Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Besuch bei meinem alten Freunde Thompson; Rückkehr nach Europa. Erst in London finde ich Narzissa. Mein Vater wird so von ihr bezaubert, daß er beschließt, bei ihrem Bruder um sie anzuhalten
Sobald ich an Land war, erkundigte ich mich nach meinem großmütigen Thompson und vernahm, er lebe in blühendster Lage auf dem Gut, das ihm sein vor einigen Jahren verstorbener Schwiegervater hinterlassen hatte. Sofort setzte ich mich mit Bewilligung des Don Rodrigo, der mich seiner mit großer Achtung hatte erwähnen hören, zu Pferde und erreichte in wenigen Stunden den Ort seines Aufenthaltes.
Ich würde Thompsons zärtlicher Denkart nicht gerecht, wenn ich bloß sagte, er wäre erfreut gewesen, mich zu sehen; er empfand vielmehr alles, was die feurigste und uneigennützigste Freundschaft bei einem solchen Anlasse empfinden kann. Augenblicklich führte er mich zu seiner Gattin, einem sehr liebenswürdigen Frauenzimmer, die ihn bereits mit zwei artigen Kindern beschenkt hatte.
Da mein Freund meine jetzigen Umstände ganz und gar nicht kannte, bot er mir seine Börse und seinen Kredit mit edler Freigebigkeit an. Ich dankte ihm für seine großmütige Gesinnung und machte ihn mit meiner derzeitigen Lage bekannt. Er wünschte mir mit großer Freude dazu Glück.
Nachdem ich einen Tag und eine Nacht bei ihm zugebracht hatte, begleitete er mich nach Kingston zurück, um meinem Vater seine Aufwartung zu machen. Er lud ihn zu sich ein. Don Rodrigo erfüllte sein Verlangen, und wir wurden eine Woche hindurch von unserem Wirt äußerst artig behandelt. Mein Vater kehrte außerordentlich zufrieden von der Aufnahme durch diesen Mann und seine Frau zurück und schenkte ihr beim Abschiede zum Zeichen seiner Achtung einen diamantenen Ring von sehr großem Wert.
In den Gesprächen mit meinem Freunde erfuhr ich, daß unser ehemaliger Befehlshaber, der Kapitän Oakum, vor einigen Monaten gestorben sei und daß man gleich nach seinem Tode verschiedene Waren von Wert entdeckt habe, die er treuloserweise von einer Prise zurückbehalten. Doktor Mackshane hätte ihm darin beigestanden und säße deshalb jetzt im Gefängnis.
Von allen Freunden entblößt, lebte dieser Mann nun von den Almosen meines Thompson. Denn er hatte auf die kriechendste Art den um Mitleid angefleht, den er durch seine barbarische Behandlung zu dem schrecklichsten Entschlusse trieb, den Bord der ›Donner‹ auf die früher beschriebene Art zu verlassen. So strafbar jener Elende auch war, so gab ich meinem Freunde doch Beifall, daß er sich gegen ihn großmütig in seinem Unglück bezeigte. Dies Benehmen machte solchen Eindruck auf mich, daß ich dem Gefangenen zehn Pistolen auf eine so geheime Art zustellen ließ, daß er seinen Wohltäter nicht entdecken konnte.
Indes mein Vater und ich von den edlen Spaniern mit den verbindlichsten Gefälligkeiten überschüttet wurden, hatte mein Oheim an seine Reeder mit dem Paketboot geschrieben, das wenige Tage nach unserer Ankunft abgesegelt war. Er meldete ihnen, daß seine Fahrt bisher glücklich gewesen sei, und verlangte, daß sie das Schiff und dessen Ladung für die Rückreise möchten versichern lassen. Hernach hatte er sich mit der Befrachtung des Fahrzeuges die größte Mühe gegeben und durch Thompsons Beistand sie in weniger denn sechs Wochen glücklich zustande gebracht. Dieser äußerst gutherzige Mann verschaffte auch dem Don Rodrigo für den größten Teil seines Goldes und Silbers Wechsel auf London und sicherte ihn dadurch gegen die Unglücksfälle zur See und die Anfälle der Feinde. Ehe wir aussegelten, versah er uns auch noch mit einer so großen Menge von allerhand Lebensmitteln, daß nicht allein wir, sondern auf die ganze Schiffsmannschaft während der Reise davon im Überfluß hatten.
Als alles in Bereitschaft war, nahmen wir von unseren gütigen Wirten Abschied. Wir gingen zu Port Royal an Bord und traten den 1. Juni unsere Fahrt nach England an. Das Wetter war recht schön.
In einer Nacht, wo wir Kap Tiburon ganz nahe zu sein glaubten, warfen wir Anker, um den nächsten Morgen in der Bai Holz und Wasser einzunehmen. Binnen der Zeit taumelte ein Matrose, der mehr Rum geladen hatte, als er vertragen konnte, über Bord. Aller zu seiner Rettung angewandten Mühe ungeachtet ging er zugrunde und ward nicht mehr gesehen. Zwei Stunden nach diesem traurigen Vorfall hörte ich, als ich frische Luft auf dem Deck schöpfte, eine Stimme, die aus der See zu kommen schien, rufen: »Ho, Schiff, ahoi!« Worauf einer der Matrosen vom Achterdeck rief: »Ich will des Teufels sein, wenn das nicht Jack Marlinspike ist, der vorhin über Bord ging!«
Ich erstaunte über diese Begebenheit nicht wenig, sprang nebst dem Hochbootsmann und vier Leuten in das Boot, das am Schiff lag, und wir ruderten nach dem Ort zu, wo die Stimme herzukommen schien, die ihr Rufen fortsetzte. Wir sahen nun, daß etwas auf dem Wasser trieb. Als wir etwas dichter herangekommen waren, unterschieden wir ganz deutlich einen Menschen, der auf einem Hühnerkasten ritt. Da er uns sich nähern sah, rief er uns mit rauher Stimme zu: »Daß euch der Deibel hole! Warum habt ihr nicht geantwortet, als ich euch anrief?«
Kaum hörte unser Hochbootsmann, der ein wahrer Seemann war, diesen Gruß, so sagte er: »Bei Gott, Jungs, das ist keiner von unseren Leuten. Das ist der Deibel leibhaftig. Rudert zurück zum Schiff!« Die Leute gehorchten seinem Befehl, und wir waren schon einige Klafter zurückgerudert, als ich sie vermochte, wieder umzukehren und den armen Schiffbrüchigen einzunehmen. Als wir ihm das zweitemal nahe kamen und ihm unsere Absicht bekanntmachten, rief er: »Heda, von was für einem Schiff, Bruder?« Nachdem wir ihm hierüber Auskunft gegeben hatten, versetzte er: »Der Deibel soll euer Schiff holen! Ich dachte, es wäre meins. Wo fahrt ihr hin?« Wir befriedigten hierüber seine Neugier, und nun gab er zu, daß wir ihn an Bord nahmen.
Nunmehr erzählte er uns, nachdem er sich durch einen weidlichen Schluck Branntwein gestärkt hatte, er gehöre auf das Kriegsschiff ›Vesuv‹, das bei der Insel Hispaniola kreuze. Vor ungefähr vierundzwanzig Stunden sei er über Bord gefallen, und weil das Schiff gerade im vollen Segeln gewesen wäre, habe es nicht beilegen wollen. Man hätte ihm deshalb einen Hühnerkasten zugeworfen, daß er sich damit forthelfe. Er habe gute Hoffnung gehabt, den folgenden Morgen das Kap zu erreichen. Indessen sei es ihm recht lieb, sich bei uns an Bord zu befinden, weil er gar nicht zweifle, daß wir auf sein Schiff stoßen würden, und wenn er in der Bai angekommen wäre, wäre er vielleicht von den Franzosen gefangengenommen worden.
Mein Oheim und mein Vater ergötzten sich an der Erzählung von der Kaltblütigkeit dieses Menschen, den wir, als wir zwei Tage darauf die ›Vesuv‹ antrafen, seinem Verlangen gemäß zu ihr an Bord schickten.
Nachdem wir die Passage windwärts glücklich zurückgelegt hatten, wandten wir uns nach Norden. Nun erhob sich ein Westwind, und in acht Wochen fanden wir Grund; zwei Tage darauf erblickten wir Kap Lizard.
Unmöglich läßt sich die Freude beschreiben, die ich beim Anblick englischen Grund und Bodens empfand. Don Rodrigo blieb gleichfalls nicht ungerührt, und Strap vergoß Freudentränen. Das Schiffsvolk zog Nutzen aus unserer zufriedenen Stimmung; wir äußerten sehr reichlich unsere Freigebigkeit, und es beging einige Ausschweifungen harmloser Art.
Anfangs wollte Bowling in die Dünen einlaufen, allein der Wind sprang um, als wir bei der Insel Wight waren. Daher sah er sich genötigt, seinen Kurs zu ändern und sich in Spithead vor Anker zu legen. Den Matrosen war dies höchst unlieb, denn dreißig von ihnen wurden sogleich für ein Kriegsschiff gepreßt.
Mein Vater und ich begaben uns unmittelbar nach Portsmouth an Land und überließen es Strap und dem Kapitän, die weitere Tour zu Schiff zu machen und für unsere Sachen zu sorgen.
Ich äußerte nun so viele Ungeduld, meine reizende Narzissa zu sehen, daß mein Vater mir erlaubte, mich zu Pferde nach dem Gut ihres Bruders zu verfügen, indes er eine Postkutsche nach London nahm, wo er mich an einem Ort erwarten wollte, den ich ihm bestimmte.
Im feurigen Ungestüm meiner Leidenschaft nahm ich noch denselben Abend Postpferde. Mit der Morgendämmerung hatte ich ein Wirtshaus erreicht, das etwa drei Meilen von der Wohnung des Squires lag. Dort blieb ich zum Abend. Ich linderte die Qualen meiner brennenden Ungeduld durch die entzückende Hoffnung, nach einer Abwesenheit von achtzehn Monaten das göttliche Geschöpf wiederzusehen, für das meine Liebe, statt abzunehmen, vielmehr den höchsten Gipfel erreicht hatte. Ungeachtet aller meiner günstigen Aussichten drängte sich mir dann und wann die Besorgnis auf, sie möchte den Nötigungen ihres Bruders unterlegen sein und sich in den Armen eines glücklichen Nebenbuhlers befinden. Sogar der Gedanke von ihrem Tode peinigte mich und machte mich halb wahnsinnig.
Als ich im Finstern an das Haus der Mistreß Sagely kam, hatte ich eine geraume Zeit nicht das Herz, anzupochen, denn ich erwartete, durch die traurigsten Nachrichten erschüttert zu werden. Endlich faßte ich soviel Mut und klopfte an. Kaum hatte die gute alte Frau sich durch meine Stimme überzeugt, daß ich es war, als sie die Tür öffnete, mich mit einer recht herzlichen Umarmung empfing und Tränen vergoß.
»Um Himmels willen, teure Mutter«, rief ich, »was macht Narzissa? Ist sie auch noch immer wie sonst gegen mich gesinnt?« – »Sie ist so schön, so gesund und so sehr die Ihrige wie jemals«, versetzte die Matrone. Entzückt über diese Versicherung verlangte ich zu wissen, ob ich meine Gebieterin nicht noch diese Nacht sprechen könnte. Allein die weise Alte erteilte mir folgenden Bericht:
»Sie ist in London, und seit Ihrer Abreise haben sich in des Squires Hause ungemein viele Veränderungen zugetragen. Schon seit einem Jahr hat er Melinde geheiratet und diese seine Aufmerksamkeit ganz von seiner liebenswürdigen Schwester abzulenken gewußt. Er bekümmert sich fast gar nicht mehr um sie, weil er sich auf die Klausel im Testament verläßt, durch die sie ihr Vermögen verliert, wenn sie ohne seine Einwilligung heiratet. Die gleichgültige Begegnung ihrer Schwägerin hat Miß Narzissa auf den Entschluß gebracht, ihre jetzige Freiheit zu nutzen und sich nach London zu begeben. Dort hält sie sich mit der Williams noch auf und erwartet Sie. Sie ist dort durch die Bewerbungen des Lords Quiverwit nicht wenig behelligt worden. Da er ihr Herz gefesselt merkte, hat er allerlei Ränke angewandt, Ihre Geliebte von Ihrem Tode zu überzeugen. Als er sah, daß alle seine Kunstgriffe nichts fruchteten, gab er alle Hoffnung auf, jemals die Gewogenheit dieses Frauenzimmers zu gewinnen, und heiratete vor einigen Wochen eine junge Dame, die sich aber wegen einer Familienverdrießlichkeit bereits wieder von ihm getrennt hat.«
Außer diesen interessanten Nachrichten sagte mir Mistreß Sagely noch, die Harmonie zwischen Melinde und dem Squire sei nicht allzu groß; die Menge von Verehrern, die noch nach der Heirat sie umschwärmt hätten, habe ihn so ärgerlich gemacht, daß er sie Hals über Kopf aufgepackt und ganz gegen ihren Willen aufs Land geschleppt hätte. Dort wäre ihre gegenseitige Erbitterung so hoch gestiegen, daß sie weder in Gesellschaft noch vor ihren Leuten den Anstand beobachteten, vielmehr sich durch die plumpesten Schmähungen beschimpften.
Um mir einen überzeugenden Beweis von Narzissas unveränderter Liebe zu geben, erfreute mich meine alte Freundin durch Mitteilung des letzten Briefes, den sie von der jungen Dame erhalten hatte. Diese erwähnte meiner darin auf eine so ehrenvolle, zärtliche und teilnehmende Art, daß die feurigste Ungeduld meine ganze Seele erfüllte. Ich beschloß daher, noch in derselben Nacht wegzureiten, um desto eher imstande zu sein, meine Geliebte glücklich zu machen.
Da die Matrone mein Ungestüm wahrnahm, so bat sie, die für Narzissa soviel Mutterliebe hegte wie für mich, sich die Erlaubnis aus, mich an die bei meiner Abreise geäußerten Gesinnungen erinnern zu dürfen. »Sie haben versichert, lieber Sohn«, fuhr sie fort, »aus keiner selbstischen Rücksicht die liebenswürdige junge Dame um ihr Glück zu bringen; und wenn sie ohne die Erlaubnis des Bruders heiratet, so hat sie weiter keine Stütze als Sie.«
Ich dankte der biederen Frau für ihre freundschaftliche Besorgtheit und beschrieb ihr meine blühende Lage so kurz wie möglich. Das liebreiche Weib geriet darüber in unendliche Verwunderung und Freude. »Nun habe ich«, fuhr ich fort, »eine gute Gelegenheit, mich für die vielen Verbindlichkeiten, die Sie mir auferlegt haben, dankbar zu erweisen. Ich will mich bemühen, Ihnen Ihr Alter zufriedener und bequemer zu gestalten. Kommen Sie zu Narzissa und mir, und leben Sie mit uns.«
Diese Worte rührten die ehrwürdige Sagely so sehr, daß Tränen über ihre gefurchten Wangen rannen. Sie dankte dem Himmel, daß ich das, was sie gleich nach ihrer Bekanntschaft mir prophezeit, nicht habe zuschanden gemacht. Sodann ließ sie sich über meine Großmut, wie sie es nannte, mit feierlicher Beredsamkeit aus. Allein meinen Vorschlag, nach London zu ziehen, lehnte sie ernstlich ab. »Ich hänge zu sehr an meiner teuern, melancholischen Hütte«, sagte sie, »wo ich meinen einsamen Witwenstand bisher so friedlich zugebracht habe.« Da ich sie in dem Punkt unbeweglich fand, drang ich ihr dreißig Guineen auf und nahm mit dem festen Vorsatze von ihr Abschied, ihr jährlich eine solche Summe zu schicken, damit sie Schwächlichkeiten des Alters etwas leichter ertragen könnte.
Ich ritt die ganze Nacht durch und war am Morgen in Canterbury. Dort mußte ich mich aufhalten, um frische Pferde zu bekommen. Während ich nach einem Gasthof ging, erblickte ich auf der anderen Seite der Straße einen Apothekerladen und über dessen Tür den Namen ›Morgan‹. Diese Entdeckung machte mich stutzig. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß mein ehemaliger Amts- und Tischgenosse sich an diesem Ort niedergelassen habe. Bei näherer Erkundigung fand ich meine Vermutung richtig und vernahm, er hätte vor kurzem eine Witwe aus dieser Stadt geheiratet und dreitausend Pfund mit ihr bekommen.
Höchst erfreut über diese Nachricht, ging ich in den erwähnten Laden, sobald er geöffnet war. Ich fand meinen Freund hinter dem Kontortisch, wo er mit der Verfertigung eines Klistiers beschäftigt war. Beim Eintritt rief ich ihm ein »Ihr Diener, Mister Morgan!« zu. »Gehorsamster Diener, lieber Herr«, erwiderte er und fuhr gänzlich ungerührt fort, seine Zutaten im Mörser zu reiben.
»Wie, lieber Morgan«, hub ich nunmehr an, »haben Sie Ihren alten Schiffs- und Tischkameraden ganz vergessen?« Bei diesen Worten sah er mich wieder an, und nach einigem Anstarren rief er: »So wahr mir Gott helfe – nein, das kann ja nicht sein – und doch, bei meinem Seelenheil, ich glaube, das ist mein lieber Freund Mister Random!« Kaum war er überzeugt, daß ich es sei, so warf er die Reibekeule weg, stieß den Mörser um, sprang über den Tisch und kehrte dabei den ganzen Inhalt des umgestürzten Gefäßes mit den Kleidern weg. Er fiel mir um den Hals und küßte mich recht herzlich. Zugleich bemalte er mich gar sauber mit dem Terpentin und dem Eidotter, die er bei meiner Hereinkunft untereinandergemengt.
Nachdem er auf die Art seine Freude an den Tag gelegt hatte, erzählte er mir, bei seiner Zurückkunft aus Amerika sei er selbst verwitwet gewesen; darauf wäre er durch vieles Rennen und Laufen Oberwundarzt auf einem Kriegsschiff geworden. Diesen Posten hätte er einige Jahre bekleidet und habe zuletzt eben eine Apothekerswitwe geheiratet. Er lebe ganz ruhig und bequem und habe leidlich gute Nahrung.
Nunmehr bezeigte er großes Verlangen, meine Abenteuer zu wissen, allein ich versicherte ihm, ich hätte dazu keine Zeit. Daher sagte ich ihm nur mit ganz wenigem, ich befände mich gegenwärtig in recht guten Umständen und wolle ihn besuchen, wenn ich weniger Eile hätte. Er bestand aber darauf, daß ich mit ihm frühstücken müßte, und führte mich zu seiner Frau. Sie schien mir eine artige und vernünftige Frau zu sein, doch war sie schon ziemlich betagt.
Während unsrer Unterredung wies er mir die Manschettenknöpfe, die er bei unsrer Trennung in Westindien von mir eingetauscht hatte, und er war nicht wenig zufrieden, als er fand, daß ich die seinigen ebenso sorgfältig aufhöbe. Als ich ihm Mackshanes Lage berichtet hatte, schien er sich erst ungemein über dessen Trübsale zu freuen, allein nach einiger Besinnung sagte er: »Gut, er hat für seine Bosheit den rechten Lohn erhalten. Ich verzeihe ihm. Mag Gott ihm gleicherweise verzeihen.« Wegen Kapitän Oakums Seligkeit wurde der gute Morgan sehr bekümmert, da er sich jetzt bestimmt an einem Ort befände, wo es nur Heulen und Zähneklappern gäbe. Daß Thompson noch lebte, davon konnte ich ihn lange Zeit nicht überzeugen. Als ich es endlich soweit gebracht hatte, äußerte er über dessen Glück außerordentliches Vergnügen.
Nachdem wir die Gelübde steter Freundschaft erneuert hatten, nahm ich von dem biederen Waliser und seiner Frau Abschied und kam noch denselben Abend in London an.
Ich fand meinen Vater wohlauf und teilte ihm mit, was ich von Narzissa in Erfahrung gebracht hatte. Dieser gütige Mann billigte meine Absicht, sie zu heiraten, selbst in dem Fall, wenn sie durch ihres Bruders Hartnäckigkeit um ihr Vermögen käme. Sodann versprach er, mich in wenigen Tagen in eine Lage zu setzen, die hinreichend wäre, sie standesgemäß zu erhalten. Dabei äußerte er inniges Verlangen, das liebenswürdige Geschöpf zu sehen, das mich so sehr gefesselt habe.
Weil ich die vorige Nacht nicht geschlafen hatte und überdies von meiner Reise sehr müde war, so war ich genötigt, mich bald zur Ruhe zu begeben. Den folgenden Morgen um zehn Uhr nahm ich eine Sänfte und ließ mich nach der Wohnung meiner Geliebten tragen, welche mir die Mistreß Sagely beschrieben hatte. Ich verlangte die Williams zu sprechen. Nicht länger als eine Minute hatte ich im Besuchszimmer gewartet, als dies junge Frauenzimmer hereintrat. Kaum erblickte sie mich, so kreischte sie auf und eilte zurück. Allein ich trat zwischen sie und die Tür und schloß sie in meine Arme. Dadurch brachte ich sie wieder zu sich. »Gütiger Himmel! Mister Random«, rief sie, »sind Sie es wirklich? Meine Herrschaft wird darüber vor Freude ganz außer sich sein.«
Ich sagte ihr, weil ich besorgt gewesen sei, mein plötzliches Erscheinen möchte auf meine teure Narzissa eine üble Wirkung hervorbringen, so habe ich erst sie zu sprechen gewünscht, um mit ihr die Mittel zu verabreden, ihre Gebieterin stufenweise auf mein Hiersein vorzubereiten. Sie lobte diese Vorsicht und tat darauf aus Freundschaftsdrang einige Fragen in betreff meiner Reise an mich. Hierauf ging sie fort, um meinen Auftrag zu bestellen, und hinterließ mich voll glühender Ungeduld, den Gegenstand meiner innigsten Liebe zu sehen und zu umarmen.
Kurz darauf hörte ich jemanden hastig die Treppe herunterkommen und meinen Engel mit lebhafter Stimme ausrufen: »O Himmel! ist es möglich?« Wie sehr hob jede Kraft meiner Seele bei diesem willkommenen Schall sich empor, und wie hingerissen ward nicht mein Herz, als Narzissa in der vollen Blüte der reif gewordenen Schönheit mir in die Augen fiel! Grazie lag in ihren Schritten, Himmelswonne in ihrem Blick und Hoheit und Liebe in jeder Gebärde. Ihr, deren Seele der feurigsten Empfindungen fähig ist, deren zärtlicher Busen die herzergreifenden Abwechslungen der Liebe empfindet, die ihr achtzehn Monate lang durch eine Trennung von dem teueren Gegenstande eurer Hoffnung gefoltert wurdet und die ihr bei eurer Rückkehr das liebeschmelzende Mädchen so gütevoll und standhaft wiederfandet, wie euer Herz es nur wünschen konnte, laßt mir jetzt Gerechtigkeit widerfahren und stellt euch das unnennbare Entzücken vor, das sich unser bemächtigte, als wir einander in die Arme flogen!
Zu sprechen hatten wir jetzt keine Zeit. Verloren in stummer Ekstase, hielten wir einander einige Augenblicke umarmt. Das Schätzbarste auf der Welt fest zu umschließen, die Reize dieses Geschöpfes zu umfangen, dessen Augen sowie jeder Zug des Gesichts von tugendhafter Zärtlichkeit funkeln und glühen, und ihren zauberischen Busen sich von unverstelltem Entzücken heben zu sehen und zu wissen: Du Glücklicher bist davon Ursache! – O Himmel! was für eine Lage war dies! Ich komme in Versuchung, mein Papier in die Flammen zu werfen und meine Feder nie mehr wieder in die Hand zu nehmen, da der feurigste und glücklichste Ausdruck den damaligen Aufruhr in meinem Innern nur gar armselig darstellen kann.
»O anbetungswürdige Narzissa!« rief ich aus, »du Wunder an Schönheit, Liebe und Treue! Endlich habe ich dich in meinen Armen! Endlich darf ich dich die Meinige nennen! Kein mißgünstiger Bruder kann unsere Wonne mehr stören! Das Glück hat mich nun für alle meine Leiden belohnt und mich in den Stand gesetzt, den Wünschen meiner Liebe völlig ein Genüge zu tun.«
Das teure Geschöpf lächelte mit unaussprechlichem Reiz und sagte mit dem Blick bezaubernder Zärtlichkeit: »Und werden wir nie wieder getrennt werden?« – »Nie!« versetzte ich, »du erhabenstes Beispiel aller irdischen Vollkommenheiten! Nimmermehr soll dies geschehen, als bis der Tod uns trennt. Nie will ich dich wieder verlassen! Das schwöre ich dir bei diesem nektarsüßen Kuß, welcher tausendmal lieblicher duftet als der West, der sich an einem Orangenhaine gelabt hat.«
Wie meine ersten Entzückungen sich gelegt hatten, wurde meine Leidenschaft wieder tumultuarisch. Jetzt, da ich am Rande meiner Glückseligkeit schwebte, geriet ich ganz außer mir, und alle meine Tugend und Philosophie waren kaum hinlänglich, die heftigen Anwandlungen der Begierden zu unterdrücken.
Narzissa nahm diesen inneren Kampf wahr und suchte mit ihrer gewöhnlichen Klugheit meine Phantasie von dem Gegenstande abzulenken, der mich ganz erfüllt hatte. Daher erkundigte sie sich mit den lebhaftesten Äußerungen neugieriger Zärtlichkeit nach den mir auf der Reise begegneten Vorfällen. Ich tat ihrem Verlangen ein Genüge und erzählte meine Geschichte bis auf den jetzigen Augenblick.
Mein Mädchen war höchst erstaunt, daß ich meinen Vater wiedergefunden hatte, und Tränen traten in ihre lieblichen Augen. Sie verriet lautes Entzücken, da sie hörte, daß er meine Liebe billigte, und bezeigte starke Sehnsucht, ihn kennenzulernen. Zugleich wünschte sie sich und mir Glück zu diesem ganz unerwarteten, wichtigen Vorfall, den sie als eine unmittelbare Fügung der Vorsehung ansah.
Nachdem wir so einige Stunden unsere Seelen ineinander ergossen hatten, erhielt ich von ihr die Erlaubnis, mein Glück krönen zu dürfen, sobald mein Vater es für gut finden würde. Nunmehr band ich ihr mit eigener Hand ein reiches, mit Diamanten und Amethysten besetztes Halsband um, womit mich eine alte spanische Dame in Paraguay beschenkt hatte. Darauf nahm ich von ihr mit dem Versprechen Abschied, sie nachmittags mit Don Rodrigo zu besuchen.
Als ich nach Hause kam, erkundigte sich dieser zärtliche Vater sogleich nach dem Befinden meiner Gebieterin. Darauf stellte er mir eine Urkunde zu, die mich in den Besitz von fünfzehntausend Pfund setzte, den Gewinn nicht in Anschlag gebracht, den ich unterwegs durch meinen Handel gemacht hatte und der sich auch noch auf dreitausend Pfund belief.
Nach dem Essen begleitete ich meinen Vater in die Wohnung meiner Geliebten. Da sie sich zu diesem Besuch in Staat geworfen hatte, so stellte sie eine sehr blendende Figur vor. Ich nahm wahr, daß sie meinen Vater sehr frappierte. Auch glaube ich wirklich, daß unter der Sonne nie ein schöneres Wesen war. Er umarmte sie mit vieler Zärtlichkeit und sagte, er wäre stolz darauf, einen Sohn zu besitzen, der Mut genug hätte, sich um die Gewogenheit einer so vollkommenen Dame zu bewerben, und Vorzüge genug, diese zu erhalten.
Sie ward rot über dieses Kompliment, wandte ihre Augen voll des sanftesten Schmachtens nach mir und versetzte: »Ich würde der Aufmerksamkeit Ihres Herrn Sohnes ganz unwert gewesen sein, wenn ich gegen dessen außerordentliche Verdienste blind gewesen wäre.« Ich antwortete darauf nur durch eine tiefe Verbeugung. Mein Vater rief seufzend aus: »Geradeso war meine Charlotte!« Tränen stürzten ihm dabei ins Auge, und Narzissas zärtliches Herz offenbarte sich durch ein paar sympathische Zähren, die ich ohne das Beisein Don Rodrigos gern hinweggeküßt hätte.
Ohne mich ins Einzelne unserer Unterredung einzulassen, will ich nur bemerken, daß mein Vater vom Verstand meines Mädchens ebenso bezaubert war wie von ihrer Erscheinung. Sie ihrerseits fand an seinem Verstand und seinem feinen Betragen nicht weniger Geschmack. Don Rodrigo beschloß, an den Squire zu schreiben, ihm zu melden, daß er meine Leidenschaft für seine Schwester genehmige und mich so versorgen und ihr einen solchen Unterhalt und ein Wittum aussetzen würde, daß er diesen Antrag nicht mit Fug verwerfen könnte. Weigerte er sich aber dennoch, nun, so wollten wir unsere wechselseitigen Wünsche krönen, ohne uns an seinen Willen weiter zu kehren.
Wir brachten den Abend sehr vergnügt zu. Beim Abschied sagte mein Vater zu Narzissa: »Erlauben Sie mir, Miß, Sie bereits für meine Tochter anzusehen und als solche Sie zu ersuchen, diesen ersten Beweis meiner väterlichen Pflicht und Zuneigung anzunehmen.« Mit diesen Worten gab er ihr eine Banknote auf fünfhundert Pfund. Kaum sah sie, was es war, als sie mit einer tiefen Verbeugung versetzte: »Teurer Sir, wiewohl ich jetzt dieser Unterstützung nicht bedarf, so habe ich doch viel zuviel Ehrerbietung für Sie, um diesen Beweis Ihrer Großmut und Achtung auszuschlagen. Ich nehme ihn um so williger an, da ich Ihres Herrn Sohnes Interesse mit dem meinigen für unzertrennlich verbunden halte.« Diese freimütige Antwort behagte dem Don Rodrigo ungemein. Darauf empfahlen wir uns und gingen nach Hause.