Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Zufall wollte, daß Herr Witte im Schlafrock, bedächtig eine Meerschaumpfeife rauchend, am offenen Fenster stand, als Eleonore von ihrem Gange zum Bankier zurückkehrte. Sie durfte erwarten, der Mann, der sie von ihrem früheren Aufenthalte sehr wohl kannte und zweifellos durch die Dienstboten von ihrer Rückkehr gestern abend gehört hatte, werde einen Gruß für sie haben; aber die schwarze, betroddelte Sammetmütze wurde nicht gerückt, und in dem brutalen dumm-pfiffigen Gesicht regten sich nur die kleinen, verschwollenen Augen, um sie, während sie an dem Fenster vorüberging, zu begleiten. Diese Unhöflichkeit brachte einen Entschluß, mit dem sie sich bereits auf dem Heimwege getragen, zur Reife. Wer konnte wissen, ob das altmodische Herz inzwischen nicht schon den Mut verloren, dem Haustyrannen zu trotzen?
Sie zog die Klingel an der Parterrewohnung, schickte ihre Karte hinein, wurde angenommen und verließ zehn Minuten später die Wohnung wieder, in den Händen die verpfändete Police. Herr Witte hatte keinerlei Zeichen von Ueberraschung oder Verlegenheit blicken lassen, und die Sache wäre in einer Minute erledigt gewesen, hätte die Berechnung der Zinsen bis auf den laufenden Tag nicht einige Zeit erfordert. Zu Eleonores Genugthuung, die hilflose Tante aus den Klauen dieses phlegmatischen Vampyrs erlöst zu haben, gesellte sich die andre, daß der Mann nun doch gezwungen gewesen war, die betroddelte Sammetmütze von seinem Schädel zu nehmen.
Die Geheimrätin schien viel mehr erschrocken als erfreut über Eleonores schnelles Handeln, und es vergingen mehrere Tage, bis sie ihr gegenüber den altgewohnten, halb überlegen-lehrhaften, halb gemütlich-sentimentalen Ton wieder fand. Eleonore ließ sich das nicht anfechten. Sie war überzeugt, etwas Vernünftig-Zweckmäßiges gethan zu haben; auch hatten die vier Jahre in England sie gelehrt, daß, auf den Dank der Menschen zu rechnen, ein prekäres Geschäft sei. Und dann hatte sie mit sich selbst zuviel zu thun, um den Interessen der lieben Nebenmenschen mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden, als sie unbedingt erforderten.
Wie eine Verzweifelte klammerte sie sich an ihren so tief gekränkten Stolz. War Ulrichs Wort von der besten Frau der Welt, das sie aus des Grafen Munde hatte, authentisch – und wie konnte sie daran zweifeln? – so war die Leidenschaft, die er für sie an den Tag gelegt, ein grenzenloser Leichtsinn oder eine Verruchtheit. Eine beste Frau verleugnet man, vergißt man nicht um einer phantastischen Laune willen, vielleicht wohl gar nur, sich die Langeweile eines müßigen Badeaufenthaltes zu vertreiben. Und diesen Leichtsinnigen, Gewissenlosen hatte sie geliebt mit der ganzen Kraft ihrer Seele! sich von ihm loszureißen, hatte ihr fast das Herz gebrochen! War sie nicht eine ausbündige Närrin gewesen? und eine womöglich noch größere, wenn sie sich über diese lächerliche Farce weiter den Kopf zerwühlte und das Herz beschwerte? nicht in ihrer Seele sofort und für immer das Gedenken eines Mannes vernichtete, dem sie nichts gewesen war, als was er ihr hätte sein sollen: eine Badebekanntschaft wie andre auch?
Wer war er denn, daß sie, verblendet genug, ihr Ideal in ihm hatte sehen können? Nicht annähernd so geistreich, wie der Russe Borykine, nicht entfernt so schön, wie der schlanke Chilene! Ein Dutzendmensch, nicht mehr, nicht weniger, dessen alleiniges Verdienst darin bestand, zur Zeit der einzige Mann in ihrer Nähe gewesen zu sein! Die reine optische Täuschung! Wie am glatten Strande eine jämmerliche Möwe, weil jeder Maßstab des Vergleiches fehlt, in der Entfernung die Dimensionen eines Adlers annimmt! Wo hatte sie nur ihre Augen, ihre Sinne gehabt!
Und dann wurde sie zu ihrem Entsetzen inne, daß der Götze, den Sie heute zertrümmert zu haben glaubte, am nächsten Tage wieder auf seinem Piedestale stand, höher, herrlicher als zuvor, und mit großen stillen Augen auf sie herabblickend, leise sagte: eifre und wüte, wie du willst: ich bin dein Gott, und du sollst keine andern haben neben mir. Nein, Eleonore, kein Gott! dafür habe ich mich selbst nie gehalten, und ich würde dich auslachen, wenn du mich einen Augenblick für etwas andres hieltest als für einen Menschen, der dich liebt. Hörst du, Eleonore: dich liebt von ganzer, ganzer Seele!
Und dann wandelte sie mit diesem lieben, geliebten Menschen am Strande, oder saß mit ihm in den Dünen; und sie plauderten über Gott und Welt; und sie wußte nicht, ob sie sprach oder er sprach, denn keines sagte ein Wort, das der andre nicht auch hätte sagen können, in der nächsten Sekunde gesagt haben würde. Und ihr war dabei so leicht ums Herz, wie noch nie im Leben. Und wenn sie in seine Augen blickte, in denen es so wundersam glänzte und das Lächeln um seine Lippen sah, wie eines Kindes Lächeln – da wußte sie, daß sein Herz dasselbe namenlose Glück erfüllte, und das Schicksal, war es ihnen gnädig gesinnt, sie beide in diesem Ueberschwang der Seligkeit auf der Stelle sterben lassen müsse.
Nein, nein! und tausendmal nein! Das konnte kein gaukelnder Traum gewesen sein. War etwas wirklich, so war es dies, und alles andre wallender Nebeldunst, der sich vor der Sonne auftürmte und ihren Strahlenglanz zu verhüllen drohte. Wie an jenem Abend am Strande, als er sich dehnte höher und höher und die Sonne zu einem bleichen Gespenst machte, und sie mit schaudernder, ahnungsbanger Lust auf das grause Schauspiel blickten, und dann der Sturm losbrach und sie in seine Arme drückte, und sie sein war, und er ihr! Ja, ihr! Was fragt die Liebe eines Mannes nach der besten Frau! Sie fragt nach der, die er lieben kann. Und war jene wirklich so musterhaft, und er konnte sie nicht lieben, so mußte er mit seiner feinen, empfindsamen Seele jetzt viel unglücklicher sein als sie. Sie brauchte tagsüber keinen Blick zu fürchten, der bang und argwöhnisch in ihr Gesicht spähte; sie durfte die Nächte lang ungestört weinen.
Was thun in dieser Herzensnot? Dasselbe, was sie noch immer in trüben Stunden ihres Lebens gethan, und was ihr auch wohl diese allertrübsten ein wenig erhellen, etwas weniger qualvoll machen würde: arbeiten.
Aber an die Arbeit, die undankbare, entwürdigende, der sie jetzt vier lange Jahre geopfert hatte: ein junges Mädchen zu erziehen, das nicht erzogen sein wollte, oder vornehmen, verwöhnten Damen Gesellschaft zu leisten, wenn gerade keine, von der sie sich mehr Amusement versprachen, da war, dachte sie vorderhand nicht. Die mochte wieder an die Reihe kommen, wenn es sich herausstellte, daß ihre Kraft sich nach andern Seiten als zu schwach erwies.
Bereits in England hatte sie begonnen, die Eindrücke, welche sie auf ihren Reisen, in der Gesellschaft und von der Gesellschaft empfangen zu skizzieren. Flüchtige Aufzeichnungen nur, aber die den Vorzug der Unmittelbarkeit hatten und, mit Hilfe ihres Gedächtnisses, das sie für diese Dinge nie im Stich ließ, weiter ausgeführt, auch wohl andern Vergnügen bereiten konnten. Sie machte den Versuch mit einigen Sachen, die sich speziell auf das Leben und Treiben der Aristokratie bezogen, wenn sie sich zur Sommer- und Herbstzeit auf ihren prächtigen Landsitzen und Schlössern zusammenfindet, und las ihre Arbeit an ein paar aufeinander folgenden Abenden im häuslichen Kreise nach dem Thee vor. Die Geheimrätin, die sich nicht ohne allen Grund auf ihre litterarische Bildung viel zu gute that, fand alles inhaltlich hoch interessant und auch sprachlich ganz vortrefflich bis auf einige allzufreie Ausdrücke und moderne Wendungen, »gegen die ihr altmodisches Herz Appell einlegte«. Tilchen war ganz kritiklose Bewunderung. Der Japaner würde alles verstanden haben, wenn seine Augen, die er in keinem Moment von der Vorleserin wandte, Ohren gewesen wären. Der Chilene erklärte jedesmal nach dem Schluß, daß er seine Bewunderung nur auf spanisch ausdrücken könnte, wobei es dahingestellt blieb, ob er die Arbeit oder die Verfasserin meine. Aber den Zuhörer, den sie sich wünschte, hatte Eleonore nur an dem Russen. Er und er allein übte wirkliche Kritik. Er lobte oder tadelte das Sujet; fand hier eine Ausführung zu breit, dort eine Andeutung zu knapp; wollte hier die Satire schärfer, dort den Humor übermütiger haben; meinte, daß sich dem Dinge zum großen Vorteil des Ganzen noch diese oder jene Seite hätte abgewinnen lassen.
Wenn er dies und andres mit dem größten Freimut vorbrachte, hütete er sich doch wohl, es in Gegenwart der andern zu thun, sondern benutzte dazu die Gelegenheit, wo er mit Eleonore allein war.
Denn, sehen Sie, liebes Fräulein, sagte er, an Platitüden, wie die Gesellschaft sie gnädig verstattet, kann Ihnen nichts gelegen sein. Ueberdies versorgt sie das altmodische Herz reichlich mit dieser Ware. Was Sie brauchen, ist eines ehrlichen Freundes Stimme, und Sie sind, Gott sei Dank! von der seltenen Art, die ein Ohr für diese Stimme hat. Ich gebe mich nicht für einen Kenner in litterarischen Dingen aus; ich verstehe nichts von Regeln; ich pfeife auf die Regeln. Ich urteile schlankweg nach meiner Empfindung; aber gerade das thut das Publikum auch, für das Sie doch schreiben. Und der Dümmste von diesem Publikum bin ich vielleicht nicht. Oder meinen Sie?
Ich halte Sie für einen ungewöhnlich gescheiten Menschen, erwiderte Eleonore lachend.
Sehen Sie, das freut mich, freut mich ungemein, sagte Borykine, und dabei blitzten seine Augen unter den buschigen brauen. Das freut mich mehr als das Kompliment, das mir heute Virchow mit sauersüßer Miene über ein anatomisches Präparat machte. Und nun habe ich den Mut, Sie zu bitten, mir dieses Heft für ein paar Tage anzuvertrauen.
Zu welchem Zweck?
Ja, liebes Fräulein, wir müssen doch weiter kommen, können doch nicht ewig nur für ein altmodisches Herz und ein paar chilenische oder japanische neumodischste Stutzer schreiben. Wir müssen ein wirkliches Publikum haben. Zu diesem Zweck werde ich mir erlauben, erst einmal eine russische Uebersetzung von Ihren Skizzen zu machen, die ich in einem Petersburger Blatte, mit dem ich in Verbindung stehe, anzubringen sicher bin. Und gestern abend habe ich im Kaffee Bauer dem Redakteur eines hiesigen Journals solche Wunderdinge von unsern English-High-Life-Notes erzählt, daß der Mann einen Cherry Cobbler über den andern trank und erklärte, vor Erwartung nicht schlafen zu können, bis er die teuren Blätter in Händen halte. Nun, billig soll er sie nicht haben. Dafür stehe ich Ihnen.
Wie soll ich Ihnen danken?
Ich begehre keinen Dank. Wir Russen sind gewohnt, das und noch mehr für einen Kameraden zu thun. Und nicht wahr, ich, der ich, wenn ich meine geliebte Schwester Wera ausnehme, in der weiten Gotteswelt allein stehe, wie ein Wereschaginscher verlorener Posten auf einem unabsehbaren Schneefelde, und Sie, die Sie auch keine Karawane von Verwandten und Freunden hinter sich zu haben scheinen – wir sollten oder könnten doch so etwas wie gute Kameraden sein.
Eleonore lächelte, innerlich tief erschrocken.
Kameraden! So hatten Ulrich und sie einander genannt: sie gedachte des Ortes und der Stunde, wo sie das Wort zum erstenmal von seinen Lippen gehört, und es war ihr ein liebes, ein heiliges geblieben. Jetzt aus dem Munde des fremden Mannes hatte es ihr wie eine Profanation geklungen, und ein erstes Gefühl, das vor ihm gewarnt, war mit verstärkter Kraft zurückgekehrt. Sie schalt sich deswegen. Hatte er kein Anrecht auf den Namen, er, der seine gute, kameradschaftliche Gesinnung gegen sie nun schon auf so mancherlei Weise an den Tag gelegt, und jetzt die Nächte durchwachen würde, ihr einen großen, wichtigen Dienst zu leisten? Ist ein Freund nicht immer auch ein Kamerad? Durfte sie ihm den Namen eines Freundes verweigern, wenn das Wort eines alten Schriftstellers, das sie kannte und gern citierte, zu Recht bestand: dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen, sei erst wahre Freundschaft?
Und in dem Hauptpunkte stimmte sie jedenfalls mit Borykine überein, daß die Vernunft zu regieren habe und alles, was der Vernunft widerspreche, bekämpft werden müsse. Wenn dann aber ihre Ansichten, sobald es galt, die Theorie auf die Praxis zu übertragen, oft weit genug auseinander gingen, so schob sie es auf die besonderen Verhältnisse, mit denen der Russe zu rechnen hatte, und die seinen geistigen Horizont beherrschten. Borykine gab das zu.
Wir Russen müssen uns nun einmal in Extremen bewegen, sagte er; die Natur unsres Landes, der Charakter unsrer Rasse, unsre politischen und socialen Verhältnisse zwingen uns dazu. Ihr schreckt vor dem Namen und der Thatsache des Nihilismus zurück, und ich sage Ihnen: jeder Russe, der einen Kopf zum Denken und ein Herz zu fühlen hat, muß Nihilist sein. Ich bin es; der Freund, an den ich meine Uebersetzung geschickt habe, ist es; meine Schwester in Zürich ist es. Ich kenne in meinem ganzen großen Umgangskreise keinen, der es nicht wäre, wenn vielleicht auch nur der Gesinnung nach, ohne den Mut, der es zu Thaten bringt. Aber wäre es denn anders möglich bei unsern Zuständen, die so schlimm sind, daß es schlimmer gar nicht werden kann, und selbst die kopfloseste Revolution eine Besserung herbeiführen muß? Sie sehen, ich plädiere für Ausnahmezustände, unter denen wir leben und leiden, denken, fühlen und handeln. Aber wenn einer mir hier im Auslande mit einem pharisäischen Gott sei Dank, daß wir nicht sind, wie ihr! kommt, so sage ich zu ihm: lieber Freund, es mag schon besser bei euch sein; indessen so sehr viel ist es nicht. Ihr habt kein Sibirien, freilich; aber ich vermute, daß eure Junker den Umstand sehr beklagen; ihr seufzt und stöhnt unter einer unerträglichen Militärlast, gerade wie wir; eure Proletarier schreien nach Brot gerade so laut und gierig, wie bei uns; und diesen und tausend andern staatlichen und socialen Uebeln gegenüber bringt es euer gerühmter Konstitutionalismus auch nicht weiter, als daß er das Joch, das er nicht abschütteln kann, mit Redeblumen bekränzt. Und eure sittlichen Zustände? eure Ehe zum Beispiel? Nun, wenn man's hört, so möcht's leidlich scheinen – sagt ja wohl das gute Gretchen im Faust. Wenn man's so hört, so ist sie auch dreimal heilig und das Fundament der Familie, die wieder das Fundament des Staates ist, und so weiter. Aber bei Licht besehen? Unter hundert – was sage ich – unter tausend kaum eine, die für die Betreffenden eine Quelle des Glückes und der Zufriedenheit, wie sie es doch sein sollte, und nicht vielmehr eine Last wäre, die die Schultern und die Herzen wund drückt; ein fortgesetzter offener oder – in den sogenannten gesitteten Ständen – heimlicher und deshalb noch viel erbitterter, grausamerer Krieg, in welchem nur scheinbar Pardon gegeben wird, in Wahrheit jeder jeden Vorteil, den er über den andern davonträgt, nach besten Kräften ausbeutet. Ich kenne keine Ehe, von der ich nicht beschwören möchte, daß der Mann fünf Jahre später ganz sicher nicht diese Frau genommen haben würde. Als er heiratete, war er überhaupt noch gar kein Mann im eigentlichen Sinne, sondern sollte erst einer werden, sollte erst lernen, fest in seinen Schuhen zu stehen, sich seiner vollen Kraft bewußt werden, sich die wahren Ziele seines Ehrgeizes stecken. Nun ist er mit seinen größeren Zwecken gewachsen – das ist ja wohl von Schiller? – und sie ist stehen geblieben, in der ewigen Sorge um Hauswesen und Kinder vermutlich noch kleiner geworden. Sie kann nichts dafür, er aber auch nicht, wenn er sich in dieser Lage unglücklich fühlt, sie als eine Zwangslage zu betrachten anfängt, endlich ein für allemal so betrachtet, die sich auf jede Weise zu erleichtern, ja, der, wenn möglich, zu entfliehen sein Recht und seine Pflicht ist, soll er das leisten, was er nach Maßgabe seiner Kräfte leisten könnte und leisten würde, hätte er die Ellbogen frei. Manchmal liegt die Sache auch umgekehrt, und die Frau ist es, welche die Chrysalidenhülle gesprengt hat und der Flügel gewachsen sind, während der Mann in seinem Raupendasein weiter vegetiert. Und eine solche Institution, in welcher auf hunderttausend Nieten ein Treffer kommt, der auch wieder nur auf Rechnung des Zufalls zu schreiben ist, soll heilig? und sie, die da sagen: so geht es nicht länger, laßt uns an Stelle von etwas, das seine Unfähigkeit, die Menschen zu beglücken, durch die Jahrtausende bewiesen hat, endlich einmal eine Einrichtung treffen, die den Ansprüchen vernunftbegabter Wesen besser entspricht – sie, die so sprechen, sollen des höllischen Feuers schuldig sein? In Ihren Augen liebes Fräulein, sicher nicht. Sie sind keine Nihilistin, weil Sie keine Russin sind; aber die freien Geister aller Nationen sind wie die Wasser der Erde, die einander suchen, und, haben sie sich gefunden, jauchzend ineinander rinnen, und weiß keines mehr, ob es von Osten oder Westen kam. Doch Sie lassen mich sprechen und sprechen und erwidern kein Wort, weder der Zustimmung noch der Mißbilligung.
Ich könnte Ihnen nur mit einem Schillerschen Worte erwidern, sagte Eleonore, »Leicht bei einander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.« Vielleicht, weil ich mich schon ein paarmal im Leben recht hart an den Sachen gestoßen habe, kommt es, daß ich freilich das Denken um alles nicht missen möchte, aber von seinen praktischen Resultaten nicht mehr so viel erwarte.
Der Russe lächelte spöttisch.
Das ist es, sagte er: der Unterschied, der zwischen dem deutschen und dem russischen Pessimismus klafft. Erbärmlich findet der eine die bestehende Welt wie der andre; aber der deutsche begnügt sich mit dieser Einsicht, der russische nicht. Der russische wird zum Nihilismus, das heißt zum Pessimismus der That, und fragt nicht danach, wie hart sich die Sachen im Raume stoßen, oder doch nur, um den harten Stoß mit einem noch härteren zu erwidern. Und glauben sie mir, liebes Fräulein, wären Sie in Rußland geboren, Sie, gerade Sie würden eine Nihilistin par excellence geworden sein.