Colonne ungefähr zur Frühstückszeit zusammen. Die Offiziere und ich hatten an diesem Tage ein Festmahl, da Stairs eine lebende Antilope in einer Grube gefunden und ich in der Reuse eines Fischers an der Mündung eines kleinen Baches eine Portion frischer Fische entdeckt hatte. Nachmittags lagerten wir an einer Stelle des Ufers, wo früher der Landungsplatz einer Fähre gewesen war. Bald nachdem wir Rast gemacht hatten, wurden wir durch drei Schüsse erschreckt; dieselben kündigten uns die Anwesenheit von Manjema an, und im nächsten Augenblick schritten etwa ein Dutzend hübscher Männer ins Lager. Sie gehörten zum Gefolge Kilonga-Longa's, des Rivalen Ugarrowwa's in der Verwüstungsthätigkeit, welcher die beiden Häuptlinge sich gewidmet hatten.

Die Manjema theilten uns mit, Kilonga-Longa's Niederlassung sei nur fünf Tagemärsche entfernt; da das Land unbewohnt sei, werde es jedoch nothwendig sein, uns mit Bananen zu versehen, welche wir jenseit des Flusses erhalten könnten. Zwischen uns und dem Grasland liege noch ein Monatsmarsch. Sie riethen uns, zwei Tage hier zu bleiben, um erst Lebensmittel herbeizuschaffen, womit wir sehr gern einverstanden waren, da es dringend nothwendig war, Nahrungsmittel irgendwelcher Art zu finden.

Während des ersten Rasttages war die Suche nach Lebensmitteln erfolglos; wir schickten deshalb beim ersten Morgengrauen des nächsten Tages eine starke Abtheilung unter dem Befehl von Lieutenant Stairs und Dr. Parke nach dem nördlichen Ufer. Nachmittags kehrten die Fourragirer mit so viel Bananen zurück, daß wir jedem Manne 30 Stück zutheilen konnten. Einige der unternehmendsten Leute hatten sich noch einen größern Antheil gesichert, da sie sich infolge der bittern Noth über jeglichen Scrupel hinweggesetzt und es möglich zu machen gewußt hatten, auch noch einen kleinen Reservevorrath auf die Seite zu bringen.

Am 3. Oktober erreichten wir bald nach dem Verlassen des Lagers eine seeartige Erweiterung des Flusses, welche von einer 75-180 m über das Wasser sich erhebenden Hügelreihe umgeben war. Bei der Ankunft am obern Ende dieser Strecke fanden wir, daß der Fluß hier sehr viele Krümmungen aufwies, schluchtartig eingeengt war und einen sehr ungestümen Lauf hatte. Infolge der den Fluß einfassenden hohen Hügelketten erinnerte die Landschaft an einen Kongo-Cañon im Kleinen. Das Vorgefühl sagte uns, daß wir hier auf größere Schwierigkeiten stoßen würden als je zuvor. Wir drangen zwar noch 5 km vor, dann wurden die Schwierigkeiten für die Weiterfahrt aber derartig, daß wir das Lager unserer Karavane nicht zu erreichen vermochten.

Am 4. October setzten wir die Fahrt noch etwa 2½ km fort und brachten die Expedition dann nach dem nördlichen Ufer, da wir von den Manjema gehört hatten, daß ihre Niederlassung bei Ipoto an der andern Seite des Flusses liege. Die Manjema waren verschwunden und drei von unsern Deserteuren hatten sie begleitet. Zwei von unsern Leuten waren an Dysenterie gestorben. Mit genauer Noth entgingen wir noch einigen ernstlichen Unfällen; zweimal lief ein Kanoe voll Wasser, das Stahlboot ging beinahe verloren, und durch das schwere Aufstoßen desselben wurde der Gang unserer Chronometer, der bis dahin regelmäßig gewesen war, gestört. Ich würde den Fluß an diesem Tage verlassen haben, allein die schreckliche, einsame, unbewohnte Wildniß und die Schwäche und Erschöpfung der Leute verboten dies. Wir hofften immer wieder, einen Platz zu erreichen, wo wir Lebensmittel erhalten und rasten könnten, obwol dies unwahrscheinlich war, außer in der Niederlassung Kilonga-Longa's.

Nachdem wir uns durch fürchterlich wildes Wasser gearbeitet hatten, trafen wir am nächsten Morgen um 10 Uhr vormittags an einer scharf von Ost nach Nordost gekrümmten Curve ein, welche in ihren Umrissen in verkleinertem Maßstabe Aehnlichkeit mit Nsona Mamba am untern Kongo hatte. Als ich ans Land trat und wenige Schritte längs der Biegung gemacht hatte, stand ich auf einem lavaähnlichen Felsen und erkannte auf den ersten Blick, daß hier das Ende der Kanoeschiffahrt sei. Die Hügel erhoben sich zu größerer Höhe, bis zu vollen 185 m an, der Fluß verengerte sich bis auf etwa 24 m, und ungefähr 90 m oberhalb meines Standpunktes kamen die wilden, rasenden Gewässer des Ihuru aus einer Schlucht hervor, während der Ituri über eine Reihe von hohen Katarakten herabstürzte und beide Flüsse sich an der Stelle, wo ich stand, vereinigten, um mit verstärkter Gewalt und Schnelligkeit weiter zu stürzen und mit brüllendem Getöse zwischen den hohen Ufern und düstern Waldmauern abwärts zu jagen.

Ich schickte daher unter der Führung von Stairs Boten über den Fluß, um die Karavane zurückzurufen, und schiffte nach ihrer Rückkehr die Leute wieder nach dem südlichen Ufer hinüber.

Am Morgen des 6. October betrug unsere Stärke, alle Weißen und Schwarzen eingeschlossen, 271 Mann. Seitdem waren zwei an Dysenterie, einer an Schwäche gestorben, vier waren desertirt und einer war gehängt worden. Wir hatten daher noch 263 Mann. Hiervon waren 52 zu Skeletten abgemagert, weil sie, mit Geschwüren behaftet, anfänglich nicht im Stande gewesen waren zu fourragiren; was ihnen an Rationen zugetheilt war, hatte nicht genügt, um sie bei ihrem Mangel an Sparsamkeit während der Tage vollständigen Mangels zu erhalten. Infolge dieser Verluste hatte ich noch 211 marschfähige Leute; da unter diesen sich 40 Nichtträger befanden und ich 227 Lasten besaß, so hatte ich also, gerade wenn ich Träger nothwendig brauchte, viel mehr Lasten, als ich befördern konnte. Kapitän Nelson hatte während der letzten 14 Tage an etwa einem Dutzend kleiner Geschwüre gelitten, die allmählich an Bösartigkeit zunahmen, und er und 52 Mann waren also an diesem Tage, an welchem die wilde Strömung des Flusses der weitern Benutzung desselben ein Ende machte, vollständig untauglich und unfähig zum Marsch gewesen.

Es war ein schwieriges Problem, dem wir hier gegenüberstanden. Kapitän Nelson war unser Kamerad und wir waren deshalb verpflichtet, unsere äußerste Kraft anzuwenden, um ihn zu retten. Ebenso hatten wir den 52 Schwarzen gegenüber die heiligsten Verpflichtungen und waren, so düster die Aussichten um uns her auch sein mochten, doch noch nicht so weit herabgekommen, daß wir nicht die lebhafte Hoffnung hegten, sie retten zu können. Da die Manjema uns gesagt hatten, ihre Niederlassung sei nur fünf Tage weit entfernt, und wir bereits zwei Tagemärsche gemacht hatten, so war die Station oder das Dorf also muthmaßlich nur noch drei Tagemärsche vor uns. Kapitän Nelson meinte, daß, wenn wir intelligente Boten vorausschickten, dieselben im Stande sein würden, die Niederlassung Kilonga-Longa's lange vor der Colonne zu erreichen; und da ich wider diesen Vorschlag nichts einzuwenden hatte und die Anführer selbstverständlich die tüchtigsten und intelligentesten Leute waren, schickte ich den Oberanführer und fünf andere schleunigst ab und befahl ihnen, dem südlichen Flußufer entlang zu marschiren, bis sie einen Landungsplatz entdeckten, wo sie Mittel finden müßten, um über den Ituri zu setzen; dann sollten sie die Niederlassung aufsuchen und sofort neuen Vorrath an Lebensmitteln besorgen.

Vor dem Aufbruche verlangten Offiziere und Mannschaften von mir zu wissen, ob ich die Geschichte glaubte, daß Araber vor uns seien. Ich erwiderte, ich sei vollständig von der Wahrheit überzeugt, doch hätten die Manjema vielleicht uns zu Liebe, oder um uns zu ermuthigen und unsere Sorgen zu zerstreuen, die Entfernung zu gering angegeben.

Nachdem wir den unglücklichen Krüppeln mitgetheilt hatten, wir beabsichtigten, um nicht sämmtlich umzukommen, vorzudringen, bis wir Lebensmittel fänden, und dann so rasch wie möglich Hülfe zu senden, übergab ich die 52 Mann, 81 Lasten und 10 Kanoes dem Befehle Kapitän Nelson's, bat sie, guten Muthes zu sein, schulterte mit den andern Mannschaften das Boot und die Lasten und marschirte ab.

Man hätte keinen düsterern Ort für ein Lager auswählen können als diese sandige Terrasse. Rundherum von Felsen umschlossen, war sie von den dunkeln, vom Flußrande bis zur Höhe von etwa 185 m aufsteigenden Waldungen eingeengt und von dem unaufhörlichen Tosen umgeben, welches der kochende, wirbelnde Strom und die beiden sich gegenseitig an Getöse überbietenden Wasserfälle verursachten. Die Phantasie schaudert bei dem Gedanken an die hülflose Lage der Verkrüppelten, die verdammt waren, unthätig zu sein, jeden Augenblick das schreckliche Getöse der erzürnten, in unversöhnlicher Wuth dahinstürmenden Gewässer und den eintönigen, anhaltenden Donner der fallenden Wassermassen zu hören, die springenden, rollenden und im ewigen Kampfe um die Herrschaft sich überschlagenden Wellen zu beobachten, wie sie von der unaufhörlichen Kraft der dahinschießenden Strömung in weit auseinandergerissene weiße Schaumfetzen zerpeitscht wurden, und auf die dunkeln, unbarmherzigen Wälder hinabzublicken, welche sich flußaufwärts und rundherum ausdehnen und beständig in ihrem langweiligen Grün dastehen und über vergangene Zeiten, Jahrhunderte und Generationen trauern. Man denke sich dann die Nacht mit ihrer greifbaren Dunkelheit, den tiefschwarzen Schatten der bewaldeten Hügel, dem ewigen wüthenden Getöse, dem unaufhörlichen Aufruhr der Katarakte, den unbestimmten Gestalten, welche der Nervosität und Furcht entspringen, dem Elend, welches die Einsamkeit und die heranschleichende Besorgniß vor dem Verlassenwerden hervorruft, und man wird sich die wahre Lage dieser armen Leute vergegenwärtigen können.

Und wir, die wir uns an den waldigen Abhängen hinaufarbeiten, um den Kamm des waldbedeckten Hochlandes zu erreichen, um weiter und weiter – wohin wissen wir nicht, wie lange wagen wir nicht auszudenken – zu dringen und nach Lebensmitteln zu suchen, belastet von der doppelten Verantwortlichkeit für die mit uns marschirenden so treuen, braven Burschen sowie für diejenigen nicht weniger wackern und vertrauenden Leute, welche wir auf dem Grunde der schrecklichen Schlucht zurückgelassen haben!

Als ich die armen Burschen betrachtete, wie sie sich ermattet weiter schleppten, schien es mir nur einiger Stunden zu bedürfen, um unser Schicksal zu besiegeln. Noch einen, vielleicht zwei Tage, dann würde das Leben entschwinden. Wie sie mit den Augen das wilde Dickicht nach den rothen Beeren des Phrynium, den hochrothen, länglichen säuerlichen Früchten des Amomum durchsuchten! Wie sie sich auf die faden Bohnen des Waldes stürzten und nach seinen Schätzen von Schwämmen stierten! Kurz, in dieser schweren Noth, in welcher wir uns befanden, wurde nichts zurückgewiesen, außer Blättern und Holz. Wir passirten mehrere verlassene Lichtungen; einige schnitten Stücke von den Bananenstengeln ab, suchten dann wilde Kräuter, um Suppe zu kochen. Fenessi oder wilde Brot- und sonstige größere Früchte waren, während wir weiter wankten, werthvolle, wichtige Dinge für uns.

Rückkehr gibt's keine, noch
Ausharren an dem Ort; den Platz verlassen
War nur ein Unglück mit dem andern tauschen,
Und jeder Tag, der kam, kam zu vernichten
Ein Tagewerk in uns.

Am 7. October traten wir um 6½ Uhr morgens im Leichenträgerschritt den Marsch durch die pfadlose Region auf dem Kamme des Waldhochlandes an. Wir suchten im Weitergehen Schwämme und wilde Matonga-Früchte und machten nach sieben Stunden für den Abend halt. Wie gewöhnlich hatten wir um 11 Uhr vormittags Rast gehalten, um zu frühstücken. Die Offiziere waren mit ihren Bananenrationen so sparsam wie möglich gewesen; zwei Stück war das Höchste, was ich für mich selbst erübrigen konnte. Meine Gefährten waren in Bezug auf ihre Nahrung ebenso außerordentlich streng und genau; eine Tasse Thee ohne Zucker bildete den Schluß der Mahlzeit. Wir unterhielten uns über unsere Aussichten, besprachen die Wahrscheinlichkeit, ob unsere Boten an diesem oder dem nächsten Tage eine Niederlassung erreichen und wie viel Zeit sie zur Rückkehr gebrauchen würden, und die Offiziere wollten von mir wissen, ob ich bei meinen frühern Erfahrungen in Afrika ähnliche Leiden durchgemacht hätte.

»Nein, nicht ganz so schlimm wie hier«, erwiderte ich. »Wir haben gelitten, aber nicht in so hohem Maße. Jene neun Tage auf dem Wege nach Ituru hinein waren jammervoll. Auf der Flucht von Bumbire haben wir sicherlich viel Hunger gelitten, und als wir den Kongo hinabfuhren zur Erforschung seines Laufes, war unsere Lage bedauernswerth; aber wir hatten wenigstens etwas und zum wenigsten große Hoffnung. Die Zeit der Wunder soll vorüber sein, aber weshalb denn? Moses entlockte am Horeb dem Felsen Wasser für die dürstenden Israeliten. Wasser haben wir genug und im Ueberfluß. Elias wurde am Bache Cherith von den Raben gefüttert, doch gibt es in diesem ganzen Walde keinen Raben. Christus wurde von den Engeln gestärkt; ich möchte wissen, ob auch uns jemand stärken wird.«

siehe Bildunterschrift

Randy faßt das Perlhuhn.

In demselben Augenblick erscholl ein Geräusch, als ob ein großer Vogel durch die Lüfte schwirre. Mein kleiner Dachshund Little Randy hob den Fuß und blickte neugierig um sich: wir wandten uns um, um nachzusehen, und im selben Augenblick fiel der Vogel in den Rachen Randy's, der nach der Beute geschnappt hatte und sie wie in einer eisernen Falle festhielt.

»Da, Leute«, sagte ich, »die Götter sind uns wahrhaftig gnädig. Die Zeit der Wunder ist noch nicht vorüber.« Meine Gefährten blickten mit frohem Erstaunen auf den Vogel, ein schönes feistes Perlhuhn, und es dauerte nicht lange, bis dasselbe getheilt war, wobei auch Randy, der es gefangen hatte, seine Ration abbekam; das kleine Hündchen schien zu wissen, daß es in unserer aller Achtung gestiegen war, und jeder von uns verzehrte seinen Antheil mit eigenen Gefühlen.

Am nächsten Tage ersuchte ich Herrn Jephson, die einzelnen Theile des Bootes zusammenzusetzen, um den Trägern desselben die harte Arbeit abzunehmen. Zwei Stunden nach dem Abmarsch trafen wir gegenüber einer bewohnten Insel ein. Die Kundschafter in der Vorhut nahmen ein Kanoe fort und fuhren direct nach der Insel hinüber, um wie der rasende Roland Fleisch zu rauben.

»Was wollt ihr Ungestümen?«

»Wir wollen Fleisch haben. Im Walde wanken 200 Mann und fallen vor Erschöpfung fast um.«

Die Eingeborenen hielten sich nicht auf, um weitere Fragen zu stellen, sondern verschwanden freundlichst und überließen uns ihre Schätze an Lebensmitteln. Wir erhielten auf unsern Theil 1 kg Mais und ¼ kg Bohnen. Insgesammt hatten wir ungefähr 12 kg Mais entdeckt, die unter die Leute vertheilt wurden.

Nachmittags erhielt ich eine Note von Herrn Jephson, der mit dem Boote zurückgeblieben war, folgenden Inhalts: »Wenn ihr bei dem Dorfe Lebensmittel erhalten könnt, schickt uns um Gottes willen etwas.«

Ich antwortete Jephson, er solle den verwundeten Elefanten, den ich angeschossen und der auf einer ihm benachbarten Insel Zuflucht gesucht hatte, aufsuchen. Auch schickte ich ihm auf seine dringende Bitte eine kleine Hand voll Mais mit.

Am 9. October erboten sich 100 Mann freiwillig, über den Fluß zu setzen und das Innere am nördlichen Ufer zu untersuchen, mit der festen Absicht, nicht ohne Lebensmittel wiederzukommen. Ich fuhr mit der Bootsmannschaft flußaufwärts, während Stairs stromabwärts ging, um einen schmalen Pfad aufzusuchen und ins Innere zu verfolgen, in der Hoffnung, daß derselbe nach einem Dorfe führen werde. Diejenigen, welche allzu entmuthigt waren, um weit zu gehen, wanderten am südlichen Ufer umher, um wilde Früchte und Waldbohnen zu sammeln. Letztere waren ungefähr viermal so groß wie gewöhnliche Gartenbohnen und saßen in einer braunen lederartigen Schote. Anfänglich hatten wir uns damit genügt, sie einfach abzuschälen und zu kochen, doch bekamen wir Magenbeschwerden davon. Dann sahen wir aber, wie ein auf der Insel gefangen genommenes altes Weib ein Gericht aus diesen Bohnen zubereitete, indem sie dieselben abschälte, die innere Haut reinigte und sie schließlich wie Muskatnüsse rieb. Aus dieser mehligen Substanz stellte sie Pasteten für ihren Erbeuter her, der in Ekstase ausrief, sie schmeckten gut, worauf jeder sich rasch aufmachte, um die ziemlich reichlich vorkommenden Bohnen zu sammeln. Ich versuchte ebenfalls einen aus diesem Mehl hergestellten kleinen Kuchen und fand, daß er den Magen genügend füllte und ungefähr ebenso schmackhaft war wie ein Gericht Eicheln. In der That erinnerte der Geschmack mich stark an Eicheln. Von Schwämmen gab es mehrere Arten, darunter echte vorzügliche Champignons, sowie auch andere von weniger harmloser Natur; doch haben die Götter gewiß die menschlichen Jammergestalten beschützt, welche von solchen Dingen leben mußten. Ferner wurden Raupen gesucht und an den Bäumen haftende Schnecken, Käfer und weiße Ameisen gesammelt, um als Fleisch verzehrt zu werden. Die Mabengu-Frucht ( Nux vomica) nebst Fenessi oder einer Art wilder Brotfrüchte lieferte uns den Nachtisch.

Am nächsten Tage kamen einige Fourragirer vom andern Ufer des Flusses zurück, brachten aber nichts mit, weil sie auf dem nördlichen Ufer dieselbe Leere gefunden hatten wie wir auf der Südseite; aber »Inschallah!«, sagten sie, »wir werden entweder morgen oder übermorgen Lebensmittel finden«.

Morgens hatte ich mein letztes Maiskorn und das letzte, was von festen Dingen erhältlich war, verzehrt und mußte daher mittags die fürchterlichen Schmerzen des Magens mit irgendetwas anderm stillen. Ich ließ deshalb einige Kartoffelblätter, welche ein Anführer Namens Wadi Chamis mir gebracht hatte, zerquetschen und kochen. Sie waren nicht schädlich, doch schmerzte der Magen vor vollständiger Leere. Dann brachte ein Sansibarite, von ehrlichem Stolz strahlend, mir etwa ein Dutzend Früchte von der Größe eines Pfirsichs, welche einen sehr angenehmen Fruchtgeruch besaßen; er behauptete, sie seien gut, und erklärte, daß die Leute sie äßen, er aber die schönsten für mich und die Offiziere ausgesucht hätte. Er hatte auch eine jener aus dem Waldbohnenmehl hergestellten Pasteten mitgebracht, die ein gutes etwas käseartiges Aussehen hatten, sodaß ich diese neuartige Mahlzeit mit vielem Dank entgegennahm und das angenehme Gefühl des Gefülltseins hatte. Nach einer Stunde befiel mich aber Uebelkeit, sodaß ich gezwungen war, mein Bett aufzusuchen. Es war mir, als ob die Schläfen von einem eisernen Reifen zusammengepreßt würden, die Augen blinzelten seltsam, und selbst mit einem Vergrößerungsglase vermochte ich kleine Schrift nicht zu lesen. Mein deutscher Diener hatte mit der Voreiligkeit der Jugend an dem, was ich ihm von der süßriechenden pfirsichartigen Frucht abgegeben hatte, wacker gefrühstückt und litt infolge dessen noch schwerer. Hätte er sich in einer kleinen Nußschale von Boot auf dem wildbewegten Meere befunden, er hätte kaum schlotteriger und jämmerlicher aussehen können als nach dem Genusse dieser Waldpfirsiche.

Gerade bei Sonnenuntergang stellten die Fourragirer der ersten Compagnie vom Nordufer nach einer Abwesenheit von 36 Stunden sich wieder ein und brachten genügend Bananen mit, um die Europäer vor Verzweiflung und dem Verhungern zu bewahren, dagegen erhielten die Leute nur je zwei Stück von diesen Früchten, etwa 125 g fester Substanz, um ihre Magen zu füllen, wozu es eigentlich 4 kg bedurft hätte.

Die Offiziere Stairs, Jephson und Parke hatten sich den ganzen Nachmittag damit beschäftigt, phantastische Tischkarten zu entwerfen; einige hatten sich folgende Gerichte ausgewählt:

Filet de bœuf en Chartreuse.
Petites bouchées aux huîtres de Ostende.
Bécassines rôties à la Londres.

Ein anderer, mehr von angelsächsischer Natur, zog solidere Kost vor, wie:

Eier und Schinken, reichlich,
Roastbeef und Kartoffeln, unbeschränkt,
Ein großer Plumpudding.

Zwar wurden noch zwei von unsern Fourragirern vermißt, doch konnten wir nicht länger auf sie warten. Von diesem Hungerlager marschirten wir nach einem andern höher gelegenen in einer Entfernung von 18 km.

Ein Mann von der dritten Compagnie ließ seine Kiste mit Munition in einen tiefen Nebenfluß fallen und verlor sie; Kadjeli stahl eine Kiste Winchestermunition und entwich damit. Selim raubte eine Kiste, in welcher sich neue Stiefel für Emin Pascha und zwei Paar der meinigen befanden, und desertirte damit. Wadi Adam verschwand mit der ganzen Ausrüstung des Dr. Parke. Suadi von der ersten Compagnie ließ seine Kiste am Wege liegen und entfernte sich nach unbekannten Gegenden, und der stiernackige Utschungu folgte diesem Beispiel mit einer Kiste Remingtonpatronen.

Am 12. Oktober marschirten wir 7,2 km in der Richtung O. z. S., während das Boot und dessen Mannschaft tief unten in den Stromschnellen kämpften. Wir wollten den Fluß überschreiten, um unser Glück einmal am Nordufer zu versuchen, suchten nach einem Kanoe und sahen auch eins an der andern Seite, doch war der Fluß über 360 m breit und die Strömung selbst für unsere besten Schwimmer in deren jetzigem Schwächezustand zu stark.

Gleich darauf entdeckten einige Kundschafter ein an einer Insel befestigtes Kanoe, das nur 36 m vom südlichen Ufer entfernt und etwas oberhalb unsers Halteplatzes lag, und drei Leute, darunter Wadi Asmani, ein ernster, treuer Mann von großer Erfahrung in vielen afrikanischen Ländern, erklärten sich bereit, es herbeizuholen. Zur Belohnung für den Erfolg sollten sie 20 Dollars erhalten. Asmani mangelte es an der Kühnheit und dem hohen Muthe Uledi's, des Steuerers des »Advance«, er war aber ein kluger und schätzenswerther Mann.

Die drei Leute wählten sich für ihr Abenteuer eine kleine Stromschnelle aus, wo sie hier und dort auf den Klippen festen Fuß fassen konnten. Bei Dunkelwerden kehrten zwei von ihnen mit der betrübenden Nachricht zurück, daß Asmani versucht habe, mit dem Gewehr auf dem Rücken hinüberzuschwimmen, von der starken Strömung aber in einen Wirbel gerissen und ertrunken sei.

Wir waren in jeder Beziehung vom Unglück verfolgt; unsere Anführer waren noch nicht zurückgekehrt und flößten uns Besorgniß wegen ihres Schicksals ein, kräftige Leute desertirten, die Zahl der Gewehre nahm rasch ab, die Munition wurde gestohlen. Ferusi Ali, nächst Uledi der beste Mann als Matrose, Soldat und Träger, gut und treu, lag an einer Kopfwunde, die ihm ein Wilder mit dem Messer beigebracht hatte, im Sterben.

Am nächsten Tage hielten wir ebenfalls Rast. Wir standen im Begriff, den Fluß zu überschreiten, und warteten mit Sorge auf unsere sechs Anführer, darunter Raschid ben Omar, der »Vater der Leute«, wie er genannt wurde. Nur mit ihren Gewehren, der Ausrüstung und genügender Munition versehen, hätten diese Leute in der Woche seit unserm Abmarsche vom Lager Nelson's über 160 km zurücklegen müssen. Wenn sie auf dieser ganzen Strecke keine Niederlassung der Manjema entdecken konnten, welche Aussichten hatten wir dann, mit Waaren belastet und mit einer Karavane hungeriger, verzweifelnder Leute, welche sich eine ganze Woche lang von nichts als zwei Bananen, Beeren, wilden Früchten und Schwämmen genährt hatten? Unsere Leute begannen unter diesem anhaltenden Hungern bereits sehr schwer zu leiden; drei Mann waren am Tage vorher gestorben.

Gegen Abend erschien Jephson mit dem Boot und brachte ein Quantum Mais mit, so viel, daß jeder Weiße zwölf Tassen voll bekommen konnte. Es war für die Europäer ein Aufschub des Todes.

Am nächsten Tage setzte die Expedition, nachdem sie zur Orientirung der Anführer, falls sie zurückkommen sollten, die Bäume um das Lager gezeichnet und mit Holzkohle Pfeile auf dieselben gemalt hatte, nach dem Nordufer über und schlug oberhalb einer Hügelkette das Lager auf. Bald nachher erlag Ferusi Ali seiner Wunde.

Unsere Leute befanden sich in einem so verzweifelt erschöpften Zustande, daß ich nicht das Herz hatte, das Boot für den Transport auseinandernehmen zu lassen, denn wenn auch alle Schätze der Welt zu gewinnen gewesen wären, sie hätten nicht mehr Kraft entwickeln können, als sie es beim ersten Wort von mir zu thun gewillt waren. Ich setzte ihnen die Verhältnisse offen wie folgt auseinander:

»Ihr seht, Leute, unsere Lage ist kurz diese. Wir brachen mit 389 Mann von Jambuja auf und nahmen 237 Lasten mit. Wir hatten 80 Extraträger bei uns, um für diejenigen einzutreten, welche unterwegs etwa schwach oder krank werden sollten. Wir haben 56 Mann in der Station Ugarrowwa's und 52 bei Kapitän Nelson zurückgelassen. Wir müßten jetzt noch 271 Mann haben, besitzen anstatt dessen aber nur noch 200, einschließlich der Führer, welche abwesend sind. 71 sind entweder gestorben, getödtet worden oder desertirt. Unter euch sind nur 150, welche im Stande sind, etwas zu tragen, und wir können das Boot daher nicht weiter mitnehmen! Ich sage, laßt uns das Boot hier am Ufer versenken und rasch vorwärts dringen, um für uns und die bei Kapitän Nelson Zurückgebliebenen, die nicht wissen, was aus uns geworden ist, Lebensmittel zu erwerben, damit wir nicht jämmerlich in der Wildniß umkommen. Ihr seid die Träger des Bootes, nicht wir. Sagt ihr, was mit demselben geschehen soll.«

Es wurden von den Offizieren und Mannschaften viele Vorschläge gemacht, allein nur der stets treue Uledi, bekannt aus meinem Werke »Durch den dunkeln Welttheil«, sprach direct zum Zweck. »Herr, mein Rath ist folgender. Ihr zieht mit der Karavane weiter und sucht die Manjema, und ich und meine Leute bleiben bei diesen Stromschnellen und schieben, rudern oder ziehen das Boot so rasch weiter, wie wir können. Wenn ich zwei Tage aufwärts gegangen bin, werde ich Euch Leute nachsenden, um in Fühlung mit Euch zu bleiben. Wir können Euch nicht verlieren, denn einer solchen Bahn, wie die Karavane macht, könnte selbst ein Blinder folgen.«

Dieser Vorschlag wurde allgemein als der beste anerkannt, und wir beschlossen deshalb, das von Uledi skizzirte Verfahren einzuschlagen.

Wir trennten uns um 10 Uhr vormittags, und bald darauf hatte ich die ersten Erfahrungen auf dem Marsche zwischen den höhern Hügeln des Aruwimithals gemacht. Ich führte die Karavane nordwärts durch den unwegsamen Wald und wich nur ein wenig nach Osten ab, wenn wir einen Rücken gewinnen und Thierpfade benutzen konnten, die unser Weiterkommen begünstigten. Wir kamen nur sehr langsam vorwärts, da das Unterholz dicht war; Phryniumbeeren, Früchte des Amomum, Fenessi und Brechnuß, große Waldbohnen und Schwämme aller Art waren zahlreich, sodaß jeder sich einen großen Vorrath davon sammeln konnte. Seit Jahren an das Bergsteigen nicht mehr gewöhnt, klopfte uns das Herz heftig, als wir die bewaldeten steilen Anhänge erkletterten und uns durch Schneiden und Forthauen der hindernden Schlinggewächse, Büsche und Pflanzen einen Weg bahnten.

O, es war ein trauriger, ein unaussprechlich trauriger Anblick, so viele Männer blindlings durch den endlosen Wald sich arbeiten zu sehen, einem Weißen folgend, dessen Ziel niemand kannte, und von dem die meisten glaubten, daß er es selbst nicht wüßte. Sie befanden sich schon jetzt in einer wirklichen Hölle des Hungers! Was für namenlose Schrecken sie später noch erwartete, konnte niemand vorhersagen. Aber was macht das? Früher oder später kommt der Tod doch. Deshalb drängten wir weiter und immer weiter, brachen durch den Busch, traten die Pflanzen nieder, wanden uns längs des Grats der zickzackförmig von Nordost nach Nordwest verlaufenden Ausläufer, stiegen an einem klaren Flusse in ein kesselförmiges Thal hinab und nährten uns von Mais und Beeren.

Während unserer Mittagsrast versuchte ein gewisser Umari, welcher einige prachtvolle reife Fenessi an einem ungefähr 9 m hohen Baum gesehen hatte, diesen zu erklimmen; als er jedoch die Höhe erreicht hatte, gab entweder ein Ast oder seine Kraft nach und er stürzte kopfüber von oben gerade auf zwei andere, welche die reifen Früchte auffangen wollten. Merkwürdigerweise wurde keiner von ihnen ernstlich verletzt. Umari war ein wenig hüftenlahm, und einer der beiden, auf die er gefallen war, klagte über Brustschmerzen.

Um 3½ Uhr kamen wir nach einem fürchterlichen Kampfe gegen die erdrückende Wildniß von Arum, Amomum und Buschwerk in ein düsteres, amphitheatralisches Thal, auf dessen Grunde wir ein soeben verlassenes Lager fanden, aus dem die Eingeborenen so schleunig geflohen waren, daß sie es für am besten gehalten hatten, sich nicht mit ihren Schätzen zu belasten. Sicherlich sorgte in den Stunden der dringendsten Noth ein Gott für uns. Hier im Lager erwarteten uns 2 Scheffel Mais und 1 Scheffel Bohnen.

Auch mein armer Esel, den ich aus Sansibar mitgebracht hatte, zeigte Symptome, daß es mit ihm zu Ende gehe. Seit dem 26. Juni jeden Tag Arum und Amomum waren keine passende Nahrung für einen zierlichen Esel aus Sansibar, und ich erschoß ihn deshalb, um seinem Elend ein Ende zu machen. Das Fleisch wurde so sorgfältig getheilt, als wenn es das kostbarste Wildpret gewesen wäre, da die wilde, halbverhungerte Menge der Disciplin zu trotzen drohte. Als das Fleisch in unparteiischer Weise vertheilt war, entstand eine Prügelei wegen des Fells; die Knochen wurden ergriffen und zerschlagen, die Hufe stundenlang gekocht, und von meinem treuen Thier blieb nichts übrig als das vergossene Blut und die Haare; eine Schar Hyänen hätten nicht gründlicher mit demselben aufräumen können. Jene wesentliche Eigenschaft des Menschen, welche ihn vor allen andern Geschöpfen auszeichnet, war durch den Hunger dermaßen ertödtet, daß unsere Leute zu reinen fleischfressenden Zweifüßlern geworden waren und die Wildheit der Raubthiere angenommen hatten.

Am 16. October kreuzten wir nacheinander vier tiefe Schluchten und passirten ein wunderbar schönes Phryniumdickicht. Viele Stämme trugen fast reife Fenessi von 30 cm Länge und 20 cm Durchmesser. Einige Früchte kamen Ananas gleich; jedenfalls waren sie gesund. Selbst die verfaulten Früchte wurden nicht verschmäht. Wo es keine Fenessi gab, gedieh der Waldbohnenbaum und besäete den Erdboden freundlichst mit seinen Früchten. Die Natur schien einzusehen, daß die Wanderer genug Schmerzen und Sorgen ertragen hätten; die tiefste Einsamkeit bewies den matten und schon so lange leidenden Leuten zunehmende Liebe. Phrynium lieferte uns hellrothe Beeren, Amomum die schönsten scharlachrothen Früchte; die Fenessi waren im Zustande der vollkommenen Reife; die Holzbohnen wurden größer und dicker, das Wasser der Flüsse in den Waldthälern war klar und kalt, kein Feind zu sehen, nichts zu fürchten als der Hunger, und die Natur gab das Beste von ihren unbekannten Schätzen her, beschützte uns mit ihrem wohlriechenden, angenehmen Schatten und flüsterte uns zart und sanft unaussprechliche Dinge zu.

Während der Mittagsrast besprachen die Leute unsere Aussichten. »Wißt ihr«, sagten sie mit ernstem Kopfschütteln, »daß der und der todt ist, daß jener verloren ist und ein Dritter vielleicht heute Nacht zu Grunde geht? Die übrigen werden morgen umkommen.« Und nach dem Gespräch rief die Trompete wieder alle auf ihre Posten, um weiter zu marschiren, weiter zu kämpfen und bis ans Ziel vorzudringen.

Eine halbe Stunde später brachen die Pioniere durch ein Dickicht von Amomum und stießen auf eine Straße. Und siehe da! An jedem Baum war das Erkennungszeichen der Manjema, eine Entdeckung, welche von der Spitze der Colonne bis zum letzten Mann der Nachhut von allen wiederholt und mit frohlockendem Jubel ausgenommen wurde.

»Welchen Weg, Herr?« fragten die erfreuten Pioniere.

»Nach rechts, natürlich«, erwiderte ich, der ich noch viel froher war als alle übrigen, und mich noch weit mehr nach der Niederlassung sehnte, welche diese schreckliche Zeit enden und das Elend Nelson's und seiner schwarzen Begleiter abkürzen sollte.

»Wenn es Gott gefällt«, sagten meine Leute, »werden wir morgen oder übermorgen Lebensmittel finden«, was soviel bedeuten sollte, als daß nachdem sie 336 Stunden nicht zu stillenden Hunger erlitten hätten, sie noch weitere 36 oder 60 Stunden geduldig warten könnten, wenn es Gott gefiele.

Wir waren sämmtlich fürchterlich dünn geworden, doch waren die Weißen nicht so stark abgemagert wie die Schwarzen. Wir dachten an die Zukunft und hegten große Hoffnungen, obwol nach jeder Inspicirung der Leute eine tiefe Niedergeschlagenheit sich unserer bemächtigte. Wir bedauerten, daß unsere Begleiter kein größeres Vertrauen zu uns hatten. Mancher wurde durch die im Gefolge des Hungers schreitende Verzweiflung getödtet. Viele äußerten freimüthig ihre Gedanken und erklärten einander offen, wir wüßten nicht, wohin wir marschirten. Und sie hatten gar nicht so sehr unrecht, da niemand sagen konnte, was in den unerforschten Tiefen des Waldes der nächste Tag bringen konnte. Allein es war, wie sie sagten, ihr Schicksal, uns zu folgen, und deshalb folgten sie dem Schicksal. Es war ihnen schlecht ergangen und sie hatten schwer gelitten. Es ist an sich schwer zu gehen, wenn infolge der Leere im Magen Schwäche eintritt, aber noch viel schlimmer, mit einer 30 kg schweren Last zu marschiren. Mehr als 50 Mann waren noch in ziemlich gutem Zustande, aber 150 Mann, mit aschgrauer Haut überzogene Skelete, matt und erschöpft, trugen alle Stempel des Elends in den Augen, aus dem Körper und in ihren Bewegungen. Diese konnten wenig mehr thun, als weiter kriechen, ächzen, Thränen vergießen und seufzen. Mein guter Hund Randy, ach, wie schwach war er geworden! Fleisch hatte er, außer bei dem Tode des Esels, schon seit Wochen nicht mehr erhalten und gekostet. Gedörrter Mais und Bohnen sind keine passende Nahrung für einen Dachshund, und Fenessi, Mabengu und andere ähnliche herbe Fruchte wollte er nicht fressen, und so war er immer mehr abgemagert, bis er so dürr war, wie einer der Verdammten und Ausgestoßenen bei den Moslems. Stairs hatte mich nie im Stich gelassen. Jephson hatte hin und wieder das Glück gehabt, Getreideschätze zu entdecken und stets eine unbezähmbare Keckheit bewiesen, und Parke war immer arbeitsam, geduldig, froh und mild. Das tiefe Eindringen in die unentdeckten Seiten unsers Lebens im Walde haben mich in den Stand gesetzt, die menschliche Natur mit all ihrer Beharrlichkeit und all ihren Tugenden zu erkennen.

Dem Pfade der Manjema entlang war das Marschiren leicht. Manchmal kamen wir an ein ganzes Netz von Pfaden, aber nachdem wir erst einmal die allgemeine Richtung gefunden hatten, machte es keine Schwierigkeit mehr, den richtigen Weg zu treffen. Derselbe schien stark beschritten zu sein, und mit jedem Kilometer trat es mehr zu Tage, daß wir uns einer volkreichen Niederlassung näherten. Als die Zahl der neu angelegten Pfade größer wurde, schien auch das Dickicht lichter geworden zu sein, da wir viele Halteplätze bemerkten und man oft vom Wege abgewichen sein mochte. Hier und dort waren die Aeste der Bäume gekappt. Häufig lagen zum Binden gebrauchte Ranken auf dem Wege und Polster der eingeborenen Träger schienen oft in der Eile weggeworfen zu sein. Der größte Theil des Morgens verging mit dem Ueberschreiten von etwa einem Dutzend träg und langsam fließender Wasserzüge, welche breite schlammbedeckte Moräste hervorgerufen hatten. Bei einem solchen Uebergang wurde die Colonne von Wespen angegriffen, die einen Mann so zerstachen, daß er hochgradiges Fieber bekam, und da er sich in stark abgemagertem Zustande befindet, ist wenig Aussicht aus seine Wiederherstellung. Nach einem Marsch von 11 km in südöstlicher Richtung machten wir am 17. October halt.

Die Nacht führte sich mit einem von Regenfluten und sehr kalter Temperatur begleiteten Sturm ein, welcher den Wald entwurzeln und nach dem fernen Westen forttragen zu wollen schien. Nichtsdestoweniger trieb die Furcht vor dem Verhungern uns am nächsten Morgen schon zu früher Stunde wieder auf den Marsch. Nach etwa 1½ Stunden standen wir am Rande einer großen Lichtung, doch war der Nebel so dicht, daß wir in größerer Entfernung als 60 m nichts erkennen konnten. Als wir eine Weile Rast machten, um über den Curs zu berathen, hörten wir eine sonore Stimme in einer keinem von uns bekannten Sprache, fröhliches Rufen und einen anscheinend mit Humor geführten Streit, und da wir uns hier in keinem Lande befanden, wo die Eingeborenen wagen durften, so leichtsinnig und frivol zu sein, waren wir der Ansicht, daß das Singen nur von Leuten herrühren könnte, die wissen, daß sie nichts zu befürchten haben. Ich schoß deshalb die Läufe meines Winchestergewehrs rasch nacheinander ab, worauf die Antwort mit schwergeladenen Gewehren uns ankündigte, daß wir die so lange gesuchten Manjema vor uns hätten. Sobald der Widerhall der verschiedenen Echos verklungen war, machte die Karavane ihrer Freude durch lange anhaltende Hurrahs Luft.

siehe Bildunterschrift

Die Station Kilonga-Longa's.

Während wir an dem Abhang der Lichtung nach einem kleinen Thal hinabstiegen, sahen wir auf dem gegenüberliegenden Abhange von allen Seiten Scharen von Männern und Frauen herabkommen, die uns mit freundlichem Zurufen begrüßten. Zur Rechten und Linken bemerkten wir schön stehende Felder mit Mais, Reis, süßen Kartoffeln und Bohnen. Dann vernahmen wir die wohlbekannten Laute des arabischen Grußes und die freundlichen Anerbietungen der Gastfreundschaft, und bald darauf schüttelten wir den muntern großen Burschen die Hand, die sich des Lebens in der Wildniß ebenso sehr zu erfreuen schienen, wie es in der eigenen Heimat hätte geschehen können. Die Begrüßung erfolgte hauptsächlich durch die Manjema, obwol ihre nicht weniger kräftigen, mit Percussionsgewehren und Karabinern bewaffneten Sklaven herzlich die Gefühlsäußerungen und Freundschaftsbezeigungen ihrer Herren wiederholten.

Scharen von Männern und Kindern führten uns durch üppige Getreidefelder an dem jenseitigen Gehänge der Lichtung hinauf. Alle gaben ihrer Freude über die neuen Ankömmlinge und den in naher Aussicht stehenden Festtag in ausgelassenster Weise Ausdruck. Bei der Ankunft im Dorfe wurden wir eingeladen, unter den tiefen, schattigen Veranden Platz zu nehmen, und mußten darauf eine große Menge von Fragen beantworten und Glückwünsche entgegennehmen, und als die Karavane an uns vorüber nach den ihr angewiesenen Quartieren zog, die ihr von dazu bestimmten Leuten gezeigt wurden, sprachen unsere Gastfreunde zahlreiche Dankgebete zu Gott für unsere wunderbare Rettung aus der schrecklichen Wildniß, die sich von ihrer Ansiedelung bei Ipoto bis zum Katarakt von Basopo, über eine Entfernung von 320 km ausdehnt, Dankgebete, in welche ein jedes Mitglied unserer so schwer geprüften Karavane aus tiefstem Herzen einstimmte.



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