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Hertha war sitzen geblieben, jetzt fast allein in dem Vorgarten; nur ein paar ältere Herren und Damen, die sie nicht genauer kannte, plauderten an einem entfernteren Tische, unbekümmert um das Feuerwerk, das jetzt von der Seeseite her zu prasseln und zu zischen begann.
Die Einsamkeit und die Stille um sie her waren ihr willkommen, brachten sie ihr auch nichts als das Gedenken ihres Leides. Aber das begleitete sie ja nun seit Wochen bei Tage und bei Nacht. Wie schmerzlich war sie eben erst wieder daran gemahnt worden! Er, der ihr immer das Ideal ritterlicher Höflichkeit gewesen war, welch traurige Veränderung war mit ihm vorgegangen! Daß er für sie kein herzliches Wort mehr hatte, daß er gegen die Kinder bei der geringsten Veranlassung heftig werden konnte – es war ihr nichts Neues mehr. Aber daß er sich jetzt auch in Gegenwart andrer nicht mehr zu beherrschen vermochte! Was mußte das Fräulein von ihm denken? Er war beinahe ungezogen gewesen. Und wie sie ihn kannte, mußte ihm das Mädchen eigentlich gefallen mit den schönen Augen, dem anmutigen Gesicht und mit dem, was sie alles kannte und wußte. Hatte sie doch schon daran gedacht, sie zu sich zu nehmen, wenn es ihr in Seehausen nicht länger gefiel, was über kurz oder lang sicher der Fall war. Ulrich, der sich zu Hause so langweilte, hätte dann eine Unterhaltung, wie er sie sich wünschte; und sie würde sich an dem Mädchen eine Freundin gewinnen, wenn es nun doch ohne Freundin nicht mehr ging. Und dann wollte sie in aller Stille von ihr Französisch und Englisch lernen, daß Ulrich erstaunen sollte und sie nicht mehr heimlich verachten konnte wegen ihrer Unwissenheit, wie er es jetzt that. Ja, das mußte gehen! Gleich jetzt, wenn sie vom Feuerwerk zurückkamen, wollte sie ein paar andeutende Worte fallen lassen. Sie würde dann sehen, wie sie aufgenommen würden. Gewiß gut. Ein so kluges Mädchen mußte herausfühlen, daß sie hier nicht mit schönen Redensarten abgespeist werden würde, wie in Seehausen von Mama. Und arm und alleinstehend in der Welt mußte ihr doch daran gelegen sein, in ein Haus zu kommen, wo sie keine Untergebene sein sollte, sondern eine Freundin.
In so tiefen Gedanken, gnädige Frau?
Hertha blickte auf: Herr von Odebrecht stand neben ihr.
Und so allein? Darf ich Ihnen ein wenig Gesellschaft leisten – ein Glück, das mir lange nicht zu teil geworden ist.
Er hatte, ohne Herthas Erlaubnis abzuwarten, auf einem der leeren Stühle an ihrer Seite Platz genommen. Die Begegnung war ihr sehr peinlich. Sie hegte gegen ihren ehemaligen Liebhaber und eifrigen Bewerber keine unfreundliche Gesinnung; aber Ulrich war der alte Universitätsfreund gründlich zuwider, und er hatte mit ihm, wenn nicht offiziell gebrochen, so doch jeden Verkehr, ja, jede Berührung vermieden. Indessen hier, an diesem neutralen Orte, war die Sache am Ende so ernst nicht zu nehmen, und das mußte auch Odebrechts Ansicht sein; er würde sich ihr sonst wohl nicht genähert haben.
Sie sind kein Freund von Feuerwerken? sagte sie, nach einem möglichst unverfänglichen Gesprächsstoff greifend.
Könnte es nicht behaupten, erwiderte Herr von Odebrecht; der Spektakel macht mich nervös. Ueberdies, dergleichen hat man in Baden-Baden und sonst besser gesehen. So en gros läßt man es sich noch ungefähr gefallen; aber diese kindlichen Imitationen sind ein wenig ridikül. Sie kennen Fräulein Ritter?
Ja; warum? erwiderte Hertha, über die letzte, so völlig unvermittelte Frage ein wenig erstaunt.
O, ich frage nur so, weil ich die Dame vorhin hier mit Ihnen und Ulrich – Pardon! Ihrem Herrn Gemahl in, wie es schien, eifrigem Gespräch beobachtet habe.
Sie kennen Sie?
Ich? O nein! Ich hatte nicht den Vorzug Ihres Herrn Gemahls.
Welchen Vorzug?
Den, die Bekanntschaft von Fräulein Ritter in Norderney zu machen, die gewiß sehr beneidenswerte Bekanntschaft, wenn ich aus der Beflissenheit, mit der Ihr Herr Gemahl sie kultivierte, einen eifersüchtigen Schluß ziehen darf.
Wäre die Rakete, die eben über dem Hausdach in den nächtlichen Himmel stieg, als Blitz vor ihr in die Erde geschlagen, Hertha hätte nicht mehr erschrecken können. Sie wußte zufällig, daß Odebrecht mit Ulrich zu gleicher Zeit in Norderney gewesen war. Nicht einen Augenblick dachte sie daran, daß der Mann sich geirrt haben könnte oder geflissentlich log. Es war, wie er sagte, und er hatte sie aufgesucht, um es ihr zu sagen. Es ihr zu sagen, weil er wußte, daß sie es nicht wisse; und so den Triumph zu genießen, der erste gewesen zu sein, der sie von Ulrichs Treulosigkeit unterrichtete.
Er sollte sich verrechnet haben.
Gewiß, sagte sie, Ulrich hat mir alles Mögliche von ihr vorgeschwärmt. Aber ich habe es ihm von Herzen gegönnt, er wäre sonst vor Langerweile dort gestorben.
Das hatte Herr von Odebrecht nicht erwartet. Das Resultat seiner geheimen, sorgfältigen Norderneyer Beobachtungen war gewesen, daß sich dort zwischen Ulrich und dem Mädchen ein regelrechter Liebesroman abgespielt hatte. Darauf würde er geschworen haben. Natürlich, wenn der Mensch die Frechheit so weit trieb, seine Geliebte bei seiner Schwiegermutter als Gesellschafterin zu installieren, auf deutsch: sie sich nachkommen zu lassen, so hatte er natürlich mit einem Teil der Wahrheit herausrücken und die Norderneyer Bekanntschaft beichten müssen. Die Bekanntschaft! jawohl!
Nun, sagte er, vor Langerweile, das war freilich nicht mehr möglich, die Todesart hätte schon eine andere sein müssen. Die beiden Herrschaften waren ja unzertrennlich, selbstverständlich innerhalb der allerdings etwas weit gezogenen Grenzen einer Badebekanntschaft. Sie sehen, gnädige Frau, der pure Neid spricht aus mir. Aber, wie soll so ein armer, verlassener Junggeselle, wie ich, nicht neidisch werden, wenn er sieht, daß einer, der eine anbetungswürdige Frau und seine süßen Kinder zu Haus hat, sich in der Fremde noch des Verkehrs mit einem schönen, geistvollen Mädchen erfreuen darf, während er – der Junggeselle – die gewohnte Trübsal weiter blasen mag. Bei Gott, es giebt keine Gerechtigkeit mehr auf Erden! Mein einziger Trost ist: unsereiner, der nichts mehr hofft und nichts mehr wünscht, kehrt wie ein geduldiger Gaul nach der kurzen Ausspannung in die alte Tretmühle zurück, während der Herr Gemahl die behaglichen petits soupers in der lauschigen Ecke des Restaurant Otterndorf und die schönen Spaziergänge en deux durch die Dünen beim Abendschein doch einigermaßen vermissen wird. Ich bin bitter, gnädige Frau, nicht wahr? Ja, ich bin es, ich mache kein Hehl daraus. Aber es ist auch furchtbar bitter, hungrig um die Tafel zu schweifen, an der es sich andre Leute so gut schmecken lassen. Und zu denken, daß man auch einmal Aspirationen hatte, auch einmal von Glück geträumt hat! Und diesem Glück so nahe gewesen ist, daß man nur noch die Hand glaubte ausstrecken zu dürfen, um eine gewisse geliebte Hand zu ergreifen – wo wollen Sie hin, gnädige Frau?
Mir einen andern Platz suchen, erwiderte Hertha, die bei seinen letzten Worten sich erhoben hatte, jetzt von ihm fort zu jener Gruppe alter Herrschaften ging, die noch ruhig weiterplauderten, und sich zu ihnen setzte.
Herr von Odebrecht, der, als sie sich so plötzlich erhob, ebenfalls aufgesprungen war, stand da, an der Unterlippe nagend, vor Wut zitternd.
Das stolze Weib! Lieber sterben als zugeben, daß ihr Schuft von Mann sie betrügt! Aber gesessen hat's doch – sie war bleich wie der Tod. Nun fehlte bloß, daß sie mir zum Dank dafür, daß ich ihr den Star stechen wollte, den Schuft auf den Hals hetzt. Meinetwegen! So habe ich wenigstens eine legitime Veranlassung, ihn einmal ordentlich zu zeichnen. Hm! wer da? hätte denken können!
Und Herr von Odebrecht ging langsam in das Haus, wo er dem Vortrab derer begegnete, die von dem Feuerwerke zurückkamen.