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Achtes Kapitel.

Auf seinem Zimmer angelangt, warf sich Ulrich wie gebrochen auf das harte, kleine Sofa, ohne die Ruhe zu finden, die ihm Eleonore gewünscht hatte. Schon nach wenigen Minuten sprang er wieder auf und irrte mit ungleichen Schritten durch das Zimmer, setzte sich dann an den Tisch vor dem Sofa, die Ellbogen aufstemmend, die flachen Hände an die hämmernden Schläfen pressend, brütend, brütend, brütend.

In dem Wirbel seiner Gedanken gab es nur eines, das feststand, als sei es immer so gewesen und könne nicht anders sein: daß er Eleonore liebe, vom ersten Augenblicke an geliebt habe. Ohne es zu wissen. Und es auch nicht wissen konnte, weil, was über ihn gekommen, etwas war, das er nie an sich erfahren, nie gekannt, von dem er höchstens einmal geträumt hatte, wenn er abends durch die stillen herbstlichen Felder ritt und hoch über ihm ein Dreieck wilder Schwäne den stolzen Flug gen Süden nahm. Nein, nie erfahren! nie gekannt! Und das er doch selbst war, sein eigenstes Ich, die Seele seiner Seele! Und hatte nie gewußt, wer er selber war, und so weiter durch das öde Leben geträumt. Und da trat sie in sein Leben, und aus dem Traum war Wirklichkeit geworden, die ihn aus ihren großen Augen anglänzte, von ihren holden Lippen entgegenlächelte. Großer Gott, wie blind war er gewesen, daß er das alles nicht gesehen hatte, erst die wahnsinnige Angst, sie verloren zu haben, heute über ihn kommen mußte, um zu entdecken, was doch so leicht zu finden war, wie ein Kind, das sich vor unsern Augen hinter einen Baum versteckt!

Das stand alles so fest! war ja leuchtend klar; aber einen Schritt weiter, und das Chaos und das Dunkel brachen herein. Wurde er geliebt, wie er liebte? Nicht, wie er liebte! – Das war unmöglich – wer war er, eine solche Liebe zu verdienen! in ihren Augen das vollkommene, anbetungswürdige Wesen zu sein, das sie in den seinen war? Aber liebte sie ihn, wie er nun einmal war? und konnte ihr eine solche Liebe genügen?

Wie im Fluge ging ihr Beisammensein vom ersten Augenblicke bis zu dieser Stunde an seinem Geiste vorüber. Er hatte nichts vergessen: keine der mannigfaltigen Begegnungen und Scenen, keinen Aufschlag ihrer Augen, kein Lächeln ihrer Lippen, kein Wort, auch das scheinbar gleichgültigste nicht, das über diese Lippen gekommen war. Er hatte alles beisammen, jedes Glied der Kette. Und wollte sich doch nicht zur Kette schließen, ja lockerte sich mehr und mehr, je leidenschaftlicher er danach rang, und wurde zu Sommerfäden, die sich von seinen Händen lösten und in der Luft zerflatterten. Ihr gütiger, weicher, seelenvoller Blick, ihr träumerisches Lächeln, ihre herzige zutrauliche Rede – mein Gott, das brauchte doch alles keine besondere Bedeutung gehabt zu haben! Das alles war doch nur sie selbst, die sich gab, wie sie war, weil sie es ohne Scheu durfte; jedem andern, den sie ihres Umgangs würdigte, so gegeben, so gezeigt haben würde! Ein Narr, der daraus einen für ihn günstigen Schluß ziehen wollte! Und hatte sie nicht von Anfang an, als wüßte sie, wie es kommen könne, kommen müsse, betont, daß sie gute Kameraden seien? ihn belobt, weil er keine Phrasen mache, und sich so indirekt Huldigungen und Schmeicheleien, als ihr ein- für allemal lästig, verbeten? War sie selbst von diesem Programm auch nur um eines Haares Breite abgewichen? Und doch, wer, sei er noch so bescheiden, ließe sich nicht gern huldigen, nicht gern schmeicheln von dem, dessen Liebe er sicher ist, und den er wieder liebt?

Nein! sie liebte ihn nicht!

Und sie wollte seine Liebe nicht!

Frau Johansen in der Küche wurde aus einem erquicklichen Morgenschlaf an der Herdseite durch die Klingel des Herrn Barons aufgeschreckt. Als sie sein Zimmer betrat, kam er ihr bereits mit einem Briefe entgegen, der sofort zur Post müsse. Frau Johansen wollte sich die Bemerkung erlauben, daß die Sache so gar eilig nicht sei, da heute keine Post mehr gehe. Aber der Herr Baron wiederholte das »Sofort!« mit solchem Nachdruck und sah so sonderbar aus, wie sie ihn nie gesehen: mit zuckenden Lippen, die sonst so freundlich lächelten; geröteten, starren Augen, die doch sonst so klar und gütig blickten. Da sagte sie lieber nichts, sondern ging kopfschüttelnd in die Küche zurück und rief Jantje, die auf dem Hof den Waschkessel scheuerte; worauf dann Jantje mit dem Briefe des Herrn Barons durch die sandigen Dorfgassen nach der Post trabte.

Ulrich hatte am Fenster gestanden, sich zu überzeugen, daß sein Befehl sogleich befolgt werde. Als er die Dirn mit dem Brief in der Hand durch das Gärtchen laufen sah, atmete er tief auf, als wäre ihm eine erdrückende Last von der Brust genommen, und warf dann einen Blick in die Sofaecke, in die er sich hätte werfen mögen, um zu weinen wie ein Kind.

Statt dessen fuhr er sich mit der Hand über die heißen Augen und begann wieder in dem Zimmer auf und nieder zu gehen.

Es war geschehen – unwiderruflich. Nur das eine blieb noch: wie sollte er es ihr sagen? Heute morgen hatte er ein paar Briefe bekommen. Es konnte ja einer darunter gewesen sein von Hertha: Die Kinder seien erkrankt. Oder von Pasedag: Die Wirtschaft wachse ihm über den Kopf; er wisse sich nicht mehr zu raten; der Herr Baron möge doch umgehend heimkehren. – Aber ihr eine Lüge in die großen Augen sagen – eine Lüge, die so durchsichtig war? Dazu mochte ein andrer den Mut haben! Lieber doch ein ehrliches Geständnis: ich liebe Sie, und jede Stunde, die ich länger hier weilte, würde mich, wenn das noch möglich wäre, tiefer in meine Leidenschaft verstricken. Meine Leidenschaft, die, wie die Sachen nun einmal verhängnisvoll liegen, ein Verbrechen für mich ist, und – seit heute morgen, seit ich schwach genug war, Sie in mein Herz blicken zu lassen – für Sie eine Qual.

Aber dergleichen sagt man nicht. Dergleichen schreibt man. Morgen. Im letzten Augenblick vor der Abreise. Heute –

Heute will ich noch leben die paar armseligen, die paar himmlischen Stunden, als ob es kein Morgen gäbe. Sie soll, wenn sie an mich zurückdenkt, nicht sagen dürfen: der Schwächling! Soll eingestehen müssen: er war ein Mann, der zu lachen und zu scherzen verstand mit dem Tod im Herzen. Und der, wenn ich ihn auch nicht lieben konnte, doch meiner Liebe nicht ganz unwürdig war.


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