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Und wahrlich, sehr nach Teufelei schmeckte das Mittel, dessen sich der grimme Marschall bediente, die Ausführung seiner unsinnigen Forderung zu erzwingen.
Acht Tage nach dem Erlaß des Dekrets verbreitete sich in der Stadt mit Blitzesschnelle das Gerücht, daß man gestern abend vierzig der angesehensten Kaufleute nach dem Waisenhause geladen und versucht habe, sie durch schreckliche Drohungen zur Übernahme der Bürgschaft für die Zahlung der Kontribution zu bestimmen. Als sie sich dessen, wie vorauszusehen, geweigert, seien sie stehenden Fußes nach dem Hafen eskortiert, samt und sonders in ein offenes Fahrzeug geworfen und nach Harburg in strengen Gewahrsam abgeführt worden. Dort sollten sie auf eigene Kosten so lange bleiben, bis sie ihren Sinn geändert, oder sich andere gefunden hätten, die für sie eintreten wollten.
Das Gerücht, das alsbald von den verschiedensten Seiten Bestätigung fand, gelangte auch zu Minna mit dem für sie unglaublichen Zusatz, daß ihr Vater einer von den vierzig sei. Wie hatte ihr Vater der fürchterlichen Auszeichnung gewürdigt werden können, er, der niemals zu den wirklich großen Kaufherren gehört hatte und schon seit dem vorigen Frühjahre zu den in ihrem Vermögen Zurückgekommenen, ja zuletzt zu den völlig Verarmten gezählt wurde? Dennoch hatte das Gerücht nicht gelogen, wie ihr von Doktor Boutin versichert wurde, der alsbald zu ihr geeilt war. Er wußte es von einem Beamten der Präfektur, der ihm eine Liste der sämtlichen Verhafteten gezeigt hatte. Der Beamte – selbst ein Franzose, in dem Doktor, als dem Abkömmling einer alten Refugiésfamilie, einen halben Landsmann sehend und verehrend, überdies ihn für erwiesene ärztliche Dienste tief verpflichtet – hatte den Fall sehr ernst genommen. Der Marschall selbst zweifle an der Möglichkeit der Eintreibung der ungeheueren Summe; gerade deshalb werde er vor keinem Mittel zurückschrecken, wenn nicht zu dem Ganzen, so doch zu möglichst viel zu gelangen. Hoffentlich habe der Herr Doktor keinen Verwandten unter den Inhaftierten, deren Schicksal voraussichtlich langjährige Gefangenschaft, vermutlich in einem Staatsgefängnisse in Frankreich selbst, sein werde.
Minnas Entschluß war sofort gefaßt: sie wollte sich in Person zu dem Allgewaltigen begeben und ihm beweisen, daß ihr Vater keinesfalls zu denen gehöre, die er im Sinne hatte, als er sein grausames Dekret erließ. Der Doktor schüttelte den Kopf. Es wird pour le roi de Prusse sein, sagte er; aber tuen Sie es immerhin, da Sie es nicht lassen würden, wenn ich dawider redete, und es auch, wie Sie nun einmal sind, nicht lassen könnten.
Das Haus, in dem der Marschall residierte, war das Eigentum eines der reichsten Kaufherren der Stadt gewesen, mit dessen Familie die Warburgs in früheren besseren Jahren viel verkehrt hatten. Jetzt hatte man es einfach für den Staatsdienst requiriert, und Minna fand die wohlbekannten Räume angefüllt mit einem dichten Schwarm von Menschen aus allen Ständen: Offizieren, die geschäftig, säbelrassclnd kamen und gingen; Beamten, die wichtigtuerisch miteinander flüsterten; einer kleinen Schar Geistlicher sogar in vollem Ornat, die der Marschall vermutlich hierher befohlen, ihnen den Text zu lesen, welchen sie ein für allemal von ihren Kanzeln zur höheren Ehre Seiner Majestät zu verkünden hätten; Bürgern, Handwerkern, die verdrossen und bekümmert dreinschauten; Leuten aus den Vorstädten, deren Häuser und Höfe den neuen Glacis zum Opfer gefallen waren oder fallen sollten, und die vergeblich der zugesicherten Entschädigung harrten, oder die hereindrohende Gefahr durch Bitten noch abzuwenden hofften. Es hatte jeder mit seinen eigenen Angelegenheiten so viel zu tun, daß selbst die ungewöhnliche Erscheinung einer Dame nicht auffiel, und Minna wäre in dem Gedränge rat- und hilflos gewesen, hätte jener gutmütige Präfekturbeamte sich ihrer nicht angenommen. Sie der Menge entziehend, führte er sie über Korridore an eine Tür, hinter der er verschwand, um nach einigen Minuten zurückzukehren und ihr zuzuflüstern, daß der Marschall sie empfangen wolle. Im nächsten Augenblicke stand sie vor dem Manne, der das Schicksal ihres Vaters wie ganz Hamburgs in der Hand hielt.
Er saß bei ihrem Eintritt an einem großen Schreibtische, der mit Karten, Akten, Papieren aller Art bedeckt war, in voller Uniform, einen Plan von Hamburg, wie es Minna schien, eifrig prüfend und noch eine halbe Minute, nachdem er ihre Gegenwart offenbar bemerkt hatte, in dieser Beschäftigung fortfahrend. Dann, das große Blatt langsam sinken lassend, wandte er ihr sein Gesicht zu, von dem in Hamburg bereits die Rede ging, daß niemand ohne Furcht hineinblicken könne. Mochte es nun Verwunderung sein, daß der Eindruck, den er zu machen gewohnt war, diesmal ausblieb, oder Staunen über die reizvoll eigentümliche Schönheit der Dame, der er sich so plötzlich gegenübersah, – die Falten auf der hohen kahlen Stirn glätteten sich, die finsteren Brauen taten sich auseinander, und etwas wie ein Lächeln zuckte um die streng gefalteten Lippen, indem er sich mit einer leichten Verbeugung halb aus seinem Sessel erhob, ihr zugleich mit einer Handbewegung andeutend, daß sie auf einem zweiten Sessel, der einige Schritte vom Tische entfernt stand, Platz nehmen möge.
Minna gehorchte; der Marschall, der die schwarzen brennenden Augen fortwährend auf sie gerichtet hielt, schwieg eine Weile und sagte dann plötzlich:
Sie sind keine Deutsche, Madame.
Minna war von frühester Jugend daran gewöhnt, die Echtheit ihrer Nationalität angezweifelt zu sehen, und es hatte Zeiten gegeben, in denen sie dergleichen als ein Kompliment genommen. Sie fühlte auch jetzt sofort, daß das Zugeständnis ihrer Abstammung von einer belgischen Mutter ihr in den Augen des Mannes zu wesentlichem Vorteile gereichen würde; aber ihr patriotischer Stolz sträubte sich dagegen als gegen eine Unwürdigkeit. So sagte sie:
Ich bin eine Deutsche, überdies eine Hamburgerin.
Sie sagen das in einem Ton, Madame, als ob Sie sich dessen zu rühmen hätten, erwiderte der Marschall.
Jedenfalls habe ich nicht gelernt, es als eine Schmach zu betrachten, seitdem es ein Unglück geworden ist.
Das Gesicht des Gewaltigen verfinsterte sich.
Wie, Madame, sagte er. Sie nennen es ein Unglück, Angehörige des ruhmreichsten Staates der Welt und Bürgerin der französischen Nation geworden zu sein?
Der brutale Hochmut der Frage empörte Minna; aber sie bezwang sich und erwiderte ruhig:
Ich bitte, mir eine Antwort zu erlassen, die, wollte ich sie nach dem Sinne des Herrn Marschalls modeln, für mich demütigend, wollte ich sie aus meiner Empfindung heraus geben, für ihn verletzend sein würde.
Kommen wir also zur Sache! sagte der Marschall mit einer ungeduldigen Bewegung in seinem Sessel. Bitte noch einmal Ihren Namen, der mir bereits wieder entfallen ist – wer kann eure deutschen Namen behalten? – und Ihr Anliegen! Aber kurz, Madame, wenn's beliebt! Ein Blick in meine Vorzimmer dürfte Sie überzeugt haben, daß ich pressiert bin.
Minna hatte auf dem Wege zum Gouvernementshause Zeit gehabt, sich zu überlegen, was sie zu sagen und wie sie es zu sagen habe. So trug sie denn ihre Sache vor, klar und bündig, ohne ihre innere Erregung verbergen zu wollen, aber auch ohne sich durch sie fortreißen zu lassen, mit angeborener Beredsamkeit, die in der französischen Sprache, die sie vollkommen beherrschte, ein williges Organ fand. Der finstere Mann vor ihr schaute, während sie sprach, ein paarmal sichtlich verwundert auf; dann blätterte er wieder eifrig in einem Aktenstücke, das er beim Beginn ihrer Rede zur Hand genommen hatte. Auch legte er es nicht fort, als sie jetzt schwieg, sondern las die Seite, die er zuletzt aufgeschlagen, aufmerksam zu Ende und sagte, immer noch mit dem Blicke in das Aktenstück:
Das ist Ihre Relation der Sache, Madame. Wir sind nicht gewohnt, wie man uns hier schuld gibt, unsere Maßregeln aufs Geratewohl und nach Willkür zu treffen, sondern lassen uns stets von den Geboten der Gerechtigkeit und Billigkeit leiten. Auch in Ihrem Falle, Madame, der denn freilich nach meinen sehr genauen Informationen ein wesentlich anderes Ansehen gewinnt. Sie sagen zum Beispiel, daß Ihr Vater ein armer Mann sei, aber Sie verschweigen, daß er zu seinem Schwiegersohne, Ihren Gemahl, einen der reichsten Männer der Stadt hat. Ich bitte, Madame; ich habe hier alles schwarz auf weiß: »Billow, Theodor, neunundzwanzig Jahre alt, Chef eines der größten Export- und Importgeschäfte, während der Revolution Mitglied des restituierten Senats und eines der tätigsten Mitglieder der Empörung. Am Tage des Einrückens unserer Truppen flüchtig geworden, vermutlich nach seinen Besitzungen in Holstein.« – Wie, Madame, wissen Sie, was das sagen will? Wissen Sie, daß ich große Lust – vielmehr, daß ich die Pflicht habe, Ihren Gemahl auf die Liste der Herren zu setzen, die von der Amnestie ausgenommen, für Feinde des Staates erklärt, auf immer aus dem französischen Reiche verbannt und deren Güter der Konfiskation verfallen sind?
Während der Marschall mit sich steigernder Schnelligkeit und Heftigkeit so sprach, hatte er die Seite, von der er jene Einzelheiten abgelesen hatte, umgeschlagen. Er begann die folgende schweigend zu lesen, während ihm dabei die starren Augen weiter aus dem Kopfe zu treten schienen und eine unheilverkündende, rote Wolke sich auf der Stirn zusammenzog. Plötzlich brach er in ein kurzes, heiseres Gelächter aus und rief, Minna fixierend, in höhnischem Tone:
Wahrlich, Madame, ich weiß nicht, was ich mehr bewundern soll: die Bescheidenheit, mit der Sie über Ihre eigenen patriotischen Verdienste in unserer Unterredung bis jetzt geschwiegen haben, oder den Mut, mit dem Bewußtsein dieser Verdienste sich freiwillig zu dieser Unterredung einzufinden. Ei, Madame, was gäben Sie wohl in diesem Augenblicke darum, die harmlose Bürgerin zu sein, als die man Sie mir zugeführt hat, anstatt der eminenten Dame, deren prononzierter Charakter auf diesem Blatte verzeichnet ist? Sie erlauben, daß ich Sie mit Ihnen selbst bekannt mache: »Minna Billow, Gattin des vorigen, geborene Warburg, wütende Patriotin – unterstrichen, Madame, unterstrichen! – deren Salons während der Revolution der Sammelplatz der fremden Offiziere und der einheimischen Empörer waren. Seit der Wiederherstellung der rechtmäßigen Regierung verstohlen ihr gewohntes revolutionäres Metier fortsetzend, indem sie aus ihrem Hause am alten Wandrahm ein Lazarett gemacht hat, um auf diese Weise indirekt unsere Regierung als eine zu kennzeichnen, die sich die Sorge für die Armen und Elenden nicht angelegen sein läßt.« – Sie lächeln, Madame? Sie wagen solchen Anschuldigungen gegenüber zu lächeln?
Verzeihung, Herr Marschall, erwiderte Minna, es war vielleicht unschicklich, den drolligen Übereifer zu bemerken, mit dem der geistreiche Verfasser dieser Charakteristik, indem er mich als möglichst gefährlich hinzustellen sucht, Ihrer Regierung wirklich recht häßliche Dinge nachsagt. Weshalb begnügt er sich nicht damit, die Tatsache meines Krankenhauses zu konstatieren? Weshalb muß er aussprechen, daß ich allerdings nicht auf einen solchen Einfall geraten wäre, hätte geraten können, funktionierten unsere öffentlichen barmherzigen Institute noch in der alten Weise? Eben weil sie es nicht mehr können, da ihnen die nötigen Mittel vorenthalten werden, die Wirren der Zeit das ständige Personal der Ärzte und Krankenwärter dezimiert haben, und die nun in ihren Wohnungen gelassenen und verlassenen armen Kranken hilflos verkommen – deshalb, Herr Marschall, habe ich ihnen mein leerstehendes Haus aufgetan und verpflege sie unter der Ägide eines alten befreundeten Arztes auf Kosten von Bürgern und Bürgerinnen dieser Stadt, die noch nicht alles verloren haben, und deren milde Gaben ich in den Stunden, die ich nicht an den Krankenbetten verbringe, von Haus zu Haus heischen gehe. Das ist die Wahrheit, Herr Marschall. Wenn sie für Ihr Regiment nicht schmeichelhaft klingt, Sie werden mir zugeben, meine Schuld ist es nicht. Es müßte denn eine Schuld sein, sich inmitten von Unmenschlichkeiten ein menschliches Herz im Busen bewahrt zu haben.
Sie reden sich um den Hals, Madame! schrie der Marschall, in wildem Zorne von seinem Sessel auffahrend.
Ich hätte fast Lust, Herr Marschall, es zu tun, erwiderte Minna, die sich nun ebenfalls erhoben hatte; in einer Zeit wie diese zu leben, bringt keine Ehre und ist kein Gewinn.
Sie haben viel Esprit, Madame; Talent zur Diplomatie haben Sie nicht. Sie kommen zu mir, die Freiheit Ihres Vaters zu erbetteln, und glauben dadurch zu Ihrem Ziele zu gelangen, daß Sie meinen Zorn reizen.
Ich glaube vielmehr, daß ein Mann, der das Leben von Tausenden in der Hand hat, über die leidenschaftlich-blinden Regungen subalterner Menschen erhaben sein müsse.
Sie sprechen wie eine Frau, Madame, die das große Leben nur vom Hörensagen kennt und nie die Last wichtiger Entschließungen zu tragen gehabt hat.
Ich danke Gott dafür, wenn ich sehe, wie schwer selbst für einen Mann, der ob seiner Geisteskraft und Charakterstärke von aller Welt gerühmt wird, diese Last zu tragen ist.
Rede und Widerrede waren Schlag auf Schlag gefolgt in diesem Streite, der von der einen Seite zuletzt mit wilder Leidenschaftlichkeit, von der anderen so anfangs wie bis zu Ende mit höchster Geistesgegenwart und unerschütterlichem Mute geführt wurde. Minna sagte sich, daß sie bei dem ersten Zeichen von Schwäche, das sie blicken ließ, verloren war, ja, wenn sie nur einen Moment dem tyrannischen Manne eine Antwort schuldig blieb. Und war es doch nicht nur der Tyrann, vor dem sich ihre freie Seele nicht beugen durfte: sie hatte die schwarzen Augen, die eitel Zorn zu funkeln schienen, ein paarmal mit einem ganz anderen Ausdrucke auf sich gerichtet gesehen, den sie noch vor wenigen Monden nicht verstanden haben würde, und der sie jetzt schaudern machte. So glaubte sie, doppelt auf ihrer Hut sein zu müssen, als der Marschall, plötzlich nahe an sie herantretend, mit völlig veränderter Miene und einem kurzen, rauhen Lachen sagte:
Bei Gott, Madame, Hamburg einzunehmen hat mich weniger Mühe gekostet, als Sie zur Räson zu bringen.
Ich muß es glauben, erwiderte Minna. Wären alle Hamburger meines Sinnes gewesen, Sie würden die Stadt nie betreten haben.
Die Augen des Gewaltigen glühten auf sie herab. Sie zuckte, den Blick erhebend, nicht mit den Wimpern; und er hatte die Bedeutung des Blickes voll verstanden. In einer Art von geschäftlich-gleichgültigem Tone, indem er zugleich, wie zufällig, einen Schritt von ihr weg tat, sagte er:
Ich muß mit Ihnen zu Ende kommen. Es ist möglich, daß in dieser Angelegenheit, soweit sie Ihren Herrn Vater betrifft, ein Mißgriff stattgefunden hat. Ist es der Fall gewesen, so habe ich Ihnen zu danken, Madame, daß Sie mir Veranlassung gaben, ein geschehenes Unrecht wieder gutmachen zu können. Ich werde sofort Befehl zu einer eingehenden Untersuchung des Falles erteilen und zwar, damit Sie an meinem guten Willen nicht zweifeln können – der Rest ist Sache der Untersuchung – in Ihrer Gegenwart.
Er war an den Tisch getreten und hatte eine Glocke in Bewegung gesetzt, worauf eine Ordonnanz aus dem Nebengemache trat.
Wer von den Herren ist in dem Bureau?
Augenblicklich nur der Major Lachelle.
Ich bitte ihn, sich sofort zu mir zu bemühen.
Die Ordonnanz verschwand wieder; Minna war, als sie den Namen des Offiziers hörte, erblaßt. Wenn es sich um denselben handelte, der damals in ihrem väterlichen Hause aus und ein gegangen war – dem Vater ein willkommener, ihr ein widerwärtiger Gast, und an den sich für sie die Erinnerung einer überaus peinlichen Szene knüpfte – so mußte ihre Sache, um die es so schon mißlich genug stand, vollends verloren sein. Da öffnete sich die Tür bereits abermals: es war der, dem zu begegnen sie fürchtete.
Auch der Offizier hatte sie auf den ersten Blick erkannt. Die Überraschung war so stark, daß er einen leisen Ausruf nicht zu unterdrücken vermochte.
Sie kennen die Dame? fragte der Marschall mit argwöhnischem Erstaunen.
Ich hatte vor der Kampagne die Ehre, in dem Hause des Vaters der Dame gelegentlich zu verkehren, erwiderte der Major, sich vor seinem Chef und vor Minna verbeugend. Ich muß freilich bezweifeln, daß sich Madame meiner noch erinnert.
Es war nicht ohne eine gewisse Verlegenheit herausgekommen, die dem scharfen Ohre des Marschalls so wenig entging, wie seinem Auge der herbe Ausdruck von Minnas Miene. Offenbar handelte es sich hier um ein Wiedersehen, das für die Dame zweifellos, für den Herrn sehr wahrscheinlich kein erfreuliches war.
Die Beobachtung schien den Gewalthaber in gute Laune zu versetzen. Noch ein paar Momente funkelten seine Augen über die beiden Gesichter; dann winkte er dem Major in eine entferntere Fensternische, wo er leise und angelegentlich mit ihm sprach. Nun trat er wieder zu Minna heran, während der andere im Hintergrunde blieb, und sagte in vornehmer Haltung, aber viel verbindlicherem Tone, als in dem er zuvor gesprochen:
Es scheint, Madame, daß man im Verkehr mit Ihnen auf Überraschungen gefaßt sein muß. Sie präsentieren sich mir als Bellona selbst, und da höre ich's aus kompetentem Munde, daß unsere schöne Feindin in dem gastfreien Hause ihres Vaters während der Zeit vor der Kampagne den Offizieren unserer Armee mit vollendeter Grazie die Honneurs zu machen wußte. Sie erlauben, Madame, daß ich mich an dies liebenswürdige Stadium Ihres Lebens halte und das folgende übersehe, in dem Sie einen anderen Charakter zur Schau tragen, der Ihnen vermutlich durch die inzwischen stattgefundenen Veränderungen Ihrer gesellschaftlichen Situation aufgezwungen wurde. Jedenfalls darf nicht Ihr Herr Vater unter dieser Metamorphose leiden. Ich habe Befehl gegeben, daß Herr Warburg sofort auf freien Fuß gesetzt werde. Der Herr Major Lachelle wird für die strikte Ausführung des Befehls Sorge tragen. Noch heute abend wird Ihr Herr Vater in seiner Wohnung sein. Empfehlen Sie mich ihm und denken Sie in Zukunft besser von der französischen Gerechtigkeit! Major Lachelle, wollen Sie die Güte haben, Madame hinaus zu begleiten.
Er machte Minna eine stattliche Verbeugung und wandte sich wieder zu dem Arbeitstische. Der Major geleitete Minna höflich zu der Tür, durch welche sie auch vorhin eingetreten war, dann die Korridore entlang bis an die Treppe. Hier blieb er stehen und sagte, zum erstenmal das Schweigen, daß er bis dahin beobachtet hatte, unterbrechend.
Verzeihung, Madame, wenn ich Sie einen Moment aufhalte! Ich wollte mich nur vergewissern, daß Ihnen unsere Wiederbegegnung nicht allzu peinlich gewesen ist. Wenigstens habe ich mich bemüht, sie zu Ihren Gunsten auszunutzen und dadurch zu beweisen, daß die Erinnerung einer gewissen Szene in dem Salon Ihres väterlichen Hauses keinen Stachel in meiner Seele zurückgelassen hat.
Ich bleibe Ihnen dafür zu Dank verpflichtet, murmelte Minna, indem sie die Treppe zu gewinnen suchte. Lachelle vertrat ihr den Weg.
Beweisen Sie es! sagte er hastig. Beweisen Sie es dadurch, daß Sie mir erlauben, Ihnen aufzuwarten und die freundschaftlichen Beziehungen wieder anzuknüpfen, die ehemals zwischen uns bestanden, und die ich durch die Unbesonnenheit eines Augenblicks kompromittiert habe.
Minna blickte dem Manne in das brutale, von schlimmen Leidenschaften verwüstete Gesicht.
Ich bitte mich zu entschuldigen, sagte sie, wenn ich Ihre Höflichkeit dankend ablehne. Nach dem, was vorgefallen ist, erscheint mir ein unbefangener Verkehr zwischen uns unmöglich. Sie haben mir soeben, glaube ich, einen großen Dienst geleistet. Daß dies in edler Uneigennützigkeit geschah, müßte ich bezweifeln, wenn Sie meine Entschuldigung nicht gelten lassen wollten.
Er hatte nun doch die Treppe freigeben müssen. Als sie mit einer leichten Neigung des Hauptes an ihm vorüberschritt, sah sie, noch einmal flüchtig zu ihm aufblickend, daß die häßlichen Züge von einem bösen Lachen greulich verzerrt waren.
Sie hatte sich den einflußreichen Mann zum schlimmen Feinde gemacht; aber hier war ihr eine Wahl nicht geblieben.