Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Einundvierzigstes Kapitel

Sir Timothy ist schuld, daß ich Schmugglern in die Hände falle, die mich nach Boulogne schleppen. Dort finde ich einen meiner ältesten Freunde

 

Zu gewissen Zeiten ward mein Ehrgeiz rege und ich mir durch meine demütige Ergebung in mein erbärmliches Schicksal selbst verächtlich. Ich wälzte dann hunderterlei Pläne in meinem Kopf, um den Charakter eines rechtlichen Mannes anzunehmen, wozu ich mich durch Geburt und Erziehung berechtigt glaubte. Unter diesen fruchtlosen Vorstellungen schlich sich die Zeit unvermerkt fort, und ich war bereits acht Monate lang Lakai gewesen, als sich ein Vorfall ereignete, der meiner Dienerschaft ein Ende machte und vorderhand alle Hoffnungen, in meiner Liebe glücklich zu sein, niederschlug.

Narzissa hatte eines Tages die Miß Thicket besucht, die mit ihrem Bruder kaum eine Meile vom Landhause ihrer Tante wohnte. Gegen Abend, da es kühl war, ließ sie sich überreden, in der Gesellschaft des Sir Timothy nach Hause zurückzukehren. Dieser, der eine starke Dosis tierischer Sinnlichkeit besaß, ließ sich die Lust anwandeln, sich einige unziemliche Vertraulichkeiten herauszunehmen, wozu ihn besonders die Einsamkeit des Weges mit anreizte, den sie über ein Kornfeld nahmen. Dies rauhe Betragen machte das liebenswürdige Geschöpf so mißlaunig, daß es in die bittersten Vorwürfe ausbrach. Dadurch wurde er so erbost, daß er alle Achtung für den Anstand aus den Augen setzte und dem Urbilde der Unschuld und Schönheit Gewalt antun wollte. Allein der Himmel gab nicht zu, daß mit einem so lieben Geschöpf so unwürdig gespielt wurde. Er sandte mich, der ich zufällig dieses Weges kam und durch ihr Schreien aufmerksam wurde, ihr zu Hilfe.

Wie sehr geriet ich in Wallung, als ich Narzissa gewahrte, die gerade der bärenartigen Stärke dieses Satyrs zu erliegen im Begriffe war. Wie ein Blitz flog ich zu ihrem Beistande hinzu. Sobald der Räuber meiner ansichtig wurde, ließ er seine Beute fahren und zog den Hirschfänger, um mich für meine Vermessenheit zu züchtigen. Mein Unwille war zu groß, um der Furcht nur im geringsten Raum zu geben. Sonach stürzte ich auf ihn zu, riß ihm das Seitengewehr weg und bediente mich meines gewichtigen Spazierstocks mit so gutem Erfolge gegen ihn, daß er zu Boden fiel und allem Anschein nach ohne Besinnung liegenblieb.

Darauf wandte ich mich zu Narzissa, die in Ohnmacht gesunken war. Ich setzte mich bei ihr nieder, hob sanft ihr Haupt empor, lehnte es an meine Brust und schlang zugleich einen Arm um ihren Körper, um sie aufrecht zu erhalten. Frohe Unruhe durchbebte meine Seele, wie ich den Gegenstand meiner feurigsten Wünsche an meiner Brust fühlte. Da sie noch ganz bewußtlos war, konnte ich nicht umhin, meine Wange an die ihrige zu legen und ihr einen Kuß zu rauben. Kurz darauf begann das Blut wieder in ihr Gesicht zurückzukehren; sie öffnete ihre bezaubernden Augen, und da sie sich der vorhergehenden Situation erinnerte, sagte sie mit einem Blick voll zärtlicher Erkenntlichkeit: »Mein teurer John, ich bin Euch ewige Erkenntlichkeit schuldig.« Mit diesen Worten bemühte sie sich aufzustehen, ich half ihr. Sie stützte sich sodann auf meinen Arm und machte sich auf den Heimweg.

Tausendmal geriet ich in Versuchung, diese gute Gelegenheit zu nutzen und ihr meine Leidenschaft zu entdecken; allein die Besorgnis, ihr mißfällig zu werden, band meine Zunge. Wir hatten uns noch nicht hundert Schritte von diesem Unglücksplatz entfernt, als wir Sir Timothy aufstehen und sich nach Hause verfügen sahen.

Dies war mir insofern wohl lieb, da ich nun wußte, ich hätte ihn nicht ums Leben gebracht; allein zugleich erfüllte mich jene Auferstehung mit begründeter Furcht vor seinem Groll, dem ich keinen Widerstand entgegenzusetzen imstande war, zumal wenn ich überlegte, auf was für einem vertrauten Fuß er mit unserem Squire stand. Ich war überzeugt, daß er bei diesem völlig gerechtfertigt war, wenn er seine Tat auf seine große Liebe schöbe und wenn er ihm freistellte, sich gleiche Freiheiten bei seiner Schwester herauszunehmen, worüber er nicht böse zu werden ihm verspräche.

Als wir zu Hause angekommen waren, versicherte mir Narzissa, sie wolle sich ihres ganzen Einflusses bedienen, um mich gegen Thickets Rache zu schützen, und auch ihre Tante vermögen, sich meiner anzunehmen. Zugleich zog sie ihre Börse und bot sie mir als eine geringe Vergeltung für den ihr geleisteten Dienst an. Allein ich besaß viel zuviel Delikatesse, als daß ich den geringsten Verdacht von Gewinnsucht hätte auf mich laden wollen; daher weigerte ich mich, unter dem Vorwande, ich hätte nichts als meine Schuldigkeit getan, das Geschenk anzunehmen.

Sie schien über meine Uneigennützigkeit erstaunt zu sein, und eine lebhafte Röte flog über ihr Gesicht. Ich fühlte mich so benommen wie sie und sagte mit niedergeschlagenem Auge und stockender Stimme, ich hätte eine demütige Bitte an sie; wenn ihre Großmut dieselbe erhörte, würde ich mich für mein bisheriges Elend sattsam belohnt halten. Bei diesem Eingange veränderte sich ihre Farbe, und sie antwortete mit großer Betroffenheit, sie hoffte, ich würde zu vernünftig sein, um von ihr etwas zu verlangen, was die Ehre ihr mir abzuschlagen geböte, und sonach möchte ich mein Gesuch nur immer vortragen.

Nunmehr kniete ich vor ihr nieder und flehte sie um die Erlaubnis an, ihre Hand küssen zu dürfen. Sie reichte sie hin und blickte seitwärts. Ich drückte einen glühenden Kuß auf ihre Hand, badete sie in Tränen und sagte: »Teures Fräulein, ich bin von gutem Hause, nur äußerst unglücklich. Ich liebe Sie bis zum Wahnsinn. Eher würde ich tausendfachen Todes gestorben sein als Ihnen in dieser Knechtsgestalt eine solche Erklärung getan haben, wäre ich nicht fest entschlossen, mich meinem strengen Schicksal zu unterwerfen, Ihre bezaubernde Gegenwart zu fliehen und meine vermessene Leidenschaft in ewigem Stillschweigen zu begraben.« Mit diesen Worten stand ich auf und eilte fort, ehe sie sich wieder so weit hatte sammeln können, mir zu antworten.

Jetzt war mein erstes, Mistreß Sagely um Rat zu fragen, mit der ich, seit ich ihr Haus verlassen, immerfort freundschaftlichen Umgang gepflogen hatte. Als die gute Frau meine Lage erfuhr, bedauerte sie mich von ganzem Herzen und billigte meinen Entschluß, aus dem Lande zu gehen, weil sie meines Nebenbuhlers barbarischen Charakter ganz genau kannte.

»Er brütet jetzt gewiß schon Rache«, setzte sie hinzu, »und ich weiß nicht, wie Sie ihm werden entwischen können, da er Gerichtsbeisitzer ist. Er wird sogleich Befehle erteilen, Sie festzunehmen, und da fast alle Leute hierherum entweder von ihm oder seinem Freunde abhängen, so werden Sie unmöglich bei ihnen Schutz finden können. Sollten Sie ergriffen werden, so läßt man Sie sogleich festsetzen. Sie werden bis zum nächsten Landtage in Ihrem Kerker schmachten müssen und alsdann, weil Sie sich an einer obrigkeitlichen Person vergriffen haben, deportiert werden.« Indes sie mir so die Gefahr vorstellte, worin ich schwebte, hörte ich stark an die Tür klopfen. Dies jagte uns beiden die größte Angst ein. Wir vermuteten, meine Verfolger wären schon da. Die großmütige alte Frau steckte mir zwei Guineen in die Hand und bat mich um Gottes willen und mit tränenden Augen, mich aus der Hintertür zu flüchten und auf meine Sicherheit bedacht zu sein.

Zeit zu überlegen war jetzt nicht; ich folgte daher ihrem Rat und gelangte unter dem Schutz einer dunkeln Nacht bis an die Seeküste. Indes ich hier überlegte, wohin ich nun weiter entweichen sollte, umringten mich plötzlich einige bewaffnete Leute. Sie banden mir Hände und Füße, geboten mir bei Strafe, sogleich erschossen zu werden, kein Geräusch zu machen, und brachten mich an Bord eines Kutters, der, wie ich bald merkte, Schmugglern gehörte, die ihr Wesen an unseren Küsten trieben.

Diese Entdeckung verursachte mir anfänglich einige Freude, weil ich mich jetzt vor Sir Timothys Rache gesichert glaubte. Als ich aber einsah, daß ich mich in den Händen schändlicher Buben befand, die mir drohten, mich als einen Spion hinzurichten, fing ich an, mich für glücklich zu schätzen, wenn ich bei jenem mit einjähriger Gefangenschaft oder Zwangsverschickung nach den Kolonien hätte durchkommen können.

Vergebens beteuerte ich diesen Menschen meine Unschuld. Ich konnte sie nicht überreden, daß ich um diese Zeit einen bloßen Spaziergang nach ihrem Schlupfwinkel gemacht hätte. Dieses Vorwandes bediente ich mich, weil ich es nicht für ratsam hielt, ihnen die wahre Veranlassung meiner Flucht zu entdecken; denn mir war bange, sie möchten mich der Strenge der Gesetze überliefern, um sich dadurch mit der Obrigkeit auszusöhnen.

Die Erscheinung einer Zollhausjacht, die ihnen nachsetzte, bestätigte sie in ihrem Argwohn. Sie waren nahe daran, von diesem Schiff aufgebracht zu werden, als ein dicker Nebel sie der Gefahr entzog und ihre Ankunft in Boulogne begünstigte.

Noch ehe sie ihren Verfolgern aus dem Gesicht waren, hielten sie über mich Kriegsrat. Einige der Grausamsten unter ihnen bestanden darauf, ich sollte als ein Verräter, der sie ihren Feinden in die Hände gespielt habe, über Bord geworfen werden. Andere aber, die mehr Überlegung hatten, führten an, daß sie, wenn sie mich umbrächten und nachher gefangengenommen würden, nie auf Gnade bei der Obrigkeit rechnen dürften, um so mehr, als sie dadurch die Liste ihrer Vergehen noch durch eine Mordtat vergrößert hätten.

Mit Mehrheit der Stimmen wurde sonach beschlossen, mich in Frankreich an Land zu setzen, ich möchte alsdann sehen, wie ich wieder nach England zurückkäme. Sie glaubten, dies sei Strafe genug für ein Verbrechen, das an sich selbst nicht den Tod verdient hatte.

Soviel Vergnügen mir auch dieser günstige Ausspruch verursachte, war mir doch aus Furcht, von meinen Führern ausgeplündert zu werden, nicht recht wohl zumute. Um diesem Unfall vorzubeugen, machte ich, sobald ich dem ebenerwähnten Urteil gemäß losgebunden war, in den einen Strumpf eine schmale Öffnung und verbarg darin sechs Guineen. Eine halbe aber und einiges Silbergeld behielt ich in der Tasche, damit sie, wenn sie etwas fänden, nicht auf den Einfall kommen möchten, eine weitere Untersuchung anzustellen.

Diese Vorsicht war wirklich nicht überflüssig gewesen. Denn sowie wir uns im Angesicht der französischen Küste befanden, sagte einer von den Schmugglern zu mir, ich müßte für die Überfahrt bezahlen. Dagegen erklärte ich, ich hätte diese Überfahrt gar nicht verlangt und sie könnten keine Bezahlung dafür erwarten, da sie mich mit Gewalt nach einem fremden Lande geschleppt hätten. »Nicht räsoniert, Kerl!« versetzte jener. »Wir wollen doch sehn, wieviel Geld du bei dir hast.« Damit griff er ohne alle Umstände in meine Tasche und leerte deren Inhalt aus. Sodann warf er auf meinen Hut und meine Perücke einen forschenden Blick. Sie standen ihm an, er nahm sie und setzte mir dafür einen alten Deckel und einen Rauchbesen auf, die ihm gehörten. Dabei sagte er, ein ehrlicher Tausch sei kein Schelmstück. So unvorteilhaft dieser auch war, mußte ich mir ihn doch gefallen lassen. Eine kleine Weile danach kamen wir allesamt ans Land.

Ich beschloß, mich von diesen Wagehälsen ohne weitere Umstände zu entfernen, als einer von ihnen mich warnte, wenn ich je wieder nach England käme, ja nichts Nachteiliges gegen sie zu unternehmen, weil es mich sonst den Hals kosten würde; dazu würde es ihnen nicht an Werkzeugen fehlen. Sofort versprach ich ihm, mich genau nach diesem Rat zu richten, und begab mich nach der Oberstadt. Hier suchte ich ein Wirtshaus, und als ich es gefunden hatte, ging ich hinein, um eine Erfrischung zu mir zu nehmen.

In der Küche saßen fünf holländische Matrosen beim Frühstück, das aus einem großen Brot, einem Fäßchen Butter und einem Tönnchen Branntwein bestand, dessen Spund sie oft mit großer Beharrlichkeit und Zufriedenheit an den Mund brachten. Nicht weit von ihnen gewahrte ich ganz abgesondert und in tiefen Gedanken auf einem Schemel einen ebenso gekleideten Mann, der sich an dem Tabaksrauch ergötzte, den er aus einer Pfeife blies, die so schwarz war wie Kohle.

Gegenstände des Mitleids zogen stets meine Blicke und meine innigste Teilnahme auf sich. Ich näherte mich daher diesem hilflosen Seemann, um ihm meinen Beistand anzubieten. Trotz der veränderten Kleidung und dem großen verstellenden Bart entdeckte ich in ihm meinen längst verlornen und beweinten Oheim und Wohltäter, den Leutnant Bowling!

Gütiger Himmel, wie sehr erschütterte mich diese Entdeckung! Zweierlei Empfindungen teilten jetzt meine Seele, die Freude, einen so schätzbaren Freund wiederzufinden, und der Kummer, ihn in einem so niedrigen Stande anzutreffen. Heiße Tränen stürzten über meine Wangen, und ich stand eine Zeitlang ohne Bewegung und Sprache. Endlich bekam ich den Gebrauch der letzteren wieder und rief aus: »Barmherziger Gott! Leutnant Bowling!«

Kaum hatte mein Oheim diesen Namen gehört, als er auffuhr und mit einigem Befremden »Holla he!« rief. Nachdem er mich starr und steif eine kleine Weile angesehen hatte, ohne sich auf mich besinnen zu können, sagte er: »Habt Ihr mich gerufen, Bruder?« – »Ich habe Ihnen etwas Außerordentliches zu sagen«, versetzte ich, »und wünschte, Sie auf einige Minuten in einem anderen Zimmer zu sprechen.«

Aber er wollte durchaus nicht auf meinen Vorschlag eingehen, sondern erwiderte: »Genug, Freund. Eure Tricks ziehen nicht bei Weitgereisten. Habt Ihr was zu sagen, so redet frei von der Leber weg. Ihr braucht keine Angst zu haben, daß Euch jemand hört. Die Leute verstehen kein Englisch.« Wiewohl ich mich höchst ungern vor dieser Gesellschaft wollte zu erkennen geben, so konnte ich mich doch nicht enthalten, ihm zu sagen, ich wäre sein Neffe, Roderick Random.

Nach diesem Bericht untersuchte der Seemann mich höchst ernsthaft und voller Verwunderung. Endlich erinnerte er sich meiner Züge, die sich seit der Zeit, daß er mich zuerst gesehen, zwar etwas vergröbert, allein nicht sehr verändert hatten. Er kam daher auf mich zu, schüttelte mir gar herzlich die Hand und versicherte dabei, es wäre ihm vom Grund der Seele lieb, mich frisch und munter zu sehen.

Nach einer Pause brach er folgendergestalt aus: »Und doch, guter Junge, tut's mir leid, dich unter solcher Flagge segeln zu sehen, um so mehr, als es nicht in meiner Macht steht, dich unter eine andere zu bringen. Mir geht's zur Zeit sehr schlecht.«

Bei diesen Worten sah ich, daß eine Träne über seine gerunzelte Wange rollte. Das rührte mich so sehr, daß ich bitterlich weinte. Er bildete sich ein, meine Betrübnis rühre von meinen eigenen Widerwärtigkeiten her, deshalb tröstete er mich durch die Anmerkung, das Leben sei eine Reise, wo man sich auf allerlei Wetter gefaßt halten müsse.

Manchmal sei's still, manchmal rauhes Wetter; oft folgte einem Sturm eine angenehme Brise; der Wind wehte nicht immer in einer Richtung, und Verzweiflung sei zu gar nichts gut; aber Entschlossenheit und Geschicklichkeit wären besser als das stärkste Schiff; und warum? Weil sie keines Zimmermanns bedürften und stärker würden, je mehr man sie benutze.

Ich trocknete meine Tränen und versicherte ihm, sie wären nicht über mein, sondern über sein Unglück geflossen. Dann bat ich ihn, mit in ein anderes Zimmer zu kommen, wo wir uns mit mehr Bequemlichkeit unterreden könnten. Hier erzählte ich ihm, wie unedelmütig mir Potion begegnet war.

Über diese Nachricht sprang der biedere Bowling auf, rannte sehr heftig drei- bis viermal im Zimmer auf und ab, schwang seinen Prügel und sagte: »Wollt, ich könnte dem Tausendsappermenter an Bord kommen! Wollt, ich könnt's!«

Darauf erzählte ich meinem Wohltäter haarklein alle meine Abenteuer und Leiden, die ihn mehr rührten, als ich geglaubt hatte. Ich schloß meine Erzählung mit der Nachricht, Kapitän Oakum wäre noch am Leben und er könne sonach ohne alle Gefahr nach England kommen und seinen rückständigen Sold fordern, ohne zu besorgen, daß man ihm das Geringste in den Weg legen würde. Dies war ihm außerordentlich lieb; doch sagte er, da es ihm an Geld fehle, die Überfahrt nach London zu bezahlen, so könne er von dieser meiner Botschaft für jetzt keinen Nutzen ziehen.

Diesen Einwurf hob ich sogleich dadurch auf, daß ich ihm fünf Guineen in die Hand steckte, wobei ich ihm versicherte, ich schätzte mich ungemein glücklich, eine so gute Gelegenheit zu finden, ihm meine Dankbarkeit in seiner drangvollen Lage bezeigen zu können. Allein nur mit vieler Mühe brachte ich ihn dahin, zwei Goldstücke anzunehmen. Diese, sagte er, wären zu den notwendigen Ausgaben mehr denn zureichend.

Wie dieser freundschaftliche Streit vorüber war, schlug er vor, ob wir nicht etwas zusammen essen wollten. »Denn«, sagte er, »bei mir ist schon eine gute Weile Banianentag gewesen. Du mußt wissen, ich habe vor fünf Tagen Schiffbruch gelitten, nahe bei Lisieux, zusammen mit den Holländern, die da unten trinken; und das bißchen Geld, das ich hatte, als wir an Land kamen, war bald heidi, denn solange ich etwas hatte, zahlte ich für meine Kameraden die Zeche. Ich hätte nur an das alte Sprichwort denken sollen: Jeder schere sein Schäfchen selbst. Als sie nämlich sahen, daß bei mir Ebbe war, verlegten sie sich aufs Betteln, und weil ich nicht mitmachte, lehnten sie jede Unterstützung ab, so daß ich seit zwei Tagen kein Stückchen Brot gegessen habe.«

Die große Not, worin sich mein Oheim befand, rührte mich sehr, und ich befahl sogleich, Brot, Käse und Wein heraufzubringen, um seinen Hunger vorläufig zu befriedigen, bis ein Frikassee von jungen Hühnern fertig sein würde. Nachdem er sich durch diese geringe Kost wieder etwas gestärkt hatte, ersuchte ich ihn, mir seine Reisen seit dem Vorfall auf dem Kap Tiburon zu erzählen. Sie waren kurz folgende:

Sowie das Geld, das er mit nach Hispaniola gebracht hatte, verzehrt war, nahm auch die Höflichkeit und Gastfreiheit der Franzosen dermaßen ab, daß er sich genötigt sah, als gemeiner Matrose auf ein französisches Kriegsschiff zu gehen, um nur nicht auf dem Lande Hungers zu sterben. In dieser Lage blieb er zwei Jahre, in welcher Zeit er sich einige Kenntnis der fremden Sprache und den Ruf eines guten Seemanns erwarb. Das Schiff, worauf er sich befand, wurde nach Hause beordert, als untauglich zum Dienst abgetakelt und die Mannschaft verabschiedet.

Mein Oheim kam nun als Quartiermeister an Bord eines Schiffes von Admiral d'Antins Geschwader. In dem Posten machte er eine Reise nach Westindien, wo sie mit unserem Schiff, wie ich weiter oben erzählt habe, in ein Gefecht gerieten. Allein sein Gewissen machte ihm Vorwürfe, daß er den Feinden seines Vaterlandes diente; er verließ das Schiff an ebendem Ort, wo er Dienst genommen hatte, und ging mit einem niederländischen Fahrzeug nach Curaçao. Hier schloß er mit einem niederländischen Schiffer den Kontrakt, für seine Überfahrt nach Holland Matrosendienste zu tun. Dort hoffte er von seinen Freunden in England etwas in Erfahrung zu bringen. Allein sein Schiff litt, wie schon erwähnt worden, an der französischen Küste Schiffbruch. Er wäre daher genötigt gewesen, sich nach Holland durchzubetteln oder auch wieder auf einem französischen Kriegsschiff Dienste zu nehmen, wobei er riskiert hätte, als ein Deserteur behandelt zu werden, wenn mich die Vorsehung ihm nicht zum Beistande geschickt hätte.

»Und nun, mein Junge«, fuhr er fort, »werde ich direkt nach London steuern. Ich zweifle nicht, daß ich meine alte Stelle wiederbekomme und mein Geld, was noch bei der Admiralität steht. Ich werde auch meinen Fall in einer schriftlichen Eingabe darlegen. Wenn mir's glückt, werde ich wieder so viel haben, daß ich dir unter die Arme greifen kann; denn als ich das Schiff verließ, hatte ich den Sold von zwei Jahren stehen. Darum möcht ich gern wissen, wohin du steuerst. Vielleicht kann ich dir durch meinen Einfluß eine Anstellung als Unterchirurgus verschaffen auf dem Schiff, wo ich hinkommen werde. Der Pedell von der Admiralität ist nämlich mein guter Freund; und er und einer der Unterschreiber sind Duzbrüder; und der Unterschreiber hat bei einem der Oberschreiber einen Stein im Brett, und der ist gut bekannt mit dem Untersekretär. Dieser nun, so hoffe ich, wird meinen Fall dem ersten Sekretär ans Herz legen; und der wieder wird mit einem der Lords über meine Angelegenheit sprechen. Du siehst also, daß mir's nicht an guten Freunden fehlt, die mir schon helfen werden. – Was nun den Burschen Crampley anbelangt, so bin ich überzeugt, obgleich ich ihn gar nicht kenne, daß er nach allem, was du von ihm erzählt hast, weder Seemann noch Offizier ist. Wie konnte er sonst solche Dummheit machen, das Schiff an der Küste von Sussex auf Land zu setzen, bevor er selbst an Ankergrund glaubte. Wenn er Seemann wäre, hätte er auch das Schiff, als das Unglück geschah, nicht eher verlassen, als bis es in Stücke zerschellt war, zumal gerade die Flut kam. Deswegen nehme ich auch an, man wird ihn vor ein Kriegsgericht gestellt und für seine Feigheit und Dummheit entsprechend bestraft haben.«

Ich konnte mich des Lächelns nicht erwehren, als mein Oheim die Leiter beschrieb, auf welcher er bis zur Aufmerksamkeit der Admiralität zu gelangen dachte. Allein wiewohl ich die Welt zu sehr kannte, um auf dergleichen Gönner viel Vertrauen zu setzen, so wollte ich doch dem guten Mann durch Zweifel nicht seinen Mut nehmen. Deshalb fragte ich ihn bloß, ob er in London nicht einen Freund habe, der ihm eine kleine Summe Geld vorstrecken könne, damit er imstande wäre, auf eine anständige Art zu erscheinen und dem Untersekretär ein kleines Geschenk zu geben. Dies würde den Mann vielleicht bereitwilliger machen, seine Sache aufs schnellste zu betreiben.

Bowling schüttelte den Kopf und erwiderte nach einigem Besinnen: »Doch, ja, ich glaube, Daniel Whipcord, der Schiffslichtzieher in Wapping, würde mir eine kleine Bitte nicht abschlagen. Soviel Kredit, wie ich für Quartier, Schnaps und Kleider brauche, hab ich wohl immer; was aber Geld anbelangt, da bin ich nicht sicher. Wenn der ehrliche Block noch lebte, da wäre ich nicht in Verlegenheit.«

Es ging mir herzlich nahe, daß ein so würdiger Mann wie mein Oheim sich von allen Freunden zu einer Zeit entblößt fand, da er ihrer so sehr bedurfte. Ich hielt in der Tat meine Lage für weniger bedauernswert, da ich die Bosheit der Menschen besser kannte und sonach weniger fehlschlagenden Erwartungen und Betrügereien unterworfen war.


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