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In ihrem Stübchen in der Wohnung der Tante im Hause der Mauerstraße saß Eleonore ein paar Tage später und schrieb:
»Meine gnädige, hochverehrte, liebe Mama!
So sind denn die ersten acht Tage meines Brautstandes freundlich dahingegangen und – ich habe Guido weggeschickt. Glauben Sie mir – Pardon! ich soll meine liebe Mama ja ›du‹ nennen – glaube mir, liebe Mama, es war die höchste Zeit, wenn für andre Leute in Berlin noch etwas zu kaufen übrig bleiben sollte. Ich habe mich zuletzt geweigert, mit ihm auszugehen. Wir konnten an keinem Laden vorüberkommen, in dessen Schaufenster ein besonders kostbarer Schmuck, eine pompöse Damenrobe, ein auffallend luxuriöser Toilettengegenstand ausgestellt waren, und er wollte hinein. Hatte ich aber gar die Unvorsichtigkeit begangen, stehen zu bleiben und ein anerkennendes Wort fallen zu lassen, so war kein Halten mehr, ich mochte bitten und schelten, wie ich wollte. Daß er es trotz meines Widerstrebens fertiggebracht hat, mich wie eine Märchenprinzessin auszustaffieren, muß ich zu meiner großen Beschämung und zum nicht mindern Lobe seiner unerschöpflichen Güte bekennen.
Nun, Goethe sagt: ›Wenn der Deutsche liebt, so schenkt er gewiß‹. Und so mögen Guido seine Sünden in dieser Richtung vergeben sein. Aber eben seine Liebe selbst! Du, die Seelen- und Herzenskundige, wirst mich verstehen: ich fühlte mich durch ihr Uebermaß verwirrt, bedrückt. Es hat für jemand, der stolz ist – und, liebe Mama, ich bin sehr, sehr stolz –, etwas unsäglich Deprimierendes, nicht in dem Maße wiedergeben zu können, in welchem gegeben wird. Ich darf es mit gutem Gewissen aussprechen: mit jedem Tage unsres Beisammenseins habe ich Guido höher achten und schätzen lernen und lieber gewonnen. Aber zwischen diesen Empfindungen und seiner Anbetung, die in mir kein irdisches Weib mehr sieht, sondern eine aus himmlischen Höhen zu der niederen Erde herabgeschwebte Gottheit – welch weite, weite Kluft! Die nicht unüberbrückbar ist – Gott wolle es verhüten! –, aber die jetzt doch noch mit zu ernster Mahnung vor meinen Augen klafft, und vor der er – das ist es, was meine Verwirrung aufs höchste steigert – wissentlich die Augen schließt. Sähe er sie überhaupt nicht, würde ich mich seiner Blindheit wohl gar freuen, die doch für ihn eine Wohlthat wäre; ahnte er sie nur, könnte ich versuchen, ihn darüber wegzutäuschen; aber er kennt den Zustand meines Herzens so genau, wie ein ehrlich offenes Bekenntnis es ermöglicht. Ich habe es ihm abgelegt gleich in der ersten Stunde. Die Geschichtenträger hatten mir meine Beichte wesentlich erleichtert. Die süße Kittie hatte das Begräbnis ihrer Schwester für eine besonders schickliche Gelegenheit erachtet, Guido in bündiger Kürze mitzuteilen, was ihr von einem gewissen Herrn von Odebrecht während eines Walzers in die Lilienohren geraunt war. Ich finde es nur in der Ordnung, daß Guido die zwei Tage, bevor er hierher eilte, benutzte, den genannten Herrn in der Stadt aufzusuchen und ihn zur Rede zu stellen. Es scheint, daß der Herr die beiden Fuchseigenschaften der Grausamkeit und Schlauheit in innigem Verein zur Vollendung bei sich ausgebildet hat. Er habe nichts Herrn von R. oder mir Nachteiliges sagen wollen – Gott bewahre! Einmal liege in der Thatsache unsres Verkehrs auf Norderney doch schlechterdings nichts, was Herrn von R. oder mir zur Unehre gereiche. Und wie könne man ihm, wenn er ganz unbefangen zu Frau von R., Fräulein Kittie und vielleicht auch zu einem und dem andern von dem Faktum gesprochen, eine bösliche Absicht insinuieren, da er doch selbstverständlich habe annehmen müssen, daß er von etwas ganz allgemein Bekanntem spreche! Habe er doch darüber nicht den mindesten Zweifel gehegt, meine Stellung im Hause seiner Schwiegermutter sei durch Herrn von R. vermittelt worden. Wenn sich die Sache anders verhalte – nun, er bescheide sich. Aber angenommen zu haben, daß sie sich so verhalte, könne ihm doch kein vernünftiger Mensch übelnehmen.
Guido sagt: ich hätte den Menschen so gern gereitpeitscht! Ich glaube es ihm, habe ihm aber einen Extra-Handkuß dafür bewilligt, daß er es nicht gethan, sondern zu mir gekommen ist, um mir alles haarklein mitzuteilen, so unbefangen, als gehe die Geschichte uns beide nicht im mindesten an. Ich habe ihm dann die Lücken der Geschichte vervollständigt – für mich und ihn ein schmerzliches Geschäft: für mich – mein Gott, es schmerzt eben, an eine frische Wunde zu rühren –, für den besten der Menschen nur, weil er sah, daß es mir so schmerzlich war. Völlig mit Unrecht, wenn man ihn hörte. Wie hätte ich den Mann nicht lieben sollen, der, wenn einer verdiene, geliebt zu sein; den er selbst so innig liebe; in dem er von jeher sein Ideal gesehen! Wie hätte ich, als er mir entgegentrat, wissen können, daß er verheiratet sei, Kinder habe! Als ich es dann erfuhr, sei es doch offenbar zu spät gewesen. Und überhaupt, was frage die Liebe danach? Und endlich, wir hätten uns doch voneinander losgerissen, wie auch die Herzen dabei geblutet! Könne man mehr verlangen? Er thue es nicht: er habe dafür nichts als Bewunderung. So etwas bekomme nur eine heroische Natur fertig, wie sein Freund; ein völlig edles Mädchen, wie das, das er in mir verehre, liebe, anbete.
Sieh, teure Mama, da waren wir angelangt auf dem für mich so bedenklichen Punkte des Unterschiedes unsrer Empfindungen. Ich sagte schon und wiederhole es, weil ich weiß, wie sehr es dich freuen und beruhigen wird: dieser Punkt hat sich während der acht Tage unsres Beisammenseins sehr zu Guidos Gunsten – wenn du mir diesen Ausdruck nachsehen willst – verschoben. Aber er muß sich noch weiter verschieben, bevor ich mich mit auch nur einiger Ruhe des Glücks, welches sich vor mir aufthut, erfreuen kann. Und darum mußte Guido fort; darum habe ich ihn fortgeschickt. Ich bilde mir ein, wenn er mich eine Zeitlang – es soll keine lange Zeit sein – nicht mehr sieht, wird er, der jetzt blind, staarblind ist, wieder sehen; in der ruhigen Nachdenklichkeit, welche erst die Entfernung möglich macht, mich auf meinen wirklichen Wert taxieren; in der Sonne, die ihn jetzt blendet, auch die mancherlei recht dunklen Flecken konstatieren lernen.
Und bei mir, ich hoffe, vielmehr, ich weiß es, wird die Trennung ein entgegengesetztes Resultat zeitigen. Von dem leisen Stich ins Komische, den ein sehr verliebter Mann in den Augen selbst des Gegenstandes seiner Anbetung wohl immer hat, werde ich nichts mehr empfinden; dafür aber mein Herz mit der Betrachtung und Bewunderung seiner maßlosen Güte füllen, daß es ihm bei unsrer nächsten Begegnung voller entgegenschlägt.
Selbstverständlich wird diese unsre nächste Begegnung, unsrer aller Wünsche entsprechend, auf Wendelstein stattfinden, wo dann eine sehr kluge Frau zu ihrem Erstaunen erkennen wird, daß sie trotzdem mit dem ersten Lehrsatze der Lebensweisheit: ›Trau, schau, wem?‹ noch auf einem gespannten Fuße gestanden und etwas für Gold gehalten hat, weil es ein bißchen glänzte. Sie wird diese Erfahrung auf meine Kosten machen. Aber ich will sie gern bezahlen und mich für reichlich entschädigt halten, wenn sie mir in einem vertraulichen Augenblicke sagen wird: du bist freilich kein Märchenwunder, mein Kind, für das dich unser Guido hält, aber ein leidlich gutes Mädchen, das man schon, ohne sich etwas zu vergeben, ein bißchen lieb haben kann.
Noch einige Allotria zum Schluß.
Daß Guido die Herzen meiner Verwandten hier erobert hat, wie Cäsar, der bekanntlich nur zu kommen brauchte, um zu siegen, versteht sich von selbst. Meine gute Tante, die sich immer ihres ›altmodischen Herzens‹ rühmt und dabei enthusiastisch ist, wie ein sechzehnjähriges Mädchen, schwärmt einfach für ihn: für seine Ritterlichkeit, seinen vornehmen Anstand, und ich weiß nicht für noch was; meine Cousine Ottilie, vulgo Tilchen, die allerdings etwas sentimentaler Natur ist, muß weinen, wenn sie nur an sein gütiges Lächeln denkt. Ich könnte eifersüchtig werden, wenn beide nicht so seelengute Geschöpfe wären, ausgestattet mit jener verehrungswürdigsten aller Eigenschaften: das Gute, das einem ihnen lieben Menschen begegnet, anzusehen, als sei es in ihren Schoß gefallen.
Beide lassen sich der gnädigen Gräfin aufs angelegentlichste empfehlen und schwelgen in dem Gedanken, der gütigen Einladung nach Wendelstein Folge zu leisten, sobald es Tilchens noch immer etwas angegriffene Gesundheit erlaubt.
Für heute grüße ich nur noch meine liebe Mama als ihre dankbare Tochter
Eleonore.«
Eleonore war im Begriff, diesen Brief, den sie langsam, jedes Wort abwägend, geschrieben hatte, zu couvertieren, als ihr die Tante zwei Briefe brachte.
Nur zwei! sagte sie in bedauerndem Tone. Hoffentlich bringt die nächste Ausgabe noch einige.
Ich hoffe, nein, liebes Tantchen! erwiderte Eleonore; ich freue mich, daß diese Kette der Gratulationen früher abreißt, als dein Klingelzug. Das ewige Geschelle war ja kaum noch auszuhalten.
Kind, Kind, versündige dich nicht! sagte die Geheimrätin mit warnend erhobenem Finger. Für mich – und auch für das gute Tilchen – ist das Klingeln unsrer bescheidenen Schelle alle diese Tage hindurch gewesen wie das feierliche Läuten von Hochzeitsglocken. Wer weiß, ob wir ihr wirkliches Läuten jemals hören!
Freilich, wer weiß! sagte Eleonore bei sich, und laut in möglichst unbefangenem Ton:
Aber warum denn nicht, liebe Tante?
Die Geheimrätin seufzte nachdenklich und antwortete:
Sieh, liebes Kind, du bist ein starkgeistiges Mädchen –
Ich wollte, ich wäre es, unterbrach sie Eleonore.
Du bist es, fuhr die Geheimrätin entschieden fort; it runs in the family, wie ihr in England sagt. Dein Vater war starkgeistig, ich bin es gewesen; aber wenn man, wie ich, aus einer Wohnung scheiden soll, in der man über dreißig Jahre lang Freud und Leid getragen, und in der man auch dereinst das Zeitliche zu segnen hoffte, so erkennt man, daß auf Erden nichts feststeht, daß alles wankt. Der frische, fröhliche Glaube an ein dauerndes Glück, ja, an das Glück überhaupt, er ist bei mir ins Wanken gekommen; nur indem man sich in brünstigem Gebet demutvoll vor ihm beugt, dessen Ratschluß und Wege unerforschlich sind, kann man ihn wieder kräftigen. Es ist heute sein Tag, Kind. Würdest du dich entschließen können –
Gewiß, liebe Tante, wenn es dich beruhigt, sagte Eleonore lächelnd.
Du gutes, liebes Kind! rief die Geheimrätin, sie auf die Stirn küssend. Es wird dich nicht gereuen. Wir haben noch eine volle Stunde. Bis dahin kannst du deine Korrespondenz erledigen. Wer mögen denn die beiden Nachzügler sein?
Ich weiß es nicht, Tantchen –
Nun, nun, das ist ja deine Sache. Also in einer Stunde! Wir holen dich rechtzeitig ab.