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Eine afrikanische Straße. – Unsere Marschweise durch den Wald. – Abschied von Jameson und dem Major. – 160 Tage im Walde. – Die Stromschnellen von Jambuja. – Angriff der Eingeborenen von Jankonde. – Rast im Dorfe Bahunga. – Beschreibung unsers Marsches. – Vergiftete Holzsplitter. – Gefangennahme von sechs Babali. – Dr. Parke und die Bienen. – Gewitter im Walde. – Jephson setzt das Stahlboot zusammen. – Das Dorf Bukanda. – Kehrichthaufen der Dörfer. – Landschaft am Aruwimi. – Dörfer der Bakuti und Bakoka. – Die Stromschnellen von Gwengwere. – Der Knabe Bakula. – »Schnitte« und Kaffee. – Die Inseln bei Bandangi. – Die Baburu-Zwerge. – Der unbekannte Lauf des Flusses. – Die Somali. – Tauschhandel in Mariri und Mupe. – Der Aruwimi bei Mupe. – Sitten, Gebräuche und Kleidung der Babe. – Jephson's zwei Abenteuer. – Die Wespen-Schnellen. – Der Häuptling der Buamburi. – Lager in Mijui. – Unfall eines Kanoe. – Ein verlassenes Dorf. – Ankunft bei den Panga-Fällen. – Beschreibung der Fälle.
Eine afrikanische Straße ist meist ein Fußpfad, welcher durch das Beschreiten in der trockenen Jahreszeit eine außerordentliche Glätte und die Härte des Asphalts bekommt. Da die Eingeborenen im Gänsemarsch, einer hinter dem andern, zu marschiren pflegen, ist der Weg nur 30 cm breit. Ist der Pfad alt, so gleicht er einer gewundenen schmalen Gosse, die in der Mitte mehr als an den Seiten ausgetreten ist, da das Regenwasser hindurchgeströmt ist und sie etwas ausgespült hat, während die Seiten durch Humus und Staub sich erhöhen und die Füße zahlreicher Passanten Zweige und Steine weggekehrt und den Staub niedergetreten haben. Ein gerader Weg würde im Durchschnitt um etwa ein Drittel kürzer sein, als der Pfad, auf welchem die Eingeborenen zu marschiren pflegen. Das ungefähr hofften wir zu finden, als wir aus dem Thore des verschanzten Lagers bei Jambuja marschirten, weil es uns auf vier frühern Expeditionen ins Innere von Afrika stets gelungen war, einen solchen Pfad Hunderte von Meilen zu verfolgen. Jambuja bestand aus einer Reihe von Dörfern. Ihre Bewohner mußten im Osten, sowie im Süden und Westen Nachbarn haben; weshalb sollten sie nicht?
Wir marschirten, eine Compagnie nach der andern, im Gänsemarsch aus dem Thor. Jede Compagnie hatte ihre Fahne, ihren Trompeter oder Trommler, sowie eine bestimmte Zahl von Ueberzähligen, während 50 ausgesuchte Leute als Vorhut voraufmarschirten, um Haumesser und Axt zu handhaben, die jungen Bäume zu fällen, von den Stämmen einen handbreiten Streifen Rinde abzuschälen, die Blätter und Sprossen des Rotangs zu durchhauen, alle den freien Durchzug der Hunderte von beladenen Trägern hindernden Zweige zu entfernen, Bäume für den Uebergang über Flüsse zu fällen und nach Beendigung des Tagemarsches aus Buschwerk und Zweigen Seribas oder Bomas um das Hüttenlager zu bauen. Die Vorhut muß den Pfad aufsuchen, oder wenn keiner zu finden ist, die schmalste Stelle des Dickichts wählen und sich sofort durchbohren, da es außerordentlich ermüdend ist, mit einer schweren Last auf dem Kopfe in der erhitzten Atmosphäre stillzustehen. Findet sich kein dünneres Dickicht, dann geht es irgendwo hindurch, so undurchdringlich die Stelle auch erscheinen mag; die Leute müssen tüchtig darauf loshacken, sonst entsteht unter den ungeduldigen Trägern hinter ihnen ein unheilverheißendes Murren. Sie müssen bei solcher Waldarbeit auch geschickt und intelligent sein; ein Neuling oder »Goi-Goi« hat das Haumesser wieder abzugeben und die Kiste oder den Ballen aufzunehmen. Dreihundert ermüdete Burschen lassen nicht mit sich spielen. Die Leute von der Vorhut sollen auch tapfer sein, rasch einen Angriff zurückschlagen und, da die Pfeile vergiftet, die Speerstiche tödlich sind, gute Augen haben, um die Dunkelheit und den Schatten zu durchdringen, sowie Beobachtungsgabe besitzen und jeden Augenblick bereit zum Handeln sein. Zeitvergeudende Leute sind nicht zu brauchen; die Burschen müssen jung, geschmeidig und gelenkig sein – die 300 Mann hinter mir haben keine Achtung vor alten und corpulenten Leuten – weil sie sonst mit Scheltworten überhäuft und mit Schimpfereien erstickt werden würden. Dutzende von Stimmen würden rufen: »Wo ist das Verdienst des Burschen? Ist es allein im Magen? Nein, in seinem hölzernen Rücken – fort, sein Kopf ist zu dick für einen Kundschafter. Er ist offenbar mit Aufhacken des Landes beschäftigt gewesen. Was will der Feldarbeiter auf dem Continent? Ihr seht, er ist nur ein Banianensklave! Nein, er ist ein vom Konsul in Freiheit gesetzter! Unsinn, er ist ein Missionsjunge.« Ihre spitzen Zungen durchdringen den Panzer der Dummheit wie Schwerter, daher werden die Haumesser mit der scharfen Schneide mannhaft geschwungen, die blanken Aexte blitzen und kappen junge Stämme oder trennen einen breiten Streifen Rinde vom Baume herunter, das Gebüsch wird durchbrochen, das Dickicht öffnet sich und, der Vorhut beständig dicht auf den Fersen, dringt die meilenlange Karavane nach.
Das wird die auf dem Marsche zu befolgende Ordnung und Methode sein. Ich bin stehen geblieben und beobachte die passirenden Leute, bis der letzte der Nachhut das Lager verlassen hat, worauf der Major, Jameson und die Garnison herauskommen, um noch ein Lebewohl mit uns auszutauschen.
»Nun, mein lieber Major, jetzt geht es los. Alles oder Nichts! Vergessen Sie Ihr Versprechen nicht, und wir werden in etlichen Monaten wieder beisammen sein.«
»Ich schwöre es zu Gott, ich werde scharf hinter Ihnen her sein. Lassen Sie mich nur erst die Burschen von Bolobo haben, dann soll nichts mich aufhalten!«
»Nun gut. Gott segne Sie! Halten Sie den Muth hoch. Und Jameson, alter Freund, denselben Wunsch auch für Sie!«
Kapitän Nelson, der zugehört hatte, trat nun ebenfalls heran, um jenen zum Abschied die Hand zu drücken; alsdann eilte ich nach der Front, während Nelson sich an die Spitze der Nachhut begab.
Die Colonne hatte am Ende der Dörfer oder eigentlich der Straße, die Nelson in letzter Zeit herzustellen begonnen hatte, halt gemacht.
»Welches ist der Weg, Führer?« fragte ich den wahrscheinlich stolzesten Mann der ganzen Colonne – denn es ist ein höchst erhebendes Gefühl, die Spitze des Zuges zu bilden. Der Mann trug ein griechisches Costüm und einen griechischen Helm à la Achilles.
»Dieser hier, der nach Sonnenaufgang führt«, erwiderte er.
»Wie viele Stunden sind es bis zum nächsten Dorfe?«
»Das weiß nur Gott«, antwortete er.
»Kennst du kein Dorf oder Land in jener Richtung?«
»Nicht ein einziges; wie sollte ich auch?« war die Entgegnung.
Das war alles, was der Klügste von uns wußte.
»Nun denn, vorwärts in Gottes Namen! Möge Gott stets mit uns sein! Halte dich an jeden Pfad, der am Flusse entlang führt, bis wir eine Straße finden.«
»Bismillah!« erscholl das Echo der Pioniere, die Trompeten der Nubier bliesen das Signal »Vorwärts!« und kurz darauf verschwand die Spitze der Colonne in dem dichten Gebüsch an den äußersten Grenzen der Lichtung von Jambuja.
Das war am 28. Juni, und bis zum 5. December, also 160 Tage, sind wir durch Wald, Busch und Dickicht marschirt, ohne je ein Stück Grasland von der Größe nur einer kleinen Zimmerdiele gesehen zu haben. Nichts als meilenweiter endloser Wald in mannichfachen Stadien des Wachsthums und je nach dem Alter der Bäume verschiedener Höhe, mit mehr oder weniger dichtem Unterholz je nach dem Charakter der Waldriesen, welche dichtern oder geringern Schatten spenden. Der Beschreibung des Marsches durch diesen Wald und der Ereignisse während desselben werde ich mich in den nächsten Kapiteln widmen, da hier zum ersten male, seitdem die Sündflut verschwand, die Meere sich sammelten und die Erde trockenes Land wurde, den Blicken und der Kenntniß des civilisirten Menschen sich eine absolut unbekannte Region eröffnete. Indem ich den Leser um Geduld bitte, verspreche ich, so wenig langweilig wie möglich zu sein, obwol es in diesem Frühling des Jahres des Herrn 1890 außer meinem vorliegenden Buche kein anderes Manuskript und keine Aufzeichnung und keine gedruckte Schrift gibt, in welcher eine Schilderung dieser Region der Schrecknisse enthalten wäre.
Bei einer Temperatur von 24° R. im Schatten marschirten wir auf einem Pfade, der nur sehr wenig benutzt worden war und sich unter dunkelm, dichtem Gebüsch dahinwand. Wir kamen nur langsam vorwärts, da die Bewegung alle paar Minuten durch das Dickicht unterbrochen wurde. Die von 50 Mann gehandhabten Haumesser und Aexte waren in beständiger Thätigkeit, die Schlinggewächse wurden unbarmherzig zerhauen und hin und wieder waren etwa 100 Meter lange Strecken des Weges ebenso gut passirbar, wie andere ungefähr gleichlange Strecken allerlei Schwierigkeiten boten.
Um Mittag blickten wir um das Knie des Aruwimi herum, welches von Jambuja aus zu sehen ist, und bemerkten etwa 6 km aufwärts eine weitere Stromschnelle, deren brandende Gewässer im Sonnenschein erglänzten. Die Stromschnellen von Jambuja lagen etwas abwärts von uns. Unterhalb der obern Stromschnellen war eine ganze Flotille von Kanoes versammelt, unter denen große Bewegung und reges Leben herrschte, selbstverständlich infolge der Warnung, welche die Jambuja ihren Nachbarn hatten zukommen lassen. Um 4 Uhr nachmittags bemerkten wir, daß die Spitze, welche wir den Stromschnellen gegenüberliegend gesehen hatten, aus Inseln bestand. Dieselben waren jetzt dicht besetzt mit Frauen und Kindern der Jankonde, die wir bis dahin noch nicht zu Gesicht bekommen hatten. Auf dem Strome waren etwa 100 Kanoes aufgefahren, mit eingeborenen Kriegern bemannt, welche die Bewegungen der Colonne, als sie im Licht und Schatten des Waldes auftauchte und wieder verschwand, mit höhnendem, spottendem und herausforderndem Geschrei verfolgten.
Die Spitze der Colonne erreichte bald darauf das Ende einer breiten, freien Straße von etwa 6 m Breite und 280 m Länge, an deren oberm Ende ungefähr 300 Eingeborene aus der Stadt Jankonde, den gespannten Bogen in der Hand, standen, gesticulirten und schrien. Auf allen meinen Reisen in Afrika hatte ich noch nichts Derartiges gesehen. Die Pioniere machten halt, überlegten und tauschten ihre Bemerkungen darüber aus: »Was bedeutet das? Die Heiden haben für uns eine breite Straße aus dem Busch zu ihnen ausgehauen und stehen trotzdem kampfbereit am andern Ende! Das ist irgendeine Falle, Jungens, paßt deshalb genau auf!«
Mit dem Buschwerk, welches die Eingeborenen abgekappt hatten, war zu beiden Seiten der Straße jeder Ausweg nach dem Walde auf eine längere Strecke abgedämmt und versperrt. Allein unsere 50 Paar guten Augen, die scharf nach allen Seiten, nach oben und unten umherspähten, fanden bald, daß diese scheinbare Hochstraße durch das Gebüsch von 15 cm langen, ausgetrockneten Palmenstengeln und an beiden Enden zugespitzten Holzstücken starrte, die bis zur halben Länge in den Erdboden getrieben und leicht mit grünen Büscheln bedeckt waren, welche die Eingeborenen so geschickt hingeworfen hatten, daß wir im ersten Augenblicke glaubten, die verstreuten Blätter rührten von dem Lichten des Dickichts her.
Ich ließ zwei Linien von je 12 Mann quer über die Straße bilden und befahl der ersten, die Holzstücke aus der Erde zu ziehen, während die andere die Arbeiter mit ihren Waffen decken mußte und bei dem ersten Hagel von Pfeilen Feuer geben sollte. Auf beiden Seiten der Straße wurden Kundschafter ausgesandt, welche sich einen Weg durch den Wald ins Dorf bahnen mußten. Kaum waren wir 20 m auf der offenen Straße vorgerückt, als Rauchwolken aus der Stadt aufstiegen und eine kleine Wolke von Pfeilen heranflog, die jedoch zu kurz fielen. Wir erwiderten mit einer Salve, zogen rasch die Holzsplitter heraus und drangen stetig vor, bis wir das Dorf erreichten, zur selben Zeit, als die Kundschafter aus dem Unterholz hervorstürzten, und da die sämmtlichen Pioniere jetzt vorrückten, so fand ein ziemlich lebhaftes Feuern statt, unter dessen Schutze die Karavane rasch durch die brennende Stadt nach einem noch nicht in Brand gerathenen Dorfe an dem äußersten östlichen Ende derselben marschirte.
Dem Flusse entlang hatte das Schießen eine viel größere Wirkung. Schon das Knallen genügte, um einen Feind, welcher wie die Wilden leicht an die Schrecknisse des Schalls glaubt, in Furcht zu versetzen; allein leider richtete dasselbe ebenso viel Schaden wie Schrecken an. Ich fürchte, daß sehr viele die thörichte Herausforderung mit dem Tode haben bezahlen müssen. Die Schuld daran tragen ohne Zweifel die Jambuja, welche die überraschendsten Fabeln erfunden haben müssen, um ihre Nachbarn zu dem Versuch zu veranlassen, eine mit fast 400 Gewehren bewaffnete Truppe aufzuhalten.
Es war beinahe 9 Uhr abends, ehe die Nachhut das Lager erreichte. Die ganze Nacht hindurch wendeten die Wilden ihre gewöhnliche Taktik an, um Lärm und Störungen hervorzurufen, indem sie senkrecht Assegais und stark vergiftete Pfeile ins Lager fallen ließen und dabei plötzlich ein Geschrei, Heulen und Drohungen ausstießen und an verschiedenen Stellen gleichzeitig Hörner bliesen, als solle gleich darauf ein allgemeiner Angriff unternommen werden. Fremde, welche die Schlauheit dieser Waldteufel nicht kennen, würden zu entschuldigen sein, wenn sie meinten, es bedürfe nur des Tageslichtes, um uns vollständig zu vernichten. Einige dieser Taktiken hatte ich schon in frühern Jahren kennen gelernt, allein es war von der Schlauheit dieser echten Heiden doch noch etwas zu lernen. Das Lager wurde mit Schildwachen umgeben, die nur den Befehl erhielten, das strengste Schweigen zu beobachten und die Augen scharf offen zu halten.
Am Morgen wurde mir gemeldet, daß ein Mann mit genauer Noth dem Tode entgangen war. Als er aufwachte, fand er, daß ein Speer neben ihm in die Erde gedrungen war und seine Schlafdecke und Matte durchbohrt hatte. Zwei Mann hatten leichte Pfeilwunden erhalten.
Wir wanderten am nächsten Morgen etwa zehn Minuten umher, um einen Pfad zu suchen, und entdeckten schließlich einen solchen, welcher durch ein meilengroßes, ungeheueres Viereck von Maniokfeldern führte. Bei dem kleinen Dorfe Bahunga, ungefähr 6 km südöstlich von Jankonde, machten wir gern halt, da wir nicht beabsichtigten, nach der langen Fahrt auf dem Flusse gleich nach dem Aufbruche rasch vorzudringen, sondern die Leute nach und nach an den vor ihnen liegenden weiten Marsch gewöhnen wollten.
Am 30. Juni trafen wir einen Pfad, welcher eine Reihe von 14 Dörfern miteinander verband, die jedes für sich getrennt waren, in gerader Linie lagen und von üppigen Feldern umgeben waren, auf denen Maniok oder, wie die Pflanze auch genannt wird, Cassave gebaut wurde. Wir bemerkten aber doch, daß nach den vorhandenen Spuren zu urtheilen, sich hier vor vielen Monaten ein Unglück ereignet haben mußte. Die Dörfer, welche wir passirten, waren meist neu aufgebaut und bestanden aus Hütten von der Form eines spitzen Kegels (Löschhorns) oder eigentlich einer vierseitigen Pyramide; angebrannte Pfähle und Trümmer der alten Dörfer bezeichnten die Stellen der frühern Wohnstätten. Hier und dort fanden wir auch gezeichnete Bäume, woraus ich erkannte, daß Araber oder Manjema, vielleicht auch der Bruder Tippu-Tib's, dieser Gegend einen Besuch abgestattet haben mußten.
Am nächsten Tage führte der Marsch uns durch eine ähnliche Reihe von Dörfern, 12 an der Zahl, die durch einen gut ausgetretenen, von einem Dorf zum andern führenden Pfad verbunden waren. Hier wurden die einzelnen Weiler durch den Urwald getrennt; längs des Pfades bemerkten wir Fanggruben für großes Wild des Waldes, sowie Fallen für kleinere Thiere, wie Kaninchen, Eichhörnchen, Ratten und kleine Affen. In der Nachbarschaft jedes Dorfes sahen wir zahlreiche Holzstücke im Boden, doch hatten wir bis jetzt noch keine Verletzungen durch dieselben erlitten.
An diesem Tage erfuhren wir eine weitere ernstliche Unbequemlichkeit des Marsches im Walde. Ungefähr alle 50 Meter lag ein gestürzter Baum von einem Durchmesser gleich der Brusthöhe quer über den Weg, und zwar in einer Häufigkeit, die entschieden lästig wurde; die Esel mußten vorsichtig darüber hinweggeführt werden. Zwanzig bis fünfundzwanzig dieser Bäume mußten von Hunderten von Leuten überklommen werden, die in dieser neuen Reiseart nicht alle gleich geschickt waren und bereits über diese ernstlichen Hindernisse und den durch dieselben verursachten Aufenthalt zu klagen begannen. Die Hauptzugänge zu den vielen Dörfern waren reich besäet mit den vergifteten Holzsplittern, welche jedermann, mit Ausnahme der Stiefel tragenden Weißen, mit größter Vorsicht aufzutreten veranlaßten. Uebrigens konnten auch die Europäer der Gefahr gegenüber nicht ganz gleichgültig bleiben, denn die leichteste Verletzung – und das Holzstück vermochte das dickste Stiefelleder zu durchdringen und die spitzen Splitter tief in den Fuß zu bohren – verursachte so fürchterliche Schmerzen, daß man es wol der Mühe Werth hielt, sich in Acht zu nehmen.
Um 3 Uhr nachmittags machten wir in der Nähe einiger mit Seerosen überwachsenen Tümpel Rast, ziemlich entfernt von einem Dorfe, bei dessen Passiren wir drei Verwundete bekommen hatten.
An diesem Morgen wurde das Lager ungefähr drei Stunden vor Tagesanbruch durch Geheul und lautes anhaltendes Hörnerblasen erweckt. Als die Hörnerklänge bald darauf wieder verstummten, hörte man klar und deutlich die Stimmen zweier Leute, obwol ich wie viele andere mich vergeblich bemühte, die intensive Dunkelheit zu durchdrungen, um diese mitternächtlichen Redner zu erblicken.
Der erste Sprecher sagte: He, ihr Fremden, wohin wollt ihr?
Der Parasit wiederholte: Wohin wollt ihr?
Sprecher: Dieses Land bietet euch kein Willkommen.
Parasit: Bietet euch kein Willkommen.
Sprecher: Alle Leute sind gegen euch.
Parasit: Sind gegen euch.
Sprecher: Ihr werdet sicherlich erschlagen werden.
Parasit: Sicherlich erschlagen werden.
Sprecher: Ah – ah – ah – ah – ah – aah.
Parasit: Ah – ah – aah.
Sprecher: Uh – uh – uh – uh – uuh.
Parasit: Uh – uh – uuh.
Dieser Parasit war ein so offenbarer Parasit, mit so viel Humor begabt, daß sich plötzlich ein allgemeines kräftiges und überraschendes Gelächter erhob, durch welches der Sprecher mit seinem Echo in schleunigster Flucht davongescheucht wurde.
Da mir die Thatsache, daß der Pfad, welcher uns zu diesen Tümpeln gebracht hatte, nicht von Menschen, sondern von Elefanten herrührte, einige Unruhe verursachte und ich überzeugt war, daß die Leute über diesen Tag hinaus nicht mehr mit Lebensmitteln versorgt waren, so schickte ich am 2. Juli bei Tagesanbruch 200 Mann nach den Dörfern zurück, um je eine Last Maniok zu holen. Aus der Art und Weise, wie sie diesen Befehl ausführten, konnte man schließen, daß sie doch wenig oder gar keine Vernunft besaßen und daß nicht die Hälfte der zur Zeit im Lager befindlichen 389 Mann aus Afrika zurückkehren würde. Jetzt sprudelten sie von Leben und Beweglichkeit über, ihre Gewehre waren in vorzüglichem Zustande, ihre Ausrüstung war neu und jeder von ihnen hatte zehn Patronen. Bei ein wenig Sorgfalt für ihr eigenes Selbst und nur einem kleinen bischen Klugheit war kein Grund vorhanden, weshalb nicht fast alle wohlbehalten und gesund zurückkehren sollten; allein sie waren so roh, so dumm und unvernünftig, daß Befehle und Anweisungen unbeachtet blieben, außer wenn die Leute strengstens beaufsichtigt wurden; um sie aber wirksam zu beaufsichtigen, würde ich 100 englische Offiziere von ähnlicher Intelligenz und Hingabe gebraucht haben, wie diejenigen vier, welche ich damals bei mir hatte. So verlieren sie das Leben um Kleinigkeiten willen, die sich bei ein wenig Vernunft vermeiden lassen, und bevor nicht ein schreckliches Unglück sie betrifft, werde ich nicht im Stande sein, ihrem Verstande begreiflich zu machen, daß es ein Verbrechen ist, das Leben auf thörichte Weise zu verlieren.
Um die allgemeine Richtung des Pfades zu erforschen, sandte ich eine Anzahl Kundschafter vorauf, die etwa zur selben Zeit wie die Fourragirer zurückkehrten und sechs Eingeborene im Walde gefangen genommen hatten. Letztere gehörten einem Stamme mit Namen Babali an, hatten eine hell-chocoladenfarbige Haut und waren bei der Herstellung von Wildfallen betroffen worden.
Als wir uns bemühten, einige Auskünfte über das Land, durch welches der Pfad führte, von ihnen zu erhalten, sagten sie: »Wir haben nur ein Herz; ihr solltet nicht zwei haben«, was so viel bedeuten sollte wie: »Sprecht nicht so gut zu uns, wenn ihr uns ein Leid anthun wollt.« Wie alle Eingeborenen behaupteten sie bestimmt, daß sie kein Menschenfleisch äßen, daß dies aber bei den Babanda-, Babali- und Babukwa-Stämmen, welche die Ufer des Aruwimi oberhalb Jankonde bewohnen, Sitte sei.
Kurz nach der Unterredung mit den Eingeborenen hatte Dr. Parke, nachdem er die umhersummenden Bienen beobachtet hatte, zu einem der andern Offiziere bemerkt, er glaube nicht, daß die Thiere überhaupt stächen; aber fast in demselben Augenblick setzte sich eine solche lasterhafte Biene ihm in den Nacken und trieb ihren Stachel tief ins Fleisch, um ihn für seine beleidigende Geringschätzung zu bestrafen. Er kam darauf zu mir, um mir die Sache als einen guten Witz zu erzählen, als er von einer zweiten Biene angegriffen und fast auf derselben Stelle verwundet wurde, sodaß er vor Schmerz aufschrie: »Wahrhaftig, sie stechen doch fürchterlich genug.« »Allerdings«, erwiderte ich; »es geht nichts über die Erfahrung, um den Verstand zu schärfen.«
Nachdem wir den Maniok vertheilt hatten mit der Anweisung, die Wurzeln in dreimal erneuertem Wasser zu kochen, nahmen wir um 1 Uhr nachmittags den Marsch wieder auf, bis wir um 4 Uhr das Lager aufschlugen.
Am nächsten Tage verließen wir den Pfad und arbeiteten uns nach dem Kompaß durch den ungeheuern hohen Wald und das dschungelartige Unterholz. In der Colonne hatte ich den Platz als Dritter nach dem Führer, sodaß ich den Curs bestimmen konnte. Um eine stetige, wenn auch langsame Bewegung im Gange zu halten, gab ich den Pionieren die Anweisung, daß jeder im Weitergehen eine hindernde Liane oder einen in den Weg hereinhängenden Zweig des Gebüsches wählen, einen scharfen Hieb danach führen und dann weiter marschiren sollte, während die beiden Männer an der Spitze sich darauf zu beschränken hatten, etwa alle zehn Meter ein großes wirksames Wegzeichen an den Bäumen anzubringen. Da die Nachhut uns erst in etwa zwei Monaten folgen würde, so kam sehr viel darauf an, daß diese Bezeichnung durch Ablösen eines gut handbreiten Streifens Rinde erfolgte.
Selbstverständlich war der Marsch, da er durch eine nie betretene pfadlose Wildniß führte, an einigen Stellen so langsam wie bei einem Leichenbegängniß, sodaß wir manchmal nur etwa 350-400 m in der Stunde vorwärts kamen, während wir an andern offenern Orten mit weniger Unterholz einen halben, einen ganzen oder gar anderthalb Kilometer in der Stunde zurücklegten. Infolge dessen konnten wir von 6½-11 Uhr vormittags, wenn wir halt machten, um zu frühstücken und zu rasten, und von 12½-3 oder 4 Uhr nachmittags, also in 6-7 Stunden täglich, etwa 8 km marschiren. Auf den gewöhnlichen afrikanischen Wegen, wie man sie in andern Gegenden findet, hätten wir in derselben Zeit 22-29 km zurücklegen können. Wir mußten uns deshalb in der Nähe der Niederlassungen halten, nicht nur der Lebensmittel wegen, sondern auch in der Hoffnung, die Pfade der Eingeborenen benutzen zu können. Man wird später sehen, wie es uns dabei erging.
An diesem Tage waren wir um 4 Uhr nachmittags noch auf dem Marsche, nachdem wir eine Wildniß von Rinnsalen und tiefen, mit Schaum und grünen Wasserlinsen bedeckten Kothlachen passirt hatten, in denen wir bis an die Knie einsanken und wo ein höchst ekelhafter Gestank herrschte, den der mit verwesenden Stoffen gefüllte Sumpf aushauchte. Wir waren eben aus diesem verderblichen Moorlande, das von träge fließenden Bächen und flachen, langen, flußartigen Tümpeln durchschnitten wurde, herausgekommen, als der Wald sich plötzlich derart verdunkelte, daß ich kaum den Kompaß ablesen konnte, und ein entferntes Geräusch, welches rasch zum lauten Pfeifen sich verstärkte, sowie das Bewegen und Knirschen der Aeste und das Aechzen der mächtigen Bäume uns vor dem herannahenden Gewittersturm warnte. Da das Terrain rundherum sehr wenig einladend war, mußten wir durch die zunehmende Dunkelheit rascher vorwärts dringen. Als der Regen zu fallen begann, fingen wir mit dem Bau des Lagers an.
Die Zelte wurden schleunigst über dem niedrigen Buschwerk aufgeschlagen, die Haumesser krachten und die Aexte klangen, um einen Raum für das Lager zu lichten. Der Regen war kalt und fiel in schweren Tropfen, die so groß wie Thalerstücke auf die in Baumwollenstoffe gekleideten Männer fiel und sie erschauern ließen. Ueber uns rollte der Donner und der Blitz warf grellen Feuerschein durch die Dunkelheit, in der bis um 9 Uhr die müde, hungerige Karavane ins Lager wankte. Der Regen war so heftig, daß wir die Feuer nicht anzünden konnten, und noch um 3 Uhr morgens saßen wir zusammengekauert und uns aneinander drückend inmitten der kalten, feuchten, dampfenden Ausdünstungen und des feinen Sprühregens. Dann erst wurden die Feuer angezündet, worauf die Leute um die Dutzende von Flammenpyramiden saßen, um sich in eine fröhlichere Stimmung hinein zu wärmen, bittere Maniokwurzeln zu rösten und die nagenden Schmerzen des Magens zu stillen.
Am 4. Juli hielten wir uns in der Richtung Nord zu Ost, und nach einer Stunde hörten wir in der Ferne Eingeborene im Chor singen. Wir sandten sofort Kundschafter aus, um zu erfahren, was das zu bedeuten habe, und vernahmen gleich darauf Schießen, welches näher zu kommen schien. Ich musterte die nächste Compagnie, ließ die Waaren aufstapeln und sandte die Leute als Plänkler aus. Dann trafen Boten ein mit der Meldung, die Kundschafter hätten den Fluß erreicht, auf welchem ein Kanoe herangekommen sei, dessen Insassen die Bogen gespannt gehabt und die bereits aufgelegten Pfeile sofort auf die Kundschafter abgeschossen hätten, sodaß sie gezwungen gewesen seien, Feuer zu geben. Darauf setzten wir den Marsch fort und befanden uns um 8 Uhr morgens wieder am Flusse, gerade noch früh genug, um eine Anzahl von Eingeborenenkanoes um eine Biegung am jenseitigen Ufer verschwinden zu sehen. Ein verlassenes Kanoe, welches am Lande festgebunden war, enthielt eine Ziege.
Da ich bemerkte, daß der Fluß ruhig und frei von Stromschnellen war, und den Leuten so viel Arbeit zu ersparen wünschte, als die Verhältnisse gestatteten, ließ ich die Abtheilungen des Stahlbootes ans Ufer bringen, wo Herr Jephson, dessen Compagnie mit der speciellen Aufsicht über den »Advance« betraut war, mit dem Zusammensetzen des Bootes begann. Nach einer Stunde waren die 44 Lasten, welche das Boot bildete, zusammen gefügt, an den betreffenden Stellen befestigt und ins Wasser gelassen. Da das Boot, wie erwähnt, 44 Lasten ausmachte und 50 Lasten und mindestens 10 Kranke zu tragen vermochte, konnten wir 89 Leute von der ermüdenden Arbeit, Lasten zu schleppen und den noch immer sehr kranken Lieutenant Stairs zu tragen, befreien. Ich schickte Herrn Jephson mit einer Mannschaft nach dem andern Ufer hinüber, um sich der Ziege zu versichern.
Als der »Advance« auf dem Flusse schwamm, war es nothwendig, daß die Colonne sich dicht am Ufer hielt, theils zum Schutze für das Boot, theils auch um im Stande zu sein, den Strom behufs Verringerung der Arbeit nutzbar zu machen. Der Mangel an regelmäßiger Nahrung, das Fehlen an Abwechselung und die geringe Nährkraft der Lebensmittel im Verein mit der Dringlichkeit, welche uns vorwärts trieb und lange Märsche und infolge dessen Erschöpfung bedingte, würden bald die Kraft des stärksten Mannes verzehrt haben. Es mußte daher gehörige Rücksicht auf die Leute genommen und jedes vorhandene Mittel zu ihrer Unterstützung angewendet werden. Deshalb marschirten wir, während das Boot gleichen Schritt mit der Colonne hielt, nur bis 3 Uhr nachmittags stromaufwärts und lagerten uns dann.
Am 5. Juli setzten das Boot und die Colonne wie am Tage vorher die Reise flußaufwärts fort und legten 10½ km zurück. Der Fluß war fortwährend 450-730 m breit. Am Ufer war das Land ein wenig offener als im Innern, obwol es oft nicht möglich war, sich zu bewegen, weil erst ein Tunnel durch dieses undurchdringliche Dickicht hergestellt werden mußte, ehe wir in dem über uns befindlichen Gewölbe von dichtem Netzwerk aus Zweigen, Schlingpflanzen und Röhricht weiter kommen konnten. Um 2½ Uhr erreichten wir das Dorf Bukanda. Wir hatten keinen Pfad gefunden, sondern waren einfach aus dem Dickicht auf einen jüngern Wald mit einer Lichtung gestoßen. In der Mitte der letztern am Ufer des Flusses lag das Dorf. Diese Thatsache gab mir zu denken, denn sie machte mich darauf aufmerksam, daß der Verkehr zu Wasser unterhalten werde, da Pfade am Lande nicht zu entdecken waren und die Leute offenbar die Geheimnisse der Luftschiffahrt nicht kannten.
Wir hatten allen Grund, uns über die Entdeckung des Dorfes zu freuen, denn seit dem 2. Juli hatte die Karavane nur von den Maniokknollen gelebt, die jeder an dem genannten Tage mitgenommen hatte. Wäre noch ein weiterer Tag vorübergegangen, ohne daß wir eine Lichtung getroffen hätten, so würden wir Hunger gelitten haben.
Erst am Abend erschien das Boot, das durch die Fahrt über die Stromschnellen, sowie durch ein Abenteuer mit einer Flotille von elf Kanoes aufgehalten worden war. Die Kanoes waren infolge des letztern verlassen und von dem Führer des Bootes an einer Insel festgelegt worden. Eins derselben sollte ein geräumiger hohler Baumstamm sein und fast ebenso viel wie das Boot tragen können. Da der Fluß die Hauptverkehrsstraße der Eingeborenen war, schien es mir gerathen zu sein, ihn zu benutzen, um unsere Leute zu schonen und die Kranken sowie einen Reservevorrath von Lebensmitteln zu befördern, zumal da wir, am Tage vorher bis an den Rand gänzlichen Mangels gebracht, in dem vollständig unbekannten Lande fremd waren und unsern Weg durch die Dunkelheit tappen mußten. Ich schickte das Boot daher mit einer Extramannschaft hinab, um das Kanoe zu holen und nach dem Lager hinaufzurudern.
Selbstverständlich war Bukanda lange vor unserer Ankunft verlassen worden. Die kegelförmigen Hütten des Dorfes und die Maniokfelder standen zu unserer Verfügung. Das hatte ich sonst in Afrika nicht erlebt. Früher hatten sich wol die Weiber der Eingeborenen zurückgezogen, allein die männliche Bevölkerung war mit Speer und Schild zur Wahrung des Eigenthums geblieben. Hier hatten sogar die Hühner die Flucht ergriffen. Die Gegend war offenbar höchst ungeeignet zu ethnologischen Studien.
Am Mittag des 6. Juli verließen wir Bukanda, aufs neue mit Lebensmitteln ausgerüstet, und zwei Stunden später befanden wir uns im Lager an einer unbewohnten Stelle. Den Morgen hatten wir dazu verwendet, die Gewehre zu reinigen und zu repariren, da an vielen derselben die Federn gebrochen waren.
Einige Thatsachen hatten wir bereits beobachtet. Wir bemerkten, daß die Morgen naß und nebelig waren; daß wir froren und uns infolge dessen niedergeschlagen fühlten; daß einiger moralischer Muth dazu gehörte, das Lager zu verlassen, der Kälte, Nässe und Feuchtigkeit, dem Schlamm und Sumpf Trotz zu bieten und, bis an den Leib im Wasser, Bäche zu durchwaten; daß die Stimmung in dem unangenehmen Zwielicht wegen der fehlenden Helligkeit und wärmenden Sonnenstrahlen fürchterlich gedrückt war; daß die Niedergeschlagenheit durch die Beobachtung der düstern Wolken und des langweilig grauen Flusses, der das traurige Tageslicht wiederspiegelte, sich noch steigerte. Die Temperatur an diesen kalten Morgen war in Wirklichkeit immerhin 17°-18° R.; hätten wir sie nach unserer Muthlosigkeit beurtheilen sollen, sie wäre wol um 10 Grad niedriger gewesen.
Die Kehrichthaufen der kleinen Dörfer waren groß und am Uferrande aufgeworfen; sie bestanden aus einer Mischung von Staub, Unrath von den Straßen und aus den Hütten, Abfällen von Maniok und oft auch von Paradiesfeigen, sowie einer großen Menge von Austernschalen. Hätte ich nicht sonst noch viel mitzutheilen, ich könnte auf Grund dieser Düngermassen eine interessante Abhandlung über die Moral, die Sitten und Gebräuche der Eingeborenen schreiben. Gerade wie Owen aus einigen Knochen auf die ganze Gestalt eines ausgestorbenen Mammuththieres aus längstvergangenen Zeiten schließen konnte, wäre es auch mir möglich, aus diesen Kehrichthaufen die Geschichte eines Stammes zu entwickeln. Die stinkenden Schmutzhaufen waren der Lieblingsaufenthalt von Vertretern vieler Insektenarten. Ganze Colonnen von Ameisen marschirten in genauerer Schlachtlinie ein und aus, als die Eingeborenen selbst aufzustellen vermöchten; Fliegen summten in Myriaden vergnügt über dem Unrath; die fröhlich umherschwirrenden Schmetterlinge mit ihren glänzenden Farben würden das Herz Jameson's erfreut haben, und alles umschwebte eine vollständige Wolke von Motten.
Am 7. Juli erreichten wir nach siebenstündigem langsamen Marsche und unaufhörlicher Arbeit mit den Haumessern die Dörfer der Bakuti. Ich hatte an diesem Tage einen Sitz im Boote eingenommen und bemerkt, daß die Ufer sich auf beiden Seiten 2-3 m erhoben; auch hatte ich zahlreiche Spuren früherer Bewohner entdeckt, trotz der Ueppigkeit des jungen Waldes, der an der Stelle der einstigen Dörfer und Felder aufgewachsen war. Entweder Kriege oder Epidemien haben die Bewohner vor zwanzig Jahren vertrieben, und die Thatsache, daß wir bis jetzt am Aruwimi erst ein Krokodil und ein Flußpferd gesehen hatten, schien mir ein sicheres Zeichen zu sein, daß es in dieser Gegend nicht viel Weide gab.
Als ich die Ruderer das Boot langsam hinaufrudern sah und Aexte und Haumesser im Dickicht, wildem Gestrüpp und Wald arbeiten hörte, wobei die Leute kaum einen Meter vorwärts kamen, bedauerte ich mehr als je, daß ich nicht darauf bestanden hatte, meinen ursprünglichen Plan auszuführen und 15 Walfischfängerboote mitzunehmen. Welch schwere Arbeit und große Sorge würde mir erspart geblieben sein!
Am 9. Juli erreichten wir nach weiterm siebenstündigen beschwerlichen Marsche die Dörfer der Bakoka. Unsere Leute begannen bereits matt und erschöpft auszusehen. Mehrern waren Holzstücke in die Füße gedrungen, bei andern fingen die Geschwüre wegen ihres wachsenden Umfanges an Besorgniß zu erregen, und viele klagten über seltsame Schmerzen in den Gliedern. Stairs befand sich in langsamer Genesung.
Wir haben so viele verlassene Lichtungen passirt, daß die Expedition sich wochenlang von dem Maniok hätte nähren können, den niemand als sein Eigenthum beanspruchte. Offenbar haben mörderische Kriege die Auswanderung der Stämme verursacht. Die Bakoka-Dörfer waren alle mit Palissadenzäunen versehen, die Eingangsthore außerordentlich niedrig.
Am nächsten Tage kamen wir bei vier Dörfern vorüber, die sämmtlich von einem starken Palissadenzaun umgeben waren, und am 10. gelangten wir zu den Stromschnellen von Gwengwere. Hier lagen sieben große Dörfer, die bis dicht an die Schnellen hinanreichten und von unterhalb bis oberhalb des unruhigen Wassers sich ausdehnten. Die gesammte Bevölkerung war vermuthlich entweder nach dem gegenüberliegenden Festlande oder nach den mitten im Flusse befindlichen Inseln geflohen; sie hatten jeden beweglichen Gegenstand mit fortgeführt und nur die üblichen Trümmer von grobem thönernen Kochgeschirr, Stühlen, Bänken und sonstigen Ueberbleibseln zurückgelassen. Die Zäune befanden sich in gutem Zustande und die Hütten waren vollständig unversehrt. In einem großen Dorfe zählten wir 210 kegelförmige Hütten und zwei viereckige Schuppen, welche als öffentlicher Versammlungsraum und Schmiede benutzt waren. Dieses Dorf stand auf einer hohen Klippe etwa 18 m über dem Flusse und bot einen prachtvollen Blick auf das dunkel silbergraue Wasser, das auf beiden Seiten von undurchdringlichen hohen Wänden einer ungemein dichten, lebhaft grünen Vegetation eingefaßt wurde.
Lieutenant Stairs erholte sich jetzt rasch wieder von dem lange anhaltenden Anfalle von Gallenfieber; meine andern Gefährten erfreuten sich der besten Gesundheit, obwol unsere Kost nur aus Gemüsen bestand, den Blättern der Maniokpflanze und sonstiger Kräuter, die zerquetscht und in Form einer Pastete angerichtet wurden. An diesem Tage hatte der Doctor uns aber ein Gericht Webervögel geliefert, da er einige von den Tausenden erlegt hatte, welche auf den Bäumen des Dorfes ihre Nester bauten.
Am 11. Juli marschirten wir etwa anderthalb Kilometer, um den Kanoeleuten Gelegenheit zu geben, ihre Fahrzeuge durch die Stromschnellen zu schieben, und der Colonne Rast zu gönnen. Den nächsten Tag kamen wir 11 km weiter; der Fluß wendete sich nach Osten, wohin auch unser Curs führte. Mehrere kleine Stromschnellen wurden ohne Unfall passirt. Als wir Gwengwere aus Sicht verloren, sahen wir, wie die Bevölkerung von dem rechten Ufer und den Inseln in ihre Heimat zurückeilte, die sie zu unserer Bequemlichkeit zeitweilig verlassen hatte. Es schien mir das ein ganz vortreffliches Verfahren zu sein, da es uns die Mühe des Redens und möglicherweise nutzlose Versuche, den Frieden herzustellen, sowie langweiliges Geschwätz ersparte. Sie haben die Unbequemlichkeit nur eine Nacht zu ertragen; würden viele Karavanen so friedlich heranrücken wie wir, dann würde ihre natürliche Neugier sie aber vermuthlich mit der Zeit veranlassen, herbeizukommen und sich mit den Fremden bekannt zu machen.
Unsere Leute fanden auf den Feldern und um die Dörfer herum reichlich zu essen. Das angebaute Areal war ein sehr ausgedehntes; um die Zäune herum gediehen Paradiesfeigen, in der Nähe der Dörfer fanden sich kleine Beete von Suppenkräutern, sowie genügend Taback zum Rauchen, Kürbisse zum Nachtisch und etwas Mais. Leider aber litten wir alle unter dem Mangel an Fleisch.
Von Wasservögeln war nur wenig zu sehen. Es gab dort einige Exemplare von Tauchern, Fischadlern und Königsfischern; irgendwo in der Ferne kreischten ein paar Ibisse; Scharen von Papagaien pfiffen und schwatzten in vergeblichem Bemühen, die Einsamkeit des ungeheuern weglosen Waldes ihrer Stille zu berauben; Ziegenmelker, Sonnen- und Webervögel unterstützten sie mit ihren mannichfaltigen Tönen; die Zahl der Insekten, Fliegen und Motten war eine unendliche.
Am 12. Juli setzten wir den Marsch wie gewöhnlich fort; wir brachen um 6½ Uhr morgens auf, die Karavane war dem Boot und seinem Gefährten vorauf. Obwol wir nur mit einer Geschwindigkeit von höchstens 2½ km in der Stunde vorwärts kamen, holten wir die mühsam vordringende Karavane doch bald ein und passirten die vordersten der Pioniere. Um 10 Uhr vormittags begegneten wir einem ungefähr 15 Jahre alten Eingeborenenknaben Namens Bakula, der auf einem Stück eines Kanoes den Fluß hinabtrieb; er sprang behend an Bord unsers Bootes und arbeitete geschickt am Ruder. Eine Stunde später fuhren wir um das untere Ende einer längern Curve des Flusses herum, an welcher zahlreiche große Dörfer lagen. Der Knabe, welcher so plötzlich aus der unbekannten Gegend bei uns aufgetaucht war und freiwillig bei uns blieb, nannte das unterste Dorf Bandangi, das nächste Ndumba und die lange Reihe von Weilern weiter hinauf die Hütten des Banalja-Stammes. Sie waren aber sämmtlich verlassen. Bei Bandangi machten wir halt, um zu frühstücken, und um 2 Uhr nachmittags setzten wir die Fahrt fort.
Einstündiges Rudern brachte uns nach dem obersten Dorfe, wo wir lagerten. Der auf dem Flusse befindliche Theil der Expedition zählte heute 40 Mann, die sich aber bei der Landung in dem großen, stillen Dorfe verloren. Ich hatte 13 Dörfer gezählt, von denen eins 180 Hütten enthielt. Angenommen, daß längs dieser Curve nur 1300 Hütten stehen und jede Hütte nur 4 Bewohner besitzt, würde hier eine Bevölkerung von 5200 Personen leben.
Um 5½ Uhr nachmittags erschien die Vorhut der Colonne und gleich darauf wurden wir von einem wüthenden Gewitter heimgesucht. Das fürchterliche Donnern und Blitzen mochte wol nöthig sein, um die Atmosphäre zu reinigen, welche mit den angesammelten Dünsten der feuchten Gegend so geschwängert war, daß die Sonne täglich nur wie durch einen dichten Schleier schien. Die Explosionskraft des elektrischen Fluidums war daher eine furchtbare. Rund um uns herum und an jedem Punkte wurden die dichten, trägen, dunstbeladenen Wolken von blendenden, zuckenden Blitzen erhellt und zerrissen; betäubender Donner begleitete die Blitze. Nichts Geringeres als die außergewöhnliche Kraft der hochgespannten Elektricität würde die schwere Atmosphäre haben reinigen und bewirken können, daß die Bewohner dieses Landes die Farbe des Himmels zu sehen und den wohlthätigen Einfluß der Sonne zu fühlen bekamen. Vier Stunden lang mußten wir die fürchterlichen Ausbrüche aushalten, während ein stetiger Regenguß die überfüllten Regenwolken erleichterte, welche Tage lang drohend über uns gehangen hatten. Während die Bootsmannschaft und die Vorhut in dem obern Dorfe untergebracht waren, besetzten die Nachhut und die vierte Compagnie Bandangi am untern Ende der halbmondförmigen Curve; wir hörten von dort aus jede Minute Schüsse, welche uns ihre Anwesenheit mittheilen sollten, während wir vergeblich versuchten, der Ersparniß halber die Signale durch Blasen auf langen Elfenbeinhörnern zu erwidern.
Eine solch zahlreiche Bevölkerung hatte selbstverständlich ausgedehnte Maniokfelder, Bananen-, Paradiesfeigen- und Zuckerrohr-Pflanzungen, Gemüsegärten und Maisfelder, und da der heftige Regen den Grund durchweicht hatte, ordnete ich einen Halt an.
Gegen 9 Uhr wußten wir, daß die Nachhut angekommen war, und zwar hörte ich es an der Stimme Nelson's, der nach »Schnitten und Kaffee« rief. Dies bestand bei uns aus Maniokkuchen, einer gerösteten Paradiesfeige und einem Gericht Gemüse nebst Thee oder Kaffee. Ziegenfleisch oder Geflügel war einfach nicht aufzutreiben, da wir weder Vögel noch Thiere irgendwelcher Art erlangen konnten. Bis jetzt hatten wir erst zwei Krokodile und ein Flußpferd entdeckt, aber Elefanten, Büffel, Antilopen oder Wildschweine noch nicht gesehen, obwol zahlreiche Fährten von ihnen vorhanden waren. Wie war es auch anders möglich bei dem Rufen und Schreien der Pioniere, dem Lärm beim Kappen, Brechen und Abschälen der Bäume, dem Geräusch der großen Karavane? Bei dem anhaltenden Geschwätz, Erzählen von Geschichten, Zanken, Lachen und Necken, welches auf dem Marsche herrschte, war es geradezu undenkbar. Das Vordringen durch das Unterholz war ohne das schwere Messer, die Axt und Haue zum Zertrennen der verworrenen Schlinggewächse nicht möglich, und wenn auch ein Thier wenige Fuß entfernt an der andern Seite des Dickichts gewesen sein mag, so war es doch unmöglich, es durch die undurchdringlichen Massen der Vegetation in Sicht zu bekommen.
Ich benutzte den Aufenthalt, um die Inseln in der Nähe von Bandangi mit dem Boote zu untersuchen. Auf einer derselben entdeckten wir längliche Haufen von Austernschalen, deren einer 18 m lang, 3 m breit und 1,2 m hoch war; man kann sich vorstellen, wie die Eingeborenen sich bei ihren Festen an den Schalthieren ergötzt haben mögen und wie lange Zeit vergangen sein muß, seitdem das erste derselben verzehrt worden ist. Bei der Rückkehr bemerkte ich an einem Erdrutsch am Ufer in der Mitte der Curve eine Schicht Austernschalen, welche einen Meter tief unter dem Alluvium begraben lag.
Von unserm Eingeborenenknaben Bakula erfuhr ich, daß landeinwärts nach Norden die Baburu leben, welche sich von den am Flusse wohnenden Stämmen wesentlich unterscheiden; daß einen Monat Reise flußaufwärts Zwerge von 60 cm Höhe mit langen Bärten wohnen; daß er einmal bis hinauf nach Panga gereist sei, wo der Fluß sich so tief herabstürze, wie der größte Stamm hoch ist; daß der Aruwimi von den Leuten am linken Ufer jetzt Lui genannt werde, den Baburu auf der rechten Seite aber als Luhali bekannt sei. Bakula war ein außergewöhnlich verschlagener Bursche, ein wirklicher Kannibale, der sich an einem Gericht Menschenfleisch ergötzt haben würde. Er war ein vollendeter Schauspieler und hatte mit der ihm angeborenen Schlauheit sich gesichert, indem er sich bereitwillig dem anbequemte, was nach seiner Meinung den Fremden, von denen er umgeben war, angenehm war. Hätten alle Eingeborenen die Politik dieses Jungen angenommen, dann würde unsere Reise durch diese neuen Gebiete eine so angenehme gewesen sein, wie wir sie nur hätten wünschen können. Ich bezweifle nicht, daß auch die übrigen Eingeborenen in der Verschlagenheit Meister waren, die wir an Bakula bewunderten; aber sie hatten einfach nicht den Muth, das zu thun, wozu ihn ein Unfall veranlaßt hatte.
Von der Stadt des Banalja-Häuptlings Bambi setzten wir am 15. Juli die Reise zu Wasser und zu Land nach den Bungangeta-Dörfern fort. Es war ein dunkler, unfreundlicher Morgen, der Himmel mit düstern, drohenden, schweren Wolken bedeckt. Als ich an diesem langweiligen, unangenehmen Morgen die still dahinfließenden, dunkeln Gewässer und die lange, ununterbrochene Waldfront des Flusses betrachtete, gewann ich den Eindruck, daß die Natur in dieser Gegend noch auf den lange ersehnten Weckruf der Civilisation warte, auf die ihr bestimmte Zeit, wo sie, wie andere Theile der Erde, zur Erfüllung ihrer Pflichten erwacht. Ich verglich diese abwartende Haltung mit der dem Tagesgrauen voraufgehenden Stille, ehe das Insekten- und das übrige Thierleben erwacht, um die Luft mit seinem Geräusch zu erfüllen, ehe der beginnende Tag die Millionen kleiner Leidenschaften der Wildniß erweckt, in jener Stunde, in der selbst die Zeit zu schlummern und schläfrig zu sein, die Gedanken laut und die Pulsschläge des Herzens hörbar zu werden scheinen. Wenn der junge Tag weiß und grau im Osten auftaucht, schlägt auch die Welt die Augenlider auf. Dann tritt in dem unsichtbaren Leben Bewegung und Geschäftigkeit ein und die ganze Erde scheint aus ihrem Brüten zu erwachen. Aber bei alledem verharrt die Welt des Waldes in ihrer Ruhe, die Natur wartet den Tag ab, der Fluß zeigt kein Leben; ungleich Rip van Winkle läßt die Natur trotz ihres unermeßliche Zeitalter langen Schlafes kein Altwerden erkennen, und ungeachtet ihres unglaublichen Alters bleibt sie jungfräulich vom Schlafe der Unschuld umfangen.
Welche ausgedehnte Strecken reichen, fruchtbaren Landes liegen in dieser Gegend, vom Menschen unbeachtet! So volkreich die Ufer des Flusses auch sein mögen, sind sie doch nur wenig durch Arbeit gestört worden; hier und dort am Flußrande einige aufgegrabene Stellen, ein beschränktes Feld mit Maniok innerhalb einer kraterartigen Lichtung im Innern des dunkeln Waldes, eine schmale Linie kleiner Hütten, in deren engem Innern die Wilden sich einpferchen – das ist alles.
Eine meiner Unterhaltungen im Boote war, den unbekannten Lauf des Flusses zu skizziren, denn da die Eingeborenen bei unserer Annäherung wie die Ratten in ihre Löcher verschwanden, war es nicht möglich, andere Informationen darüber zu erhalten. Wie weit durfte ich von meiner Wegrichtung abweichen? Auf dem Flusse vermochte ich die Kranken zu unterstützen und die Starken zu erleichtern, konnten die Waaren transportirt und die Schwachen befördert werden. Reserven an Paradiesfeigen und Maniok konnten mitgeführt werden. Würde aber die Thatsache, daß eine einigermaßen lange Curve uns vielleicht 75-100 km nördlich von unserm Curse brachte, durch diese Vortheile, die Erleichterung der Träger und den Ueberfluß an Lebensmitteln, welche wir an den Ufern bestimmt finden würden, aufgewogen werden? Als ich an die Zahl der Kranken dachte und den matten Zustand der Leute sah, fühlte ich, daß es, wenn der Fluß etwa bis 2° nördl. Br. hinaufführte, bei weitem vorzuziehen sei, ihn zu verfolgen, als uns wieder ins Innere des Waldes zu stürzen.
Die Temperatur der Luft an diesem bewölkten Morgen betrug 19°, die des Flusses an der Oberfläche 20° R. Welche Erleichterung, nach dem Einathmen der schwülen, unreinen Luft im Walde während der Nacht die Luft auf dem Flusse zu athmen!
Am 16. Juli besaßen wir ein Boot und 5 Kanoes, die zusammen 74 Mann und 120 Lasten beförderten, sodaß die Hälfte unserer Leute, da ja die Abtheilungen des Bootes nicht mehr zu schleppen waren, frei von den Lasten war und einen Tag um den andern nichts trug. Wir passirten die Mündung eines aus Südosten kommenden bedeutendern Nebenflusses und schlugen 1½ km oberhalb desselben das Lager auf. Nachmittags stieg die Temperatur auf 28° R. und infolge dessen fiel der Regen in Strömen, nachdem wir vorher das übliche Donnern und Blitzen gehabt hatten. Bis um 1 Uhr nachmittags am 17. Juli regnete es unaufhörlich fort. Es wäre interessant gewesen, die Regenmengen, die während dieses 19stündigen Gusses gefallen sind, nach Centimetern zu messen. Nur wenige unserer Leute konnten sich der Ruhe erfreuen, und als der Regen aufhörte, mußten allgemein die Decken und Kleidungsstücke ausgerungen werden, und es dauerte mehrere Stunden, ehe die Leute ihre gewöhnliche Lebhaftigkeit wiedergewannen. Auch die Eingeborenen müssen sich, und zwar wegen unserer Nähe, gedrückt gefühlt haben, obwol sie vielleicht gern ihre Ziegen und Hühner gegen unsere Waaren ausgetauscht hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, welchen Reichthum wir besaßen.
Um 3 Uhr nachmittags lagerte die Colonne gegenüber der Ansiedelung von Unter-Mariri. Außer ihren ungeheuern hölzernen Trommeln, welche den Alarm bis auf 16 km ertönen ließen, schrien die Eingeborenen auch mit solch ungewöhnlicher Lungenkraft, daß ihre Rufe 1½ km weit zu hören waren. Das Fehlen jeglichen sonstigen Geräusches verlieh ihren Stimmen noch eine besondere Kraft.
Die Somali, welche in den Massai- und ähnlichen Ländern, oder in trockenen Gegenden wie im Sudan, so vorzügliche und tüchtige Diener abgeben, sind in feuchten Regionen vollständig unbrauchbar. Fünf von ihnen hatten sich geweigert, in Jambuja zu bleiben, und darauf bestanden, mich zu begleiten. Seitdem wir uns des Flusses bedienten, hatte ich sie als Bootsleute verwendet, d. h. nur solange sie im Stande waren, das Ruder oder die Stange zu handhaben, denn ihre physische Kraft brach bald zusammen, sodaß sie bloße Passagiere wurden. Nach einer zweistündigen Fahrt auf dem Flusse waren sie, ohne die geringste Anstrengung gehabt zu haben, am Lande so erschöpft, daß sie nicht im Stande waren, sich gegen Regen und Feuchtigkeit ein Schutzdach aufzurichten, und da sie außerdem diebisch waren, wollten die Sansibariten ihnen nicht gestatten, ihren Hütten nahe zu kommen. Die Folge davon war, daß wir jeden Tag die Mühe hatten, ihnen eine Ration Lebensmittel auszutheilen, weil sie lieber freiwillig verhungert wären, als die über ihren Köpfen hängenden Paradiesfeigen abzuschneiden.
Von Unter-Mariri fuhren wir am 18. Juli nach einem Orte 16 km unterhalb Ober-Mariri. Die Boote hatten nur 4¼ Stunden zu der Fahrt gebraucht, die Landcolonne traf an diesem Tage überhaupt nicht ein.
Am 19. Juli verwendete ich die Mannschaften des Bootes und der Kanoes, um längs eines Theiles der Stromschnellen bei Ober-Mariri durch den Wald einen Weg auszuhauen. Die Arbeit wurde in 2½ Stunden beendet, worauf wir in dreiviertel Stunde nach dem Lager zurückkehrten. Unsere Geschwindigkeit flußaufwärts war ungefähr derjenigen der Karavane gleich, sodaß also letztere auf einem gewöhnlichen Marsche durch den Wald täglich 9½ km zurücklegte. Bei der Rückkehr ins Lager formirten wir unsere Colonne und marschirten bis ans Ende des von uns hergestellten Pfades; das Boot und die Kanoes wurden ohne Unfall über die Stromschnellen geschoben, und nachmittags fourragirten die Leute mit glücklichem Erfolge in einem etwa 2½ km oberhalb des Lagers gelegenen Dorfe. Am 20. marschirte die Vorhut heran und besetzte das Dorf.
Etwa zwei Stunden nach unserer Ankunft kamen einige Eingeborene aus Mariri in einem Kanoe und riefen uns an. Wir antworteten durch den Eingeborenenknaben Bakula und waren bald darauf in der Lage, ein paar Hühner zu kaufen. Im Laufe des Nachmittags erwarben wir noch drei weitere Hühner. Es war dies der erste Tauschhandel, den wir am Aruwimi abzuschließen im Stande gewesen waren. Mariri ist eine große Niederlassung mit einem Ueberfluß an Paradiesfeigenbäumen, deren es in unserm Dorfe nicht gab. An diesem Tage vermißten wir zwei Leute, Charlie I und Musa ben Djuma, nachdem wir in 23 Tagen keinen einzigen Mann verloren hatten.
Bis jetzt hatte sich noch kein Unfall ereignet, allein von diesem Tage an begann das Glück, welches uns bisher begünstigt hatte, uns zu verlassen. Wir befanden uns unter dem Eindrucke, daß die beiden Leute von Eingeborenen gefangen genommen worden seien, und ich nahm daher ihr unvorsichtiges Benehmen zum Text einer Rede an die Leute, als sie am nächsten Morgen für den Marsch gemustert wurden. Erst 13 Monate später erfuhren wir, daß sie desertirt waren, und daß es ihnen gelungen war, Jambuja zu erreichen, wo sie die wunderbarsten Geschichten über Kriege und Unglücksfälle erfanden, welche viel Sorge verursacht haben, weil die Offiziere in Jambuja die Fabeln in ihrem Schreiben an das Comité wiederholt hatten. Hätte ich es für möglich halten können, daß zwei Mann diesen Dauermarsch ausführen würden, ich hätte sicherlich die Gelegenheit benutzt, um Major Barttelot, der, wie wir glaubten, in etwa einem Monat sein Lager verlassen würde, authentische Mittheilungen und eine Karte von unserer Route zukommen zu lassen. Von dem Ober-Mariri gegenüberliegenden Dorfe marschirten wir nach Süd-Mupe, einer aus mehrern Weilern bestehenden und von Pflanzungen umgebenen großen Niederlassung. Die Häuptlinge von Mupe heißen Mbadu, Alimba und Mangrudi.
Am 22. Juli war Dr. Parke Offizier du jour und hatte das Unglück, den Fluß zu verfehlen und sich in falscher Richtung durch den Wald zu arbeiten. Schließlich traf er einen Pfad an, auf welchem die Kundschafter eine Frau und ein Kind von brauner Hautfarbe und mit großen Augen fanden. Das Weib zeigte ihnen den Weg nach dem Flusse und wurde dann wieder freigelassen; durch ihren Einfluß ließen die Eingeborenen von Nord-Mupe auf dem rechten Ufer sich veranlassen, mit uns Handel zu treiben, sodaß wir ein Dutzend Hühner und zwei Eier kaufen konnten.
Das Flußbett besteht hier aus feinkörnigem, hartem, ziegelfarbigem Sandstein von ungestörter Schichtung. Das ist der Grund, weshalb die kleinen Stromschnellen, obwol sie häufig genug sind, der Schifffahrt nur geringe Hindernisse bieten. Die Ufer stiegen an mehrern Stellen etwa 12 m über dem Flusse empor. Der horizontal geschichtete Felsen fällt klippig ab und gleicht an manchen Stellen zerbröckelnden Ruinen aus behauenen Steinen.
Das Friedenszeichen scheint bei diesen Flußbewohnern darin zu bestehen, daß sie sich mit der Hand Wasser über den Kopf gießen. Als neue Ankömmlinge sich dem Lager näherten, schrien sie: »Wir leiden Hungersnoth und haben keine Lebensmittel, aber weiter flußaufwärts werdet ihr eine Menge finden. O, Monomopote (Sohn des Meeres).« »Aber wir leiden Mangel an Lebensmitteln und besitzen nicht die Kraft, weiter zu gehen, wenn ihr uns keine gebt«, antworteten wir, worauf sie uns dicke Maiskolben, Paradiesfeigen und Zuckerrohr zuwarfen. Das war das Vorspiel zu weitern Geschäften, wobei diese anscheinend unverfälschten Eingeborenen sich aber ebenso schlau und unverschämt bewiesen wie irgendeiner der Wijansi am Kongo. Die Bewohner von Mupe heißen Babe.
Unbedeutende Dinge, wie leere Sardinendosen, Büchsen von Conserven und condensirter Milch, Patronenkistchen, wurden gern gegen Zuckerrohr, Mais und Taback eingetauscht. Ein baumwollenes Taschentuch gaben wir für ein Huhn. Ziegen wurden uns ebenfalls gezeigt, aber nicht verkauft; dieselben sollen ein Monopol der Häuptlinge sein. Die Eingeborenen zeigten kein bestimmtes Verlangen nach besondern Gegenständen, außer Stoffen, grellrothen Taschentüchern. Wir sahen auch einige Kauris bei ihnen und fanden auf dem Boden eines Kanoe ein 23 cm langes Stück von einem Infanterieoffiziersdegen. Gern hätten wir die Geschichte dieses Degens vernommen und die Liste seiner Eigenthümer seit seiner Anfertigung in Birmingham gekannt; allein wir konnten uns nicht in eine längere Unterhaltung mit ihnen einlassen, da unsere Unkenntniß ihrer Sprache und ihre leichte Erregbarkeit uns hinderten, mehr zu thun als zu beobachten und einige Worte über Frieden und Lebensmittel mit ihnen auszutauschen. Wir können das Stückchen Degen als Beweis annehmen, daß ihre Nachbarn im Innern in einige Berührung mit den Sudanesen gekommen sind.
Zwischen diesen Eingeborenen und denjenigen in den obern Theilen des Oberkongo besteht, was Sitten, Gebräuche und Kleidung betrifft, kein sehr großer Unterschied. Ihr Kopfputz war aus Korbgeflecht hergestellt, mit rothen Papagaifedern verziert, oder bestand aus Kappen von grauen oder dunkeln Affenfellen, von denen hinten die Schwänze herabhingen. Hals-, Arm- und Beinschmuck waren aus polirtem Eisen, vereinzelt aus Kupfer, aber nie aus Messing gearbeitet.
Sie fertigen wunderhübsche Ruder an, welche die Form eines langgespitzten Blattes haben und mit schöner Schnitzerei verziert sind. Der Friedensruf war »Senneneh«, wie in Manjema, Uregga und Usongora oberhalb der Stanley-Fälle. Die Haut dieser Eingeborenen ist mehr ockerfarbig als schwarz; sieht man einen Trupp von ihnen am andern Ufer, so kann man kaum einen Unterschied in der Farbe zwischen ihnen und dem röthlichen Thongrund am Landungsplatze entdecken. Der Hauptgrund hiervon ist das Rothholzpulver, mit welchem sie sich bei der Toilette einschmieren, jedoch trägt die Thatsache, daß sie den Sonnenstrahlen nicht ausgesetzt sind, ebenfalls erheblich zu ihrer hellen Farbe bei. Der Knabe Bakula wurde beispielsweise, als er das aus Rothholz hergestellte allgemeine Verschönerungsmittel nicht mehr bekommen konnte, sehr viel heller als die meisten unserer Sansibariten.
Am 24. Juli befehligte Herr Jephson die Vorhut der Colonne, und unter seiner Führung machten wir den erstaunlichen Marsch von 14 km, obwol die Colonne gezwungen war, 17 Flüsse und Bäche zu durchwaten. Jephson entwickelte während dieser Tage eine wunderbare Energie. Er war in vielen Beziehungen das genaue Ebenbild von mir in meinen jüngern Jahren, bevor die Zeit und Hunderte von Fieberanfällen mein heißes Blut abgekühlt hatten. Er ist genau von meiner Größe und Statur, meinem Gewicht und Temperament. Er ist heißblütig, zuversichtlich und liebt schwere Arbeit, bei der er geradezu unermüdlich ist; mag er einen sumpfigen Morast oder einen schlammigen Bach vor sich haben, er geht ohne Zögern hinein, gleichviel ob es ihm ans Knie, an den Leib, an den Hals oder über den Kopf reicht. Im Bereich der Civilisation schwelgend, prunkliebend und stolz, muß er um seiner selbst willen gezügelt und berathen werden. Die übrigen jungen Leute, Stairs, Nelson und Parke, haben sehr viel von denselben Eigenschaften. Stairs ist der wachsame, intelligente Offizier, der einen Wink, eine leise Andeutung versteht, den Gedanken fest erfaßt und vorzüglich zur Ausführung bringt. Nelson ist ein Centurio der alten römischen Zeit; er gehorcht, weil es sich um den Befehl seines Vorgesetzten handelt; er fragt nicht erst nach den Gründen, weshalb, sondern begreift, daß eine Nothwendigkeit vorliegt, und seine große Kraft, Stärke, Entschlossenheit, sein offener, klarer Verstand stehen mir zur Verfügung, mag es darauf ankommen zu handeln, zu leiden oder zu sterben. Parke ist eine so edle, vortreffliche Seele, so zart und liebevoll, so geduldig, so guter Laune und so furchtlosen Sinns, daß er stets Trost schafft und verbreitet, wenn er sich durch unsern Leidens- und Schmerzenskreis bewegt. Noch nie sind vier Männer von solchen Eigenschaften wie diese in Afrika eingedrungen; kein Führer hat je so viel Ursache gehabt, seinem Schicksal in dieser Beziehung dankbar zu sein, wie ich.
Jephson erlebte an diesem Tage zwei Abenteuer. In seiner gewöhnlichen ungezwungenen Weise, allein einem innern Antrieb folgend, befehligte er mit seinem schwankenden Gange, ohne Rücksicht aus seine Kleidung, die Pioniere beim Durchbrechen des Dickichts, als er plötzlich in einer Elefantengrube den Blicken entschwand! Wir hätten glauben können, ein vorwitziger, muthwilliger junger Elefant sei durch das Gebüsch gebrochen, hätte die Baumstämme zur Seite geschleudert und umgerissen und sei plötzlich vor den Blicken seiner gesetztern Mama verschwunden. Jephson indeß wußte sich zu helfen, Beistand war zur Hand, und so wurde er denn, ohne Schaden genommen zu haben, wieder herausgezogen. Es war ein amüsanter Zwischenfall ohne schlimme Folgen, der im Lager eingehend besprochen wurde und uns viel Anlaß zum Lachen gab.
Dann eilte Jephson vorauf, um den Pionieren den einzuschlagenden Curs zu markiren, als er sich plötzlich einem hochgewachsenen Eingeborenen mit dem Speer in der Hand von Angesicht zu Angesicht gegenüber sah. Beide waren so überrascht, daß sie wie versteinert waren, aber Jephson faßte plötzlich eine Berserkerwuth. Unbewaffnet wie er war, warf er sich auf den Eingeborenen, der, dem Stoß ausweichend, wie vor einem Löwen die Flucht ergriff und, verfolgt von Jephson, Hals über Kopf an dem steilen Ufer eines Baches hinabstürzte. Allein der aus Thon bestehende Boden war feucht und schlüpfrig, Jephson glitt mit den Füßen aus und im nächsten Augenblicke maß der tapfere Kapitän des »Advance« mit seiner ganzen Länge den Erdboden, derart, daß seine Füße oben und das Gesicht unten am Abhange war, und mit solchem Ungestüm, daß er bis an den Rand des Baches hinabglitt. Als er sich wieder aufgerafft hatte, bemerkte er nur noch, wie der Bewohner des Waldes am jenseitigen Ufer hinaufeilte und noch einen letzten wilden Blick nach dem ihm so plötzlich erschienenen Bleichgesicht warf, das ihn im Nachdenken über die muthmaßliche Beute an Wild in den von ihm aufgestellten Fallen gestört hatte.
Unser Lager befand sich an diesem Tage an einer Stelle, die seit undenklichen Zeiten der Lieblingswechsel der Elefanten gewesen war, in der Nähe einer Landspitze, um welche der Fluß in starken Wirbeln herumjagte. Nach oben hin ruht der Blick weithin auf dem breiten, stillen Flusse, der abwärts von einer Reihe von Inseln getheilt wird.
Am 25. Juli führte Hauptmann Nelson die Colonne, während ich Jephson ersucht hatte, mich bei den mit werthvollen Waaren beladenen langen schmalen Kanoes zu unterstützen und einige von den die Besatzung bildenden ungeschickten »Landratten« anzutreiben. Das Boot fuhr voran, ankerte oberhalb der gefährlichen Wirbel und warf darauf den Kanoemannschaften eine Manilahanfleine zu, mit deren Hülfe die Fahrzeuge in das ruhige Wasser hinaufgezogen wurden.
Nachdem wir dann kräftig gegen die starke Strömung angerudert hatten, erreichten wir um 11 Uhr vormittags die Spitze der Karavane, welche sich am Ufer eines breiten Baches, des Rendi, gesammelt hatte, dessen dunkle, schmutzige Gewässer träge aus den schwarzen Tiefen des Waldes herausströmten. Gegen 1 Uhr war das Uebersetzen beendet und nahm die Colonne den Marsch wieder auf, während wir weitere Kämpfe mit den gefährlichen Wellen und Riffen der, nach dem nachstehend geschilderten Vorfalle jetzt Wespen-Schnellen genannten, Flußstrecke zu bestehen hatten.
Die Stromschnellen hatten eine Ausdehnung von etwa 3 km; oberhalb derselben lagen Dörfer, welche, wie ich in einem spätern Kapitel erzählen werde, der Schauplatz eines tragischen Kampfes wurden und das sehnsüchtig herbeigewünschte Ziel unserer Anstrengungen waren, weil wir dort Schutz und Lebensmittel zu erhalten hofften.
Unsere ersten Bemühungen gegen die Stromschnellen waren erfolgreich. Die Strömung ist rasch und bringt hin und wieder gefährliche Wellen hervor, doch kamen wir während der ersten halben Stunde gut vorwärts. Dann begann der Kampf, indem wir auf der einen Seite ruderten, während die Mannschaft an der andern, der Steuerbordseite, die überhängenden Büsche ergriff und zog, zwei Mann mit Stangen schoben und zwei andere auf dem gedeckten Bug standen, um mit den Bootshaken die jungen Baumstämme am Ufer mit festem Griff zu erfassen. Ich steuerte. Anfänglich kamen wir in einem schmalen rauschenden Arm des Flusses zwischen felsigen Inseln langsam, aber stetig vorwärts. Vor uns lag die Bank, wo der Strom mit Gewalt über das Riff jagte, das in quadratmetergroßen Felsen aus den Wogen hervorragte. Wir hatten diese Passage gewählt, weil hier für den Fall, daß wir kentern sollten, weniger Gefahr zu ertrinken war. Mit edlem Muthe und angeregt durch das bevorstehende Abenteuer stürzten wir uns hinein. Eifrige Hände streckten sich aus, um die Zweige zu erfassen, allein bei dem ersten Griffe tauchte eine ganze Armee von wüthenden, rachsüchtigen Wespen auf, setzte sich in diesem kritischen Augenblicke auf unsere Gesichter, Hände und Körper, kurz auf jeden verwundbaren Theil, und brachte uns die teuflischen, giftigen Stiche bei. Wüthend und halb wahnsinnig gemacht durch die brennenden Schmerzen, im Kampfe mit diesem schrecklichen Feinde, umgeben von Riffen und Felsen, gefährlichen Wellen und rauschenden Wirbeln, zogen wir mit Zähnen und Fingernägeln und waren in wenigen Minuten 100 m oberhalb der fürchterlichen Stelle. An den Bäumen uns festklammernd, machten wir dann halt, um Athem zu schöpfen, uns gegenseitig zu bedauern, unsere Ansichten und Meinungen über den Stich der verschiedenen Insekten, Bienen, Hornissen und Wespen auszutauschen.
Einer von uns fragte mit sauersüßem Lächeln meinen Diener: »Sagten Sie nicht neulich, Sie glaubten, es sei viel Honig in jenen braunen Papiernestern der Wespen? Wie denken Sie jetzt über den Honig? Halten Sie diesen nicht für recht bitter?« Das rief allgemeines Lachen hervor, wir erlangten unsere gute Laune wieder, machten uns aufs neue an die Arbeit und erreichten nach einer Stunde das Dorf, welches von der Landabtheilung bereits besetzt war. Als die Mannschaften der uns folgenden Kanoes unsern Kampf mit den Wespen sahen, flohen sie quer über den Fluß und fuhren am rechten Ufer hinauf. Nur die Somali und Sudanesen, die mehr Zutrauen zu Allah hatten, folgten unserer Spur, wurden aber auch fürchterlich zerstochen, trösteten sich jedoch mit dem Triumph über die Sansibariten, deren Führer der aus meinem Werke »Durch den dunkeln Welttheil« bekannte Uledi war.
»O«, bemerkte ich zu ihm, »das war heute keine tapfere That von dir, daß du vor Wespen flohest.«
»O, Herr«, erwiderte er, »der nackte Mensch kann in einer solchen schlimmen Lage nichts machen. Die Wespen sind viel gefährlicher als die wildesten Eingeborenen.«
Die Niederlassung der Eingeborenen am linken Ufer heißt Bandeja, die gegenüber an der andern Seite liegende besteht aus den Dörfern der Buamburi. Einen Tagemarsch nördlich von Buamburi beginnen die Stämme der A-Babua und Mabode, deren Hütten sich von den steil kegelförmigen Wohnungen, wie sie unter den Bewohnern am Flusse vorherrschen, durch ihre Bauart unterscheiden. Die Mabode sollen viereckige Häuser mit Giebeldächern haben; die Wände sind sauber verputzt und an den Vorderseiten befinden sich aus Thon gebaute Veranden.
Am 26. Juli machten wir halt, um uns zu erholen. Diejenigen von uns, welche von den Wespen gestochen worden waren, hatten Fieber, der Bootssteuermann mußte schwer leiden. Am nächsten Tage kam der Häuptling der Buamburi herüber, um uns einen Besuch abzustatten, und brachte uns als Geschenk ein vier Wochen altes Hühnchen mit, das wir jedoch ablehnten, weil wir Räuberei zu begehen meinten, wenn wir von einem offenbar armen Manne eine Gabe annähmen. Sein Schmuck bestand aus zwei kleinen Elfenbeinzähnen, die abgeplattet und polirt waren und die er an einem aus Gras geflochtenen und um den Hals geschlungenen Bande trug. Sein Kopfschmuck war ein langhaariges Affenfell. Wir tauschten Versicherungen der Freundschaft und Brüderschaft mit ihm aus und setzten dann am 28. Juli den Marsch fort, bis wir gegenüber von Mukupi, einer aus acht Dörfern bestehenden Niederlassung, das Lager aufschlugen.
Zwei kecke Gefangene machten uns seltsame Mittheilungen von einem großen See Namens »No-uma«, der irgendwo in der Umgegend eines Ortes Panga liegen und viele Tagereisen im Umfange haben sollte. In der Mitte liege eine große Insel, die so voll von Schlangen sei, daß die Eingeborenen sich fürchteten, ihr nahe zu kommen; aus dem See ströme der Népoko in den Nowelle, wie der Aruwimi hier heißt. Nach mehrern Tagemärschen entdeckten wir aber, daß die Geschichte von dem See eine Fabel war und daß der Nepoko nicht vom linken Ufer des Aruwimi kommt.
Am 29. Juli befand sich unser Lager gegenüber von Mijui, einer Reihe von in Bananenhainen gelegenen Dörfern am rechten Ufer. Nicht lange darauf machten wir die Bekanntschaft dieses Stammes und erkannten bald, daß diese Eingeborenen Neigung zur Geselligkeit hatten. Da uns günstige Nachrichten über unser Thun vorausgeeilt waren, begann bald ein sehr angenehmes Geschäft. Unsere Leute besaßen Kauris, Glasperlen und Messingstangen, sowie seltene Kleinigkeiten zum Austausch gegen Lebensmittel. Als die Landcolonne eintraf, gingen die Preise wegen der größern Nachfrage etwas in die Höhe. Wie man uns sagte, gab es zwischen unserm Lager gegenüber von Mijui und Panga keine Niederlassungen mehr, vielmehr würden wir einen neuntägigen Marsch durch den Wald zu machen haben.
Am nächsten Morgen wurde das Tauschgeschäft fortgesetzt, und da wir Lebensmittel für mehrere Tage zu erwerben wünschten, wurde an alle Leute eine weitere Ration an landesüblichem Geld vertheilt. Zu unserer Ueberraschung fanden wir aber, daß wir für eine Messingstange von 40 cm Länge und der Dicke eines Telegraphendrahtes jetzt nur drei Maiskolben erhielten. In Bangala würde man zu meiner Zeit für eine solche Messingstange Proviant auf fünf Tage für einen Mann gekauft haben, und hier in dieser in der Wildniß gelegenen Niederlassung erhielt man nur drei Maiskolben. Für ein Huhn verlangte man vier Messingstangen. Kauris wurden nicht angenommen und ebenso wiesen die Eingeborenen Glasperlen zurück. Die Leute hatten wüthenden Hunger, vor uns lagen neun Tage Wildniß. Die Wespen-Stromschnellen waren der nächste Ort stromabwärts von uns. Wir setzten den Eingeborenen unsere Lage auseinander, aber sie blieben fest. Nunmehr begannen die Leute ihre Patronentaschen für je zwei Paradiesfeigen zu verkaufen; auch entdeckten wir, daß sie die Munition zum Preise von einer Patrone für einen, ein blechernes Eßgeschirr für zwei Maiskolben verschacherten. Alsdann gingen Haumesser und Aexte denselben Weg, und das Verderben starrte uns ins Gesicht. Wir trieben daher die Eingeborenen fort; einer der Hauptsklaven des Häuptlings Mugwje wurde von einem riesenhaften Sansibariten aus seinem Kanoe gehoben, worauf ich den Eingeborenen sagen ließ, wir würden, wenn sie uns nicht wie am ersten Tage Lebensmittel zu vernünftigen Preisen verkauften, den Gefangenen mitnehmen, über den Fluß kommen und uns selbst versorgen.
Nachdem wir den ganzen Nachmittag auf das Wiedererscheinen der Eingeborenen mit Lebensmitteln gewartet hatten, schifften wir uns bei Tagesanbruch am 31. Juli mit zwei Compagnien ein, besetzten Mijui und sandten Fourragirer aus. Um 3 Uhr nachmittags war Nahrung genug für zehn Tage im Lager.
Am Nachmittag des 1. August lagerte die Vorhut gegenüber von Mambanga. Der Flußabtheilung war ein Unfall zugestoßen, indem unvorsichtige Sudanesen gekentert waren und einer der sansibarer Steuerleute gegen den Befehl sein Kanoe unter die 15 m weit in den Fluß hineinhängenden Zweige eines Baumes am Ufer geschoben hatte. Durch die rasche Strömung wurde das Fahrzeug auf einen unter Wasser befindlichen Ast getrieben und schlug um, wodurch wir einen Verlust an werthvollen Gegenständen erlitten, darunter schöne Glasperlen, von denen ein Halsband 4 Mark kostete. Auch sechs Gewehre gingen dabei verloren.
Der erste Todesfall bei der Vorhut trat am 2. August, dem 36. Tage nach unserm Abmarsch von Jambuja, ein, was in Anbetracht der vielen Strapazen und Entbehrungen, welche wir zu ertragen gehabt hatten, als außerordentlich günstig anzusehen ist. Hätten wir am andern Ufer eine Niederlassung mit Bananenpflanzungen entdecken können, wir würden jedenfalls viele Tage Rast gemacht haben, um uns zu erholen. Ein Aufenthalt von vier bis fünf Tagen in einer wohlhabenden Niederlassung würde damals für uns alle von größtem Vortheil gewesen sein, allein eine solche Ansiedelung war nicht zu finden, und wir mußten nothwendigerweise weiter marschiren und möglichst rasch vordringen, bis wir eine solche entdeckten.
Wir marschirten durch ein großes Dorf, welches vermuthlich schon sechs Monate vor unserer Ankunft verlassen worden war, und da es gerade unsere Zeit zum Lagern war, bereiteten wir alles vor, um es uns für die Nacht so bequem wie möglich zu machen. Als jedoch die Zelte aufgeschlagen waren, wurde ich durch das Schreien mehrerer aufgeregter Gruppen aufmerksam, und als ich nach denselben hineilte, erfuhr ich, es sei in einer Hütte ein Leichnam entdeckt worden, der fast ganz mit Schimmel überzogen sei. Gleich darauf wurde noch eine zweite und dritte Leiche gefunden. Das genügte uns zu veranlassen, so rasch wie möglich wieder einzupacken und aus dem Todtendorfe abzumarschiren, um uns nicht ebenfalls die Krankheit zuzuziehen, wegen welcher der Ort jedenfalls verlassen worden war.
Einer unserer armen Esel, der im Walde und Dickicht nicht genügend Nahrung finden konnte, legte sich hin und starb; ein anderer war abgemattet und schien sich nach Gras zu sehnen, das der endlose Wald nicht enthielt.
Unserm Lager gegenüber befand sich die Mündung des Ngula, eines Nebenflusses des Aruwimi am nördlichen Ufer. Weiter aufwärts schien der Fluß eine Breite von etwa 45 m zu haben.
Am 3. August kamen bei unserer Fahrt flußaufwärts zwei Hügel in Sicht, von denen der eine unter 112° 30', der andere unter 118° gepeilt wurde. Wir machten an einer Stelle der Flußcurve halt, in deren Mitte zwei Inseln lagen. Als wir einer derselben einen Besuch abstatteten, fanden wir zwei Ziegen, was uns solche Freude bereitete, daß eine bereits lange vor Abend für die Offiziere geschlachtet war, während die andere zur Suppe für die Kranken gekocht wurde. Eine Heerde von 100 Stück würde manches Leben gerettet haben, das jetzt rasch dahinsiechte.
Am nächsten Tage trafen wir bei den Panga- oder Nepanga-Fällen ein, über die wir von dem Knaben Bakula schon so viel gehört hatten.
Die Fälle sind volle 9 m hoch, obwol sie auf den ersten Blick wegen des großen Abhanges oberhalb des eigentlichen Katarakts die doppelte Höhe zu haben scheinen; von ihrem Fuße bis zum obern Ende dehnen sie sich über mehr als 1½ km aus. Sie bildeten das erste ernstliche Hinderniß für die Schiffahrt, welches wir gefunden hatten. Das Wasser stürzt in vier nebeneinander gelegenen Fällen herab, deren breitester ungefähr 180 m mißt, und fließt zwischen kleinen Inseln aus Gneis vorbei, welche den Eingeborenen von Panga Schutz gewähren. Werden letztere nicht gestört, dann leben sie auf einer großen Insel, welche den Namen Nepanga führt, etwa 1½ km lang, 275 m breit ist und 550 m unterhalb der Fälle liegt. Die Insel besitzt drei Dörfer mit etwa 250 kegelförmigen Hütten. Weiter ins Land hinein liegen auf beiden Seiten mehrere Niederlassungen. Die Hauptnahrung der Eingeborenen besteht aus Paradiesfeigen, obwol auch Maniokfelder vorhanden sind.
Ein unglücklicher Sansibarite, der sich verschworen zu haben schien, soviel wie möglich zu unserm Ruin beizutragen, schlug, als er sich Nepanga näherte, mit dem Kanoe um, wodurch wir 2 Kisten Munition für das Maximgeschütz, 5 Kisten Kauris, 3 Kisten weiße, 1 Kiste bunte Perlen, 1 Kiste feinen Kupferdraht, Patronentaschen und 7 Gewehre verloren.
In dieser Gegend war alles wild. Kaum hatte ein einsames Flußpferd uns entdeckt, als es uns zu verfolgen begann; beinahe hätte es uns auch erreicht, doch erhielt das Thier seine strenge Strafe, da es wahrscheinlich tödlich verwundet wurde. Die Hühner auf Nepanga wollten sich nicht fangen lassen, sondern ergriffen vor den Fourragirern die Flucht ins Dickicht; die Ziegen waren störrisch, angriffslustig und sehr wild. Insgesammt fingen wir zwölf, was in uns die Hoffnung wieder anfachte, doch noch im Stande zu sein, einige unserer Kranken retten zu können. Auch gelang es uns, in den Reusen und Korbnetzen einige Fische zu fangen.
Das Ergebniß eines dreitägigen Fourragirens auf den Inseln, sowie am rechten und linken Ufer waren 115 kg Mais, 18 Ziegen und ebenso viele Hühner, sowie einige Büschel Paradiesfeigen – für 383 Mann. Eine ganze Anzahl von Dörfern und Niederlassungen wurde durchsucht, allein die Eingeborenen scheinen selbst nicht genügend Lebensmittel zu haben. Sie sollen mit einem Stamm Namens Engwedde im Kriege sein und, anstatt den Boden zu bebauen, von Bananenstielen, Schwämmen, Wurzeln, Kräutern, Fischen, Schnecken und Raupen sich nähren und in diese seltsame Nahrung durch ein Gericht erschlagener Feinde etwas Mannichfaltigkeit bringen. In einer solchen Gegend reizte uns nichts zum Bleiben, und wir begannen deshalb mit dem Transport der Boote um die Fälle herum. Stairs' Compagnie erhielt den Auftrag, den Weg für die Kanoes zu lichten und quer über den Pfad Zweige zu werfen. Unter den Klängen einer wilden Musik und mit lautem Gesang zogen die 3. und 4. Compagnie die Kanoes, die 1. Compagnie trug das unzerlegte Walfischfängerboot über Land um die Katarakte, und am Abend des 6. August befanden wir uns nach einem sehr arbeitsreichen Tage im Lager oberhalb der großen Wasserfälle von Panga.