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Zwölftes Kapitel.

Pünktlich zur festgesetzten Stunde hielt vor dem Hause die Equipage der Gräfin, begleitet von Graf Guido zu Pferde. Die Equipage war ein offener, mit silbergrauer Seide ausgeschlagener Landauer, bespannt mit vier prächtigen, silbergrauen Hengsten, die zwei Jockeys in Livree vom Sattel lenkten. Graf Guido sprang von seinem wie lackiert glänzenden Rappen und eilte die Stufen zu der Halle empor, in welcher ihm die Damen bereits entgegen kamen. Er küßte der Generalin die Hand, schüttelte den drei Mädchen die Hände und wollte eine Entschuldigung beginnen, die ihm die Generalin abschnitt. Für den Frevel, zwei Tage in Salchow gewesen zu sein, ohne in Seehausen vorzusprechen, gebe es keine Entschuldigung, und wenn sie ihm verzeihe, so thue sie es nur seiner lieben Mama wegen, die freilich auch wieder ein wenig Schelte verdiene. Weshalb die Equipage schicken? Aber ohne ein Übermaß von Güte gehe es bei der Frau Gräfin niemals ab. Das wisse sie nicht erst seit heute.

Die Generalin war in der rosigsten Laune. Die sonst ganz unmotivierte Anwesenheit Guidos auf Salchow, die plötzliche Einladung der Gräfin, die Abholung in der Staatskarosse, der sich die Gräfin selbst nur bei ganz seltenen, feierlichen Gelegenheiten bediente – es konnte das alles nur eine Erklärung haben. Hier galt es für sie selbst: sich nichts merken zu lassen! die unbefangenste Heiterkeit zur Schau zu tragen! Für Kittie lag die Sache wesentlich anders. Eine junge Dame, um deren Hand in der nächsten Stunde angehalten werden kann, darf nicht thun, als ob sie nichts merke. Sie hat nur die Wahl, das Heideröslein zu sein, das sich mit stechenden Dornen umgibt, oder die Lotosblume, die mit gesenktem Haupte schweigend die Nacht erwartet. Reizend ist beides; es kommt auf den Charakter des Bewerbers an, wofür man sich entscheidet. Die Generalin und Kittie hatten sich in einer kurzen, aber inhaltreichen Konferenz, die sie nach Eintreffen der Einladung sofort abgehalten, dahin geeinigt, daß in diesem Falle der Lotosblume der Vorzug zu geben sei. Hatte doch Guido eben erst wieder einen eklatanten Beweis seiner knabenhaften Schüchternheit geliefert! Ihm den Weg nicht ebnen, hieß, ihn vom Ziele zurückschrecken.

Also, mein süßes Kind, wenn ich raten darf: ein etwas leidendes Aussehen und von Zeit zu Zeit ein voller, möglichst warmer Blick, der sich aber gleich wieder senkt, verstehst du?

Kittie hatte erklärt, ihre Herzensmama völlig verstanden zu haben, und war dann auch, ganz der erhaltenen Instruktion gemäß, Guido in der Halle entgegengetreten zu nicht geringem Ergötzen Clementinens, die Eleonoren aus den Winkeln der Augen einen schelmischen Blick zuwarf, welchen diese mit einem müden Lächeln erwiderte.

Tücher und Shawls für die Rückfahrt waren in dem Wagen an schicklichen Plätzen geordnet; die Damen hatten, von Guido unterstützt, Platz genommen; Diener und Jäger sich auf den Bock, Guido und der Groom in die Sättel geschwungen. Die Fahrt begann.

Eine ergötzliche Fahrt in der federnden, bequemen Equipage auf den glatten Wegen, durch Felder, die ihre sommerliche Arbeit gethan hatten und sich wie verschlafen im Sonnenschein dehnten; durch Wiesen, auf denen Störche standen, die über ihre demnächstige Rückreise nachzudenken schienen; vorüber an Waldungen, deren Laub sich schon hie und da zu färben begann, während von rechts her, bald näher, bald ferner, der See herüberblickte, dessen stille Fläche gleißte wie ein metallener polierter Schild. Dann hatte man die nordwestliche Ecke des Sees erreicht und gelangte, wie Guido, der an den Wagen herangesprengt kam, erklärte, von dem Brandtschen auf Randowschen Besitz. Der Weg näherte sich dem Gutshofe immer mehr und führte dann eine ganze Strecke an dem Gitter eines parkartigen Gartens hin, dessen Baumgänge wiederholt Blicke auf die Hinterseite des Herrenhauses gewährten. Man machte Eleonore, die ja zum erstenmal des Weges kam, darauf aufmerksam. Sie nickte stumm zur Antwort. Das also war sein Haus! Da spann sich sein Leben ab! Die kleinen, sich auf der Terrasse haschenden Gestalten in weißen Kleidchen waren seine Kinder – von der Frau, die er nicht liebte. Und sie, die er liebte, fuhr hier auf der staubigen Landstraße vorüber, ohne daß er es ahnte, hundert Schritte von ihm, der hundert Meilen barfuß gepilgert sein würde, sie wieder zu sehen! Und gestern abend hatten sie das Wiedersehen mit bösen Worten gefeiert und sich im Zorn getrennt!

Graf Guido! rief die Generalin.

Gnädigste! erwiderte Guido, dicht an den Wagen, der jetzt im Schritt fuhr, herankommend.

Was mir eben einfällt – könnten Sie nicht Hertha und Ulrich, oder wenigstens Ulrich, heute nachmittag auf eine Stunde nach Wendelstein bitten?

Würde ich mit dem größten Vergnügen – hätte es sogar schon gethan. Aber, offen gestanden, Ulrich war gestern abend so übelgelaunt, so – ruhig, Viktor! – sonderbar zu mir – habe wirklich nicht den Mut gehabt.

Na, da ist es besser, sie bleiben, wo sie sind. Hertha hatte gestern auch ihren schlimmen Tag. Es ist schrecklich für ein heiteres Temperament, wie meines, von übelgelaunten, melancholischen Menschen umgeben zu sein. Ja, ja, liebe Kittie, ich meine dich! Wo ist dein lustiges Lachen geblieben? Ich versichere Sie, Graf, das Kind ist seit einiger Zeit wie ausgetauscht.

Aber, Herzensmama!

Ach was! ich habe keine Geduld mehr mit dir! Bester Graf, thun Sie mir die Liebe und helfen Sie mir, dem Kinde den Kopf zurechtsetzen! Sie sind der einzige, auf dessen Wort sie hört.

Werde nicht verfehlen, Gnädigste –

Guido war froh, daß ihm der Rest erspart wurde. Die Hufen der vorderen Wagenpferde schlugen eben auf die schmale Brücke, die hier – am Ende des Parkes von Wüstenei – über das Flüßchen führte, in welchem das Wasser des Sees nordwärts dem Meere zustrebte. So hatte er einen willkommenen Grund, zurückzubleiben. O ja! wenn sie allein – nein, nein! – nicht allein! das würde ihn in grausame Verlegenheit gebracht haben! – Aber wenn sie mit der lieben, guten Clementine ohne die beiden andern im Wagen gesessen hätte! Bei Gott! Nicht von ihrer Seite würde er gewichen sein! Die Generalin war heute zu schrecklich mit ihrer liebenswürdigen Gesprächigkeit. Daß sie wäre, wo der Pfeffer wächst! Und Kittie mit dem melancholischen Augenaufschlag und dem wehleidigen Lächeln! Wie sollte das werden? Die beiden glaubten ganz offenbar, die Einladung gelte nur ihnen. Er hatte es der Mama vorausgesagt. Die Mama hatte freilich gemeint: Laß mich nur machen, mein Junge! – Die Mama war grenzenlos klug – selbstverständlich! – Aber wie sie das machen wollte – Und die Hauptsache: ahnte Eleonore, um was es sich in Wirklichkeit handelte? Sie sah heute so ernst aus – ordentlich feierlich. Daß die Mama sofort sagen würde: Ja, mein Junge, die ist es, oder keine! – daran war gar nicht zu zweifeln. Nur, was war damit gewonnen? Ihr Herz gehörte einem andern – in England – selbstverständlich! Es gab da so viele verteufelt fashionable junge Leute – Kerls, sechs Fuß, mit hellen, kecken Augen und Muskeln von Stahl. Fürchteten sich auch vor dem Teufel nicht. Das imponiert den Mädchen. Aber die Mama hatte recht: warum ist sie dann wieder hier in Deutschland? Mut, Mut, mein Junge!

Und indem sich Guido die Trostworte der Mutter wiederholte, fand er, daß sein Sattelgurt anfange sich zu lockern. Er rief Friedrich heran, den Gurt fester zu schnallen. Der Aufenthalt kam ihm gelegen. Mußte sich doch so die Distance zwischen ihm und dem vorausfahrenden Wagen vergrößern.

Herr des Himmels! habe ich es nicht gedacht! Da läßt die Generalin halten. Sie hat den Satan im Leibe. – So, so, Friedrich! Steig nur wieder auf! Ein andermal besser satteln! – Grands dieux! Nun winkt sie gar mit dem Taschentuch – fürchterliches Weib! – Komm' schon! Gnädigste! Komm' schon!

Und Guido schwang sich wieder in den Sattel und setzte Viktor in Galopp.

Hinter Wüstenei noch ein paar Güter, deren Höfe in einiger Entfernung blieben. Dann gelangte man auf Wendelinsches Gebiet, wie die Generalin Eleonoren mitzuteilen nicht versäumte; und daß man von dem Punkte eine volle Stunde in schlankem Trabe fahren müßte, bis man es in dieser Richtung durchmessen, während man in der andern sogar anderthalb und mehr dazu brauche – eine Behauptung, die Eleonore in keiner Weise anzweifelte, und trotzdem Guido, der an den Wagen herangewinkt wurde, bestätigen mußte. Er bedauerte, den Damen Wendelhof, seine Residenz, nicht zeigen zu können; der Wald schiebe sich dazwischen.

Die Landschaft hatte einen andern Charakter angenommen. Das bis dahin völlig ebene Terrain war Hügeln gewichen, die in langgestreckten Wellen einander folgten: Ueberbleibsel der Dünen, wie Guido erklärte, welche das einstmals bis hierher brandende Meer zurückgelassen. Zwischen den Hügeln wieder Felder, aus denen baum- und buschumgebene Pachthöfe aufragten. Die Hügel selbst fast durchgängig mit Buchen- und Nadelwald bestanden. Dann ein Forst, in welchem die Tannen noch ganz besonders hoch und dicht standen, während der Boden, so weit er sich zwischen dem oft gestrüppartigen Unterholz den Blicken bot, von dickem Moos bedeckt, oder mit Heidelbeerbüschen übersponnen war. Selbst auf dem Wege Gras und Lattich, üppig wuchernd, so, daß man manchmal nichts von den Wagenspuren sah. Wie er denn auch nur selten befahren wurde, da er hier nirgends hin als zu Schloß Wendelstein führte, während die große Kommunalstraße sich weiter rechts, an Wendelhof vorüber, in einem Bogen durch den Wald wand.

Nur noch ein wenig Geduld, meine Damen! rief Guido, und wir sind da.

Dann nach fünf Minuten:

Mit gnädiger Erlaubnis werde ich vorausreiten und die Damen ankündigen.

Da der Weg zu schmal war, ein gutes Vorbeikommen im Wagen zu gestatten, setzte er über den Graben in den Wald, der hier gerade eine kleine Lichtung bot; von der Lichtung, wieder vor dem Wagen, auf den Weg und sprengte im Jagdgalopp davon, während der Groom in pflichtschuldiger Entfernung hinter der Equipage blieb.

Ist es nicht ein entzückender Mensch? rief die Generalin, zu Eleonore gewandt.

Diese Frage war in wenig verschiedener Form unterwegs bereits mindestens ein halbes Dutzend mal von der gnädigen Frau an sie gerichtet. Sie hielt es deshalb für ausreichend, nur mit einem höflichen Lächeln zu antworten.

Auch die Generalin, die während der beiden Wegstunden fast ununterbrochen gesprochen hatte, versank plötzlich in Schweigen und vertiefte sich in die Betrachtung ihres Lieblingskindes. Kittie erwiderte den zärtlich prüfenden mütterlichen Blick mit einem kokett-spöttischen Zucken ihres kleinen roten Mundes. Sie war ihrer Sache sicher – sie! Und es war gar nicht hübsch von der Mama, an einem Erfolge zu zweifeln, den sie doch nur zu wollen brauchte. Der schlanke Treskow, der ihr im vorigen Winter – noch zuletzt auf dem Hofball – so wahnsinnig die Cour gemacht! Aber er war arm wie eine Kirchenmaus und hatte Schulden wie ein Major – ihm war nicht zu helfen.

Der Wald that sich auseinander. Zwischen und über den Bosketts eines breiten parkartigen Geländes stand plötzlich Schloß Wendelstein. Die Räder des Wagens knirschten auf dem Kies eines breiten, glatten, sich in prächtiger Kurve nach dem Schloß biegenden Weges. Die Jockeys setzten die Hengste in schlanksten Trab und parierten sie meisterlich auf der Höhe der Rampe vor der weitgeöffneten Schloßthür, auf deren Schwelle, den Hut in der Hand, Guido stand, den Damen beim Aussteigen behilflich zu sein.


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