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Achtes Kapitel.
Von den Panga-Fällen nach der Station Ugarrowwa's.

Ein weiterer Unfall in den Stromschnellen. – Das Dorf Utiri. – Die Ansiedelung von Avisibba. – Untersuchung eines Mordfalles in Avisibba. – Von den Eingeborenen überrascht. – Lieutenant Stairs verwundet. – Aufsuchen des Feindes. – Vergiftete Pfeile. – Gleichgültigkeit der Sansibariten. – Die Colonne Jephson's vermißt. – Unsere Verwundeten. – Unaufhörlicher Regen. – Tod Chalfan's, Saadi's und anderer. – Ankunft der Karavane. – Die Mabengu-Schnellen. – Musterung der Leute. – Der Nápoko-Fluß. – Bemerkungen Binsa's. – Unsere Lebensmittelvorräthe. – Leichtsinniger Gebrauch der Munition. – Der halbe Weg nach dem Albert-See. – Zusammentreffen mit Leuten Ugarrowwa's. – Deserteure. – Lager an der Flußpferdweitung und den Avakubi-Schnellen. – Die zerstörte Ansiedelung von Navabi. – Elefanten in Memberri. – Weitere Desertion. – Ugarrowwa, der arabische Anführer. – Er ertheilt uns Aufschlüsse. – Besuch in der arabischen Niederlassung. – Die ersten Vertreter der Zwergstämme. – Uebereinkommen mit Ugarrowwa.

 

Von dem letztgenannten Lager aus gewahrte man ganz deutlich etwa 3 km entfernt mitten im Flusse eine Insel und auf derselben etwas, das Aehnlichkeit mit einer auf dem Wasser befindlichen Batterie und einem niedrig, mit dem Wasserspiegel gleichliegenden Dorfe hatte. Beim Untersuchen der Insel am 7. August – was eine keineswegs leichte Arbeit war, weil das Wasser bei der gleichmäßigen gefährlichen Neigung des Strombetts in starker Strömung nach Panga hinabstürzte – fanden wir, daß die Insel ursprünglich eine bei hohem Wasserstande nur wenige Centimeter aus dem Flusse ragende flache Felsmasse gewesen zu sein schien, deren Unebenheiten durch Erde ausgefüllt waren, welche man vom linken Ufer geholt hatte. Sie war etwa 60 m lang und 27 m breit und bildete den Zufluchtsort einer Fischerei treibenden Abtheilung eines Stammes, die dort 60 kegelförmige Hütten gebaut und mit Planken umgeben hatte, welche aus einem leichten Holze des Waldes und gestrandeten Kanoes hergestellt waren. Zur Zeit war der Wasserstand des Flusses nur 15 cm niedriger als die tiefste Stelle der Insel.

An diesem Tage passirte uns auf der Fahrt von den Panga-Fällen nach den Nedjambi-Stromschnellen ein weiterer ernstlicher Unfall. Der dumme, gedankenlose Steuerer eines Kanoe führte sein Fahrzeug in unruhiges Wasser zwischen die Zweige eines Baumes, verwickelte sich in denselben und kenterte. Neun von elf Gewehren wurden wieder aufgefischt; zwei Kisten Pulver gingen verloren. Die Sansibariten waren zwischen den Stromschnellen so gedankenlos und unbrauchbar, daß ich bei der Beobachtung derselben vor höchster Sorge mich rasch alt werden fühlte. Wie halsstarrig die menschliche Natur zu sein geneigt ist, davon erhielt ich täglich reichliche Beweise. Meine Verluste, Schwierigkeiten und Sorgen entstanden einzig und allein aus der rücksichtslosen Gleichgültigkeit, welche meine Leute gegen die Instructionen zeigten. Am Lande wanderten sie in den Wald hinein und verschwanden einfach oder wurden von Speeren oder Pfeilen durchbohrt. Bisjetzt hatte ich 8 Mann und 17 Gewehre verloren.

siehe Bildunterschrift

Das Dorf Utiri.

Am 8. August hatte die Karavane die Kanoes bei den Nedjambi-Stromschnellen vorbeigeschleppt und einige Kilometer unterhalb Utiri das Lager aufgeschlagen. Am nächsten Tage erreichten wir die Dörfer, in denen wir wieder eine veränderte Bauart fanden. Die Häuser waren hier alle niedrig, hatten ein schräges Dach und waren je mit starken, 180 cm hohen, 20 cm breiten und 10 cm dicken Palissaden aus gespaltenen Stämmen eines Rubiaceen-Baumes umgeben. Sie standen in zwei Reihen, zwischen denen eine 6 m breite Straße dahinführte. Als ich die Häuser untersuchte, fand ich, daß sie sich äußerst leicht, selbst gegen Büchsenschützen, vertheidigen ließen. Ein Dutzend entschlossener Männer in jedem dieser Höfe würden, wenn sie mit vergifteten Pfeilen bewaffnet waren, dem Feinde beträchtliche Verluste und Schwierigkeiten bereitet haben.

Am 10. August machten wir halt und schickten nach drei verschiedenen Richtungen Fourragirer aus, was jedoch nur traurige Ergebnisse hatte, da sie blos für zwei Tage Lebensmittel erhalten hatten. Ein Mann, Namens Chalfan, war durch einen hölzernen Pfeil in der Luftröhre verwundet worden; die Art und Weise, wie er diese Wunde erhielt, beweist die vollständige Gleichgültigkeit, mit der die Leute Instructionen aufnehmen. Während Chalfan die Paradiesfeigen über sich betrachtete, stand ein Eingeborener keine 6 m von ihm entfernt und schoß ihm einen vergifteten Pfeil in den Hals. Die Wunde war nur so groß wie ein Stecknadelkopf und wurde von Dr. Parke aufs sorgfältigste behandelt, hatte aber dessenungeachtet schon nach wenigen Tagen einen tödlichen Ausgang.

Der 11. August verging bei der Flußabtheilung mit Kämpfen gegen eine 8 km lange Strecke wilder Stromschnellen, die durch zahlreiche Riffe und kleine Felseninseln entstanden, während die Landcolonne sich dem Flußufer entlang wand auf einem ziemlich guten Pfade, der sie nach Engwedde führte, wo wir am nächsten Tage wieder zu ihr stießen. Da die von uns täglich zurückzulegende Strecke wegen der Stromschnellen nicht innegehalten war, schickten wir wieder Fourragirer aus, um Lebensmittel zu sammeln, und es gelang ihnen, dreitägige Rationen von Paradiesfeigen zu bekommen. Am 13. August marschirten wir bis Avisibba oder Aveschiba, einer Ansiedelung, welche aus fünf Dörfern bestand, von denen zwei an der obern Seite des Ruku-Baches lagen.

Die Flußabtheilung war die erste, welche die Dörfer oberhalb des Ruku besetzte. Zwischen den beiden Reihen niedriger, sämmtlich von hohen Palissaden umgebener Hütten führte eine schöne, offene Straße hin; die rundherum stehenden Paradiesfeigenbäume zeigten vielversprechenden Ueberfluß, der hinter dem Dorfe liegende Urwald schien hoch, dicht und alt zu sein. Zwischen der Mündung des Baches und dem äußersten Ende der Dörfer war ein gegen 100 m breiter Streifen Urwald, durch den ein Eingeborenenpfad führte. Ebenso war zwischen dem Dorf und dem Aruwimi ein etwa 50 m breiter Waldgürtel. Während die Expedition über den Fluß setzte, suchte die Bootsmannschaft in den Dutzenden von Höfen eifrig und sorgfältig nach verborgenen Wilden, ehe sie sich mit bereit gehaltenen Gewehren in die Haine von Paradiesfeigenbäumen und außerhalb der Dörfer wagte.

siehe Bildunterschrift

Blattförmige Ruder aus Avisibba.

Als die Colonne am andern Ufer war, hatte ich einen Mordfall zu untersuchen. Am 12. August war nämlich einer unserer Sansibariten außerhalb des Lagers in Engwedde getödtet worden, und zwar durch eine Büchsenkugel, sodaß ich annehmen mußte, daß irgendein rachsüchtiger Patron von der Colonne ihn erschossen hätte. Inzwischen hatte ich zwei der Anführer beauftragt, mit 40 Kundschaftern wieder über den Bach zu setzen und auszuforschen, ob sich südlich von letzterm keine Gelegenheit zum Fourragiren am nächsten Tage böte. Kaum hatte sich mein kleiner Gerichtshof zur Untersuchung versammelt und ein Zeuge gerade seine Aussagen begonnen, als wir ein ungewöhnlich heftiges Gewehrfeuer vernahmen. Lieutenant Stairs sammelte sofort einige 50 Mann und marschirte im Laufschritt nach dem Flusse, während wir, in der Annahme, daß 50 Hinterlader vollständig ausreichen würden, die Untersuchung wieder aufnahmen. Allein als eine Salve nach der andern abgegeben wurde und dazwischen das anhaltende scharfe Gewehrfeuer der Kundschafter ertönte, eilten auch der Doctor, Nelson und ich mit einigen weitern Leuten nach dem Schauplatz des Kampfes. Die erste Person, welche ich sah, war Lieutenant Stairs, dessen Hemd zerrissen war und welchem Blut aus einer Pfeilwunde in der linken Brust, in der Herzgegend, strömte; zugleich hörte ich ein Klatschen auf den Blättern der Bäume und bemerkte, wie Pfeile vorüberflogen. Nachdem ich unsern armen Freund der Sorge Dr. Parke's übergeben hatte, suchte ich mich zunächst zu informiren. Um mich herum hatten sich zahlreiche unserer Leute verkrochen und feuerten in der sinnlosesten Weise auf ein verdächtiges Gebüsch auf der andern Seite des Baches. Es waren sicherlich hartnäckige Wilde in demselben versteckt, allein mir wollte es nicht gelingen, irgendetwas von ihnen zu Gesicht zu bekommen. Ich fand bald, daß der Bach zwischen uns lag. Wie man mir erzählte, war, als das Boot über den Bach fuhr, auf der andern Seite plötzlich eine Schar von Eingeborenen erschienen und hatte ihre Pfeile auf unsere Leute abgeschossen, die, durch den Angriff überrascht, sich auf den Boden des Bootes geduckt und dieses mit den Händen nach dem Landungsplatze zurückgerudert hatten. Dort hatten sie ihre Büchsen ergriffen und lustig darauf losgeknallt. In diesem Augenblick war Lieutenant Stairs unter sie gestürzt und hatte ebenfalls Feuer auf den Feind gegeben, der hier kühner Stand hielt, als wir es bisher kennen gelernt hatten. Bald nachher hatte Stairs einen Pfeil in die Brust bekommen, den er auf dem Rückzuge herausgerissen hatte; fünf Mann waren ebenfalls getroffen worden. Kaum hatte ich diese Einzelheiten zu Ende gehört, als ich zum ersten male einen dunkeln Schatten auf dem Boden zwischen beiden Gebüschen kriechen sah; ich zielte mitten hinein, was mit einem seltsamen, geisterhaften Weheruf beantwortet wurde. Zwei Minuten später hatte das Klatschen der Pfeile auf den Blättern aufgehört. Nachdem ich die besten Schützen dem Flusse entlang als Wachen aufgestellt hatte, um jede Bewegung auf dem jenseitigen User des Baches zu beobachten, zog ich die übrigen Leute zurück.

siehe Bildunterschrift

Gefecht mit den Avisibba-Kannibalen.

Abends kehrten einige Patrouillen, welche den Wald landeinwärts untersucht hatten, mit einer Heerde von 7 Ziegen zurück. Sie hatten die Ueberfahrtsstelle entdeckt und plötzlich Feuer auf eine kleine Colonne gegeben, welche entweder dem Feinde zu Hülfe oder aus der Gegend desselben kam.

Am 14. August setzten wir bei Tagesanbruch zwei Compagnien über den Bach, um den Feind aufzusuchen, der uns so viel Schaden zugefügt hatte; eine dritte unter Hauptmann Nelson wurde landeinwärts in den Wald geschickt. Nach wenigen Minuten vernahmen wir eine Salve, dann noch eine und darauf unaufhörliches Gewehrfeuer, ein Beweis, daß der Feind entschlossenen Charakters war. Bei der ersten Compagnie befanden sich einige vorzügliche Schützen, doch war es denselben kaum möglich, in dem dichten Gebüsch und gegen einen schlauen Feind, welcher wußte, daß er die gefährlichsten Waffen hatte, aber die tödliche Kraft der das Dickicht durchschlagenden Kugeln nicht kannte, viel Schaden anzurichten. Nachdem etwa 300 Schüsse abgegeben waren, trat Stille ein. Nur vier Schüsse waren tödlich gewesen, während vier der Unserigen Wunden von Pfeilen erhielten, die frisch mit einer copalfarbigen Substanz beschmiert worden waren. Eine Leiche wurde mir zur Untersuchung gebracht. Der Getödtete hatte langes Kopfhaar, das durch eine Art eiserner Krone zusammengehalten wurde, und um den Hals eine Reihe von kleinen eisernen Kügelchen, zwischen denen sich einige Affenzähne befanden. Die Zähne des Mannes waren spitz gefeilt. Das Stammeszeichen am Körper schien eine doppelte Reihe von ganz kleinen Narben um die Brust und den Unterleib zu sein. Der Mann war nicht beschnitten. Eine andere Leiche, welche nach dem Landungsplatze geschafft wurde, hatte ein Halsband von Menschenzähnen, auf dem vordern Theil des Kopfes eine Krone von polirtem dünnem Eisen, sowie mehrere blanke Armspangen aus dem gleichen Metall. Zum Schutze des linken Armes gegen die Bogensehne befand sich an demselben ein mit Ziegenfell bedecktes dickes Kissen aus der Wolle des Baumwollenbaums.

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Kopfschmuck der Avisibba-Krieger.

Nachdem wir die Eingeborenen auf allen Seiten aus der Nachbarschaft verjagt hatten, begannen die Leute mit dem Fourragiren, und es gelang ihnen, im Laufe des Tages so viel Paradiesfeigen nach Avisibba zu bringen, daß 80 Mann viertägige Rationen erhalten konnten.

Die Wunde des Lieutenants Stairs hatte einen Durchmesser von ½ cm und befand sich 3 cm unter dem Herzen; die vergiftete Pfeilspitze war ungefähr 4 cm tief eingedrungen. Die übrigen Leute waren an den Handgelenken und den Armen, einer auch im fleischigen Theile des Rückens verwundet. Damals wußten wir noch nicht, woraus diese merkwürdige copalfarbige Substanz bestand, mit welcher die Pfeilspitzen beschmiert waren, und ebenso wenig, welche Wirkung sie im trockenen oder nassen Zustande hatte; alles, was der Doctor damals thun konnte, war Wasser in die Wunden zu spritzen und sie zu reinigen. Die »Alten« unter den Sansibariten behaupteten, das Gift werde durch Kochen aus der Kautschukliane ( Landolphia) gewonnen; nach genügendem Kochen gäbe der Schaum das Gift. Ein Eingeborener erklärte, es werde aus einer Arum-Art gemacht, welche Pflanze zerquetscht und gekocht werde; die Brühe würde dann in ein anderes Gefäß gethan und nochmals gekocht, bis ein starker Brei übrigbleibe, der mit Fett vermischt die fragliche Substanz ergäbe. Der Geruch war scharf und erinnerte etwas an Asa foetida. Die Leute bewiesen die tödliche Kraft des Giftes mit der Bemerkung, es würden Elefanten und alle übrigen großen Jagdthiere damit erlegt. Alle diese Geschichten verursachten uns sehr viel Sorge, aber unsere Unwissenheit war, wie ich zugeben muß, noch größer. Wir konnten die kleinen Nadelstiche auf den Armen nur verwundert anschauen und unserer Meinung dahin Ausdruck geben, daß solche kleine Wunden unmöglich tödlich sein könnten, wobei wir im Interesse unsers Freundes Stairs und der neun Verwundeten hofften, daß die Behauptungen auf Uebertreibung beruhten.

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Avisibba-Krieger mit kronenartigem Kopfschmuck.

Die Pfeile waren sehr dünn, aus dunkelm Holz hergestellt und 60 cm lang, die Spitzen durch langsames Trocknen in der warmen Luft über den Feuern in den Hütten gehärtet. Am untern Ende befand sich ein Schlitz, in welchen ein Blatt zur Leitung des Fluges hineingesteckt war. Die Spitzen waren so scharf wie Nadeln; 1 cm oberhalb derselben befanden sich 5 cm lange spiralförmige Einkerbungen. Nachdem die Spitzen in die vorbereitete, zähe Masse gesteckt und damit beschmiert sind, werden sie in Bündeln in große Blätter eingewickelt, ehe man sie in den Köcher steckt. Eine ähnliche Substanz hatte eine pechschwarze Farbe und sah im frischen Zustande fast wie Theer aus, roch aber sehr unangenehm. In dem Köcher haben beinahe 100 Pfeile Platz. Als wir beobachteten, mit welcher Sorgfalt man die in grüne Blätter eingewickelten Pfeile behandelte, nahm unsere Sorge für die Verwundeten nicht gerade ab.

Der Bogen ist aus zähem, hartem, braunem Holz und etwa 90 cm lang, die Sehne besteht aus einem breiten Streifen sorgfältig geglätteten Rotangrohrs. Um ihre Kraft zu erproben, trieb ich einen der Holzpfeile aus der Entfernung von 2 m durch beide Seiten einer leeren Zinndose. Ungefähr 200 m entfernt stand ein hoher Baum und ich schoß mit voller Kraft einen Pfeil noch über den höchsten Zweig und weit über den Baum hinaus. Darauf dämmerte uns allen der Gedanke, daß diese hölzernen Pfeile doch wol nicht so verächtliche Waffen seien, wie wir geglaubt hatten. Nach dem zu urtheilen, was wir gesehen hatten, mußte die Schnellkraft des kleinen Bogens ausreichend sein, um einen der schlanken Pfeile aus kurzer Entfernung ganz durch den menschlichen Körper hindurchzutreiben. Auf 120 Schritt schoß ich auf einen Vogel und fehlte ihn nur um einen Zoll.

Um Mittag des 15. August verließ die Landcolonne unter Führung des Herrn Jephson, an dem die Reihe war, die Palissaden-Dörfer von Avisibba. Da ein Eingeborener uns mitgetheilt hatte, daß in nicht allzu großer Entfernung von uns drei Katarakte seien, befahl ich Herrn Jephson, dem Flusse zu folgen und gegen 2½ Uhr an der ersten passenden Stelle halt zu machen; ich würde mit der Flußcolonne, die jetzt aus dem Boot und 14 Kanoes bestand, so lange liegen bleiben, bis die ganze Nachhut unter Hauptmann Nelson die Niederlassung verlassen hätte. Da aber die Kanoes rascher vorwärts kämen als die Landcolonne, würde ich ihn wahrscheinlich einholen und dann nach einstündigem Rudern an dem ersten passenden Platze, den ich fände, Rast machen, in welchem Falle er weiter marschiren sollte, bis wir uns wieder vereinigt hätten. Diese Instruction wiederholte ich auch den Anführern bei den Pionieren.

siehe Bildunterschrift

Holzpfeile der Avisibba. (Nach einer Photographie.)

Ich hätte noch bemerken müssen, daß unser Aufbruch bis zum Mittag verzögert worden war durch die bei der Morgenmusterung gemachte Entdeckung, daß fünf Mann fehlten. Sie tauchten schließlich um 10 Uhr vormittags wieder auf; allein dieses beständige Umherstreifen ohne Urlaub brachte mich aufs höchste auf und veranlaßte mich zu einer Standrede, die in diesen ersten Tagen der Schulung unserer dummen Begleiter allerdings nichts Ungewöhnliches war.

Die Sansibariten blieben dabei, eine geradezu überraschende Gleichgültigkeit gegen Gefahren zu zeigen, nicht aus Tapferkeit oder weil sie keine Furcht kennen, sondern infolge der vollständigen Unfähigkeit, daran zu denken, daß Gefahr vorhanden ist, und aus stupidem Unverständniß, wie sie davon betroffen werden können. Die Thiere haben den Instinkt, der sie unaufhörlich an die Gefahr erinnert, aber diese Leute scheinen weder Instinct noch Vernunft, weder Verständniß noch Gedächtniß zu haben. Ihre Köpfe sind ungewöhnlich leer. Die dringendsten Bitten, sich vor verborgenen Feinden zu hüten, und die Androhungen der fürchterlichsten Strafe vermochten nicht, ihren Köpfen begreiflich zu machen, wie nothwendig es sei, klug, wachsam und vorsichtig zu sein, um die gefährlichen Holzsplitter auf den Pfaden, die hinter den Stämmen der Paradiesfeigenbäume lauernden Kannibalen, die unter einem Baumstamm oder hinter einer Brustwehr verborgenen schlauen Feinde und die versteckten Gruben mit den am Boden eingeschlagenen Holzspitzen zu vermeiden. Wenn die Gefahr unerwartet an sie herantritt, sind sie sämmtlich unvorbereitet. Ein plötzlicher Schauer von Pfeilen jagte sie mit häßlichem Geheul aus deren Bereich oder unter Schutz, und wenn den Pfeilen ein entschlossener Angriff folgte, würde Widerstand ihres übertriebenen Schreckens wegen unmöglich sein. Ein Eingeborener, der unerwartet ihnen seine Unerschrockenheit zeigte, zwang sie, seinen Muth bereitwillig anzuerkennen. Auf dem Marsche schlichen sie sich ins Dickicht, um der Nachhut zu entgehen, flohen aber vor Schreck kreischend, sobald ein beherzter Wilder plötzlich mit erhobenem Speer vor ihnen auftauchte. Sie streiften einzeln oder zu zweien weit umher in den Dörfern, weil das Plündern Herzenssache für sie war; traten ihnen aber die wilden Bewohner entgegen, dann warfen sie womöglich lieber das todbringende Gewehr von sich, als daß sie es benutzten. Sie strolchten mit wunderbarem Gleichmuth durch die Paradiesfeigenhaine, hatten aber jeden Muth verloren und ergaben sich in ihr Schicksal, sobald sie nur das Schwirren eines Pfeils hörten. Mit überraschender Zuversichtlichkeit zerstreuten sie sich längs der Route und dehnten die Marschlinie bis auf 5 km aus, aber beim Anblick der Eingeborenen verloren sie vor feiger Furcht vollständig den Kopf. Von den 370 Mann, die wir damals im Lager hatten, waren offenbar 250 Leute von dieser Sorte, für die das Gewehr weiter keinen Werth hatte, als den eines plumpen, schweren Knittels, dessen sie sich für ein Paar Maiskolben bereitwillig entäußern und den sie gegen einen leichten Spazierstock gern vertauschen würden, wenn sie es wagten.

Am Tage vorher waren die Anführer der Sansibariten auf Drängen ihrer Freunde insgesammt zu mir gekommen und hatten verlangt, ohne Offiziere zum Fourragiren ausgeschickt zu werden, da letztere sie, wie sie sagten, mit dem beständigen Befehle »In Reihen formirt« ärgerten. »Wie können wir aber«, sagten sie, »Bananen sammeln, wenn wir beständig bewacht werden und man uns fortwährend befiehlt: In Reihen formirt!«

»Allerdings«, erwiderte ich, »das ist unmöglich. Wir wollen einmal sehen, was ihr allein thun könnt. Die Bananenpflanzungen sind nur eine Viertelstunde von hier entfernt; ich erwarte euch innerhalb einer Stunde hier wieder zurück.«

Nach der vorstehenden Schilderung des Charakters der Leute wird es nicht überraschen, daß jeder, nachdem er mich verlassen hatte, alle Versprechungen vollständig vergessen hatte und nach Herzenslust umherstreifte. Eine Heerde Schafe oder Schweine hätte sich nicht weiter zerstreuen können. Nach einer Abwesenheit von 14 Stunden waren die 200 Fourragirer mit Ausnahme von 5 zurückgekehrt. Diese 5 Mann hatten sich bis heute 10 Uhr vormittags Gott weiß wohin entfernt.

Oh, diese ersten Tage der Expedition! Es sollte noch schlimmer kommen, aber dann waren sie, durch Leiden geläutert und durch schreckliche Erfahrungen bekehrt, Römer geworden!

Kehren wir nun zu Jephson zurück. Nachdem wir gewartet, bis alle die Niederlassung von Avisibba verlassen hatten, ruderten wir mit der Geschwindigkeit von anderthalb Knoten stromaufwärts, bis wir um 2¾ Uhr, nachdem wir einen geeigneten Lagerplatz gefunden hatten, für die Nacht Rast machten. Vergeblich warteten wir aber auf Herrn Jephson. Ich ließ von der Colonne Signalschüsse abgeben, in den Fluß hinausrudern und untersuchte mit dem Fernrohr das Ufer auf und nieder; allein nirgends war eine Spur von Lagerfeuern Zu entdecken, kein Rauch über den Bäumen zu erblicken, der den Wald bei windstillem Wetter wie eine Nebelschicht zu bedecken pflegt, kein Büchsenknall, kein Trompetensignal, keine menschliche Stimme zu vernehmen. Die Karavane mußte also, wie wir annahmen, einen schönen Pfad gefunden und den Marsch nach den vor uns liegenden Wasserfällen fortgesetzt haben.

Am 16. August ruderte die Flußabtheilung mit aller Macht stromaufwärts, passirte die Mabengu-Dörfer, kam bei einem schmalen, aber tiefen Bach vorbei, der sich von Süden her in den Nevva, wie der Aruwimi hier heißt, ergießt, und traf eine Stunde später, während welcher wir besorgt den Fluß hinauf geblickt hatten, am Fuße der Mabengu-Schnellen ein. Am rechten Ufer, gegenüber der Stelle, welche wir zum Lagerplatz gewählt hatten, lag die große Niederlassung Itiri. Als wir dann immer noch keine Spuren von der vermißten Colonne fanden, schickte ich die Bootsmannschaft den Bach hinauf, um nach Anzeigen zu forschen, ob die Colonne denselben bei einer Furt überschritten hätte. Nachdem dieselbe mehrere Kilometer westaufwärts marschirt war, kehrte sie erfolglos zurück, worauf ich sie bis eine halbe Stunde Marsch von Avisibba zurückschickte; doch kam das Boot um Mitternacht nur mit der Nachricht wieder, daß es nicht gelungen sei, eine Spur der Vermißten aufzufinden.

Am 17. August schickte ich eine Bootsmannschaft mit »Three O'clock« (dem Jäger Saat Tato) und sechs Kundschafter nach unserm Lagerplatz vom Tage vorher mit dem Befehl an dieselben, dem dort bemerkten Pfade ins Innere zu folgen, bis sie die Spur der Colonne erreichten, derselben nachzugehen, sie einzuholen und nach dem Flusse zurückzubringen. Bei der Rückkehr des Bootes berichtete mir der Steuermann, sie hätten die Spur etwa 11 km weit (drei Stunden Marsch) gesehen. Ich schloß daraus, daß Herr Jephson die Colonne anstatt nach O. z. N. und ONO., entsprechend dem Laufe des Flusses, nach Süden geführt hatte, hoffte aber, daß Saat Tato sie einholen und am nächsten Tage zurückbringen würde.

In diesem Lager am Flusse war unsere Lage folgende. Wir hatten 39 Kanoe- und Bootsleute, 28 Kranke, 3 Europäer und 3 Jungen; einer von den Europäern (Lieutenant Stairs) litt an einer gefährlichen Wunde und bedurfte der beständigen Pflege des Arztes. Ein Mann war in Avisibba an Dysenterie gestorben. Ferner hatten wir einen im Sterben begriffenen Idioten im Lager, der sich seit einigen Tagen in diesem Zustande befand. 29 von unsern Leuten litten an Seitenstechen, Dysenterie, unheilbarer Schwäche, 8 waren verwundet. Einer, Namens Chalfan, war infolge der Wunde in der Luftröhre halb erstickt, ein anderer, Saadi, am Arm verwundet und anscheinend gefährlich krank, der Arm war geschwollen und machte ihm viel Schmerzen. Von den 39 Mann hatte ich drei getrennte Trupps nach verschiedenen Richtungen ausgeschickt, um Nachrichten von der vermißten Colonne auszukundschaften, damit diese, falls sie etwa eine große Flußbiegung träfe, den Fluß nicht erst eine Strecke weiter aufwärts erreichte, während wir an der andern Seite der Curve uns nicht rühren konnten. Jenseit des Flusses schienen die Eingeborenen von Itiri, die uns so ruhig auf dieser Seite bleiben sahen, einen Angriff zu beabsichtigen, und nur 3 km unterhalb von uns lag die große Niederlassung von Mabengu, von deren Bewohnern wir jeden Augenblick hören konnten, während unsere kleine Schar von 39 Mann nach verschiedenen Richtungen zerstreut war, um nach den vermißten 300 zu suchen. Allein der Dichter sagt:

Kein Mensch soll stumm verzweifeln,
Nein, auch im Angesicht des schlimmsten Gegners
Dem Kriegerischsten folgen bis zum Tode.

Ich citire hier aus meinem Tagebuche.

18. August. Der Idiot schlief gestern Nacht ein. Seine Leiden sind zu Ende, wir haben ihn beerdigt.

Ich möchte wissen, was Tennyson, der so edle Verse geschrieben hat, von unserer Lage denken würde, wenn er hier wäre. Vor einigen Tagen war ich der Befehlshaber von 370 Mann, reich an Waaren, Kriegsmunition, Arzneien, und zufrieden mit den geringen Bequemlichkeiten, die wir besaßen, und heute habe ich thatsächlich nur noch 18 Mann übrig, die zu einem Tagemarsch tauglich sind; der Rest ist verschwunden. Ich würde mich freuen, wenn ich wüßte, wohin.

Wenn 389 ausgesuchte Leute, wie wir es beim Abmarsch von Jambuja waren, nicht im Stande sind, den Albert-See zu erreichen, wie kann Major Barttelot dann mit 200 Mann den Weg durch den endlosen Wald machen. Wir sind, seit wir Jambuja verließen, im Durchschnitt der 44 Tage 8 Stunden täglich marschirt. Mit der Geschwindigkeit von 3 km in der Stunde müßten wir heute am Ufer des Sees angelangt sein; aber anstatt daß wir dort sind, haben wir erst ein Drittel der Entfernung zurückgelegt. Der Dichter sagt, wir sollen »nicht stumm verzweifeln«, denn das hieße, uns hinlegen und sterben, keine Anstrengung mehr machen und die Hoffnung ausgeben.

Unsere Verwundeten brauchen beträchtliche Zeit zur Heilung. Die Geschwulst nimmt zu, die Wunden sind höchst schmerzhaft, keine derselben hat sich bisjetzt als tödlich erwiesen, doch sind alle Verwundeten vollständig unfähig zum Dienst.

Der fünfte Regenguß in diesem Monat begann um 8 Uhr vormittags. Hatten wir nicht schon genügend Trübsal ohne diesen ewigen Regen? Man ist fast versucht zu glauben, daß das Ende herannaht. Sogar die »Flutschleusen des Himmels« scheinen sich geöffnet zu haben, und die Natur will sich auflösen. Es fällt eine solche Menge Regen, daß jeder Blick nach oben durch die erstaunlich großen Tropfen verdunkelt wird. Man denke an die unzähligen Blätter im Walde und daß jedes Blatt zehn- bis zwanzigmal in der Minute fällt, daß aus dem aufgeweichten Boden eine graue Wolke von feinem Regen in Dunstform aufsteigt und daß die Luft mit schwimmenden Wasserkügelchen und umherfliegenden Fetzen von Blättern angefüllt ist. Und zu alledem füge man den ungeheuern Regenfall, wenn der Windstoß von oben kommt und ertränkende Schauer auf uns herniederpeitscht, wenn er die unzähligen Zweige schüttelt und klagend durch die Wipfel fährt mit einer Gewalt, als wollte er die ächzenden Bäume aus der Erde reißen. Das Aechzen und Krachen der Bäume ist nichts weniger als tröstend und das Brechen und Fallen der mächtigen Stämme keineswegs vertrauenerweckend; aber wirklichen Schrecken verursacht es, wenn der Donner über uns rollt und sein Schall durch die Bogengänge des Waldes, durch die Windungen des Dickichts widerhallt, wenn der leuchtende Blitz seine gezackten Strahlen und zuckenden Flammen wüthend hin- und herjagt und mit überwältigenden, betäubenden Schlägen über unserm Kopfe explodirt. Es wäre eine ungeheuere Erleichterung für unsere Kranken und Verwundeten, wenn sie von diesem Lärm befreit wären. Eine europäische Schlacht hat keine solche Mannichfaltigkeit. Und das hat den ganzen Tag hindurch unaufhörlich gedauert. Es ist jetzt ungefähr die zehnte Stunde des Tages. Es ist kaum möglich, daß das Tageslicht je wieder erscheinen wird, wenigstens schließe ich dies aus den Zügen der Menschen, die in tiefen Jammer versunken sind. Alle scheinen durch Schrecken, Elend, Krankheit, Verlust der Freunde, Hunger, Regen, Donner und allgemeinen Jammer betäubt zu sein. Man kann sie zusammengeduckt sehen unter Schutzdächern von Bananenblättern, einheimischen Schilden, baumwollenen Schirmdächern, Strohmatten, irdenen und kupfernen Töpfen, selbst unter Sätteln, den Ueberzügen der Zeltleinwand, wollenen Decken, jeder eingehüllt in blauen Wasserdunst, und vollständig von seinem sprachlosen Jammer in Anspruch genommen. Die armen Esel, mit den zurückgeschlagenen Ohren, geschlossenen Augen und gekrümmten Rücken, die eingesperrten Hühner mit den welken Kämmen spiegeln die traurigste Melancholie wider. Ach, die Glorie dieser Erde ist vollständig vernichtet. Wann sie endlich ihre Schönheit wiedererlangte, ihre Kinder die stolze Haltung wieder angenommen haben, die bewegten Seen und angeschwollenen Flüsse wieder austrockneten und die Sonne aus dem Chaos aufgestiegen ist, um die Welt aufs neue zu trösten, weiß ich nicht. Mich hatte das Gefühl des Elends so erschöpft, daß ein langer Schlaf mich in gütiges Vergessen versenkte.

19. August. Immer noch ohne Nachrichten von der Landcolonne. Die Patrouillen sind zurückgekehrt, ohne Spuren von den Vermißten gefunden zu haben. Zwei von den Verwundeten befinden sich sehr schlecht. Ihre Leiden scheinen schrecklich zu sein.

20. August. Immer noch ohne Nachrichten von der Karavane. Der junge Saadi, welcher am Morgen des 14. von einem vergifteten Pfeile verwundet worden war, hat Starrkrampf bekommen und liegt in sehr gefährlichem Zustande. Ich halte die Substanz jetzt für ein vegetabilisches Gift. Chalfan's Nacken und Halswirbel sind steif geworden. Ich habe bei beiden Morphiumeinspritzungen vorgenommen, doch scheinen dieselben, obwol ich die Dosen verdoppelt, d. h. 3 cgr gegeben habe, den Leidenden wenig Erleichterung gebracht zu haben. Stairs ist unverändert, weder schlechter noch besser. Die Wunde ist schmerzhaft, doch hat er Appetit und kann schlafen. Ich fürchte die Wirkung, wenn er erfährt, wie es den andern Patienten geht.

Es ist merkwürdig, daß von 300 Leuten und 3 Offizieren nicht ein einziger vernünftig genug ist, um zu wissen, daß er den Weg verloren hat, und daß es, um ihn wiederzufinden, am besten ist, nach Avisibba zurückzukehren und einen neuen Versuch zu machen.

21. August. Der arme Chalfan, welcher am 10. d. M. an der Luftröhre verwundet wurde, und der am Morgen des 14. getroffene junge Saadi sind heute Nacht beide nach unerträglichem Todeskampfe gestorben; der erstere um 4 Uhr morgens, Saadi um Mitternacht. Chalfan's Wunde ist durch einen vergifteten Pfeil verursacht worden, doch muß das Gift schon einige Tage vor dem Gebrauch auf die Spitze geschmiert worden sein. Er wurde von Tag zu Tag schwächer, weil er infolge der Schmerzen keine Nahrung zu sich nahm. Die Wunde schien nicht gefährlich zu sein; sie hatte sich von außen geschlossen und zeigte keine Zeichen von Entzündung, doch klagte der arme Bursche, daß er nicht schlucken könne. Er wurde mit einer leichtflüssigen Suppe aus Paradiesfeigenmehl am Leben erhalten. Am achten Tage wurde der Nacken steif und zog sich zusammen; der Leidende konnte keinen artikulirten Ton mehr von sich geben, sondern nur murmeln, der Kopf war vornübergebeugt, der Leib eingesunken und auf dem Gesicht trat Schmerz und Angst hervor. Gestern hatte er leichte Krämpfe; ich machte ihm zwei Hauteinspritzungen von ca. 3 cgr, was ihm auf etwa eine Stunde Erleichterung verschaffte; allein da ich nicht gewohnt bin, Patienten mit Morphium zu behandeln, wagte ich es nicht, ihm größere Dosen zu geben. Saadi war am rechten Vorderarm, in der Mitte zwischen Handgelenk und Ellbogen getroffen, eine Wunde, wie sie jede große Stopfnadel hervorgebracht haben würde. Die Wunde wurde von einem Kameraden ausgesogen, dann mit warmem Wasser ausgespritzt und verbunden, aber schon am Morgen des vierten Tages wurde der Verwundete von einem so heftigen Starrkrampf befallen, daß sein Zustand hoffnungslos war, weil wir vollständig unfähig waren, ihn von den fürchterlichen Krämpfen zu befreien. Morphium-Einspritzungen machten ihn etwas schläfrig, allein die Krämpfe hielten an, und 111 Stunden nach der Verwundung starb Saadi. Ich möchte glauben, daß der Pfeil für den Kampf am 14. August am Abend vorher vergiftet worden ist.

Ein dritter Mann starb am Vormittag an Dysenterie; das ist der vierte Todesfall in diesem Lager.

Um 5 Uhr nachmittags traf die Karavane ein. Dieselbe hat durch moralisches Elend schwer gelitten. Auch die Landcolonne hat drei Todesfälle gehabt. Maruf, der in die Schulter verwundet worden war, starb am Abend des 19., 24 Stunden vor Saadi, an Starrkrampf; vielleicht ist in diesem Falle die Wirkung des Giftes durch die Beschwerden des Marsches beschleunigt worden. Ein Mann Namens Ali wurde von einem eisenbeschlagenen Pfeil getroffen und starb an innerer Verblutung, da das Geschoß die Leber durchbohrt hatte. Ein dritter erlag unmittelbar nach dem schweren Regengusse, welcher uns am 18. betroffen hatte, der Dysenterie. Wir hatten also seit dem 14. August sieben Todesfälle, außerdem haben wir noch mehrere Leute, deren Lebenslicht nur noch flackert. Die Colonne brachte noch zwei weitere Männer mit, welche durch Pfeile verwundet sind. Die Wunden sind stark entzündet und scheiden eine brandige Substanz aus.

Lieutenant Stairs scheint wieder munter zu sein und sich auch zu erholen, trotz des Einflusses, den diese vielen Todesfälle vielleicht auf seine Nerven haben. Daß der Arzt wieder da ist, gibt mir eine außerordentliche Erleichterung. Ich hasse den Anblick von Schmerzen und höre das Aechzen der Kranken nicht gern; die Sorge für ihre Bedürfnisse macht mir nur Freude, wenn ich weiß, daß ich heilen kann.

Wir haben jetzt etwa 373 Mann im Lager, aber 60 von ihnen scheinen mehr fürs Hospital geeignet zu sein, als um unser Wanderleben fortzusetzen; in dieser wilden Gegend vermag man für die abgematteten Seelen nicht einmal Ruhe und Nahrung zu finden.

Noch einige weitere Tage dieser wirklich entmuthigenden Arbeit, der Wartung der Kranken, der Betrachtung der im Starrkrampf mit dem Tode Ringenden, des Anhörens ihres unterdrückten Wehgeschreis, des Beobachtens der allgemeinen Noth und Niedergeschlagenheit infolge des Hungers und der bangen Sorge über die unerklärliche Abwesenheit der Brüder und Gefährten, im Verein mit dem drohenden Verlust von 300 Mann, würden einen ebenso bösartigen Einfluß auf mich selbst gehabt haben. Ich fühlte, wie die Verzweiflung auch mir tückisch immer näher kam. Unsere Nahrung hatte aus gekochten oder gerösteten Bananen oder Paradiesfeigen bestanden, da wir den andern Proviant für den äußersten Nothfall, der vielleicht in naher Zukunft eintreten konnte, zurückbehalten hatten. Die höchste Leidenschaft meines Lebens ist, glaube ich, die gewesen, meine Unternehmungen glücklich zu Ende zu führen; die letzten wenigen Tage hatten aber Zweifel in mir entstehen lassen, ob ich in diesem Falle Erfolg haben würde.

Wie die Stimmung der übrigen Offiziere ist, habe ich noch nicht gehört, die Leute erklären aber offen, sie seien aus einer Hölle befreit.

Soeben wird mir folgendes Schreiben übergeben:

August, 1887.

Geehrter Herr!

Saat Tato erreichte uns gestern Nachmittag um 3 Uhr mit Ihrem Befehl, ihm zu folgen. Wir kehrten sofort über den Fluß (den Bach, welchen die Bootsmannschaft untersucht hatte) zurück, und hoffen heute Abend bei Ihnen einzutreffen. Ich begreife, welche Sorge Sie um uns gehabt haben, und bedauere aufs höchste, sie verursacht zu haben.

Ich habe die Ehre zu sein etc. etc.
A. M. Jephson.

Am 22. August verlegten wir das Lager an das untere Ende der obersten Mabengu-Schnellen, und am nächsten Tage marschirten wir bis oberhalb der letztern.

Dort benutzte ich die Gelegenheit, die Leute zu mustern; folgende Zusammenstellung spricht für sich selbst:

Tabelle

Die von der Colonne auf ihren Wanderungen gemachten Erfahrungen scheinen meine Ansicht zu bestätigen, daß der Aruwimi in dieser Gegend der Stromschnellen von den Eingeborenen nicht so viel benutzt wird wie unterhalb derselben. Weiter landeinwärts hatten wir große Niederlassungen entdeckt und die Kundschafter den Wald auf verschiedenen wohlbetretenen Pfaden durchwandert, welche vom Flusse ins Innere führten. Die Ufer waren weniger stark bevölkert, vielmehr lagen die Ansiedelungen meist eine kleine Strecke ins Land hinein, während längs des Flusses ein deutlicher Pfad führte, der uns wesentlich unterstützte. Schon seitdem wir von Utiri abmarschirt waren, hatten wir diese Thatsache bemerkt. Am 24. August marschirten wir wenige Kilometer und lagerten dann in der Nähe eines ansehnlichen Hains von Bananenbäumen unterhalb der Avugadu-Stromschnellen; am folgenden Tage passirten wir die Schnellen und schlugen ein behagliches Lager in einem ziemlich offenen, von Fischern bewohnten Theil des Waldes auf. Am 26. August marschirte die Landcolonne in gutem Tempo weiter, während wir eine weite Strecke unruhigen Wassers zu passiren hatten und kräftig rudern mußten, um gleichen Schritt zu halten, bis beide Colonnen in einem der größten Dörfer des Avedjeli-Stammes vor der Mündung des Népoko wieder zusammentrafen.

Dieser Fluß, von dem wir zuerst von Dr. Junker gehört hatten, der ihn weit oben überschritten hat, stürzt sich in einer Reihe von Cascaden über Riffe schieferartigen Gesteins aus der Höhe von 12 m in den Ituri, wie der Aruwimi hier heißt. Die Mündung war etwa 275 m breit, verengerte sich aber oberhalb des Falles bis auf ungefähr 230 m. Die Eingeborenen hatten eine beträchtliche Strecke des Riffes mit Pfählen versehen, an denen sie ihre großen röhrenförmigen Körbe zum Fange der über die Stromschnellen gespülten Fische befestigen. Die Farbe des Népoko ist chocoladenbraun, während das Wasser des Ituri wie mit Milch vermischter Thee aussieht.

siehe Bildunterschrift

Cascaden des Népoko-Flusses.

Hätte ich gewußt, daß wir eine Woche später Araber und deren böse Manjema-Horden treffen würden, so hätte ich mich ohne Zweifel bemüht, einen Breitengrad zwischen den Mittelpunkt ihres Einflusses und uns zu bringen. Ohnehin überlegte ich schon im Geiste eine Veränderung der Route, und zwar auf Grund der Aeußerungen Binsa's, des Monbuttu-Knaben Dr. Junker's, der gemeint hatte, es sei viel besser, durch von »anständigen Menschen« bewohnte Länder zu marschiren, als durch eine solch schreckliche Gegend, wo Leute lebten, welche nicht den Namen Menschen verdienten; die Momfú-Stämme würden sicherlich Leute willkommen heißen, welche den Beweis zu liefern vermöchten, daß sie Gastfreundschaft zu schätzen wissen. Binsa gab uns eine sehr verführerische Beschreibung von dem Momfú-Volke. Indessen waren Lebensmittel bei den Avedjeli mannichfaltig und im Ueberfluß vorhanden, und außerdem hofften wir auch, daß der Charakter des Landes sich jetzt geändert hätte. Denn seitdem wir den Unterschied in der Bauart der Eingeborenenhütten bemerkt hatten, war auch in der Nahrung unserer Leute eine Besserung eingetreten. Unterhalb der Panga-Fälle lebten die Eingeborenen hauptsächlich von den aus den Maniokknollen hergestellten verschiedenen Broten, Puddings, Kuchen und Breien. (Tapioka wird bekanntlich ebenfalls aus Maniok oder Cassave hergestellt.) Oberhalb der Panga-Fälle werden die Maniokfelder allmählich durch Haine von Paradiesfeigenbäumen verdrängt, und diese Frucht ist für eine Expedition entschieden ein viel besseres Nahrungsmittel als Maniok. Da die Haine dieser Bäume von immer größerm Umfange wurden, hofften wir, daß uns von jetzt ab glücklichere Zeiten beschieden seien. Außerdem gab es Felder mit Mais, Maniok, Jams und Colocasia, sowie kleinere Beete mit Taback, und zu unserer größten Freude fanden wir auch viele Hühner. Infolge dessen befahl ich halt zu machen, damit die schwer mitgenommenen Leute sich erholen könnten.

In ihrem sehr entschuldbaren Eifer, Fleisch zu bekommen, waren die Sansibariten und Sudanesen höchst unvernünftig. Sobald ein Huhn in Sicht kam, fand eine allgemeine Jagd auf dasselbe statt; einige unbedachte Burschen benutzten auch ihre Büchsen, um die Hühner zu schießen, und vergeudeten auf diese Weise nutzlos viele Patronen, wofür sie häufig die gehörige Strafe erhalten mußten. Ich hatte die allerstrengste Ordre gegeben, keine Munition zu verschwenden, und machte die energischsten Anstrengungen, um jeden Ungehorsam gegen diesen Befehl zu entdecken; aber wann hat je ein Sansibarite Gehorsam geleistet, wenn er sich nicht direct unter den Augen seines Arbeitgebers weiß? Dieses unbesonnene Schießen führte damals dazu, daß einer von der Schar unserer tapfern hart arbeitenden Pioniere angeschossen wurde. Er wurde durch eine Kugel aus einem Winchestergewehr im Fuß getroffen, wobei die Knochen zersplittert wurden, sodaß eine Amputation nothwendig wurde. Dr. Parke vollzog die Operation in der geschicktesten und raschesten Weise, und da unser guter Arzt höchst entschlossen auftrat, wenn einer seiner »Fälle« der Pflege bedurfte, mußte der unglückliche War er in der That sehr unglücklich? Ich bezahlte für ihn bei Ugarrowwa die Beköstigung für 13 Monate, schickte ihn nach den Stanley-Fällen, von dort den Kongo hinab nach Madeira und endlich via Cap der Guten Hoffnung nach Sansibar, wo er in einem Zustande ankam, den man am besten mit »so fett wie Butter« bezeichnet. junge Mann von acht unserer Leute nothwendigerweise ins Boot und aus dem Boot gehoben werden, und damit nichts die empfindliche Wunde verletze, auch den größten Theil eines Kanoe für sich haben, selbstverständlich den reichlichsten Antheil von den besten Lebensmitteln erhalten, eigene Leute zu seiner Bedienung – kurz so viel von allen guten Dingen haben, daß ich ihn oft beneidete und meinte, daß ich für eine Kleinigkeit mehr gern meinen Platz mit ihm tauschen möchte.

Selbstverständlich hielt ich wiederum eine ernstliche Strafpredigt, worauf alle laut betheuerten, sie würden in Zukunft unbedingten Gehorsam leisten, und ebenso selbstverständlich waren alle Versprechungen am nächsten Tage schon wieder vergessen. Ueber dieses wiederholte Nichthalten der Versprechungen läßt sich viel sagen; es befreit das Gemüth von ungeheuerer Sorge und jeder Spur von Verantwortlichkeit, man ist mit keiner Beschränkung belastet, und das Gefühl der Erleichterung und Freudigkeit erhellt die Züge. Weshalb soll der Mensch, der doch auch ein Thier ist, sich beständig durch Verpflichtungen fesseln lassen, als ob er ein moralisches Wesen wäre, das für jedes im Drange des Augenblicks geäußerte müßige Wort verantwortlich gemacht werden soll?

Am 28. August setzte die Flußcolonne, die jetzt aus dem Stahlboot »Advance« und 16 Kanoes bestand, die Reise flußaufwärts bis zum Lager 8 km oberhalb Avedjeli fort. Die Landabtheilung blieb weit zurück, da sie sich über eine Reihe von Flüssen und Bächen arbeiten mußte und in den Tiefen des erstickend dichten Gebüsches begraben war, sodaß sie erst um Mittag des nächsten Tages eintraf, doch wurde sie angewiesen, noch zwei Stunden weiter aufwärts zu marschiren, wohin wir ihr folgten.

Am 30. August trafen wir am untern Ende eines großen Wasserfalles ein und stellten durch Beobachtungen fest, daß wir nunmehr die Hälfte des Weges nach dem Albert-See zurückgelegt hatten, da Kavalli auf 30° 30' östl. L. und Jambuja auf 25° 3' 30" östl. L. liegt. Unser Lager an diesem Tage befand sich ungefähr auf 27° 47' östl. L.

Der Luftlinie nach hatten wir noch etwa 302 km Weges vor uns, die wir aber nicht in 64 Tagen zurücklegen konnten, wie die hinter uns liegende westliche Hälfte unsers Weges. Die Leute befanden sich in einer jämmerlichen Körperbeschaffenheit und waren moralisch gedrückt; Geschwüre wütheten epidemisch unter ihnen, Blutarmuth hatte ihre Lebenskraft zerstört. Wir sagten ihnen, wir hätten die Hälfte des Weges erreicht, aber sie antworteten ungläubig mit Murren. Sie fragten: »Wie kann der Herr das wissen? Zeigt jenes Instrument ihm den Weg? Sagt es ihm, welches der richtige Pfad ist? Weshalb sagt es uns denn das nicht, damit wir sehen und glauben können? Kennen die Eingeborenen ihr Land nicht besser? Wer von ihnen hat je Gras gesehen? Sagen sie nicht sämmtlich, daß die ganze Welt mit Bäumen und dichtem Gebüsch bedeckt ist? – Bah, der Herr spricht zu uns, als ob wir Kinder wären und selbst keinen Verstand hätten.«

Der Morgen des schlimmen 31. August dämmerte wie an andern Tagen; er bahnte sich durch dunkle Nebelwolken und endlich gegen 9 Uhr erschien die Sonne, blaß, verschwommen, eine Kugel mit glanzlosem Lichte. Inzwischen waren wir aber bereits eifrig mit unserer häufig wiederkehrenden Aufgabe beschäftigt, durch das Dickicht und den Wald eine breite Straße herzustellen, auf welcher das Boot unzerlegt von 60 Mann getragen werden konnte, während die Mannschaft der Flotille direct mit den ungestümen Gewässern kämpfte und die übrigen Fahrzeuge im stark geneigten Bette des in raschem Laufe dahinfließenden Stromes hinaufschob.

Nachdem die Straße in etwa einer Stunde vollendet war, legten wir am obern Ende derselben ein provisorisches Lager an, bei welchem nach und nach auch die Kanoes anlangten. Gleich darauf stellte sich der Doctor, den ich zurückgelassen hatte, um die das Boot tragenden Pioniere zu beaufsichtigen, ein und meldete, die Leute könnten dasselbe nicht heben. Ich kehrte deshalb wieder um, um die Arbeit persönlich zu leiten. Wir hatten das Boot etwa die Hälfte der Strecke transportirt, als mein europäischer Diener mit wilden Sprüngen herbeieilte und mir zuschrie: »Herr, o Herr, Emin Pascha ist angekommen!«

»Emin Pascha?«

»Ja, Herr. Ich habe ihn in einem Kanoe selbst gesehen. Seine rothe Flagge, gerade wie die unserige (die ägyptische), ist am Heck aufgezogen. Es ist ganz gewiß wahr, Herr.«

Selbstverständlich stürzten wir fort, das Boot wurde fallen gelassen, als ob es ein Stück glühendes Eisen gewesen wäre. Es war thatsächlich ein Wettlauf, Herr und Diener wollten der erste sein. Im Lager herrschte ebenfalls allgemeine Aufregung. Sie hatte, wie wir bald erfuhren, ihren Grund in der Ankunft von neun Manjema, den Dienern eines gewissen Uledi Baljus, der den Eingeborenen unter dem Namen Ugarrowwa bekannt war, sich etwa 8 Tagemärsche weiter flußaufwärts niedergelassen haben und mehrere hundert Bewaffnete befehligen sollte.

siehe Bildunterschrift

»Der Pascha ist angekommen!« Transport des Bootes durch den Wald.

Die Araber befanden sich also so weit im Innern des Landes am obern Aruwimi, und ich hatte die freudige Hoffnung gehegt, schon längst zum letzten mal von diesen Räubern gehört zu haben! Die Ankömmlinge erzählten auch, daß 50 von ihnen etwa 10 km flußaufwärts ein Lager bezogen hätten, um auf Befehl von Ugarrowwa den Lauf des Flusses zu erforschen und festzustellen, ob auf diesem unbekannten Strom, an dessen Ufer sie rasteten, eine Verbindung mit den Stanley-Fällen herzustellen sei.

Wir gaben ihnen die gewünschte Information, worauf sie erklärten, nach ihrem Lager zurückkehren und einen gastfreien Empfang für morgen vorbereiten zu wollen. Die Sansibariten waren über diese Nachricht außer sich vor Freude; aus welchem Grunde, wird man bald sehen.

Der erste Deserteur war ein gewisser Djuma, der in der Nacht mit etwa einem halben Centner Zwieback verschwand.

Früh am Morgen des 1. September hatten wir die Stromschnellen hinter uns, ruderten in Gesellschaft der Karavane stromaufwärts und waren bald bei dem Dorfe, wo die Manjema ihr Lager aufgeschlagen haben sollten. Am Eingange lag ein todtes Kind männlichen Geschlechts, buchstäblich in Stücke zerhackt; innerhalb der Palissaden fanden wir die Leiche einer Frau, die durch Speerstiche getödtet war. Die Manjema waren verschwunden. Es schien uns damals, daß einige unserer Leute die Freude der Manjema über das Zusammentreffen mit uns einigermaßen gedämpft hatten mit der Bemerkung, daß die bei ihnen befindlichen Sklaven möglicherweise einen Umschwung unserer Stimmung herbeiführen könnten. Der Argwohn, daß dies richtig sein könnte, hatte augenblicklich eine Sinnesänderung bei ihnen hervorgerufen und die Furcht sie veranlaßt, sich sofort zu entfernen. Ihre Gesellschaft hatte aber so viel Anziehungskraft, daß 5 Sansibariten mit ebenso vielen Lasten, vier mit Munition und einer mit Salz, verschwanden.

Wir nahmen dann unsern Marsch wieder auf und machten am Fuße einer weitern Reihe von Stromschnellen halt.

Am nächsten Tage stattete Saat Tato, der die Schnellen untersucht hatte, einen ermutigenden Bericht ab und sprach die Ueberzeugung aus, daß wir die Schwierigkeiten ohne große Mühe bewältigen würden. Diese Meinung regte unsere Bootsleute sehr an, sodaß sie einen neuen Versuch unternahmen. Während die Flußabtheilung dann mit ihrer eigenthümlichen und gefährlichen Arbeit beschäftigt war, sandte ich einen Trupp Leute aus, um Nachrichten über die Vermißten einzuziehen. Sie kehrten mit einem Mann, einer Kiste Munition und drei Gewehren zurück, da sie die Deserteure im Walde entdeckt hatten, gerade als sie eine Munitionskiste geöffnet hatten und deren Inhalt unter sich vertheilten. Bei dem Versuch, die Deserteure zu umzingeln, waren dieselben aufmerksam geworden und entflohen, wobei sie die Kiste und die drei Gewehre zurückließen.

Am 3. September entwichen weitere 5 Mann, die eine Kiste Remington-, eine Kiste Winchesterpatronen, eine Kiste europäischen Proviant und eine Last schöner arabischer Kleidungsstücke im Werthe von 1000 Mark mitnahmen. Ein anderer wurde dabei betroffen, als er eine Proviantkiste geöffnet und bereits je eine Büchse mit Sago, Liebig'schem Fleischextract, Butter und Milch entwendet hatte. Auf diese Weise waren innerhalb weniger Tage 10 Mann verschwunden, und wenn dies so fortging, würde es in 60 Tagen mit der Expedition zu Ende gewesen sein. Ich berathschlagte mit den Anführern, wurde aber nicht ermuthigt zu dem Versuch, was wir mit den strengsten Maßregeln ausrichten würden. Es mußten doch selbst die Dümmsten begreifen, daß wir bald gezwungen sein würden, zum Aeußersten zu schreiten, um diesem Desertiren und den Diebstählen im Großen ein Ende zu machen. Seit dem Abmarsch von Jambuja hatten wir 48 Gewehre und 15 Kisten Maxim-, Winchester- und Remington-Munition verloren.

Am nächsten Tage desertirten 4 Mann, während einer abgefaßt wurde, als er im Begriff stand davonzulaufen. Die Leute wurden jetzt gemustert, und da bei 60 Mann, die wir der Desertion für fähig hielten, keiner der Anführer die Garantie für ihre Treue übernehmen wollte, machten wir sie vollständig hülflos, indem wir die Hauptfeder ihrer Gewehre entfernten, an uns nahmen und einschlossen. Die Demoralisation hatte sich rasch entwickelt, seitdem wir mit den Manjema zusammengetroffen waren. In den Händen der Leute war nichts mehr sicher; die Kisten waren geöffnet, die Stoffe gestohlen, die Glasperlen geraubt, die Munition herausgenommen und entweder fortgeworfen oder als Reserve am Wege versteckt worden.

Am 5. September lagerten wir in der Nähe der Flußpferd-Weitung, einer Stelle des Flusses, die wir wegen der Breite und Schönheit des Aruwimi und einer von uns erblickten Heerde von Flußpferden so genannt hatten. Unser Halteplatz befand sich auf einer verlassenen Lichtung, welche diese amphibischen Thiere sich jetzt zum Lieblingsaufenthalt erkoren hatten und wo einige mit prächtigem Rasen überzogene Strecken uns einen Augenblick hoffen ließen, daß das offene Land nicht mehr fern sei. Die Fourragirer kehrten von einem auf beiden Ufern ausgeführten Zuge ins Innere mit vier Ziegen und einigen Bananen, sowie einer Anzahl von gerösteten Ratten, gekochten Käfern und Schnecken zurück. Am 6. September erreichten wir einen Katarakt gegenüber der Bafaido-Niederlassung, wo wir einen ansehnlichen Vorrath von Bananen bekamen, und am nächsten Tage schleppten wir die Kanoes dort über eine Felsplatte. Der Fluß stürzte sich über eine vorspringende Kante derselben 3 m tief herab.

siehe Bildunterschrift

Der Bafaido-Katarakt.

Von dem Bafaido-Falle marschirten wir den Windungen des Flusses entlang nach den Avakubi-Schnellen, wo wir in der Nähe des Landungsplatzes das Lager aufschlugen. Von hier führte ein Pfad ins Innere, dem die hungerigen Leute bald folgten. Beim Durchstreifen des Landes nach Lebensmitteln fanden sie eine Frau mit einem Kinde, die sie mir zuführten, um sie auszufragen. Allein selbst der geschickteste Dolmetscher war hier in Verlegenheit, niemand verstand auch nur ein Wort von dem sinnlosen Geschwätz.

Am nächsten Tage erreichten wir weitere Stromschnellen. Hier bemerkten wir auch, daß die Oelpalme in dieser Gegend gedeiht.

Bei jedem Dorfe sahen wir Haufen von Palmnüssen und entdeckten sogar einige Palmen, die erst kürzlich gepflanzt waren, ein Beweis, daß auch für die Nachkommenschaft etwas gesorgt wurde.

Der Somali Achmet, welcher uns von Jambuja begleitet hatte und anfänglich marschirt war, seitdem wir oberhalb Jankonde den Fluß erreicht hatten, aber Passagier gewesen war, wurde mir hier als im Sterben liegend gemeldet. Er sollte an Melanose leiden. Mag sein oder nicht, jedenfalls war er merkwürdig abgemagert und buchstäblich zum Skelett geworden, das nur mit dünner Haut überzogen war.

Jenseit dieses Lagers umfuhren wir eine Spitze, passirten eine kurze gewundene Flußstrecke und näherten uns eine Stunde später einer Stelle, wo das Wasser mit fürchterlicher Gewalt dahinjagte und durch ein schmales Schieferbett eingeengt wurde. Jenseit dieser unmittelbar vor uns liegenden Schwierigkeit sahen wir eine Reihe rollender, tosender, zu Staub aufwirbelnder Wellen, die in aufeinander folgenden Linien herabkamen, darüber einen 9 m hohen Fall und oberhalb davon, eingehüllt in nebelartigen Dunst, ein schroffes Gehänge voll wilder Stromschnellen, deren Wogen ungestüm der kochenden, rauschenden Tiefe zujagten. Der Anblick war in Berücksichtigung des Zustandes unserer Colonne schrecklich. In den Kanoes befanden sich etwa 120 Lasten und 50-60 Kranke und Schwache. Diese im Walde ihrem Schicksal zu überlassen war unmöglich, die Lasten und den »Advance« zu tragen schien ebenso unausführbar zu sein, und das Schleppen der Kanoes und Tragen des Bootes längs der weiten Strecke von Katarakten und Stromschnellen war offenbar eine Aufgabe, welche unsere äußerste Kraft überstieg.

Ich ließ die Fahrzeuge daher unterhalb der Fälle und Schnellen und führte die Expedition über Land nach der zerstörten Niederlassung von Navabi, die in der Nähe einer Biegung des Ituri oder Aruwimi oberhalb der unruhigen Strecke liegt. Dort schlugen wir das Lager auf. Die Kranken schleppten sich hinter der Karavane her; diejenigen, welche allzu schwach und hülflos waren, um den Marsch zurückzulegen, wurden ins Lager getragen, wo die Compagnien von den Offizieren gemustert wurden für das Durchbrechen einer breiten Straße durch das Dickicht, um die Kanoes nachschleppen zu können. Diese Aufgabe nahm uns zwei volle Tage in Anspruch, während die erste Compagnie nah und fern umherstreifte, um Lebensmittel zu beschaffen, leider nur mit theilweisem Erfolg.

Navabi muß früher ein bemerkenswerthes Beispiel von dem Gedeihen der Niederlassungen der Eingeborenen gewesen sein. Es besaß Haine von Oelpalmen und Bananenbäumen, große mit Taback und Mais bebaute Strecken; die Hütten hatten ein fast idyllisches Aeußere, wie wir wenigstens aus zweien derselben schlossen, die stehen geblieben waren und uns einen kleinen Begriff des schönen, heitern Glückes der Tropen gab. Im übrigen war alles öde. Streifpartien, welche nach unserer Ansicht von Ugarrowwa geschickt waren, hatten die Ansiedelung niedergebrannt, viele von den Palmen umgehauen, die Bananenpflanzungen dem Erdboden gleichgemacht und den Boden mit den Gebeinen der Vertheidiger besäet. Innerhalb unsers Lagers bei Navabi fanden wir die Schädel von fünf kleinen Kindern.

siehe Bildunterschrift

Angriff auf einen Elefanten vom Ituri aus.

Am 12. September setzten wir die Reise fort, doch waren wir gezwungen, fünf Mann zurückzulassen, die sich bereits in bewußtlosem Zustande befanden und im Sterben lagen. Unter ihnen war auch der Somali Achmet, den wir fast den ganzen Weg von Jambuja getragen hatten.

Von Navabi wandten wir uns nach dem Landungsplatze bei Memberri, der offenbar häufig von Elefanten aufgesucht wurde. Als wir eins dieser Thiere nicht weit entfernt von uns am rechten Ufer ein üppiges Bad im Flusse nehmen sahen, drängten mich die übrigen Offiziere, sich nach Fleisch sehnend, mein Glück zu versuchen. Auf dieser Expedition hatte ich mich mit den Expreßbüchsen vom Kaliber 577 bewaffnet, welche von den indischen Jägern sehr gerühmt werden, während die schweren Büchsen von Kaliber 8 sich bei Major Barttelot und Herrn Jameson befanden. Es gelang mir, dem Thiere aus der Entfernung von wenigen Metern sechs Kugeln in den Leib zu jagen, aber zu keinem weitern Zwecke, als dasselbe unnöthigerweise zu verwunden.

In Memberri hielt ich eine Musterung der Leute ab, die beim Vergleich mit den frühem Listen folgendes Resultat ergab:

23. August 373 Mann.
12. September 343 Mann.

14 Mann waren desertirt, 16 gestorben. Zahl der Träger 235, der Lasten 227, der Kranken 58.

Zu diesen beredten Zahlen kommt noch hinzu, daß jedes Mitglied der Expedition Hunger litt und daß die Mittel zur Abhülfe des immerwährend sich geltend machenden Mangels an Nahrung desto mehr abzunehmen schienen, je höher wir hinaufkamen, da die Bakusu- und Basongora-Sklaven unter der Führung der Manjema Ugarrowwa's die Pflanzungen zerstört und die Bevölkerung entweder in unbekannte Schlupfwinkel des Waldes getrieben oder vernichtet hatten.

Am nächsten Tage erreichten wir die Amiri-Fälle. Tags zuvor hatte der Anführer Saadi einen Tadel erhalten, weil er es einem gewissen Makupete gestattet hatte, auf unserm Wege zurückzukehren und nach einer vermißten Munitionskiste zu suchen, worauf Saadi den unklugen Entschluß gefaßt hatte, Makupete nachzuforschen. Dann desertirte ein anderer Mann, Uledi Manga, dem die schwere Arbeit und die melancholischen Aussichten vor uns nicht mehr behagten, und nahm ebenfalls eine Kiste Munition mit.

Von den Eseln aus Sansibar waren nur noch drei übrig, während wir beim Abmarsch von Jambuja sechs gehabt hatten. Von den andern drei hatte einer, der vermuthlich das Vorgefühl von dem Untergang der Karavane gehabt hatte, es sich in den Kopf gesetzt, daß es besser sei umzukehren, ehe es zu spät sei, und war ebenfalls davongelaufen, niemand weiß wohin. Im Walde nach verlorenen Leuten, Eseln oder Gegenständen zu suchen, ist nutzlos; wie die vom Buge des Schiffes zertheilten Wellen sich hinter dem Heck wieder vereinigen, so umhüllt auch der Wald alles, was hineinkommt, mit seinem tiefen Schatten so dicht, daß es nicht wiederzufinden ist, und gibt nichts wieder her.

Am 15. September lagerten wir in der Nähe einer vereinzelten alten Fischerhütte. Der Fluß wandte sich hier nach einer ungeheuern über Norden nach Osten laufenden Curve nach Südosten. Von 1° 58' waren wir bereits bis nach 1° 24' nördl. Br. gekommen.

Nachdem wir während der letzten Tage gewöhnlich eine Kiste Munition täglich verloren und fast alle Mittel zur Unterdrückung der Räubereien vergeblich angewandt hatten, griffen wir jetzt dazu, die Kisten in Partien von acht Stück zusammenzubinden, jede der Aufsicht eines Anführers zu überweisen und diesen verantwortlich zu machen. Auf diese Weise hofften wir endlich die Entschuldigung zu beseitigen, daß der betreffende Mann unter allerlei Gründen in den Wald verschwunden sei.

Während wir am 16. September halt gemacht hatten, um zu rasten und zu frühstücken, hörten wir flußaufwärts mehrere Gewehrschüsse. Ich schickte Saat Tato hin, um Erkundigungen einzuziehen, worauf wir eine halbe Stunde später drei Schüsse vernahmen, ein Zeichen, daß er Erfolg gehabt hatte. Bald darauf stellten sich drei mit rothen Flaggen geschmückte Kanoes mit Männern in weißen Gewändern bei unsern Fahrzeugen ein. Sie seien, wie sie erzählten, gekommen, um uns im Namen Ugarrowwa's, ihres Häuptlings, zu bewillkommnen, der mich in dem abends aufgeschlagenen Lager besuchen wolle. Nach gegenseitigem Austausch von Complimenten fuhren sie unter dem Abschießen ihrer Gewehre und fröhlichem Gesange wieder flußaufwärts.

Nachmittags nahmen wir zur üblichen Stunde den Marsch wieder auf und um 4 Uhr trafen wir im Lager gleich unterhalb der Station Ugarrowwa's ein. Zur selben Zeit kündigte das Wirbeln der Trommeln, das Knallen zahlreicher Gewehre und eine ganze Flotille von Kanoes das Herannahen des arabischen Häuptlings an, der von etwa 50 kräftigen, starken Burschen, sowie Sängern und Weibern begleitet war, die sich sämmtlich in bester körperlicher Verfassung befanden.

Der Häuptling nannte uns seinen Namen als Ugarrowwa, den sansibarischen Ausdruck für »Lualaba«, und seinen Namen bei den Eingeborenen als »Ruarawwa«; früher war er bekannt als Uledi Baljus (oder der Consul-Uledi). In den Jahren 1860-63 hatte er die Kapitäne Speke und Grant als Zeltdiener begleitet und war in Unjoro zurückgeblieben oder desertirt. Als Geschenk bot er uns zwei fette Ziegen und etwa 20 kg gereinigten Reis, sowie einige reife Bananen und mehrere Hühner an.

Auf meine Frage, ob Aussicht vorhanden sei, daß meine Truppen in der Nachbarschaft seiner Station Lebensmittel finden würden, gab er zu unserm Leidwesen zu, daß seine Leute in ihrer rücksichtslosen Weise alles vernichtet hätten und es unmöglich sei, ihnen Einhalt zu thun, weil dieselben wüthend auf die »Heiden« seien wegen der blutigen Rachethaten und Excesse, welche die Eingeborenen gegen unendlich viele ihrer Landsleute bei deren Suchen nach Elfenbein begangen hätten.

Auf die weitere Frage, in welchem Lande wir uns befänden, erwiderte er, wir seien in Bunda, deren Bewohner Babunda hießen; die Bevölkerung auf dem nördlichen Ufer in der Nachbarschaft seiner Station werde Bapai oder Bavaija genannt. Er erzählte auch, daß seine Beutejäger einen Marsch von einem Monat nach Osten unternommen hätten, und daß er von einem hohen Hügel (Kassololo?) ein nach Osten weit ausgedehntes Grasland gesehen habe.

Weitere Mittheilungen lauteten dahin, daß er mit seiner Karavane in der Stärke von 600 Mann den Lualaba bei Kibonge (oberhalb des Leopoldflusses) verlassen und in neun Monaten 686 km in nordöstlicher Richtung durch einen endlosen Wald zurückgelegt habe, ohne auch nur so viel Gras zu sehen, wie die Fläche der Hand bedecken würde; er habe nur einen Fluß, den Lindi, gekreuzt, bis er an den Ituri, wie der Aruwimi hier heißt, gekommen sei; von arabischen Händlern habe er gehört, daß der Lulu (Lowwa) in einem kleinen See, Oso genannt, entspringe, in dessen Nachbarschaft sehr viel Elfenbein sei.

Vier Tagemärsche weiter aufwärts habe Ugarrowwa noch eine zweite, mit 100 Gewehrträgern besetzte Station in der Nähe des Lenda-Flusses, der auf dem südlichen Ufer in den Aruwimi mündet. Seine Leute hätten Reis, von dem er uns etwas mitgebracht habe, und Zwiebeln gesäet; in der Umgegend der Niederlassungen sei aber Wüste, da es nicht weise sei, solchen »blutgierigen Heiden« zu gestatten, in ihrer Nähe zu leben, weil sein und seiner Landsleute Leben sonst nicht sicher sei. Er habe etwa 200 Leute von den Bakusu- und Basongora-Stämmen, sowie viele tüchtige Manjema-Führer verloren. Einmal habe er 40 Mann verloren, von denen nicht ein einziger zurückgekehrt sei. Er habe auf seiner Station einen arabischen Gast, der sämmtliche Leute seiner Karavane verloren habe.

Ich bemerkte, daß er geneigt war, einige seiner Leute mit mir nach dem See zu schicken, auch schien es mir keine Schwierigkeiten zu machen, meine Kranken gegen eine später zu vereinbarende Entschädigung bei ihm unterzubringen.

Am 17. September setzten wir unsere Karavane wieder in Marsch, um sie eine kleine Strecke weiter, seiner Station gegenüber, zu bringen.

Nachmittags ruderte ich mit unserm Boot über den Fluß nach der arabischen Niederlassung, wo ich gastfrei ausgenommen wurde. Ich fand, daß die Station eine große Ansiedelung war, die rundherum vorsichtig mit hohen Palissaden umgeben war, an denen man kurze Planken querüber festgebunden hatte, um einen Schirm gegen etwaige feindliche Pfeile herzustellen. In der Mitte, mit der Front dem Flusse zugekehrt, lag das Haus des Häuptlings, ein bequemes, geräumiges, hohes Gebäude, dessen Wände mit Löchern als Schießscharten versehen waren; es hatte mit seinen hohen, drohenden, aus Lehm hergestellten Mauern Aehnlichkeit mit einem Fort. Beim Passiren eines Durchgangs zwischen Ugarrowwa's Privatgemächern und den öffentlichen Räumen erblickte ich einen großen Hof von etwa 18 m Länge und Breite, umgeben von Gebäuden und gefüllt mit Dienern. Das Ganze hatte etwas von einem Edelsitz an sich mit dem Ueberfluß an Begleitern, den verschiedenen Dienern, den großen Räumen und dem überall herrschenden Reichthum. Der Ort war sicherlich bei einem Angriff unbezwingbar, und es würde, wenn er nur überhaupt tapfer vertheidigt wurde, eines ganzen Bataillons bedurft haben, um diesen Vorposten der Sklavenhändler zu erobern.

Wie Ugarrowwa mir mittheilte, scheine der Fluß viele Tagemärsche weit von Osten herzukommen; der Ihuru ströme eine erhebliche Strecke weiter aufwärts von Norden her in den Ituri, und außer dem Lenda gebe es noch einen weitern Nebenfluß, den Ibina, der von Süden komme.

Irgendwo weiter aufwärts, nach einer unbestimmten Angabe 10, nach einer andern 20 Tagemärsche entfernt, habe sich noch ein anderer Araber niedergelassen, der Kilonga-Longa genannt werde, dessen richtiger Name aber ebenfalls Uledi sei.

In dieser Ansiedelung sah ich zum ersten mal einen Vertreter des Stammes der Zwerge, die nördlich vom Ituri, vom Ngaiju ostwärts, stark verbreitet sein sollten. Es war ein durchaus wohlgebildetes Mädchen von etwa 17 Jahren, 84 cm groß; der Körper war glatt und glänzend, die Statur die einer farbigen Miniaturdame, der es nicht an einer gewissen Anmuth mangelte, mit sehr ansprechenden Zügen. Die Hautfarbe war die der Quadronen oder wie gelbgewordenes Elfenbein. Die Augen waren prachtvoll, aber übermäßig groß für ein so kleines Geschöpf, fast so groß wie diejenigen einer jungen Gazelle, voll, vorstehend und glänzend. Vollständig nackt, war die kleine Dame doch von sich eingenommen, als ob sie es gewohnt wäre, bewundert zu werden, und die Besichtigung machte ihr wirklich Vergnügen. Sie war in der Nähe der Quellen des Ngaiju entdeckt worden.

Nachdem Ugarrowwa mir alle seine Schätze gezeigt hatte, darunter auch den prachtvollen Vorrath von Elfenbein, den es ihm gelungen war zu sammeln, begleitete er mich zum Boote, wo er mich noch mit großen Schüsseln voll vorzüglich gekochtem Reis und einer ungeheuern Schale mit in Curry gekochten Hühnern beschenkte, einem Gericht, das mir nicht schmeckt, in meinem Lager aber mit Dank aufgenommen wurde.

Unser Landungsplatz zeigte eine lebendige Scene. Die Verkäufer von Bananen, Kartoffeln, Zuckerrohr, Reis, Maniokmehl und Geflügel riefen laut die Kunden an und rasch wurden Tauschgeschäfte mit Stoffen und Perlen gemacht. Ein solches Leben gefällt den Sansibariten, wie den meisten übrigen Eingeborenen am besten, und sie gaben daher ihrer glücklichen Stimmung in Tönen Ausdruck, die uns schon lange fremd waren.

Am selben Morgen hatte ich in der Frühe ein Kanoe ausgesandt, um etwaige Nachzügler, welche das Lager vielleicht nicht erreichen konnten, aufzunehmen, und nachmittags um 3 Uhr wurden 5 Kranke ins Lager gebracht, die sich bereits in ihr Schicksal ergeben gehabt hatten. Kurz nachher hielt ich eine Musterung ab, bei welcher es sich herausstellte, daß die Expedition die folgenden marschfähigen Leute hatte:

Tabelle

Alsdann ließ ich die Boote und Kanoes bemannen und die Kranken nach der arabischen Niederlassung bringen, da ich ein Abkommen getroffen hatte, wonach dieselben für 5 Dollars pro Kopf und Monat beköstigt werden sollten, bis Major Barttelot oder sonst jemand mit einer Ordre von mir käme.

Wie man sich erinnern wird, hatten wir die Leute Ugarrowwa's am 31. August einen Tagemarsch von Avedjeli, der Mündung des Népoko gegenüber getroffen. Sie waren, anstatt den Weg flußabwärts fortzusetzen, zu Ugarrowwa zurückgekehrt, um ihm die von uns erhaltenen Nachrichten zu überbringen, in der Meinung, ihre Mission erfüllt zu haben. Ugarrowwa wünschte Pulver zu erhalten, da sein Vorrath fast erschöpft war. Major Barttelot besaß 2½ Tonnen von diesem Sprengstoff und rückte, wie wir jenem erzählt hatten, flußaufwärts vor, würde aber, weil er so viel Gepäck hatte, erst nach mehrern Monaten hier eintreffen. Ich wollte mich gern mit Major Barttelot in Verbindung setzen und vereinbarte daher mit Ugarrowwa, daß ich ihm eine Anweisung auf 150 kg Pulver geben würde, wenn seine Leute den Weg am südlichen oder linken Ufer des Flusses so weit fortsetzten, daß sie Barttelot ein Schreiben übergeben könnten. Ugarrowwa war mir für dieses Anerbieten sehr dankbar und versprach, 40 Kundschafter innerhalb eines Monats abzusenden. (Er hat dieselben seinem Versprechen gemäß auch wirklich zwischen dem 20. und 25. October abgeschickt. Es gelang denselben, bis zu den Wespen-Schnellen, etwa 266 km von Jambuja, zu kommen, wo sie jedoch wegen ihrer Verluste und infolge der entschiedenen Feindseligkeit der Eingeborenen umkehren mußten.)

Unsere desertirten Sansibariten waren wie wir selbst zu dem falschen Glauben verleitet worden, daß die Leute Ugarrowwa's die Reise nach Westen auf einem ins Innere führenden Pfade fortsetzen würden, und ihnen in der genannten Richtung nachgeeilt, um sich ihnen anzuschließen, während wir hier erfuhren, daß jene Leute ostwärts zu ihrem Herrn zurückgekehrt waren. Ich war jetzt überzeugt, daß die Vereinbarungen mit Ugarrowwa und dessen öffentliche Erklärung vor allen Leuten den weitern Desertionen ein Ende machen würden.

Wir hatten die Arbeit auf dem Flusse mit seinen zahlreichen Stromschnellen ziemlich satt, und ich äußerte deshalb Ugarrowwa gegenüber, ich würde den Marsch zu Lande fortsetzen, indessen rieth der Araber mir ernstlich davon ab, weil den Leuten die Nothwendigkeit erspart würde, viele Lasten zu tragen, und alle Kranken zurückbleiben müßten; wie er mir ferner mittheilte, lauteten seine Informationen dahin, daß der Fluß stromaufwärts viele Tagemärsche weit besser schiffbar sei als weiter abwärts.



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